Christiansen

  • 16.3.1997

    Das Private und das Öffentliche sind die beiden Brennpunkte der elliptischen Wege des Irrtums.
    Meint Thomas Powers wirklich, es handle sich um bloß mangelnde Sensibilität, wenn Heisenberg niederländische Physiker nach seinem Besuch in den Niederlanden im Oktober 1943 in einem offiziellen Bericht an den damaligen Reichserziehungsminister und wenige Monate später zusätzlich bei den deutschen Besatzungsbehörden in Holland denunziert (Heisenbergs Krieg, S. 452)?
    Macht diese „Unsensibilität“ nicht, was Goldhagen den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen nannte, verständlich: den Rachetrieb der Empfindlichen? Bei Thomas Powers kann man die Verstrickungen der Physik (paradigmatisch der „Kopenhagener Schule“) in die Katastrophen dieses Jahrhunderts studieren. Die SS hatte Nils Bohr liquidieren lassen wollen, die amerikanischen Geheimdienste Heisenberg.
    Der Dingbegriff ist das Produkt der Instrumentalisierung (die der Ziele anderer als Mittel sich bedient). Das Feuer ist ein Reflex (die Rückseite?) der Instrumentalisierung (als Werkzeuge erfunden wurden, wurde auch das Feuer entdeckt).
    In die RAF kann ich mich insoweit hineinversetzen, als sie von der Erfahrung geprägt war und davon ausgehen mußte, daß das, was sie tat, nur Wut provozieren konnte. Allein die Präventivwut der RAF ist mir unverständlich (daß sie mit dem Kollektiv der Wütenden sich gemein gemacht hat, in das Kontinuum der Wut sich hat hereinziehen lassen). Diese Präventivwut hat dazu beigetragen, die Wut der anderen Seite zu legitimieren. So ist heute die Wut zum alles beherrschenden Klima geworden. Es gibt keine Wut, die nicht kollektive Züge trägt, die nicht der Absicherung durch andere bedarf. Wut ist die Substanz der Bekenntnislogik. Empörung ist ein Wutventil, in der sie sich selbst genießt; Empörung verstärkt die Wut.
    Der Ansatz zur Lösung des Problems des Lichts liegt in der Feststellung, daß die physikalische Richtung des Lichts seiner sinnlichen Richtung (der Richtung des Blicks) exakt entgegengesetzt ist. Ist das Auge des Polyphem die erste Gestalt der subjektiven Form der äußeren Anschauung? Blick und Gegenblick bedürfen zweier Augen, der Blick des Einäugigen (der Blick Polyphems) ist seelenlos. Das wirkliche Sehen ist reflektierendes Sehen, es hat die Sprache in sich; die subjektive Form der äußeren Anschauung abstrahiert von dieser Reflexion, sie abstrahiert von der Sprache. (Was ist mit den Augen von Sabine Christiansen und Ulrich Wickert?)
    Neoliberalismus: Was hat es mit den noctium phantasmata, den Schreckbildern der Nacht (Vesper-Hymnus), auf sich. Sind nicht die schlimmsten Schreckbilder der Nacht die, deren Urheber sie selber nicht mehr wahrnehmen, weil sie sie auf die Andern verschieben?

  • 7.3.1997

    Rührt nicht der Haß auf die Prostituierten u.a. daher, daß sie für sich das Recht in Anspruch nehmen, über ihren Körper (der im Kontext der patriarchalischen Zivilisation das Eigentum des Mannes ist) selber zu verfügen?
    Objektivierung und Instrumentalisierung: Grundlage der gesellschaftlichen Institutionen ist die Austauschbarkeit von Mitteln und Zwecken (Institutionen sind Mittel, die sich selbst zum Zweck geworden sind, ein eigenes Selbsterhaltungsprinzip gewinnen und so zum Subjekt werden). Instrumentalisierung ist die Verwandlung von Zwecken in Mittel, in den Institutionen werden Mittel zu Zwecken. Das transzendentale Subjekt ist das autonome, sich selbst Zwecke setzende Subjekt: So wird ihm die Welt zur instrumentalisierten Welt, zu einem Ensemble von Mitteln seiner Selbsterhaltung. Ist das transzendentale Subjekt nicht ein erkenntnistheoretischer Reflex der Institutionen (der „juristischen Personen“), deren erste der Staat (die Nation) ist? Was bedeutet dann die Verrottung des Staates für die Konstruktion des Subjekts?
    Steckt nicht die ganze Kritik der Astronomie (und der Chemie?) in der Einsicht, daß es im Kontext der mathematischen Naturerkenntnis zum Inertialsystem keine Alternative gibt?
    Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße: Heißt das nicht u.a.,
    – daß es kein endgültiges Eigentum an der Erde gibt, und
    – daß die Mißachtung dieses Satzes den Namen Gottes angreift?
    „Heldenfriedhöfe“: Die nationalsozialistische Parole „Blut und Boden“, die die „Heiligung“ des eroberten Landes durch das Blut der Gefallenen beschwört, leugnet den Gottesnamen, sie ist blasphemisch.
    Die CDU in Frankfurt wird die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Beteiligung der Wehrmacht an den nationalsozialistischen Verbrechen boykottieren. Hierzu der Fraktionsvorsitzende der CDU im Frankfurter Stadtparlament, Bernhard Mihm: Die Ausstellung stelle „eine ganze Generation an den Pranger“: „Wie soll ich das einer Kriegerwitwe sagen?“ (FR von heute) Sollte man nicht auch einer Kriegerwitwe die Wahrheit sagen, daß es für den „Heldentod“ ihres Mannes keine moralische Begründung mehr gibt (und nie eine gegeben hat)? Gehört nicht die Wahrheit zum Begriff der Menschenwürde? (Ich möchte nicht wie ein Psychopath angesehen werden, den man auf seinen Zustand nicht ansprechen darf, weil man seine Unberechenbarkeit fürchten muß. Aber ist das nicht die Selbsterfahrung der Deutschen heute? Wer heute noch vom „gesunden Nationalismus“ redet, ist aus dem Wahn nie herausgetreten.)
    Der Faschismus hat die mythische Schicksalsidee auf ihren mörderischen Kern reduziert. In jedem Tauschakt, in jedem Erwerb fremder Güter steckt die Erinnerung an den Mord (den Mord, der im Menschenopfer einmal vollzogen und in der Institution des Königtums erinnert wurde). Über den Namen der Barbaren, der diesen Mord intellektualisiert hat, ist die Feindbildlogik in den Erkenntnisprozeß eingedrungen.
    Ist nicht der Weltbegriff (als Inbegriff des mathematischen Ganzen der Erscheinungen) der mit Blut und Gewalt gesättigte „feste und Grund und Boden“ der Eigentümer, ein Reflex des staatlichen Gewaltmonopols? Die Festigkeit und Stabilität des Weltbegriffs, die die Natur zur Natur gerinnen läßt, verdrängt die historischen Gesteinsverschiebungen, die diesen Gerinnungs- und Kristallisationsprozeß begleiten, sie entrückt sie der Wahrnehmung, macht sie unkenntlich und unsichtbar.
    Es ist die gleiche Sonne, die Homer und auch uns bescheint, aber die Sonne Homers, die Sonne Newtons und die Sonne von Weizsäckers sind nicht die gleiche Sonne.
    Heute ist die Natur zum Inbegriff der positivistischen Verwirrung geworden.
    Weiblich und männlich: Hängt nicht die instrumentalisierte Betroffenheit der Sabine Christiansen mit dem dummen Witz zusammen, mit dem Ulrich Wickert am Ende der Tagesthemen, vorm Wetterbericht, die Erinnerung an die vorangegangenen Informationen verwischt?
    Als Habermas vor der Natur als Block kapitulierte, die Erinnerung an die historischen Gesteinsverschiebungen, die an der Geschichte des Naturbegriffs sich ablesen lassen, verdrängte, hat er die Grundlage für seine Kommunikationstheorie geschaffen, die unterm des heutigen Naturbegriffs steht.
    Kann es sein, daß der Traum in der Bibel die Natur repräsentiert: das durchs Herrendenken Verdrängte? Kunst ist bewußte, kontrollierte Traumarbeit, und das Eingedenken der Natur im Subjekt ist Kunstkritik (und nicht so etwas wie das „Eingedenken der gequälten Natur“).
    Ist Heisenbergs „einheitliche Weltformel“ der Versuch einer nachträglichen Legitimierung seines Nationalismus?

  • 08.10.1996

    Hogefeld-Prozeß: Es wäre sicher befriedigender, wenn es zu einem klaren, von beiden Seiten akzeptierten Urteil käme, entweder durch Feststellung einer zu sühnenden Schuld oder durch Feststellung der nachgewiesenen Unschuld, ein echter Freispruch. Aber muß es nicht in Kauf genommen werden, wenn weder eine Schuld noch die Unschuld nachgewiesen werden können, daß dann das in dubio pro reo Anwendung findet, zumal die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß ein Unschuldsnachweis, der objektiv möglich wäre, nur deshalb von der Angeklagten nicht in Anspruch genommen wird, weil sie andere nicht belasten (die Beziehung auch zu denen, die sie bereits abgebrochen haben, nicht abbrechen) will. Sind – außer für die verfolgungssüchtige Logik der Anklage – nicht Umstände denkbar, die diese Entscheidung moralisch geboten erscheinen lassen? (Vgl. hierzu den Hinweis Klaus Jünschkes auf RAF-Urteile, die im Bewußtsein, daß sie nicht zu halten sind, gleichwohl gefällt worden sind, auch die Bemerkung Birgit Hogefelds zu dem Urteil gegen Eva Haule.)
    Ist nicht die Qualität und Intention der BILD-Zeitung logisch ableitbar aus dem Prinzip, in ihren Texten Nebensätze grundsätzlich auszuschließen?
    „Der Himmel rollt sich zusammen wie eine Schriftrolle, und all sein Heer welkt ab, wie das Blatt am Weinstock abwelkt und wie welkes Laub am Feigenbaum. Denn trunken ward im Himmel das Schwert des Herrn …“ (Jes 344, vgl. Off 614, Mt 2429, 2 Pt 310) Beschreibt nicht der Himmel, der durch den kopernikanischen Seitenblick in ein reines mathematisches Konstrukt sich aufgelöst hat, aufs genaueste die Grenze zwischen Bild und Wort, Begriff und Name, Mathematik und Sprache, die Levinas’sche Asymmetrie, den Unterschied zwischen Indikativ und Imperativ (Wasser und Feuer: haschamajim))? Am zweiten Tag, mit der Erschaffung der Feste, wurde die im Anfang ersterschaffene Sache zum Namen.
    Heute richtet sich das Weltgericht, das dahin tendiert, alle zu seinen Anwälten (zu Weltanwälten) zu machen, tendentiell gegen sich selbst: Es ist zu einem objektiven Instrument der Selbstverdammung geworden, in der die Philosophie endgültig untergeht. Nachdem die projektive Ableitung des Gerichts, die Abwälzung der Last auf Andere, kein Ausweg mehr ist (sie ist identisch mit dem Zustand, dem sie entgehen möchte), bleibt nur die Selbstreflexion, die allerdings, indem sie darauf verzichtet, von der Feindbildlogik Gebrauch zu machen, sich alle zu Feinden machen wird.
    Bekenntnisgemeinschaften sind Empörungs- und Verurteilungsgemeinschaften. Deshalb brauchte der Faschismus den Antisemitismus, der zur Ursprungsgeschichte des Staates gehört, wie die „Endlösung der Judenfrage“ der Beginn der Selbstzerstörung des Staates war.
    Wer sind Gog und Magog (Haman war ein Agagiter <Esth 31>, nach Ezechiel ist Gog der Fürst von Magog <382>, nach der Offenbarung sind Gog und Magog die Völker der Endzeit <208>)?
    Der Staat: die Geburtsstätte der Geldwirtschaft und das Harmagedon (Off 1616) seiner Selbstvernichtung (ist nicht die Ware deren Instrument)?
    Sabine Christiansen u.a.: Dem Bundeskanzler und dem Präsidenten der Arbeitgeberverbände widerspricht man nicht, und man fällt ihnen nicht ins Wort, während man bei SPD-Politikern und bei Gewerkschaftsvertretern es sich leisten kann und es auch tut.

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