Blut

  • 16.06.91

    IKvu in Gernsheim (14.-16.06.):
    – Wie tief steckt doch die Droge Kirche auch in denen, die eine Alternative suchen, weil sie in der Kirche nicht mehr leben können. Nach Verinnerlichung der Opfertheologie suchen sie immer noch Geborgenheit, Heimat, Harmonie, die sie in der Kirche nicht mehr finden, und verdrängen lustig weiter.
    – Könnte (und müßte) das „von unten“ nicht auch heißen: Aufarbeitung der verdrängten Vergangenheit? Gibt es, wenn man die Katastrophe des kirchlichen Traums von der Religion noch vermeiden will, zum Aufwachen überhaupt eine Alternative?
    – Die befreiende Kraft der Nachfolge, oder Entmündigung durch die Opfertheologie (Opfertheologie als kirchliche Droge; Zerstörung der göttlichen Barmherzigkeit durch Instrumentalisierung; was bindet die Gläubigen an diese gnadenlose Kirche?).
    – Jedes „Bekenntnis zu …“ ist ein entfremdetes Schuldbekenntnis: Sein Objekt ist das Gravitationszentrum eines Schuldzusammenhangs. Insofern gehört zum Bekenntnis zwangsläufig, aus Gründen der Systemlogik, das Opfer. Ohne die Opfertheologie wäre das christliche Dogma nicht möglich gewesen.
    – Origenes, Tertullian und Augustinus: über den Zusammenhang der Confessio mit dem Sexismus (welche Bedeutung hatten Alexandria und Nordafrika für die Geschichte der christlichen Theologie?).
    – Schließt der Glaube an die Eucharistie eine vegetarische Lebensweise aus (no pity for the animals and the trees)?
    – Schwerter in Pflugscharen: Nachdem das Bekenntnis, das Dogma und in seinem Zentrum die Opfertheologie, zu lange schon als Waffe mißbraucht wurden, an der das Blut von Millionen klebt, kommt es endlich darauf an, die Ursachen zu begreifen und den Schuldzusammenhang durch Reflexion aufzulösen.
    – Die Wahrheit, daß Jesus die Schuld der Welt auf sich genommen hat, ist nicht generalisierbar; sie gilt so nur für ihn (für den „Gottesknecht“). Der Schluß, den wir (die Kirche: in der Opfertheologie, in der Lehre vom Sühneleiden) daraus ziehen, daß er unsere Schuld auf sich genommen hat und wir den Profit der Erlösung aus seiner einmaligen Leidens-Investition ziehen, ist falsch, mehr noch: er ist der Grund der christlichen Heuchelei, der Lüge, er ist schlicht blasphemisch. Wahr ist der Satz nur im Kontext des Nachfolgegebots (Konsequenzen für eine theologische Erkenntnistheorie).

  • 21.05.91

    Zur Systemlogik des Bekenntnisses gehört die Heuchelei: daß die, die das Bekenntnis fordern, selber nicht bereit sind, sich daran zu halten. Bekenntnisse sind Bekenntnisse für andere. Der Bekenntniszwang nimmt zu mit der Ohnmacht: deshalb ist er innerhalb der Linken stärker als bei den Rechten. Die CDU ist eine Bekenntnis-Partei, weil sie eigentlich kein Bekenntnis mehr braucht. Die Verflechtung von politischer und wirtschaftlicher Macht enthebt jene, die diese Macht in Händen halten, von jeder Verpflichtung (vgl. die Papstgeschichte des frühen Mittelalters). Der Bekenntniszwang wird nur in Gefahrensituationen aktuell (in Situationen, in denen der instrumentelle Gebrauch geboten ist): hier wird das Bekenntnis wieder zur Waffe, zum Mittel der Diskriminierung, der taktischen oder strategischen Nutzung des Feindbildes.
    Gott gründete die Erde und spannte den Himmel auf: hat er den Himmel mit den Sternen am Firmament befestigt? Und Paulus war ein Zeltmacher. – Gegründet werden Städte, Staaten, Unternehmungen, Firmen, Institutionen; Grund sind teleologische Vorstellungen, Zwecke, Ziele, Ideen als Ursachen. Gründen ist eine technische Organisation von Mitteln zu bestimmten, vorgegebenen Zwecken: Zusammenhang mit der Selbsterhaltung, dem Realitätsprinzip.
    Prophetisches Bilder-Lexikon: die Erde gründen, den Himmel aufspannen, Dornen und Disteln, den Geist ausgießen, Tiere, Völker, Bäume etc.
    Bezieht sich das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf den ganzen Raum oder (als Maß einer Bewegung im Raum) jeweils nur auf eine bestimmte Richtung des Raumes: sind die Längenkontraktion und die Zeitdilatation richtungsabhängig (auf den Bewegungssinn bezogen)? Bedeutet das, daß die Beziehung der Zeit zum Raum nicht mehr diesen Totalitätscharakter hat, sondern gleichsam individualisierend vorgestellt werden muß? Was ist hiernach noch gleichzeitig? Ist nur noch der „Lichtstrahl von innen“ das Moment der Gegenwart im Raum, und die Gleichzeitigkeit (als subjektiver, mit dem Inertialsystem als objektiv gesetzter Schein) hiervon zu unterscheiden? Die Lichtgeschwindigkeit gehört zu einem Vorstellungssystem, in dem der Lichtstrahl gleichsam von außen gesehen, vergegenständlicht wird, und erst in diesem Zusammenhang als eine zeitlich bestimmte Bewegung erscheint. (Falsche Interpretation der Zeitdilatation: sie kann nie auf ein ganzes Objekt bezogen werden. Man altert nicht langsamer, wenn man mit einer Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall fliegt.)
    Die Lichtgeschwindigkeit ist nicht das Maß einer Objektbewegung im Raum, sondern das einer Raumbewegung im Objekt.
    Verletzen die „Schwarzen Löcher“ nicht das Gesetz der Energie-Erhaltung?
    Schlaf: das Untertauchen ins Gegenständliche, Subjektlose; deshalb: Wachet und betet. Die Physik ist der Traum des Verstandes, die Theologie das Aufwachen.
    Paulus heißt auch Saul; kam nicht David nach Saul?
    Heinsohn weist auf den astronomischen Ursprung des Pentagramm hin: auf den Zusammenhang mit der Planetenbahn der Venus, die in genau acht Jahren fünfmal die Sonne umkreist, bezogen auf die Erde demnach ein Pentagramm beschreibt. Das Pentagramm ist der Drudenfuß: gibt es dazu eine keltische Erklärung?
    Gemeinheit ist kein psychologischer, sondern ein objektiver Begriff; oder genauer: ein Begriff für einen objektivitätsbegründenden Sachverhalt. Die Erfahrung der Gemeinheit läßt drei Reaktionen zu:
    – man wird selber gemein;
    – man wird depressiv;
    – man weigert sich, auch gemein zu werden.
    In der dritten Verleugnung wird die Kirche selber zur Schule der Gemeinheit. Es ist die Phase der Selbstverfluchung.
    Aufklärung beruht auf der Verinnerlichung des Opfers und der Vergeistigung der Idololatrie.
    Abraham (seine Nachkommenschaft ist so groß wie die Zahl der Sterne am Firmament), Isaak und Jakob und die zwölf Stämme Israels: der „Schrecken Isaaks“ („Er lacht“), das Lachen Abrahams und Saras, Jakob: „Gott schützt“ und „Er betrügt“.
    Zu Jakobs Kampf mit dem Engel: Gibt es eine andere Stelle, an der die Hüfte vorkommt? Hat die Hüfte etwas mit der Lende oder mit der Rippe zu tun?
    In welcher Beziehung stehen die zwölf Apostel zu den zwölf Stämmen Israels, den zwölf Söhnen Jakobs (den zwölf Tierkreiszeichen)? An welcher Stelle stehen respektive Petrus, Johannes, Judas?
    Die Sonne herrscht über den Tag, der Mond über die Nacht.
    Zu den frühgeschichtlichen „Naturkatastrophen“ vgl. die Geschichte von den Urkönigen (Könige von Edom) in der Kabbalah?
    Zu den Königen von Edom: Hatte jeder eine Stadt gegründet? Wieviel Städte waren es?
    Woher stammen die Galiläer; gibt es einen Zusammenhang mit dem Stamme Dan?
    Steiner, S. 262; Kunst als Gegenschöpfung, S. 265; S. 268
    Das objektbezogene Lachen ist anders als das befreiende Lachen (ebenso das feindbildbezogene Zwangs-Bekenntnis anders als das befreiende Bekenntnis).
    Zwischen dem An-sich und dem Für-uns ist ein Bruch, der sich dialektisch nicht auflösen läßt. Das An-sich wird in Dialektik hereingezogen durch das entfremdete Subjekt-Objekt: als ein Für-uns.
    Durch das „es gibt“ wird die Frage „Gibt es Gott“ blasphemisch. Für dieses Es gibt es keinen Gott. Dieses Es ist Statthalter der Totalitätsbegriff Welt und Natur, die sich dem historischen Prozeß verdanken, die Subjektivität zum Ursprung haben, deshalb atheistisch sind.
    Zur Genesis des Objektbegriffs: Die Billardkugel, die Erde, die Sterne, die Sonne, das Opfer, das Objekt des Lachens, das Schicksal, das Urteil, das Richten, der Begriff/das Urteil/der Schluß, der Säkularisationsprozeß, die Profangeschichte: Herrschaftsgeschichte und Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur, Subjekt und Empörung, Objekt und Instrumentalisierung, Mittel und Zweck, Grund und Begründetes.
    Es ist der zugleich festgehaltene und geopferte Objektbegriff, der die Hegelsche Logik begründet. Die Verinnerlichung des Opfers hat ihr gegenständliches Korrelat im Opfer des Objekts: im Antisemitismus und in der Frauenfeindschaft. Geopfert wird die Klage (Rahel weint um ihre Kinder) und die Barmherzigkeit.
    Jeder Mensch ist Ursprung eines Inertialsystems: Zusammmenhang mit den Fixsternen?
    Spr 1519: Der Weg der Faulen (der Trägen?) ist wie ein Dornengestrüpp, …: Kritik des Inertialsystems.
    Zur Mechanik, zur Realitätserfahrung am Widerstand des Objekts: der Boden ist der Widerstand gegen den Fall (Blut und Boden).
    Zur Dialektik der Scham: Wer selber vor Scham sich verstecken (in den Boden versinken) möchte, respektiert nicht mehr die Scham der anderen (nimmt sie nicht mehr wahr?). Zusammenhang mit der Dialektik der Schuld.

  • 06.05.91

    Walter Benjamins Bemerkung zur Theologie, daß sie heute bekanntlich klein und häßlich sei und sich nicht dürfe blicken lassen, erinnert an die Geschichte vom Sündenfall: Adam versteckte sich auch unter den Bäumen, weil er sich nicht mehr durfte blicken blicken lassen. Oder genauer: Er hatte vom Baum der Erkenntnis gegessen, erkannte, daß er nackt war, und versteckte sich unter den Bäumen. Auch die Theologie hat vom Baum der Erkenntnis gegessen, aber noch nicht erkannt, daß sie nackt ist.
    Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind eine direkte Konsequenz aus dem Relativitätsprinzip: Jedes Subjekt ist ein bewegtes Inertialsystem, schleppt dieses System als apriorische Raum- und Zeitanschauung mit sich herum.
    Exponentialfunktion, Zusammenhang mit den trigonometrischen Funktionen (imaginärer Exponent), Bedeutung für die Statistik (Plancksches Strahlungsgesetz).
    Das feministische „Bekenntnis“ ist ein Produkt der Identifikation mit dem Aggressor (der dann auch aus Gründen der projektiven Selbstentlastung als Feind im Bekenntnis erscheint).
    Der Arglosigkeit entspricht die Trauer, nicht die Empörung; zur Empörung werde ich gereizt, wenn ich die Trauerarbeit vermeiden will.
    Woher stammt das Trinitätssymbol: das Auge im Dreieck?
    Das Ohr ist ein passives Organ, dem als aktives Organ der sprechende Mund entspricht (aber das wirkliche Hören ist ein sehr aktiver Akt).
    Das Auge ist ebenfalls ein passives Organ, es nimmt auf, was von außen ans Auge herankommt; das zugehörige aktive Organ ist Teil der Außenwelt: die Sonne. der Mond, jede Lichtquelle. Aber es gibt gleichwohl den aktiven Blick.
    Geruch und Geschmack sind rein passive (dingbezogene) Sinnesorgane, während das Gefühl auf merkwürdige Weise aktiv und passiv zugleich ist.
    Wie kommt es zu der Doppelbedeutung des Begriffs des Fühlens, des Gefühls: Das Gefühl ist das eigentlich ästhetische Organ (das Grundorgan des Empfindens, mit einer Tendenz ins Pathologische); es ist aber zugleich das Tastorgan, das mechanischste aller Organe.
    Hat es im Paradies Insekten gegeben? Hängen Insekten als in besonderer Weise „weltliche“ Lebewesen (als besonders anpassungs- und überlebensfähige Lebewesen mit der Möglichkeit des Staatenbildung: des Kollektivsubjekts, des subsistierenden Gattungswesens) mit dem Sündenfall (mit der Weltentstehung und der Weltgeschichte als Entstehung und Geschichte der Welt) zusammen? Ähnlich die Farne und alle Pflanzen, die nicht über Blüten (und Insekten) sich fortpflanzen?
    Lag Schellings (und Hegels) Fehler darin, daß er die Entstehung (und die Geltung) von Raum und Zeit sozusagen mit einem Schlage erledigt wissen wollte? Raum und Zeit sind (wie der Logos) „im Anfang“, aber sind sie deshalb auch in der Zeit am Anfang? Wenn die Unendlichkeit des Raumes nicht mehr zu halten ist, dann auch nicht die der Zeit: insoweit hängt die Kosmologie mit der Schöpfungslehre (oder auch mit der Evolutionsvorstellung) zusammen. – Hat insbesondere das newtonsche Gravitationsgesetz das Ungleichnamige gleichnamig gemacht? Ist die Übertragungsmöglichkeit der physikalischen Gesetze auf räumlich und zeitlich entfernte Vorgänge wirklich so gesichert? Ist es generell auszuschließen, daß hier – unter dem Systemzwang des Inertialsystems – projektiv ergänzt wird, was möglicherweise auch ganz anders sein könnte? (Ist es die gleiche Masse Licht, die am Tag den Raum bis zum azurnen Firmament erfüllt und in der Nacht nur punktuell die entfernte Sternenwelt erscheinen läßt?)

  • 02.05.91

    Als die Kirche das Schuld- und Moralzentrum aus der Politik in die Sexualität rückte (die Schöpfung anstatt auf Himmel und Erde, auf die Welt bezog), hat sie (den Wölfen sich angepaßt und) der Gottesfurcht den Weg versperrt: dafür den Mechanismus des autoritätshörigen Charakters installiert.
    Zum Ursprung des Dezisionismus: Seit es für Antworten keine Begründungen mehr gibt, gibt es für Fragen (wie für mathematische Gleichungen) nur noch Lösungen (für die deutsche Frage, die Judenfrage, die Seinsfrage u.ä.): zugleich wurden die Fragen, um im Jargon zu bleiben, „unlösbar“, denn Lösungen sind keine Antworten.
    Der Begriff der Schuld ist so zweideutig wie der der Person; beide unterliegen der gleichen Dialektik wie das Gewissen, das als Organ der Wahrnehmung der Schuld, der Fähigkeit, ohne Rechtfertigungszwang die eigene Schuld zu erkennen, zu unterscheiden ist von dem Schuldvorwurf, von der Anklage, die die Person von außen trifft und – wenn sie keinen Verteidiger hat – zwangsläufig Rechtfertigungszwänge auslöst, die Person in den Schuldzusammenhang hereinzieht, in denen die gesellschaftlichen Instanzen, vor denen die Person rechtfertigungspflichtig wird, sich konstituieren. Die Person ist nicht nur der Träger des Namens, sondern zugleich der Verantwortung, der Zurechenbarkeit. Die Person muß für ihre Taten geradestehen, sie muß Rede und Antwort stehen. Der Zusammenhang von Name und Schuld, Name und Anklage (man wird beim Namen gerufen, um Rede und Antwort zu stehen) ist die instrumentalisierende Kehrseite des von der Instrumentalisierung befreienden „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“. Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über die Unbarmherzigkeit des Weltgerichts. Die Persönlichkeit besteht vor dem Weltgericht, weil sie dessen richtende Gewalt sich zueigen gemacht, verinnerlicht hat (und somit tendentiell unbarmherzig geworden ist), besteht sie auch vor dem Jüngsten Gericht? „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“.
    Die griechische Philosophie (kennt und) braucht keine „Vorsehung“; in der Gestalt des schönen, wohlgeformten, durchorganisierten Kosmos ist das Ziel präsent, an dessen Bild die Poleis sich orientieren. Der Kosmos ist das Modell der richtigen Gesellschaft. Dagegen ist der römische Weltbegriff ein reiner Herrschaftsbegriff; seine Grenzen sind nicht die inneren Grenzen (die „Formen“) der kosmischen Körper, sondern die äußeren des Römischen Imperiums, der römischen Macht. In der griechischen Philosophie war das Chaos nach innen, in den Begriff der Materie, verdrängt; im römischen Reich lag es sowohl außerhalb der Grenzen der Pax Romana wie dann auch im Innern der zwar unterworfenen, aber nicht schon endgültig befriedeten Völker. Aber beide Weltbegriffe, der philosophische Begriff des Kosmos als auch der politische des Reichs, lassen sich nicht ohne fatale Konsequenzen theologisieren. Wer den Schöpfungsbegriff auf den Weltbegriff bezieht, macht den Staat zum Schöpfer (den die Gnosis übrigens zu Recht als Demiurgen erkannt hat), begründet die verhängnisvolle Staatsmetaphysik, die seit je die wichtigste Quelle des Antijudaismus und am Ende des Antisemitismus war. An der Systemlogik dieses Weltbegriffs hat sich die christliche Theologie seit der Vätertheologie vergeblich abgearbeitet. In diese Systemlogik gehören die Trinitätslehre, die Christologie und Opfertheologie herein, sowie der seitdem zentrale Bekenntnisbegriff, mit dem die Staatsmetaphysik verinnerlicht wurde. Diese Systemlogik war deshalb nicht mehr kritisierbar, weil sie sich selbst im blinden Fleck steht: sie war Grund sowohl des theologischen Objektivierungsprozesses als auch der hierarchischen Kirchenstruktur. Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, der damit installiert war (und seitdem Grundlage der westlichen „abendländischen“ Zivilisation ist), ist das negative Abbild der Trinitätslehre.
    Zum Johannes-Evangelium (zu der daraus abgeleiteten Christologie): Das „Im Anfang war das Wort“, das anklingt an das „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“, bezeichnet einen Anfang, zu dessen Bestimmung die damit erst entstandenen zeitlichen Bestimmungen nicht ausreichen. Insbesondere ist fraglich, ob er so einfach in die Vergangenheit projiziert werden kann (der Begriff des Ewigen schließt doch eigentlich eine Vergangenheit von sich aus). Und der Logos hat sicherlich weniger mit der Logik (und sei es die Hegelsche) zu tun, als mit der Sprache und dem Namen.
    Was entspricht dem Personbegriff des Tertullian: prosopon oder soma? Oder ist es die Identifikation beider, der Gewaltakt, der die lateinische Theologie begründet? Ist es der gleiche Gewaltakt, der notwendig war, um den griechischen, kosmischen Personbegriff (soma) dem römischen, politsch-juristischen anzugleichen.
    Welche Bewandnis hat es damit, daß das westliche Christentum nicht von der Metropole, sondern von den Peripherien ausgeht (in der auslaufenden Antike Nordafrika, und dann, im beginnenden Mittelalter, Irland)? – Aus Irland kommen insbesondere: die Ohrenbeichte, das Zölibat, die Mönchskirche, das Fegefeuer, insgesamt die Verdinglichung des Jenseits.
    Die inneren Probleme des Christentums sind zu einem nicht unerheblichen Teil Übersetzungsprobleme. Es wäre sicherlich fürs Verständnis wichtig, wenn man die Schriften des NT ins Hebräische oder Aramäische zurückübersetzen würde. Was wäre, wenn man die Trinitätslehre und die Christologie ins Hebräische übersetzen würde?
    An der Startbahnmauer steht heute noch der theologische Satz: „Ihr Gewissen war rein; sie benutzten es nie.“
    Hierarchie bedeutet: der Anfang, der Grund, die Herrschaft des Heiligen, Hieronymus der heilige Name, Augustinus der Augustiner; was bedeutet Tertullian?
    Besteht eine Beziehung zwischen der postmodernen Diskussion um den Begriff des Erhabenen und dem Caesar Augustus, aus der die kirchliche Legende dann den Kaiser Augustus anstelle des erhabenen Caesar gemacht hat. („Oh, du lieber Augustin …, alles ist hin.“)
    „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist …“ Über die Münze ist das Bild in den philosophischen Objektbegriff eingewandert, der somit unters Bilderverbot fällt (Zusammenhang von Opfer, Münze, Säkularisation). Dieses Bild des Kaisers ist zugleich Modell für den philosphischen Subjektbegriff (Folge der Säkularisation des Schicksals, des Dämon, des Kaisers, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ ist der legitime Erbe des Kaisers. Hegels Philosophie ist die Entfaltung dieses Zusammenhangs von Begriff, Schicksal, Herrschaft, Objekt und Subjekt, mit der Auflösung in der zutiefst scheinhaften Idee des Absoluten (des Organismus, in dem „kein Glied nicht trunken ist“, geweissagt im prophetischen „Taumelkelch“?).
    Hängt das prophetische Bild des Taumelkelchs mit der Vorstellung von der „entsühnenden Kraft“ des Blutes zusammen (die heute noch die Tradition des Abendmahls entstellt, verdunkelt)?
    Nach Freud ist der Witz auf drei Personen bezogen: den Urheber, das Objekt und den Adressaten des Witzes (der über den Witz lacht). Das Lachen ist Ausdruck und Teil seiner „Objekt“-Beziehung.
    Rechtfertigung ist die Begründung ex post, die Begründung die Rechtfertigung ante.
    Wie verhalten sich Ursache und Grund zueinander? Im Grund reflektieren sich die Zweckursachen, das teleologische Moment in der Sache. Die Welt unterscheidet sich von der Erde (adama) durch die Entgründung, durch die Herrschaft des Kausalitätsprinzips. Die Welt ist die grundlos (atheistisch) gewordene Erde. (Auch die Quantenmechanik hat – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – das Kausalitätsprinzip nicht durchbrochen.) Erst angesichts der grundlos gewordenen Welt ist die Frage sinnvoll: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Wenn es nur noch subjektive Gründe gibt, ist die Welt grundlos, bedarf es keines Gottes, gibt es keine Alternative zur Macht. In der instrumentalisierten Welt kommt es nicht mehr auf die Qualität der Argumente an, sondern nur noch auf die dezisionistische Entscheidung dessen, der seine Entscheidung auch durchsetzen kann (auf Macht). Das Äquivalent der Begründung in der formalisierten Logik leistet nicht mehr, was es leisten soll; mit dem Grund verschwindet auch das Subjekt aus dem Denken. Durch den Zusammenhang von Grund und Subjekt rührt das Subjekt an den Grund der Welt, an dem es Anteil hat, und darauf antwortet das Nachfolgegebot.
    Wie hängt Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit der Instrumentalisierung und dem Verschwinden des Grundes zusammen? – Der Sündenfall eröffnet den Abgrund, in dem der Grund zugrunde geht: das Inertialsystem ist dieser Abgrund. Hierauf scheint das Moment des Rechtfertigungszwanges in der Geschichte vom Sündenfall hinzuweisen, wobei der Rechtfertigungszwang nur soweit reicht wie die Projektions-, die Objektivationsfähigkeit (die Schlange überredet, verführt, wird ohne Möglichkeit der Rechtfertigung verurteilt).
    Flammenschwert: Vertreibung aus dem Paradies; Bileam? – Blitz (Mt 2427, 283, Lk 1018, 1724)? Zusammenhang mit dem Gewitter (Hi 38)? Ps 1814ff: „Da ließ der Herr den Donner im Himmel erdröhnen, der Höchste ließ seine Stimme erschallen. Er schoß seine Pfeile und streute sie, er schleuderte die Blitze und jagte sie dahin. Da wurden sichtbar die Tiefen des Meeres, die Grundfesten der Erde entblößt vor deinem Drohen, Herr, vor dem Schnauben deines zornigen Atems.“
    Die zweite Bitte des Herrengebets ist keine Bitte, sondern eine Selbstverpflichtung.
    Ist die Schwangerschaft nicht ein verinnerlichtes Brüten? Das erinnert an den Geist Gottes, der über den Wassern „brütet“.
    Die Theologie heute erinnert an die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung: Und sie sammelten die übriggebliebenen Stücklein, und siehe, es gab zwölf Körbe voll.
    Vgl. Gen 11: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ und Gen. 24b: „Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“ Was bedeutet die unterschiedliche Reihenfolge (Himmel und Erde bzw. Erde und Himmel) im Kontext von „schuf“ und „machte“ sowie von Jahwe und Elohim?
    Läßt die doppelte Gottesbezeichnung Jahwe und Elohim sich so verstehen, daß die eine die Selbstbezeichnung des den Menschen ansprechenden Gottes ist, während die andere die Fremdbezeichnung ist, sich auf Gott in der dritten Person bezieht, damit aber zwangsläufig im Plural gefaßt werden muß (gegen das Identitätsprinzip und die Hypostasierung des „Einen“).

  • 27.04.91

    Jes 22f und Mi 41f auf das Bekenntnis und das verdinglichte Dogma anwenden. Beide sind in der Geschichte des Christentums zur Waffe geworden; an ihnen klebt Blut.
    „Schwerter zu Pflugscharen“: d.h. Objektivierung durch Nachfolge ersetzen (Entkonfessionalisierung). „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen (den Acker bebauen).“ -Damit hängt auch Benjamins Wort über Rosenzweig zusammen, daß er es vermocht hat, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie seßhaft zu verwalten. Die Verwaltung ist das gegenständlich-politisch-gesellschaftliche Korrelat des Bekenntnisses. Es gibt keine Verwaltung ohne Bekenntnis, und kein Bekenntnis ohne Verwaltung (so wie keine Verwaltung ohne Hierarchie und keine Hierarchie ohne Verwaltung). Das erste kirchliche Verwaltungsamt ist das des Bischofs, des Aufsehers (des Hüters des Bekenntnisses: Heideggers Hirt des Seins ist ein spätes Echo davon).
    Über den geschichtsphilosophischen Zusammenhang von Bekenntnis und Empörung, oder Empörung als Versuchung.
    Woher stammt die Legende (und welche Bewandnis hat es mit ihr), daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sein soll?
    Die Diakonie wäre das Wesen des Christentums, wenn die Interpretation von Elisabeth Moltmann-Wendel (unter Bezugnahme u.a. auf Schüssler-Fiorenza) zutreffen würde. Dann wäre das Dienen ein nicht mehr vom Herrendenken entstelltes und verhextes Dienen.
    Gibt es eine Beziehung zwischen unserer Beziehung zur präzivilisatorischen Vergangenheit und unserer Beziehung zur Natur (ist die Grenze zur Vorgeschichte auch die zur Natur: der Ödipuskomplex)?
    Der Schlüssel zum Lösen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und erscheint deshalb als unzugänglich; unterschätzt wird die Kraft der Erinnerungsarbeit, des Eingedenkens. Vgl. hierzu Ezechiel (Auferstehung). Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der Gnosis ein Teil der Lösung im Sinne von Mt 1618 (?) wäre. Hier, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis hat die Kirche erstmals gebunden und nicht gelöst. Und diese erste Bindung hatte möglicherweise etwas von dem parvus error in principio (hat die Kirche nicht den gnostischen Demiurgen dann in der Tat zum Gott der Christen gemacht; oder hat die Gnosis nicht nur offen ausgesprochen, was unter den Händen der Kirche aus Gott geworden ist).
    Nicht das Ergebnis des Säkularisationsprozesses ist falsch, sondern seine Interpretation. Hier wird die Humesche Tradition, die durch Kant nicht widerlegt, nur lokalisiert worden ist, wichtig.
    Der säkularisierte Staat ist es erst wirklich, wenn er die Rechtfertigungszwänge abbaut, die insbesondere in den schuldbezogenen Institutionen wie die Justiz fortleben. In welcher Beziehung zum Bekenntnissyndrom steht die Institution des Bundespräsidenten (des säkularisierten Königs)?
    Modell für die Verdoppelung ist das Sich-Verstecken Adams. Wo versteckt sich Adam? Haben die Bäume, unter denen er sich versteckt, etwas mit den Dornen und Disteln zu tun? Adam redet sich dann auf Eva heraus, Eva auf die Schlange; und was sagt die Schlange?
    Geliebt wirst du einzig, wo du ohne Furcht dich schwach zeigen darfst (Adorno: Minima Moralia). Das hängt zusammen mit der Utopie eines Lebens ohne Rechtfertigungszwang. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen … Ohne Rechtfertigungszwang kann man nur leben, wenn man den Schein durchschaut, der anklagendem, richtenden Denken zugrundeliegt. Das Durchschauen dieses Scheins wäre das Ziel einer Kritik der Säkularisation, aber eine Kritik dieses Scheins ist nur in theologischem Zusammenhang möglich. Beweis: Eine Kapitalismus-Kritik, die die Prämissen des Kapitalismus, die Herrschaft des Tauschprinzips, nicht antastet, führt in schlimmere Dinge hinein als der Kapitalismus. – Die Gottesfurcht ist nichts anderes als der Grund der Freiheit vom Rechtfertigungszwang, und der Rechtfertigungszwang hat keine theologischen, sondern nur gesellschaftliche Gründe. Der Schein ist nur aufzulösen durch Auflösung des Schuldzusammenhangs, oder durch Auflösung des Schuldverschubsystems, der den Schuldzusammenhang konstituiert. D.h. er ist nur aufzulösen in Befolgung des Nachfolgegebots, des Gebots, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, der Arglosigkeit oder des Verzichts darauf, Selbstentlastung durch Projektion der Schuld zu erreichen.
    Die Gnadenlosigkeit des Christentums ist eine Folge der Gnadenlehre.
    Eindruck beim Lesen des Interviews mit Jehoshua Leibowitz: er scheint gelegentlich so zu antworten, daß er nur die Frage ad absurdum führt; das hängt dann mit der Qualität der Fragen zusammen. – Es scheint eine Beziehung zu geben zwischen seiner Kritik der Psychoanalyse und der Ablehnung des Christentums; unklar, ob ihm diese Beziehung selber bewußt ist. – Der Interviewer fragt gelegentlich wie ein beflissener Schüler; gibt es eigentlich einen Lehrer, der nicht darauf hereinfällt? Genau hierin drückt sich etwas vom prekären Verhältnis des Professors zur Öffentlichkeit aus, das mit einer gleichsam existentiellen Verunsicherung verbunden ist, die durch die Bestätigung durch Schüler gemildert wird (der Professor ist auch eine öffentliche Person, wie Schauspieler, Politiker, Huren, Journalisten: alle müssen über eine Schamgrenze sich hinwegsetzen).
    Es scheint eine Querbeziehung zu geben zwischen der Konstitution von Wissenschaft, der Prostitution und der Hexenverfolgung. Die Hexenverfolgung scheint ein erster Ausdruck dessen zu sein, was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat. An diesen (nicht ungefährlichen) Punkt rührt die Kritik des Bekenntnisses; sie könnte zum Auslöser der „verfolgenden Unschuld“ werden, die in der Konstruktion und Dynamik des instrumentalisierten Bekenntnisses, die heute fast nicht mehr zu umgehen ist, gründet. Der Hinweis auf die christlichen Ursprünge von Auschwitz – ein Komplex, zu dem J. Leibowitz auch den Marquardt zitiert – scheint hiermit zusammenzuhängen. An die gleiche Frage rührt der Satz, den Georg Büchner Danton in den Mund legt: „Was ist das, was in uns hurt, mordet, lügt, stiehlt …“
    Galileis Blick durchs Fernrohr und der Habitus des Zuschauers: Es ist der Habitus des Zuschauers, der den ganzen Apparat von Schuld, Verdrängung und Projektion mit einschließt, absichert und stabilisiert. Hiermit hängt es zusammen, wenn Auschwitz nicht vergangen ist, sondern gegenwärtig in seinen Metastasen in der Dritten Welt fortlebt, wo in unserem Auftrag gehungert und gefoltert wird. Frage: Wann greift der Mechanismus wieder aufs Zentrum über?
    Gibt es eine Beziehung zwischen den Mizwot und den evangelischen Räten?
    Wie verhält es sich mit Bileam? (Bileams Esel, der Engel mit dem feurigen Schwert und dazu in der Apokalypse die Warnung davor, Bileams Lehre zu folgen – bezieht sich auf das der Bileam-Geschichte folgende Kapitel).
    Der Feminismus (z.B. Christa Mulack) gibt gelegentlich zu sehr der Versuchung nach, historische Sachverhalte wie auch biblische Lehren moralisch anstatt strukturell zu interpretieren. Hier reproduziert er den Fehler, den er kritisiert. Hier tritt er patriarchales Erbe an. Der biblische Gottesname gilt für die erste Person, er liegt vor der Scheidung in männlich und weiblich. Er ist nicht in die dritte Person (in der es erst die Geschlechtertrennung gibt) übersetzbar. Und hier – so scheint mir – übersetzt auch Martin Buber falsch.

  • 17.04.91

    Das Modell des Kreislaufs ist der Jahreskreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. An diesen Kreislauf ist das Leben der Pflanzen gebunden, es verselbständigt sich nicht dagegen. Anders das Leben der Tiere, daß sozusagen den Grund dieses Kreislaufs in sich aufgenommen, verinnerlicht hat. Läßt sich so (auf der Grundlage der Korrespondenzen zwischen dem Inneren und der Außenwelt) die Astrologie begründen? Aber auch die dem Menschen verliehene Macht: Adam benennt die Tiere. Gleichzeit werden Sonne und Mond als Herrscher des Tages und der Nacht bestimmt.
    Die Pflanzen überleben (überwintern) durch den Samen (und die Wurzeln?). Die Bäume überleben die Jahre durch Verholzung, Verstockung (Hypertrophie der Wurzeln). Hängt das mit dem gemeinsamen Ursprung der Bäume und der Prähominiden zusammen? Die Säugetiere, deren Leben auch an die Perioden der Jahreszeiten noch gebunden ist (Zeugung, Geburt, z.T. auch Winterschlaf), haben einen gemeinsamen Ursprung mit den blütentragenden Pflanzen (Beziehung der Fortpflanzung zum Licht, Insekten). Ist hier der Punkt, an dem der Ursprung von Behemoth und Leviatan interessant wird?
    Hat es etwas zu bedeuten, daß der Begriff Stamm sowohl die vorstaatlichen (geschlechterbezogene) Sozialeinheit bezeichnet als auch den Stamm der Bäume? Ist – bezogen auf die zwölf Stämme Israels – die Verstockung gleichsam ein Naturqualität?
    Hoffnung gibt es nur, wenn es Hoffnung auch für die Toten gibt.
    Die naturphilosophische Enträtselung des Gesetzes: Der Islam wäre daraufhin zu befragen: Wenn Gott die Welt täglich neu schafft, er gleichsam diese Herkulesarbeit leistet, die Welt täglich vor dem Untergang zu retten, woher kommt dann ihr täglicher Untergang? Wo liegen die Wurzeln des Verhängnisses; sie haben einen politischen Teil, aber sie liegen nicht in der Politik.
    Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit (und eines unendlichen Raumes) ist der Preis für die Konstitution des transzendentalen Subjekts.
    Aggression ist ein Symptom für nicht geleistete Trauer- und Erinnerungsarbeit.
    Heute trampeln unsere Theologen beim Unkrautausreißen in allen Weizenfeldern herum. Und zwar sowohl die christlichen, als auch die marxistischen Theologen. Alle behaupten, das richtige Unkrautvertilgungsmittel zu haben, aber keiner macht sich Gedanken über die Nebenwirkungen.
    Die Stoßprozesse sind der Keimpunkt, an den sich das ganze System der Physik ankristallisiert. Sie sind sozusagen der zentrale Referenzpunkt für alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Objektvorstellungen und Gesetze.
    Die Gemeinheitsautomatik ist eine Funktion des Empörungsmechanismus.
    Zur Bekenntnislogik gehört
    – der Feind: das sind die Juden;
    – der Verräter (die Sympathisanten des Feindes): das sind die Ketzer, die Häretiker;
    und die Bekenntnislogik ist selbst männlich: sie schließt die Frauen aus, die dann nur durch Keuschheit, Erhaltung der Jungfräulichkeit, sich aus ihrer ursprünglichen Verderbtheit (ihrer Unfähigkeit zu bekennen) retten können. Der Rechtfertigungszwang ist männlich.
    Der Bekenntnisbegriff versetzt den (männlichen) Gläubigen in die Lage, gleichsam hinter dem Rücken Gottes (durch Vermännlichung Gottes) Theologie zu treiben (Anbetung der zeugenden Kraft, an der nur die Männer teilhaben: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott“). Die damit verbundenen Schuldgefühle, mit denen man nicht leben, die man nur verdrängen kann, werden dann zwangshaft projiziert; und hier stehen die drei Projektionsflächen offen, die aufzuarbeiten sind:
    – der Antijudaismus,
    – die Ketzerverfolgung
    – und die Frauenfeindschaft.
    Hier gibt es eine Systematik, die auf die drei Verleugnungen des Petrus verweist: Die letzte Leugnung geht einher mit der Selbstverfluchung, dann krähte der Hahn, und er ging hinaus und weinte bitterlich. Hier, wenn die Kirche die Angst verliert, sie könne ihr Gesicht verlieren (vor der Welt schuldig erscheinen), in dieser Lösung der Spannung, löst sich die Schuld.
    Das Zwangsbekenntnis ist der Kern, das logische Zentrum einer Struktur, die gegen ihren Inhalt gleichgültig ist; das Entscheidende ist genau diese Gleichgültigkeit gegen den Inhalt. Sie vermittelt die Möglichkeit, den Inhalt zu behaupten, ohne davon berührt zu werden, ihn objektiv zu halten.
    In dem Augenblick, in dem Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, d.h. in dem Augenblick, in dem der Bekenntniszwang durchbrochen wird, wird auch der Wiederholungszwang außer Kraft gesetzt, der den Zusammenhang zwischen dem Bekenntniszwang und den scheußlichen Untaten, die im Namen des Christentums im Laufe seiner Geschichte begangen worden sind, einmal herstellte.
    Nicht das Proletariat, sondern die Toten bezeichnen diesen absoluten Objektstatus, auf den als reine Negativität die Erlösung sich bezieht.
    Das Bekenntnis ist die Verstockung, die die Christen dann den Juden zum Vorwurf gemacht haben.
    Die Bekenntnislogik im Christentum hat sehr viel mit der Beziehung des Christentums zur Philosophie zu tun, die dann an einem anderen Objekt, gleichsam durch Verschiebung, Kant auf ihren Begriff gebracht hat. Die Hegelsche Philosophie ist die präparierte Leiche der dogmatischen Theologie. Aber erst Einsteins spezielle Relativitätstheorie, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, hat (mit der Berichtigung des Inertialsystems)
    . dem Bekenntnissyndrom endgültig den Boden entzogen und
    . das Modell für die Berichtigung des Bekenntnisses geliefert (vgl. auch Freud, dessen Psychologie das durchs Bekenntnissyndrom, das dem Ödipuskomplex entspricht und wie dieser die bürgerliche Geschlechterrolle prägt, bestimmte Subjekt zur Grundlage hat: der „Penisneid“ und die Bekenntnis-Unfähigkeit gehören zusammen).
    Ist nicht die spezielle Relativitätstheorie Einsteins eigentlich die allgemeine, und die allgemeine die spezielle?
    Die Lichtgeschwindigkeit ist nur durch „Umkehr“ auf ihren realen Begriff zu bringen. (Das Bekenntnis ohne Umkehr wird zum Zwangsbekenntnis.)
    Die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung und der Kapitalismus beruhen beide auf dem gleichen Prinzip: dem der Verinnerlichung des Opfers. Der prophetische Satz: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ ist ein erkenntnis- und herrschaftskritischer Satz.
    Die Mystik, genauer die christliche Mystik, ist der vergebliche Versuch, der Schuld des Objektivationsprozesses durch die Wendung nach innen zu entkommen.

  • 01.03.91

    Reflexionsbegriffe und der Begriff der Lüge: Das erzieherische Verbot der Lüge („wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht“) blockiert letztlich das noch verbliebene Organ der Wahrheit: die Phantasie. Jürgen Ebachs Hinweis, daß es kein striktes Gebot, nicht zu lügen, gibt, sondern nur das Verbot, falsches Zeugnis zu geben wider seinen Nächsten, greift weiter, als es zunächst scheint: Gemeint ist offensichtlich das Verbot, über seinen Nächsten hinter dessen Rücken anders zu reden, als man in seiner Gegenwart reden würde, insbesondere sollte jede Kritik nur im Angesicht des Betroffenen geübt werden. Lüge dagegen ist das Reden hinter dem Rücken der Dinge, das „Über die Dinge Reden“, ist die Theologie hinter dem Rücken Gottes und die Physik und das Geschäft hinter dem Rücken der Dinge (Rechtfertigung und Reklame): die Vorstellung, der Raum erstrecke sich ins Unendliche oder das Tauschprinzip beherrsche die Welt. Daß der Teufel der Vater der Lüge ist, hat demnach auch diese konkrete Bedeutung, daß die Welt unterm Gesetz der Lüge steht (so viele Prämissen zur Abstützung des Augenscheins braucht und die Hegelsche List möglich macht), zum reinsten Ausdruck der babylonischen Sprachverwirrung geworden ist. Die Lüge ist demnach nicht an die subjektive Unehrlichkeit, sondern an das objektive Anderssein der Dinge gebunden, der verandernden Kraft des Seins unterworfen: die Ontologie ist die Lüge, sie ist das falsche Zeugnis über Gott, die Welt und über den Nächsten. Unter dieser Prämisse kommt es nur noch darauf an, nicht erwischt zu werden (und die gegenwärtige Gestalt der Objektivität ist soweit gediehen, daß sie das fast schon endgültig garantiert); die Bahn ist frei für die ungestrafte Gemeinheit.
    Es kommt nicht mehr darauf an, welche Handlungen sich heute (nach endgültigem Zerfall der Kraft des Arguments, nach Auflösung des Zusammenhangs von Theorie und Praxis) noch rechtfertigen lassen, sondern allein darauf, welche Handlungen überhaupt noch zur Änderung der Dinge beitragen.
    Die sieben Gaben des Heiligen Geistes (Jes. 112ff; Utopie vom Tierfrieden 119):
    – sapientia, intellectus, consilium, fortitudo, scientia, pietas, timor Dei.
    Die fünf Charismen der Gemeinde (1 Kor. 1426):
    – psalmus, doctrina, apocalypsis, lingua, interpretatio.
    Ninive: „die große Stadt“ – vgl.
    – Karl Thieme: Biblische Religion heute,
    – Jona (Rettung) und Tobit (die Prophetie des Jona erfüllt sich doch – der Hund des Tobias?),
    – „das Zeichen des Jona“ (Math. 164, vor allem Luk. 1129ff: „wie Jona den Niniviten ein Zeichen war, …“, Verknüpfung mit der drei-Tage-Prophetie),
    – Nahum: „Weh der Stadt voll Blutschuld; sie ist nichts als Lüge“ (31; Ninive = Babylon; Rom/Troja; Rom/Rom, Byzanz, Moskau; Rom/Rom, USA).
    Die „imperiale Aufspreizung der Gegenwart, als sei sie Herr der Vergangenheit“ (KuJ, S. 148) ist die Umkehrung der Wahrheit (= Definition der Lüge), Folge der Entlastungsgier, die die Last der Vergangenheit, die sie selber produziert, indem sie die Vergangenheit instrumentalisiert, nicht erträgt, sie abwerfen will. Gleiches Schema wie beim Herrendenken insgesamt. Das „no pity for the poor“ schiebt denen die Last zu, die ohnehin die Opfer sind: Umkehrung des Nachfolgegebots. Die Nachfolge schließt das Eingedenken mit ein: die Erinnerungsarbeit.
    Das Inertialsystem gehört ins gleiche Schema (Objektbegriff, Begriff der Lüge; Sprachverwirrung):
    – Produkt der Vergegenständlichung und Verdrängung der Erinnerung: Verräumlichung der Zeit;
    – Verdrängung der Bedingungen, unter denen die Prämissen allein gelten: Unendlichkeit des Raumes;
    – Verfügung über das entfremdete, enteignete Produkt der Vergegenständlichung vergangener Arbeit: Materie als das gleichnamig gemachte Ungleichnamige.

  • 16.02.91

    Welche Bedeutung hat die Differenz zwischen V. 26 und 27 (Gen. 1; vgl. hierzu J.E.: Ursprung …, S. 26ff) für die spätere christliche Trinitätslehre und die Lehre von den Heiligen: Laßt uns Menschen machen als unser Bild; er schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie; älohim als Hofstaat Gottes (jahwä’s)?
    Haben „die Götter“ den Menschen erschaffen, „damit der Mensch die kulturelle und zivilisatorische Arbeit verrichte, die die Götter zuvor selbst tun mußten“? (S. 79) D.h. gibt es eine Beziehung von V. 26 zu Gen. 2-11, zur „Geschichte des Falls“, zu den Dornen und Disteln (zum brennenden Dornbusch): zur Geschichte von Arbeit, Gewalt und Herrschaft, zur Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft, zum historischen Herrschafts-, Schuld-und Verblendungszusammenhang (und sind die Götter selbst Teil dieses Schuldzusammenhangs)? Bezeichnen Vers 26 und 27 zwei verschiedene „Äonen“, „saeculi“: verschiedene Zeitgestalten im Verhältnis zur Idee des Ewigen (nicht „der Ewigkeit“)?
    Sind das Bilderverbot und die Kritik des Götzendienstes (christlich: des Heidentums) nicht darin begründet, daß Gott den Menschen „als sein Bild“ und „nach seinem Bilde“ erschaffen hat? Du sollst dir kein Bildnis machen: Ich habe bereits eines gemacht: den Menschen; ein anderes gibt es nicht.
    Christus als erlegte Jagdbeute: Vgl. S. 33, Anm. 100. (Allerdings sollte das Abendmahl vielleicht auch als Ersatz des Blutopfers durch die vegetarische Eucharistie – der Kreuzestod als letztes Opfer – angesehen werden können.) – „Es ist die Aufgabe des Königs sowohl in Ägypten als auch im Zweistromland, in der rituellen Jagd auf Tiere, die das Chaos repräsentieren, die Weltordnung immer wieder zu begründen.“ (S. 34) – Ist nicht der König als „Ebenbild Gottes“ und „Herr der Tiere“ eigentlich der Herr über die Götter der anderen Völker (die das Chaos repräsentieren)? – Konsequenz das Römische Pantheon, in das die Götter der besiegten Völker mit aufgenommen wurden? In diesem Rom wird das Christentum erstmals zur Staatsreligion: die Falle des Sieges.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den „Dornen und Disteln“ und dem Blutvergießen (Begründung der hierarchischen Gestalt der Herrschaft)?
    Welchen Hintergrund hatte die alte philosophisch-metaphysische Identifizierung von Kontingenz und Geschöpflichkeit, welcher Welt- und Schöpfungsbegriff steckte dahinter? War hier nicht der nominalistische Willkürgott vorprogrammiert? Grundlage: Macht-und Staatsmetaphysik? Hegel hat daraus die sachlich falschen, aber logisch richtigen Konsequenzen gezogen.

  • 15.02.91

    Der Rassismus (und der Sexismus) ist ein durch die Totalitätsbegriffe Welt und Natur überdeterminiertes Produkt des Zerfalls der Moral. Die Grenze zwischen „Herrenrasse“ und „Untermenschen“ ist identisch mit der durch den Staat (der institutionalisierten Absicherung der fortschreitenden Natubeherrschung) gezogenen Grenze zwischen Welt und Natur: Zur Natur gehören vor allem die Wilden (und die Frauen); der Sonderstatus des Antisemitismus rührt daher, daß hier ein Volk, das offensichtlich einen vorzivilisatorischen Geschichtsstand repräsentiert, durch Anpassung (Assimilation) den ihm von Natur aus nicht zustehenden Herrenstatus anstrebt.
    Gibt es ein dem Staat korrespondierendes Moment in der Natur? (Grund des Fressens und Gefressenwerdens; Denkmal der Katastrophe, an die lt. Adorno/Horkheimer die Tierwelt erinnert: auch für die Tiere galt der Schrift zufolge im Pradies das vegetarische Nahrungsgebot; Gen. 129ff: „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf Erden regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. … Es war sehr gut.“ – Vgl. hierzu J. Ebach: Ursprung und Ziel, S. 22ff).
    Das Bekenntnis stabilisiert die Komplizenschaft; Komplizenschaft gründet im gemeinsamen Blutvergießen (Eucharistie: Ersetzung und Abgeltung des Blutopfers durchs vegetarische Mahl? Wurde beim letzten Abendmahl das Paschalamm – s. Mk. 1414, Lk. 227ff -geschlachtet und gegessen? – s. Ex. 121-136)
    „Jesus schickte Petrus und Johannes in die Stadt …“. (Lk. 228) An welchen Stellen werden welche Apostel (insbesondere Petrus und Johannes, aber auch die anderen) genannt? – (vgl. 851 mit Anm. und Mk. 537 mit Anm.)
    Erst durch seine Dreidimensionalität gewinnt der Raum die totalisierende Gewalt, die der Abtrennung der Zeit (Konstituiereng der Herrschaft der Zeit und Subsumtion aller Dinge unter die Vergangenheitsform) sich verdankt und in der Objektivation der Materie sich ausdrückt. Erst durch diese Konstruktion konstituiert sich das physikalische Objekt, wird es Teil eines Systems. Kein Zufall, daß das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nur als struktur- und dynamikbegründendes Systemelement im Kontext des gesamten Bereichs der elektromagnetischen und der mikrophysikalischen Erscheinungen, nicht aber selbst als „Erscheinung“ im System sich bestimmen läßt. Es ist einzig vergleichbar der Funktion der Trinitätslehre im christlichen Bekenntnis (seiner systematisierenden, „totalisierenden“ Kraft – Einheit, Trennung und gegenseitige Durchdringung von Subjekt, System, Objekt).
    Der Weltbegriff ist ein Reflex der Staatsmetaphysik, der Naturbegriff ein Korrelat der Naturbeherrschung. Der affirmative Weltbegriff schließt die Staatskritik (die Kritik der Gewalt) aus, der affirmative Naturbegriff die Kritik von Herrschaft (Differenz zwischen Gewalt und Herrschaft: Gewalt ist ein Mittel der Herrschaft, gleichsam ihre Naturbasis; das Gewaltmonopol des Staates ist seine Gewalt zu töten, sein Grund die Todesdrohung; versöhnte Herrschaft wäre Herrschaft, die der Gewalt, letztlich der Todesdrohung: der Instrumentalisierung der Angst, nicht mehr bedarf).
    Herrschaft und Gewalt verhalten sich wie das Inertialsystem (der Inbegriff der naturwissenschaftlichen Gesetze) zur Materie (dem Widerstand, Basis – Kristallisationskern und Äquivalenzpunkt -der Gesetzesbildung). Gewalt ist das Medium der Angleichung an Herrschaft: der Identifikation mit dem Aggressor (zur Kritik der Gewalt). Das Gewaltmonopol des Staates: der Staat ist das Gravitationsfeld, in dem sich die schwere/träge Masse der materiellen Existenzen konstitutiert und definiert.

  • 04.02.91

    Mt. 2112ff: … trieb alle Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und sagte: In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein und keine Räuberhöhle.
    Sh. Mk. 1115ff (ebenso, nur „Haus des Gebets für alle Völker), Lk. 1945ff (Kurzfassung), Joh. 214ff (Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler … macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle)
    Jes. 567: … denn mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt.
    Jer, 71ff: …wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, unschuldiges Blut an diesem Ort nicht vergießt … Stehlen, morden, die Ehe brechen, falsch schwören, dem Baal opfern und anderen Göttern nachlaufen, die ihr nicht kennt … Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden? Gut, dann betrachte auch ich es so – Spruch des Herrn.
    Sach. 1421: Und kein Händler wird an jenem Tag mehr im Haus des Herrn der Heere sein.
    Ps. 6910: Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt; die Schmähungen derer, die dich schmähen, haben mich getroffen.

  • 01.02.91

    Das Existentielle ist die wütende Spitze der Betroffenheit, Verdrängung der Reflexion, zivilisiertes Schamanentum.
    Erst wenn die Theologie selbst sich aus ihren double-bind-Fallen befreit, wird ihre Neubegründung möglich sein.
    Philosophie als Internalisierung des Schicksals und Instrumentalisierung des Absoluten: das hat der Islam versucht, in Religion zurückzuübersetzen. Der Gott des Islam ist der Schicksalsgott: Versuch, den verinnerlichten Schicksalsbegriff wieder ins Objektive zu wenden, aber das in einer Phase, in der es eigentlich nicht mehr möglich war. Der Islam ist eine kosmologische Religion; er hat die naturwissenschaftliche Aufklärung, die die alte Kosmologie (und deren gesellschaftliches Äquivalent) auf den Kopf stellt, nicht mitvollzogen. Das Christentum hat dann – nach der Rezeption der islamischen Aufklärung – am islamischen Theologie- und Gesellschaftsbegriff festgehalten; es hat die naturwissenschaftliche Aufklärung und die gleichzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen nur hilflos und ohnmächtig aus sich entlassen müssen, ohne sie durch Reflexion aufarbeiten zu können: diese Entwicklung lag im blinden Fleck des nachkonstantinischen und nachislamischen Christentums.
    In der griechischen Philosophie macht sich das Subjekt selbst zum imaginären Herrn des Schicksals; es verfällt aber eben damit der Gewalt der Reflexionsbegriffe.
    Gottvertrauen kann allein das Vertrauen in die göttlichen Verheißungen sein, aber ist das heute noch möglich?
    Der Satz, daß Gott niemanden über seine Kraft vesucht, wird heute, da die Geschichte der Versuchung in einen Engpaß treibt und erstmals die ganze Menschheit umgreift, auf die Probe gestellt.
    Die Verarbeitung des Kreuzestodes in der Opfertheologie und deren Realisierung in der Volksfrömmigkeit hat (durch die subjektiv gewendete Leidensmystik, durch den Kult des Selbstmitleids) mehr zur Verdrängung des Ereignisses als zu seiner wirklichen Erinnerung beigetragen. Sie hat uns auf die Täterseite transportiert.
    Allein in dem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ wurde der Mechanismus durchbrochen, der uns hinsichtlich des Kreuzestodes Jesu auf die Täterseite stellt.
    Ist Hephaistos das Objekt des homerischen Gelächters?
    Die spezielle Relativitätstheorie hat das Inertialsystem erstmals der Reflexion zugänglich gemacht, es als Grundlage der Reflexionsbegriffe und ihrer Wirksamkeit, insbesondere der Macht der Derealisierung, erwiesen (vgl. den Zusammenhang mit dem Objektbegriff); in diesem Zusammenhang ist die Quantenmechanik, die das kritische Moment des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit neutralisiert, es erneut instrumentalisiert, tatsächlich ein ferner Verwandter, ein später Nachkömmling der Hegelschen Dialektik.
    Die Zensur bei der Berichterstattung über den Golfkrieg ist aus militärischer Sicht schon deshalb notwendig, weil dieser Krieg nicht mehr zu führen wäre, wenn wahrheitsgemäß mit der heute möglichen Aktualität über ihn berichtet würde.
    Die ganze Adornosche Philosophie ist eine Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums.
    Der Islam ist die Anpassung der jüdischen Religion an die Bedingungen des Heidentums, unter Fortfall der Opfertheologie. Allah ist der Gott des Erbarmens, er verzichtet jedoch auf die Forderung der Umkehr, an dessen Stelle der Islam, die Unterwerfung tritt.

  • 31.01.91

    Gilt der von Walter Burkert nachgewiesene Zusammenhang von Ritual und Mythos (Wilder Ursrprung, S. 60ff) auch für die Aufklärung und ihren Rückfall in den Mythos? Trägt die neue Barbarei Züge des blutigen Rituals? War die christliche Opfertheologie Produkt einer mißlungenen Kritik der „heidnischen“? Und ist die Kritik dieser christlichen Opfertheologie die notwendige Grundlage der christlichen Selbstbekehrung, der bis heute mißlungenen Umkehr? Ist der Kapitalismus das säkularisierte mythische Ritual (die freie Marktwirtschaft, der Liberalismus, der Mythos zum Ritual der Ausbeutung, der säkularisierten Gestalt des Opfers)?
    Ein Mythos, ein Glaube, begründet und begleitet ein Ritual; im Bekenntnis wird der Glaube selbst zum Ritual (Opfer der Vernunft, das reale Opfer nach sich zieht und zugleich verdrängt: unversöhnt exkulpiert). Zusammenhang von Geld (Münzen) und Opfer: der im Opfer vergöttlichte Heros wird auf der Münze verewigt („gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ – Münze und Idol, „Götzenbild“, Ursprung der Geldwirtschaft – antike jüdische Münzen? – Begründung des Bilderverbots?).
    Das Opfer begründet die Weltordnung (Gewalt, Schuld, Versöhnung; Ambivalenz des Opfers: Entsühnung und Rechtfertigung der Gewalt).
    Die Maske verbirgt das Gesicht: leugnet das Antlitz und verwandelt jeden Blick in eine Sicht von hinten (vgl. die Funktion des Personbegriffs in der christlichen Theologie). Porträt als Maske?
    „Der Schrecken der Maske soll den Schrecken des Totenreichs, des Dämonensturms bannen.“ (Reinhold Schneider: Winter in Wien, S. 171: „… Die Toten sind böse. Alles ist böse, das nicht die Angst des Lebens teilt. Aber auch die Toten haben Angst. …“)
    „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“; gehört dazu nicht der andere Satz: „Niemand kann zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon“. D.h. der erste Satz ist kein Kompromiß, sondern von äußerster Radikalität.
    Das industrielle Endprodukt heute: Vernichtungspotential und Abfall (Müll). Alles andere, einschließlich des menschlichen Konsums, sind Zwischenstufen. Aber das Vernichtungspotential und der Abfall sind menschliches Vernichtungspotential und menschlicher Abfall. Das Ganze hat sich seit langem angekündigt in der naturwissenschaftlichen Aufklärung (dem sogenannten naturwissenschaftlichen Weltbild, in dem der Mensch – außer als abstraktes Prinzip der Herrschaft, das durch die Formen der Anschauung dieses Weltbild zusammenhält – nicht mehr vorkommt, und in der davon nicht zu trennenden Kritik des Anthropozentrismus; diese Kritik des Anthropozentrismus dient dabei als Rechtfertigung des allem zugrundeliegenden menschlichen Herrendenkens; und ihre eigentliche Funktion ist die Unterdrückung der wahnsinnigen Idee, daß es vielleicht doch eine Beziehung geben könnte zwischen dem Glück und dem Grund der Dinge: daß es etwas geben könnte, was der Idee des seligen Lebens objektiv entspricht).
    Die Idee des seligen Lebens widerspricht jedem autoritären Religionsbegriff, macht die Vorstellung von einer jenseitigen Belohnung für hiesiges Wohlverhalten zu einer contradictio in adjecto, schließt a limine das Opfer der Vernunft aus.

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