Büchner

  • 7.1.1997

    Nach der Johannes-Apokalypse gibt es sieben Zornesschalen, nicht mehr nur den Kelch des Zorns, dazu den Unzuchtsbecher.
    Hat nicht Kopernikus den einen unreinen Geist in die Wüste geschickt, von wo er jetzt mit sieben unreinen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehrt?
    „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ – Mit dem Hammer philosophieren, oder: Wie die Philosophie zum Hammer wird. Woher kommt der Ausdruck: „Das ist ein Hammer“, und was bedeutet er?
    Den Satz aufschlüsseln: „Ich darf nichts sagen, aber es ist schlimmer.“
    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ist eine Anwendung der double-bind-Theorie, die Begründung des Gesetzes-Gehorsams durch Umformung des „sie wissen nicht, was sie tun“ in einen Imperativ; das Nichtwissen als Pflicht.
    Der Himmel ist der Boden, in dem die Namenskraft der Sprache wurzelt und aus dem sie sich nährt.
    Das steinerne Herz der Welt: das ist der Himmel als Hammer.
    Die Geschichte der Aufklärung, die den Gott der Himmel, den Herrn der Heerscharen, nicht kennt, ist die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos.
    Als Büchners Lenz begriff, daß der Mond eine leere Steinwüste ist, ergriff ihn die Kälte bis ans Herz.
    Hat nicht Carl-Friedrich von Weizsäcker, als er die Gleichung für die Sonnenenergie aufstellte, damit a. die Atombombe gemeint und b. die Sonne verdunkelt?
    Als Walter Pehle das Buch von Goldhagen einen „Rückfall in die fünfziger Jahre Jahre“ nannte, hat er diesem Buch das größte Lob ausgesprochen.
    Habermas‘ Kritik der instrumentellen Vernunft (in der Theorie des kommunikativen Handelns) ist nur die Kritik des Bewußtseins davon; deshalb mußte Habermas die Bewußtseinsphilosophie „überwinden“. Übrig bleiben die logischen Strukturen des kommunikativen Handelns, ein Reich der Finsternis.
    Hegels Philosophie der Freiheit ist eine Philosophie des Bewußtseins der Freiheit; deshalb ist seine Philosophie eine Bewußtseinsphilosophie. Weshalb sind beide Versionen falsch, Hegels Bewußtseinsphilosophie und Habermas‘ Kritik der Bewußtseinsphilosophie?
    Sind nicht das „teleologische (zweckrationale) Handeln“, das „normengeleitete“ und das „dramaturgische Handeln“ drei Aspekte der gesellschaftlichen Anwendung des Inertialsystem, einer Konstruktion aus Eigeninteresse, Gesetzesherrschaft und Anschauungsbezogenheit (Begriff, Gesetz und Erscheinung bedürfen des Inertialsystems als Referenzsystem, in dem sie sich konstituieren und durch das sie aufeinander sich beziehen und wechselseitig sich definieren)?
    Die „Frage …, was es heißt, soziale Handlungen zu verstehen“ (I, S. 152) ist nicht identisch mit der Frage, was es heißt, einen Menschen und sein Handeln zu verstehen. Die Habermas’sche Frage steht schon unter dem Objektivierungszwang, sie schließt die Intention, in den andern sich hineinzuversetzen, und damit die Frage, die die Ethik vor jedes moralische Urteil setzt: Hätte ich anders handeln können, wenn ich an der Stelle des Andern gewesen wäre, a liminie aus. Sie macht z.B. den Versuch, Auschwitz zu verstehen, gegenstandslos, und glaubt so, der unendlichen Last der Reflexion sich entziehen zu können. Im Kontext dieser Frage kommt die Ethik nicht mehr vor. Für den Zuschauer, im Bann der Logik des Anschauens, gibt es keinen Unterschied zwischen einer Norm des Handelns und dem Maßstab eines Urteils. Die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern (zwischen Handeln und Urteil), die der Sprache zugrunde liegt, wird neutralisiert.
    Die subjektiven Formen der Anschauung haben in der Gestalt der stoischen Ataraxia das Licht der Welt erblickt. Die kopernikanische Wende war der Initiationsritus, in dem sie erwachsen geworden sind.








  • 7.3.96

    Wer den Terrorismus aufarbeiten will, muß den Schrecken aufarbeiten, aus dem er hervorgegangen ist. Auf keinen Fall aber sollte man die Urheber des Schreckens zu Richtern über ihre Opfer machen. Spielt hier nicht der Modernisierungsprozeß, der der Faschismus auch war, mit herein: Was im Faschismus naturwüchsig war (das „gesunde Volksempfinden“), ist zu einem technischen Instrument geworden: zum Rechtspositivismus.
    Ist nicht die gegenwärtige ökonomische Entwicklung die höhnische Verwirklichung dessen, was Marx einmal intendiert hatte. Auch die Privatisierung ist eine Form der Vergesellschaftung. Der Staat ist längst abgestorben, er weiß es nur noch nicht: er verrottet und verfault.
    Die Erfahrung, aus der der verzweifelte Genius der Kritischen Theorie hervorgegangen ist, daß nämlich das Proletariat nicht mehr das Subjekt der Revolution ist – eine Erfahrung, die bis zu Marcuse die Reflexion durchzieht und beherrscht -, gründet in diesem Sachverhalt. Sie hängt zusammen damit, daß die subjektlose Form der Vergesellschaftung der Produktionsmittel Teil einer allgemeinen Proletarisierung ist: Auch die, die an den Hebeln der Macht sitzen, sind Lohnabhängige. Die Ökonomie ist der Feuerofen, in dem die Barmherzigkeit verbrennt; und das Leiden daran wird solange der Grund des Faschismus bleiben, wie es sich nicht selbst begreift, wie es nur den Weg der projektiven Verarbeitung kennt.
    Georg Büchners Frage: Was ist das, was in uns mordet, stiehlt, hurt und lügt, drückt das aufs genaueste aus. Gibt es noch eine Möglichkeit, dieses Marionettenspiel, in dem wir nur noch Puppen in den Händen und an den Fäden einer subjektlosen Regie sind, zu begreifen?
    Der strafrechtliche Tatbestand des Mords läßt sich aus dem mosaischen Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht ableiten. Der Mord ist kein Tat-, sondern ein Täterdelikt: Strafrechtlich verfolgt wird der Mörder, nicht der Mord, verfolgt wird die Person, die sich ein Recht anmaßt, das der Staat als sein eigenes begreift und um keinen Preis aufgeben kann, an dem er sein Monopol nicht aufgeben will und auch nicht kann: das Recht zu töten. Der biblische Gründungsakt des Staates ist der Brudermord Kains an Abel. Jürgen Ebach hat darauf hingewiesen, daß der Fluch „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden“ ein sprachliches Echo hat in der Jotham-Fabel, in der Charakterisierung der „wurzellosen“ Königsherrschaft „Soll ich … hingehen, über den Bäumen zu schweben?“ (J.Ebach: Ursprung und Ziel, S. 59) Kain ist der Gründer der ersten Stadt, der er den Namen seines Erstgeborenen (Henoch!) gibt (Gen 417), während zur Zeit, da der Erstgeborene Seths geboren wurde, erstmals der Name Gottes angerufen wird (Gen 426).
    War das Ziel des historischen Objektivationsprozesses die Neutralisierung der Prophetie (die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Neutralisierung der vergangenen Zukunft)? Ist der Historismus aufgrund seiner eigenen Logik antisemitisch?
    Der Begriff der Gesinnung gehört zu Bekenntnislogik; jede Gesinnung ist nationalistisch (wohlgesonnen ist in allem das Gegenteil von national gesinnt).
    Gibt es einen sprachlogischen Zusammenhang von Sonne und Sinn (gesonnen/gesinnt, Sinnlichkeit)? Ist die Feminisierung der Sonne im Deutschen in dieser sprachlichen Konstellation begründet (Reflex des männlich-heroischen Sinns)?
    Ist nicht die Suche nach dem Sinn der Versuch, der zweiten Natur eine Sonne einzubilden? Der Sinn lebt (wie die Gesinnung) von der Bekenntnislogik, die ebenso zwangshaft wie vergeblich versucht, sich als Zentrum zu etablieren.
    Hat das lateinische sol etwas mit solus zu tun; welche Wurzeln hat helios; steckt im hebräischen schemesch schem, der Name? Und gibt es neben Sonne/Sinn auch die Beziehung von Sonne und Sohn (vgl. im Englischen son und sun, aber auch sin, die Sünde)?

  • 9.3.1995

    Umkehr: Die Frage ist nicht, ob man nach Auschwitz noch beten kann, sondern was es heißt, nach Auschwitz zu beten. In der heutigen Morgenpredigt, in der der Theologe die Frage von J.B. Metz zitierte, wurde die Frage nach Versöhnung an das Opfer statt an die Täter gerichtet. Und den Opfern, nicht den Täter wurde Verhärtung, die Versteinerung der Herzen unterstellt. Vgl. aber Mk 1125 und Mt 524. Steht unsere Theologie sich hier nicht selber im blinden Fleck?
    Nicht eine narrative Theologie – die Zeit des Erzählens ist vorbei -, sondern begreifen, daß in der Haggada die Prophetie sich verbirgt.
    Verhalten sich nicht die Naturwissenschaften zur Wahrheit wie das Recht zur Gerechtigkeit? Darin ist die Notwendigkeit einer Kritik der Naturwissenschaft begründet.
    Anmerkung zu Heinsohn: Gibt es nicht auch einen islamischen Antisemitismus, mit gleichem Effekt, aber ohne Menschenopfertradition?
    Was bedeutet es eigentlich,
    – wenn die Hure Rahab die Kundschafter des Jesus (wie Flavius Josephus den Josue nennt) vor der xenophoben Verfolgung durch den König von Jericho schützt,
    – wenn die Tamar durch den Verkehr mit dem Schwiegervater den Stammbaum Davids und Jesu begründet,
    – wenn Jericho gegen das Verbot, es wieder aufzubauen, nur wieder aufgebaut werden kann durch das Opfer des Erstgeborenen und des Jüngsten?
    Die Sekten sind die letzte Gestalt der Häresie. Sie erinnert die Kirche daran, daß sie endlich die Apokalypse begreift und sie denen entreißt, die sie als Angstgenerator benutzen, um die Schäflein in ihre eigenen profitablen Hürden zu treiben. Es gibt fatale Ähnlichkeiten (bis hin zur Identität) heute zwischen den Methoden, mit denen Sekten neue Mitglieder werben, und der Kundenwerbung unseriöser Wirtschaftsunternehmen.
    Sind nicht die theologischen Mucken der Waren die Geschäftsgrundlage der Sekten; und sind sie nicht solange wirksam, wie sie nicht in die theologische Reflexion mit aufgenommen werden?
    Ebenso wie das Selbsterhaltungsprinzip und das Eigeninteresse ist auch das Inertialsystem ein Vorurteilsgenerator und eine Verdrängungsmaschine. Der naturwissenschaftliche Blick auf die Dinge gründet in einer Tradition, die in den Naturwissenschaften sich vollendet: in der Tradition der Anschauung. Fällt dieser Blick nicht unter das Ezechiel-Wort: „Mein Auge soll nicht gütig blicken, und ich will mich nicht erbarmen“ (Ez 818 u.a.).
    Ist nicht durch die kleine Differenz, die das Anschauen vom Schauen, von der Vision, unterscheidet, indem sie das Schauen von seinem sprachlichen Grund trennt, der Quellpunkt der Unbarmherzigkeit? Ist nicht das Anschauen der mitleidlose, nur dem Eigeninteresse gehorchende Blick? Die Anschauung Gottes macht Ihn verstummen; sie macht den Anschauenden blind und lähmt ihn.
    Das Anschauen ruft, mit der Objektivation des Angeschauten, hinter seinem Rücken die „Form der Anschauung“: den Kelch (den Taumelbecher, den Kelch des göttlichen Zorns und den Unzuchtbecher) hervor. Die durch die Form der Anschauung veränderte Sprache ist der Inhalt des Kelchs. Während nur fürs Schauen der „Himmel sich öffnet“, ist es das Anschauen, das ihn verschließt. Die „Wörtlichkeit“ des Fundamentalismus steht (seit dem „ad litteram“ des augustinischen Genesis-Kommentars) unter dem Bann (den Gesetz) dieses Anschauens (des Kelchs). Paulus, der nicht den Himmel offen sah, sondern „in den dritten Himmel entrückt“ war, steht am Anfang, an der Wasserscheide dieser Geschichte. War nicht Stephanus, an dessen Mord Saulus beteiligt war, der Letzte, der den Himmel offen (und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes“) sah (Apg 755)? War der Mord an Stephanus (dessen am zweiten Weihnachtstag gedacht wird) das Zwischenglied zwischen dem Kreuzestod und der Opfertheologie?
    Hat das Präfix Er- in Begriffen wie „Erscheinung“ etwas mit dem Personalpronomen der dritten Person m. sing. zu tun? Im Begriff der Erscheinung steckt die Reflexionsbeziehung zu den Formen der Anschauung mit drin.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Weltanschauung den Unzuchtsbecher? Gegenstand der Anschauung ist das Naturobjekt; so macht die Weltanschauung die Welt zu einem Naturobjekt, damit aber zu einem Herrschaftsobjekt. Jede Weltanschauung ist ihrer eigenen Logik nach ein Instrument der Weltherrschaft (mit ebenso destruktiven wie nekrophilen Konsequenzen: nicht zufällig war der erste „Weltanschauungskrieg“, der gegen „den Bolschewismus“, ein Vernichtungskrieg).
    Karl Kraus hat einmal auf die Beziehungen zwischen der Phrase und ihren blutigen Folgen hingewiesen. Die schlimmsten Dinge künden sich in der Sprache an, und wer die nötige Sensibilität besitzt, nimmt sie wahr, bevor sie eintreten (Beispiel: die „Dritte Walpurgisnacht“ von Karl Kraus). Wäre nicht endlich das homologein aus seiner verdinglichten Bindung ans „Bekenntnis“ herauszulösen und als Sprachsensibilität zu begreifen? Das „Bekenntnis des Namens“ wird so zum Inbegriff der Nachfolge. Im Namen wird der Indikativ zum Imperativ, das Sein zum Handeln, die Ontologie zur Ethik. Im Namen gründet die eingreifende Qualität der Erkenntnis, durch die sie über das Wissen hinausweist. Diese Erkenntnis begnügt sich nicht mehr mit „überzeitlichen Wahrheiten“, sie sucht in den Zeitkern der Wahrheit einzudringen, in dem sie Anteil an der Prophetie gewinnt. Das ist in der Schrift mit Gotteserkenntnis gemeint, die so mit der Erfüllung des Worts konvergiert. Ihr Organ wäre eine Theologie, die frei im Angesicht Gottes statt unter den von der Welt aufgezwungenen Rechtfertigungszwängen hinter seinem Rücken sich bewegt. Hierauf bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen (Mt 1619 und 1818).
    Die Söhne Leas (der Kuh) waren Ruben, Simon, Levi, Juda, Issachar und Sebulon, die Söhne Rahels (des Mutterschafs): Josef und Benjamin.
    Jericho: Welcher König hat Jericho wieder aufgebaut, und kommt in den Evangelien, außer in der Geschichte vom barmherzigen Samariter, Jericho noch einmal vor?
    Zwei Stellen aus Büchners „Lenz“:
    – „Aber ich, wär ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten“ (S. 106) und
    – „… und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest“ (S. 100).
    Was Hegel so gelassen niederschreibt: Das Eine ist das Andere des Anderen, ohne die Gewalt dieses Andersseins zu reflektieren, führt genau in den leeren Kern des Weltbegriffs (in das darin sich reflektierende Verhältnis von Lachen und Schrecken). Die Dialektik von Lachen und Schrecken läßt sich an der Ästhetik des modernen Kirchenbaus demonstrieren, wenn im Innern die Ornamente und die Fresken verschwinden und die Außenwand nach innen gekehrt wird, so als wäre die Differenz der kirchlichen Innenwelt gegen die Außenwelt (gegen Ökonomie und gegen die durch Naturbeherrschung definierte Natur) aufgehoben, die Außenwelt zur alles beherrschenden Macht geworden.
    Die Geschichte der Barmherzigkeit hat die zivilisationsbegleitende Phase, ihre Metamorphose in der Hysterie, mit Freud beendet, aber so, daß sie zu einer strukturellen Bestimmung der Objektivität selber geworden ist: Die Geschichte ist in ihre faschistischen Phase eingetreten. Nachdem die Hysterie in der Gestalt psychosomatischer Erkrankungen den Frauenkörper durchwandert hat, hat sie als Lüge die Dingwelt ergriffen.

  • 2.3.1995

    Die Opfertheologie (und die Tradition des Menschenopfers, mit dem Ziel der „Entsühnung der Welt“) gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs.
    Zentral scheint bei Heinsohn das Tabu auf der Gesellschaftskritik zu sein, die er insgesamt der „Linken“ zuordnet. Dieses Tabu gründet in der Unfähigkeit, den Bann, der auf dem Bestehenden liegt, zu brechen, die Logik der Selbstlegitimation des Bestehenden zu durchschauen.
    Durch das Symbol des Kelches sind Prophetie und Apokalypse aufeinander bezogen und miteinander verknüpft. Auf dieses Verhältnis bezieht sich die Geschichte von Traum und Vision im Buch Daniel. Der Fundamentalismus, den es erst unter nachapokalyptischen Verhältnissen gibt, ist der Unzuchtsbecher: die Subsumtion des Kelches unter den Kelch.
    Die erste Traumgeschichte, in der Nebukadnezar einen Traum hatte, ihn dann aber vergessen hat (das bezieht sich schon auf das „denn sie wissen nicht, was sie tun“), Daniel dann diesen Traum nicht nur deuten, sondern vorab überhaupt erst finden soll, ist die Eröffnungsgeschichte zum Verständnis der Apokalypse insgesamt: einen vergessenen Traum finden und dann auslegen.
    Der Schrecken der Tiere (nach der Sintflut): Ist das nicht der Schrecken, von dem Walter Benjamin spricht in seiner Bemerkung, daß die Tiere sich erkannt wissen von einem Namenlosen (als Objekte einer subjektlosen Erkenntnis). Und ist es nicht der gleiche Schrecken, der nach der Bemerkung Rosenzweigs über die „verandernde Kraft“ des ‚ist‘, der Kopula, von jedem Urteil (von der objektivierenden Gewalt des Urteils) ausgeht und in jedem „Wissen“ als dessen innere Qualität sich niederschlägt (auf die Auflösung dieses „Schreckens“ zielt das Adornosche Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt). Es gibt kein Urteil, dessen Objekt nicht in diesem Urteil sich mißverstanden weiß; deshalb ist das Urteil kein Mittel theologischer Erkenntnis (es sei denn einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“). Der Schrecken der Tiere rührt an einen zentralen sprachgeschichtlichen und -philosophischen Sachverhalt: an das in der Sprache verborgene Problem des Weltbegriffs. Am deutlichsten manifestiert sich der Ursprung dieses Schreckens im Lachen (zu einer Theorie des Urteils gehört der Hinweis, daß die Beziehung von Objekt und Begriff als Beziehung von Schrecken und Lachen sich begreifen läßt, wobei das Objekt, die Materie, durch den Schrecken, den das Lachen des Begriffs in ihnen erzeugt, zum Objekt, zur entqualifizierten Materie, erstarrt). Jedes Lachen hat Teil an der Erzeugung des Schreckens, dessen Subjekt im Weltbegriff sich konstituiert, und als dessen Objekt die Natur sich erweist. Vgl. hierzu Büchners „Lenz“, Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“, das Victor Hugo-Zitat in der „Dialektik der Aufklärung“ und den Sohar (Lachen schlimmer als Zorn).
    Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb Jesus in den Evangelien niemals lacht, wohl aber die Dämonen austreibt.
    Kommunikationstheorie des Lachens: Lachen ist Ausdruck sowohl der Freude als auch ihrer „anderen Seite“. Das Lachen über einen Witz bedarf ebenso eines Objekts (über das gelacht wird) wie auch des Zeugen, der zugleich der Adressat des Witzes ist. Der, der den Witz erzählt, darf bei einem „guten Witz“ nicht lachen. Umgekehrt kann man lachen auch, ohne daß ein Witz vorausgeht: Lachen ist unmittelbar „ansteckend“, sich aus eigener Kraft selbst fortzeugend wie die Form des Raumes. Das Lachen bringt die subjektive Form der Anschauung, die historisch-genetisch auf die kommunikative Struktur des Lachens sich zurückführen läßt, auf ihren Begriff.
    Als Moment in der Konstituierung des Objekts gehört das Lachen zur Geschichte der Aufklärung: Es setzt die Distanz zum Objekt, die der Aufklärung zugrunde liegt. Die Welt ist das neutralisierte Lachen, die Natur der im Objekt neutralisierte Schrecken.
    Der leere Raum ist das Realsymbol der Beziehung von Lachen und Schrecken (der unreine Geist findet das Haus, in das er dann mit sieben weiteren unreinen Geistern zurückkehrt, „leer, gereinigt und geschmückt“).
    Herrschaft wird erkauft mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die dann auch das Vergangene nicht unangetastet läßt. Das „stark wie der Tod“ und „schwer wie die Gruft“ (Martin Buber: „gewaltsam wie der Tod“ und „hart wie das Gruftreich“) im Hohenlied der Liebe drückt genau das aus.
    Drückt nicht das Wort passio beides aus, das Leiden und die Leidenschaft (wie die Geschichte das vergangene Geschehen und den Bericht darüber)?
    Es gibt eine List der Herrschenden und eine List der Schwachen. Sie unterscheiden sich dadurch, daß, während die List der Herrschenden die Dummheit derer, die sie betrügt, erst produzieren muß, die List der Schwachen die substverschuldete Dummheit der Herrschenden bereits vorfindet. Die erste gehört zu den Ursachen und Gründen des Schuldzusammenhangs, die zweite zu den Auswegen aus ihm.

  • 4.2.1995

    Gethsemane: Die Rechtfertigungslogik und die Verdrängung des Todes machen den Kelch zum Kelch: sie gehören zu den Konstituentien der subjektiven Formen der Anschauung. Der Tod begründet die subjektiven Formen der Anschauung, die die Vergangenheit abschließen; so schließt er den Kelch, macht ihn „inhalts“-fähig. Deshalb gehört die Reflexion des Todes (bis hin zu seinen objektiven Manifestationen und Verzweigungen in den Formen der begrifflichen, der „intentionalen“ Erkenntnis) zu den Bedingungen der Rekonstituierung des Angesichts. Theologie im Angesicht Gottes hat Gethsemane als Ausgangspunkt. Rabbi Akiba, „von dem der Talmud sagt, daß er das Paradies der mystischen Spekulation heil betrat und heil verließ“ (Scholem, Hauptströmungen, S. 20), bezeugt damit die Todesgrenze, die nach biblischer Tradition überschreitet, wer Gott von Angesicht zu Angesicht sieht. Darauf bezieht sich der Satz: Stark wie der Tod ist die Liebe, der Rosenzweig zufolge die Offenbarung begründet. Deshalb gibt es (vgl. Büchners „Lenz“) keine Theologie ohne Kritik der Naturwissenschaften. Die Versuche, Theologie und Naturwissenschaft zu harmonisieren, zerstören beide.
    Heute sind die Naturwissenchaften zum Opfer ihrer eigenen Prämissen geworden.
    Die Verdrängung des Todes, seine Objektivierung und Instrumentalisierung, und die Logik projektiver Erkenntnis gehören zu den Grundlagen des Herrendenkens; deshalb gehören Magie und Mythos zur Geschichte der Äufklärung.
    Das altchristliche Symbolum war noch Mysterium, ein Sakrament. Erst als Confessio, als Bekenntnis ist es (als Korrelat der Verinnerlichung des Opfers) öffentlich geworden, wurde es vergegenständlicht und instrumentalisiert: der Logik der Schrift unterworfen. Als Bekenntnis wurde es zum Instrument der Verinnerlichung von Herrschaft.
    Kennt Hegel den Begriff der Hysterie? Im Register der Suhrkampschen Werkausgabe kommt der Begriff nicht vor.
    In den „Hauptströmungen der jüdischen Mystik“ verweist Scholem auf den männlichen Charakter der jüdischen Mystik, die „von Männern für Männer gemacht ist“ (S. 40). Er bemerkt dazu u.a., daß so einerseits die jüdische Mystik „von der gefährlichen Neigung zu hysterischen Extravaganzen verhältnismäßig frei geblieben“ sei, während auf der andern Seite der „Verzicht auf das Weibliche teuer bezahlt“ worden sei, nämlich „mit einer besonders stark hervortretenden Dämonisierung gerade des weiblichen Elements im Kosmos“ (ebd.). Im kabbalistischen Symbolismus bedeutet „das Weibliche nicht, wie man erwarten möchte, das Zarte …, sondern das Strenge und Richtende“ (S. 41). Läßt sich hieraus nicht der Stellenwert und die Grenze der Kabbala (ihre Beziehung zur Geschichte des Weltbegriffs und zur Herrschaftsgeschichte) herleiten?

  • 28.6.1994

    Die Erinnerung des Leidens (Metz) ist nur die eine, „objektive“ Seite der Sache (die für sich nur das Selbstmitleid, die fatale Tradition der christlichen Leidensmystik, begründet), das verteidigende, parakletische Denken die andere: ihr Symbol ist die Idee der Auferstehung der Toten (vgl. hierzu die grandiose Stelle in Büchners „Lenz“).
    Die Erlösung kommt „wie ein Dieb in der Nacht“: Die Totalität der Nacht (die Finsternis über dem Abgrund) ist das Objekt.
    Es genügt nicht zu sagen, daß der Schöpfungsbericht sich auf einen anderen Bereich bezieht als die Naturwissenschaften. Es käme vielmehr darauf an, die Beziehung beider zu bestimmen. Diese Beziehung ist bestimmbar über den Begriff der Umkehr.
    Welche und wieviel Siebener-Gruppen gibt es in der Apokalypse, und in welcher Beziehung stehen sie zu einander?
    Die Lösung der sieben Siegel: die Peripherie ist das Zentrum, und der Ursprung das Ziel. Die intentio recta ist das Medium des Sündenfalls (der Verstrickung ins richtende Denken).
    Ist nicht der Name des Universums der deutlichste Name der Welt, gleichsam die logische Handlungsanweisung zur Konstituierung des Weltbegriffs? Die Logik des Universums, die schon den antiken Kosmologien zugrundeliegt, ist die Logik der Geldwirtschaft (ablesbar an der Geschichte der Banken: hier gründet das Sein, auf das die Hegelsche Logik als ihren Ursprung sich bezieht).
    Wer die Substanz zum Subjekt (und die Menschen zu einem Teil der Welt) macht, leugnet die Freiheit der Kinder Gottes und damit den Heiligen Geist.
    Ist nicht der Heilige Geist der „Gegenstand“, auf den das Wort vom Binden und Lösen sich bezieht; und gewinnt nicht in diesem Zusammenhang die These, daß die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst hat, ihren ungeheuren Sinn? Gehört nicht zum Wort vom Binden und Lösen das apokalyptische Wort vom Lamm, das allein würdig ist, die sieben Siegel des Buches zu lösen; das Wort, das Joh 129 in die Perspektive der Nachfolge rückt?
    Die Vorstellung einer absoluten Vergangenheit leugnet Gott. Auch die Toten gehören als dessen Abbild zum Angesicht Gottes. Die Erfindung der Tiefenzeit gehört zu den Voraussetzungen der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Sind nicht die sieben Siegel Totalitätsbegriffe, auf die unsere Sprache, unser Bewußtsein und unser Denken versiegelt ist? Dazu gehören die drei kantischen Totalitätsbegriffe: Wissen, Natur und Welt, aber auch schon die griechischen (die projektiven Urbegriffe der Philosophie): die Barbaren und die Materie, insbesondere aber das Sein.
    Wie oft und an welchen Stellen kommt der Name der Barbaren in der Schrift vor (wie in 2 Makk und in der Apg, beim Schiffbruch vor Malta)?
    Die Drehung des Raumes um jede seiner drei Achsen führt ihn in seine Ursprungsgestalt zurück: deshalb ist die Raumvorstellung der Generator der neutralisierten Dingvorstellung (des Objektbegriffs, der der Urteilsform zugrunde liegt).
    Ist die Kritik der Orthogonalität (Kritik der Urteilsform) der Grund der Kritik der Naturbeherrschung? Die Dreidimensionalität des Raumes ist der Grund des Objektbegriffs: Der Objektbegriff ist der Grund, auf dem der babylonische Turm erbaut wurde, und zugleich der Wirbel, der die Sprache verwirrt.
    Die Vorstellung, daß die Sprache auf eine außer ihr (und ohne sie) bestehende Wirklichkeit sich bezieht, ist wahr und unwahr zugleich: Sprache konstituiert ebensosehr die Wirklichkeit, wie diese Wirklichkeit zugleich als mächtiger als unsere Sprache sich erweist. Im Kontext dieser (durchs Inertialsystem definierten) Vorstellung ist die Welt alles, was der Fall ist. Die darin begründete Entmächtigung der Sprache ist die Selbstzerstörung ihrer benennenden Kraft.
    Die Ablösung der Sprache von der Wirklichkeit ist eine Leistung des Weltbegriffs (der so Sprache und Welt zugleich verändert: der neue „Welt-Katechismus“ der Kirche verdient diesen Namen in der Tat).
    Die hebräische Sprache ist keine Ursprache, sondern Ausdruck einer Beziehung zur Sprache (einer gegen die Logik der Schrift sich behauptenden Sprachlogik), die den Keim der Utopie in sich enthält. Sind nicht die sogenannten Quellen der biblischen Texte (J, E, Dt) Ausdruck differierender Sprachlogiken, die erst in ihren wechselseitigen Beziehungen, in ihren Reflexionsbeziehungen, Anteil an der Wahrheit gewinnen? Drückt nicht im Namen des Hebräischen diese gespannte und kritische Beziehung zur Logik der Schrift (der Zwang zur Symbollogik) sich aus?
    Kann es sein, daß, was in den „Quellen“ des biblischen Textes nebeneinander sich präsentiert, in der Geschichte des Christentums in eine zeitliche Folge (in die Geschichte der drei Leugnungen) transformiert wurde?
    Die Vätertheologie war eine monastische, ein Mönchs-Theologie, Resultat einer Flucht vor der Welt, aus der als einer heidnischen Welt die Christen in der Erwartung ihrer apokalyptischen Umgestaltung in die Glaubensgestalt der Utopie sich zurückgezogen hatten. Der Glaube blieb der Welt ebenso feindlich, wie er gegen sie hilflos war. Nur als Kirche war der Glaube gezwungen, sich in der Welt zu etablieren. Die Welt, in der sie sich vorfand, war die Welt des Römischen Imperiums, mit der sie nach der „Bekehrung“ Konstantins glaubte, sich aussöhnen zu können und zu müssen. Auf dieser Grundlage hat die Theologie in der Scholastik – und der Anstoß dazu kam vom Islam – als kirchen-imperialistische Weltphilosophie sich etabliert (mit dem mönchischen Hintergrund der Bettelorden und der Inquisition).

  • 17.11.93

    Ist nicht die Vorstellung, daß die ganze Pflanze „vorwärts und rückwärts“ nur Blatt sei (Bühler, S. 41), Teil einer Naturanschauung, die an der Idee der Unschuld sich orientiert: die Frucht und die „Befruchtung“ gleichsam „verunschuldigen“ möchte? Hat dieses „Blatt“ nicht sehr viel mit dem Feigenblatt des Sündenfalls (und seiner Interpratation durch Johannes Eriugena) zu tun? Liegt hier nicht der mythische Zentralpunkt der Goetheschen Naturanschauung? Und ist nicht die Goethesche Naturanschauung wirklich ans Schauen gebunden, d.h. an eine Erkenntnisform, die (wie die naturwissenschaftliche, an deren Modell sie sich orientiert) von jeder Schuldreflexion abstrahiert und jede Identifikation a limine ausgrenzt?
    Alles Denken ist Schuldverarbeitung (daher die Neigung, es zu diskriminieren), ohne Sprache gäbe es keinen Ausweg.
    Zwei Einwände gegen die Anthroposophie:
    – Sie bleibt gefesselt ans Selbsterhaltungsprinzip, das sie zugleich als Egoismus an andern verurteilt. Sie bringt sich selbst durch einen sublimierten Egoismus, durch den sie zur „Weltanschauung“ wird, um ihr bestes Ergebnis.
    – Die Vorstellung, der Mensch sei ein Mikrokosmos, müßte spätestens, wenn man die Reflexion der Naturwissenschaften mit hereinnimmt, historisiert und dynamisiert werden. Kosmos und Mikrokosmos sind in den historischen Prozeß verflochten, und lassen sich nur mit Gewalt (mit der Enthistorisierung und Moralisierung des Ego) daraus lösen. Mit zu reflektieren wären die Logik und die Geschichte des Weltbegriffs: der historische Säkularisationsprozeß, in dem wir Akteure, Zuschauer und Opfer zugleich sind. Erinnerung müßte auch kollektive Erinnerung mit einschließen: die ganze Geschichte steckt mit drin.
    Hat nicht der anthroposophische Astralleib mehr mit den apokalyptischen Tieren als mit dem individuellen Fortleben nach dem Tode zu tun?
    Hängt nicht das kosmische Element der Anthroposophie mit der Unfähigkeit, das Inertialsystem und die Geldwirtschaft zu reflektieren, zusammen? Durch diese Unfähigkeit verbleibt die Anthroposophie im Banne dieser Aprioris. Der Äther- und der Astralleib bezeichnen ein Problem, das die Anthroposophie durch Verdinglichung verdrängt (sind nicht die Tiere in der Natur, was die Stadt und der Staat in der Geschichte sind? Beide sind durch die Objektivierung des Sternenhimmels vermittelt).
    Verweisen die Geschichten von den angeblichen Todeserlebnissen, nach denen im Moment des Todes das Leben wie ein Film abläuft nicht eher auf den Zustand der Gesellschaft im Zeitalter des Films und des Fernsehens (vorbereitet durch den Roman und den Historismus)?
    Sind nicht die Warums bei Bühler (S. 114f) allesamt paranoid? Vgl. auch S. 117f: auch durch Streit oder Haß geschaffene seelische Bande erweisen sich als unzerreißbar.
    S. 124f: Problem des Karma?! Bemerkungen zu den Gefallenen der Kriege: Anwendung auf Auschwitz?
    S. 126: Ableitung der Überbevölkerung aus der materialistischen Gesinnung der Menschen, die (auch nach dem Tode noch) zu stark an die Erde gebunden sind und deshalb rascher zu einer neuen Verkörperung drängen?
    S. 130: Zum Bösen fällt Walther Bühler nur der Satz ein: Wer ist nicht schon einmal bestohlen, belogen oder betrogen worden?
    Zum Lachen und Weinen: Wie verhalten sich der Ursprung und die Geschichte zum Ursprung und zur Geschichte der Sprache? Bildet sich die Schrift an einer ähnlichen Grenze wie die Sprache; gibt es eine objektive Korrespondenz zur Unterscheidung von Hören und Sehen und zur Beziehung von Lachen und Weinen zu dieser Unterscheidung?
    Hat das Osterlachen nicht etwas mit jener Szene in Büchners „Lenz“ zu tun, in dem Lenz nach dem mißlungenen Versuch ein totes Kind wieder zum Leben zu erwecken, begreift, daß der Mond nur eine leere und tote Steinwüste ist: In diesem Augenblick griff mit einem entsetzlichen Lachen der Atheismus in ihm Platz.
    Die Naturwissenschaft ist das Lachen, das der Theologie im Halse stecken geblieben ist.
    Ist nicht der Faschismus, auch sein gegenwärtiges Wiederaufleben, ein Beweis dafür, welche ungeheuren Unterdrückungskräfte mobilisiert werden müssen, um der Verführung gut zu sein zu widerstehen?
    Hat der prophetische Begriff der Unzucht etwas mit der Venus-Katastrophe (mit den Ascheren) zu tun?
    Wenn in der Antike die Rhetorik dem entspricht, was in der modernen Welt die Technik ist, bedeutet das nicht auch, daß das Christentum, insbesondere die christliche Theologie (die Entwicklung der Orthodoxie), die technologisch durchgearbeitete und instrumentalisierte Mythologie (den historischen Stand des Herrschaftsdenkens) repräsentiert? Und ist das nicht die zwangsläufige Folge der theologischen Rezeption des Naturbegriffs (die dem Stand der politischen Geschichte angemessene historische Stufe der Naturerkenntnis)?
    Das Christentum und die Provinz: Galiläa, Nordafrika und Irland?

  • 29.09.93

    Zu Johann Baptist Metz: Was hat die Welt davon, wenn wir „Ja und Amen zur Welt“ (anstatt zu den göttlichen Verheißungen, wie es bei Paulus korrekt heißt) sagen? Merkwürdig, daß Metz der Welt ein Anerkennungsbedürfnis unterstellt: Ändert das die Welt oder nicht doch nur den Anerkennenden (den Konformisten)? Und wer ist das Subjekt dieses Bedürfnisses: Ist es nicht der der Welt sich Anpassende, der aus guten Gründen die Anpassung ohne die Komplizenschaft der Anderen (ohne ihre bekenntnishafte Zustimmung) nicht zu leisten bereit ist? Ist nicht das „Ja und Amen zur Welt“ der eigentliche Inhalt jedes Glaubensbekenntnisses (und seiner logischen Durchbildung in Trinitätslehre und Opfertheologie)?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne Bekenntnislogik. Die Idolatrie gehört zur Geschichte der Ausbildung und Entfaltung dieser Bekenntnislogik (und des Weltbegriffs), sie hat sich vollendet im Dogma. Das Dogma (das erst durch Umkehr wahr wird) ist das versteinerte Herz der Kirche, und die Kirche das versteinerte Herz der Welt.
    Weist nicht das „Weiche von mir, Satan“ darauf hin, daß die Petrus- und die Dämonen-Geschichten zusammengehören (ähnlich wie die drei Leugnungen mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Wahrheit ist nicht Gegenstand des Urteils; deshalb hat Jonas Unrecht.
    Hat das Binden und Lösen etwas mit dem Millenium zu tun, und ist die Kirchengeschichte dieses Millenium (die Zeit der Bindung)?
    Die Welt ist die Welt der anderen, zu denen ich selbst als anderer für andere auch gehöre. Das ist der logische Kern des Weltbegriffs und der Entfremdung.
    Sind die Banker nicht die Priester der Geldreligion?
    Wenn die Konservativen den Linken vorwerfen, sie könnten nicht mit Geld umgehen, so wäre gegenzufragen: Welcher Politiker kann schon mit Geld umgehen?
    Der Begriff der Weltanschauung bezeichnet den (logisch unmöglichen) Sieg und das Attribut des Siegers in der zum Weltgericht sich aufspreizenden Weltgeschichte. Deshalb war der Weltanschauungskrieg ein Vernichtungskrieg. Zur Vorgeschichte der Weltanschauung gehört die Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung. Im Begriff der Weltanschauung erweist sich die Anschauung als Medium der richtenden Gewalt. Zum Anschauen gehören auch das Schaufenster (der Erwecker der concupiscentia) und die Reklame (die nach Adorno den Tod verschweigt).
    Die Unfähigkeit, die Formen Anschauung selber in die Reflexion mit einzubeziehen, ist eine Folge davon, daß Reflexion nur im Medium der Anschauung möglich ist; sie ist der Grund der Hybris.
    Wenn die Theologie die Lehre von der Anschauung Gottes auf das Objekt der Trinitätslehre bezieht, verdrängt sie dann nicht das Angesicht Gottes, eliminiert sie dann nicht das Gesehenwerden, das „von Angesicht zu Angesicht“: die Gottesfurcht?
    Als aus der Anschauung Gottes das Angesicht gestrichen wurde, wurde die Gottesfurcht gestrichen. Das ist in der Philosophie umgeschlagen in die Angst vor dem Angesicht (Ursprung des Portraits?), die dann in der Entfaltung der Mathematik und in der Bildung des Neutrums sich ausdrückte.
    Das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, hat etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses zu tun: Es zerschneidet das Licht und entfernt aus ihm die Quelle des Angesichts, verwandelt es in eine Form der Anschauung.
    Wie verhält sich das Sehen zum Schauen? Ist nicht im Sehen das reflexive Moment mit enthalten, von dem das Schauen dann abstrahiert (vgl. den Zuschauer und die Anschauung Gottes)? Die Welt heute verhält sich zum Faschismus wie das Fernsehen zum Radio. Deshalb ist die Reflexion der kantischen Philosophie und der Bedeutung der subjektiven Formen der Anschauung in ihr an der Zeit.
    Müssen die Psalmen, wenn sie als Lieder Davids verstanden werden, nicht als Versuch der Durchdringung der Königsidee mit prophetischem Geist verstanden werden: als messianisch? Die Apokalypse hingegen ist das auf die Kaiseridee und die Weltreiche bezogene Gegenstück zur Prophetie: Als Instrument der projektiven Verarbeitung der Angst instrumentalisiert sie die Angst, ist sie angsterzeugend; wahr ist sie nur als Medium der reflexiven Verarbeitung der Angst: als Erkenntnis. Die projektive Verarbeitung der Angst ist fundamentalontologisch und faschistisch. Bangemachen gilt nicht, aber die Apokalypse ist endlich zu begreifen.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Jesus-Wort an Johannes und den drei Gestalten des Bösen?
    – Gegen den Satan, den Ankläger, steht der Paraklet,
    – gegen den Teufel, den Verleumder und die Verkörperung der Wut, steht der göttliche Zorn,
    – dämonisch ist die Instrumentalisierung, Verinnerlichung und Neutralisierung beider: ihre Subjektivierung; hiergegen steht die Austreibung der Dämonen, die der frohen Botschaft den Weg zu den Armen freimacht.
    Heidegger hatte recht: Die deutsche Sprache ist die Sprache der Philosophie, aber sie ist es als Grenze zur Theologie und wird theologisch, wenn sie die Reflexion auf diese Grenze in sich mit aufnimmt.
    Woher kommen und was bedeuten die Begriffe des Anderen und des Fremden? Gründen nicht beide in Präpositionen, und zwar das „an“ bzw. das „vor“ oder „für“ (im Englischen „for“; weshalb heißt der Fremde im Englischen the stranger)?
    Das Präfix be- im Englischen: Vgl. die Beziehung von for und before (auch between, become, behalf, belief, belong, beloved, below, beneath, beside, betray, beware, beyond).
    -schen: Suffix zur Bildung von Verben aus Nomina (feilschen, herrschen). Gilt diese Definition eigentlich generell, oder sind es nicht bestimmte Verben (z.B. grapschen), die so aus Nomina sich bilden lassen? Bezeichnen nicht alle diese Verben Tätigkeiten, die sich direkt auf andere als Objekte beziehen; steckt nicht in allen etwas von einer objektivierenden, erniedrigenden Tätigkeit, etwas Verächtlich-Machendes?
    Das Verb „zernichten“ taucht an zwei Stellen auf,
    – bei Georg Büchner: „Ich fühle mich wie zernichtet im Anblick des gräßlichen Fatalismus der Geschichte“ (aus einem Brief an die Eltern, nach Hinweis auf das Studium der französischen Revolution), und
    – bei Franz Rosenzweig: „Zeit ist’s zu handeln für den Herrn, sie zernichten seine Lehre“ (Überschrift über einen Aufruf zur Gründung einer Hochschule für die Wissenschaft des Judentums).
    Beide Stellen bezeichnen welthistorische Wendepunkte.

  • 22.08.93

    Ist der Personbegriff nicht ein Reflexionsbegriff der neutralisierten Welt (er bezeichnet den Schauspieler im Drama und das rechtlich schuldfähige Subjekt).
    Die sieben Siegel: Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe und Salbung.
    Wer den Faschismus nur unter dem Aspekt der Schuldfrage reflektiert, verfehlt ihn. Zu Auschwitz gibt es kein objektives Verhältnis mehr; das Besondere an Auschwitz ist die nicht mehr abweisbare Einsicht, daß man auch durch Nichthandeln (auch durch die Distanz des „historischen Betrachters“) schuldig wird. Mit Auschwitz enthüllt sich Objektivität insgesamt als Schuldzusammenhang.
    Grund des Weltbegriffs: Der Raum ist ein sich-selbst-tragendes Konstrukt (das reine Sich-Fortzeugen); er scheint nur hingenommen werden zu können und jeder Begründung und Reflexion sich zu entziehen. Die Konsequenzen allerdings sind unabsehbar.
    Die scheinbar so einfache und klare Struktur des Raumes ist in Wahrheit ein Produkt der Zerwirbelung der raummetaphorischen Elemente der Sprache:
    – im Angesicht und hinter dem Rücken,
    – rechts und links (Gerechtigkeit und Barmherzigkeit),
    – oben und unten (Herr und Knecht).
    Dies ist der Knoten, den Alexander als Erbe der Philosophie und Begründer des Cäsarismus, nur durchschlagen hat, während es darauf ankäme, ihn zu lösen.
    Hat nicht die Entdeckung des Winkels, der Orthogonalität, jene Seitenansicht der Dinge erst eröffnet und begründet, die dann die Begründung der Philosophie und die Konstituierung des Weltbegriffs (die Trennung des Natur- und Weltbegriffs) ermöglichte? Die ganze nachfolgende Geschichte, einschließlich des Ursprungs und der Ausbildung des Dogmas im Christentum, steht unter diesem Vorzeichen und war so die Voraussetzung für den europäischen Objektivations- und Säkularisationsprozeß. In diesem Prozeß ist die Seitenansicht dann zur Totalen geworden: zum Inertialsystem (der Verkörperung des Jeremias-Wortes vom „Grauen um und um“).
    Vgl. die schöne Stelle in Büchners „Lenz“: Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
    Die Verführung des Feminismus: Wenn der Faschismus eine aus der Logik des Patriarchats erwachsene Erscheinung ist, dann ist der Feminismus gleichsam apriori exkulpiert. – Die große Bedeutung des Feminismus liegt darin, daß sie die politische Dimension des Sexismus wiederentdeckt hat.
    Gibt es eigentlich zum Schuldzusammenhang (und zum Rechtfertigungs- und Exkulpierungszwang) keine Alternative mehr?
    Die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die einhergeht mit der Unfähigkeit zur Sprachreflexion, reproduziert den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, in dem sie gründet.
    Die technische Adaption der kritischen Theorie subsumiert sie unter Rechtfertigungs- und Alibizwänge.
    Die Kritik der Postmoderne, die Kritik Drewermanns und auch die Kritik Edith Steins trifft zwar den Sachverhalt, verdrängt aber zugleich das Problem und verfällt deshalb der Bekenntnislogik, der Vorstellung, das Bekenntnis zur richtigen Anschauung würde schon etwas ändern.
    Man muß sich klarmachen, daß das Inertialsystem das Referenzsystem aller physikalischen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze ist, mit zwei Grenzfällen:
    – der speziellen Relativitätstheorie und
    – den Statistik-Gesetzen, insbesondere dem Planckschen Strahlungsgesetz.
    In beiden wird die Selbstreferenz und das Problem der Vermittlung im System als Gesetzeszusammenhang zu einem Teil des Systems. Die „empirischen“ Konstanten (der Wert der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum) sind selber auch Knotenpunkte des Systems. Hier liegt der objektive, in der Physik selber verankerte Grund einer Theorie des Feuers.
    (Sind nicht die Banken die black boxes der Ökonomie?)
    Sind die drei großen und die zwölf kleinen Propheten Reflexgestalten der Patriarchen und der zwölf Söhne Israels?

  • 13.05.93

    Ist nicht das „Wachet und betet“ in Getsemane auf die beiden Augen (den Unterschied des rechten und linken Auges) bezogen (vgl. Sohar, S. 77)?
    „Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.“ (Ez 3626)
    Zur Theologie Jes 287: Priester und Propheten schwanken vom Bier, sind überwältigt vom Wein.
    Zur Politik Jes 2814ff: Darum hört das Wort des Herrn, ihr Spötter, ihr Sprüchemacher bei diesem Volk in Jerusalem. Ihr habt gesagt: Wir haben mit dem Tod ein Bündnis geschlossen, wir haben mit der Unterwelt einen Vertrag gemacht. Wenn die Flut heranbraust, erreicht sie uns nicht; denn wir haben unsere Zuflucht zur Lüge genommen und uns hinter der Täuschung versteckt. …
    Den Anfang des Stern der Erlösung (die Todesfurcht) anstatt auf die Erfahrung des ersten Weltkriegs auf Getsemane beziehen.
    Warum hat eigentlich niemand aus der Nazi-Parole Blut und Boden das hakeldama, den Blutacker, herausgehört?
    Ist nicht der Begriff der Rasse ein Versuch, die in der Schrift noch unterschiedenen Begriffe Stämme, Völker, Sprachen und Nationen gleichnamig zu machen, in einem Objekt zusammenzuziehen? Und bietet sich da nicht das Deutsche als gleichsam natürlicher Bezugsrahmen an?
    Vaterland und Muttersprache, oder die Schuld der Väter und die Sünden der Mütter.
    Ist nicht die Biologisierung der Sprachgeschichte durch den Rassebegriff eine Verschiebung: Verdrängt sie nicht die Erinnerung an den Sprachleib?
    War das peri physeos der Vorsokratiker nicht eine Abwehrwaffe gegen die Schrecken der Mächte der Vergangenheit?
    … Hier gilt: Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren.
    Ist nicht das Inertialsystem ein Spinnennetz; und gibt es nicht Spinnen, bei denen das Weibchen das Männchen nach der Begattung frißt?
    Die Bemerkung im Sohar, „daß es das Ich ist, welches die Flut bringt“ (S. 119) wird durch den Satz des Tales: „Alles ist Wasser“ bestätigt: Die Hegelsche Philosophie ist die Sintflut (die vom Ich überschwemmte Welt).
    Idee einer Gestalt der Erkenntnis, die dadurch frei ist, daß sie den Rechtfertigungszwängen (der normativen Gewalt des Begriffs des Wissens) entronnen ist: Sie konvergiert mit dem Begriff einer Erkenntnis, die sich die Idee des seligen Lebens nicht ausreden läßt. Bangemachen gilt nicht.
    Als Walter Benjamin (und nach ihm auch Ernst Bloch) einmal den „berühmten Rabbi“ zitierten, als welcher sich dann später Gerschom Scholem bekannt hat, haben sie da nicht den Hahn und den Messias verwechselt. Die geringfügige Änderung, die alles zurechtrückt, betrifft den Gebrauch des Weltbegriffs.
    Das Dogma ist die versteinerte Wahrheit, und durch das Dogma zum steinernen Herzen der Welt geworden. Bezieht sich darauf nicht die Geschichte vom Hahn?
    Zum Hinter dem Rücken gehört Benjamins Wort über Franz Rosenzweig, er habe es vermocht, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, und die Übernahme der Last: der Sünden der Welt. Nicht nur stellvertretend die Schuld der Welt auf sich nehmen, sondern real, durch das Bekenntnis „ich war’s“: die Sünden der Welt. Aber das ist schwierig, fast unmöglich, in einer Welt, die vom Schuldverschubsystem lebt, sich vom Drachenfutter nährt.
    Das Problem der Beziehung von Philosophie und Prophetie ist das Problem der Beziehung von Name und Begriff, von Im Angesicht und Hinter dem Rücken und von Sünde und Umkehr.
    Im Symbolum wurde das Bekenntnis noch als ein Metaphorikum begriffen.
    Ist die feministische Theologie heute nicht in der Situation der Martha (oder war es Maria?), die angesichts des toten Lazarus zu Jesus sagte: Herr, er riecht schon? Über das tote Mädchen sagte Jesus: Sie ist nicht tot, sie schläft nur.
    In Büchners „Lenz“ gibt es die Szene, in der der verwirrte Lenz ein verstorbenes Kind ins Leben zurückzurufen versucht („Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten“). Dem folgt die Stelle, an der Lenz real begreift, daß der Mond nur eine Steinwüste ist, und „in diesem Moment griff mit einem entsetzlichen Lachen der Atheismus in ihm Platz“. Dieses Lachen begreift mehr von der Physik und vom „naturwissenschaftlichen Weltbild“ als alle theologischen Harmonisierungsversuche. Und nach diesem Lachen (als Mimesis ans Subjektlose), meine ich, reicht die Wahrnehmung, daß Jesus in den Evangelien nie lacht, wohl aber die Dämonen austreibt, sehr nahe an den Wahrheitsgehalt der Evangelien heran.
    Im autoritären Denken (im Konkretismus und in der Personalisierung) präokkupiert der Herr die Stelle der Armen und Fremden. Hier liegt der Grund des Gebrauchs der projektiven Begriffe Barbaren, Natur und Materie, von dem das autoritäre Syndrom (Zusammenhang mit der Struktur der „indogermanischen“ Sprachen?) nicht abzulösen ist.

  • 04.04.93

    Wirft nicht der Gebrauch des Begriffs des Staats in der folgenden Formulierung: „… so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgend eines Dinges erraten oder erforschen zu wollen“ (Kr.d.r.V., S. 219), ein neues Licht auf die Widmung des Werkes?
    Kants Kritik des Idealismus läuft in letzter Konsequenz auf die Ethik als prima philosophia und den Vorrang des Angesichts hinaus (durch die Widerlegung der Innerlichkeit). Seitdem ist eine Vorstellung des seligen Lebens, die nicht die Erlösung der Welt mit einschließt, nicht mehr zu halten.
    Rousseau, dessen ungeheure Bedeutung für die Geschichte der europäischen Aufklärung Derrida wieder in Erinnerung gerufen hat, hat durch seinen Naturbegriff das Rätsel des Ursprungs der Schrift unlösbar gemacht und die Unlösbarkeit in seinem Versuch über den Ursprung der Schrift selber demonstriert. War nicht der deutsche Idealismus überhaupt erst möglich, nachdem durch Rousseau das Schriftproblem zu einem Problem der wissenschaftlichen Erkenntnis geworden ist (und damit für die Philosophie neutralisiert worden ist).
    Ist es ein Zufall, daß die einzige Stelle, an der die Hegelsche Philosophie ein in der Philosophie sonst unbekanntes satirisches Niveau erreicht, die über die physiognomischen Theorien Lavaters ist? War dieser Aufwand für die Hegelsche Philosophie deshalb erforderlich, weil nur so das andringende Problem des Angesichts abgewehrt werden konnte? Verweist das nicht auf das affirmative Moment in jeder Form des politischen Kabaretts, das die Erinnerungsbereitschaft verhindert, indem es sie im Lachen explodieren läßt? Das wirklich befreite Lachen wäre ein vom Bann der Entfremdung (vom Bann des Raumes) befreites Lachen. Wird in Büchners „Lenz“, als Lenz begreift, daß der Mond nur eine leere Steinwüste ist, das (den Atheismus begründende) Lachen nicht zum Bellen (die Hunde, die den Mond und den Spaziergänger anbellen: sie wachen nur, aber sie beten nicht)? Ist nicht das Lachen des Lenz ein selbstreferentielles Sich-selbst-Auslachen, ein Lachen nach Innen? Daß einem das Lachen im Halse stecken bleibt, verweist auf die Physik, die zum Kloß im Hals der Theologie geworden ist.
    Nochmal bei Böll (Und sagte kein einziges Wort) die Beschreibung der Physiognomie der Prälaten nachlesen: die Unterscheidung des fanatischen Asketen vom hinterhältigen Genießer (beide Physiognomien tauchen bei den Nazis wieder auf: als SS-Offizier und Reichsleiter)?
    Ist scheol, das biblische Modell der christlichen Hölle, nicht in der Tat das Grab?
    Es ist wahr: Über Geschmack läßt sich nicht streiten, aber gleichwohl ist der Geschmack kritisch zu reflektieren (zum Bruch zwischen Theorie und Praxis). Ist nicht sapientia reflektierter Geschmack? Wie hängen sapientia, Geschmack und Gericht mit einander zusammen?
    Wenn die Musik aus dem Bauch kommt, besteht dann nicht die Gefahr, daß das Herz in die Hose rutscht?
    Wie paßt der Grundsatz „in mundo non datur casus“ (Kr.d.r.V., S. 232) zu Wittgensteins „Die Welt ist alles, was der Fall ist“? Auf der gleichen Seite beweist Kant, daß Selbsterkenntnis „ohne Beihülfe äußerer empirischer Anschauungen“, und d.h. ohne Weltreflexion, nicht möglich ist.

  • 24.08.92

    Worauf beziehen sich die von Heinsohn (S. 49) aufgeführten Stellen über pharmakeia = Zauberei? Sie gehören zu einem Verworfenheitskatalog, zu dem auch Unzucht, Mord u.ä. gehören. Bezieht sich der Begriff der Zauberei nicht eher auf den dämonischen (instrumentalisierenden) Gebrauch des Opfers (der sich u.a. im Handel fortsetzt)? Und entstammt der Hexenwahn (wie auch die kirchliche Sexualmoral, in deren Geschichte sie hereingehört) nicht der patriarchalischen, verdinglichenden Umdeutung dieses Begriffs der Zauberei?
    Im Kontext der Auslegungsgeschichte des Begriffs der Zauberei (d.h. im Kontext der Geschichte der christlichen Sexualmoral, der Hexenverfolgung und der gegenwärtigen Abtreibungskampagne) läßt sich präzise bestimmen, was das Neue Testament die Sünde wider den heiligen Geist nennt.
    Dämonisch ist der Hexenwahn: diese Art der projektiven Zauberei-Unterstellung.
    Unsere Theologie heute ist die Gestalt gewordene Prophetie-Empfängnis-Verhütung. Und das kirchliche Lehramt ist (als Gottesfurcht-Vermeidungs-Institut) ein einziges Präservativ, ein Theologie-Verhüterli. Wirksamstes Instrument dieser „Empfängnisverhütung“ ist der verdinglichte (dogmatisch sich objektivierende) Wahrheitsbegriff.
    Mit dem Beginn der Hexenverfolgung verliert die Kirche, zusammen mit der prophetischen, ihre häresienbildende Kraft. Und die neue Orthodoxie: das sind (als Gestalten subjektloser, technisch verdinglichter Prophetie) die Naturwissenschaften, zu deren Vorgeschichte die Judenfeindschaft, der Kampf gegen die Häresien und die kirchliche Frauenfeindschaft als Ursprungsbedingungen dazugehören.
    Heinsohn und Götz Aly/Susanne Heim: Merkwürdig, daß sowohl die Hexenverfolgung als auch der Holocaust (die größten gesellschaftlichen Naturkatastrophen) fast zwanglos aus bevölkerungspolitischen Konzepten (aus dem Versuch, das Armutsproblem durch technologische bevölkerungspolitische Konzepte zu lösen) sich herleiten lassen.
    Christologie, die Vergöttlichung des Opfers, oder der schizogene Naturbegriff. Die double-bind-Strukturen reichen in die Trinitätslehre und den Naturbegriff zurück und enthüllen sich der Kritik als symbiotische Herrschafts- und Exkulpierungs-Instrumente.
    Natur, Pan und Panik, oder die Installierung des Schreckens.
    Der Raum und das Lachen: Hegels Philosophie wird vom Gelächter eingeholt (vgl. Derridas Hinweis auf Bataille). Das Gelächter als Reaktion auf Hegels Begriff der Aufhebung entspricht dem Lachen in Büchners „Lenz“ und dem Ursprung der Lehre „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Nietzsches. Dieses Gelächter bringt das Hegelsche Absolute zu Fall. Aber das hat Hegel selbst gesehen; Heine hat es notiert. Und das Hegelsche Weltgericht ist nur ein anderer, emphatischer Ausdruck für die lakonische Feststellung Wittgensteins: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“
    In der Ausländerfeindschaft, im Fremdenhaß (im sogenannten Asylantenproblem), explodiert die kirchliche Tradition des Kampfes gegen die Heiden und gegen die Häresien. Die zentrale Funktion des Namens der Barbaren im Prozeß der philosophischen Begriffsbildung hat in der Kirche (für das Selbstverständnis des Glaubens) der Name der Heiden übernommen, der nach Bildung der National- und Volkskirchen dann leicht mit dem der Ausländer (den Nachfahren der Häretiker und der Andersgläubigen) verschmelzen konnte.
    Aus Angst vor der Wahrheit pflegen die Kirchen heute den autoritären Charakter, dieses Theologie-Verhütungs-Instrument. Zu seinen Konstituentien gehören die Xenophobie und das „No pity for the poor“.
    Das Gebot der Feindesliebe ist ein Riegel vor der Paranoia (und sprengt den Natur- und Weltbegriff). Zur Übernahme der Sünde der Welt: das verdinglichende, objektivierende Erkenntnisgesetz bedient sich des Weltbegriffs als Exkulpierungsmittel. Das Gebot der Feindesliebe, die Übernahme der Sünde der Welt und das Arglosigkeitsgebot sind drei Seiten ein und derselben Sache.
    Die Velikovsky-Heinsohnsche Venus-Theorie, das Naturkatastrophen-Konzept, das den altorientalischen (vorweltlichen) Sternen-und Opferdienst und seine Funktion im Prozeß der frühgeschichtlichen Staatenbildung begründen soll, ist ein entstellter Hinweis auf das in der Bibel mit den Begriffen Unzucht, Hurerei und Zauberei bezeichnete Problem. Und mir scheint, die Velikovsky-Heinsohnsche Theorie gewinnt einen Teil ihrer Plausibilität daraus, daß sie das Eingehen auf den patriarchalisch-frauenfeindlichen Anteil dieser Geschichte überflüssig macht (konsequenterweise muß Heinsohn genau diesen Aspekt dann auch aus der Geschichte der Hexenvervolgung wegerklären). Zumindest als Resonanzboden der Wirkung einer frühgeschichtlichen interstellaren Naturkatastrophe müßte dieser gesellschaftliche Aspekt der Naturkatastrophe im Kontext der Entstehung der Großreiche mit reflektiert werden. Die mit der Venustheorie verbundene Chronologie-Revision wird damit nicht nur nicht hinfällig, vielmehr wird so erst das Hintergrund-Problem sichtbar, das da mit drin steckt: Die projektive Ausgestaltung (Verzerrung) der altorientalischen Geschichte, die Verdreifachung von Staaten, Dynastien und Völkern spiegelt einen vergleichbaren Vorgang im gleichzeitigen Erkenntnisprozeß der Naturwissenschaften (im neunzehnten Jahrhundet). Auch hier wird gleichsam ein überflüssiger Reichtum an Fakten und Objekten geschaffen, vor dem wir heute ebenso staunend wie begriffs- und hilflos stehen. Mir scheint das historische Chronologie-Problem hängt mit dem erd- und naturgeschichtlichen durch die gleichen Erkenntnismechanismen, denen der Ursprung beider Probleme sich verdankt, zusammen. Könnte es nicht sein, daß der historischen Verdreifachung (die vor allem sprach-und schriftgeschichtlich aufzulösen wäre) eine Verdreifachung im naturgeschichtlichen Bereich nicht nur entspricht, sondern sogar zugrundeliegt: Auch hier wird in einen langen (quasiharmonischen) Evolutionszeitraum zurückprojiziert, was in anderen, (von außen gesehen:) katastrophenähnlichen Prozessen in einer ganz anderen chronologischen Folge durchsichtig zu machen wäre, wenn es gelingt, die Reflexion des Referenzsystems des naturwissenschaftlichen Objektbegriffs (des Inertialsystems) und seiner Beziehung zur Sprache in die Erkenntnis mit einzubringen.
    Ist das Chronologie-Problem ein Umkehr-Problem, ein Problem der Selbstbesinnung des Herrendenkens? (Zusammenhang mit den sieben unreinen Geistern?)
    An Heideggers Begriff des „Vorlaufens in den Tod“ ist zu ermessen, was am Ereignis des Kreuzestodes und seiner kirchlich-theologischen Rezeption aufzuarbeiten, welche Erinnerungsarbeit zu leisten wäre. Die Verwechslung des Kreuzestodes Jesu (der für seine Henker um Vergebung bittet) mit dem Tod des Sokrates (der sich mit seinen Richtern identifiziert, selber das Urteil vollstreckt) bezeichnet einen wichtigen Aspekt des Problems der Beziehung von Theologie und Philosophie (und der Opfertheologie als Brennpunkt dieses Problems).
    Die ironische gemeinte Bemerkung Heinsohns, „die Rauschmittel als Ziel der Hexenverfolgung zu behaupten, käme der These gleich, daß in Deutschland die Juden ausgerottet wurden, um die Spitzenleistungen in Physik und Mathematik zu eliminieren“ (S. 65), trifft gar nicht soweit daneben, wenn man nur das Wort „Spitzenleistungen“ durch den konkreteren Hinweis ergänzt, daß hier in der Tat mit Einstein, Weil und Minkowski die Naturwissenschaften der Grenze ihrer Selbstaufklärung in einer für den Einbruch der Barbarei gefährlichen Weise nahe gekommen waren. Dem hat dann die deutsche Sektion der Kopenhagener Schule mit Mühe und insoweit auch mit Erfolg entgegengearbeitet, als es seitdem ernsthafte theoretische Fortschritte in den Naturwissenschaften nicht mehr gegeben hat (der nächste Schritt nach der zu vermutenden Vollständigkeit des theoretischen Instrumentariums kann nur noch der der Selbstaufklärung sein).

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