Christentum

  • 16.08.87

    Abgrenzung der Beleidigungsfähigkeit: wo beginnt, wo endet sie; wer ist wo beleidigungsfähig; wichtig, da hier die Grenzen zur Pathologie bestimmt werden.

    Selbstbekehrung des Christentums, Bekehrung vom Heidnischen im Christentum: Zusammenhang von Fortleben des Heidentums in der christlichen Dämonologie (Hölle, Fegefeuer, auch Vorstellung eines seligen Lebens, das nach Augustinus die Anschauung der Qualen der Bösen mit einschließt) mit den praktischen Folgen: über Antisemitismus, Ketzerverfolgung als Kampf gegen die Armutsbewegung und Hexenverfolgung bis hin zur Reindarstellung dieses Heidnischen im Faschismus (also Faschismus als Konzentrat des Heidnischen im Christentum? – das würde die kritische Aufarbeitung des Faschismus zur Grund- und Existenzfrage einer christlichen Theologie machen: das Verhältnis von Heidnischem und Christlichen wäre unter diesem Gesichtspunkt anhand der Rosenzweigschen Konstruktionen nochmals zu prüfen).

  • 20.06.88

    Zur Theorie des Namens: Gesetze werden „im Namen des Volkes“ erlassen, Urteile „im Namen des Volkes“ gefällt. Gesetze wie Urteile, das Wesen des Richtens überhaupt, sind per definitionem nur von oben nach unten anwendbar, d.h. gegen das Volk gerichtet. Der Name des Volkes hat demnach hier im präzisesten Sinne double-bind-Funktion, er soll dem Volk das schlechte Gewissen machen; er treibt das Volk in die Arme seiner Feinde, die seinen Namen nur usurpieren. M.a.W. der „Name des Volkes“ ist Ausdruck der kollektiven Selbstfeindschaft, deshalb faschistisch.

    Nachtrag 02.02.89: Volk läßt sich bestimmen als Schicksalsgemeinschaft. D.h. Volk ist als Objekt des Schicksals durch den Schuldzusammenhang des Schicksals definiert. Völker gibt es erst, seit des Könige gibt, beide gehören dem mythischen Zeitalter an. Die Königstradition im Christentum (die sich im Gegensatz zur Reichstradition, die am Caesar sich orientiert, auf David, den Stammvater des Messias, beruft) bezeichnet demnach genau die Wiederkehr des Mythos, den Bereich, auf den sich die Idee der Umkehr, die Christentum und Judentum konstituiert und verbindet, bezieht.

  • 10.07.88

    Der christliche Höllenglaube ist nicht nur Produkt der Auseinandersetzung mit dem Mythos, sondern zugleich Grund der Wiederkehr des Mythos im Christentum. Und zwar vor allem als Grund und Rechtfertigung des Rechts, der Strafe, eigentlich des theologischen Kompromisses, das notwendig war zur Begründung und Rechtfertigung des Staates.

    Je mehr ich mich mit dem Deutschen Herbst und seinen Folgen befasse, umso entsetzter und fassungsloser; Verdrängung der Realität, Durchsetzung von Gesinnungen und Fakten durch Rechtsmittel, gefährliche Entwicklung, Verdrängung des Gewissens, der Humanität (des „inneren Schweinehundes“). Zusammenhang der Isolationshaft von Irmgard Möller mit den ungeklärten Toden in Stammheim; Interesse der Justiz sowohl an den Toden als auch an der Verweigerung der Aufklärung setzt sich fort in der Aufbauschung der gesamten alternativen Szene zum Terrorismus; wieviel Isolationshäftlinge gibt es eigentlich inzwischen? was ist an dem Hinweis von Klaus Jünschke, wonach die verantwortlichen Stellen wissen, daß aufgrund von Aussagen im Vorgriff auf die Kronzeugenregelung Urteile gefällt (und Menschen verurteilt) wurden, obwohl diese Aussagen nachweislich falsch sind? Herr Bode, den Herr Jünschke direkt angesprochen hat, hat nicht widersprochen (in einer Talkshow vor kurzem).

    Verdacht, daß eine parlamentarische Aufklärung – wie in der Parteispenden-Affaire – nicht zu erwarten ist, weil alle beteiligt sind (SPD/FDP als damals verantwortliche Regierung; CDU ohnehin).

    Vorfall Startbahn:

    . Staatsanwaltliche Ermittlung ohne Ergebnis: nicht herauszubekommen, wer die Festnahme überhaupt vorgenommen hat;

    . Schreiben an einen Landtagsabgeordneten landet bei der Polizei.

    Weitere Erfahrungen:

    . Frage nach dem Namen eines Polizeibeamten: „Ich heiße Anders, heute heißen hier alle Anders (anders)“,

    . Frage nach der Dienstnummer: „4711“.

    Zu den sieben Werken der Barmherzigkeit vgl. Matth. 25, V. 34-40.

  • 16.07.88

    Die Nazizeit hat bei den Beteiligten (und den Nachfahren) Rechtfertigungszwänge für Tatbestände, die nach den Kriterien persönlicher Schuld kaum noch sich dingfest machen lassen, ausgelöst, die dann in den neuen Schuldzusammenhang (der „zweiten Schuld“) erst hineingeführt haben; insbesondere die Hypostasierung des Rechts (vor dem diese Schuld sich nicht fassen läßt) hängt hiermit aufs folgenträchtigste zusammen. Wenn der Satz „Ideologie ist Rechtfertigung“ stimmt (wie übrigens auch die theologische Umkehrung „Rechtfertigung ist Ideologie“), dann ist ein Zustand erreicht, der droht, reine Ideologie zu werden. Vor dem Recht sind offensichtlich die Beamten (Richter, öffentliche Verwaltung, Polizei), ohne die die Verbrechen nicht möglich gewesen wären, unschuldig, während die, die es wirklich sind, an der Last des Entsetzlichen zerbrechen. Hier läßt sich mit Händen greifen, was Benjamins Hinweise auf den Zusammenhang von Recht, Schicksal und Mythos in der Realität bedeuten. (Luthers Rechtfertigunglehre war die notwendige Folge seiner verzweifelten Anerkennung der „rechtmäßigen Obrigkeit“: das Tor für den Einbruch des Mythos ins Christentum hat Paulus eröffnet; Zusammenhang der Rechtfertigungslehre mit der paulinischen Rechtfertigung der Herrschaft und dem Ausschluß der Frauen! – Gibt es eigentlich ein matriarchalisches Recht? Ist das Recht gleichursprünglich mit dem Patriarchat? Hat es irgendwann einmal Richterinnen gegeben? Sind Recht, Patriarchat und Mythos gleichursprünglich?)

    Barock als Ideologie-Generator: Die Reformation hat die Kirche unter Rechtfertigungszwang gestellt, die Gegenreformation hat das Gesetz der Rechtfertigung rein durchgesetzt.

  • 23.07.88

    Unterscheidung der juristischen von der ethischen Person; „Ich“ sagen kann nur diese, während jene – ähnlich dem „transzendentalen Subjekt“, das mit ihm den gemeinsamen Ursprung hat – ausschließlich als Produkt von Vergesellschaftung (Intersubjektivität) sich begreifen läßt. Vor allem jedoch unterscheiden sich beide durch ihr Verhältnis zur Schuld: Die ethische Person ist in Schuld verstrickt, aus der sie sich nur befreien kann, soweit sie diese Verstrickung sich eingesteht, sich der Schuld bewußt wird; die juristische Person wird in dem Maße, in dem sie Schuld vermeidet, der Schuld sich entzieht, zum Ursprung des Schuldzusammenhangs (wie das einzelne Objekt im Raum zum Ursprung eines Inertialsystems: sie wird somit zum Ursprung des Materialismus, auf den sie so wütend reagiert, weil sie in ihm sich erkannt, durchschaut fühlt) und damit absolut schuldig. Das Problem des Christentums und seiner Geschichte scheint daraus herzurühren, daß es diese beiden getrennten Personbegriffe nicht nur nicht unterscheidet, sondern daß sie versucht hat, sie in eins zu setzen (Konsequenzen für die Trinitätslehre?). Aber kann die juristische Person selig werden? Oder gibt es im Bereich des Rechts überhaupt einen Ausblick auf das, was mit der Idee des seligen Lebens einmal gemeint war? – Das Schlimme ist, daß man es den Leuten ansehen kann, daß sie ans selige Leben nicht mehr glauben, daß aber niemand es mehr sieht.

  • 2.5.1997

    Heute schilt man die Reflektierenden rücksichtslos, weil sie auf die Verdrängungen der Andern keine Rücksicht nehmen. Empfindlich ist das zur Schuldreflexion unfähige Gewissen.

    Zur antisemitischen Vorgeschichte der Denunziation: Stefan Wyss berichtet von einem Fall aus der Geschichte der Inquisition, in dem ein Beichtvater einer Beichtenden, die einer marranischen Gruppe angehörte, die Absolution nur unter der Auflage erteilte, daß sie die anderen Mitglieder dieser Gruppe bei der Inquisition denunzierte.

    Aus dem gleichen Umkreis stammt auch der Begriff der „Selbstbezichtigung“, der auf ein Verhalten sich bezog, durch das ein Verdächtiger unter gewissen Bedingungen der Verfolgung sich entziehen konnte. Der Ausdruck war insofern begründet, als mit einer Selbstbezichtigung nur der Verdacht sich bestätigen, nicht aber die Tat sich nachweisen ließ; eine Selbstbezichtigung unterschied sich vom Schuldbekenntnis, vom Eingeständnis der Tat, dadurch, daß sie auch falsch sein konnte. Nach der Inquisition haben erst die stalinistischen Schauprozesse wieder von diesem Mittel Gebrauch gemacht.

    Im Munde der Bundesanwaltschaft gewinnt der Begriff der Selbstbezichtigung die Qualität eines instrumentalisierten Freudschen Versprechers: Hier wird ein begriffliches Merkmal der Anklage, die in der Tat eine bloße Bezichtigung ist, auf das Bekenntnis der Täter verschoben: hier wird das Bekennerschreiben, das eins ist, zum „Selbstbezichtigungsschreiben“, das offen läßt, ob der, der es verfaßt und veröffentlicht hat, auch die Tat begangen hat, deren er sich „bezichtigt“. Imgrunde kann die Anklage in Staatsschutzprozessen nur davon ausgehen, daß die Angeklagten grundsätzlich lügen, Beweismittel manipulieren oder vernichten, daß m.a.W. ein rationaler Diskurs mit den Angeklagten nicht möglich ist; deshalb gibt es zur Isolationshaft keine Alternative. So „bezichtigt“ z.B. die BAW Birgit Hogefeld nur der Taten, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie sie auch begangen hat; für das Gericht gelten diese Bezichtigungen so lange, wie sie nicht widerlegt werden, als bewiesen. Und diese „Beweisführung“ wird dadurch erleichtert, daß die Angeklagte durch die Haftbedingungen in ihren Verteidigungsmöglichkeiten behindert wird (apagogische Beweisführung unter Laborbedingungen).

    Zur inneren Differenzierung des Begriffs der Selbstbezichtigung: In der Geschichte der Verfolgung der Marranen ging es darum, die Infamie mit ihren eigene Waffen zu bekämpfen, um sich selbst, das eigene Jüdischsein, zu retten; in den stalinistischen Prozessen dagegen um das Mitspielen in einem Schauspiel, das, um die Idee der Befreiung zu retten, die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollte, auch wenn man selbst dabei zum Opfer wurde (wie hängt die Idee der proletarischen Revolution mit Hegels „Weltgericht“ zusammen, und die Selbstbezichtigungen der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen mit Marx‘ „Veränderung der Welt“?).

    Über das Verfahren des apagogischen Beweises hängt das Marranenproblem mit der Geschichte der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zusammen, die in den Staatsschutzprozessen endet.

    „Schweinehund“: Marranen (zwangsgetaufte Juden, die nur äußerlich der christlichen Umwelt sich anpaßten, im Innern aber Juden geblieben waren) waren „Sauhunde“; die Wut, die sie in ihrer Umwelt hervorriefen, gründete darin, daß die zwangsangepaßten Christen in ihnen sich selbst und die Logik des Zwangsbekenntnisses, dem sie sich unterworfen hatte, wiedererkannten. Erweist sich nicht vor diesem Hintergrund Name des Schweinehundes und der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (heute: die „Dressur des inneren Schweinehundes“) als das missing link in der Geschichte des Übergangs vom Antijudaismus zum Antisemitismus, bezeichnet er (im Bilde des Marranen) nicht den Punkt, an dem der Antijudaismus rassistisch wird?

    Zur Vorgeschichte der Klandestinität gehört das Marranentum (vgl. auch die Geschichte der Schiiten, die „Praxis der Verheimlichung, verbunden mit politischer subversiver Tätigkeit“ im Kontext der „Privatisierung öffentlicher Macht“ bei Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 459f).

    Die Parabel vom Weizen, der auf den Weg, auf steinigen Grund, unter die Dornen fällt, ist eine Parabel über den Zustand der Welt, in die das Christentum hineingeschickt wird.

    Bis heute haben alle Rachephantasien nur dem Feind genützt, haben ihn stärker werden lassen.

    In der Schrift sind nur männliche Namen theophore Namen, weibliche Namen sind im allgemeinen aus der Pflanzen- und Tierwelt.

    Die Frage nach dem Naturgrund von Herrschaft ist eins mit der kantischen Frage, warum die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind. Weist sie nicht zurück auf den zweiten Schöpfungstag, die Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern trennt?

    Ist das Relativitätsprinzip das naturwissenschaftliche Pendant der „Feste des Himmels“, und ist es nicht – als Instrument der Instrumentalisierung – der Unzuchtsbecher, das Instrument der Dauervergewaltigung?

    Im Feuer manifestiert sich die Beziehung zwischen dem Angesicht und dem Seitenblick: zwischen dem Licht und seiner Abbildung im Inertialsystem, der Elektrodynamik. Das Feuer wird in der Physik selber repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die Planck’sche Strahlungsformel.

    Die Beziehung von Natur und Freiheit bei Kant ist Ausdruck dieser Beziehung des Seitenblicks zum Im Angesicht: des Feuers.

    Der Bann der Anpassung an die Welt (an den objektivierenden Seitenblick) läßt sich nur durch die Theologie im Angesicht Gottes, in dem ich mir selbst durchsichtig werde, lösen.

    Theologie heute: Der Versuch von etwas zu reden, von dem man – wie Franz Rosenzweig von Gott Mensch Welt – nichts weiß. Die Bewegung, die dieses Nichtwissen bei Franz Rosenzweig durchläuft: Ist das nicht die Bewegung, in der Daniel den Traum des Nebukadnezar, den dieser nicht mehr weiß, rekonstruiert?

    Zur Gegenreformation gehört eine Moraltheologie, die als Pornographie im Gewande der Moral sich begreifen läßt. Sie stellt Adornos Satz „Erstes Gebot der Sexualethik: Der Ankläger hat immer Unrecht“ auf den Kopf.

    Hat das Wort „Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ etwas mit der Beziehung von Occident und Orient zu tun, mit Westen und Osten (ex oriente lux)?

    Ist nicht der apagogische Beweis, der das heliozentrische System fast unangreifbar macht, der Instrumentalisierungsbeweis (der Beweis durchs Experiment)? Dehalb gehört zum apagogischen Beweis, der insbesondere als Instrument des Staatsschutzes Anwendung findet, die Folter. Die Zwangsbekehrung der Juden (das Marranentum) war ein Instrument der Selbstinstrumentalisierung der Religion, die experimentelle Erprobung der Reichweite der Bekenntnislogik. Der Preis war die Universalisierung der Feindbildlogik und die Außerkraftsetzung des „in dubio pro reo“. Sie hat den Angeklagten zum Feind gemacht, gegen den die Anwendung der Folter zulässig ist. In der Konsequenz dieser Logik wird der Ankläger zum Anwalt des Staates, des Rechts, nicht der Gerechtigkeit (der Gebrauch, der im Titel des Staatsanwalts vom Namen des Staats gemacht wird, setzt an die Stelle der Gerechtigkeit das Recht, trennt das phainomenon vom noumenon).

    Wie hängt der apagogische Beweis mit der Selbstbegründung der Mathematik (mit der Konstruktion des adialogischen synthetischen Urteils apriori) zusammen, der Begründung einer Welt, die sowohl vom Licht wie von der Sprache abstrahiert?

    Das Gravitationsgesetz ist das Bild des Schuldverschubsystems.

    Gibt es einen Zusammenhang der Pluralisierung des tän hamartian tou kosmou zu den peccata mundi mit der Konfessionalisierung des homologein (dem Ursprung der Bekenntnislogik)? Und wie hängt die Konfessionalisierung des symbolon zusammen mit der Geschichte der Confessiones (von Augustinus bis Rousseau)?

    Gehört der Selbstmord des Uriel da Costa (der seiner Confessio, dem Exemplar humanae vitae, folgt) in die Geschichte der Selbstmorde, die mit dem kollektiven Selbstmord in Massada beginnt und mit Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) endet?

    Ist nicht die Amsterdamer Bannformel (gegen Uriel da Costa und dann, veschärft, gegen Spinoza), ein Indiz der Infizierung der Synagoge durch die Bekenntnislogik?

    Das Problem der Beichte verweist auf das der Sündenvergebung, der Bekehrung des einen Sünders, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, der Bekehrung des Sünders von seinen Wegen des Irrtums, und in diesem Zusammenhang auch auf das Problem des Worts vom Binden und Lösen. Nicht die Verurteilung der Wege des Irrtums, sondern ihre Reflexion ist der Beginn dieser „Bekehrung“.

    Emmanuel Levinas zufolge verkörpert das Angesicht des Andern das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Zugleich widerlegt das Angesicht des Andern das Konstruktionsprinzip der subjektiven Formen der Anschauung: den Staat.

    Der erste Handel war Fernhandel, die erste Form des Erwerbs der Raub, zu den ersten Waren gehörten die als Sklaven auf dem „Markt“ angebotenen Kriegsgefangenen (zu denen auch die Frauen gehörten: Exogamie, Inzest-Verbot).

  • 24.4.1997

    „Der Junge blieb vor dem Fenster stehen und starrte hinaus: ‚Der Mondschein‘, sagte er, ‚macht die ganze Natur so – knochenlos; die Sonne erweckt in dem Menschen Tatendrang, der Mond Gefühle.‘ – ‚Ja, das ist wahr‘, sagte Wenzlow lächelnd. ‚Darum ist die Sonne im Französischen männlich, le soleil. Der Mond, la lune, ist weiblich.’“ (Anna Seghers: Die Toten bleiben jung. Darmstadt und Neuwied, 1977, S. 386) Welche Konsequenzen hat diese Bemerkung für das Verständnis der deutschen Sprache, ihres sprachlogischen und herrschaftsgeschichtlichen Grundes?

    „Sie wachte zuweilen nachts auf und dachte: Ich möchte mein Kind aufpacken und weit weggehen. Wohin? Es gab kein Wohin mehr.“ (Ebd. S. 402) – Genauer läßt sich die Welt, die im Faschismus sich ausdrückte und die er hinterlassen hat, nicht beschreiben, als durch diese Zerstörung des Wohin. Es gibt keine Ziele mehr, auch keine Fluchtorte vor dem allgegenwärtigen Schrecken.

    Dritte Leugnung: Die Unterstützung des Nationalsozialismus im Rußlandfeldzug, im „Kreuzzug gegen den Bolschewismus und das Judentum“, in dem „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war, hat die Kirchen in den Abgrund mit hereingezogen, den die Nazis eröffnet haben, und der sich seitdem nicht mehr schließen läßt.

    Ist F.W. Marquardt nicht ein Beispiel dafür, daß die Theologie heute eine Opfer ihrer Sprache ist? Der Abgrund, in den die Theologie hereingezogen wurde, ist der Abgrund der Indikativs. Der Indikativ ist die Sprache der Exkulpation durch Objektivierung, durch Distanzierung von der Sache, die Sprache der reflexionslosen Verurteilung. Die Konstituierung und Rechtfertigung der Gegenständlichkeit hat den Imperativ aus der Sprache vertrieben, der dem Kommando im Wege stand, er hat den Namen Gottes geschändet, die Attribute Gottes unerkennbar gemacht.

    Der sprachlogische Grund des Indikativs ist das Neutrum und die Subsumtion Flexion der Verben, der Formen der Konjugation, unter die Zeit. Deshalb hat nur die Sprache der Schrift, das Hebräische, theologische Qualität, die anderen Sprache nur insoweit, wie es gelingt, die Schrift in diese Sprachen zu übersetzen. Ist das „Neue Testament“ nicht das Paradigma des Problems der Übersetzung der Schrift, und das Christentum die Folge eines – unter dem Zwang, nicht mißverstanden zu werden – unvermeidlichen und notwendigen Mißverständnisses?

    Der Antisemitismus hat den Trieb, nicht mißverstanden zu werden, vollendet und damit endgültig ins Leere laufen lassen. Er gründet in einer Sprache, die Mißverständnisse nicht nur nicht ausschließt, sondern keine Alternative mehr dazu kennt. Das innere Gesetz dieser Sprache ist der Indikativ. Hegel hat den Kern dieses Gesetzes im Begriff der List der Vernunft zu begreifen versucht. Der Antisemitismus ist das natürliche Ende dieser List der Vernunft (der Instrumentalisierung des Mißverständnisses).

    Die Instrumentalisierung des Mißverständnisses begründet die Logik der Gemeinheit (den logischen Kern des Antisemitismus). Kant hat das Gesetz dieser Logik in der transzendentalen Ästhetik vor Augen gestellt: in den „subjektiven Formen der Anschauung“. Aus dieser Wurzel stammen Hegels List der Vernunft, sein Begriff des Scheins und die Idee des Absoluten. Dem korrespondieren die drei den Indikativ sprengenden Kategorien, die Franz Rosenzweig im Stern der Erlösung benannt hat: die Umkehr (das Bild vom Koffer), den Namen (Name ist nicht Schall und Rauch) und das Angesicht. – Das Angesicht, das in der christlichen Idee der Anschauung Gottes, aus der jede Erinnerung an den göttlichen Namen getilgt ist, zum Ende der spekulativen Idee gemacht worden ist, ist bei Franz Rosenzweig der Anfang des Lebens (die Befreiung aus der Isolationshaft des Anschauens).

    Der Indikativ ist die Sprachlogik des objektivierenden Blicks, des Seitenblicks. So hängt er mit den subjektiven Formen der Anschauung (dem Instrument der Vergegenständlichung) zusammen.

    Der christliche Kanon der Schrift (des „Alten Testaments“), der die prophetischen Bücher zu historischen Büchern gemacht hat, ist ein Modell der kopernikanischen Wende, sein Vorläufer in der Theologie, der erste Ausdruck des Seitenblicks, sein Preis war der christliche Antijudaismus. In diesem Modell der kopernikanischen Wende waren die Elemente der Logik schon vorgebildet, die dann den Sternenhimmel, die ganze Natur und mit ihnen den Staat, den Begriff der Politik, verhext haben: Das heliozentrische System war der logische Grund des aus ihm erwachsenen Nationalismus, in dessen Dienst schon die Umwidmung der prophetischen in historische Bücher stand.

    Die Geschichte des Christentums hat ihren theologischen Ort zwischen Tod und Auferstehung: in der descensio ad inferos.

    Läßt sich nicht das Verhältnis von Leviticus und Deuterinomium am Verhältnis von Lev 26 und Dt 28 demonstrieren (und das Verhältnis des Exodus zum Deuteronomium an den beiden Fassungen des Dekalogs)?

    Der islamische theologische Topos, daß Gott die Welt in jedem Augenblick neu erschafft, ist die zwangsläufige Konsequenz einer Gottesidee, die – wie der Begriff des Absoluten – vom Staat nicht zu trennen ist. Die volle Schöpfungsmacht, die hier in jedem Augenblick auf das Geschöpf prallt, ist der theologische Grund des Islam, der Ergebung in Gottes Allmacht, der nichts widerstehen kann. Die Erfahrungsgrundlage dieser Schöpfungsmacht ist die Staatsgewalt.

    Sind nicht die Rechtsstaatsideologie und der Habermas’sche Verfassungspatriotismus ein Versuch, des faschistischen Erbes, das durch Reflexion aufzulösen wäre, durch einen zweiten Objektivationsschritt Herr zu werden: „Dressur des inneren Schweinehundes“. Die Reflexion, die heute notwendig ist, ist ohne die Hilfe der Theologie nicht mehr zu leisten.

    Zu Walter Benjamins Engel der Geschichte: Die Trümmer, die vor ihm sich aufhäufen, ist das nicht der Schutt, unter dem wir begraben sind, und zugleich der Leichenberg, auf dem wir stehen? Hängt das nicht mit der Konstruktion des Zeitkontinuums zusammen, durch den wir uns sowohl an den Anfang wie auch ans Ende der Zeitreihe, die beide im Unendlichen liegen, setzen? Die Aufspaltung der Zeit, die dem Indikativ zugrunde leigt, wird erzeugt und stabilisiert durch die Begriffe Natur und Welt. Die Natur ist der Leichenberg, die Welt der Trümmerhaufen. Dagegen richtet sich der Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.

    Der Atheismus hat in der Linken seit je die Regression gefördert.

    Das Problem Miskottes ist, daß er aus dem Zwang zur Erbaulichkeit, in den ihn die Gemeindetheologie hineinführt, nicht herauskommt.

    Die Kirchengeschichte der Theologie: Dogma, Orthodoxie und Bekenntnislogik, gründet in der Verwechslung von Erkenntnis und Wissen. Das Wissen ist ein Produkt der Vergesellschaftung von Erkenntnis (die Habermas durch seinen Begriff der „privilegierten Erkenntnis“ zu diskriminieren gezwungen ist). Das Wissen subsumiert die Erkenntnis unter das Objektivierungsgesetz, das insbesondere die Gotteserkenntnis strikt ausschließt. „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott.“ Das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, ist die ins Wissen transformierte Erkenntnis. Die Häretiker sahen das Unkraut, sie wollten es vor der Ernte ausreißen. Mit der Verurteilung der Häresien hat die Kirche nur den Blick auf das Unkraut verboten, seine Wahrnehmung untersagt: hat sie nicht anstelle des Weizens das Unkraut in ihrem Garten gehegt und gepflegt?

    Die kopernikanische Wende (der die Kirche mit der Entwicklung des Dogmas und der Ausbildung der Orthodoxie vorgearbeitet hat) hat die Sensibilität in Empfindlichkeit verwandelt. Ausdruck dessen war die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten, die Subjektivierung der „Empfindungen“.

    Steckt das Problem des Lichts nicht in der Geschichte der Auseinandersetzung Goethes mit der newton’schen Optik, in der Beantwortung der Frage, ob aus den Farben, aus den Brechungen des Lichts, das Licht sich rekonstruieren läßt? Goethes Bemerkung, daß die Mischung aller Farben grau, nicht weiß ergibt, ist ein Hinweis darauf, daß die Brechung des Lichts wie der Tod irreversibel ist. Physikalischer Ausdruck dieser Irreversibilität ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: So hängt der Bogen in den Wolken mit dem Inertialsystem zusammen.

    Was hat der Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit dem Bogen in den Wolken zu tun?

    Der Bogen in den Wolken verkörpert die Naturbeherrschung in allen ihren Gestalten: Er ist das gegenständliche Korrelat des Schreckens der Tiere.

  • 14.4.1997

    Das reflektierende Urteil ist das Urteil im Felde der Schuld.

    Es gibt einen Punkt, an dem Sensibilität und Empfindlichkeit nicht mehr sich unterscheiden lassen.

    Jede Welt definiert einen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang. Jede Tiergattung konstituiert eine Welt, jede Tiergattung verkörpert eine transzendentale Logik.

    Ist das Horn das Produkt einer in die enge getriebenen Furcht?

    Pantheon: Die Wege des Irrtums sind die Wege der Sternenanbeter. Und der Sternenanbeter ist der eine Sünder, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel herrscht als über 99 Gerechte.

    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Welche und wieviele Arten der Opfer sind im Levitikus beschrieben und geregelt, und haben diese Opfer etwas mit den sieben Siegeln zu tun?

    Zum Verständnis des Christentums: Die Sonntagsruhe ist nicht die Sabbatruhe.

    Die Barbaren sind die Fremden, der Name der Barbaren verweist auf den Ursprung des Handels, der Barbarei, des Inszestverbots.

    Verweisen Jupiter und Mars auf Königtum und Feindbildlogik, Venus und Merkur auf Inzestverbot und Handel?

    Haben die sieben fetten und die sieben mageren Jahre etwas mit der Astrologie zu tun (oder auch mit Judentum und Christentum), und ist nicht die Voraussetzung die Rehabilitierung des Mundschenks und der Vollzug der Todesstrafe gegen den Oberbäcker?

    Es gibt keine Ehe, in der man nicht auch die Grenze des Geliebtwerdens erfährt. Dem standhalten: Das ist die Ehe. Hat diese Treue etwas mit pistis zu tun?

    Das Vertrauen in die göttlichen Verheißungen sollte soweit reichen, daß auch die Idee der Auferstehung dabei nicht aus den Augen verloren geht.

  • 7.4.1997

    Die Dreidimensionalität des Raumes begründet seine redundante Struktur und damit die Identität des Objekts, des Urteils und des Begriffs.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Beelzebubisierung, sie begründen das Reich, das mit sich nicht uneins ist: die Einheit des Herrendenkens.
    Die Farben sind aus den Konstruktionen der elektrodynamischen Objektivation und Instrumentalisierung des Lichts nicht rekonstruierbar. Im Seitenblick auf die Farben, im Blick von außen, verschwindet ihre Qualität (die Schmerzen des Andern sind beschreibbar, sie können „nachgefühlt“ werden, sind aber kein Inhalt meiner Empfindung).
    Die Erlösung ist nicht identisch mit der Freiheit von Schuldgefühlen. Beide, die Freiheit von Schuldgefühlen wie auch die „Schuldgefühle“ selber, sind generell pathologisch. Nur dem, der die Sünden (die er vergeben kann) vergibt, werden die Sünden vergeben.
    Ist nicht die Lehre von der ewigen Wiederkunft ein Versuch, die Idee der Auferstehung zu retten, auch wenn die Vergangenheit irreversibel ist?
    Wie hängt der Begriff der Schwere der Schuld mit der Einstein’schen Identität von träger und schwerer Masse (und der Bogen in den Wolken mit dem Gravitationsgesetz) zusammen? Gründet nicht die Beziehung der Farbe zu den Manifestationen seiner elektrodynamischen Objektivation (seiner Instrumentalisierung) in der Beziehung zur Schwere? Und ist diese Instrumentalisierung nicht der genaueste Ausdruck der Hegel’schen List der Vernunft? Sind die subjektiven Formen der Anschauung das Instrument der List der Vernunft?
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das Problem der Konstituierung der elektrodynamischen „Erscheinungen“ (ist nicht der Korpuskel-Welle-Dualismus die Widerlegung des naiven Realismus der Mikrophysik?).
    Die spezielle Relativitätstheorie ist selber noch abstrakt: Konstant ist nicht die Lichtgeschwindigkeit, sondern die Relation, die sich darin ausdrückt. Und kann es nicht sein, daß diese Relation (der „Wert“ der Lichtgeschwindigkeit) selber noch eine abhängige Variable ist?
    Ist nicht die von Heisenberg und Weizsäcker nach dem Krieg etablierte Legende ein Paradigma des kollektiven Verdrängungsprozesses in Deutschland?
    Der erste Ausdruck der List der Vernunft war der unbewegte Beweger des Aristoteles, der dann bei Hegel als die Idee des Absoluten sich enthüllte. Zwischen Aristoteles und Hegel liegt der gesamte Prozeß der europäischen Aufklärung, der die Geschichte der christlichen Theologie und die der Naturwissenschaften mit einschließt.
    Drücken nicht Lev 2619 und Dt 2823 die beiden Aspekte des Inertialsystems aus:
    – den Himmel über euch will ich wie Eisen machen und die Erde wie Erz, und
    – der Himmel über deinem Haupt wird ehern sein und die Erde unter dir von Eisen?
    Vgl. hierzu Lev 26 und Dt 28 im ganzen.
    Wenn die Erde zum festen Boden wird, wird der Himmel zum Schicksal, zur Feste des Himmels.
    Die Philosophie ist das work in progress der Instrumentalisierung des Schicksals, der Instrumentalisierung des Himmels.
    Vor eine Theorie des Namens wäre das Motto: in philosophos, vor eine Theorie des Angesichts: in theologos, und vor eine Theorie des Feuers: in tyrannos zu setzen.
    Der azurne Himmel des Tages und der Sternenhimmel der Nacht: die von beiden Seiten beschriebene Buchrolle.
    Das Anschauen ist der Grund (und das Instrument) der Gewalt der Objektivierung.
    Am Anfang des Christentums steht ein Urschisma (die Abgrenzung gegen die Juden) und eine Urhäresie (die Gnosis).
    So wie der Staatsschutz die RAF, so braucht der nur verdrängte Antisemitismus den Netanjahu.
    Stehen nicht
    – das Sacharja-Wort „Wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an“ (28) und
    – der letzte Satz des Jakobusbriefs „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, der wird seine Seele vom Tode retten“ (520)
    in einer merkwürdigen Beziehung? Auf wen beziehen sich die Possessivpronomen vor Augapfel und Seele?
    Es gibt ein starkes Selbstmordmotiv, wonach einer mit einem Selbstmord Menschen, die ihm nahe sind, bestrafen möchte. Hierbei geht der Selbstmörder davon aus, daß der Tod nicht der Tod des Andern ist, sondern ein Tod für andere. Diese Instrumentalisierung, die eines der stärksten Selbstmordmotive ist, ist das Grundmodell und das Paradigma des Schuldverschubsystems.
    Ist nicht das exemplarische Beispiel des logischen Schlusses ein Paradigma der Beziehung der Philosophie zum Schuldverschubsystem:
    Alle Menschen sind sterblich;
    Sokrates ist ein Mensch;
    Also ist Sokrates sterblich?
    Die Philosophie hat das indogermanische grammatische Perfekt ratifiziert: Sie hat die Vollendung durch den Tod ersetzt. Gegen diesen Schluß richtet sich der letzte Satz des Jakobusbriefs.
    Die Bekenntnislogik steht unterm Bann der List der Vernunft. Die List der Vernunft hat das Bekenntnis aus dem Bereich der Logik des Namens in den des Begriffs übertragen. Der Preis war die Vergöttlichung des Jesus im Sinne der Idolatrie.
    Das Gebot gründet im Angesicht; zum Gesetz wird es hinter dem Rücken.
    Im Namen erinnere ich das Angesicht.
    Goethe-Denkmal: Das Bild begründet das Gesetz.
    Die Mathematik hat die Transformation des Angesichts ins Bild (des Gebots in das Gesetz) automatisiert. Das Inertialsystem totalisiert diese Transformation. Dazu braucht der Raum seine drei Dimensionen.
    Wird dieser Transformationsprozeß nicht täglich in der Dämmerung, im Sonnenuntergang sinnlich erfahrbar?
    „Es ward Abend und es ward Morgen, ein erster (zweiter etc.) Tag.“ Davor steht der Satz „Und Gott sah, was er gemacht hatte, und siehe, es war gut“. Wenn beide Sätze getrennt werden, was steht dazwischen? Am zweiten Tag, an dem das „… es war gut“ fehlt, steht vor dem „Es ward Abend …“: „Und Gott nannte die Feste Himmel“.
    Wie hängen Nacht und Tag (das Sechstagewerk) – auch Mond und Sonne, die über die Nacht und den Tag herrschen – mit dem „der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ zusammen?
    Vermag die Kraft der Reflexion auch die Planetenbahnen, die „Wege des Irrtums“, zu durchdringen? Liegt es an ihr, dem Himmel die Freude der Bekehrung des einen Sünders zu bereiten? Planeten sind Urteilszentren; auf sie bezieht sich die Kraft der Reflexion.
    Ist die Merkaba der Verführung der Größe erlegen, der gleichen Verführung, die fürs Christentum vom Staat ausgegangen ist? Im Islam hat die Staatsverführung als „Religion“ sich verselbständigt.
    Sind die Merkaba, die Kabbala und Sabbatai Zwi der Schlüssel zum Verständnis der korrespondierenden Entwicklungen im Christentum?
    Rede ist organisiertes Geschwätz. Die Rede zielt auf Wirkung, nicht auf Erkenntnis.
    Wäre nicht die Geschichte der Auseinandersetzung mit den Häresien neu zu schreiben: ausgehend von der Erkenntnis, daß die Orthodoxie in dieser Geschichte immer genau das rezipiert hat, was sie formell verurteilt? Das aber heißt, daß es heute keine größere Gefahr, häretisch zu werden, mehr gibt als die in der Bemühung, die Gefahr der Häresie zu vermeiden.
    Zu Jak 219: Heute haben die Dämonen gelernt, auch das Zittern noch zu vermeiden (es auf die Dinge zu übertragen).

  • 3.4.1997

    Die Neutralisierung der Schrift (durch – zwangsläufig antisemitische – Historisierung) war das Modell der Neutralisierung des Faschismus (durch Objektivation, Urteilsmagie: „Verurteilung“, „Dressur des inneren Schweinehunds“).
    Die Neutralisierung (Historisierung) der Schrift steht unter dem Bann des „Wie“ und des „Eigentlich“ („wie es denn eigentlich gewesen sei“), das aber heißt: unter dem Bann der instrumentellen Vernunft, die das „Wer“ und das „Was“ in den Himmel vertreibt, um sie dort zu überwältigen (Kopernikus und Newton; Einsteins Einspruch). Das „Wie“ wird durch die Klugheit der Schlangen, das „Was“ durch die Arglosigkeit der Tauben symbolisiert. Die Taube aber verkörpert den Geist.
    Ist nicht die Christenheit in der Wassertaufe steckengeblieben (Apg 15 u. 814f)? Steht nicht die Geist- und Feuertaufe noch aus? Die Scheiterhaufen (der Versuch, den Geist zu instrumentalisieren) sind der Beweis.
    Auf das „Wer“ gibt es drei Antworten: den Namen, das Angesicht und das Feuer.
    Der erste Schritt zur Erfüllung der Prophetie ist es, wenn die Gegenwart in der Prophetie sich wiedererkennt.
    Religion als Religion für andere (Instrumentalisierung der Religion) ist der Nährboden des Faschismus.
    Ist nicht Kirche heute die Kirche derer, die die Wahrheit der Religion zwar nicht mehr kennen, es aber für wichtig halten, daß es Religion gibt. Pfarrer wird, wer sich für berufen hält, diese Religion zu organisieren. Diese Geschichte der Kirche hat zu tun mit dem Verhältnis von Name und Begriff.
    Der Begriff (in dem strengen Hegel’schen Sinn) ist die Verkörperung des Gattungslebens der Menschheit.
    Ist nicht der Kreuzestod Jesu die innerste Konsequenz einer Intention, die darauf abzielte, den Bann der Instrumentalisierung in seinem Kern, in einer Religion, die nur noch Religion für andere ist, zu lösen?
    Empörung ist einer der Knotenpunkte (zu denen auch die Bekenntnislogik gehört), an denen die Schuldverschiebung, die Selbstentlastung durch Projektion, das Feindbilddenken, die Verdummung und die Verrohung sich schürzen, ihr systemischer Zusammenhang sich demonstrieren läßt.
    Die Feindbildlogik ist pornographisch: Sie geilt sich an der in den Andern hineinprojizierten eigenen Gemeinheit auf. Empörung ist Unzucht. Empörung ist Ausdruck einer Idolatrie, deren Gott das Selbst ist (Verinnerlichung des Opfers).
    Naturvölker sind gleichsam Naturprodukte der Paranoia, der sie nichts entgegenzusetzen haben. Die Zivilisation hat – mit der Erfindung der Barbaren – die Paranoia instrumentalisiert (die instrumentalisierte Paranoia ist die Klugheit der Schlangen: deshalb hat die Aufklärung im Sündenfall sich wiedererkannt).
    Das Christentum als Religion und die christliche Theologie sind in diese Geschichte der Paranoia verstrickt (Symptom dieser Paranoia war seit je der kirchliche Antijudaismus).
    Angriff und Verteidigung bleiben im Bann der Klugheit der Schlangen.
    Das Christentum hat durch Privatisierung der Herrschaftsgeschichte die Astrologie, die in diese Herrschaftsgeschichte verstrickt ist, nur obsolet gemacht, sie hat ihr Rätsel nicht gelöst. Das Verhältnis Babylon/Rom spiegelt die Geschichte dieser Privatisierung aufs genaueste wider.
    Johannes in der Apostelgeschichte (Petrus und Johannes, die „drei Säulen“)!
    Nicht die Angst vor der Denunziation, sondern der Schrecken davor, daß es Denunziation gab, daß Menschen dazu fähig waren, war der Schrecken des Faschismus.
    Rekonstruktion des Tags: Der azurblaue Himmel und der Bogen in den Wolken?
    Zum Schuldverschubsystem gehört auch ein Vergessen: Es genügt nicht mehr, daß man einem etwas sagt, man muß ihn auch noch daran erinnern. Nur so ist das aktive Vergessen, dessen Opfer heute die theologische Tradition ist, zu erklären. Es gibt niemanden mehr, der daran erinnert.
    Der Fundamentalismus hat für seine Anhänger den Vorteil, daß sie nicht denken brauchen.
    In seiner Idee eines Natursubjekts hat Bloch die ökologische Bewegung antizipiert, die das Natursubjekt (das dumpfe, bewußtlose Leben) bewahren möchte, darüber aber das Proletariat, die ganze Masse der Unterdrückten, Ausgebeuteten und Verachteten, vergißt.
    Auch die Biolandwirtschaft ist eine Marktstrategie.
    Das Eingedenken der Natur im Subjekt (der Quell der Sensibilität) ist etwas anderes als die Erinnerung an die gequälte Natur (der Reflex der Empfindlichkeit).
    Reproduziert sich nicht in Habermas‘ Kommunikationstheorie die Dumpfheit und Bewußtlosigkeit der Natur? Erschreckend ist allein, wie schnell und wie widerstandslos diese Dumpfheit und Bewußtlosigkeit in die Köpfe eindringt.
    Sind nicht alle ökologischen Probleme auch realsymbolische Probleme, die die Ökologie fundamentalistisch mißversteht? Die atomare Drohung, das Waldsterben und das Ozonloch werden erst dann wirklich verstanden, wenn auch das Symbolische darin, ihr Zusammenhang mit der „Natur im Subjekt“ verstanden wird.
    Wenn ein Kind in den Brunnen fällt, wird alle Ästhetik zynisch; dann bleibt nur das Retten. Nur: Das Kind, das gestern in den Brunnen gefallen ist, kann ich heute nicht mehr retten. Und die Verurteilung derer, die zugesehen, es aber „nicht wahrgenommen“ haben, mag mich entlasten, aber dem Kind hilft’s nicht mehr. Was hilft, wäre allein die Reflexion darauf, welche Kräfte und welche Mechanismen in den Zuschauern den Impuls zu retten unterdrückt und sie am Eingreifen gehindert haben.
    Die Geschichte als Entfaltung der Herrschaftslogik, die alles unter sich begräbt, ist Teil der Geschichte eines Anfangs, der noch nicht abgegolten ist, der zu wenden wäre. Hier ist der eine Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte. Und es ist die Bekehrung dieses Sünders von seinen Wegen des Irrtums, mit der der Bekehrende seine eigene Seele rettet.
    Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit und die eines unendlichen Raumes sind Vorstellungen einer Größe, deren eigentliche Bedeutung in der Vorstellung der eigenen Winzigkeit liegt. Hilft es vielleicht weiter, wenn man sich erinnert, daß der Titel „der Große“ (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) sich als Säkularisat des mythischen Helden, des Heros, begreifen läßt? Diese Größenvorstellung hatte seit je etwas Wahnhaftes, und der Faschismus war ein kollektiver Größenwahn. Sie hängt zusammen mit der Wahnvorstellung dessen, der sich für Napoleon hält. Im Faschismus hat die Paranoia sich als Pest, als Seuche, als ansteckende Krankheit erwiesen.

  • 27.3.1997

    „Pointiert ausgedrückt, war die politische Denunziation gewollt, aber der Denunziant nicht erwünscht.“ (Gisela Diewald-Kerkmann: Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 23) Dieser Satz trifft den Sachverhalt genauer als die nachfolgende Begründung, die zu sehr auf zweckrationale Motive abstellt. In Wirklichkeit gehört diese Konstellation zur zweifellos bewußten und intendierten Instrumentalisierung des double-bind-Mechanismus, zur gezielten Herstellung eines gesellschaftlichen Klimas der Unsicherheit, des Gerüchts, der Angst, des Terrors. Die politische Denunziation als Massenphänomen war ein Instrument der Massenbildung (der Herstellung der „Volksgemeinschaft“, in der keiner vorm andern mehr sicher war) durch bewußte und gezielte Zerstörung des Vertrauens, ohne die es Selbstbewußtsein und Autonomie, in denen der Nationalsozialismus seine schärfsten Widersacher erkannte, nicht gab. Die politische Denunziation gehört zum gleichen Instrumentarium, zu dem auch der Antisemitismus gehört, der nicht zufällig eines seiner Haupt-Wirkungsfelder war. Adorno hat einmal den Antisemitismus das Gerücht über die Juden genannt; das Gerücht aber ist der einzig geeignete Nährboden der Paranoia, von der der Nationalsozialismus und sein handlungslogischer Kern, der Antisemitismus, leben. Das Klima des Gerüchts aber hatte einen fürs Verständnis der Nachkriegszeit außerordentlich wichtigen Effekt: In ihm war der Verdrängungsakt, der bereits im Anfang der Nachkriegszeit die Erinnerung an die Nazizeit unterbunden hat, schon angelegt und vorgebildet. Es dürfte niemanden gegeben haben, der nicht vom Naziterror, von der Judenverfolgung und von der Existenz und der Funktion der KZs gewußt hätte (ohne dieses Wissen hätte es auch die politische Denunziation als Massenphänomen nicht gegeben). Dieses Wissen wurde bewußt und gezielt vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Über die KZs und das, was dort vor sich ging, durfte in der Öffentlichkeit nicht berichtet und nicht einmal gesprochen werden, während gleichzeitig die Gerüchte darüber auf allen möglichen Wegen gefördert wurden. Alle sollten es wissen, denn anders hätte der Terrorapparat seinen Zweck als Herrschaftsinstrument nicht erfüllen können, aber diesem Wissen wurde bewußt (auch mit Hilfe entsprechender Sanktionen) der Weg in die Öffentlichkeit, in den öffentlichen Diskurs, versperrt. Damit war eine wichtige Wirkung garantiert: Diesem Wissen wurde gewaltsam die Qualität des Gerüchts aufgeprägt, so war es als Angstproduzent, als Instrument des Terrors, allgegenwärtig; die Wirkung wurde zugleich auf paradoxe Weise dadurch verstärkt, daß diesem Wissen mit der Öffentlichkeit die Berechenbarkeit, die Möglichkeit des rationalen Umgangs mit dieser allgegenwärtigen Drohung, und damit auch die Erinnerungsfähigkeit entzogen wurde. Deshalb haben alle „nichts davon gewußt“ (d.h., sie haben es gewußt, aber können sich post festum nicht erinnern: auch eine objektive Lüge kann subjektiv ehrlich sein). Ist es ein Zufall, wenn das gleiche technische Instrumentarium im Bereich des sexuellen Mißbrauchs (der den faschistischen Terror wie unterm Wiederholungszwang aus dem politischen Bereich ins Private verschiebt) wiederkehrt?
    Gisela Diewald-Kerkmann weist darauf hin, daß es in der Geschichte der politischen Denunziationen (Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 62ff) zwei Höhepunkte gegeben hat, und zwar 1935/36 und von 1942 bis 1944. Auffällig, daß beide Phasen Krisenphasen des Regimes waren, und daß es sich in beiden Fällen zugleich um entscheidende Phasen der nationalsozialistischen Judenpolitik handelte (Nürnberger Gesetze und „Endlösung“). Fragen:
    – Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Freigabe der Denunziation und der Anheizung des Antisemitismus (Öffnung eines Ventils, Instrumentalisierung der projektiven Verarbeitung der eigenen Zweifel)?
    – Wie hängt diese Geschichte mit der Nachkriegs-Verdrängungsgeschichte zusammen, und welche Folgen hatte sie für den Umgang mit der Nazivergangenheit nach dem Krieg („Kollektivscham“, Verurteilung statt Erinnerung, Funktionalisierung des „Terrorismus“)?
    Gibt es ein Äquivalent zu Denunziation und Antisemitismus in der Konstruktion der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
    „Volksgemeinschaft“ (Volk als „Schicksalsgemeinschaft“): Welche reale Bedeutung hat eigentlich der Slogan „Wir sind das Volk“?
    Der letzte Satz des Jakobusbriefs macht nicht nur zum erstenmal verständlich, was Gnade ist, er bezeichnet den genauesten Einspruch gegen jede Art von Schicksalsgemeinschaft.
    Das Motiv, den Tempel abzureißen und in drei Tagen wieder aufzubauen, gibt es in den Evangelien sowohl real, als Wort Jesu, als auch als Denunziation, als „falsches Zeugnis“. Es kann etwas also wahr und eine Denunziation zugleich sein. Hat dieser Sachverhalt nicht etwas mit dem Taumelkelch, mit der Besoffenheit des Herrendenkens, zu tun?
    Die Geschichte des Opfers ist der sprachgeschichtliche Teil der Geschichte der Instrumentalisierung.
    Wird in der Antisemitismus-Diskussion in der „Jungen Kirche“ nicht aufs drastischste deutlich, daß die Bücher Samuel und Könige keine historischen, sondern prophetische Bücher sind? Sie sind insbesondere keine Hagiographien. David als „Vorbild“ gehört in den Komplex „Karl der Fiktive“, es gehört nicht in die messianische Geschichte. Ebenso weist das Verständnis der Nachfolge als „Vorbild“ haarscharf neben die wirkliche Bedeutung der Nachfolge: Sie ist eins mit dem „Bekenntnis des Namens“, das mit dem Bekenntnis zum Namen nicht nur nichts zu tun hat, sondern auf den Irrweg geführt wird. Das Vorbild gehört zu den Dingen, auf die das Bilderverbot sich bezieht; es gehört zur gleichen Logik, der der Name der Christen sich verdankt, der das Christentum zur Partei gemacht hat.
    Die Orthodoxie ist insgesamt wahr, bis auf das eine: sie verletzt das Bilderverbot. Die Wurzeln der Verletzung des Bilderverbots sind die „subjektiven Formen der Anschauung“. Kopernikus hat die Verletzung des Bilderverbots zum Apriori der Vorstellung des Universums gemacht.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Systemgrund der Bilder (der Vorstellungen). Dieser Systemgrund wird fundiert, stabilisiert und abgesichert durch die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt.
    Die Objektivierungsgeschichte ist die Subjektivierungsgeschichte. Diese Geschichte ergreift in der Idee des Absoluten Gott; das Absolute ist der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft, der Quellpunkt der Verhärtung des Herzens (das hat Hegel erfahren, als er sich als „von Gott dazu verdammt“ erkannte, „ein Philosoph zu sein“.
    Die erbauliche Bibelauslegung, die aus dieser Logik sich herleiten läßt, hat die Schrift in den Kontext des Gerüchts gerückt. Sie verweist auf die Wurzel des Gerüchts: die Subsumtion der Sprache unters Gesetz der Selbsterhaltung, das in der christlichen Tradition durch die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele hereingekommen ist. Indem sie die Idee des seligen Lebens an die philosophische Idee des Glücks (zu der der Islam dann die Illustration geliefert hat) zu binden trachtet, verrät sie die Barmherzigkeit, deren gegenständliches Korrelat die Idee der Auferstehung ist. Die Unsterblichkeitslehre war das infamste Herrschaftsinstrument.
    Zu dem Satz, daß die Kirchen bis heute nur gebunden, nicht gelöst haben, gehört der Satz: Magnus error in principio magnus est in fine.
    Das Himmelreich ist nicht eine fix und fertige Einrichtung über uns, bei der es dann nur noch darum geht, ob man reinkommt oder nicht, sondern das Himmelreich, daß mitten unter uns ist, ist etwas, was sich in der Geschichte der Erlösung erst bildet: das Ziel der messianischen Wehen, an dessen Hervorbringung wir wie die Gebärerin an der Geburt aktiv teilhaben (Röm 819ff).
    Ist die „Stille im Himmel“ bei der Öffnung des siebten Siegels (Off 81) das akustische Äquivalent der Sabbatruhe? Am siebten Tag schweigt auch Gott, ist er entlastet von der Last der Schöpfung durchs Wort.
    Subjektivierungsgeschichte: Von hinten wird das Licht zur Empfindung, von der Seite trennen sich Barmherzigkeit und Gericht, von unten wird der Name zur Macht.
    Stecken die Denunziation und der Antisemitismus nicht schon in den Fundamenten der Welt (die durchgedrehte Bekenntnislogik)?
    Die religiösen Vorstellungen, das Dogma und die Orthodoxie verhalten sich ähnlich zur Bekenntnislogik wie die Erscheinungen, die Begriffe und die Gesetze der Physik zum Inertialsystem.
    Welche „Großen“ gibt es in der Geschichte (von Alexander über Karl, Gregor und Innozenz, Albertus bis hin zu Friedrich und Katharina)? Vgl. hierzu Jakob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen, insbesondere das 5. Kapitel: Das Individuum und das Allgemeine (Die historische Größe), und hierzu in der Einleitung:
    – „Wir betrachten das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und Verständliches“ und
    – „wir können jene Lehre von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist von uns nicht zu verlangen“ (S. 10).
    Hat der historische Begriff der Größe etwas mit dem paradoxen Versuch zu tun, unter den Bedingungen des Zeitkontinuums so etwas wie einen Anfang zu etablieren (den Anfang der Welt, die ein „Großer“ begründet hat)? Zielen Benjamins Reflexionen zur Kritik der Gewalt nicht auf diesen Sachverhalt? Der Begriff der Größe benennt die Gewalt, die Walter Benjamin die rechtssetzende Gewalt nennt.
    Zur Größe gehört das Denkmal, das von der Last der Reflexion suspendiert (seit des Goethe-Denkmäler gibt, wird Goethe nicht mehr gelesen).
    Die Größe ist das Korrelat (und das Alibi) der eigenen Kleinheit.
    Ist nicht die Sohn-Gottes-Theologie der Versuch, auch Jesus ein der Größe korrespondierendes Attribut zuzuerkennen („Bekenntnis“ und Größe)?
    Dieser Begriff der Größe erfährt seine Vollendung in der Unendlichkeit der kopernikanischen Welt, vor der ich mich endgültig klein fühlen darf (ist nicht die kopernikanische Welt der Baum, unter dem Adam nach dem Sündenfall sich versteckte?).
    Alle Anti-Bewegungen der Nachkriegszeit waren verhext durch die Feindbildlogik.
    Das „nur“ in der Fassung des kategorischen Imperativs, nach der Menschen nicht nur als Mittel angesehen werden dürfen, schließt die absolute Verpflichtung zur Reflexion mit ein (und diese Verpflichtung gilt als moralische Pflicht auch für den Richter; deshalb darf der Angeklagte niemals zum Feind werden).
    Ist nicht der Universalismus und der unter seinem Gesetz vollzogene Objektivationsprozeß ein Prozeß der Selbstinstrumentalisierung, der Identifikation mit dem Aggressor. Die subjektiven Formen der Anschauung haben diesen Prozeß automatisiert.
    Wer das „nur“ unterschlägt, gerät in eine Logik, in der er am Ende den Satz nur noch auf sich selbst bezieht, alle anderen davon ausschließt.
    Sind nicht alle Planeten frei fallende Fahrstühle, die nur durch die Trägheitskräfte ihrer elliptischen Bewegungen vom Sturz in die Sonne abgehalten werden?
    Das Licht ist der Sprachgrund im Sehen. Gott spricht, bevor er sieht, die Menschen sehen, bevor sie sprechen.

  • 24.3.1997

    Wie hängt das Christentum mit der Ursprungsgeschichte der doppelten Buchführung zusammen? – Die ersten Codices waren die Haushaltsbücher des römischen Familienhaushalts und die Bücher des NT. Codices unterscheiden sich von Buchrollen dadurch, daß sie auf beiden Seiten beschrieben wurden (vgl. Apk 51, 614, 102, 2012).
    Im Kosmos der Sprache ist das Neutrum eine Schlange, haben Unzucht und Keuschheit etwas mit der Politik und dem Staat zu tun, und ist die Gebärmutter Symbol der Barmherzigkeit: der Ort der Geburt des Messias.
    Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist die Grenze der Sprache zum Objekt; das Objekt ist der Fremde, der Ausländer, der Sklave, die Ware der Sprache. Aber die Grenze, die die Sprache von ihrem Objekt trennt, ist eine Grenze in der Sprache, sie ist reflexionsfähig.
    Kyrios ist der Deckname fürs Tetragrammaton, seine Widerspiegelung im Griechischen. Was bedeutet es, wenn dieser Name im NT als Gottesname auf Jesus angewandt wird?
    Die Naturwissenschaften haben die Religion überflüssig gemacht, aber das um den Preis der Finsternis.
    Kein Friede: Die Feindschaft der katholischen Tradition gegen die Aufklärung, die durch die heutige Identifikation mit dem Aggressor nicht aufgehoben ist, gründet in der Unfähigkeit, die gemeinsame Wurzel beider zu reflektieren. Die Vätertheologie ist wahr bis auf den einen Punkt, daß sie „Väter“-Theologie ist. Auch für sie gilt das „Laß die Toten ihre Toten begraben“ und das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern.
    Das Perfekt oder das steinerne Herz: Ist das der Panzer, der sich in der Geschichte der Überwindungen der jeweiligen Vergangenheiten gebildet hat, in seiner Objektivierung (die das Eingedenken neutralisiert), im Historismus und in der subjektiven Form der inneren Anschauung sich vollendet?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie