Christentum

  • 16.01.93

    Ein Haus hat nur vier Wände, nicht wie eine Kiste sechs, dazu den Fußboden und die Decke, das Dach. Die oberen und unteren Flächengrenzen (der Boden und das Dach) sind durch ihre objektive Beziehung zur Schwere, die auf sie von außen auftrifft, von den seitlichen, zur Richtung der Schwerkraft parallelen Begrenzungen des Hauses eindeutig zu unterscheiden.
    Erst ein Denken, das aus dem Bann der Herrschaft heraustritt: Herrschaftskritik in sich mit aufnimmt, eröffnet auch den Himmel wieder. Erst die vollständige Umkehr sieht den Himmel offen.
    Der mathematische Raum subsumiert alles, auch die obere Welt, unter die Vergangenheit. Deshalb ist dort kein Himmel, an dem nichts vergangen ist, sondern, in den Bildern der Herrschaftsmetaphorik, nur das Subjekt, das den Himmel usurpiert und als dessen subjektive Form der Anschauung der mathematische Raum sich konstituiert.
    Die transzendentale Logik Kants hat durch die subjektiven Formen der Anschauung das Moment der Tätigkeit aus dem Urteil (durch Verdinglichung des Verbs zum Prädikat, zum Begriff) herausgenommen und in den subjektiven Akt des Urteils, ins Urteilen, verlegt (zurückgenommen): Sie hat das Urteilen selbst als (die Objektivität verändernde) Tätigkeit, die Theorie als Moment der Praxis, begriffen. Deshalb heißt das Subjekt Subjekt, hat es eine Bezeichnung angenommen, die vordem dem Subjekt im Urteil zukam. Das Subjekt des Urteils wurde durchs Objekt ersetzt (durch das Produkt der objektivierenden Tätigkeit des Urteilenden). Hier wurde das erkennende Urteil durchs richtende, der intellectus durch den Verstand ersetzt. Ziel war nicht mehr die adaequatio intellectus et rei, sondern die Übereinstimmung des Begriffs mit dem Gegenstand, die apriori hergestellt war: Konsequenz des auf die Logik übergreifenden Trägheitsprinzips. So hat das Inertialsystem auch die Philosophie ergriffen und verändert: Die Geschichte der Objektivierung der Dinge war die Geschichte ihrer Subjektivierung.
    Die kantischen synthetischen Urteile apriori sind Produkt der Herrschaft des Trägheitsprinzips übers Urteil. Durchs Trägheitsprinzip wird das Subjekt als Objekt in die Form des Urteils mit hereingenommen. das Urteil selber neutralisiert und die benennende Kraft der Sprache zerstört.
    Begriff und Trägheitsprinzip: Die Austreibung der Tätigkeit (des Subjekts) aus dem Urteil (in der Konsequenz der Logik des Begriffs und der bewußtlosen Rezeption des Trägheitsprinzips) vollendet sich in der Hypostasierung der Kopula: in der Ontologie. Eine Zwischenstufe war die Umwandlung der Moral, die durch die Wertphilosophie aus einem Element der Selbstverständigung und einer Anleitung zum Handeln zu einem Objekt des passiven Zuschauens gemacht und in eine Urteilslehre transformiert wurde. So ergreift das dem Zuschauen und Urteilen korrespondierende Trägheitsprinzip alles, was in den Bannkreis des Objektivierungsprozesses hereingerät (Modell Fernsehen).
    Stephanus sah den Himmel offen, während Paulus nur in den dritten Himmel entrückt wurde.
    Nicht die naturwissenschaftliche Aufklärung, die selbst nur eine andere Gestalt des Mythos ist, sondern die Offenbarung ist das Maß, an dem der Mythos gemessen werden muß.
    Die Gründe, aus denen Theologen glauben, den Nachweis führen zu müssen, daß mit dem Weltbegriff im Johannes-Evangelium nicht der Kosmos gemeint sei, sind ein Teil jenes Argumentationszusammenhangs, durch den sich die Theologie um Kopf und Kragen geredet hat.
    Die Neutralisierung von Himmel und Erde zur Welt ist die Erbsünde der Theologie.
    Die Geschichte des Gottesbegriffs unterm Nominalismus ist der Beweis dafür, was aus der Gottesidee zwangsläufig wird, wenn sie mit der Idee verbunden wird, daß Gott die Welt erschaffen habe. Es ist die gleiche Welt, die nach dem Johannes-Evangelium „euch (d.h. jeden, H.H.) haßt“, ihre „Schöpfung“ wäre demnach eine sadistische Handlung Gottes (diese Konsequenz hat die Gnosis gezogen, als sie diesen Gott als Demiurgen erkannte; falsch war nur die Identifizierung dieses Demiurgen mit dem jüdischen Gott: in Wahrheit war er der Staat). Die Lehre von der creatio mundi wäre nur zu halten, wenn der Logos gemäß dem geschichtskritischen Logozentrismus-Konzept als Begriff gefaßt wird, dessen Geschichte in die des Staates verflochten ist. Dieser Gott wäre der Feind des Heiligen Geistes. Darauf, so scheint mir, ist der Satz zu beziehen, daß die Sünde wider den Heiligen Geist die einzige ist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird (Hinweis auf die Bedeutung der Sündenvergebung im Evangelium, die Dämonenaustreibung und deren Zusammenhang mit der Übernahme der Sünden der Welt). Aber ist dann nicht diese Theologie insgesamt ein Teil der Sünde wider den Heiligen Geist? Bewegt sich diese Theologie nicht in dem gleichen Zirkel des Selbstwiderspruchs, der durch das „ja aber“ und durch kühne apologetische Konstruktionen immer weniger zu bewältigen ist? Das Netz, in das sich die Theologie verstrickt hat, wird immer enger, die Erstickungsängste werden immer akuter.
    Der Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ bezieht sich auf die (damals) zukünftigen Generationen: wir sind sein Objekt und unser Leben ist Produkt der (von uns) verratenen Zukunft.
    Am Zustand der Sprache ist der Stand der Dinge zu ermessen; nach ihrem Tod und Begräbnis (wo war Lazarus begraben?) ist die Sprache in Verwesung übergegangen, und von ihr gilt das Wort „Herr, sie riecht schon“.
    Ist nicht die Schöpfungsgeschichte, das Sechs-Tage-Werk, die Geschichte der Bildung des Antlitzes als Seines Ebenbildes: und liegt nicht hier der Grund des Sabbat, ist sein Grund nicht im Werk des ersten Tages, im Licht, gelegt worden? Vor diesem Hintergrund gewinnen das Öffnen der Augen (der Erkenntnis der Nacktheit) nach dem Sündenfall und das Senken des Blicks nach dem Brudermord beim Kain (mit dem Hinweis auf das Lauern der Sünde als Dämon an der Tür) ihre wirkliche Bedeutung. Ist nicht das auf die Kirche bezogene Wort von den Pforten der Hölle, die sie nicht überwältigen werden, ein Echo des Lauerns des Dämons an der Tür?
    Die Geschichte der Beziehung von civitas dei und civitas terrena (und d.h. die Geschichte der Kirche) wäre an den beiden Gestalten des Henoch zu demonstrieren. Von Adam her gezählt ist der kainitische Henoch der dritte (Tag des Hervorgehens der Pflanzen und Bäume: des „organischen Lebens“, seiner Selbstinstrumentalisierung), der setische Henoch der siebente in der Geschlechterfolge (an welchem Tag Gott ruhte von all seiner Mühe). Hat die Umkehr der Reihenfolge der drei auf Kain/Kenan folgenden Generationen etwas mit der Beziehung von Abel und Set, mit Set als Abel redivivus, zu tun?
    Der schlimme Satz von dem guten Gewissen, das in Deutschland als sanftes Ruhekissen gilt: Ich befürchte, die KZ-Schergen haben gut schlafen können, weil sie unfähig waren, die Leiden ihrer Opfer auch nur in Gedanken nachzuvollziehen. Jedes gute Gewissen hat etwas von dieser Unfähigkeit, ist in sich selber pathologisch, Produkt der Selbstexkulpation und Reflex der falsch „entsühnten“ Welt. Es entspringt aus der Verdrängung der Gottesfurcht.
    Merkwürdig am Christentum sind seine Ursprünge in der Provinz: in Galiläa, Nordafrika, Irland und heute in Südamerika.
    Die Geschichte kann nur dann zum „große(n) Becken, in welchem der Mensch von aller Schuld reingewaschen wird“ (Rosenzweig: Hegel und der Staat, S. 97) werden, wenn sie Naturgeschichte ist. Und als solche hat Marx die Hegelsche Weltgeschichte dann auch entschlüsselt.
    Wenn Benjamin (in der Einbahnstraße) schreibt, daß die entscheidenden Schläge heute mit der linken Hand geführt werden, hat das etwas mit den „linkshändigen Benjaminiten“ im Buch der Richter zu tun?

  • 13.01.93

    In der Geschichte von drei Leugnungen repräsentieren die „Um-stehenden“ die Welt.
    Die Weltgeschichte des Christentums ist die Geschichte der Selbstinstrumentalisierung. So ist das Christentum zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Christentum ist nicht Urheber der Greuel, die in seinem Namen begangen wurden, aber es muß diese Greuel sich zurechnen lassen. Wenn Karlheinz Deschner (zuerst in „Und abermals krähte der Hahn“, dann aber vor allem in seiner „Kriminalgeschichte des Christentums“) das Christentum zum Urheber dieser Dinge macht (so als wäre das Ganze nicht passiert, wenn es das Christentum nicht gegeben hätte), verkennt er das Gewicht des Weltlaufs.
    Das Lösen ist die Befreiung der vergangenen, unter der Last der Vergangenheit verschütteten Zukunft (als Antwort auf die fortschreitende Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; Auflösung der Last der Vergangenheit, anstatt sie durch affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs bloß abzuwerfen: Die Welt ist der Inbegriff der Last der Vergangenheit).
    Das objektivierende Denken zerstört die Kraft der Identifikation, die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen. Deren Grundlage aber ist die Erinnerungsarbeit (Lots Frau, und das „vos estis sal terrae“: Eröffnung der Zukunft durch den Rückblick, die Rücksicht).

  • 11.01.93

    Urteil (lat. iudicium): wie heißt das Urteil (im Recht und in der Logik) im Griechischen? Grundlage des Urteilsspruchs ist der Zeuge oder der Eid (der Gott zum Zeugen nimmt; in der Bibel muß der Schwörende seine Hand an die Lende dessen legen, vor dem der Schwur abgelegt wurde, berührt): Wie verhalten sich Zeugenschaft und Schwur zum Raum? Ist der Raum nicht die anonymisierte Zeugenschaft aller (Medium der Vergesellschaftung) und ist die Ausdehnung des Raumes nicht ein Produkt des automatisierten Fortzeugens (mit der Orthogonalität als Grund und Zentrum der Automatik): die Indifferenz von Tätigkeit und Statik (dynamischer und mathematischer Qualität: Trennung und Begründung von Objekt und Begriff, Natur und Welt)?
    Der Objektbegriff und die Verführung durch Herrschaft verändert die Sprache. Herrschaft gründet in dem Recht zu töten, das über die Raumvorstellung vergesellschaftet wird; so dringt das Gewaltmonopol des Staates in die Sprache ein (wie der Raum in die Zeitvorstellung und in den Begriff der Materie). Darin liegt der naturgeschichtliche Grund der Naturwissenschaften und des Kapitalismus, den sie selber wiederum instrumentalisieren.
    Das Sein ist das unkenntlich gemachte Gewaltmonopol des Staates.
    Zu Kafkas Geschichte vom Schauspieldirektor, der eine Premiere, die Inszenierung eines neuen Stückes, vorbereitet. Das Bild wäre noch zu verschärfen: Nach dem Selbstverständnis der Prophetie beginnt die Umkehr im Mutterleib.
    Zu den fatalen Ergebnissen der Kollektivschuld-Diskussion nach dem Krieg gehört es, daß die Aufarbeitung der Schuld, die Erinnerungsarbeit, durchs Schambekenntnis ersetzt wurde. So hat man sich nur durch die Scham überschwemmen lassen, damit aber genau jene Verdrängungsarbeit unterstützt, die die Aufarbeitung heute fast unmöglich macht. Die nachfolgende Politik mußte eine Feigenblatt-Politik sein (und darin ist Kohl Meister). Die Aufforderung zur Scham hält ihr Objekt infantil (während die Schuldverarbeitung es erwachsen werden läßt). War vielleicht die Benennung der Tiere durch Adam eine Aufforderung zur Scham: So ist ihnen das Fell gewachsen? Das Unverschämte (des Begriffs, der Welt) und das Schamlose (des Objekts, der Natur) sind Zwangsfolgen der falschen Verarbeitung der Scham. Nicht Scham, sondern Umkehr: Der kosmische Ausdruck der Scham ist die Materie.
    Ist die Frage Kains „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ mehr als eine rhetorische Fangfrage? Weist die Frage nicht darauf hin, daß er „es nicht war“, daß es etwas in ihm war (vor dem er vielleicht dann doch seinen Bruder hätte behüten sollen), und bezieht sich darauf das Wort Gottes vor der Tat: „Wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon“. Diese „Sünde als Dämon“ ist die „Sünde der Welt“ aus Joh 129. Die Sünde an der Tür und das, was in Kain als Es den Abel erschlug und den Mord beging, war der Ursprung der Welt. Und diese Welt ist in der Tat „aus Nichts“ erschaffen, aber auch nicht von Gott.
    Ist das Benennen (in der Schrift) wirklich etwas so Harmloses: die Benennung der Tiere durch Adam, aber auch schon davor die Benennung des Lichts und der Finsternis, auch die der Feste, die die Wasser scheidet? Die Söhne werden in der Regel von den Müttern benannt (und von den Vätern als gegeben hingenommen). Gibt es außer bei der Geburt des Johannes (wo der Zacharias durch Bestätigung des Namens die Sprache wiedergewinnt) noch andere Ausnahmen (wie ist das bei den Kindern der Propheten)?
    Bezieht sich nicht auch der Titel „Erstgeborener“ auf die Mutter, deren Mutterschoß der Erstgeborene eröffnet, nur Jesus ist der „Erstgeborene des Vaters“?
    Wäre nicht zu den etymologischen Forschungen (Benvenistes und anderer) darauf hinzuweisen, daß auch das Bedeuten und Bezeichnen in die grammatischen Strukturen der Sprache eingebunden ist. Wie unterscheiden sich Bedeuten und Benennen? Bezeichnen nicht das Deuten und Bedeuten den Indifferenzpunkt zweier gegeneinander gerichteter oder zueinander inverser Tendenzen, nämlich einer expressiven und einer deiktischen Tendenz. Wie verhält sich das zu der bemerkenswerten Zweideutigkeit, die im Deutschen den Sinnbegriff kennzeichnet?
    Das Christentum hat die Umkehr bis heute nicht begriffen, statt dessen kennt es wohl Bekehrungen. Drückt nicht das Affix be- ein projektives Element aus, die falsche, veranderte Umkehr: die im andern reflektierte und verdinglichte Umkehr?
    Entspringen die indogermanischen Sprachen mit der Bildung des Neutrum, mit der Nutzung seiner exkulpativen, herrschaftssichernden Gewalt? Und waren die ersten Neutra nicht herrschaftssichernde Kategorien (Emanationen der Schlange)?
    Ist das Futur II Produkt der Instrumentalisierung des kreisenden Flammenschwerts? Hängt sein Ursprung zusammen mit dem Sternendienst? Und ist das, was durch dieses kreisende Flammenschwert abgetrennt (weltlich konstituiert) wird, in den astrologischen Bedeutungen der Planeten (im antiken Sinne) genauer bezeichnet? Und wurde dieser Knoten nicht durchschlagen durch einen Akt, in dem das heliozentrische System begründet wurde? Wie hängt die Heliozentrik mit der Geschichte der Großreiche, mit Alexander und dem Cäsarenwesen zusammen, oder auch mit dem Begriff des „Reichs“?
    Ist die Physik die Finsternis über dem Abgrund? Und wäre nicht die Theologie über den nächsten Satz, den Geist Gottes über den Wassern, zu begründen? Oder genauer: verhalten sich Finsternis und Abgrund zum Geist Gottes und den Wassern wie Philosophie und Begriff zur Prophetie und zum Namen? Hat der Sündenfall nicht nur den Abgrund eröffnet, und den Menschen die begrenzte Befugnis, sich der Mächte des Abgrunds zu bedienen?
    Die jüdische Tradition kennt den Brudermord; ist nicht der Vatermord ein bis heute unaufgeklärtes und unbegriffenes mythisches und christliches Erbe (im Ursprung des Weltbegriffs), und bezieht sich darauf nicht der Freudsche Mythos von der Urhorde?
    Die Tiere wurden benannt, der Gottesname soll geheiligt werden: Ist die Heiligung des Gottesnamens nicht die Antwort auf die Opferung des Gottesnamens (seine Verbergung hinter dem Namen des Vaters), und ist bisher nur diese Opferung Gegenstand der christlichen Tradition? Drückt diese Opferung sich im Bilde vom Sitzen zur Rechten des Vaters (der Bindung der Rechten des Vaters, die nach Paulus zeitlich begrenzt ist: bis Ihm alles unterworfen ist) aus?

  • 09.01.93

    Hängt der Name des Pharao („das große Haus“?) mit dem gesellschaftlichen Begriffsfeld Haus (domus, dominus) zusammen; und gehört der Name des Sklavenhauses dazu?
    Zu Franz Rosenzweigs Bemerkung über Eugen Rosenstock: Ist nicht das Christentum generell die systematische Vermantschung der Symbole, notwendig im Kontext des projektiven Bibellesens, die den biblischen Text insgesamt zu einer erbaulichen Soße zusammenfließen läßt.
    Ist das Christentum nicht vorgebildet in der Geschichte Kains: mit dem zurückgewiesenen Opfer und dem daraus erfolgenden Brudermord am Anfang, dem „Bin ich denn der Hüter meines Bruders“, der anschließenden Stadtgründung und Kulturentwicklung, und schließlich mit Lamech am Ende. Welche Bedeutung haben hier die Parallelen und Differenzen der Geschlechterfolge Kains zu der des Set? Und was hat es mit dem Kainszeichen auf sich, und wer sind Ada und Zilla?
    Set ist nach Kain geboren (als Abel redivivus), aber Kenan, der den Stammbaum Kains im Stammbaum Sets eröffnet, ist sein Enkel (der Sohn seines Sohnes Enosch, Menschlein: Klein-Adams). Und Kain gründet eine Stadt, die er nach seinem Sohne Henoch nennt, Henoch aber, als Urenkel des Kenan (die Folge Henoch-Irad-Mehujael wird umgekehrt in Mahalalel-Jered-Henoch, danach kommen dann Metuschael/Metuschelach und Lamech), „war seinen Weg mit Gott gegangen, dann aber war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn aufgenommen“. Der kainitische Lamech nahm sich zwei Frauen, Ada und Zilla, und zeugte Jabal und Jubal, sowie Tubal-Kajin und Naama, der setische Lamech zeugte Noach.
    Ist nicht Metz‘ Theologie der Welt eine Konsequenz aus dem undurchschauten kainitischen Christentum (Folge der Verwechslung der göttlichen Verheißungen mit der Welt?
    Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (Begriff der Kritik): Gibt es eine selbstreferentielle Anwendung des Urteils auf die Urteilsform? Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch?

  • 03.01.93

    Gibt es nicht Reflexionsbeziehungen zwischen den Begriffen Natur und Welt, und ist nicht die Adornosche Formel vom Eingedenken der Natur im Subjekt eine Übersetzung des Nachfolgegebots: der Übernahme der Sünden der Welt? Ist nicht die Sünde der Welt: die Produktion der Natur? Und ist nicht die Produktion der Natur (Ursprung und Geschichte des historischen Objektivationsprozesses) das Aufdecken der Blöße und das Herstellen von Schurzen aus Feigenblättern: die Selbstexkulpation (und gab Gott deshalb den Menschen Röcke aus Fellen)?
    Entspringt nicht der Naturbegriff in einer Konstellation, die aufs genauste in der Noe-Geschichte beschrieben ist: insbesondere im Zusammenhang mit der Sintflut (dem das Thalessche „Alles ist Wasser“ korrespondiert), aber auch mit dem Weinanbau, der Trunkenheit, dem Aufdecken der Blöße und dem Ursprung der Knechtschaft? Und was hat es dann mit dem Regenbogen auf sich?
    Erscheint bei Franz Rosenzweig nicht der Naturbegriff nur in seiner „Metaphysik“, als Ursprungsbegriff der Schicksalsidee und des mythischen Gottes?
    Die Weltgeschichte des Christentums ist die Geschichte der Leugnungen.
    Die Beziehung des Neuen zum Alten Testament ist nicht zuletzt auch ein Stück Sprachbeziehung. Das „Alte Testament“ gehört deshalb dazu, weil man nur so den Bann der Sprache, in der das Neue Testament geschrieben wurde und in der es sich auch ausgebreitet hat, sprengen kann: dem Bann der Welt- und Herrensprache. Ist nicht die Verweltlichung, die Säkularisierung, ein Prozeß der Neutralisierung auch in dem Sinne, in dem die Schlange in der Geschichte vom Sündenfall dem Neutrum in der Sprache entspricht? Und bezieht sich ne-utrum auf die Himmel und die Erde, den Ur-Dualis: auf diese die logische Beziehung von Allgemeinem und Besonderem sprengende Sprachbeziehung (eine duale Beziehung, entsprechend dem Rosenzweigschen „Und“) von Plural und Singular? Und ist hierin nicht die Beziehung Abrahams zu seinen Nachkommen (zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meer) vorgebildet?
    Gegen die Opfertheologie (Entsühnung der Welt durch den Opfertod Christi) spricht das Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Wehen liegt und sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Sühne Gottes wartet (vgl. Röm 819-22).
    Über den Zusammenhang von Sprache und Politik (politische Bedeutung des Nominalismus). Woher kommt der Titel „Kanzler“ (Reichskanzler, Bundeskanzler, Kanzler der Universität?): hat das etwas mit der Kanzlei, mit der Kanzel und der Predigt (auch der Vorlesung) zu tun; steckt sprachgeschichtlich auch das englische „to cancle“ mit in diesem Titel (vgl. „abkanzeln“)? Hängt der Ursprung des Titels mit dem des Staatsanwalts, und hängen beide mit der Geschichte des Nominalismus und der daraus abgeleiteten Hegelschen Staatsphilosophie, der deutschen Staatsmetaphysik, zusammen? Und erfüllt sich die mit dem Titel gesetzte Teleologie nicht tatsächlich in der Sprache Kohls (ist der Staat in Deutschland nicht eben so leer wie diese: Verkörperung des horror vacui moralis)? Und ist nicht der Titel des Bundeskanzlers, gemessen an den zivilisierteren Titeln des Premierministers oder des Ministerpräsidenten, der sprachliche Kristallisationskern der deutschen Staatsmetaphysik? Zu erinnern wäre an das klassische Adenauer-Wort: Je einfacher denken ist eine gute Gabe Gottes. Aber dagegen betreibt Kohl nun wirklich nur noch Totenbeschwörung. Sprachgewalt ist nicht dasselbe wie wenn die Gewalt selber Sprache, und die Sprache eine bloße Machtdemonstration wird. Auch Hitler war „Führer und Reichskanzler“ (und Heidegger wollte der Führer des Führers sein).
    Befreiung der Theologie aus der babylonischen Gefangenschaft (oder aus der Isolationshaft): Theologie im Angesicht Gottes und nicht mehr hinter seinem Rücken; das wäre eine Theologie, die Gott nicht mehr zum Objekt macht, für die der Objektbegriff selber unters Bilderverbot fällt. Befreiung aus der Haft des Bekenntnisses, des Dogmas.

  • 31.12.92

    Erst durch die Inquisition hat die Buße jene Bedeutung gewonnen, die sie als die Ausnahme erscheinen läßt gegenüber der Umkehr, die im Christentum der Normalfall hätte sein müssen. Erst hier wurde der Rückschluß, der insbesondere Maria Magdalena getroffen hat, nahegelegt: Wer so büßen muß, muß es schlimm getrieben haben, und nur wer unbehelligt bleibt, wer sich anpaßt, ist gerechtfertigt. Erst hier wurde die Buße zu einem Instrument der Zivilisierung, zum Herrschaftsmittel.
    Das Wort: alle Menschen werden Brüder, bezeichnet eigentlich die Utopie der Herstellung einer gemeinsamen Welt (durch Beziehung der Welt auf einen gemeinsamen Vater).
    Über die Identität von Schuldreflexion und Herrschaftskritik, oder über das paranoide Element im Objektbegriff. Die Übernahme der Sünde der Welt ist Inbegriff der christlich determinierten Erinnerung; sie wurde verdrängt durch die Opfertheologie.
    Es gibt keine Offenbarung zu jeder Zeit, sondern die Offenbarung hat ihre bestimmte Zeit. So ist es beschrieben in der Lazarus-Geschichte: Dafür habt ihr Moses und die Propheten.
    Hängen die Größe des Weltenraums und die Tiefe der Vergangenheit (die Zahl der Sterne am Himmel und des Sands am Meere) mit der Zahl der Menschen (der Nachkommenschaft Abrahams) zusammen?
    Das Fremde ist die Präsenz der unreflektierten Vergangenheit (der unreflektierten Schuld der Vergangenheit).
    Vergangenheit und Zukunft: Ebenso wie eine zukünftige Vergangenheit (Futur II) gibt es eine vergangene Zukunft (Fremdheit und Auferstehung), und beide sind durch Umkehr aufeinander bezogen.
    Der Raum definiert das Medium der Praxis; und zwar sowohl fürs Subjekt (offener Raum, in den die Dinge von außen hereingebracht werden müssen: kopernikanisches System) als auch fürs Objekt (geschlossener Raum, der von anderen Objekt leer gemacht werden muß: Herstellung von Laborbedingungen, verschließbarer Tresor oder Gefängniszelle). Sind Subjekt und Objekt (Welt und Natur) definiert durch Verfügbarkeit (Besitzrechte)? Der offene Raum ist ein durch keine Besitz- und Verfügungsrechte anderer eingeschränkter Raum, während der geschlossene Raum (Labor, Tresor und Gefängnis) das absolute Verfügungsrecht über seinen Inhalt mit einschließt. Gibt es Gefängnisse erst, seit es Privateigentum gibt (Schuldknechtschaft)?
    Hier gründet die Beziehung des Raumes zum Geld: Die mathematische Entfaltung der Raumvorstellung war erst möglich nach der mathematischen und technischen Beherrschung des Schuldenproblems (Erfindung der Null, Rechnen mit negativen Zahlen, Erfindung der doppelten Buchführung).

  • 24.12.92

    Was drückt sich in den Worten Raum, Traum, Baum, Schaum, kaum, Zaum gemeinsam aus?
    Zwischen dem „es gingen ihnen die Augen auf“ und dem „die Blinden sehend Machen“ (der Aufdeckung des Angesichts) liegt die Umkehr. Das Angesicht ist ein sprachlicher Sachverhalt.
    Steckt nicht in dem Metzschen Begriff der Empfindlichkeit und in der Hemmung, den Begriff der Sensibilität zu gebrauchen, die Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opfertheologie, die in der Tat für das Entsetzliche dieses Todes (indem sie ihn tendentiell zum Gottesmord macht) unempfindlich macht. – Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind ein Produkt der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, der Verinnerlichung des Opfers: der davon nicht ablösbaren Verstocktheit und Unbelehrbarkeit, die dann (zusammen mit der Lehre von Erfüllung der Prophetie in Jesus) auf die Juden projiziert wurde.
    Einer der Nebeneffekte des Dogmas ist die Unbelehrbarkeit, für die das Christentum seit je besonders anfällig war, und die sie insbesondere im „Kampf gegen die Häresien“ exekutiert hat.
    Hegels Rezeption und Begriff des Christentums war unter dem Schein seiner Bestätigung in Wahrheit seine Widerlegung. Aber widerlegt wurde ein Christentum, das sich wider das Gebot seines Ursprungs mit der Welt eingelassen hatte. Grund dessen ist in der Hegelschen Philosophie die Funktion und Bedeutung des Begriffs des Scheins: Der „Übergang“ vom Schein zum Wesen ist kein Übergang und kein Werden, sondern die verhinderte Umkehr, die geleugnete Auferstehung. Hier liegt der Angelpunkt, der das Christentum an die Welt gebunden hat: der Kleinglaube.
    Ist nicht der erste Dialogpartner des Menschen in der Schrift die Schlange, und sind nicht alle anderen sprachlichen Äußerungen vorher
    – Imperative: Gott sprach und es ward,
    – Benennungen: von „und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht“ bis zur Benennung der Tiere durch Adam,
    – Gebote: „Seid fruchtbar und mehret euch“, „Von allen Bäumen darfst du essen, nur von dem einen nicht“, und
    – Monologe: „Laßt uns Menschen machen …“, „Das endlich ist Bein von meinem Bein, …“?
    Kann man im Hebräischen erkennen, ob das „Uns“ im „Lasset uns den Menschen machen“ ein Pluralis oder ein Dualis ist?
    Die Seligsprechung der Frau, die, weil sie die Abtreibung verweigert hat, gestorben ist, um ihr Kind zu retten, wäre wahr, wenn die Kirche sich darin selbst erkennen würde. Die Abtreibungskampagne rührt an die Wahrheit, es wird aber von keiner der beiden Seiten begriffen, daß hier von einem messianischen Sachverhalt die Rede ist.

  • 23.12.92

    „Das existentielle Zentrum des Handelns und Denkens“ (Engler, S. 45)
    Drückt nicht im Ausländerhaß auch ein Stück Neid auf jene sich aus, die ohne eigene Arbeit wie ein Säugling versorgt werden und so der Last der Verantwortung enthoben sind. Das deutsche „Ausländerdeutsch“, kein empirischer, sondern ein projektiver Tatbestand, verweist auf den gleichen Sachverhalt: Mit der Verantwortung sind Ausländer auch der Last des artikulierten Sprechens enthoben. Karl Kraus‘ Bemerkung, daß die Deutschgesinnten in der Regel des Deutschen nicht mächtig sind, bezieht sich auf den gleichen Sachverhalt. In den Ausländern werden die eigenen verdrängten Regressionswünsche verfolgt.
    Jeder Nationalismus spricht Regressionsbedürfnisse an.
    Hängen Funktion und Gebrauch der Hilfszeitverben im Deutschen genetisch mit dem lateinischen AcI zusammen (insbesondere die Futur- und die Konjunktivbildungen)?
    Ist die Welt nicht das gegenständliche Äquivalent des Futur II (und bezieht sich darauf nicht die Charakterisierung des apokalyptischen Tieres, das „war, nicht ist, und wieder sein wird“)?
    Vergesellschaftete Herrensprache ist Sklavensprache: Sie unterdrückt nur das Bewußtsein, Sklave zu sein. Daraus resultiert der Fremdenhaß (und in der Philosophie Begriffe wie Natur und Materie). Die Unterdrückung des Bewußtseins, abhängig zu sein, ist die Unterdrückung der Fähigkeit zur Schuldreflexion; sie hat sich im Christentum über den Weltbegriff: über die Vorstellung, daß die Welt durch den Opfertod Jesu entsühnt worden sei, etabliert. Dies ist der Kern der Unbelehrbarkeit, der im Dogma sich vergegenständlicht hat.
    Das Bewußtsein, daß die Natur schon alles zum besten lenken wird, ist ein Erbteil der unreflektierten Christologie, und wie diese obszön.
    Der Begriff der Sünde entspricht dem dynamischen Aspekt des Naturbegriffs, der der Schuld dem mathematischen Aspekt des Weltbegriffs. Die Rechtfertigung, der apologetische Gebrauch der Vernunft macht die Schuld erneut zur Sünde (Quellpunkt der zweiten Schuld): die Verdrängung der Gottesfurcht. Die Sünden der Welt auf sich nehmen, heißt: den Schuldzusammenhang des Begriffs durch Reflexion auf seine tätige Wurzel auflösen. Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem regressiven Moment in der Fremdenfeindschaft heute und der kirchlichen Abtreibungskampagne?
    Hat das „de mortuis nihil nisi bene“, bezogen auf das vierte Gebot, nicht auch insoweit ein fundamentum in re, als die Eltern mit der Zeugung und Geburt ein Stück mitsterben.
    Gibt es eine Beziehung zwischen dem hebräischen Namen der Griechen (jawan, griechisch Ionier) und dem Namen JHWH?

  • 20.12.92

    Boethius: Trost der Philosophie. Der Eindruck ist unabweisbar, daß die Vätertheologie eher als eine Phase der philosophischen Aufklärung zu verstehen ist, die sich das Christentum als verinnerlichten Mythos assimiliert, denn als philosophische Selbstverständigung des Christentums selber. Diese These wäre zu beweisen anhand der Analyse der Funktion und Bedeutung des Weltbegriffs im Ursprung und in der Geschichte der Theologie seitdem (creatio ex nihilo, Inkarnationslehre, Opfertheologie: Entsühnung der Welt durch den Opfertod des Gottessohnes). Die Ausbildung und Entfaltung dieser Theologie ist die Ausbildung und Entfaltung des Objektivationsprozesses, der dann bruchlos in die Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung übergeht (die ohne die Opfertheologie nicht möglich gewesen wäre); sie ist dann zur Geschichte des universalen Verdrängungsprozesses geworden, der in der biblischen Tradition unter apokalyptischem Vorzeichen beschrieben worden ist.
    Rechtfertigung (Apologie) ist die Umkehrung des parakletischen Denkens (Verteidigung unterscheidet sich durch die Beziehung auf Andere von der Selbstbezogenheit der Rechtfertigung).
    Was bedeutet es, wenn Boethius vom „epikureischen und stoischen Pöbel“ spricht, und im vorhergehenden Satz von Sokrates, der „im ungerechten Tod den Sieg errungen“ habe (S. 71)?

  • 15.12.92

    Nur zusammen mit den theoretischen Folgen der Lehre von der „Hinwegnahme der Sünden der Welt“ sind die entsetzlichen praktischen Folgen des Wortes von der „Erfüllung der Prophetie“ zu verstehen: Nur so war es möglich, die „Unheils“-Prophetie allein auf die Juden anzuwenden, sich selbst aber davon freizusprechen: Voraussetzung war die Vorstellung, daß durch den Opfertod Jesu die Welt bereits entsühnt war, die Christen die Sorge um die Welt den dazu berufenen Herren überlassen konnten (gegen den Inhalt der „Abschiedsreden“ Jesu im Johannes-Evangelium, und gegen die darin enthaltene Lehre vom Parakleten, vom Heiligen Geist: die Lehre von der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu hat die Politik gegen Kritik immunisiert). Mit diesem Weltbegriff war der Antisemitismus untrennbar verbunden.
    Ist nicht die Geschichte der drei Leugnungen Petri eine prophetische Antizipation der Entwicklung der Beziehungen des Christentums zur Geschichte des Staates als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern (deren Auswirkungen bis in den Naturbegriff hereinreichen). Die Erfindung des Rechts war ja nicht nur ein Mittel zur Humanisierung des Staates, sondern zugleich eine Sanktionierung des Rachedenkens, verknüpft mit der des Selbsterhaltungsprinzips. Es hat nie ein Recht ohne Strafe gegeben.
    Die Kirche verfängt sich in ihrer eigenen Schlinge, wenn sie heute von außen als Ursache der Greuel, die in ihrem Namen verübt worden sind, begriffen wird. Da hilft keine Apologetik mehr, die im Gegenteil die Sache nur verschlimmert. Sie hat nur die Rechtfertigung der Greuel geliefert, deren Ursache politisch-ökonomische Ursachen waren. Auch das war eine Form der Übernahme der Sünden der Welt, aber die falsche: Der Preis war ein Idealismus, der den bloßen Meinungen Kausalität zusprach in einer Welt, die von anderen Mächten beherrscht wird, deren Erkenntnis aber – auch mit Hilfe der Kirche – tabuisiert und diskriminiert wurde. Der kirchliche Bekenntnisbegriff, seine Logik und seine, aus seiner Hilflosigkeit stammende praktische Explosivkraft, schlägt heute auf die Kirche zurück, wenn sie von ihren Kritikern als schuldig erklärt wird insbesondere am Antisemitismus und an der Frauenfeindschaft.
    Rosenzweigs Hinweis, daß das Wort von der Mittlerschaft des Sohnes (daß niemand zum Vater komme, außer durch den Sohn) nur für die Heiden, nicht aber für die Juden gelte („Wir sind schon beim Vater“), wäre dahin zu ergänzen, daß jenes „durch“ nicht instrumental, sondern nur im Sinne der Nachfolge verstanden werden darf. Die Juden sind schon beim Vater, aber wir, die Christen, haben die Welt, die über unseren Köpfen und hinter unserem Rücken sich etabliert und entfaltet, aufzuarbeiten. Diese Aufarbeitung hat das offizielle Christentum versucht zu umgehen durch die Vorstellung, daß diese Welt von Gott aus dem Nichts erschaffen und durch den Opfertod Jesu entsühnt wurde. Beide Vorstellungen enthalten – mit Kant zu reden – ein Rattennest von Widersprüchen. Nur (gegen die Gnosis) der Schöpfer der Welt ist auch nicht der jüdische Gott, sondern der Staat (der sterbliche Gott).
    Sakral sind die Herrschaftsinstitutionen und ihr naturaler Reflex, nicht die religiösen. Die Säkularisation ist der notwendige Prozeß der Entmischung von Politik und Religion, aber sie ist noch nicht am Ende (welche politische Bedeutung haben die sieben Sakramente?).
    Hat nicht der Entzauberungsprozeß Halt gemacht vorm Subjekt selber, und liegt hier nicht der Grund für das, was man heute den religiösen Ego-Trip nennen muß?
    Die multikulturelle Gesellschaft: Ist das nicht der Versuch einer anderen Platzverteilung in einem Zug, der auf den Abgrund zurast?
    Ist nicht die Politik (unter dem Einfluß der Bekenntnislogik) zu einem Inbegriff der Sprechblasen geworden, mit denen die bloße Verwaltung, das bloße Reagieren, sich nach außen präsentiert, allerdings mit jener besonderen Sprechblasen-Technik, die endlich zu analysieren wäre, und deren Beherrschung, wie es scheint, insbesondere Kohl seine Karriere verdankt (nicht mehr nur ein Schurz, sondern eine ganze Physiognomie aus Feigenblättern)?
    Was bedeuten die Namen des Himmels und der Erde?
    Das Bekenntnis ist ein Ausdruck der Ohnmacht (der Hilflosigkeit) und der Furcht vor Verfolgung (der Furcht, für sein Denken haftbar gemacht zu werden); deshalb gibt es kein Bekenntnis ohne Feindbild. Das Feindbild (das Stück Projektion in ihm) ist der Kitt, der sowohl das Dogma als auch die Gemeinschaft der Gläubigen zusammenhält. Das Bekenntnis ist Subjekt-Objekt (Opfer-Täter) der Instrumentalisierung: Grundlage der Dynamik der verfolgenden Unschuld, die im Faschismus ihr immanentes Ziel hat und in der Mordlust der Faschisten kulminiert.
    Das peri physeos der ersten Philosophen war das Instrument der Verarbeitung der Erfahrung im Interesse der Verinnerlichung des Schicksals und der Etablierung des Weltbegriffs. Die Philosophie unterscheidet sich von den vorausgegangenen Gestalten der Verarbeitung der Erfahrung durch das Argument, die Begründung, den Beweis (die Prosa).
    „Man ist jetzt allgemein der Meinung, daß die Anfänge der von den Vorsokratikern betriebenen Spekulation mit der kormogonischen Tradition orientalischen Zuschnitts zusammenhängen.“ (Die Anfänge der abendländischen Philosophie, dtv 1991, S. 11) Gemeinsam ist beiden (der Philosophie und den mythischen Kormogonien), daß sie die Ursprünge zu ermitteln suchen.
    Die Homogenität der Zeit wird durch eine imaginäre Zeitumkehr hergestellt, durch die Vorstellung, daß ein Vorgang auch rückwärts ablaufen könne und dann den gleichen Gesetzen gehorchen müßte. Deshalb ist die Homogenität der Zeit an die Reversibilität aller Richtungen im Raum gebunden. Und deshalb werden mit dem Kausalitätprinzip alle teleologischen Elemente unterbunden und verdrängt.
    Die orphischen Mysterien sind Produkt der Privatisierung des Sakralen, oder auch der Sakralisierung des Privaten. (Anfänge, S. 14)
    Nach Kritias sollen die Götter „verhindern, daß die Menschen heimlich die kriminellen Handlungen verüben, die die Gesetze verbieten“. (S. 21)

  • 13.12.92

    Der Naturbegriff verstellt das Votum für die Fremden, der Weltbegriff das für die Armen: eine Neubegründung der Theologie ist nur durch die Kritik beider Begriffe (durch die Metakritik der kantischen Vernunftkritik) hindurch möglich.
    Das Votum für die Fremden und das für die Armen sind zentrale Motive der prophetischen Tradition, die Kritik der Frauenfeindschaft ist ein apokalyptisches Motiv: sie ist mit der Enttäuschung der Parusie-Erwartung vergessen und verdrängt worden.
    Die Wiedergewinnung der sensibilisierenden und benennenden Kraft theologischer Erkenntnis ist nur möglich durch die Kritik der neutralisierenden Gewalt des Bekennens hindurch. Das Bekenntnis ist Produkt der Mimesis an die entfremdete Welt: der Identifikation mit dem Aggressor.
    Der Freudsche Urmythos ist eine verschlüsselte Christentums-Kritik: Die Judenfeindschaft und der kirchliche Antijudaismus waren der Vatermord.
    Wenn es praktische Vorschläge zur Behebung der Fremdenfeindschaft gibt, dann jedenfalls nicht in der Richtung, die durch die unsägliche Asylanten-Diskussion vorgegeben zu sein scheint. Vergessen wird, daß die Xenophobie an den Grund des Problems der Beziehung von Theorie und Praxis (oder an die Fundamente des Selbstverständnisses des Staates: der deutschen Staatsmetaphysik) rührt, daß insbesondere jede technologische Lösung zunächst einmal zurückzustellen ist und die genaueste Erkenntnis des Problems, auch wenn sie „praktische Lösungen“ zunächst auszuschließen scheint, Voraussetzung jedes weiteren Schrittes ist. Zu überprüfen sind:
    – der Staatsbegriff: wie er sich z.B. im Namen des Staatsanwalts manifestiert, nämlich den Staat als Prinzip der Anklage begreift, deren „Anwalt“ der öffentliche Ankläger ist, der jedoch in Deutschland nicht so heißen darf: durch seinen Namen ist der Staatsanwalt primär auf die Verteidigung des Staates, und erst in zweiter Linie auf die Verfolgung des Unrechts (oder gar auf das Ziel der Verteidigung der Schwachen) verwiesen: eine die Paranoia fördernde Institution;
    – der Gewaltbegriff: ein Verständnis des Gewaltmonopols des Staates, das
    . Gewalt in erster Linie als Gewalt gegen den Staat begreift, deshalb rechte Gewalt nicht in gleichem Maße der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt wie linke, und aus dem gleichen Grunde
    . eher darauf abzuzielen scheint, kritisches Denken (das mit „anschlagsrelevanten Themen“ sich befaßt) zu kriminalisieren als die realen Ursachen der Gewalt ernsthaft zu bekämpfen: in diesen Zusammenhang gehören z.B. die zögerliche Verfolgung von sexuellen Gewaltdelikten (Vergewaltigungen, insbesondere auch in der Ehe), aber auch die skandalösen Anerkennung von Trunkenheit als Strafmilderungsgrund bei Gewaltdelikten (kritisches Denken gilt als strafverschärfend, Trunkenheit als strafmildernd: ein wesentlicher Grund für die Gewaltaffinität in diesem Staat).
    – Blindheit gegen Rechts nicht gesinnungs-, sondern systematisch begründet (Problem des Gesinnungsbegriffs),
    – Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand,
    – Eigentum und Selbsterhaltung (Weltbegriff): Ego-Trip,
    – Staatsbürgerschaft: endlich das Blutsprinzip durch rechtliche Regelung ersetzen.
    Steckt darin (in dieser ethnisch begründeten Staatsmetaphysik) nicht jene kirchliche Tradition, die seit der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie zwar jede unreglementierte Sexualität diskriminiert, aber die Kritik der Gewalt (in Kriegen, bei Anwendung von von Mitteln politischen Terrors: Folter, Scheiterhaufen, Völkermord) fast grundsätzlich vermeidet? Der Hinweis auf den Zusammenhang mit dem Weltbegriff rührt an den Kern des Problems. Nicht zufällig hat der Papst bei der Rehabilitierung Galileis den Inquisitoren „guten Glauben“ attestiert, und so mit instinktiver Präzision das Problem auf den Kopf gestellt.
    Zum Begriff der Natur: Warum heißt die Einbürgerung „Naturalisierung“ (begrifflicher Zusammenhang mit „Säkularisierung/Verweltlichung“)? Der Naturalisierte wird Objekt und Subjekt des Staates, der ihn naturalisiert. Vor diesem Hintergrund wäre Natur als Schuldzusammenhang, Volk als Schicksalsgemeinschaft zu definieren. Der Fremde steht außerhalb der Natur (Grund der Xenophobie).
    Christologische Logik des Naturbegriffs: Die Vergöttlichung des Opfers ist der Grund der zivilisatorischen Selbstvergöttlichung, der Sakralisierung des Subjekts durchs Selbstmitleid (Tabuisierung der Opferrolle).

  • 12.12.92

    „Die Götterwelt fungiert als eine völkerrechtliche Instanz, die auf die Einhaltung der Verträge achtet.“ (Assmann, S. 256)
    Vertragsbruch als Urmodell der Sünde. (ebd.)
    In welchem Zusammenhang stehen im Christentum Kanonbildung und Dogmatisierungsprozeß?
    „Das Problem ist für die Wissenschaft das, was die „Mythomotorik“ für die Gesellschaft im Ganzen ist. Das Problem enthält ein Moment dynamischer Beunruhigung. Die Wahrheit ist einerseits problematisch, andererseits wenigstens theoretisch lösbar geworden.“ (S. 288)
    Im Kontext des „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ gibt es den anderen, an die Pharisäer gerichteten Satz, wonach sie durch Wissen schuldig werden. Dieser Satz, der auf den Rat hinausläuft, dumm zu bleiben, denn „Was ich nicht weiß macht mich nicht heiß“, ist böse. Hier liegt der Grund der Verdrängungsmechanismen, der Verdummungsautomatik, die ihre schlimme Wirksamkeit dann entfaltet hat. Hier werden die Dummen heiliggesprochen.
    Die systematische Stelle des Naturbegriffs im Stern der Erlösung macht deutlich, welchen Bann er begründet, und daß er nur durch Umkehr, in der der Bann sich löst, auf die Idee der Wahrheit zu beziehen ist.
    „Gehet hin in alle Welt“, dieser Auftrag ist nicht nur geographisch, sondern auch begrifflich zu verstehen. Er bezieht sich auch auf die Apperzeption und vollständige Durchdringung der weltkonstituierenden Philosophie.
    Staub, Schmutz und Abfall sind Kategorien der Xenophobie. (Hat der Name der Hebräer etwas mit dem Fluch über Adam und die Schlange, mit dem Staub, zum dem Adam wird und den die Schlange frißt, zu tun? Wird nicht die Erinnerung an das „Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden“ zur Selbstbezeichnung? Als Hebräer aber sind sie Nahrung der Schlange. Ist in diesem Licht nicht die Schlange des Moses, ihr Kampf mit den Schlangen der Zauberer des Pharao, die erhöhte Schlange, zu sehen? Wann wurde die Schlange aus dem Tempel entfernt? – Wird im Christentum der Benennende und Fressende: Ägypten, die Philister, auch Holofernes ins hebräische Subjekt mit hereingenommen; ist das der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge vorübergehen; und drückt sich das im Kreuzestod, dem ambivalentesten Symbol des Christentums, für das das „Ein Gehenkter ist ein Fluch Gottes“ – 5 Mos 2123, Gal 313 – weiterhin gilt, aus? – Vgl. auch Hebr 1126, 122, 1313)
    Der Weltbegriff macht die Schande (das Aufdecken der Blöße) allgemein, das Christentum macht sie reflexionsfähig: es relativiert die Schande, die Schmach, befreit die Menschen von ihrer Gewalt (das Kreuz ist Grund der Ästhetik, aber selbst kein ästhetisches Objekt; Beziehung der Schande zur Sexualmoral): Schande wird reflexionsfähig durch Übernahme der Sünde der Welt.
    Hat der Name des Petrus etwas mit den drei Leugnungen zu tun, mit dem „Von allen Seiten von außen“ und der Hilflosigkeit dagegen, (Genesis der Verdinglichung, Versteinerung)?
    Gethsemane, und nicht die Todesangst, wäre der Anfang einer christlichen Theologie, die dem mit dem Stern der Erlösung gesetzten Anspruchsniveau genügt.
    Vorweihnachtliche Unzufriedenheit: omna animal post coitum triste.
    Der Begriff unterscheidet sich vom Namen wie das Zeitlose vom Ewigen. Das Zeitlose gilt zu aller Zeit, das Ewige besteht zu keiner Zeit, außer „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“. Das Zeitlose ist bis zur Strangulierung verstrickt in die Zeit, nur das Ewige bringt die Luft zum Atmen.
    Das jesuanische „Die Blinden sehend machen“ sollte nicht verwechselt werden mit dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Gegenstand der erlösten Erkenntnis ist nicht die Nacktheit, sondern das Angesicht.
    Es gibt eine Vergöttlichung Jesu, die ihn gleichsam stillstellt, unschädlich macht. Sie hat mehr mit dem Binden zu tun als mit dem, was in seinem Munde Bekenntnis hieß.
    Gehört es mit zum Providentiellen in der deutschen Sprache, daß in ihr der Name der Taube an den der Taubheit anklingt (mit der Konnotation des Doven)?
    Mit scheint, die Abtreibungsdiskussion hängt strukturell mit der Xenophobie zusammen. Innerkirchlich implodiert in der Abtreibungsdiskussion die Sexualmoral, Folge ihrer unaufgeklärten Beziehung zum theologischen Weltbegriff und seiner Verflochtenheit in die reale Geschichte (Zusammenhang mit der unaufgearbeiteten Frauenfeindschaft und dem Zölibatsproblem und mit den drei ungelösten Vergangenheitsproblemen: Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung).
    Lippen und Zunge, Phallus und Vagina: Weshalb heißt das Lippenbekenntnis Lippenbekenntnis?
    Ist nicht heute die Nutzung der Welt als Exkulpationsmaschine die Wand, die uns von Auschwitz trennt, und der Grund der Unfähigkeit, Auschwitz und seine gegenwärtigen Metastasen wirklich wahrzunehmen?
    Zu Metz am 11.12.: Die Verwechslung der Empfindlichkeit mit der Sensibilität beharrt auf der unzivilisierten Verletzbarkeit, während die Sensibilität ihrer selbst auch nach Verletzungen noch mächtig bleibt. Die Sensibilität unterscheidet sich von der Empfindlichkeit durch ihr parakletisches Element.
    Errettung der vergangenen Zukunft: Siehe hierzu das Gleichnis vom armen Lazarus, der den Reichen darauf hinweist: deine Brüder haben Moses und die Propheten; an die sollen sie sich halten.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie