Christentum

  • 21.8.1995

    Kontrafaktische Urteile sind der Schatten des Indikativs. Der Indikativ ist der Widerstand, an dem die Geschichte des Weltbegriffs sich abarbeitet, und zugleich das Formprinzip des Weltbegriffs. Er ist die Quelle der Finsternis, an der sich das „Licht der Welt“, der Auftrag der Kirche, messen läßt.
    Ist die Frage „Welcher Vater gibt seinem Kind anstelle des Brots einen Stein und anstelle eines Fisches eine Natter“ nicht eine an die Kirche gerichtete rhetorische Frage?
    Wenn der Materialismus eine Verkörperung des projektiven Denkens ist, dann ist die bürgerliche Kritik des Materialismus selber eine materialistische Verarbeitung dieser Kritik.
    Die Logik der asymmetrischen Spiegelung, die mit der Trinitätslehre sich entfaltet, ist eine Weiterbildung der projektiven Logik der griechischen Philosophie.
    Das Christentum hätte eigentlich durch die Dämonen in den Evangelien schon gewarnt sein müssen: Ist es nicht durch den projektiven, den konkretistischen, personalisierenden Gebrauch dieser Vorstellung selber dämonisch geworden?
    Hat die Stelle im Buch Ruth „… sie, die mehr wert ist für dich als sieben Söhne“ (415) etwas mit den sieben Schöpfungstagen und mit Maria Magdalena zu tun?
    Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Buch Esther und der Josefs-Geschichte werden erst durchsichtig, wenn man die Differenzen hinzunimmt: Ägypten/Persien, Pharao/Achaschwerosch, Hebräer/Juden, Hungersnot/Judenfeindschaft, Ökonomie und Sklaverei/Bekenntnislogik und Herrendenken. Zwischen den beiden Büchern liegt die Wasserscheide des Weltbegriffs. Erscheinen nicht der Name der „Hebräer“ zuletzt bei Saul, vor der Begründung des Hauses Juda durch David?
    Welche Bedeutung haben die Benjaminiten-Geschichten und deren Beziehung zu Bethlehem (mit der Zuspitzung in Gibea, dem Geburtsort Sauls)?
    Hat das Zerbrechen des Stabs des Brotes in Jerusalem etwas mit Bethlehem zu tun?
    Welche Rolle spielt das Buch Judith (die „Jüdin“, die bei Holofernes zur Hebräerin wird), außerdem Jona 19 („ich bin ein H. und verehre JHWH …“), Sir 122 („hebräische Sprache“) sowie 2 Makk?

  • 16.8.1995

    Der Protestantismus hat die Erlösung als „Rechtfertigung“ an das Bekenntnis des Trinitätsdogmas gebunden: Produkt der Feigenblatt-Logik.
    Ist die Berufung (die zur Logik der Verwaltungstheologie gehört, zur priesterlichen Verwaltung der Tradition) nicht das Gegenstück zur Bekehrung (zu der sie sich ähnlich verhält wie der Ruf zur Umkehr, das Hören zum Tun)?
    Ist nicht Heidegger ein Produkt der Trinitätslehre (Rückverwandlung des Priestertums ins Schamanentum)?
    Das Substantiv ist der Staub, zu dem das Männliche wird (und den die auf dem Bauche kriechende Schlange frißt).
    Erst im Deutschen ist der Gehorsam endgültig vom Hören getrennt worden.
    Die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren vom Gegenblick, vom Angeblicktwerden. Ist dieser Gegenblick nicht die Sprache, deren Wurzel der Gottesname ist, und ist die Abstraktion, die die Formen der Anschauung verkörpern, nicht diese Abstraktion von der Sprache? Das Leuchten Seines Angesichts ist ein sprachlicher Sachverhalt: die in der Sensibilisierung der Wahrnehmung und Erfahrung sich selbst ganz durchsichtig gewordene Sprache. Daß Gott den Menschen „nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes“ erschaffen hat, verweist auf zwei unterschiedene Aspekte der menschlichen Sprache.
    Indem Kopernikus den Raum ins Unendliche öffnet, verschließt er ihn gegen die Sprache.
    Perfekt: Kontrafaktische Urteile gibt es nicht nur in der Geschichte, sondern ebenso in der Theologie; sie sind in beiden Fällen der Schatten des Indikativs: Liegt hier nicht der Ursprung des Problems der kontrafaktischen Urteile, ist nicht die Vergegenständlichung Gottes die Voraussetzung der Geschichtsschreibung (und die Geschichte, Inbegriff der vollendeten Vergangenheit, das genaue Korrelat sowohl der vergegenständlichten Natur, die wie die Vergangenheit dem Eingriff des Menschen entzogen ist, als auch der Theologie hinter dem Rücken Gottes)?
    Der Folie, vor der kontrafaktische Urteile als solche sich erweisen, sind in der Geschichte die erwiesenen Tatsachen, während es in der Theologie die dieser Wissenschaft eigentümliche Logik ist. Diese Logik hat eine dem Begriff der Tatsache (an dem kontrafaktische Urteile sich müssen messen lassen) vergleichbare Struktur und Gegenständlichkeit.
    Haben nicht die Trinitätslehre, die Christologie und die Opfertheologie, hat nicht eigentlich das Dogma insgesamt die gleiche Funktion innerhalb des Christentums, die der Historismus für das Weltbewußtsein hat (wodurch unterscheidet die moderne Geschichtsschreibung von der antiken)?
    Die Trinitätslehre ist ein erstes Produkt der Säkularisation, sie folgt aus dem logischen Gebrauch des Satzes, aus dem die ganze Hegelsche Philosophie sich herleiten läßt: Das Eine ist das Andere des Anderen. Hegels Philosophie läßt sich als die Auflösung der Logik dieses Satzes zugunsten des Anderen begreifen. Deren Anfang liegt im spekulativen Trinitätsbegriff der patristischen Theologie (in der „asymmetrischen Spiegelung“ der Eigenschaften und Tätigkeiten der „göttlichen Personen“). Was bei Plato noch eine isolierte Bemerkung war, gewinnt mit der Trinitätslehre die systembildende Kraft, die dann bei Hegel sich vollendet. Die Trinitätslehre ist ein Produkt dessen, was Franz Rosenzweig die „verandernde Kraft“ des Denkens genannt hat.
    Die Trinitätslehre steht (wie die Tiere) unterm Bann des Weltbegriffs, dessen Apriori in dem System der sich wechselseitig bedingenden und reflektierenden Instrumentalisierungen sich manifestiert). Sie macht das Christentum zur Religion für andere (und damit im strengen Sinne zur Religion): So ist sie zur Grundlage der Priesterreligion geworden (die Luther durchs allgemeine Priestertum zur allgemeinen Religion: zur alles durchdringenden Logik des Bewußtseins gemacht hat).
    Die Trinitätslehre steht in einer gleichsam magnetischen Beziehung zum Nationalismus: Beide sind wie die ungleichnamigen Pole eines Magenten durch wechselseitige Anziehungskräfte verbunden. Das Magnetfeld wird durch die Bekenntnislogik erzeugt. In ihm ist sie zugleich ein Nationalismus-Generator.
    Die Trinitätslehre ist der Kälteschock, der es der christlichen Tradition ermöglichte, im Gefrierhaus Welt zu überwintern (die Trinitätslehre heult mit den Wölfen). Nur so hat die Tradition zweitausend Jahre Christentum überleben können.

  • 14.7.1995

    Der Wertbegriff und das moralische Urteil sind Instrumente des Konkretismus und der Personalisierung.
    Haben nicht die Erklärungen der raf etwas von ad-hoc-Stellungnahmen: Sie liefern Rechtfertigungen, keine Begründung.
    Der Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ ist kein indikativischer Satz, er gilt nicht zu allen Zeiten und an allen Orten. Wahr ist er nur in einer bestimmbaren Konstellation, und zwar als Imperativ: Rache ist nicht deine Sache.
    Auch das Dogma ist nicht an sich unwahr, aber es wird unwahr im Bann der indikativischen Logik (im Bann des „Logozentrismus“).
    Jede Personalisierung ist atheistisch. Ihr Grund und ihr Telos ist der Antisemitismus (der Jude ist der Schuldige an sich). Und der verbreitete Nachkriegs-Atheismus ist ein posthumer Sieg Hitlers. Nur: Die ans Konfessionsprinzip gebundenen Kirchen sind ohnmächtig gegen diesen Atheismus.
    Die kritische Reflexion des Weltbegriffs rührt auf eine doppelte Weise an die Wurzeln des Christentums. Der Weltbegriff bezeichnet die differentia specifica, durch die das Christentum innerhalb der jüdischen Tradition von dieser Tradition sich unterscheidet, während die kritische Reflexion des Weltbegriffs den Bann löst, unter dem abrahamitischen Religionen bis heute stehen.
    Hegel hat einmal auf den merkwürdigen Sachverhalt hingewiesen, daß der Begriff Geschichte sowohl die historischen Ereignisse als auch ihre schriftliche Objektivierung bezeichnet. Und er hat recht: Die Geschichte konstituiert sich als vergangene Geschichte durch die Geschichtsschreibung. Dieser Vorgang ist ein weltkonstituierender Akt (sprachlogisch ist das Präsens durchs Präteritum vermittelt). In dieser Konstellation gründet die welthistorische Bedeutung der opfertheologischen Objektivation des Kreuzestodes.
    Sind nicht die eigentlich „geschichtlichen Bücher“ der Bibel die apokalyptischen Bücher? Und eigentlich ist jede Geschichtsschreibung apokalyptisch und die Verdrängung des Bewußtseins davon zugleich: Sie vollstreckt an der Vergangenheit das Jüngste Gericht, um die Gegenwart zu begründen. Unser Bild von der Geschichte ist das eines rechtskräftig gewordenen Todesurteils (der Historiker ist der Scharfrichter). Deshalb ist parakletisches, verteidigendes Denken heute Erinnerungsarbeit.
    Die Opfertheologie (und nicht der Kreuzestod) war der Gründungsakt der christlichen Zivilisation.
    Der Jubel der Barockmusik, dessen säkularisierter Nachhall seit zwanzig Jahren die Popmusik durchdröhnt, war schon kryptofaschistisch. Bach war kein Barockmusiker, seine Musik war die Umkehrung der Barockmusik, ihr Paradigma war die Passion.
    Jede Personalisierung gründet in dem Glauben an die magische Kraft des Bekenntnisses, die magische Kraft von Anschauungen (die deshalb seit dem Ursprung totalitärer Systeme zu todeswürdigen Verbrechen geworden sind).
    Der Satz (der sprachlogisch sich ableiten läßt), daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, läßt sich leicht am Kontext der Vorstellung demonstrieren, daß Gott nicht bereut. Unter diesem Imperativ steht seit der Diskriminierung des Anthropomorphismus das Herrendenken: Nicht Gott, sondern die Hybris seiner irdischen Vertreter erfährt die Vorstellung als unerträglich, eine einmal getroffene Entscheidung wieder zurücknehmen, sie öffentlich bereuen zu müssen. Das Gesicht, das die Herren zu verlieren fürchten, ist die Maske der Person, nicht das göttliche Angesicht, dessen Leuchten seinen Grund in der göttlichen Barmherzigkeit findet. Die theologische Verwerfung des Anthropomorphismus war die Verwerfung der göttlichen Barmherzigkeit.
    Die Finsternis über dem Abgrund: Ist das nicht der Nachthimmel, und sind nicht die Sterne in der Tat ein Zeichen der Hoffnung?
    Der Satz: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“, ist ebensosehr ein Gebot wie es ein Ausdruck der Hoffnung, des Verlangens, der Sehnsucht ist.
    Wenn Jeremias für Babylon und gegen Ägypten votiert, so war das weniger Ausdruch einer „realistischen“ Einschätzung der Machtverhältnisse als vielmehr die prophetische Einsicht in einen Vorgang, der die Gotteserkenntnis im Kern verändert hat.
    Zum Begriff des Seins: Die Fundamentalontologie war faschistisch, weil das Sein (wie der Begriff des Eigentums, mit dem er zusammenhängt) außerhalb der staatlichen Organisation, die im Faschismus zum Selbstzweck wird, nicht sich definieren läßt.

  • 12.7.1995

    Zu den schlimmsten Folgen der raf gehört es, daß es seit einigen Jahren keine kritische Begleitung der Rechtssprechung mehr gibt. Die Medien haben vor der Aufgabe, das Recht an der Idee der Gerechtigkeit zu messen, kapituliert. Das Recht ist zu einer Partei- und Gewaltfrage geworden. Kann es sein, daß das von der raf (in der Absicht, „Fronten“ zu klären und in grotesker Verkennung der Beziehung von Recht und Politik) gewollt war?
    Zur Geschichte und zum Begriff der Bekenntnislogik: Anhand einer Theorie und Geschichte der Banken wäre zu begreifen, daß die Armut schon in den Anfängen der Weltgeschichte zur Ware geworden ist. In der Geschichte des Kolonialismus ist sie dann erstmals zum Exportgut geworden; jetzt schlägt diese Logik auf den Binnenmarkt zurück. (Das Bankengeschäft ist das Modell der logischen Beziehung der Bekenntnislogik zum Schuldbekenntnis.)
    Kommt es nicht in der Tat darauf an, Gesellschaftskritik aus dem Bann des Neidsyndroms herauszuführen? Nicht der Profit ist das Grundübel des Kapitalismus, sondern der Preis der dafür zu zahlen ist.
    Kriege sind Katalysatoren und Mobilisatoren des Nationalismus: Sie schweißen ein Volk zusammen.
    Die zoologischen Gärten waren immer schon Einrichtungen des kolonialistischen Imperialismus; auch dieser Trend schlägt jetzt unter dem Titel Naturschutz ins Innere der imperialistischen Staaten zurück: Naturschutz nimmt die Natur in Verwaltungsregie.
    Die Verwaltungslogik hat den Grundsatz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, verinnerlicht. Die Gemeinheit der Verwaltung gründet nicht in Bosheit, sonden nur in Phantasielosigkeit (die Verwaltungslogik sperrt das Nichtbeweisbare schon apriori aus der Vorstellungskraft aus).
    Wie hängt die Bekenntnislogik mit dem projektiven Erkenntnisbegriff der Philosophie zusammen (mit dem Namen der Barbaren und den Begriffen Natur und Materie)? Der Glaubensbegriff, den das Christentum in die Welt gebracht hat, gründet in dieser Konstellation. Das Moment der Reversibilität im Bekenntnisbegriff, das das Schuldbekenntnis mit dem Glaubensbekenntnis verknüpft, gründet in dem projektiven Moment im Erkenntnisbegriff, das den Begriff des Wissens begründet (das Wissen macht das Vergangene vergangen).
    Die Trennung des „dimitte nobis debita nostra“ vom „sicut et nos dimittimus debitoribus nostris“ (die Sündenvergebung ohne Versöhnung), der Begriff des Glaubens und die Bekenntnislogik fundieren sich wechselseitig. Das Glaubensbekenntnis trennt die Erlösung von der Versöhnung, in direktem Widerspruch zu den Worten Jesu über die Beziehung des Opfers und des Gebets zur Versöhnung. Diese Einsicht (in die Unmöglichkeit des Opfers heute) hat Camilo Torres zum Guerillero gemacht. Vorher ist der Misthaufen abzuräumen, der das Opfer von der Versöhnung trennt (steht der Hahn auf diesem Misthaufen?).
    Die Bekenntnislogik trennt den Glauben von der Gotteserkenntnis und vom Gebet (die Bekenntnislogik ist ein Nebenprodukt der verinnerlichten Blutrache).
    Waren nicht der Begriff und die Kritik der Bekenntnislogik (Umkehr des Schuldbekenntnisses) schon angelegt in den Problemen, die mir einmal der philosophische Gebrauch des Wertbegriffs (Schelers „Wertethik“) bereiteten, und finden diese Probleme nicht ihre Lösung in einer Theorie der Banken (Armut als Ware)?
    Was bedeuten eigentlich die ägyptischen Plagen (die z.T. als apokalyptische Plagen wiederkehren):
    1. Verwandlung des Wassers des Nil in Blut (die ägyptischen Zauberer taten dasselbe),
    2. der Nil soll von Fröschen wimmeln, sie sollen aufsteigen, in das Schlafgemach des Pharao, die Häuser, die Backöfen und Backtröge,
    3. aus dem Staub die Mücken, sie kommen über Mensch und Vieh (die Zauberer taten dasselbe, aber konnten es nicht),
    4. die Häuser und der Boden, auf dem die Ägypter stehen, sollen voll werden mit Bremsen, im Lande Gosen, wo „mein Volk wohnt“, sollen keine Bremsen sein (Scheidewand zwischen meinem und deinem Volk),
    5. auf alles Vieh der Ägypter (Pferde, Esel, Kamele, Rinder und Schafe) soll die Pest kommen, das Vieh der Ägypter starb, das der Israeliten blieb verschont,
    6. Ofenruß wird zu Staub, bei den Ägyptern wird Mensch und Vieh von Geschwürbeulen befallen (die ägyptischen Zauberer vermögen nichts dagegen),
    7. Donner, Hagel und Feuer geht auf Ägypten nieder, alles, was auf dem Felde ist, Mensch und Vieh, auch alles Feldgewächs und alle Bäume werden zerschlagen,
    8. Heuschrecken fallen ein, bedecken den Boden, daß man die Erde nicht mehr sieht, fressen alles, was der Hagel noch verschonte,
    9. Finsternis kommt über Ägypten, keiner konnte den andern sehen, keiner stand auf von seinem Platze, drei Tage lang, aber die Israeliten alle hatten hellen Tag an ihren Wohnsitzen,
    10. alle Erstgeburt in Ägypten, vom Pharao auf dem Thron bis zur
    Sklavin hinter der Handmühle, auch vom Vieh wird sterben, es wird großes Wehklagen sein, gegen Israel aber soll nicht ein Hund mucken, der Herr macht einen Unterschied zwischen Ägypten und Israel.

  • 28.6.1995

    Geometrie und Arithmetik verhalten sich wie Privatsphäre und Öffentlichkeit, wie Innenpolitik und Außenpolitik, wie Ägypten und Babylon.
    Ist das Meer die nach außen gewendete Gebärmutter, der nach außen gewendete Mutterschoß? Die Prophetie wurde im Mutterschoß erweckt, die Philosophie im Wasser. Aber das Meer hat die großen Seetiere nicht – wie die Erde die Pflanzen und Tiere – „hervorgebracht“, Gott hat sie erschaffen. Erschaffen, so wie er die Finsternis erschaffen hat (Jes 457). Haben das Tier aus dem Meer (das Gott erschaffen hat) und das Tier vom Lande (das aus der Erde hervorgegangen ist) etwas mit dem fünften und sechsten Schöpfungstag zu tun?
    Zu den Konstituentien der Außenwelt gehören der Handel und der Krieg, gehört auch das Gewaltmonopol des Staates.
    Der Corpus Christi mysticum ist die Sprache, die heute gekreuzigt, gestorben und begraben und zur Hölle niedergefahren ist. Ist das Inertialsystem (sind die subjektiven Formen der Anschauung) das leere Grab?
    Die Grundlage und der Preis für die Rezeption des Hellenismus war die Opfertheologie, die Objektivierung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes.
    Zu den Feuerbach-Thesen von Marx: Ist nicht die Alternative, entweder die Welt zu interpretieren oder sie zu verändern, falsch: Gibt es nicht eine Gestalt der Reflexion, die den Bann der Welt bricht?
    Mit dem Urschisma hat das Christentum die Offenbarung zu einer vergangenen, toten Sache gemacht; hier liegt der Grund für die „Tyrannei der Schrift“.
    Die nur scheinbar durch Rentabilitätsgründe erzwungenen Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen versorgen in Wirklichkeit eine Klientel, die für ihr freies Kapital risikofreie aber rentable Anlagemöglichkeiten sucht. Das paßt in den übermächtigen Trend zur Entpolitisierung der Politik (zur „funktionierenden Demokratie“). In den Metropolen wird nachvollzogen, was in der Dritten Welt schon seit langem sich durchgesetzt hat: Die Politik wird zum Vollzugsorgan der alle Quellen der Macht in sich kontrahierenden Ökonomie, die gegen alle Einrichtungen demokratischer Kontrolle als immun sich erweist.
    Ideal des schlanken Staats: Ein Balletensemble, das nach der Musik, die die Wirtschaft macht, tanzt.
    Das Buch Daniel – und dazu gehören die drei Jünglinge im Feuerofen und Daniel in der Löwengrube -: das Paradigma der Theologie in der Metropole?
    Das Wasser sammle sich an einem Ort. In der mystischen Tradition des Judentums wurde dieser Satz anders verstanden und übersetzt: Das Wasser sammle sich an dem Ort des Einen (der Einheit). Paßt diese Version nicht zur Ursprungsgeschichte der Philsophie (erster Satz des Philosophie: Alles ist Wasser) und des Begriffs des Universums, der zusammen mit der Organisation des Wissenschaftsbetriebs in den „Universitäten“ sich bildet?
    „Im Munde süß, im Magen bitter“: Verum et unum convertuntur? Ursprung und Programm eines historischen Projekts, bei dem am Ende das Gegenteil herauskommt: Unum est contradictio veri.

  • 27.6.1995

    Instrumentalisierung und Ideologieverdacht: Wer die memoria passionis ins Spiel bringt, müßte die Opfertheologie reflektieren. Die Opfertheologie ist selber Ausdruck des Schuldzusammenhangs, dessen Lösung zu sein sie vorgibt.
    Das Luhmannsche Thema heißt „Faktizität und Geltung“, das Habermassche „Genesis und Geltung“. Darin drückt der ganze Unterschied sich aus. Die Systemtheorie gründet in der Verwerfung der genetischen, der historischen, der Ursprungsdimension; so gleicht sie dem naturwissenschaftlichen, durchs Interialsystem definierten Erkenntniskonstrukt sich an. Die Systemtheorie rückt die Dinge in den Zusammenhang des Verwaltungsblicks, der sie verstummen macht; sie sanktioniert die Abstraktion, die der Verwaltungslogik zugrunde liegt.
    Das Christentum hat aus dem Alten Testament die Theologie herausgeblasen. Grundlage war die These, daß das Gesetz aufgehoben und die Prophetie erfüllt sei.
    Das Inertialsystem begründet und legitimiert den Rachetrieb. Das läßt leicht sich ableiten aus der mit dem Ursprung und der Entfaltung des Inertialsystems verbundenen Subjektivierung der Empfindungen.
    Die Bekenntnislogik (die Logik des „Glaubens“-Bekenntnisses) entspringt aus der Umkehrung des Schuldbekenntnisses. Daraus hat sich die Logik der „Sündenvergebung“ durch Schuldverschiebung, der Exkulpationsapparat, entfaltet. Grundlage war die Herausnahme von Joh 129 aus dem Nachfolgegebot, das theologische Konstrukt, wonach Jesus durch seinen Opfertod „die Sünden der Welt hinweggenommen“ habe: Ihm wurde die ganze Last aufgebürdet, ihm das Joch auferlegt (hierher gehört die Geschichte vom gordischen Knoten).
    „Schriftlichkeit“:
    – „Das Heroische ist immer eine Sache der Erinnerung, d.h. eines ‚Heroischen Zeitalters‘, das per definitionem in der Vergangenheit liegt. Das Epos ist die Form und das Medium ihrer Vergegenwärtigung.“ (S. 8, Einleitung von A. und J. Assmann) – Hinweis auf die Beziehung zur Geschichte der Sprachlogik: auf den Ursprung des Präsens in einer „Vergegenwärtigung“, die in der Vergangenheit gründet? Der Heros als Vorläufer des Substantivs?
    – „In der griechischen Welt hat eine ‚Tyrannei des Buches‘ sich nie ausbreiten können, wie es in der morgenländischen oder der mittelalterlichen Welt geschah“ (ebd., S. 12, Zitat aus Rudolf Pfeiffer: Geschichte der klassischen Philologie I, 1978, S. 52). – Hier wäre der Hinweis angebracht, daß zur Erklärung dieses Tatbestandes – wie allgemein zur Bestimmung der „Logik der Schrift“ – die Reflexion auf ihre Einbindung in die Politik, ihre Beziehung zum Ursprung und zur Geschichte des Staates: ihre Verstrickung in die Herrschaftsgeschichte gehört. Die Logik der Schrift ist keine ein für allemal geltende logische Struktur, die Reflexion ihrer Geschichte ist ein substantieller Teil ihrer Erkenntnis.
    – Zu S. 11ff: Die literarische Rede, die „direkte Rede“ in einem Text, gründet nicht in einer „oralen Tradition“, sondern ist rhetorischen Ursprungs, sie ist – wie die Sprache, die mit ihr sich entfaltet – in sich selbst vermittelt. Was aus der oralen Tradition sich entwickelt, ist das Erzählen, nicht die in einer Erzählung zitierte Rede.
    – „Die Schrift ist hier (sz. in der orientalischen Vorgeschichte der griechischen Schrift) in erster Linie ein Instrument organisierender Wirklichkeitsbewältigung und herrschaftlicher Repräsentation.“ (ebd. S. 13) – Unterscheidet sich die griechische davon nicht doch nur durch die Verinnerlichung dieses Organisationsprinzips? Deshalb gehört zum Ursprung der griechischen Schrift die Erfindung der Barbaren, die an diesem zivilisationsbegründenden Akt nicht teilhaben? Die „Diskurse der Macht“ (ebd.) drücken dann in der Sprache selbst als deren grammatische Struktur sich aus (Zusammenhang der Erfindung des Neutrums mit den veränderten Formen der Konjugation, Ursprung des Weltbegriffs).
    – „In dieses (sz. vorgriechische) Schreiben finden ‚mündliche Überlieferung‘ sowie das, was wir ‚Literatur‘ nennen würden, nur sehr beschränkt Einlaß.“ (S. 13f) – Sh. die Bemerkung oben zum Problem der „oralen Tradition“. Hier geht es nicht um das „Eindringen von ‚Oralität‘ in die griechische Schriftkultur“ (S. 14), sondern um deren literarische Reflexion. Und ist nicht „Platons Oralitätskritik“ (die „Verbannung der Dichter aus dem Staat“, S. 15) eher eine Reflexionskritik im Kontext seines autoritären Politikverständnisses?
    – S. 18f: Die Geburt der Seele aus der Logik der Schrift: „As language became separated visually from the person who uttered it, so also the person, the source of the language, came into sharper focus and the concept of selfhood was born“.
    – „Mit der Übernahme der Alphabetschrift … gewinnt der Mensch Verfügungsgewalt über sein Gedächtnis“. (S. 20) – Veränderung des Zeitparadigmas durch Objektivierung der Erinnerung.
    Ein Oralitätsverständnis, das die Schrift nur instrumental, nicht in Wechselwirkung mit der Sprachlogik begreift, ist romantisch. Es verlegt den Sprachgrund in den Volksgeist und gehört zu den Ursachen jener Theorien, die den Ursprung des Indogermanischen nur über indogermanische „Völker“ oder „Rassen“ sich vorstellen kann. Was diese Vorstellungen einmal so plausibel machte, gründete in der Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift.
    Auch die „Tyrannei der Schrift“ ist nicht von außen (über autoritäre Religionen) in die Schrift eingebrochen, sondern sie bezeichnet selber eine Phase der Geschichte der Logik der Schrift. Auch für die Griechen war die Schrift eine Quelle der Macht, und sei es nur der Macht über die eigene Phantasie (wie in der Realität über die Sklaven des Hauses, die Frauen und die Kinder).
    Gegen das romantische Oralitätsverständnis bleibt anzumerken, daß die Völker und ihre Schriften als durchaus unterschiedliche Entitäten sich begriffen: Die Sprache der Hellenen war griechisch, die der Römer lateinisch, die der Israeliten hebräisch. Wie verhielt es sich mit den Ägyptern und den Persern (beides griechische Namen – hier wirkt die Definitionsgewalt des Griechischen nach)? Gibt es eigentlich eine Synopse der antiken Geschichtsschreibung? Wie haben die Ägypter und Perser sich selbst benannt?
    Wo geht das Epos (die Geschichte des heroischen Zeitalters als Gründungsgeschichte der Polis, des Staates) in Geschichtsschreibung (die Geschichte der Könige, Völker, Staaten, der Kriege, der Eroberungen, Niederlagen und Untergänge) über: die Poesie in Prosa, die eine gleichsam außenpolitische Sprachlogik verkörpert? Gehört nicht zur Vergegenständlichung der Geschichte die Reflexion der Beziehung zu den anderen Staaten dazu (Grund der nationalistischen Geschichtsschreibung)?
    Reflex der außenpolitischen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten im Innern ist der Markt, die Agora, der Ort des Ursprungs der Philosophie, Gründungsort des Naturbegriffs (Philosophie als Rekonstruktion des Epos im Kontext dieses Reflexionszusammenhangs: Suche der verlorenen Idee des richtigen Staats, der Philosoph als erinnerter und reflektierter Heros).
    Aus der Logik der Schrift (im Kontext des griechischen Alphabets als kulturelle Revolution) wäre auch die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Mythos abzuleiten, eine Auseinandersetzung, die ihre Zuspitzung in der Rekonstruktion des logischen Kerns des Mythos, der griechischen Schicksalsidee gefunden hatte. Aus der Verinnerlichung des Schicksals, als einzigem Weg, der aus dem Bannkreis des Schicksals herausführte, ist die Philosophie entstanden, zusammen mit der vollständigen Neuorganisation der Objektivität insgesamt, ihrer Rekonstruktion im Kontext der drei Totalitätsbegriffe Wissen, Welt und Natur.
    Die Idee des Schicksals war das gegenständliche Korrelat des erwachenden Selbst in der Logik der Schrift. (Diese Definition hängt mit der Benjaminschen vom Schicksal als Schuldzusammenhang des Lebendigen zusammen.)
    Die Juden haben den Übergang zum Rechtsstaat, die Monopolisierung der Blutrache durch den Staat, nicht vollzogen. Der Mörder wurde bestraft, aber für den, der ohne Absicht einen Menschen getötet hatte, wurden Asylstädte eingerichtet, in denen er vor der Blutrache geschützt war.
    Die Opfertheologie hat Jesus zum Heros gemacht: zum Staatengründer, und das Christentum zur Staatsreligion. Deshalb gibt es zur „Gattung“ Christentum unterschiedliche „Arten“; für das Christentum gilt, was Hegel über die Natur (im Hinblick auf das Verhältnis Gattung und Art beim Tier) gesagt hat: es kann den Begriff nicht halten (auch die Hegelsche Begründung ist auf die Beziehung des Christentums zu seinen Denominationen anwendbar).

  • 24.6.1995

    Auch Micha Brumlik verwechselt das Ewige mit dem Überzeitlichen (und damit den Staat mit Gott), wenn er mit Plato die „Ewigkeit“ von Schrift und Bild gegen das flüchtige Wort ausspielt und die Unterscheidung von Philosophie und Prophetie anhand der Unterscheidung von Sehen und Hören als Klischee bezeichnet.
    Was Adorno Verdinglichung nannte, ist durch die Logik der Schrift vermittelt (wie die Kritik der Verdinglichung durch die Fähigkeit, mit den Ohren zu denken).
    Es ist kein Zufall, daß die Universitäten, die die Logik der Schrift nicht nur zur Grundlage der Wissenschaften, sondern über Recht und Theologie auch des Staates und der Kirche gemacht haben, in der Auseinandersetzung mit dem Islam entstanden sind.
    Auch ein Beitrag zur Apokalypse: Ein Jogger mit einem T-Shirt, das hinten den Aufdruck trägt: Neue Welle, neues Erlebnis, neues Gefühl.
    Definitionen des Jogging: Sie laufen nicht, sondern sie werden gelaufen, sie sind in der Regel passionierte Werbeträger. Jogging: Produkt der Vergesellschaftung des Sports (verinnerlichte Einheit von Verein, Sportler und Schiedsrichter); individualisiertes Gemeinschaftserlebnis mit eingebauter Bekenntnislogik.
    Die Idee der Sündenvergebung schließt als Intention die der Änderung des Vergangenen mit ein.
    Gründet die „Autorität der Leidenden“ nicht in der Geschichte und im Symbol des brennenden Dornbuschs?
    Der Satz: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, enthält einen prophetischen Bezug zum Ursprung, zur Geschichte und zur Realität der Verwaltung.
    War nicht das scholastische supranaturalis die Übersetzung der Metaphysik ins Adjektivische?
    Der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, verweist auf eine reflektierte Form des Begriffs des Absoluten, er reflektiert das Moment der Asymmetrie in der Idee des Absoluten; der Begriff des Absoluten ist kein universaler Begriff: Das Absolute für mich ist nicht zugleich auch ein Absolutes für andere. Die Unterscheidung von Rind und Esel gilt auch für die Idee des Absoluten. Auschwitz ist die Konsequenz einer Logik, die Last abwirft und sie zum Joch für andere macht. Lassen sich aus dieser Konstellation nicht die Regeln der israelitischen Opfertradition (das Opfer als Auslösung der Erstgeburt), die symbolische Bedeutung von Lamm und Taube, sowie die Differenz zwischen Stier-Opfer und Stier-Kult ableiten?
    Die Bekenntnislogik ist eine Konsequenz aus der Logik der Verdinglichung und Instrumentalisierung. Die Differenz zwischen dem, was etwas an sich, und dem, was es für andere ist: die Differenz zwischen Esel und Rind, Last und Joch, ist unaufhebbar. Totalitätsbegriffe entspringen dort, wo das Produkt der Instrumentalisierung zum An-sich geworden ist, wenn man den Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Andersseins auflöst, die Erinnerung an das Eine verdrängt (bei gleichzeitiger Übertretung des Deuteronomium-Verbots, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen). Hegel ist diese Auflösung nur unter Zuhilfenahme der List der Vernunft und um den Preis der Aufnahme des Scheins in die Idee der Wahrheit gelungen.
    Am Islam lassen die Wurzeln des Fundamentalismus sich erkennen, am Christentum die Früchte.

  • 19.6.1995

    Logik der Schrift: Die Schrift erzwingt die Vergegenständlichung der Einsicht zur Erkenntnis (der Sprache zum Instrument der Mitteilung).
    Leserbrief zu Metz „Religion und Politik …“ in der FR von heute (Prof.Dr.Thomas Feuerstein, FH Wiesbaden):
    – „‚Die Autorität der Leidenden‘ ist nicht unmittelbar gegeben. Stellvertreter dieser Autorität stehen unter prinzipiellem Ideologieverdacht ‚im Lichte‘ diskursiver Vernunft“. Dieser Satz stellt verteidigendes Denken unter Ideologieverdacht („Ihr laßt die Armen schuldig werden“), macht Barmherzigkeit gegenstandslos, verwirft apriori jede Alternative zu der (bis in unsere Naturvorstellungen hinein) vom Selbsterhaltungsprinzip beherrschten Welt. Sie verschiebt den Begriff der Ideologie von der Bezeichnung des Verblendungszusammenhangs auf alles, was diesen Verblendungszusammenhang durchbrechen könnte. Ist nicht schon der Begriff der diskursiven Vernunft ein Instrument des Verblendungszusammenhangs: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, weil sie durch diskursive Vernunft nicht bestimmbar ist, weil sie der Beweislogik sich entzieht. (Zu den Grenzen der Beweislogik vgl. Kants Aporien der reinen Vernunft.)
    – Es sollte nicht geleugnet werden, daß auch die memoria passionis instrumentalisierbar ist; nachzuweisen am Christentum, an der Opfertheologie und der damit systematisch verbundenen Orthodoxie (am Dogma und seiner Logik).
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht bleibt abstrakt, er verfällt der gleichen Logik, gegen die er sich wendet: Indem er das Problem von der sachlichen auf die Bekenntnisebene verschiebt, macht er aus einer Frage der Einsicht eine Bekenntnisfrage und gehorcht so der gleichen Bekenntnislogik, deren Folgen er kritisiert. So werden das reale Leiden, die Armut wie auch Unterdrückung und Verfolgung durch einen logischen Trick zum Verschwinden gebracht. Der prinzipielle Ideologieverdacht gründet in einem logischen Trick, der die Differenz zwischen der Realität des Leidens und ihrer Instrumentalisierbarkeit selber nochmal instrumentalisiert; dieser Logik zufolge wäre jedem Bettler zunächst einmal zu unterstellen, er habe hinter der nächsten Straßenecke seinen Mercedes stehen (soll er doch das Gegenteil beweisen).
    – Zu reflektieren wäre die Instrumentalisierung des Leidens (liegt hier nicht der Kern der christlichen Opfertheologie und eine der christlichen Wurzeln des Antisemitismus?), und das wäre allerdings in der Tat die Aufgabe einer Theologie nach Auschwitz (wie auch Johann Baptist Metz sie fordert).
    – Ein alltäglicher Ausdruck des „prinzipiellen Ideologieverdachts“ ist der Elternspruch: „Stell dich nicht so an“ (er unterstellt, der Schmerz sei nicht real, sondern nur ein Mittel, damit ein anderes Ziel zu erreichen).
    – Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ wird gleichsam zur Schufa der Philosophie; er verringert das Risiko, selber zum Opfer eines Betrugs zu werden, das aber zu dem Preis, daß er das reale Leiden ins Dunkel rückt, es unsichtbar macht. Hier wäre ein Beleg für Metz‘ Hinweis auf die Gewalt des Markt-Apriori auch in der Philosophie.
    – Was hier ins Dunkel gerückt wird, ist schon in den Anfängen der Moderne an einer realprojektiven Verschiebung nachzuweisen: am Begriff des Wilden.
    – Die Diskurslogik hat die Erinnerung an die Theologie bloß abgeschafft, anstatt, wie Adorno einmal die Intention Benjamins zu umschreiben versucht hat, alle theologischen Gehalte restlos zu säkularisieren.
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht vermittelt das erhebende Gefühl, über der Sache zu stehen, ohne zu bemerken, daß er damit aus der Sache heraus ist. Er ist in Wahrheit ein Instrument des mitleidlosen Herrendenkens. Im sicheren Bewußtsein, daß dieser Beweis nicht zu führen ist, legt er den Opfern die Pflicht auf zu beweisen, daß sie Opfer sind. Auch so schafft man, wenn nicht eine reale heile Welt, so doch ihren allgegenwärtigen Schein.
    – Gehörte nicht die Sympathisantenjagd im Kontext des Terrorismus zu den manifesten Folgen des prinzipielle Ideologieverdachts: der Unfähigkeit, zwischen dem humanen Impuls der Empathie und ihrer politischen Instrumentalisierung zu unterscheiden? Ist nicht die Geschichte der (auf ihre juristischen Aspekte reduzierten) Auseinandersetzung mit der raf so unendlich mit den verhängnisvollen Folgen dieser Logik belastet (und hat nicht die raf selbst durch ihre Wendung zum Terrorismus diese Folgen mit zu verantworten)?
    Der Metz’sche Versuch, das Konzept einer anamnetischen Vernunft zu entfalten, ist – weiß Gott – nicht schon „gelungen“; er ist weiterhin entfaltungsfähig und -bedürftig. Es ist überhaupt keine Hilfe, diesen Versuch gleichsam apriori abzuwehren. Der prinzipielle Ideologieverdacht (der heute aus sehr tiefen gesellschaftlichen Gründen so nahe liegt, daß er fast durch Reflexion nicht mehr aufzulösen ist) wird zur Quelle der Paranoia, deren erstes Opfer – zusammen mit dem Antijudaismus, der innerkirchlichen Quelle des Antisemitismus – die kirchliche Theologie selber einmal geworden ist.
    In welcher Beziehung stehen die aufbrechenden Nationalismen und die Wendung zu fundamentalistischen Instrumentalisierungen der Religionen (auch dies ein Gegenstand einer politischen Theologie) zum derzeitigen Stand der Geschichte der politischen Ökonomie? (Ursprung der Einen Welt in der Geschichte des Marktes; Zerfall der Souveränität; Übergang von Regierung in Verwaltung, Abgabe von Regierungsaufgaben an die Verwaltung: Übergang der Souveränität an Institutionen wie Bundesverfassungsgericht, Bundesbank, EG, UNO, Weltbank und IWF.)
    Wiederkehr der kantischen Antinomien der reinen Vernunft in der Politik:
    – Die Verwaltung sprengt die Gewaltenteilung (durch Implosion): sie übernimmt zu den ihr obliegenden Aufgaben der Exekutive inzwischen auch die der Legislative und der Jurisdiktion – Angleichung von Rechtsprechung und Verwaltung; Verwaltung als Selbstorganisation des gesellschaftlichen Gewaltpotentials.
    – Verwischung der Grenzen von Innen- und Außenpolitik: Folgen für den Begriff der Gewalt (der nach innen anders definiert ist als nach außen): Läßt sich das Gewaltmonopol des (nationalen) Staates auf internationale Organe übertragen (vgl. den Golfkrieg und die Probleme der UN-Blauhelm-Truppen im Jugoslawienkonflikt).
    – Sonderstellung der Bundesbank und der Weltbank: Dekonstruktion des Prinzips der Gewaltenteilung; Teilhabe eines in der reinen Lehre nicht vorgesehenen Instituts an der Gewalt (an einer Quelle des Gewaltbegriffs: im Falle der Bundesbank im Bereich der Währungshoheit des Staates, der „Subjekt“-Länder; im Falle der Weltbank Eingriff in die Souveränität der „Objekt“-Staaten, der „Entwicklungsländer“).
    – Neonationalismen gründen in dieser Krise des Gewaltbegriffs; sie sind rational und irrational zugleich: Nation als transzendentales Subjekt in einer Welt, die zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr kennt.
    – Fortschreitende „Privatisierung“ staatlicher Aufgaben; Folge der Expansion der Marktlogik in den Bereich der Souveränität; Begriff des Neofeudalismus zu harmlos. Ausdruck der Strukturänderungen im Gewaltbegriff (im „Begriff“: in der Herrschaftslogik des Ganzen wie in der Depotenzierung des Bewußtseins).
    Sprache und Mathematik: Kant hat die Welt als mathematischen, die Natur als dynamischen Totalitätsbegriff definiert; spiegelt sich darin das Verhältnis von Mathematik und Sprache?
    Auffallend, daß Habermas Horkheimers Skrupel hinsichtlich der Neuauflage der Dialektik der Aufklärung als Ausdruck eines offenen Problems verdrängt, sie statt dessen als „Beweis“ dafür nimmt, daß die Dialektik der Aufklärung überholt sei. Er nutzt Horkheimers Skrupel als Mittel der Neutralisierung der Dialektik der Aufklärung anstatt als Impuls ihrer Weiterentwicklung.

  • 16.6.1995

    Sprache der Gewalt: Im Deutschen ist aus dem Geist des Rates der Geheimrat und aus dem Rat der Ratschlag geworden. Die Differenz gründet in einer Staatsmetaphysik, deren Grund nicht mehr die Sprache, sondern die allgegenwärtige Gewalt ist, und in der das Hören zum Gehorsam verkommen ist. – Sind nicht die Bekenntnislogik, die Trinitätslehre und die Opfertheologie Grundlage und Teil dieser Gewaltmetaphysik, und sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung (ist nicht jede Form der Ästhetik) ein Äquivalent der Sprache der Gewalt im Bereich der Erkenntnis?
    „Stell Dich nicht so an!“, Logik der Schuld oder Folgen der Opfertheologie: Empfindlichkeit ist pathologisch, sie gründet in der Logik der Schuld; die „Tiefe“ einer Verletzung wird zum Maß für die Schwere der Schuld, die der Täter durch seine Tat auf sich geladen hat. Aber kann sich der Täter, der Urheber einer Verletzung, darauf berufen? Zur Falle für beide Seiten wird die Instrumentalisierung der Verletzung, die Funktionalisierung der eigenen Opferrolle, die die Täter/Opfer-Beziehung festschreibt, sich weigert, die Opferrolle auch noch zu reflektieren (und damit der Schuldreflexion des Täters den Weg versperrt), weil das Opfer auf den Nutzen, den es aus dem Schuldspruch gegen den Täter zieht, nicht verzichten kann.
    Wasser und Feuer: Gründet die Sinnlichkeit insgesamt (das gesamte Reich der Empfindungen, insbesondere Farbe, Wärme und Klang) in ihrer Beziehung zum Licht (in ihrem Verhältnis zu den subjektiven Formen der Anschauung)?
    Empfindlichkeit, Selbstmitleid, Selbstvergöttlichung: Verinnerlichung der Selbsterhaltung (Pendant der vollständigen Instrumentalisierung der Welt).
    Taumelkelch, Kelch des göttlichen Zorns, Unzuchtsbecher: Zu den infamsten Herrschaftsmitteln gehört die Verwirrung, Beherrschung und Instrumentalisierung der Erinnerung der Anderen, ein Erbe des Christentums, Hinweis auf den genetischen Zusammenhang der subjektiven Formen der Anschauung mit dem Ursprung und der Geschichte des Dogmas, der Orthodoxie, der Bekenntnislogik (das Dogma als Produkt der Verarbeitung des Kreuzestodes im Kontext des Weltbegriffs und der Logik des Herrendenkens).

  • 10.6.1995

    Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
    Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
    Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
    Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
    Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
    Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
    Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
    Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
    Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
    Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
    Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
    Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?

  • 8.6.1995

    Hermes oder Idealisierung als Schuldverschiebung: Die Waage (Symbol des Gerichts) macht Gewichte (Schuld) vergleichbar, indem sie auf sich selbst ableitet (die Schuld auf sich nimmt, scheinbar hinwegnimmt, und die Objekte zu Objekten idealisiert). – Haben die Schalen der Waage etwas mit dem Kelchsymbol (und mit der Logik der subjektiven Formen der Anschauung) zu tun?
    Ist die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf das Sonnensystem nicht vergleichbar mit der Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Probleme (und ist sie nicht ähnlich problematisch)? – Kann man die Massen von Sonne, Mond, Erde und Planeten, ihre „Gewichte“, (auch nur in Gedanken) mit Hilfe einer Waage vergleichen und bestimmen? Oder ist nicht das Gravitationsgesetz diese Waage (der logische Grund der Vergleichbarkeit der „Massen“ von Sonne, Mond, Erde und Planeten, und damit der Grund der Anwendbarkeit dieses Begriffs in dieser Sphäre); auf welchem Boden steht diese Waage: welche Waage und welcher Boden würde dem gemeinsamen Gewicht von Sonne, Mond, Erde und Planeten standhalten? – Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz sind beide Waage und Boden zugleich: Darin ist die Identität von träger und schwerer Masse begründet, oder genauer: Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz begründen sich wechselseitig.
    Sch’ma Jisrael (mit den Ohren lesen): Der Islam nimmt den Koran „wörtlich“, das Christentum das Dogma, das „orthodoxe“ Verständnis der Schrift (nur der Theologe weiß, was der biblische Autor gemeint hat). Beide stehen unter dem Bann der Logik der Schrift (der Bekenntnislogik), beide sind unfähig zur Sprachreflexion: Beide haben verlernt zu hören, sind taub.
    Peter Brown: Macht und Rhetorik in der Spätantike. In der machtorientierten Welt der Spätantike (des römischen Reiches) ist die Sprache zur Rhetorik geworden: zu einem Instrument der Demonstration, der Verschleierung und der Ausschmückung von Macht. In welcher Beziehung stehen hierzu die Vätertheologie, das Selbstverständnis der Kirche und die Ausformulierung des Dogmas, die Orthodoxie (der Begriff und die Sache)?
    Die Trennung von Macht und Rhetorik ist ein Teil der Geschichte der Trennung von Wirklichkeit und Sprache (die von der Entmächtigung der Sprache, die nur noch äußerlich auf die Sache sich bezieht, ausgeht).
    Der Name gründet in Gott, der Begriff im Staat.
    Das Neutrum entspringt gemeinsam mit der Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum, die mit der anderen Vorstellung verbunden ist, daß jede Zukunft einmal vergangen sein wird. Das Neutrum antizipiert die Vergangenheit der Zukunft, es kennt das Leben ebenso wie das Licht nur als vergangenes.

  • 26.5.1995

    Der Gegensatz von Sehen und Hören drückt in der Sprache in der Beziehung von Schrift und Wort sich aus. Worauf bezieht sich das Wort von den „sichtbaren und unsichtbaren Dingen“ im Credo? Ist nicht das Dogma der Versuch, das Unsichbare in Sichtbares: den Glauben in Wissen zu transformieren? Und war nicht genau das der parvus error in principio? Wer das Unsichtbare in Sichtbares zu transformieren versucht, setzt an die Stelle des Hörens den Gehorsam.
    Das Dogma und die Logik der Schrift: Quod non est in actis, non est in mundo.
    Das Dogma hat die Ohren verstopft.
    Die Prophetie hat in der Tat in der Geschichte Jesu sich erfüllt; aber erfüllt heißt nicht abgeschlossen, heißt nicht, daß das Erfüllte damit zu etwas Vergangenem geworden ist: Es ist vielmehr auf eine neue Weise gegenwärtig geworden. Hat nicht erst die Kirche, durch ihre Art der Verarbeitung (durch theologische Objektivierung), es zu etwas Vergangenem, Erledigten, gemacht?
    Stephanus sah den Himmel offen. Hat nicht Paulus, der in den dritten Himmel entrückt war, die Feste des Himmels wieder verschlossen und durch die Archonten versiegelt? Und hat nicht Paulus (ein „V-Mann“ der Sadduzäer, nicht der Pharisäer) das sadduzäische Prinzip, das er vertrat, ins Christentum mit herübergenommen und so dazu beigetragen, daß die jüdische Tradition aus dieser Fessel sich befreien konnte?
    Der Gottesname „Vater“ gewinnt Sinn nur, wenn ich ihn auf andere beziehe: Nur dann werden die Sätze verständlich „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ oder „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben …“ oder auch „Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.
    War die Kopenhagener Schule nicht der Vorläufer der Postmoderne in der Physik? Beide haben die Logik des Sehens bis an die Grenze vorgetrieben, an der sie hätte ins Hören umschlagen müssen, aber dann wieder ins Sehen zurückgebogen.
    In einen Prozeß hineingezogen werden kann ich auf dreifache Weise: als Ankläger, als Angeklagter oder als Verteidiger.
    Sind Perfekt und Imperfekt die konjunktivischen Verkörperungen von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit? Die indoeuropäischen Sprachen haben aus dem Imperfekt das Praeteritum gemacht: Sie ist die Welt zu einer durch die Vergangenheitsform (durchs Perfekt) abgeschlossenen Welt geworden (zum Präsens), die seitdem instrumental verfügbar ist. Das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, revoziert das Praeteritum (und die Gewalt des Perfekt). Das Perfekt, das für uns zur abgeschlossenen Vergangenheit geworden ist, war in der Bibel inhaltlich erfüllt: Er starb alt und lebenssatt. Das indoeuropäische Perfekt ist der Sprachgrund der Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt.
    Auschwitz ist die reinste Verkörperung des vom Perfekt vergewaltigten Imperfekt.
    Theodor Haeckers Bemerkung über den „echten Hebräer“ gehorcht der Logik der bloß erbaulichen Bibellektüre, die seit je projektiv und antisemitisch war.
    War der Himmelfahrtstag nicht seit je ein Männertag („Ihr Männer von Galiläa …“)? Waren nicht hier und beim letzten Abendmahl die Frauen ausgeschlossen?
    Die Trinitätslehre hat die Attribute Gottes durch Objektivierung aus dem Imperativ in den Indikativ zurückübersetzt, sie für Herrschaftszwecke brauchbar gemacht. Hat sie damit nicht das Wort Jesu zu Petrus „Weiche von mir Satan! Du bist mir ein Fallstrick, denn du sinnst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist“ (Mt 1623) als Imperativ genommen?
    Das Allgemeine ist, bezogen auf das Einzelne, das Gemeine.
    Die Postmoderne vollstreckt den Bann des begrifflichen Denkens: den Verzicht auf Ziele und Resultate. Die Dekonstruktion ist die Entfaltung des Widerspruchs, der mit ihrer Objektivierung auch die Ziele und Resultate ergreift.
    Mit dem Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ ist die Offenbarung fähig geworden, in die Völkerwelt hinauszugehen.
    Der Vertrauens-Slogan der Deutschen Bank bezieht sich auf das Vertrauen, daß die Kunden in die Deutsche Bank setzen sollen, nicht auf das Vertrauen, das die Deutsche Bank in die Kunden setzt. Es ist ein durchaus einseitiges Vertrauen und meint eigentlich: Ihr könnt uns vertrauen, wir werden euch die Drecksarbeit abnehmen. Geldwäsche ist eine der wichtigsten Aufgaben der Banken: Man sieht dem Geld auf dem Konto nicht mehr an, auf welche Weise es gewonnen, erhalten und vermehrt wurde.
    Wie wäre es mit der These, daß der Antisemitismus heute nicht aufgehoben, sondern nur neutralisiert, gleichsam in eine Latenzphase gebracht wurde?
    Gibt es zu der Unterscheidung von gegen und wider (Gegner und Feind, Gegenstand und Widerstand) eine Entsprechung im Lateinischen oder Griechischen? Gehört diese Unterscheidung (zusammen mit dem naturwissenschaftlichen Begriff der Trägheit) zu den Ursprungsbedingungen des Dingbegriffs? Und hat diese Unterscheidung etwas mit der des Andern vom Fremden zu tun (ist der Andere der neutralisierte Fremde, der Gegner der neutralisierte Feind)?
    Nach einem Hinweis von Jürgen Ebach bezieht sich das biblische „im Angesicht“ sowohl auf Gott wie auch auf den Feind. So hängt das Leuchten des Angesichts mit der Feindesliebe zusammen. Im Feind hasse ich die eigene Verblendung (das nach draußen projizierte verdrängte Innere, das ich in mir selbst nicht wahrhaben will, die projektiv ins Objekt verschobene Manifestation des Verdrängten, die die Welt verdunkelt).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie