Habermas‘ Begriff des kommunikativen Handelns steht unter einem Objektivitätsdruck, der das Handeln gleichsam apriori in institutionelles Handeln verwandelt. Nicht zufällig entspricht die Aufteilung in objektive, soziale und subjektive Welt der Beziehung von Ökonomie, Verwaltung und Kultur. Ist nicht der Begriff des kommunikativen Handelns eine Weiterbildung des Begriffs der Öffentlichkeit, deren Strukturwandel einmal Thema der Habermasschen Habilitationsarbeit war (und bei dem auch schon ein verdinglichter Realitätsblock als Korrelat der Information vom Raisonnement, dem Bereich der subjektiven Meinung, deutlich unterschieden wurde)?
Durch den Begriff der objektiven Welt (und seine Unterscheidung von der sozialen und der subjektiven Welt) ist die Logik des „kommunikativen Handelns“ schon vorentschieden. Bezeichnend, daß
– eine Theorie des Geschwätzes (die auch eine Gestalt des kommunikativen Handelns ist) ebenso fehlt wie eine Diskussion des Vorurteils (z.B. der Studie über den autoritären Charakter),
– das Problem der Objektivität (der Sprachlogik des Indikativs) unreflektiert bleibt (daß die Objektivität im Kontext des zweckrationalen Handelns sich auskristallisiert, wird bemerkt, aber die Konsequenzen bleiben unreflektiert),
– das Problem des „falschen Bewußtseins“ ebensowenig angesprochen wird wie das der Rationalisierung (deren Begriff durch Übertragung auf den Bereich der Rationalität, so als wäre diese ein Produkt von Rationalisierung, verwischt wird).
Welche Bedeutung hat eigentlich die Horkheimersche Bemerkung, wonach der Antisemit unbelehrbar ist, für die Konsistenz einer Theorie des kommunikativen Handelns?
Herrschaftsfreier Diskurs: Diskurs der Herrschenden, nachdem die Beherrschten endgültig stumm geworden sind.
Der Objektivitätsdruck ist Ausdruck des Rechtfertigungszwangs, unter dem die Theorie des kommunikativen Handelns steht, so wie der historische Objektivationsprozeß als Teil des Prozesses der gesellschaftlichen Schuldverarbeitung (als Teil der Herrschaftsgeschichte) zu bestimmen wäre.
Eine Theorie des kommunikativen Handelns, die etwas taugt, müßte in der Lage sein, den Faschismus oder den Fundamentalismus (den Holocaust oder den jugoslawischen Bürgerkrieg) zu erklären. Faschismus und Fundamentalismus sind nicht nur „Beispiele“ kommunikativen Handelns, sondern Knotenpunkte, an denen die Logik des kommunikativen Handelns sich demonstrieren ließe.
Grundlage der Konstruktion des kommunikativen Handelns ist ein kastrierter Begriff der Erkenntnis (deren Repräsentant ist das propositionale Urteil, das auf die Sache nur noch äußerlich sich bezieht).
Dem Judentum und dem Christentum hat Habermas den Trieb zur Weltbeherrschung attestiert, während der Islam unerwähnt bleibt. Im Gegensatz zum Islam ist beim Judentum die Unterstellung eines Weltbeherrschungstriebs in jedem Falle unbegründet, sie erinnert nicht zufällig an die antisemitische Tradition.
Die Mordlust (die in einer logischen Beziehung zum Weltbeherrschungstrieb steht) ist ein Produkt der Bekenntnislogik, die im Christentum ausgebildet wurde: Sie ist ein Produkt der Externalisierung der Bekenntnislogik, insbesondere der Opfertheologie, die den Kern der Bekenntnislogik bildet. Skinheads sind die letzten Confessores.
Der Markt und das Tauschprinzip definieren die der organischen Natur aller selbsterhaltenden Institutionen zugrunde liegende anorganische Natur. Bezeichnet in der Entwicklung dieser organischen Naturen die Magie die pflanzliche, der Mythos die animalische Stufe?
Die Frage, ob die Geschichte sich begreifen läßt, die Wolfgang Pohrt im Zusammenhang seiner Kapitalismuskritik stellt, ist nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Es ist beides darin: Post festum läßt sich die Geschichte begreifen, ist der ungeheure Zwang nachvollziehbar, unter dem der historische Prozeß abläuft. Es gibt keinen affirmativen Begriff der Geschichte, die vielmehr nur als das gnadenlose Weltgericht sich begreifen läßt. Das hebt die gleichzeitige Unbegreiflichkeit der Geschichte nicht auf, die vielmehr das Wesentliche an ihr bezeichnet: Diese Unbegreiflichkeit ist a) der Schutz vor der Verurteilung des Vergangenen, sie entzieht b) jeder Vorstellung, die mit der Gegenwart ihren Frieden schließen möchte, den Boden, Sie hebt das Einverständnis mit der Gegenwart auf und sensibiliert die Erkenntnis. Jede Empörung weist auf diese Sensibilisierung zurück, verrät sie aber zugleich an die Logik des Urteils. Jede Empörung ist ein Instrument der Abwehr, damit aber ein Beweis für die Existenz des Abgewehrten, dessen Inhalt nur dann sich erschließt, wenn man dem Trieb, sich zu empören, nicht nachgibt.
Standesehre: Der Trieb, sich zu empören, ist insbesondere bei Bekenntnisgruppen verbreitet (wobei auch Standesorganisationen dazu neigen, wie Bekenntnisgruppen zu reagieren).
Die subjektiven Formen der Anschauung gründen in der Tradition der Bekenntnislogik: In ihnen vollendet sich die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.
Die Schicksalsidee ist das logische Korrelat des Rechtfertigungszwangs, der Begriff seine erste Verkörperung und das Objekt das telos des Schuldverschubsystems (der Dingbegriff gründet in der Eucharistieverehrung des Mittelalters: im Anblick des die Bekenntnisgemeinschaft begründenden Symbols des entsühnenden Opfers).
Christentum
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15.1.96
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4.1.96
Die Asymmetrie zwischen mir und den andern ist unvermeidbar. Auch der Universalismus ist asymmetrisch, er glaubt nur, von der Reflexion dieser Asymmetrie absehen zu können. Die Habermassche Intersubjektivität ist ein Richterkollegium (ein Gemeinschaft von Richtenden).
Hat nicht der Jakob Boehmesche Gebrauch des Symbols des göttlichen Zorns und Grimms etwas mit dem Symbol des Kelchs zu tun?
Wenn Habermas die Individualität an die Personalpronomina bindet, so vergißt er, daß die durchs Eigentum vermittelte Individualität eine privilegierte und durch die staatliche Organisation des Eigentums vermittelte Individualität ist. Die jüdische Tradition hingegen gründet die Individualität und die Autonomie in der Gottesfurcht. Das in der Kabbala wie im Christentum tradierte Armutsmotiv („Mein ist dein und dein ist dein“) hält die Erinnerung daran fest, daß mein Eigentum kein originäres Eigentum ist (ich bin nicht Gott), sondern das jedes Eigentum durch die Anerkennung durch andere und durch die Organisation dieser Anerkennung durch den Staat und das Recht vermittelt ist. Die strafrechtliche Sanktionierung der Verletzung der Eigentumsrechte anderer zielt nicht auf die Wiederherstellung der Rechte des andern, sondern vergesellschaftet nur das Rachebedürfnis als Strafbedürfnis. Ihr Grundprinzip ist nicht die Versöhnung der Beteiligten, sondern deren Versöhnung mit dem Staat: die Monopolisierung der Rache durch den Staat.
Die Verführung des Verurteilens ist die Verführung des Rechts: Sie ändert nichts, befriedigt nur das Rache- und Strafbedürfnis, das die Bürger an den Staat bindet (Anwendung auf den wissenschaftlichen Objekt- und Erkenntnisbegriff).
„Wahr und falsch“: In der Schrift gibt es das „falsche Zeugnis“ und den „falschen Propheten“ (sowie dessen apokalyptische Verkörperung im „Tier vom Lande“ – Off 1311ff, vgl. auch 152 und 179). Die analytische Philosophie hat sie neutralisiert zu „falschen Sätzen“, für die keiner mehr verantwortlich ist. „Falsche Sätze“ sind das Korrelat des apriori exkulpierten „fallibilistischen“ Bewußtseins, das seinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht mehr verantworten muß (nur noch seine politische Gesinnung, die zwar objektiv, gegen die Übermacht dessen, was ist, gegen die Imperative des Marktes und der Verwaltung, nichts mehr vermag, dafür aber exkulpatorische Kräfte freisetzt).
Hat nicht der Fachjargon (auch bei Habermas) den Zweck einer strategisch-taktischen Verwirrung des Leser (und – im Kontext eines „Universalismus“, der die Grenzen zwischen Autor und Leser verwischt – auch der Selbstverwirrung)?
Beitrag des Kohelet zur Logik der Schrift: Hängt nicht der Satz über das Bücherschreiben mit dem (systematisch zu verstehenden) Begriff der Eitelkeit zusammen?
Alle Weltreligionen sind Buchreligionen. Bezeichnet nicht die Eitelkeit das gleiche systematische Element im Begriff der Welt, dessen zentrale logische Funktion Hegel im Begriff des Scheins bezeichnet und beschrieben hat? Dieser Schein, ein Produkt der Logik der Schrift, trennt die Schrift vom Wort. Im Banne dieses Scheins ist in der Tat „des Bücherschreibens kein Ende“.
Ist die Eitelkeit die biblische Wurzel des Fernsehens?
Eitelkeit und Welt: Der Eitle spiegelt sich im Blick der andern; die Totalität dieser Spiegelung ist die Welt, in ihrem Schein ist alles nur, was es für andere ist. Deshalb ist die Welt alles, was der Fall ist. -
4.12.95
Ursprung und Geschichte der modernen Wissenschaft setzen, von der Theologie bis zu den Naturwissenschaften, von der Kirche bis zum Nationalismus, vom Kloster bis zu den Burschenschaften, den Zwang zur kollektiven Absicherung des Wissens voraus.
Der deutsche Idealismus ist der Verführung durch den Begriff des Wissens erlegen.
Jedes Recht hat Anteil am Weltgericht; und für jedes Rechtsurteil gibt es die begründete Hoffnung auf Revision durchs Jüngste Gericht.
In der Verurteilung des Verbrechers sind sich alle einig. Gründet nicht die Bekenntnislogik im Geiste des Rechts? Der Ursprung des Rechts aber war die Vergesellschaftung der Blutrache durch den Staat; diese Blutrache kehrt im Kontext der Bekenntnislogik als Opfertheologie wieder. Nur so erklärt sich die starke affektive Besetzung des Kruzifix, das nicht zufällig insbesondere in Gerichtsälen und in Schulräumen, im privaten Bereich aber vor allem in den ehelichen Schlafzimmern, seinen Platz gefunden hat.
Die Tiere der Apokalypse sind Teile einer außerordentlich dramatischen Entwicklung und Konstellation: Nachdem der Drache vom Himmel auf die Erde geworfen wurde, kommen das Tier aus dem Meere (mit zehn Hörnern und sieben Köpfen, während der Drache sieben Hörner und zehn Köpfe hatte: dieses Tier hat vom Drachen seine Macht) und das Tier vom Lande, der Lügenprophet (der zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie der Drache).
Ist die Venus-Katastrophe ein Bild jener gesellschaftlichen Naturkatastrophe, in der die Sexualmoral entsprungen ist?
Liegt nicht das Problem der mikrophysikalische wie auch der astronomischen Theorien heute in einer redundanten Beweisführung, gleichsam in einer verhedderten Logik? Im Urknall wird das gleiche Inertialsystem, das mit ihm entstehen soll, schon vorausgesetzt: Sonst würde es die physikalischen Gesetze, die die dramatischen Prozesse beherrschen, nicht geben. Das Kaninchen war schon in dem Hut, aus dem die Erfinder des Urknalls es herauszaubern zu können glauben. Wird beim Urknall von den Ursachen abstrahiert, so bei den Schwarzen Löchern von den Wirkungen: Was in den Schwarzen Löchern passiert, bleibt unreflektiert.
Der Name des Geheimnisses bezeichnet heute nur noch das Tabu, mit dessen Hilfe die Aufdeckung einer Untat verhindert werden soll. Gründet nicht auch das Christentum in einem Verbrechen, als es als Kirche – mit der Rationalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie – auf die Seite der Täter sich gestellt hat?
Gleicht nicht die Beziehung des Dogmas zur Wahrheit der der Bekehrung zur Umkehr? Gibt es nicht heute soviel Religion, weil alle für alle anderen die Religion für nützlich halten? Die Bekehrung war immer schon die Umkehr für andere.
Ist nicht der Begriff die Kreuzigung des Namens? So fundiert die Opfertheologie den wissenschaftlichen Erkenntnisbegriff als einen vergesellschafteten Erkenntnisbegriff. Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind der Statthalter der Gesellschaft im Subjekt.
Ist nicht das tohuwabohu der früheste Hinweis auf die Urteilslogik, auf Ursprung und die Trennung der Begriffe Natur und Welt? Und beschreibt das tohuwabohu nicht den Ursprung der „Finsternis über dem Abgrund“? -
27.11.95
Die Natur ist das Produkt, die Welt das Instrument der Historisierung der Gegenwart, der Erweckung der Kräfte der Vergangenheit in der Gegenwart.
„Ihr seid das Licht der Welt“: Das Christentum hat die Schöpfung, das Sechstagewerk, revoziert und zugleich das Werk des ersten Tages erneuert. Die Aufhebung des Sabbat und seine Verschiebung auf die dies dominica, den „Tag des Herrn“, hängt damit zusammen. War diese Verschiebung nicht zunächst eine Umkehrung, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem die Bekehrung eine Umkehrung der Umkehr ist?
Die Apokalypse ist nichts weniger als das Buch mit sieben Siegeln, sie ist vielmehr der Text, der das Verfahren ihrer Lösung in sich birgt. Das siebenfach versiegelte Buch ist die Welt.
Hat die Höhe der angedrohten Bußgelder (100 000 DM) im neu eingerichteten Naturschutzgebiet Rüsselsheim/Mörfelden etwas mit dem Umfang der Schäden zu tun, die die Startbahn West in diesem Gebiet inzwischen angerichtet hat? Und in welcher Beziehung steht das in der Naturschutzverordnung enthaltene Verbot, in diesem Gebiet Bild- oder Tonaufnahmen zu machen, zur derzeitigen politischen Absicht, den großen Lauschangriff einzuführen?
Kriege sind explodierende Schuldverschubsysteme.
Der letzte Krieg konnte nicht mehr durch einen Friedensschluß beendet werden; zugleich hat die Nachkriegsentwicklung die politischen Verlierer zu ökonomischen Gewinnern gemacht. Japan und Deutschland sind mit den USA an die Spitze der mächtigsten Nationen gerückt. Zusammen mit der weltweiten Durchsetzung der Marktgesetze (mit der Herstellung der Einheit der Welt) haben die Quellen der Macht immer offener in die Ökonomie sich verlagert, die dazu ihre eigenen politikunabhängigen Institutionen und Verwaltungsapparate sich geschaffen hat. Die Politik ist zu einem Handlanger der Wirtschaft geworden, die Regierungen der Nationen zu einem Satellitensystem, das das Schwerezentrum der Ökonomie umkreist. Es gibt keine souveränen Staaten mehr, die zu ihrem eigenen Selbstverständnis (und zur Begründung ihrer Souveränität) noch eines Friedensschlusses bedürften (oder dazu überhaupt noch fähig wären). Dem politischen Prozeß (der Regression von Politik in Verwaltung) entspricht ein logischer: Ausdruck dieses Vorgangs ist ein Positivismus, der zur Reflexion seiner eigenen Voraussetzungen nicht mehr fähig ist.
Der Terrorismus spiegelt eine Zustand der Vernunft wider, die unfähig geworden ist, in einer Welt, die von anderen Kräften beherrscht und bewegt wird, etwas anderes als das reine Eigeninteresse noch zu reflektieren. War der Staat einmal die Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, so verweist der Terrorismus auf eine Entwicklungsstufe des Staates (und des Privateigentums), in deren Kontext es zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr gibt. -
21.11.95
Das Christentum als Selbstrechtfertigung der indogermanischen Sprachlogik verstehen: Kein Präsens ohne Opfer. Und kein Präsens ohne Plusquamperfekt: beide werden kontrahiert und in einer gemeinsamen Logik zusammengefaßt durch den Weltbegriff.
Waren nicht alle Kosmologien subversive Erweiterungsarbeiten im Sprachbau (Arbeit an der Erweiterung und Differenzierung der Sprachlogik)?
Wer das Imperfekt in die Vergangenheit abdrängt, hypostasiert den Staat und legt den Grund für die Welt. Er begründet eine Logik, in der die abgeschlossene Vergangenheit vollendet (perfekt) ist, während für die hebräische Sprache diese Welt unvollendet (imperfekt) ist und erst die zukünftige Welt vollendet (perfekt) sein wird.
Ontologie und Recht: Nur über die Anerkennung fremden Eigentums ist auch die Anerkennung des eigenen Eigentums sicherzustellen. Das Vorhandene ist das, was meiner Verfügungsgewalt entzogen ist, weil andere darüber verfügen (der Staat „präsentiert“ das Vorhandene, produziert das Präsens).
Treten nicht Sein und Haben gemeinsam auf, und zwar beide im Kontext der Perfektbildung (der „vollendeten Vergangenheit“)? Und sind sie nicht der sprachliche Grund für die Heideggersche Unterscheidung des Vorhandenen vom Zuhandenen? Ist nicht die Heideggersche Eigentlichkeit ein Audruck dafür, daß in der Fundamentalontologie das Bewußtsein, daß das Sein ein (durch den Staat) Gesetztes ist, durchaus präsent ist, wobei die Eigentlichkeit der Identifikation mit dem Subjekt des Seins: dem Staat, sich verdankt: Der Ontologe ist der Hirte des Seins.
Das Haben ist das Ergebnis einer aktiven Aneignung, während dem Sein das passive Angeeignet-worden-Sein zugrundeliegt. Insofern steckt im Sein in der Tat das Possessivpronomen: die Beziehung auf einen Herrn.
Im Strafrecht entspricht der Unterscheidung von Sein und Haben die von Tat und Täter: Wer gemordet hat, ist ein Mörder, wer gestohlen hat, ein Dieb; aber unter rechtsstaatlichen Bedingungen wird in dem einen Falle der Täter verurteilt (und bestraft), in dem anderen Falle die Tat.
Schneidet nicht das Benennen die Reflexion der Vergangenheit ab? Das Benennen verdrängt die Vergangenheit: es macht die Tiere zu Tieren (die Mörder zu Mördern, die Diebe zu Dieben), rückt sie ins Gegenständliche, Vergangene: fürs Benennen sind die Benannten tot. Die Lehre von der Auferstehung enthält auch ein sprachphilosophisches Element.
Gibt es überhaupt noch ein Benennen ohne Komplizenschaft, ohne daß man sich gemein macht?
Hängt es mit dem englischen to be zusammen, daß im Englischen das Perfekt nur mit to have, nicht mit to be gebildet wird (den Formen des Perfekts, die im Deutschen mit dem Hilfsverb Sein gebildet werden, entspricht im Englischen das Präteritum)?
Kann es sein, daß im Russischen das Haben sowohl das Haben wie auch das Sein bezeichnet?
Unfähigkeit zur Reflexion ist ein Ausdruck von Ich-Schwäche. Ein Erkenntnisbegriff, der an der intentio recta, an den Erscheinungen, sich orientiert, korrespondiert einem am Feindbild sich orientierenden Begriff des Handelns; beide unterbinden die Reflexion und fördern die Ich-Schwäche. -
20.9.1995
Das Staatsschutzrecht versucht völkerrechtliche Probleme mit strafrechtlichen Mitteln zu lösen. Der Staat, der das Eigentum seiner Bürger begründet und schützt, ist selber der Eigentümer seiner Bürger. Fremde sind recht- und herrenloses Gut, und wer sich gegen den Staat stellt, macht sich selbst zum Fremden.
Die Apokalypse ist das Korrelat der Prophetie unter den Bedingungen des Weltbegriffs. Die Sexualmoral, selber Nachfolger und Erbe des Astarte/Ischtar/Venus-Kults, ist das Produkt der Privatisierung des mit dem Weltbegriff entsprungenen Problems (Zusammenhang mit der „Venus-Katastrophe“, der Astrologie insgesamt?). Sie ist ein Symptom, keine Lösung des Weltproblems.
BI-Plakat: „Alle reden vom Klima, wir machen es. Pro Platz in einem Flugzeug ruinieren sie die Atmosphäre bei einem Langstreckenflug wie durch 14 Jahre Autofahren.“
Die Geschichte der drei Leugnungen steht genau an der Grenze (zwischen Synhedrium und Pilatus), an der das Christentum, indem es glaubte, den Staat für seine Zwecke instrumentalisieren zu können, selber zu einem Instrument des Staates geworden ist.
Die Geschichte der Theologie steht unter einem Bann, der allein mit Hilfe der Geschichte von den drei Leugnungen zu lösen wäre. Die „drei Leugnungen“ sind nicht ganz sinnlos: sie gehören zur Klugheit der Schlange, die nur durch die Arglosigkeit der Tauben sich heilen läßt.
Zum Begriff (und zur Grenze) des Beweises (oder zu den Antinomien der reinen Vernunft): Die Unmöglichkeit, einen Verdacht zu widerlegen, ist kein Beweis. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die sich auf sich selbst beziehende Form des Verdachts, und ist nicht das Objekt Produkt der Unwiderlegbarkeit dieses Verdachts? Der apagogische Beweis ist keiner.
Im Wort „Beweis“ steckt ein demonstratives Moment, das Weisen, das durch das Präfix be- die Reflexion auf den Andern in sich aufgenommen hat, in die Urteilslogik (und in die Logik des Weltbegriffs) integriert worden ist. Beweisen ist ein Weisen von außen, durch oder für einen Andern. Der wichtigste Beweis ist der Zeugenbeweis (die Berufung auf die Wahrnehmung eines andern), der durch die Formen der Anschauung (als Formen der Vergesellschaftung der Wahrnehmung, durch die meine Wahrnehmung mit der Wahrnehmung aller andern identifiziert wird) verinnerlicht und vergesellschaftet wird. Intersubjektivität (auch die des Urteilens) ist durch die Formen der Anschauung vermittelt, in den Formen der Anschauung sind Ankläger und Richter, Angeklagter und Zeugen systemisch vereinigt.
Was bedeutet und worauf bezieht sich der juristische Begriff „Augenschein“? Im Zuge einer Ermittlung wird nicht gesehen, sondern „in Augenschein genommen“: das Sehen vergesellschaftet. Das Präsens, die Gegenwart, ist das Korrelat des Augenscheins, nicht des Sehens, der Augenschein ein Produkt des Indikativs, durch den das Sehen juristisch verwertbar wird, durch Subsumtion unter die Beweislogik. Der Indikativ ist eine Sprachform, die im Bannkreis des Wertgesetzes und der Beweislogik sich gebildet hat.
Die ungeheure Bedeutung der kantischen Antinomien der reinen Vernunft liegt darin, daß aus ihnen die Prävalenz der Vergangenheit in der Beweislogik sich ablesen läßt. Durch die Subsumtion unter die Vergangenheit wird die Sache ästhetisiert, den subjektiven Formen der Anschauung und damit einer Logik unterworfen, in der auch das kontrafaktische Urteil gründet: Hier kann alles auch anders sein. Die Antinomien sind die Rache des kontrafaktischen Urteils an seinen Konstituentien. Kontrafaktische Urteile sind ein Hinweis darauf, daß es keinen absoluten Indikativ gibt.
Der Verdacht ist der Grund der synthetischen Urteile apriori, sein gegenständliches Korrelat das Reich der Erscheinungen. Gegen ihn steht das verteidigende, parakletische Denken.
Die Logik der Schrift und die Erfüllung des Wortes: „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.“ Auch dieser Indikativ ist eigentlich ein Imperativ, theologischer Grund des parakletischen, verteidigenden Denkens. Als Indikativ ist der Satz das Signum des steinernen Herzens, als Imperativ der Beginn der Umwandlung des steinernen in ein fleischernes Herz, der Beginn der Transformation des Opfers in Barmherzigkeit. -
7.9.1995
Während der projektive Grundzug der Strafen in der Schrift als Mittel der Verarbeitung des Rachetriebs sich begreifen läßt („Mein ist die Rache, spricht der Herr“), erweist sich die projektive Struktur der Erkenntnis in Geschichte und Natur, die „Konstituierung der Erscheinungen“ durch Erkenntnis, als ein Instrument der Stabilisierung des Rachetriebs (die Form dieser Erkenntnis ist die Rache der Vergangenheit, die sich nicht anders wehren kann, für den Verzicht auf Gotteserkenntnis, die sie sich versagen muß)? Sind beide Formen der Projektion nicht durch Inversion (durch Spiegelung an der Grenze von Hören und Sehen) auf einander bezogen?
Gotteserkenntnis ist das Gegenteil aller Erkenntnis, die man getrost schwarz auf weiß nach Hause tragen kann.
Zum Begriff der Aufhebung: Ist der Schmerz des von seinem Vater geprügelten Knaben im Mitleidsschmerz des Vaters „aufgehoben“ (Anwendung auf die Kirche, den Staat)? Gründet der Begriff der Aufhebung nicht in einer Substitution, verletzt er nicht das Bilderverbot? Der Begriff der Aufhebung stammt aus der Logik der Opfertheologie; gegen ihn richtet sich der Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
Der Begriff des Einen ist ambivalent. Das läßt sich an dem platonisch-hegelschen Satz demonstrieren: „Das Eine ist das Andere des Anderen“. Hier bezeichnet das Eine
– sowohl das in seinem Sein für Andere (in seiner Veranderung) Verdrängte, das, was nicht mehr wahrgenommen, wovon abstrahiert wird,
– als auch die abstrakte Einheit, die in dem doppelten Abstraktionsprozeß, im Durchgang durch die doppelte Negation, überhaupt erst sich konstituiert: die Einheit der Mathematik.
Es ist ein Unterschied, ob ich mich in jemanden hineinversetze oder ihn als Person ansehe. In der gleichen doppelten Abstraktion entspringt der Objektbegriff. Diese Ambivalenz macht den Begriff des Monotheismus so problematisch, seine gleichzeitige Anwendung auf die jüdische und die griechische Tradition, die durch diese doppelte Abstraktion getrennt sind (und invers auf einander sich beziehen), unmöglich.
Die Heiligung des Gottesnamens ist kein ritueller Akt, sie gründet nicht im Opfer, sondern in der Barmherzigkeit.
Der Personalismus gründet in der dämonischen Seite der Liebe, dem Trieb, geliebt zu werden, der unerfüllbar bleibt, wenn er nicht zur tätigen Liebe sich befreit (der Trieb, geliebt zu werden, in dem das Personbewußtsein gründet, gründet selber in der Unfähigkeit zu lieben). Wer es sich verbieten muß, die real existierende Not, die wirkliche Armut und den Schuldzusammenhang, der Reichtum und Armut aneinander bindet (jeder Reichtum „verzehrt die Häuser der Armen“), auch nur wahrzunehmen, verstrickt sich zwangsläufig in Rechtfertigungszwänge, zerstört die Sensibilität und wird „empfindlich“: Person.
Der Grund jeder Empfindlichkeit, die Unfähigkeit zu lieben und der unerfüllbare Trieb, geliebt zu werden, waren es, die in kirchlichen Zeiten im Bild des Höllenfeuers sich spiegelten.
Mit dem Namen JHWH hat Gott sich erstmals dem Moses offenbart (Ex 63). Wenn der Name schon vorher (z.B. in der Paradies- und Sündenfall-Geschichte, bei der Zerstörung Sodoms oder bei der Opferung Isaaks) erscheint, dann kann das doch nur heißen, daß diese Geschichten im Nachhinein im Licht der Moses-Offenbarung sich darbieten (die Offenbarung erhellt auch das Dunkel der Geschichte).
Das Christentum hat seit seinem paulinischen Ursprung diese Moses-Offenbarung, die die entscheidende war, durch eine andere ersetzt: durch das Konstrukt der Offenbarung der Trinitätslehre in der historischen Erscheinung Jesu.
Wenn die drei Männer, die zu Abraham kommen (Gen 18), schon die Trinitätslehre symbolisieren, muß man dann nicht auch die Geschichte der Zerstörung Sodoms und die Lot-Geschichte (mit den Geschichten von Lots Weib und den Töchtern Lots) in dieses Symbol mit hereinnehmen?
Paul Celan zitiert in der Todesfuge (im 3. Band der Gesammelten Werke, S. 63) mit dem Namen Sulamith das Hohelied der Liebe. In welcher Beziehung stehen die Sätze „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ und „Stark wie der Tod ist die Liebe“?
Ist nicht das Angehörigen-Info ein letzter Beleg dafür, daß die Verräter-Diskussion (die aus Tradition des Häresie-Begriffs stammt und zu den Folgen der Bekenntnislogik gehört) auf den Hintergrund des Rechts (der gerichtlichen Verfolgung) zurückweist, durch den Blick der Ermittlungsbehörden determiniert ist? Und verweist sie nicht auf eine im ganzen passive Beziehung zum Recht, auf die Unfähigkeit, mit dem Instrumentarium des Rechts politisch umzugehen: Ist nicht das Recht im mythischen Sinne zum Schicksal der raf geworden, und sind nicht die Taten der raf weithin daraus zu begreifen, daß auch sie im Angesicht des Rechts zur Opferrolle keine Alternative kennen? -
3.9.1995
Leiden nicht alle christlichen Bibel-Übersetzungen daran, daß sie zwangshaft die Spuren der Herrschaftskritik verwischen müssen? Eines der Mittel dieser Spurenverwischung war die Übersetzung der Prophetie in den historischen Indikativ: die Transformation des „Alten Testaments“ ins Vergangene (das traditionelle christliche Verständnis der „Erfüllung der Prophetie“ in Christus war die Voraussetzung). So hat der „Gott der Liebe“, der die Herren exkulpiert, den „Gott der Rache“, der sich der Erniedrigten annahm, besiegt. Der Tag des Ewigen war nahe, aber er wurde vertagt.
Der Begriff wendet die Schulderfahrung, die im Namen laut wird, nach außen, projiziert sie ins Objekt, das in dieser Projektion sich konstituiert. Natur und Welt sind die Repräsentanten der externalisierten Sünde und Schuld.
Der Gott der Liebe ist nicht der Barmherzige: Die Barmherzigkeit ist nicht der Widerpart (die „abstrakte Negation“) der Rache, sondern Resultat ihrer Umkehr.
Die Dinge beim Namen nennen, Roß und Reiter nennen: Heißt das nicht, den Schuldigen benennen? Ist die benennende Kraft der Sprache nicht ein Teil des Schuldverschubsystems? Und sind Roß und Reiter (die vier apokalyptischen Reiter) nicht das Gegenstück zum Wagen (Ez und Hoh)?
Ist das gerade Bein des Cherubs (Ez 1) ein nicht gebeugtes Knie? Was hat das gebeugte Knie mit der Orthogonalität und mit der Orthodoxie zu tun?
Schuldverschubsystem und Opferfalle: Heute wollen alle geliebt werden. Heißt das nicht, daß sie Herrschaftskritik nur solange bereit sind zu akzeptieren, wie sie selbst als Opfer von Herrschaft betroffen sind?
Hat Jesus nicht das Feuer schon vom Himmel geholt, und brennt es nicht bereits: als Feuer der Hölle in der Phantasie der Gläubigen? War nicht die Hölle das Produkt projektiver Verarbeitung der Verdrängungsmechanismen, die dann in den Naturwissenschaften, die mit der Hölle auch den Himmel beseitigt haben, sich entfalteten: eine Vorstufe des Inertialsystems?
Wenn die Sintflut die Materialisierung der Dinge (das gegenständliche Korrelat der Ich-Bildung) symbolisiert, ist dann nicht die Vorgeschichte mit den Adamstöchtern und den Gottessöhnen Symbol der Ich-Bildung? Ist hier die erste Stelle, an der das Attribut „schön“ erscheint? (Die Adamstöchter waren „schön von Aussehen“, während es von Rahel, Joseph und Esther heißt, sie seien „schön von Gestalt und schön von Aussehen“.) Wie verhält sich die Schönheit (des Geschaffenen) zur Herrlichkeit (Gottes)? Ist nicht das Bild des Gottesknechts das Gegenbild des Schönen („weder Gestalt noch Schönheit“, Jes 532)?
Kultur für alle? Sollte nicht das dumme Staunen vor den „Kulturgütern“ endlich ein Ende haben?
Von Kindern, die schlimme, nicht mehr verarbeitungsfähige Erfahrungen hinter sich haben, sagt man, sie sähen „wissend“ aus. Die tiefe Verzweiflung in diesem Wort hallt nach im indoeuropäischen Begriff des Wissens und in der Sprachlogik, die er begründete.
Als Brecht das Ausrauben einer Bank mit dem Gründen einer Bank verglich und dieses für wirksamer hielt, war er der Sache näher als er wußte.
Bierzeltmusik ist die Vorstufe des Gejohles auf dem Fußballplatz. (Fundamentalismus: Gibt es nicht auch das Gottgejohle, das seit je das Pogrom, den Terror, ankündigt?)
Wichtiger als den Staat zu zwingen, sein faschistisches Gesicht zu zeigen, wäre es, der Kirche den Spiegel vorzuhalten, um dem Gottesgejohle, der Wurzel des Faschismus, die Möglichkeit zu geben, in der Selbsterkenntnis sich aufzulösen.
War nicht die raf ein Harakiri-Unternehmen von Anfang an, das Verliebtsein in die Opferrolle (mit durchaus religiösen Wurzeln)?
Die Parole des real existierenden Sozialismus: „Von der Sowjet-Union lernen heißt siegen lernen“, war die Parole des Staates, nicht die des Sozialismus. Sie bezeichnete genau den faschistischen Kern dieses Staates. Nicht mehr an der Spitze des Weltgeistes, sondern bei den Verlierern sind die Kräfte freizumachen, die das Ganze zu ändern vermöchten.
Von der raf lernen heißt, es anders machen, heißt verlieren lernen.
Walter Benjamins Satz, Gott sei der Ernährer der Menschen, der Staat ihr Unterernährer, wird wahr erst, wenn Gott aus den Verstrickungen des Staates sich befreit: Auch für Gott ist der Staat der Unterernährer.
Ein Christentum, das begreift, daß der Prozeß der Aufklärung sein Werk ist, das darin sich wiedererkennt, vermöchte den Prozeß der Aufklärung über sich selbst hinauszutreiben. Adornos Konzept einer vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte ist als ein selber theologisches Konzept zu begreifen: Theologie im Angesicht Gottes ist die Auflösung der Religion durch Selbstaufklärung, ihre vollständige Säkularisierung. Die Säkularisierung aller theologischen Gehalte beginnt damit, daß die Theologie aus dem Bann des Weltbegriffs heraustritt, sich von ihm durch Reflexion des Weltbegriffs befreit.
Den kritischen Naturbegriff Kants durch die Kritik des Weltbegriffs (durch die Reflexion der Vorgeschichte) ergänzen und fundieren.
In Auseinandersetzungen mit meinem Vater habe ich gelernt, daß ich gegen ihn nur eine Chance hatte, wenn ich in seiner Sprache mit ihm sprach: in der Sprache der Religion. Hieraus habe ich meine ersten theologischen Erfahrungen und Einsichten gewonnen.
Zur Kritik der Astrologie, des Planetensystems: Zentral wäre die Einsicht, daß das Inertialsystem in der Sonne (im Sonnensystem) sich verkörpert. Die Sonne ist das „anschauende“ (und deshalb in sich selbst blendende) Licht, der Mond die Abstraktion vom Gegenblick. Die verschiedenen Gestalten des verdrängten Gegenblicks sind der König (Jupiter), der Feind (Mars), die Frau (Venus) und das Geld (Merkur). Hat die Stelle im Hohenlied, an der es heißt „schön wie der Mond, rein wie die Sonne, furchtbar wie Heerscharen“ (610, vgl. auch 64: „Schön bist du, meine Freundin, wie Thirza, lieblich wie Jerusalem, furchtbar wie Heerscharen“) etwas mit dieser Konstellation zu tun?
Thirza war nach der Reichsteilung zunächst Hauptstadt des Reiches Israel (Vorläufer von Samaria, das von Omri als neue Residenz erbaut wurde). Was haben Thirza und Jerusalem mit Mond und Sonne zu tun?
Adidas oder die Instrumentalisierung der transzendentalen Logik in der Reklame: Das Ende des Geschmacks, der ästhetischen Urteilsfähigkeit, das in dem Satz „Über Geschmack läßt sich nicht streiten“ sich ankündigte, wird durch die Markenbindung ratifiziert: Die Markenbindung enthebt von der Last des eigenen Urteils, macht über den Markennamen auch den Geschmack zu einem Teil der Bekenntnislogik, zu einer durchs Wertgesetz determinierten Anschauungssache. Die objektive Wertphilosophie Schelers gehörte zu den Wegbereitern der Markenbindung. -
2.9.1995
Der Satz „verum, unum et bonum convertuntur“ ist der Statthalter des Staates in der Metaphysik. Sind das unum und bonum nicht zwei Vergewaltigungen des verum?
Negative Trinitätslehre: Ist nicht der Zusammenhang von Sexismus und Antisemitismus (Ruth) ein Beleg für die Logik der doppelt asymmetrischen Spiegelung? Das Christentum hat diesen Zusammenhang ergänzt und zur Bekenntnislogik stabilisiert durch die die Dogmengeschichte begleitende Verurteilung (und Verfolgung) des Verrats, der Häresien, der Ketzer. Bezieht sich hierauf das Symbol vom Unzuchtsbecher (ist die Bekenntnislogik der Unzuchtsbecher)?
Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist ein heiliger Boden (Ex 35): Wenn das Attribut der Heiligkeit die Eigentumsfähigkeit und die Idee des Ewigen die Vergangenheit einer Sache (ihre Instrumentalisierung, ihre Verfügbarkeit) ausschließt, dann ist der Weltbegriff die Verkörperung des Unheiligen und des Zeitlichen schlechthin. Deshalb sind Säkularisierung und Verweltlichung identisch. Aber war nicht der Dogmatisierungsprozeß der Prozeß der inneren Verweltlichung des Heiligen und des Ewigen? Und umgekehrt: Verweist nicht der Name des Himmels auf die Grenze der Eigentumsfähigkeit und der Vergangenheit in der Schöpfung (eine Grenze, die durch das Theologumenon von der creatio mundi ex nihilo verwischt worden ist)? Instrument der Säkularisierung, der Verweltlichung, ist die transzendentale Ästhetik (Inbegriff der subjektiven Formen der Anschauung) als Grund des „Reichs der Erscheinungen“, der „Welt“. Natur und Welt sind ästhetische Kategorien (Idee einer Geschichtsschreibung, die den Toten und ihrem Verlangen nach Errettung ihre Stimme leiht).
Die kirchliche Sündenlehre (die sich fälschlich auf Ezechiels Individualisierung der Schuld beruft) hat das elliptisch-kritische Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ durch Übersetzung in den Indikativ ins Affirmative gewendet, es gleichsam zum Grundgesetz der Exkulpation gemacht. Das Wort macht jedoch Sinn nur post festum, im Hinblick auf vergangenes Tun; ante festum, als apriorischer Freispruch aller Unwissenden, ist es unbrauchbar. Einmal ausgesprochen, ändert es die Situation vollständig: Wer es vernommen hat, kann sich nicht mehr darauf berufen. Einmal ausgesprochen, artikuliert es die Pflicht, sich aus dem Zustand dieser Unwissenheit herauszuarbeiten: die Pflicht zur Selbstaufklärung. Seitdem ist Nichtwissen schuldhaft. Auch darauf bezieht sich das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann.
Der Unterschied zwischen Imperativ und Indikativ im Hinblick auf die Attribute Gottes hängt mit dem Unterschied zwischen der zweiten und der dritten Person zusammen. Der versteckte Imperativ des an die zweite Person gerichteten Indikativs verwandelt das Handeln in ein „Geschehen“, transponiert die zweite in die dritte Person, über die verfügt wird, macht sie zum Objekt, während der prophetische Imperativ (der Indikativ der Lehre) in der dritten Person die zweite erweckt, sie zum Subjekt macht.
Beispiele für den Indikativ der Lehre sind Sätze wie: „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“, oder „Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr“. Der Imperativ, der in ihnen steckt, öffnet den Weg der Befreiung.
Der Zustand der Welt läßt sich daran erkennen, daß in dem Augenblick, in dem die Armut allgemein wird, sie nicht mehr erkennbar ist, ein Zustand, der die Wahrnehmung der Armut als Ideologie dem Rechtfertigungszwang (der die Armut leugnet) unterwirft.
Öffentlichkeit ist heute der Versuch, die Rechtfertigungszwänge der Herrschenden zu Grundprinzipien der Sprachlogik zu machen. Aus sprachlogischen Gründen gibt es keinen „herrschaftsfreien Diskurs“; was nottut, ist allein noch die Reflexion von Herrschaft, die nicht ein für allemal geleistet werden kann, sondern unter dem zeitlichen Gebot der Aktualität steht (das „Licht der Welt“ hat die Dunkelheit der Welt, die in den historischen Prozeß verflochten ist, als Maß). Darin gründet der „Zeitkern der Wahrheit“.
In diesem Kontext wird erkennbar, was mit dem Durchschlagen des Knotens gemeint war, und weshalb der Knoten, den Alexander durchschlagen hat, heute zu lösen ist.
Die List der Vernunft ist (auch bei Hegel) der Quellgrund ihrer Dummheit. Gegen sie hilft allein die List der Märchens, die diese Dummheit durchschaut und daraus ihre Handlungskompetenz gewinnt.
Der Himmel ist Sein Thron, aber zugleich ist Gott der, der auf den Cheruben thront: Was haben die Cherubim mit dem Himmel, und was hat die Merkaba mit dem Wagen im Lied der Lieder zu tun?
Erscheint das „er sah, er hörte und er gedachte“ nur (oder erstmals) im Lied der Lieder, und hat das „er gedachte“ etwas mit der Schnittstelle zwischen dem Hören und Sehen zu tun (mit dem Licht)?
Ihr seid das Licht der Welt: Dieser Satz setzt voraus, daß die Welt die Dunkelheit ist und wir das Licht in sie bringen müssen. Das Dunkel wäre anhand der Nazizeit, der Folterstätten der Militärdiktaturen oder der Ereignisse in Bosnien zu demonstrieren. Wäre hier das Licht der Welt nicht eines, das dieses Geschehen so hell und durchsichtig macht, daß es den Mördern die Waffen aus der Hand schlägt (oder das die Mörder auf eine Weise erkennen läßt, was sie tun, daß ihnen die Waffen aus der Hand fallen)?
Gehört die doppelt asymmetrische Spiegelung nicht zu den Hilfsmitteln, die die Rätsel der Merkaba-Vision einer Lösung näher zu bringen vermöchte?
Kritik der Grünen: Kann es nicht sein, daß die punktuellen Widerstandsleistungen zwar den poltischen Erfolg der Grünen zu erklären vermögen, während sie zugleich real dazu beitragen, das System zu weitergehenden Modernisierungen anzureizen, deren wirkliche Wurzeln im Dunkeln bleiben und deren Folgen verdrängt und nicht gesehen werden?
Rückt das „ex nihilo“ in der Vorstellung der creatio mundi nicht die Sache selbst in eine falsche Zeit-Perspektive: Die Welt ist nicht aus Nichts geschaffen, sondern die Welt ist das Instrument der Selbstzerstörung, das Instrument der Erzeugung des Nichts. Das Nichts steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Welt (aber aus diesem Nichts ist die Welt erschaffen).
Die jüdische Mystik ist eine Apokalyptik im Gewande der Schöpfungslehre.
War nicht der Faschismus der Urknall, in dem der moralische Kosmos explodiert ist? Die Welt, in der wir leben, ist die Welt, die dieser Urknall hinterlassen hat.
Das Christentum ist in die Opferfalle hineingelaufen, aus der es nicht mehr herauskommt. Diese Opferfalle ist nicht vom Christentum hervorgebracht worden, sie hat sie vorgefunden: in der politisch-ökonomischen Situation des Römischen Reiches, deren logischer Indikator der Weltbegriff war.
Binden und Lösen: Zum Weltbegriff gehört die ungeheure Dialektik von Opfer und Königtum. Das Christentum hat diese Dialektik theologisiert, nicht aufgelöst. -
28.8.1995
Die Herrschaftsgeschichte löst die Menschen nicht nur aus der Dumpfheit, den Ängsten und der Not der Natur, sie verstrickt sie auch wieder in Natur, als deren Kern Herrschaft sich erweist. Als zweite Natur ist Herrschaft eine neue Quelle der Dumpfheit, der Ängste und der Not.
Himmel und Sprache: In diesen Kontext gehören Wasser und Feuer, die Feste des Himmels und die Trennung der oberen von den unteren Wassern, der Bogen in den Wolken, der Menschensohn auf den Wolken des Himmels, das sich aufrollende Buch, die Heiligung des Gottesnamens. Ist der Indikativ (seine Beziehung zur Logik der Schrift und zum Wort, zu den beiden Bedeutungen des Perfekts) die Feste des Himmels (ist der Perfekt, die Beziehung von Vergangenheit und Utopie, die Feste des Himmels)? Wie verhält sich die Scham zum Himmel? Ist der Himmel die Schamgrenze, die die beiden Indikative von einander trennt (und verweist das Wort vom „aufgespannten Himmel“ auf die Spannung, die die Beziehung der Logik der Schrift zum Wort – die Beziehung dieser zur zukünftigen Welt – kennzeichnet: auf den prophetischen Erkenntnisbegriff und den Begriff der Lehre)?
Scham ist die Fähigkeit, sich in den Augen der Andern zu sehen. Nur im Kontext der Scham gibt es die Nackheit (die zum Begriff der Tatsachen gehört). Nur im Kontext der Scham gibt es das Aufdecken der Blöße, das die Aufklärung seit ihrem Ursprung mit der Erkenntnis verwechselt. Der Radikalisierung dieses Erkenntnisbegriffs durch die Medien verdankt sich die endgültige Trennung von Realität und Sprache im Begriff der Information, der Nachricht, der Kommunikation, des Diskurses, und in diesem Kontext die Verschiebung von Genitiv und Dativ.
Zur politischen Ökonomie der Medien (und der Banken?): Wenn Informationen zur Ware werden, werden sie zu einer paradoxen Ware, deren Produktion ihre Reproduktion, ihre Verwandlung in Masse, voraussetzt, einer ab ovo flüssigen Ware, deren Tauschwert, deren Masse, im Massenkonsum (wie der Kredit in der Kreditschöpfung) erst sich bildet. Wenn sie nach der Logik von Tausch- und Gebrauchswert sich konstruieren lassen, verhält sich diese Logik zu der der materiellen Produktion nicht ähnlich wie das Glaubens- zum Schuldbekenntnis: stehen beide nicht in der gleichen Beziehung der asymmetrischen Spiegelung? Die Extreme der Medien, die Propaganda und die Reklame, sind ein Teil ihrer Definition. Anders als in der materiellen Technologie setzt hier die Anwendung der Gesetze ihre Erkenntnis nicht voraus, sondern ihre Gesetze entspringen erst in ihrer Anwendung. So wie sie die Bedürfnisse, die sie zu befriedigen vorgeben, erst schaffen (aus einem Nichts, das zu bestimmen wäre), rechtfertigen sie sich durch einen „Erfolg“, den sie nicht mehr wahrnehmen dürfen (weil er sich selbst denunziert). Medien gehorchen einer Logik, die ausschließt, daß sie wissen, was sie tun. Die Subsumtion der Information unters Tauschprinzip (durch die sie zur Information überhaupt erst wird) ist kein leichtzunehmender Sachverhalt. Jede Propaganda ist eine propaganda fidei (einer „Philosophie“), und auch die Reklame ist Propaganda. Und jede „seriöse Presse“ ist eine, die weiß, daß sie propaganda fidei ist, die dem Gesetz einer eigenen Orthodoxie gehorcht.
Stehen nicht die Medien und die Banken (ähnlich wie Glaubens- und Schuldbekenntnis) in einem Spiegelungsverhältnis, das sein asymmetrisches Pendant in der technischen und ökonomischen Naturbeherrschung hat?
Ist die Sexualmoral der apokalyptische Unzuchtsbecher (Inbegriff der der Bekenntnislogik zugrunde liegenden Formen der Anschauung)? Welchen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang der der Sexualmoral zugeordnete Begriff der Unschuld (die Beziehung confessio/virginitas), die kirchengeschichtlichen Phasen der Pornokratie und der Pornographie, die Institution des Zölibats (im Kontext von Ohrenbeichte, Fegfeuer und Ablaßhandel)?
Dann aber gehört Adornos erstes Gebot der Sexualethik zur Kritik der Naturwissenschaften: Die Sexualmoral war seit je der Schatten der Geschichte der Naturbeherrschung.
Gründet die Taufe in der Trennung der oberen von den unteren Wassern, und ist die Taufe das Symbol der Aufhebung dieser Trennung? Der Fehler des Christentums war es, daß es anstatt mit den oberen mit den unteren Wassern getauft hat: es hat immer nur bekehrt, nie die Umkehr vollzogen, es hat die Umkehr durch die Bekehrungswut ersetzt.
Hegels Kritik des Sollens hat ihr fundamentum in re darin, daß das Gebot sich nicht ins Universale transformieren läßt. Hegel aber konnte vom Begriff des Universalen sich nicht befreien; so ist ihm die Menschheit zur massa damnata geworden, zum Kelch, aus dem „ihm seine Unendlichkeit“ schäumt.
Ist nicht jeder Stern, unter dem einer steht, ein Jüngstes Gericht? Und gehört nicht zum Stern von Bethlehem der bethlehemitische Kindermord? Es käme darauf an, in dieser Geschichte nicht das Glück, entronnen zu sein, zu erkennen, sondern das Entsetzliche dieses Schuldzusammenhangs, in den das Kind von Bethlehem seit seiner Geburt verstrickt ist. Hat dieser Kindermord den Entronnenen nicht auch am Kreuz noch eingeholt?
Ist nicht das Matthäus-Evangelium eine Rekapitulation oder eine Relektüre der Schrift insgesamt (oder nur eines Teils der Schrift, und wenn, dann welchen Teils)?
Toledot: Die Trennung des Zeugens vom Schaffen und seine Hereinnahme in die Trinitätslehre („gezeugt, nicht geschaffen“) haben die Theologie insgesamt verhext.
Zu Gen 24: Handelt es sich bei den „Zeugungen des Himmels und der Erde“ um einen genitivus subjectivus oder objectivus, sind Himmel und Erde die Erzeugenden oder die Erzeugten? In welcher Beziehung stehen die Toledot, die Zeugungen Adams und der ihm Folgenden, zum Erschaffen? Sind sie gleichbedeutend, gehen sie ihm (wie in der christlichen Theologie, in der Trinitätslehre: als ewige Zeugung des Sohnes) voraus oder folgen sie ihm (als zeitliches, selber geschaffenes Bild und Echo des Erschaffens) nach?
Zu Mt 11ff und Lk 323ff: Zeugungen sind keine Stammbäume (Stammbäume sind umgekehrte Zeugungen).
Der Objektivationsprozeß als Vergangenheitsproduktion. Wie verhalten sich das Objektivieren und die Objektivität, die Verweltlichung und die Welt?
Politische Ökonomie der Naturwissenschaften: Verhalten sich die Banken zu Produktion und Zirkulation wie das Inertialsystem zu Physik und Astronomie? -
26.8.1995
Seit wann wird Geschichte als Legitimationshilfe (und d.h. nationalistisch) verwendet, und aus welchen Gründen? Steht nicht das heutige Bibelverständnis unter dem Bann dieses Konstrukts (Bibel als „hebräische“ Nationalgeschichte, Bibel als Sammlung imperativer, vom Heiligen Geist inspirierter, exemplarischer Texte)? Ist dieses Schriftverständnis nicht die Rache des Indikativs? (Und sind die mittelalterlichen Fälschungen, die ihre Vorläufer in der Römischen Geschichtsschreibung haben, nicht im Kontext dieses Legitimationszwangs (dem noch die moralische Verwerfung gehorcht, die im Begriff der Fälschung mitklingt) zu verstehen?
Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Logik der historischen Erkenntnis, wenn man begreift, daß der Ursprung der kontrafaktischen Urteile in der Theologie liegt. Gehört nicht die Theologie, in der es kontrafaktische Urteile gibt, zum Begründungszusammenhang der Geschichte (der Vorstellung einer abgeschlossenen Vergangenheit)?
Sind nicht in der Trinitätslehre die beiden antagonistischen Elemente des Geschichtsbegriffs vereinigt: die legitimatorische Funktion der Geschichtsschreibung und die gleichzeitige Unterwerfung der Vergangenheit unter die richtende Gewalt der Gegenwart (asymmetrische Spiegelung: Vater und Sohn)?
Begriffe sind Brechungen und Reflexionen des Lichts, in dem die erkennende Kraft der Sprache gründet: des Namens. Verweist nicht die Geschichte vom Bogen in den Wolken nach der Sintflut auf diese Brechungen und Reflexionen? Vergleiche hierzu den Text des Basilius (der den Regenbogen als Erkenntnismodell benutzt). Ist nicht die Trinitätslehre das gebrochene und reflektierte Licht des göttlichen Namens (das gebrochene und gespiegelte Leuchten seines Angesichts)? Das Medium dieser Brechungen und Spiegelungen ist aufs genaueste bezeichnet in dem Satz (der die subjektiven Formen der Anschauung, ihre logisch-ästhetische Struktur, in sich abbildet): Das Eine ist das Andere des Anderen. Dieser Satz konstituiert den Weltbegriff und rührt an das Rätsel des Indikativs und der Urteilsform. Die Begriffe Spekulation und Reflexion gründen in diesem Zusammenhang. Der Gottesname ist im System der asymmetrischen Spiegelung gefangen (und zur Idee des Absoluten verandert).
In der transzendentalen Logik hat Kant das System von Spiegelung und Brechung (mit den Formen der Anschauung als Symmetrieebene) aufs genaueste reflektiert. Hegels Philosophie war die letzte Gestalt des „Bogens in den Wolken“ (ihr Vorläufer war die Trinitätslehre).
Das Feuer trennt das Licht von der Sprache, durch das Feuer sind beide aufeinander bezogen. Ist das Feuer die Manifestation des redundanten, sich auf sich selbst beziehenden Systems von Spiegelungen und Brechungen? Ist die Hegelsche Logik die genaueste Selbstabbildung des Feuers?
Die Eucharistie-Verehrung war ein Vorläufer der Exkulpationsautomatik: Die Anbetung des heiligen Dings war die Anbetung des Objekts, auf das man die eigene Schuld abladen, verschieben konnte. Durch den, den dieses Sakrament vergegenwärtigt, war die Welt entsühnt.
Die Todesfurcht (im Stern der Erlösung) rührt an das Problem der Vergangenheit. Sie rührt damit an den Grund des Problems des Wissens. Wissen können wir nur von Vergangenem, und im Konstrukt des Wissens steckt der Todeskeim der Vergegenständlichung, der seine Wurzeln im Begriff der Vergangenheit hat. Es ist dieser Todeskeim, der in der objektivierenden Erkenntnis und im objektivierenden Handeln (in der Praxis und in den Institutionen der Herrschaft) sich entfaltet. Benjamins Engel der Geschichte ist die Verkörperung der Trauer über das Vergangene.
Spekulation und Reflexion gehören zur Logik des Begriffs, und die ersten Begriffe waren die Namen, mit denen Adam im Garten die Tiere benannte, während der erste Name der Name war, mit dem Adam sein Weib nach dem Sündenfall benannte: Chawah, Mutter aller Lebenden, der Name einer „Gehilfin gegen ihn“.
Wenn Adam die Tiere benannte, und in dieser Benennung der Tiere seinen ersten Weltbegriff gewonnen hat, dann ist die Hegelsche Philosophie die Reflexion dieses Namens von innen (der ihm dann nicht zufällig zum Singular zusammenschießt: eigentlich dürfte es nach der Logik des Systems nur eine Art des Tiers geben, unterschiedene Tierarten gibt es Hegel zufolge nur, weil „die Natur den Begriff nicht halten kann“).
Die Austreibung des Mitleids aus dem Sehen ist das Gegenstück zur Austreibung des dialogischen Elements aus der Sprache (die subjektiven Formen der Anschauung sind ein Produkt der Monologisierung der Sprache, ihrer „Theoretisierung“).
Prophetie und Geschichte: Die Bücher Josue und Richter, Samuel und Könige gehören zu den prophetischen Büchern wie die transzendentale Ästhetik zur transzendentalen Logik: Sie liefern der Prophetie ihr „apriorisches“ Objekt.
Im Begriff (und d.h. schon im Benennen der Tiere durch Adam) verliert der Name seine Unschuld, die nur durch Reflexion der Herrschaft im Begriff (durch Reflexion des Weltbegriffs, durch „Übernahme der Sünde der Welt“) wiederzugewinnen ist. Hängt hiermit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in der Kirche nach der Märtyrerzeit zusammen: die Aufteilung in Confessores und Virgines?
Wird nicht die Linguistik heute noch vom Rassismus beherrscht, wenn sie nach einer „indogermanischen Ursprache“, die von einem „indogermanischen Urvolk“ gesprochen worden sein muß, fahndet, anstatt durch Reflexion der Sprachlogik, die in der Geschichte der Grammatik, dem Reflex der Herrschaftsgeschichte in der Sprache, sich entfaltet, den historisch-gesellschaftlichen Grund der Trennung und Verwirrung der Sprachen zu bestimmen? Steht nicht diese Reflexion der Sprachlogik, die Idee einer historischen Grammatik, immer noch unter einem Tabu?
Läßt die Vermutung sich begründen, daß die drei Totalitätsbegriffe der kantischen Philosophie, die Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt, ebenso wie auf ein systematisches auch auf ein sprach- und geschichtsphilosophisches Problem verweisen, daß sie in die Logik der Sprachgeschichte mit hereinspielen? Kann es sein, daß das Sanskrit den Ursprung des Wissens, die griechische Grammatik den des Naturbegriffs und die lateinische die Entfaltung und Stabilisierung des Weltbegriffs in sich abbilden und repräsentieren? Und bezeichnen diese Phasen der indogermanischen Sprachlogik (die an den jeweiligen grammatischen Konstruktionen sich müßten ablesen lassen) nicht Phasen der Beherrschbarkeit, der Instrumentalisierung dieser Totalitätsbegriffe (die dadurch erst zu Totalitätsbegriffen werden)? Verweist nicht insbesondere der Weltbegriff auf ein praktisches Moment in seiner Konstituierung: Gibt es die Welt im strengen Sinne nicht erst in der Gestalt der Weltherrschaft, des Imperiums? (Im lateinischen Weltbegriff verankert das Römische Imperium sich in den Köpfen der Beherrschten selber: In diesem Weltbegriff wird die verandernde Gewalt seiner Logik universal.) Und knüpft sich hier nicht die Verbindung zum Christentum, in dessen Gründungstexten der Weltbegriff eine ebenso zentrale wie rätselhafte Rolle zu spielen scheint? Nur im Kontext der römischen Herrschaft (und der Formen seiner Verankerung in den Köpfen der Bürger dieses Reiches) war es möglich, die weltsprengende Kraft der Tradition (durchs konservierende Dogma und durch die Gewalt der Bekenntnislogik) in eine weltkonservierende Macht zu transformieren. Nur so hat diese Tradition zweitausend Jahre Christentum überleben können. -
23.8.1995
Wenn der Bann (gegen Amalek oder die Kanaaniter) gegen die ökonomische Motivation, gegen das Beutemachen, sich richtet, dann schließt er auch den Erwerb von Sklaven durch Kriege aus: dann ist er gegen den Ursprung des Handels gerichtet (gegen „Kanaan“ auch in diesem Sinne). Ausgeschlossen sind somit alle Formen der Razzia (Überfälle, die zum Zweck des Beutemachens geführt werden).
Das Barock hat das System Achaschwerosch (den demonstrativen Pomp als Quelle des Sexismus und des Antisemitismus) auf der Stufe des Feudalsystems vergesellschaft. Heute hat diese Vergesellschaftung alle erreicht: als Faschismus.
Wann taucht der Name des Volkes (der als Plural sich konstituiert) erstmals in der Schrift auf? Und erscheint er nicht jedesmal in der Konstellation „Völker, Stämme, Nationen, Sprachen“, insbesondere bei Daniel (bzw. in der Apokalypse, zuvor aber schon vollständig in Gen 10/11, dann in Ansätzen bei Esth, Jes, Ez)?
Ist nicht der Name des „auserwählten Volkes“ ein Name, der den nationalen (= indikativischen) Mißbrauch grundsätzlich (schon aus sprachlogischen Gründen, die mit der Beziehung des Gottesnamens zur Sprache, zu ihrer Namenskraft, zusammenhängt) ausschließen sollte? Hinweis: Das Subjekt der Psalmen ist keine Privatperson, sondern (das etwa in Davids Königtum sich verkörpernde) Israel.
Geschichtsphilosophie des Volkes: Stämme sind Lebensgemeinschaften, Völker Schicksalsgemeinschaften, Reflex des Ursprungs und der Geschichte des Weltbegriffs. Der Name des Volks entspringt gemeinsam mit der Institution des Königtums. Der Name des Volkes gründet in herrschaftsgeschichtlichem Kontext.
Hängen nicht Struktur und Funktion des Islam damit zusammen, daß hier der „Übergang“ in die Welt vermieden, die „Sünde der Welt“: der Prozeß der Individuation, nicht vollzogen wurde. So konnte der Bann der Stammesgesellschaft nicht gebrochen werden. Der Islam ist der (mißlungene) Versuch, in einem „vorweltlichen“ Unschuldszustand zu verharren. Deshalb ist der Übergang in den Säkularisationsprozeß so schwierig (und deshalb hat der Islam diese Anziehungskraft für Völker, die dem Eintritt in die säkularisierte Welt sich widersetzen).
Gibt es im Islam die Institution des Königs? Und ist nicht die Prophetie – als deren Widerpart – an diese Institution gebunden? Ohne die Institution des Königs verändert sich auch die Prophetie, und zwar sowohl im Islam (mit Muhammed, der nur noch der Sekretär eines Gottes ist, der seinen Koran selber schreibt) wie auch im Christentum. Auch Jesus war ein Prophet, aber einer, der nicht mehr den König, sondern den Caesar als Objekt hat, und deshalb mit den Insignien eines zur Schande, zum Spott gewordenen Königs (Dornenkrone, „Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum“) ans Kreuz geschlagen wurde.
Die Reflexion der Grammatik hat die Spuren der Herrschaftsgeschichte in der Sprache zum Gegenstand.
Kruzifix-Urteil: Als Instrument der Rechtfertigung ist das Bekenntnis zynisch: die Verharmlosung einer tödlichen Waffe (und die Verdrängung des Bewußtseins seiner Außenwirkung).
Der „Mut zur Bürgerlichkeit“ (Odo Marquard in der FR vom 22.8.95) erinnert nicht zufällig an den „Mut zur Erziehung“; zu fordern wäre, diesen Mutbegriff endlich einmal zu reflektieren. Dieser Mut ist Ausdruck der Feigheit, die dem, was ohnehin alle denken, nicht mehr entgegen zu treten wagt. Dieser Mut erinnert an die faschistoiden Mutproben von peer-groups, an die gemeinschaftsstiftende Kraft z.B. von Grabschändungen (die auf einen ähnlichen gruppendynamischen Hintergrund zurückweisen), oder an einen soldatischen Mut, der nur zu feige ist, den mörderischen Handlungen, an denen er teilzunehmen sich gezwungen sieht, sich zu widersetzen (und sein Gewissen, den „inneren Schweinehund“, durch die Vorstellung der Ehre übertäubt). Es sollte eigentlich eine Warnung sein, daß der faschistische Mut, der aus dieser Konstellation erwachsen ist, seit je an den Schwächsten (an Juden, Frauen, Ausländern, Behinderten) sich abreagierte (und heute wieder abreagiert). Der Mut gehört zur Bekenntnislogik, diese aber ist ein Produkt des Herrendenkens, das von seinem theologischen Ursprung sich emanzipiert hat. Und der „Bürger“, auch wenn er heute kein „Untertan“ mehr ist, ist längst zur Parodie der hegelschen Dialektik von Herr und Knecht geworden: die reinste Verkörperung einer Knechtsgesinnung, die ihren eigenen Herrn noch überlebt und darin den Grund seines Herrendenkens findet.
Läßt sich bei Jeremias (oder überhaupt bei den „großen“ Propheten) nicht die Konstellation, der der Übergang vom Namen der Hebräer zu dem Juden sich verdankt, rekonstruieren? Ich denke an die Beziehung des Satzes „Bete nicht mehr für dieses Volk“ zu dem anderen „Bete für das Wohl der Stadt“ (zusammen mit einigen anderen Motiven, die genau zur Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs und deren Zusammenhang mit der „babylonischen Gefangenschaft“ paßt)? – Dazu gehören das „Grauen um und um“, der Gottesknecht des Deuterojesaia, die Visionen des Ezechiel.
Differenz im Begriff des Daseins: Bei Heidegger bezeichnet er das reine deiktische Moment des Draußen (der Geworfenheit), während er im Gottesnamen in der buber-Rosenzweigschen Bibel-Übersetzung das Bei-uns-Sein Gottes bezeichnet, Seine Barmherzigkeit. Der Name der Barmherzigkeit ist nichts, ist wesenlos und gegenstandslos ohne die Idee der Heiligung des Gottesnamens. Heiligung des Gottesnamens, das heißt: das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.
Wird nicht der Glaube im Angesicht Gottes aus seiner Beziehung zum Wissen (die ihn verhext) herausgelöst und zum Vertrauen?
Macht die Rechtfertigungslehre seit Luther nicht einen unzulässigen Gebrauch von dem Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (und gilt dieser Satz nicht im Kern schon fürs Dogma, insbesondere für die Trinitätslehre)?
Handelt es sich bei dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, um das Werk des zweiten Tags: das Gewölbe, die Feste des Himmels? Und erscheint darin nicht das Jüngste Gericht (in dem jeder sich selbst wiedererkennt), das aufgedeckte Angesicht, der geheiligte Name Gottes, das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
Zum Unterschied zwischen Himmel- und Gottesreich: Gebunden und gelöst wird (so wie zuvor auf Erden) im Himmel, nicht „in Gott“.
Darin, daß das Licht vor den Leuchten erschaffen wurde, liegt die biblische Begründung der Kritik der Verdinglichung.
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