Brown

  • 11.6.1995

    Creatio mundi ex nihilo: Hat das nicht mehr mit einer Theorie der Banken, mit dem Problem der Kreditschöpfung, zu tun als mit der Theologie?
    Daß Gott den Himmel aufgespannt und die Erde gegründet hat, steht uns das nicht in den Planetenbewegungen am Himmel vor Augen? Drückt in den Planetenbewegungen nicht dieses Aufspannen und Gründen als Tätigkeit sich aus (haben wir darin nicht die Schöpfung als Tätigkeit vor Augen)?
    Walter Benjamin hat Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ ergänzt: „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“. Aber wer sind die Hoffnungslosen? Sind es nicht in erster Linie die Toten? Das aber heißt, daß wir die Lehre von der Auferstehung nicht auf uns, sondern nur auf sie noch beziehen können.
    Konsequenz aus Peter Brown (Macht und Rhetorik): Ist nicht die Konfessionalisierung des Symbolums eine Folge seines Ursprungs in der Rhetorik?
    Die Logik der Schrift verdinglicht das Wort, sie immunisiert die Dinge gegen ihren Namen.
    Hodie, si vocem eius audieritis: Wie das Sehen aufs Vergangene, so verweist das Hören aufs Zukünftige (der Begriff subsumiert das Hören unters Sehen).
    Die Lateiner haben physis mit natura übersetzt, aber beide Begriffe bezeichnen nicht das Gleiche. Die Differenz ist herrschaftsgeschichtlich vermittelt.
    Alle Religionen sind verweltlichte und vergesellschaftete Formen der Gotteserkenntnis. Darum ist jede Religion, der man angehört, die falsche.
    Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es keine Verwaltung mehr geben können. (Ein von Verbotsschildern durchsetzter Wald ist kein Wald mehr, sondern ein Verwaltungsobjekt.) Muß man nicht ähnlich wie man sagt, daß die Roten mit dem Geld nicht umgehen können, von den Grünen sagen: Sie können mit der Verwaltung nicht umgehen?
    Ist der Jugoslawienkonflikt nicht ein weiteres Indiz dafür, daß Politik generell in Verwaltung überzugehen scheint? Die supranationalen Einrichtungen wie EG und UNO sind reine Verwaltungseinrichtungen, an die die Staaten ihre Souveränität abgegeben haben, denen aber selber jegliche Souveränität abgeht. In einer verwalteten Welt gibt es eigentlich keine Kriege mehr, sondern nur noch Bürgerkriege und Polizeiaktionen. Aber ist es nicht genau diese Konstellation, in der nur Terrorismus noch eine Chance zu haben scheint (u.a. deshalb, weil es zum Terrorismus keine Friedensalternative gibt, sondern nur noch Endlösungen)? Die Ohnmacht der Militärs angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien hängt damit zusammen. Und was bedeuten diese Vorgänge für das Problem des Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung?
    Ist es nicht der Verwaltungs- und Polizeistaat, und sind es nicht seine unsauberen Folgeeinrichtungen, die (erstmals im alten Rußland) den Terrorismus, der durch Gesetz und Moral sich nicht mehr gebunden fühlt, gegen sich wachrufen? Terrorismus, die Machtquelle derer, die in den repräsentativen Systemen sich nicht mehr vertreten fühlen, ist Symptom eines herrschafts- und begriffsgeschichtlichen Problems. Das Problem des Terrorismus entspringt den gleichen logischen Gründen, aus denen auch das Problem der „zivilen Nutzung der Atomenergie“ hervorgeht, und es ist ebenso lange wie dieses nicht lösbar.
    Das Engelssche Konzept der „Verwaltung von Sachen“ als Grundlage einer befreiten Gesellschaft, an dem der „real existierende Sozialismus“ gescheitert ist, ist ebenso antisemitisch, paranoid und frauenfeindlich wie die Trinitätslehre.
    Was bedeutet die in der Theologie üblich gewordene Verletzung des Verbots, den Gottesnamen auszusprechen, (das „Jahwe“) für die Geschichte der Trinitätslehre? Steht nicht der Gottesname „Vater“ im Christentum in der Adonai-Tradition (als Versuch der „Humanisierung“ des Namens „Herr“)?
    Die kirchliche Tradition kennt keine Patriarchen, nur „Kirchenväter“. Und niemand würde auf die Idee kommen, in Analogie zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vom Gott des Johannes Chrysostomus, des Gregor von Nazianz oder des hl. Augustinus zu sprechen.
    Das Problem der Kirche ist, daß sie mit der Anwendung des Objektivationsprozesses auf die Theologie, mit der Instrumentalisierung des Dogmas und mit der Errichtung des kirchlichen Lehramts den Heiligen Geist unters Herrendenken subsumiert hat.
    Hat Habermas, als er die Naturspekulation aus der Philosophie ausgeschieden hat, das prophetische Element aus der Frankfurter Schule vertrieben? Mit der Ausscheidung der Reflexion der Natur hat er der Kapitalismus-Kritik den Boden entzogen.

  • 8.6.1995

    Hermes oder Idealisierung als Schuldverschiebung: Die Waage (Symbol des Gerichts) macht Gewichte (Schuld) vergleichbar, indem sie auf sich selbst ableitet (die Schuld auf sich nimmt, scheinbar hinwegnimmt, und die Objekte zu Objekten idealisiert). – Haben die Schalen der Waage etwas mit dem Kelchsymbol (und mit der Logik der subjektiven Formen der Anschauung) zu tun?
    Ist die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf das Sonnensystem nicht vergleichbar mit der Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Probleme (und ist sie nicht ähnlich problematisch)? – Kann man die Massen von Sonne, Mond, Erde und Planeten, ihre „Gewichte“, (auch nur in Gedanken) mit Hilfe einer Waage vergleichen und bestimmen? Oder ist nicht das Gravitationsgesetz diese Waage (der logische Grund der Vergleichbarkeit der „Massen“ von Sonne, Mond, Erde und Planeten, und damit der Grund der Anwendbarkeit dieses Begriffs in dieser Sphäre); auf welchem Boden steht diese Waage: welche Waage und welcher Boden würde dem gemeinsamen Gewicht von Sonne, Mond, Erde und Planeten standhalten? – Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz sind beide Waage und Boden zugleich: Darin ist die Identität von träger und schwerer Masse begründet, oder genauer: Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz begründen sich wechselseitig.
    Sch’ma Jisrael (mit den Ohren lesen): Der Islam nimmt den Koran „wörtlich“, das Christentum das Dogma, das „orthodoxe“ Verständnis der Schrift (nur der Theologe weiß, was der biblische Autor gemeint hat). Beide stehen unter dem Bann der Logik der Schrift (der Bekenntnislogik), beide sind unfähig zur Sprachreflexion: Beide haben verlernt zu hören, sind taub.
    Peter Brown: Macht und Rhetorik in der Spätantike. In der machtorientierten Welt der Spätantike (des römischen Reiches) ist die Sprache zur Rhetorik geworden: zu einem Instrument der Demonstration, der Verschleierung und der Ausschmückung von Macht. In welcher Beziehung stehen hierzu die Vätertheologie, das Selbstverständnis der Kirche und die Ausformulierung des Dogmas, die Orthodoxie (der Begriff und die Sache)?
    Die Trennung von Macht und Rhetorik ist ein Teil der Geschichte der Trennung von Wirklichkeit und Sprache (die von der Entmächtigung der Sprache, die nur noch äußerlich auf die Sache sich bezieht, ausgeht).
    Der Name gründet in Gott, der Begriff im Staat.
    Das Neutrum entspringt gemeinsam mit der Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum, die mit der anderen Vorstellung verbunden ist, daß jede Zukunft einmal vergangen sein wird. Das Neutrum antizipiert die Vergangenheit der Zukunft, es kennt das Leben ebenso wie das Licht nur als vergangenes.

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