Die katholische Theologie sollte endlich Kant zur Kenntnis nehmen (und das, ohne ständig die Transzendenz mit dem Transzendentalen zu verwechseln). Das setzte voraus, daß sie den wissenschaftskritischen Impuls mit aufnimmt. Das experimentum crucis wäre die Naturwissenschaft. Damit würde sie sich allerdings der eigenen Geschichte als Legitimationswissenschaft begeben (sic, B.H.), die dazu ohnehin nicht mehr taugt.
War nicht die kirchliche Sexualmoral seit je Ursprung und Transporteur des „islamischen“ Religionsverständnisses (zum Begriff des Islam vgl. Stern der Erlösung, S. 191). Eine rigide Sexualmoral und ein fundamentalistisches Schrift- (und Geschichts-) Verständnis haben sich seit je wechselseitig fundiert.
Der Stern der Erlösung ist die erste konsequente Entfaltung der Idee, daß die theologische Idee der Wahrheit mit einer Änderung des Subjekts einhergeht, daß zur Theologie eine Idee der Wahrheit gehört, die ins Bestehende eingreift, weil sie die Umkehr mit einschließt. Aber: Ist die Umkehr bei Rosenzweig nicht schon eine sechsfache, und kommt sie nicht in die Nähe der Lösung der sieben Siegel?
Hat Rosenzweig die Theologie nicht doch nur bis zur Schwelle, die sie jetzt überschreiten müßte, geführt? Vgl. hierzu den Satz über das Verhältnis von Barmherzigkeit und Liebe (S. 193) sowie die Aussparung der Apokalypse (die Nicht-Reflexion der Beziehung von Gericht und Gnade). Die Schwelle, die Rosenzweig nicht überschritten hat, ist die Schwelle von Gethsemane. Ist nicht der Rosenzweigsche Koffer (Stern, S. 124) in Wirklichkeit der Kelch, und hat nicht das Gott Mensch Welt mehr mit der Trinitätslehre zu tun, als Rosenzweig weiß?
Hängt nicht die Verdrängung der Barmherzigkeit bei Rosenzweig, die er unterm Islam abhakt, mit der Verdrängung der apokalyptischen Dimension der Theologie zusammen: die Barmherzigkeit hängt über den Namen der Gebärmutter (und durch die projektive Beziehung der Hysterie zur Barmherzigkeit) mit den messianischen Wehen zusammen.
Die Form des Raumes, das ist das gegenständliche Korrelat der List der Vernunft, die bewirkt, daß mit jeder Umkehr der alte Zustand sich wiederherstellt. Die Zusage, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht sich hierauf.
Eine Erkenntnis, die nicht ins Bestehende eingreift, verdient diesen Namen nicht, aber mein Gefühl ist, daß Johann Baptist Metz sich seit einiger Zeit in die Ecke gedrängt fühlt und deshalb der Apologie verfallen ist. Bezieht sich nicht das Wort vom Binden und Lösen auf die Idee der eingreifenden Erkenntnis?
Ist nicht das Christentum immer wieder von seinen Vergangenheiten eingeholt worden, und das gerade von jenen, die es glaubte überwunden zu haben?
Die christliche Theologie hat eigentlich seit je alle Vorkehrungen getroffen, die es ihr ermöglichten, sich von der Schrift nicht angesprochen zu wissen. Das gilt für die ganze Breite von den Propheten bis Gethsemane.
Nicht die Ökumene (kein Multi-Kirchen-Konzern), sondern die Entkonfessionalisierung der Kirchen wäre das Ziel.
Ist nicht die in der Genesis vor dem ersten Schöpfungstag beschriebene Situation (wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes über den Wassern) ein Bild des gegenwärtigen Weltzustandes?
Wenn Auschwitz mit dem Kreuzestod zu tun hat, sind dann nicht auch wieder einmal die Jünger davon gelaufen (die dreifache Leugnung ließe sich hierauf beziehen)? Es ist vielleicht weniger wichtig, daran zu erinnern, daß in Auschwitz gebetet worden ist; wichtiger erscheint mir der Bezug zu dem Satz: Wer Euch anrührt, greift seinen Augapfel an.
Die verandernde Gewalt des Objektivationsprozesses hat sich zuerst in der Geschichte der Dogmenbildung, der opfertheologischen Verarbeitung der Erinnerung an den Kreuzestod, manifestiert.
Angst und Projektion: Sind es nicht generell unsere Ängste, die uns in die Projektion hineintreiben; ist nicht jede Projektion eine falsche Form der Angstverarbeitung? Gründen nicht alle Ängste in der Sünde der Welt. Die Aufarbeitung dieser Ängste, die Aufarbeitung des Empörungstriebs und seiner projektiven Wurzeln, sprengt die Herrschaft der Urteilsform über das Denken und begründet jene Sensibilität, die mit der Idee des Heiligen Geistes mehr zu tun hat, als das kirchliche Lehramt.
Christentum
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24.1.1995
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17.1.1995
Die Gottesfurcht ließe sich definieren als die Rücknahme des projektiven Denkens (als Produkt der Metanoia), so wie umgekehrt der projektive Erkenntnisbegriff aus der Strategie der Gottesfurcht-Vermeidung sich ableiten läßt (das Neutrum als Kern eines Schuldverschubsystems).
Der Weltbegriff ist der Inbegriff und der Versuch der Selbstlegitimation des projektiven Denkens.
Logik und Funktion des Substantivs wären anhand der Logik und Funktion des idealistischen Ich zu demonstrieren.
Zur Unterscheidung des Anderen vom Fremden: Das Andere ist das, was Fichte das Nicht-Ich genannt hat, eine systemimmanente, logisch aufs Ich bezogene und zugleich den Weltbegriff fundierende Bestimmung. Während der Andere ichfremd ist, bezeichnet der Name des Fremden ein der eigenen Welt Fremdes, etwas Gattungsfremdes: Hier liegt der Grund, weshalb Xenophobie nur rassistisch sich begründen läßt.
Sind Sodom, Jericho und Gibea nicht auch Decknamen des Hellenismus (und die Fremden in diesen Städten für deren Bewohner „Barbaren“)? Sodomitisch ist die Xenophobie, deren Beziehung zum biblischen Begriff der Unzucht aus den biblischen Texten sich entnehmen läßt.
Die Sexualmoral und das Tier: Indem die Sexualmoral der bloßen Tabuisierung zuarbeitet, die Reflexion verhindert, enthumanisiert sie die von ihr beherrschte Gesellschaft. Die Sexualmoral entzieht den Bereich der Gattung der Reflexion: Sie ist sie im Kern rassistisch.
Tiere sind Verkörperungen erstarrter, verdinglichter Projektionsmechanismen; deshalb sind sie erfahrungsunfähig.
Die Forderung, das projektive Denken zurückzunehmen, das betrifft insbesondere den Gebrauch, den die Theologie von der Schrift macht. Die „Unheilsprophetie“ und die Schreckensbilder der Apokalypsen sind nicht auf andere anwendbar: sie sind Konkretisierungen der Gottesfurcht. Man könnte auch sagen: Nur die göttlichen Verheißungen gelten für alle, die göttlichen Gebote gelten nur für mich.
Die Rücknahme der projektiven Verarbeitung der Apokalypse (die nur so als Quelle der Angst, als Herrschaftsmittel, sich ausbeuten läßt) hat insbesondere zur Folge, daß der Glaube in den apokalyptischen Bildern und Symbolen nicht in der Opferrolle, sondern in der des Täters sich reflektiert.
Ist nicht durch das Sabbath-Gebot für die jüdische Tradition die Astrologie ab ovo zeitlich, und nicht räumlich begriffen worden? Und gewinnt hier nicht die Begründung des Sabbath-Gebots durch ihre Beziehung sowohl auf das Sechs-Tage-Werk als auch auf den Exodus ihre enscheidende Bedeutung?
War Paulus nicht in der Tat der Völker-Apostel (und der Begleiter des Petrus, mit dessen Gedächtnis sein Gedächtnis zusammen gefeiert wird)? Und ist er dadurch nicht zum „Erfinder“ des Christentums geworden und zum Urheber der ersten der drei Leugnungen (das Modell des „falschen Propheten“, der „zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache“)? So wurde er zwar in den dritten Himmel entrückt, aber der Himmel stand ihm nicht offen (zuletzt dem Stephanus). Gehören die Dämonen-Geschichten der Evangelien (sowie die merkwürdige sachliche Affinität des Petrus zu den Dämonen) in diesen Kontext?
Ist nicht die Übersetzung der Schrift ins Erbauliche insgesamt das Produkt ihrer projektiven Verarbeitung? Alle negativen Bilder werden auf andere bezogen und so für die Gottesfurcht unschädlich gemacht, neutralisiert.
Die drei Versuchungen, das waren:
– die Versuchung, Steine zu Brot zu machen,
– die Versuchung, sich (von der Zinne des Tempels) hinabzustürzen, und
– die Herrschaftsversuchung.
Sind sie nicht alle auf die Kirche, die ihnen verfallen ist, zu beziehen? Was waren die Antworten Jesu auf die Versuchungen? Der Hinweis, daß
– „der Mensch … nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“, lebt;
– „du … den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ und
– ihn „anbeten und ihm allein dienen“ sollst.
Sind das nicht allesamt Mahnungen an die Kirche? -
13.1.1995
Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Voraussetzung des Objektivationsprozesses und zugleich die Formen der Vergesellschaftung des Subjekts: der Vergesellschaftung durch Isolation. Diese Isolation des Subjekts, Folge der Verinnerlichung des Opfers, war der Boden, auf dem das Christentum sich entfaltet hat. Die subjektiven Formen der Anschauung waren der Kelch, von dem Jesus im Garten von Gethsemane wünschte, er möge an ihm vorübergehen.
Hegels Reich Gottes ist das Totenreich, das Absolute der Herr der Toten.
Die Namenskraft der Sprache ist noch zu unterscheiden von ihrer benennenden Kraft: diese ist der Grund der Schuldverstrickung. (Beachte das Präfix be- im Benennen.)
Die Husserlsche Phänomenologie war der Versuch, in die Sprache hineinzuhorchen, die objektive Bedeutung der Worte herauszuhören. Die Phänomenologie wurde verhext durch Heidegger, der die Bedeutungsanalyse mit der Frage nach dem Sinn trübe vermischt hat. Dieser Kurzschluß, die Verwechslung dessen, was die Worte von sich aus meinen, mit dem, was die Sache, die in den Worten sich ausdrückt, für mich bedeutet, war tendentiell faschistisch.
Die Frage nach dem Sinn ist keine theoretische, sondern eine praktische Frage; sie ist keine Frage der Ontologie, sondern der Ethik.
Habermas hat den Kafkaschen Satz: „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“, nie begriffen, so wie das Christentum den Satz: „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren“, auch nie begriffen, im Gegenteil: das „sein Leben gewinnen“ zum Kern seiner Theologie gemacht hat.
Bezeichnet nicht die Tat in den „Tatsachen“ präzise und genau die Sünde der Welt? -
4.1.1995
Gibt es nicht ein Präteritum, das eigentlich die Zukunft meint? Gehört dazu nicht das Präteritum im Anfang des Johannes-Evangeliums? Ist die archä, in der der Logos war, eine archä, die noch nicht ist (ein Stück vergangener Zukunft)?
Die Plancksche Strahlungsformel ergibt sich aus der Beziehung der kinetischen zur Strahlungsenergie: Die Anzahl der Atome (oder auch der Freiheitsgrade) in einem Volumen bleibt vorgegeben und konstant, während die Anzahl der Oszillatoren der elektromagnetischen Strahlung abhängig ist von der Frequenz und Wellenlänge der Strahlung: mit der Energie gleichsam rückgekoppelt ist. Damit ändert sich die Grundlage der statistischen Beziehungen der beiden Energieformen.
Zum philein (Benveniste): Es hat mehr mit dem Possessivverhältnis zu tun, als Benveniste zugeben will. Zum unmittelbaren Possessivverhältnis kommt ein reflexives hinzu. Der Besitzende ist selbst vom Besitz besessen. Das, was im Besitzverhältnis dem Objekt widerfährt, reflektiert sich im Subjekt: im Selbstmitleid, in der „affektiven Beziehung zum Selbst“, im Geliebt-werden-Wollen. Die gesamte Philosophie steht unter dem Bann dieses Gesetzes.
„Wenn die Welt euch haßt, …“ Der Begriff der Welt in diesem Satz bezieht sich sowohl auf die Allgemeinheit „alle Menschen“ wie auch auf den unbestimmbaren Grund der Objektivität des Weltbegriffs (das Geld). In der vom Tauschprinzip bestimmten Gesellschaft ist das Geld der Inbegriff des Anderen, der Feind aller, den es durch eigene Anstrengung zu besiegen gilt. Der Sieger fühlt sich vom Geld geliebt, der Verlierer (und jeder ist ein potentieller Verlierer) fühlt sich gehaßt (schuldig, verurteilt). Und das Christentum als die Religion der Liebe, nachdem es als Siegesreligion im Selbstmitleid versunken ist, schließt die Armen aus.
Die Sexualmoral hat der Liebe in ihrem eigenen Zentrum eine Haßquelle eröffnet (der Begriff der Unzucht bezeichnet eine Qualität des sexualmoralischen Urteils und nicht ihres Objekts).
Sind nicht die drei evangelischen Räte: Gehorsam, Armut und Keuschheit auf die drei transzendentalen Ästhetiken bezogen: auf die subjektiven Formen der Anschauung, aufs Geld und auf die Bekenntnislogik (die Korrelate des theoretischen, des praktischen und des sexualmoralischen Urteils)? -
3.1.1995
Ist nicht die „Bruderschaft“, als Form der Allgemeinheit, die in der gemeinsamen Beziehung zum „Vater“ gründet, das Medium, in dem die Logik der Schrift (und mit ihr der Begriff des Wissens) sich entfaltet: das Medium der Vergesellschaftung, des Objektivierungsprozesses und der Verweltlichung (Ursprung des Neutrum, Bekenntnislogik)?
Fantastisch die Ableitung des Begriffs „frei“ (und der „Liebe“) aus dem Selbstmitleid, dem Bedürfnis geliebt zu werden (Benveniste, S. 257ff): Folge des Opfers der Vernunft, das die Bedingung der Aufnahme in die Brüderhorde ist: deren späterer Repräsentant ist das Bekenntnis, dessen Logik hier entspringt.
Der Begriff des Tieres und der der Selbsterhaltung sind korrelative Begriffe; deshalb gehört der Weltbegriff, der Inbegriff der gegenständlichen Korrelate der Selbsterhaltung, zu dem des Tieres. Die Menschwerdung beginnt mit der Fähigkeit, das Selbsterhaltungsprinzip zu reflektieren.
Ist nicht mit der „affektiven Beziehung zum Selbst“, die dem indoeuropäischen Begriff der Freiheit zugrundeliegt, der Grund dafür gelegt worden, daß im Deutschen das Sein sowohl das allgemeine Possessivpronomen als auch den Infinitiv des Hilfsverbs „Sein“ bezeichnet (vgl. S. 257 und S. 260)? Diese affektive Beziehung zum Selbst ist Teil eines Schuldzusammenhangs, den das Christentum theologisch verankert hat: Sie konstituiert sich in einer Gestalt der Selbst-Exkulpierung (der „Sündenvergebung“), die über das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (der Opfertheologie und ihrer theologischen Konnotationen) vermittelt ist (und dem Verweltlichungsprozeß seine Schubkraft verleiht).
Raub der Sabinerinnen: Der Funktion der „angeheirateten Verwandschaft“ im Kontext der indoeuropäischen Institutionen liegt eine im Eigentumsprinzip gründende Rechtsbeziehung zugrunde. Ihr Ursprungsmodell ist der Frauenraub, der der ersten Gestalt der Ehe in der Männerhorde ähnlich zugrunde liegt wie der Diebstahl dem Handel. Gründet das Institut des Privateigentums (sowie der Ehe und des Staates) nicht doch generell in der gewaltsamen Aneignung der Beute durch nomadisierende Männerhorden (das erste rechtsfähige Eigentum waren Sklaven und Frauen)?
Benveniste hat nur bedingt recht, wenn er versucht, den Begriff des philein, des Liebens, aus der Possessivbeziehung herauszulösen. Selbstverständlich ist er nicht auf die positive, dingliche Eigentumsbeziehung eingeschränkt; aber konstituiert er sich nicht in einer Eigentumsordnung, die auch das Subjekt, den Eigentümer, in ihren Bann zieht und verändert (im Kontext des Ursprungs des Staates, dessen Vorläufer die Brüderhorde ist, und der die Eigentumsordnung, in der es dann Eigentum als Privateigentum überhaupt erst gibt, konstituiert). Wer die Idee des richtigen Handelns, und wer Schuld und Verantwortung an den König und die durch ihn gesetzte Rechtsordnung delegiert, wer sie von der Barmherzigkeit trennt, bleibt unversöhnt, anfällig fürs Selbstmitleid, süchtig danach geliebt zu werden.
Das Geliebt-werden-Wollen ist ein apriorischer Tatbestand im Herrschaftsbereich der Ontologie und diese eine Emanation des Staates.
Das Christentum ist dem Liebessyndrom verfallen, als es die Prophetie vor dem Hintergrund des Theologumenons seiner Erfüllung im Christentum als erledigt und abgetan, wie in der vorchristlichen Vergangenheit, so auch heute nur für die Juden zuständig, definierte. Dieses Konstrukt gehört in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus. Der Antisemitismus war immer schon ein Rädchen im Exkulpationsmechanismus.
Die logischen Strukturen, in die (Glaubens-)Bekenntnis und Sündenvergebung heute geraten sind, werden durchsichtig in der Reklame (die Adorno zufolge den Tod verschweigt).
Der Fundamentalismus ist der Greuel am heiligen Ort: Er ist nicht mehr durch bloße Verurteilung zu bekämpfen, sondern allein durch Reflexion und Auflösung des Schuldzusamenhangs, zu dessen Konstituentien die Verurteilung und zu dessen Folgen der Fundamentalismus gehören.
Die Schlange, die das klügste aller Tiere war, hat das Wissen erfunden. Welche Beziehung besteht zwischen der Schlange (dem saraph) und den Seraphim? Nicht die Seraphim, sondern die Cherubim mit dem „kreisenden Flammenschwert“ stehen vor dem Eingang des Paradieses.
Wut ist ein unkeuscher Zorn. Die Empörung hat ihn zur kleinen Münze gemacht, für den täglichen Gebrauch (im Tratsch) umgeformt. Wessen Bild trägt diese Münze?
In welcher Beziehung stehen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft zur Logik des Beweises, was bedeuten sie für die Logik des Beweises? Im Zusammenhang des Rechts gibt es drei Beweisverfahren: den Zeugenbeweis (hierzu gehören das Martyrium und die Folter), den Indizienbeweis (ausgebildet in der Geschichte der Hexenvefolgung) und das Geständnis (das Judesein war einmal das absolute, vom Juden nicht mehr widerrufbare Geständnis). Als „sicherstes“ Verfahren gilt das Geständnis, in dem der Angeklagte die Schuld auf sich nimmt („gesteht“): Dieses Verfahren spricht den Richter frei, während der Zeugen- und der Indizienbeweis der Würdigung durch den Richter unterliegen, ihn in die Verantwortung mit hereinnehmen. – Im Recht führt das Bekenntnis der Schuld, die Übernahme der Verantwortung, nicht zur Befreiung, sondern zum Urteil und zu der als Strafe neutralisierten Rache; der Zeugenbeweis unterliegt dem Verdacht des falschen Zeugnisses, während der Indizienbeweis die Möglichkeit des Fehlurteils (der Täuschung oder des Irrtums) nicht ausschließt.
Verweist nicht das Phänomen der Fälschungen in der Geschichte auf ein herrschaftsgeschichtliches Problem? Die Fälschung gehört ebenso zur Herrschaftsgeschichte wie Mord und Raub; sie gehört zur Herrschaftsgeschichte als Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der projektiven Erkenntnis: als Schatten des dem Erkenntnistriebs innewohnenden Exkulpationstriebs. Hegels List der Vernunft gehört in diesen Zusammenhang. Die Geschichte der Fälschung vollendet sich in der Vorstellung des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit: in der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (der Objekte der kantischen Antinomien).
Das hängt zusammen mit der eigentumsbegründenden Kraft und Funktion des Staates, dem Nationalismus als Manifestation der Gewalt gegen die konkurrierenden Eigentumsansprüche anderer Nationen.
Es wäre zu untersuchen, ob und wie die anwachsenden Einbruchs- und Diebstahlsphantasien in den Medien und in der Gesellschaft logisch mit der anwachsenden Xenophobie zusammenhängen.
Sind nicht die Stämme und Völker, Sprachen und Nationen Denkmäler der Geschichte der Konstituierung der Raumvorstellung? -
14.12.1994
Beschreibt nicht H.G.Kippenberg im Abschnitt über die Gnosis, insbesondere in seinen Ausführungen zum Thema Heuchelei und Verstellung (Erlösungsreligionen, S. 417 ff), aufs präziseste die Entstehungsbedingungen des Dogmas (mit der Gnosis als Urhäresie)? Das Dogma hat die Heuchelei und Verstellung gleichsam in sein Inneres, als sein Formgesetz, mit aufgenommen. Durch dieses Formgesetz (durch die Bekenntnislogik) ist das Dogma zur Ursprungsgestalt der modernen Aufklärung geworden; es vollendet sich im Inertialsystem (in der der Reflexion entzogenen Form des Raumes) und in der Urteilsform (dem Formgesetz der transzendentalen Logik). Natur wird zur geheuchelten und verstellten Fassade der Schöpfung. Im Personbegriff (der aus dem ästhetischen der Maske sich herleitet) ist diese Heuchelei fürs Selbstverständnis der Menschen konstitutiv geworden (Zusammenhang mit dem Ursprung der Privatsphäre).
S. 424: Der ungeheuerliche Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Gnosis und Autismus.
In einer Welt, in der es nicht mehr auf das ankommt, was einer tut, sondern nur noch darauf, ob man sich erwischen läßt, ist die Verstellungsautomatik in die Konstruktion des Lebens mit eingebaut worden. Natur gibt es, seit es den Schein der Unschuld (die absolute Leugnung der Gerechtigkeit: jeder Schein ist Schein der Unschuld) gibt; seitdem ist der Rechtfertigungszwang (der Geburtsort der Bekenntnislogik) unaufhebbar geworden. Liegt hier nicht der Grund aller Ästhetik (wie auch der Grund der Stellung des Scheins in Hegels Logik)? Das bedeutet aber auch, daß die kantische transzendentale Ästhetik in der Tat den Grund aller Ästhetik benennt.
Eine Welt, in der die Gerechtigkeit sich verstellen muß, kann nur das Werk eines Dämons (eines Demiurgen) sein. Das war das Problem der Gnosis, ein Problem, das die Orthodoxie mit der Opfertheologie und Bekenntnislogik und mit der Verurteilung der Gnosis zu lösen versucht hat. Mit der Verurteilung der Gnosis aber hat die Kirche dieses Problem nur verdrängt. Der Preis für die dogmatische Lösung war die Verinnerlichung der Verstellung (die den Taumelbecher zum Unzuchtsbecher gemacht hat).
Wie der Kreuzestod war auch das Martyrium das Urteil über die Täter (über das Herrendenken), aber nicht die Rechtfertigung des Opfers (die dieses Urteil wieder ins Herrendenken reintegriert). Jedes Opfer ist ein Urteil über die Täter, aber niemals eine Rechtfertigung des Opfers (Opferfalle).
Zu Joh 129: Das „Seht (das Lamm Gottes)“ ist eine Ergänzung des sch’ma Jisrael. Eine Ergänzung, die unmittelbar und direkt die welthistorische Differenz zwischen Judentum und Christentum benennt. Wenn das Judentum eine akustische Religion ist, ist das Christentum eine optische. Aber genau das ist der Bann, unter dem das Christentum bis heute steht. Hier liegt der Grund, weshalb Joh 129 nicht unverfälscht rezipiert werden konnte. Dieses „Seht“ hat genau in den Bann der Welt hineingeführt, auf den Joh 129 sich bezieht, wenn es diesen Bann als „Sünde der Welt“ bestimmt. Läßt sich nicht die Logik der Schrift aus der Subsumtion des Hörens unter das Sehen herleiten? (Bei Hegel vergeht dem Denken das Hören und Sehen.) Und ist nicht das „Seht das Lamm Gottes“ die Antwort auf das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“?
Wäre nicht, was die Gedankenlosigkeit Monotheismus nennt, nach Hören und Sehen (nach Prophetie und Philosophie) zu unterscheiden? Die Schrift erfüllt sich im Anschauen, in der tatenlosen Kontemplation, das Wort im Hören und Tun.
Die verdinglichende Gewalt des Sehens steht unterm Bann der subjektiven Formen der Anschauung. Die Unterscheidung von Hören und Sehen konvergiert mit der von Ethik und Ontologie. Und Hegels Kritik des Sollens benennt die Ohnmacht der Ethik unterm Bann der Ontologie. Während die Philosophie das Hören dem Sehen unterwirft, machen die Prophetie und in ihrer Folge die Apokalyptik das Sehen zu einem Organ des Hörens. Der Satz „Seht das Lamm Gottes“ zitiert die Prophetie (seine Bedeutung wird im Kontext der Eucharistie-Verehrung verstellt).
Haben die Fische und die großen Seetiere etwas mit dem Wasser des Thales zu tun (und wurde am fünften Schöpfungstag der Staat erschaffen; vgl. auch die Fische in den Büchern Jonas und Tobias, sowie die Fischer-Apostel)? -
10.12.1994
Wenn die Philosophie das Produkt der Verinnerlichung des Schicksals ist, dann ist das Christentum das Produkt seine Personalisierung. Die Opfertheologie war die gleichsam natürliche Folge dieses Konstrukts; sie reflektiert die dämonischen Züge dieser Gottesidee: Die Versöhnung durch Unterwerfung (die „Islamisierung“ des Christentums) hebt die Idee der Versöhnung auf.
Heldenfriedhof: Die Märtyrer-Verehrung (mit dem zugehörigen Reliqienkult) war das früheste Symptom der Remythisiserung des Christentums. Sie setzt das Verständnis des Leidens Jesu als Sühneleiden (an dem das Leiden der Märtyrer, deren ermordete Körper unter den Altären lagen, Anteil haben sollte) voraus. Eines der frühesten Zeugnisse des Reliqienkults war das durch Helena, die Mutter Konstantins wiedergefundene Kreuz Jesu. Durch den Begriff des Märtyrers wurde das Leiden zu einem „Zeugnis der Wahrheit“, zu einem Teil der Beweislogik, die den christlichen Glauben zu begründen fähig sein sollte. Die Logik dieses Konstrukts ist die der Opfertheologie, deren politischer Mißbrauch seitdem ebenso so entsetzliche wie unermessliche Folgen hatte. Wenn der Tod Jesu etwas „beweist“, dann die Tatsache, daß ungerechtes Leiden sich in dieser Welt nicht ausschließen läßt, daß vom Leiden eines Opfers nicht auf die Schuld des Leidenden zurückgeschlossen werden darf. Er beweist auf keinen Fall die Gerechtigkeit der Sache, für die er einstand. Das Heldentod-Syndrom, das aus der Logik der Opfertheologie sich herleitet, spekuliert eigentlich nur auf die angebliche „Unerträglichkeit“ des Gedankens, daß der Tod der Opfer der Kriege nicht mehr durch den Hinweis auf eine „gute Sache“ sich begründen und rechtfertigen läßt; es spekuliert auf das Fortleben der Logik der Blutrache. Mit der „Kriegsgräberfürsorge“ (die in dem Augenblick begann, als sie eigentlich nicht mehr zu begründen war: nach dem Ende des Ersten Weltkriegs) wird eigentlich nur der Nationalismus gepflegt, der durch die gleichen Kriege widerlegt worden ist, deren Opfer dann für die irrsinnige Rechtfertigung des Nationalismus herhalten müssen. Die Folgen werden uns mit den Bürgerkriegen, über die die Medien aus Gründen, die nichts mehr mit der Sache, aber sehr viel mit politischen Interessen und politischer Opportunität zu tun haben, täglich berichten, in diesen Berichten immer wieder vor Augen geführt. Die Opfer im Sudan interessieren (wie die Opfer der Fremdenfeindschaft in diesem Lande) niemanden, die des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien hingegen sollen offensichtlich wieder die „Wahrheit“ des gleichen Irrsinns beweisen, dessen Opfer sie in Wirklichkeit sind.
War nicht das Märtyrer-Konstrukt die historische und sachliche Voraussetzung der geschlechtsspezifischen Aufteilung der Heiligen in Bekenner und Jungfrauen?
Der Historismus ein Produkt der Opfertheologie: Er hat die Instrumentalisierung des Todes universal gemacht, er erzeugt und reprodziert die organisierte Erinnerungslosigkeit (führt der Vergleich der jüdischen mit der griechischen Geschichtsschreibung nicht auf die gleiche Differenz, die die Prophetie von der Philosophie unterscheidet?). -
6.12.1994
Das Subjekt und die Person sind die Korrelate des Natur- und des Weltbegriffs, der in ihnen sich manifestierenden Objektivationsmechanismen (das Tier aus dem Meere/ das Tier vom Lande): Das Subjekt konstituiert sich im Kontext der subjektiven Formen der Anschauung (der Geschichte der Philosophie und Wissenschaft), die Person im Kontext des Geldes (der Ökonomie und des Rechts: des Staates). So ist die Natur fürs Subjekt ein Gegenstand der Kontemplation (der Anschauung), die Welt für die Person ein praktischer, sein Handeln bestimmender Begriff. Die Person verhält sich zur Welt wie die Natur zum Subjekt, oder: Während das Subjekt gegen die Natur (die sich in desem Zusammenhang überhaupt erst konstituiert) die Welt vertritt, regrediert die Person in ihrem Verhältnis zur Welt in Natur.
Das Verhältnis von Subjekt und Person gehört zu den Grundlagen des modernen Materiebegriffs. Bezieht sich nicht hierauf das prophetische Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pfügen, Joch und Last in eins zu setzen (Hinweis auf die Elemente einer Kritik der Logik der Schrift)?
Der Markt frißt den Himmel und die Erde auf.
Sind nicht die Atome (die Objekte der Mikrophysik) Objekte der Physik jenseits der Feuergrenze (jenseits der Lichtgeschwindigkeit)? Davon abstrahiert die Vorstellung des „leeren Raumes“, des Vakuums (der horror vacui ist der Schrecken, den der Herr um sich verbreitet).
Die Diskussion des Kausalitätsprinzips verweist auf die Grenze der Naturbeherrschung: die Grenze, an der „die Natur“ zurückschlägt, an der die Wirkungen von den Nebenwirkungen nicht mehr sich trennen lassen (die atomare Strahlung läßt sich weder verhindern noch beseitigen, vgl. auch die „Nebenprodukte“ der Giftküche Chemie)?
Zu der Feststellung, daß ich in der Schule Schizophrenie gelernt habe, gibt es noch eine Steigerung. Heute trennt die Verstellung, zu der ich damals gezwungen war, nicht mehr nur Außen- und Innenwelt (Schule und Privatsphäre), sie ergreift auch das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern (die gegen sie die Außenwelt repräsentieren). Gründet in dieser Konstellation nicht das Antlitz des Hundes (und in letzter Konsequenz die Ursprungsgeschichte der Tiergattungen)?
Das Angesicht ist das Produkt einer Umkehr, die die Seele, das Subjekt und die Person nicht mehr bloß beiseite läßt, von ihnen absieht, sondern sie vielmehr in sich auflöst, sie gegenstandslos macht. Zur Idee des Angesichts gehört es, daß es ein Hinter dem Rücken nicht mehr gibt. Darauf haben sich einmal die Idee der Auferstehung und das Wort Verklärung bezogen.
Gleicht nicht Poppers Versuch, die Idee der Unsterblichkeit mit dem Hinweis auf Bakterien und Krebszellen zu beweisen, dem Versuch, die Idee des seligen Lebens durch den Hinweis auf den „Wurm, der nicht stirbt“ zu bestimmen?
Steht Martin Buber nicht unterm Bann der Welt? Was bei ihm zur Grundlage von Befreiung oder Erfüllung wird, die „Du-Bezogenheit“, wird bei Emmanuel Levinas zum Begriff der Geiselhaft.
Ist die Trennung (der Ursprung) des Männlichen und Weiblichen durchs Neutrum vermittelt?
Gehorcht nicht die Sprachgeschichte einer Logik, die die Musik zu reproduzieren (der sie durch Mimesis sich zu assimilieren) versucht? Die Logik der Sprache ist die Musik, nach der alle tanzen. Das Wort aber erfüllt sich jenseits der Musik.
Erkenntnis führt nicht immer zum Wissen; Wissen ist vergesellschaftete Erkenntnis. Das Wissen verandert die Erkenntnis (und den Erkennenden), nimmt die Reflexion auf den Andern in die Erkenntnis mit herein (ersetzt Gott durch die Idee des Absoluten). Hier (in der realen historischen Abfolge des philosophischen Gedankens, in der die Idee des Absoluten sich entfaltet) liegt der Grund der Dialektik. Es kommt darauf an, diesen Vergesellschaftungsprozeß in der Genese der subjektiven Formen der Anschauung zu begreifen und so deren Bann über alle Erkenntnis zu lösen.
Die Kirche verhindert die Auferstehung des Wortes Gottes, indem sie den Kreuzestod Jesu instrumentalisiert. Diese Instrumentalisierung war das einzige Mittel, das katastrophische Moment in der Geschichte, auf das der Kreuzestod verweist, zu verdrängen.
– Brot: Weizen, Mühle, Sauerteig und Backofen,
– Wein: Weintraube, Kelter, Gärung und neue Schläuche.
– Ölbaum: der Ölberg, die Lampen der klugen Jungfrauen und die Salbung.
Gibt es einen Zusammenhang der Teilnahme an den sportlichen Wettkämpfen im Hellenismus, der Vergesellschaftung der Salbung (2 Makk und Jotam-Fabel), mit dem Ursprung des Christentums?
Steht das Sakrament nicht unter dem Zeichen des Täufers (der Taufe mit Wasser), während die Taufe mit dem Geist noch aussteht? Erst dann wird der Geist die Erde erfüllen, wie das Wasser den Meeresboden bedeckt.
Das englische man, das sowohl den Mann als auch den Menschen bezeichnet, ist ein sprachlogische Folge (eine Funktion) des to be.
Die Präfixe sind Operatoren, die die Verben qualifizieren, die Suffixe sind Determinatoren der Substantivierung. Wirft das nicht nachträglich eine Licht auf die Bedeutung und Funktion der Suffixe in den klassischen Sprache, in denen sie die Flexion beherrschten. Über die Form der Artikel, die Personalpronomina und die Hilfsverben sind sie aus Bildung der Nomina und Verben wieder herausgenommen worden (bei gleichzeitiger Änderung der Affinität von Begriff und Sprache: Ursprung des Nominalismus).
Das Substantiv ist eine Endgestalt der Sprachgeschichte (ein End- und Zielpunkt des Falles). Zusammenhang des „Hauptworts“ mit der „Tatsache“ (und der Mathematik)?
Frohe Weihnachten: „Was hast du denn da wieder angerichtet, Das ist ja eine schöne Bescherung.“ -
5.12.1994
Die Zeit der Welt ist abgelaufen.
Das gesellschaftliche Äquivalent der Energie ist die Ausbeutung.
Die Opfertheologie und die Vergöttlichung Jesu sind Ausdruck des versteinerten Herzens der Welt (der Lüge, die Welt sei schon „entsühnt“). Das Trinitätsdogma ist das steinerne Herz der Welt (der Ursprung der subjektiven Form der äußeren Anschauung).
War nicht der Versuch der „negativen Trinitätslehre“, die
– den Antisemitismus als Leugnung des Vaters,
– die Ketzerverfolgung als Leugnung des Sohnes und
– die Frauenfeindschaft als Leugnung des Heiligen Geistes begreift,
eine Konsequenz aus der These, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns und nicht des Seins sind?
Wie kann man an die Unsterblichkeit der Seele und an die Auferstehung der Toten glauben, wenn man gleichzeit glaubt, man könne die ganze Vergangenheit hinter sich lassen („Versöhnung über den Gräbern“)?
Das Christentum ist heute zu einer Frage der Logik geworden, genauer: der kritischen Selbstanwendung der Logik, der Anwendung der Logik auf ihre eigene Geschichte und Funktion.
Zu Alfred Sohn-Rethel: Gehören nicht die Geschichten von den Jünglingen im Feuerofen und vom Daniel in der Löwengrube zu den ermutigenden Geschichten in der Bibel? Und gehört nicht die Geschichte von den drei Jünglingen im Feuerofen in die Tradition der Geschichte vom brennenden Dornbusch?
Das Medium des symbolischen Denkens ist die von der Ökonomie und von den Naturwissenschaften verdrängte sinnliche Erfahrung.
Zum apokalyptischen Unzuchtsbecher: In dem vergegenständlichten Licht der Naturwissenschaften kommen die Beziehungen des Lichts zur Finsternis und des Sehens zum Gesehenwerden, kommt die Scham nicht mehr vor, weil die Verdrängung der Scham zu den Voraussetzungen dieser Vergegenständlichung gehört. Der objektive Ausdruck dieser Verdrängung der Scham ist der Begriff der Materie.
Der Export der Armut in die Dritte Welt war ein Zwangsmittel zur Ausbeutung ihrer Ressourcen. In diesen Kontext gehört die Neudefinition der Funktion und Aufgaben des Militärs in den hochmilitarisierten Industrieländern, in deren Folge die Sicherung des Zugangs zu diesen Ressourcen immer deutlicher ins Zentrum gerückt worden ist (bei gleichzeitiger politischer Instrumentalisierung der Menschenrechts-Diskussion). -
1.12.1994
„Der Nomos einer Gesellschaft legitimiert zu allererst sich selbst, durch sein bloßes Vorhandensein“ (Peter L. Berger, zitiert nach Hinkelammert, Kritik, S. 47). Gründet diese Selbstlegitimation nicht im Erkenntnis- und Wahrheitsbegriffbegriff der Naturwissenschaften, nachdem sie mit Hilfe der neopositivistischen Erkenntnistheorien und der metaphysischen Absurditäten der Kopenhagener Schule die letzten Erinnerungen an ihre gesellschaftliche Vermittlung gelöscht hat?
Ist nicht die transzendentale Ästhetik der Grund aller Ästhetik: der Grund, aus dem sie hervorgeht und in den sie zurück (zugrunde) geht? Aber leugnet nicht auch hier – wie im Verhältnis der christlichen Orthodoxie zu den Häresien (zuletzt zur Geschichte der Aufklärung, und innerhalb der Logik der Aufklärung im Verhältnis der Natur zu ihren Hervorbringungen) die Mutter ihr eigenes Kind?
Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren, begründen die Urteilsform (heißt das aber nicht eigentlich, daß sie durch die Urteilsform vermittelt sind?). Deshalb zielt die Kritik der Naturwissenschaften ab (nicht auf ein „wahres Bild der Natur“, das es nicht gibt, sondern) auf die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache, auf die Restituierung des Namens.
Islam: Ein Gott, der (nachdem mit Mohammed das Ende der Prophetie eingetreten war) nicht mehr mit den Menschen spricht, sondern nur noch in der Schrift (im Koran) sich den Menschen mitteilt, dem man nicht mehr antworten, sondern nur noch sich unterwerfen kann (Ersetzung des Hörens durch den Gehorsam). Das Christentum war der Anfang der Emanzipation des Wortes von der Schrift, aber es hat sich bis heute noch nicht als diesen Anfang begriffen. In diesem Nichtbegreifen (in dieser Islamisierung des Christentums) gründet der „Logozentrismus“: Die babylonische Gefangenschaft des Wortes in der Schrift, die Selbstverwerfung (Selbstverfluchung) des Christentums. -
27.11.1994
Wichtiger Hinweis auf den Zusammenhang von Gebet und Versöhnung bei Mk (1125). Gibt es dazu Parallelstellen bei den anderen Evangelisten? (Nur Mt 523, hier jedoch nicht aufs Gebet, sondern aufs Opfer bezogen.)
Beim Opfer ist nur von der Versöhnung „mit dem Bruder“ die Rede (ist nicht die Ver-„söhn“-ung, die an die Vater-Sohn-Beziehung in der Trinität erinnert, ein patriarchalischer Begriff; ist der Begriff der „Versöhnung“ auf „Töchter“ oder „Schwestern“ überhaupt anwendbar)? Verweist das nicht (ähnlich wie die „Brüder“ in den Apostel-Briefen, vielleicht sogar im Zusammenhang damit) auf eine Grenze in der christlichen Botschaft (auf die Funktion des Kelchsymbols im NT)? Liegt hier der Grund, daß Frauen keine Bekennerinnen sein konnten und ihnen nur der Weg der Virginitas, der „Unschuld“, offenblieb? Es gibt nur eine Stelle in den Evangelien, an der die Sündenvergebung auf Frauen bezogen wird – außer bei Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde. Zur Ehebrechering hatte Jesus gesagt: „Auch ich verurteile dich nicht; geh, sündige von jetzt an nicht mehr“, von einer Vergebung der Sünden ist nicht die Rede. Nur von der „großen Sünderin“ heißt es, daß ihr viel vergeben werden wird, da sie viel geliebt hat, und anschließend: „Deine Sünden sind dir vergeben“.
Hat das Christentum mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu nicht einen Weg der Verinnerlichung beschritten, der der Erlösung jede Möglichkeit, sich öffentlich und materiell zu manifestieren, den Weg verbaut hat?
Kritik an Belo würde anzusetzen haben bei der unzureichenden Berücksichtigung symbolischer Begriffe (insbesondere des Kelchsymbols) und beim unkritischen Gebrauch des Mythos-Begriffs (die Unterscheidung von Himmel und Erde ist nur dann mythisch, wenn der Weltbegriff der Dialektik der Aufklärung enthoben ist: wenn der mythische Bann, den er auf die Dinge legt, verdrängt und geleugnet wird.
Ist nicht der „Greuel der Verwüstung“ nach der Geschichte der Verinnerlichung des Tempels (der Verinnerlichung des Opfers) anders zu lokalisieren: nämlich im Subjekt selber (im Selbst)?
Ist nicht die Orthogonalität, die, nachdem sie in der Theologie als Orthodoxie sich durchgesetzt hat, in der Sprache als Orthographie sich durchsetzt, Produkt und Manifestation der Unterdrückung und Verdrängung der Barmherzigkeit, der dann nur noch die Möglichkeit verblieben ist, als Hysterie sich zu äußern?
Die Naturwissenschaften haben das Erbe des Kampfes der Orthodoxie gegen die Häresien angetreten: Sie sind ein Opfer der Illusion geworden, es genüge, entgegenstehende Anschauungen zu widerlegen. Der Verdrängungsprozeß, der in der Bildungsgeschichte der Orthodoxie sich durchgesetzt hat, setzt sich fort in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung.
Müßten wir nicht in einer Welt, in der die Normalität zum Ausdruck tiefer psychotischer Störungen zu werden droht, während in den Psychosen die Normalität hilflos vor der Welt kapituliert, aufhören, das neutestamentliche Phänomen der Besessenheit psychiatrisch zu interpretieren? -
21.11.1994
Zu den Gründen der Kausalitäts-Diskussion gehörte auch der (durch Krieg, Niederlage und Revolution, durch Kriegsschuld-Debatte und „Dolchstoß-Legende“, verschärfte) Materialismus-Vorwurf: Hier war eine Situation, in der an die Ursachen nicht mehr gerührt werden durfte. Das Kausalitätprinzip mußte so umformuliert werden, damit es auf Politik (und Ökonomie) nicht mehr anwendbar war. Rührt nicht auch das Gefühl, selber Objekt einer feindlichen Umwelt zu sein, in der Zweideutigkeit des Materialismus-Vorwurfs, der primär auf die politische Anwendung des Begriffs abzielte, aber die Naturwissenschaften gleichsam in Sippenhaft nahm? Hatten sich nicht schon die „93 namhaften Wissenschaftler und Künstler“, die am 14. Oktober 1914 den „Aufruf an die Kulturwelt“ unterzeichneten, in dem sie „sich rückhaltlos hinter die militaristische Politik des Reiches stellten und ungeprüft die Übergriffe deutscher Truppen in den besetzten Gebieten bestritten“ (sh. S. 31, Anm. 49), präventiv gegen den seit dem schwelenden Vorwurf, nicht national gesinnt zu sein, verteidigt? Das trübe Kapitel der Kriegspropaganda deutscher Wissenschaftler im Ersten Weltkrieg (wie das des Antisemitismus im Zweiten) gehört in diesen Zusammenhang.
Liegt nicht die crux des Neopositivismus darin, daß er die Kritik der Bekenntnislogik selber wiederum zum Gegenstand des Bekenntnisses gemacht hat (oder daß er auf der Flucht vorm Rechtfertigungszwang nur noch tiefer in diesen Zwang hinein geraten ist)? Verweist das nicht darauf, daß der innere Kern der Naturwissenschaften, die Handlungslogik des Inertialsystems, selber bekenntnislogische Züge trägt (die ihren „theoretischen“ Charakter fundieren)? Sind nicht die Probleme der Quantenmechanik Ausdruck und Produkt der Verwirrung, die Krieg und Nationalismus und in prästabilisierter Harmonie damit die logische Struktur ihres Gegenstandes selber in den Köpfen der Beteiligten angerichtet haben? Es war diese Verwirrung, die noch in den besten Produktionen der Nachkriegszeit als Spur einer Flucht in die Weltanschauung sich nachweisen läßt.
Zu Hans G. Kippenberg: Paßt das Jeremias-Wort „Betet für das Wohl der Stadt“ in seine Interpretation der „jüdischen Erlösungsreligion“? Zum Namen-Problem im „Neuen Testament“:
– Neben Saulus/Paulus (war es, wie Kippenberg unterstellt, üblich, daß die Sühne jüdischer Eltern neben dem traditionellen hebräischen Namen noch einen hellenistischen Namen erhielten?) ist
– auf die merkwürdige Benennung Simon/Petrus zu verweisen,
– auch auf den Namen des Nathanael, der einzige, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, der aus Kana stammt (oder war er ein „Kananäer“, ein Zelot?), und der im übrigen nur bei Johannes vorkommt,
– auf die hellenistischen Apostelnamen Andreas und Philippus,
– auf die hellenistischen Diakone,
– den Namen der Christen (zuerst in Antiochien); und schließlich: – war Jesus ein Nazarener oder ein Nazoräer? Ist das Problem der Beziehung des Christentums zum Hellenismus ein Teil des Problems des Weltbegriffs? Wäre nicht die Habermassche Dichotomie zwischen „einem performativen Satz und einem davon abhängigen Satz propositionalen Gehalts“ genauer zu reflektieren: Bleibt sie nicht in Logik der Objektivation und Instrumentalisierung (der Subsumtion unter die Vergangenheit) stecken? Der Objektbegriff wird aufgesprengt durch den Satz: „Das Vergangene ist nicht mehr“. Der Begriff der Aufklärung hat die Differenz von Licht und Finsternis ins Metaphorische verschoben (vgl. das „dunkle Mittelalter“). Das „Licht“ der Aufklärung ist das der Subjektivität, das sich der Verdrängung der gleichen Zukunft verdankt, deren Realsymbol das Licht ist. Wäre daraus nicht das Verhältnis von Gravitation und Licht zu bestimmen? Die von Max Born bemerkte eigentümliche „kontrahierende“ Kraft des Lichtstrahls ist eine Folge der relativistischen Zeitdilatation. Der dreidimensionale Raum ist die zur Totalität aufgespreizte Bildebene; deren Emanationen sind die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt. Gibt es nicht Stufen der Objektivierung, die an den Dimensionen des Raumes sich abarbeiten?
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