Cohen

  • 10.4.1997

    Die Auseinandersetzungen um die Errichtung einer theologischen Fakultät in der Stiftungs-Universität Frankfurt in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts werfen ein Licht auf den Zusammmenhang des Selbstverständnisses der universitären Theologie mit dem Nationalismus. Die Frage ist offen, wie weit z.B. Hermann Cohen und Franz Rosenzweig den logischen Prämissen dieses Selbstverständnisses verhaftet waren. Andreas Pangritz scheint die Reflexionen Benjamins, Horkheimers und Adornos u.a. deshalb nur bekenntnislogisch (als bloße Gesinnung) begreifen zu können, weil er die innere (ins Zentrum der Theologie hineinreichende) logische Brisanz dieser Geschichte nicht sieht.

    Die „Gesinnung“ ist ein Teil des nationalistischen (und des bekenntnislogischen) Syndroms. Die Gesinnung bedient sich der Urteilsmagie: Sie ersetzt moralisches Handeln durch die Verurteilung des Bösen, durch „Distanzierung“ (durch Ausgrenzung, durch Distanz zum Objekt). Symbol der Gesinnung ist der „verdorrte Feigenbaum“.

    Das „Kleiner- und Unsichtbarwerden der Theologie“ (und darin das Problem der Gesinnung) hängt mit der Katastrophe des Nationalismus zusammen.

    Zur Geschichte der Privatisierung, die seit je (seit der „Erfindung“ der Barbaren) mit dem „Globalisierungsprozeß“ zusammenhängt, mit der Innenwirkung der der Außenmächte, gehören die Privatarmeen des Faschismus und die „Endlösung der Judenfrage“, der barocke Pomp (der Absolutismus und die katholische Gegenreformation, der Ursprung der Oper).

    Verletzung des Bilderverbots: Der Staat, dem im Subjekt die Ausbildung der subjektiven Formen der Anschauung (das „da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“) entspricht, ist das Prisma, das den Namen in Begriff und Vorstellung aufgespalten hat. Dem Staat entspricht in der Natur der Himmel.

    Der prophetische Kampf gegen die Idolatrie war ein Kampf gegen die religiösen Reflexionsformen des Staates und gegen die Instrumentalisierung der Religion, ihre Subsumtion unters Herrendenken. Hierauf bezieht sich das prophetische Symbol des Kelchs (bis hin zur Beantwortung der Frage der Zebedäussöhne und bis zu Getsemane).

    Die Resignation, die in der Antwort an die Zebedäussöhne: „ihr werdet ihn trinken“, anklingt, weist schon vor auf das „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.

    Was hat das Rauchen mit dem Räucheropfer und den Gebeten der Heiligen zu tun?

    Professionalität setzt die Anerkennung der Welt und die staatliche Lizenz voraus (der Professionelle ist nicht „selbsternannt“).

    Das Eingedenken ist das Sich-selbst-im-Andern-Wiedererkennen: der fruchtbringende Boden der Barmherzigkeit.

    Die Kollektivscham ist eine unverschämte Scham, sie bringt den Feigenbaum dazu, Blätter hervorzutreiben, aber sie verhindert die Frucht.

    Zu Stammheim ist es nicht notwendig, Partei zu ergreifen, an eine der beiden Versionen zu „glauben“. Notwendig ist allein, beide Versionen reflexionsfähig zu halten. Als Adorno schrieb, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie gleichwohl falsch abbildet, hat er diese Reflexionsfähigkeit gemeint. Ist Stammheim nicht ein letzter Abkömmling des Marx’schen „Klassenkampfs“? Die Kraft der Reflexion sprengt die verdinglichende Gewalt des Glaubens, sie löst den Bann der Erbaulichkeit (oder: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht).

    An einer Stelle nennt Pangritz den ersten Kafka-Essay Benjamins (mit Hilfe einer nicht unproblematischen Verwendung eines Benjamin-Satzes) „unausgegoren“ (S. 149). Gehört diese Metapher nicht zur gleichen Sphäre, zu der auch der ägyptische Mundschenk gehört?

    Erinnert das „Christum treiben“ Luthers nicht an den Hund, der die Herde treibt?

    Wer lernt, im Gesicht des Andern zu lesen (jemandem „einen Wunsch von den Augen ablesen“), mag erfahren, was mit dem Angesicht Gottes gemeint ist. Gibt es nicht heute Berufe (insbesondere in Verwaltung, Justiz, Polizei), zu deren Eingangsvoraussetzungen die Verhärtung dagegen gehört? Wo jeder Fall ein Präzedenzfall ist, gibt es kein Gesicht. Wer in dem, den er vor sich hat, alle andern sieht, sieht den Einen nicht mehr. Rosenzweigs Kritik des Alls bezieht sich auf diese logische Konstellation. Das Gesicht ist kein Objekt des Wissens. Die wissenbegründende Orthogonalität (die in die Theologie mit dem Begriff der Orthodoxie eingedrungen ist) macht aus dem Angesicht und dem Namen das Objekt und den Begriff, sie verwechselt das Wahre mit dem Richtigen und begründet eine Ordnung des Lebens, in der alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut. Die Unterscheidung der Wahrheit vom Richtigen gründet in der Unterscheidung des Im Angesicht vom Hinter dem Rücken, der Barmherzigkeit vom Gericht.

    Die Apokalypse ist das kostbare Instrument des aufgedeckten Angesichts.

    Auch wenn man das Bestehende nicht ändern kann, muß man es nicht auch zusätzlich noch rechtfertigen.

    Natürlich steckt in der Reflexion ein auf Realisierung drängendes Moment, aber ich kann die Reflexion nicht davon abhängig machen, ob die Realisierung hier und jetzt möglich oder auch nur denkbar ist.

    Haben nicht alle Initiationsriten etwas mit der Bindungskraft der Komplizenschaft zu tun? Steckt nicht in allen gemeinschafts- und staatsbildenden Kräften der Religionen, auch des Christentums, etwas davon?

    Steckt in der Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum Relativitätsprinzip nicht der verborgene Name des Himmels, die Beziehung von Feuer und Wasser?

    Bezogen auf 1948 ist 1997 ein Jobeljahr.

    Der Begriff der Natur im Subjekt wird verständlich nur, wenn man darin das Zitat aus der Kritik der Urteilskraft mit hört, die diesen Begriff auf die Sphäre der ästhetischen Produktion (der Hervorbringung des Genies) bezieht. Dieser Naturbegriff ist in sich selber historisch-gesellschaftlich vermittelt, er ist ein Teil der Herrschaftsgeschichte, er bezeichnet den Objektbereich von Herrschaft, der in die Geschichte der Herrschaft verflochten ist, mit ihr sich ändert. Erst im Bann des Weltbegriffs wird die Natur zu etwas Festem, Unveränderlichen. Die Sonne Homers scheint auch uns, aber wir leben nicht in der gleichen Natur.

    Ist nicht die Vermutung begründbar, daß die naturwissenschaftliche Medizin heute in eine Krise gerät, die auf die innere Logik der Herrschaftsgeschichte zurückweist und u.a. auch an der RAF sich ablesen läßt, eine Krise, die mit der Konstellation von Objektverlust, Autismus und Geiselnahme sich bezeichnen läßt? Der Autismus wäre z.B. an der „Gen-Forschung“, in der – in der Konsequenz rassistischer Konstruktionen der „Erbforschung“ – die Forschung beginnt, ihre Objekte selber zu produzieren und die Kranken, die, was mit ihnen passiert, nicht mehr zu durchschauen vermögen, unterm Vorwand medizinisch notwendiger Maßnahmen, zur Experimentalmasse tendentiell paranoider Forschungen macht. In wie hohem Grade das auch ökonomisch determiniert ist, mag man an der Tendenz der Apparatemedizin erkennen, die die Nutzung der Geräte nicht mehr an den diagnostischen Erfordernissen der Krankheit, sondern an der Begründbarkeit im Rahmen der kassenärztlichen Abrechnungsmöglichkeiten, der Gebührenordnung, orientiert. Zu untersuchen wäre, in welchem Maße das, was heute „Gesundheitsreform“ heißt, durch Zwänge dieser Entwicklung determiniert ist.

    Die Konstellation von Autismus und Geiselnahme gründet in der Logik der fortschreitender Instrumentalisierung, einer Logik, in der Mittel und Zwecke ununterscheidbar sich vermischen und nicht mehr „objektiv“ sich trennen lassen.

    Ist nicht die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar ein Schlüssel zu diesem Vorgang, der nicht auf die genannten Bereiche sich beschränkt, sondern die gegenwärtige Phase der Herrschaftsgeschichte insgesamt charakterisiert (und ist nicht die RAF ein Indikator der Nachkriegs-Herrschaftsgeschichte, des gegenwärtigen Stands der Geschichte der Naturbeherrschung, auch der Nachkriegsgeschichte der Beziehung der Naturwissenschaften zum Staat, die nur sich begreifen läßt, wenn man die darin sich reproduzierende Geschichte des Faschismus erkennt)?

    Modell der Konstellation von Autismus und Geiselhaft ist die Beziehung des Staats zur Wirtschaft, die ökonomische Konstruktion des Lebens in einer Welt, in der nicht mehr nur die Produktions-Einrichtungen, sondern zugleich auch die sie regelnden staatlichen Institutionen ihre Autonomie endgültig eingebüßt haben und zu einem Anhängsel der davon unabhängigen Kapital-Gesetze und -Bewegungen geworden sind.

    Ontologischer Trieb: Heute ertragen es die Menschen nicht mehr, daß andere Menschen – Menschen außerhalb des Definitionsbereichs, dem sie sich selber zurechnen: der Familie, der Nation, dem Geschlecht, dem Stand, dem Beruf, der Religion – sich herausnehmen, auch Menschen zu sein. Sie sollen bleiben, was sie sind: Ausländer, Arbeiter, Frauen, Geschäftsführer, Väter, Verkäufer, Juden, Beamte.

  • 7.2.1997

    Wie hängt das Planetensystem mit dem Fleischessen und mit der hierarchischen Logik zusammen?
    Wer vom jüdischen Monotheismus spricht, hat Hermann Cohen und Franz Rosenzweig nicht verstanden: In diesem Begriff setzt sich das Greuel des Hellenismus fort.
    Magdala, der Ort, aus dem Maria Magdalena kommt, heißt ursprünglich Migdol. Steckt darin das gleiche Mi-, das auch in Michael enthalten ist, und hat das -gdol etwas mit gadol, Held, zu tun?
    Sind mit den Namen Bethlehem, Nazareth, Magdala, Kana eigentlich wirklich nur geographische und nicht auch logische Orte gemeint?
    Rückt nicht bei Paulus der Begriff der Natur in die Nähe der Konvention. des Brauchs? Bei Paulus ist das, was „von Natur“ ist (wie die Tatsache, daß Männer keine langen Haare haben), weder etwas physisch Notwendiges (und somit Unabänderliches) noch etwas moralisch Gefordertes. Natur ist – übrigens nicht nur bei Paulus – kein moralischer Begriff. Dazu ist er erst geworden durch die Konfundierung der Moral mit dem Recht, mit der Transformation des Gebots, das nur als Richtschnur des Handelns sich begreifen läßt, in einen Maßstab des Urteils. Zu prüfen bleibt, ob sich nicht der Naturbegriff generell der Konfundierung der Moral mit dem Urteil verdankt, die dann zwangsläufig die Sexualmoral ins Zentrum der moralischen Reflexion rückt. Nicht zufällig bezieht sich der Begriff des „Widernatürlichen“ (der fast automatisch der moralischen Verurteilung der Homosexualität sich assoziiert) ausschließlich auf sexuelle Sachverhalte, auf etwas, das „unbedingt zu verurteilen“ ist. Das Widernatürliche ist eine Kategorie der Logik des Urteils, es gehört zu den Konstituentien des modernen Objektbegriffs, mit dem die Logik der sexualmoralischen Urteils mitgesetzt ist. Liegt hier nicht die sprachlogische Wurzel des apokalyptischen Symbols des Unzuchtsbechers? Bezieht sich der Unzuchtsbecher, den die Hure Babylon in der Hand hält, auf die Logik der Verurteilung? Und ist die Natur dieser Unzuchtsbecher? Und hat dieser Unzuchtsbecher (der Naturbegriff) etwas mit dem Problem der Norm (der normierenden Gewalt der Oben-Unten-Beziehung) zu tun? Natur ist keine moralische, sondern eine Herrschaftskategorie, eine Kategorie der Herrschaftsgeschichte. Sie gehört (wie der Name der Fremden, der Barbaren) zu den Konstituentien des Begriffs, und es ist ein falscher Ausdruck eines richtigen Sachverhalts, wenn Hegel zufolge „die Natur den Begriff nicht halten“ kann. Zu den Konstituentien der Natur gehört die Urteilslust, genauer die aus Abwehr, Rechtfertigungszwang und Rachetrieb gespeiste Lust der Verurteilung, das Schuldverschubsystem.

  • 07.09.1996

    Die Bergpredigt war für mich einmal der erste Hinweis auf die moralische Asymmetrie zwischen mir und den Andern sowie auf den Ursprung der Gemeinheit (die in der Verletzung dieser moralischen Asymmetrie gründet).
    Unterscheidet sich nicht die Laientheologie von der Theologen(Priester)-Theologie vor allem dadurch, daß sie nicht unter dem Zwang steht, Theologie für andere zu sein? Deshalb war seit je die monarchische Theologie der Laientheologie näher als die Theologentheologie, die seit je in einem sehr genauen Sinne „weltliche“ Theologie war. Laientheologie heute gründet in der kritischen Reflexion des Weltbegriffs.
    Laientheologie unterscheidet sich von der Theologentheologie dadurch, daß sie zwar auf die Lehre abzielt, aber nicht mehr belehren will und kann: durch den Verzicht auf den autoritären („väterlichen“) Gestus: Laientheologie ist das Resultat der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kindern (Lk 117).
    Der Weltbegriff ist die genaue Umkehrung der Levinasschen Beziehung von Indikativ und Imperativ.
    Nach Klaus Heinrich muß ich, wenn ich Dinge vergleichen will, sie an einen gemeinsamen Ort bringen. Es gibt zwei gemeinsame Orte, deren Beziehung das Zentralproblem der gegenwärtigen Theologie ist: das Inertialsystem und der Name Gottes (der Ort, der durch das Licht des Angesichtes Gottes erhellt wird).
    Das Johannes-Evangelium ist nicht antisemitisch, es wird antisemitisch, wenn man den Namen der Juden anstatt typologisch rassistisch versteht (dem entspricht es, wenn die unsägliche Diskussion um Daniel Jonah Goldhagen eigentlich nur auf der Basis eines immer noch rassistischen Selbstverständnisses der Deutschen sich verstehen läßt – und niemand merkt’s). Der Rassismus steht in der Tradition des Begriffsrealismus: Er macht Kollektivbegriffe zu Subsumtionsbegriffen.
    „Wir Deutschen“: Ist das nicht das aktuelle Äquivalent des Namens der Hebräer (das dann projektiv über den eliminatorischen Antisemitismus abgeleitet werden muß)? Sich als das erfahren, was man glaubt für andere zu sein (die Identifizierung des Subjekt-Plural „Wir Deutsche“ mit dem Objekt-Plural „Die Deutschen“). – Kann es sein, daß die Wendung „Wir Deutschen“ insbesondere dann gebraucht wird, wenn der Redende unter Rechtfertigungszwang gerät (und das Kollektiv-Subjekt hinter dem Kollektiv-Objekt sich versteckt, die Kollektivschuld durch die Kollektivscham, die beide der Sache nicht angemessen sind, ersetzt)?
    Wir Deutschen: Erkennt man die Deutschen heute nicht am ehesten daran, daß sie vom Ausland geliebt werden wollen?
    In den Neonazis, die aus Trotz das Kollektiv-Objekt zum Kollektiv-Subjekt zu machen versuchen, implodiert die Kollektivscham: und in ihr die Rechtfertigungslogik, die glaubt, der Objektzone der Veurteilung entrinnen zu können, indem sie sich zum Subjekt der Verurteilung macht. Der Faschismus ist das Produkt der Metamorphose der noesis noeseos, des Denkens des Denkens, zur Verurteilung der Verurteilenden (der Vernichtung all dessen, was als Bedrohung der eigenen Identität erfahren wird). Deshalb hat der Hinweis aufs Ausland (was „das Ausland“ wohl denken wird) die Ausländerfeindschaft eher verstärkt als eingedämmt.
    Die Grenze zwischen Begriff und Objekt ist die Innen-Außen-Grenze: die politische Grenze ebenso wie die Grenze, die die Anschauung vom angeschauten Objekt trennt. Deshalb gehören die subjektiven Formen der Anschauung zu den Konstituentien des Begriffs und des Nationalismus zugleich. Und deshalb gehört zur Entwicklung des Urteils und der Urteilsform das projektive Konstrukt der Barbaren (der Juden, der Heiden, der Ausländer, der Fremden) und der Naturbegriff.
    Ist nicht das Werk Bubers die erste Verkörperung einer Theologie, die weder warm noch kalt, sondern nur noch lau ist?
    Hat nicht das (theologische wie auch das nationale) Votum für den Staat Israel in Deutschland etwas mit der Erleichterung darüber zu tun, daß jetzt die Juden auch nicht mehr anders sind? Findet Hermann Cohens Bemerkung über die Zionisten nicht erst seine wirkliche Erfüllung in diesem Votum („die Schufte wollen genießen“)?
    Es gibt heute Dinge, die sowohl unmöglich als auch notwendig sind, und es sind offensichtlich die wichtigsten Dinge. Die Sätze der Bergpredigt werden dadurch nicht widerlegt, daß sie nicht mehr „anwendbar“ sind.
    Staatsanwalt: Liegt einer der Unterschiede zwischen England und Deutschland nicht darin, daß, während in England die Staatskirche durch die Königin repräsentiert wird, sie in Deutschland von allen verinnerlicht wurde.
    Hegels Weltgericht ist die Rache des Objekts, die dann seine Philosophie ebenso ereilte wie die Substanz, von der sie lebt.
    Ich habe getan, ich bin gewesen: In welchen Fällen wird das Perfekt mit haben und in welchen Fällen mit sein ausgedrückt? Ist das Sein substantiell, das Haben akzidentiell? Das Tun qualifiziert das Subjekt, es wird substantiell durch Dauer: als Beruf, als Nationalität, als Bekenntnis, aber auch im Falle des „Mörders“.
    Ich bin, ich habe, ich werde, ich wurde, ich würde, ich möchte. Du sollst.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind Formen der Selbsterpressung des Denkens.
    Der Raum (oder die subjektiven Formen der Anschauung) legitimiert den Blick von außen; er gründet in der Übermacht des Gerichts über die Barmherzigkeit, des Hinterhalts und der Gemeinheit über den offenen Konflikt, der Niedertracht über die Ohnmacht. Verkörpert nicht die Mechanik den Blick von hinten, die Gravitationstheorie den Blick von unten und die Elektrodynamik den Seitenblick?
    Das Schreien der Steine: In Lk 1940 (im Zusammenhang mit dem Einzug in Jerusalem) zitiert Jesus Hab 211 („Ja, der Stein in der Mauer schreit, und der Balken im Holzwerk antwortet ihm. Wehe dem, der eine Stadt auf Blut baut …“).

  • 13.6.1995

    Die Wahrheit des Dezisionismus ist das Bewußtsein des ungeheuren Gewaltpotentials, das der Zivilisationsprozeß erzeugt hat.
    Mit dem Begriff der Intersubjektivität ist schon eine apriorische Vorentscheidung getroffen, die innerhalb der Philosophie nicht sich rückgängig machen läßt.
    Intersubjektivität entscheidet den Hegelschen Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Anderen, bringt das Eine zum Verschwinden. Ins Deutsche übersetzt heißt Intersubjektivität: Anpassung an die Welt, wie sie nun einmal ist. Das eröffnet dann den Spielraum fürs „Experimentieren“, tastet aber die Maschine nicht mehr an.
    Der Begriff der intersubjektiven Vernunft verletzt das Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen.
    Philosophie und Projektion: Es stimmt, daß wir nur das erkennen, was wir in die Dinge hineinprojizieren (und der Begriff der Intersubjektivität sanktioniert diese Projektion, die eine kollektive ist). Nur daß wir im Prozeß dieser Projektion den eigenen blinden Fleck herausarbeiten, dessen Reflexion dann die Philosophie wäre. Die Hegelsche Philosophie (Hegels Logik) ist dieser gleichsam entfaltete und durchorganisierte blinde Fleck.
    Zu Metz: Die „Verweltlichung der Welt“, das ist die Entfaltung des blinden Flecks.
    Kann es sein, daß die memoria passionis mit dem Gebot der Feindesliebe konvergiert? Oder umgekehrt: Ist nicht das Gebot der Feindesliebe der Hebel, mit dessen Hilfe Moderne und Religion gemeinsam auszuhebeln wären, damit beide sich erfüllen? Was in der Verweltlichung der Welt sich herausarbeitet, ist der „Feind“, in dem wir uns selbst (unser eigenes Angesicht) erkennen. In diesen Zusammenhang gehört das Wort vom Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. – Ist nicht die Aufklärung der Feind, in dem die Kirche sich selbst erkennen würde, wenn sie aus dem eigenen blinden Fleck heraustritt? Und ist nicht Religion selber heute der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort?
    Die memoria passionis gewinnt konkrete Gestalt erst im Kontext des parakletischen Denkens. Und der Universalimus kommt zu sich selber in dem Satz, daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken (zusammen mit dem Jeremias-Wort, daß keiner den Andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen).
    Hat Hegel nicht, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die Logik transponierte, die transzendentale Ästhetik erst recht unangreifbar und undurchschaubar gemacht?
    Warum gibt es in der ganzen Adorno-Schule niemand, der einen Kommentar zu Hegels Logik schreibt? Das Potential, das den Bann hätte lösen können, war da.
    Der Titel des Werks von Hermann Cohen „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ ist bis heute uneingelöst. – Vgl. insbesondere die Bemerkung Cohens, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, die Emmanuel Levinas dann so verschärft hat: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. Hierin liegt das Programm der Gotteserkenntnis, der Grund der Unterscheidung von Gebot und Gesetz und die Dekonstruktion des Begriffs der Intersubjektivität (die das Subjekt zum Objekt seiner eigenen Formen der Anschauung macht).
    Das Angesicht ist eine logische Konstruktion: die Grenze, an der die Logik sinnlich wird.
    Der Begriff ist ein Totengedenken und Hegels Philosophie ein Heldenfriedhof (und Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ ein Versuch, selber noch einen Platz auf diesem Heldenfriedhof zu erhalten). Aber wäre nicht dieses Totengedenken aufzusprengen, in ihm die Kraft des Namens wiederzuerwecken, denn Gott ist kein Gott der Toten (und: Laßt die Toten ihre Toten begraben).
    Der Mörfelder Wald ist durchsetzt von Erinnerungen an die Startbahn-Auseinandersetzungen, in denen kommunikatives Handeln durch Schlagstock und Wasserwerfer erfahren werden konnte.
    Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns hat das hilflose Postulat des gewaltfreien Diskurses an die Stelle der Reflexion der Gewalt gesetzt: Sie hat der eingreifenden Argumentation entsagt und, ohne es noch zu bemerken, ihr Vertrauen in die Kräfte des sich selbst regulierenden Marktes, die selber eine der Quellen der Gewalt ist, gesetzt.
    Als der Studentenprotest aus der Öffentlichkeit herausgeprügelt worden ist, ist die raf in die Studentenbewegung hineingeprügelt worden.
    Es gehört zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, wenn es nicht gelungen ist, Derrida’s unverschämte Benjamin-Kritik öffentlichkeitswirksam zu destruieren.
    Wäre nicht die Frage von Maimonides, ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal da gewesen ist, auch in die christliche Theologie mit aufzunehmen: Muß Christus, wenn er wiederkommen wird, notwendig das Antlitz dessen tragen, der im Stall geboren wurde und am Kreuze starb?
    Theologie im Angesicht Gottes wäre nicht mehr religiös, sondern politisch.
    Der Name der Theologie wäre zu retten, wenn der Logos die Erinnerung an den Begriff in sich tilgen und die Kraft des Namens in sich wachrufen würde. Schwieriger wäre es mit dem Namen der Philosophie: Hier wäre aus der Sophia das Abgeklärte zu entfernen.
    Die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt hängt auf eine sehr merkwürdige Weise mit der Fähigkeit zur Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung zusammen: Die subjektiven Formen der Anschauung erbringen (gemeinsam mit dem Weltbegriff) eine Vorleistung, deren Reflexion die der Gewalt überhaupt erst ermöglicht.
    In dem Augenblick, als man den Raum durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen in ihm definierte, als man ihn gegen die Zeit verselbständigte, zusammen mit der Geometrisierung des Raumes, wurde die Idee der Umkehr destruiert. Über diese Logik hängen Orthogonalität und Orthodoxie mit einander zusammen.
    Zur Geschichte der Scham (zu ihrer Ursprungsgeschichte im Sündenfall) gehören auch die Benennung der Tiere durch Adam und die Erschaffung der Eva. Gehört nicht der Tierkreis zur Benennung der Tiere durch Adam, das Planetensystem zur Vertreibung aus dem Paradies und zum Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert?

  • 1.5.1995

    Die Erkenntnis des Guten und Bösen, die daran sich orientiert, wofür oder wogegen einer ist, orientiert sich damit am Prinzip der Selbsterhaltung.
    Erinnerungsarbeit heißt nicht sich dessen erinnern, was man einmal empfunden hat, sondern in die Erinnerung zurückrufen, was man von der Sache her hätte empfinden müssen und auch empfunden hätte, wäre das Wahrnehmungsvermögen nicht durch Rechtfertigungszwänge blockiert gewesen. Ziel der Erinnerungsarbeit ist nicht die Bewahrung der Identität, sondern ihre Sprengung: Wo Es war, soll Ich werden. Identitäten gibt es nur im Bann des Feind-Denkens.
    Die 68er Bewegung läßt sich daran erkennen, daß sie für ihre Eltern (für ihr Versagen unterm Faschismus) sich schämte. Aber blieb nicht die Scham in den Schatten dessen, wofür sie sich schämte, gebannt: den Schatten des Faschismus?
    Die Beziehung des ersten zum zweiten Teil des Stern der Erlösung ist das Modell einer Umkehr, die auch die Natur vom Bann der Naturwissenschaften zu befreien vermöchte. Das Christentum hat seit seinem Ursprung die Umkehr mit der Bekehrung verwechselt: Dadurch ist es zu einem Teil der Geschichte der Aufklärung geworden. Der Begriff der Bekehrung gehört zur Ursprungsgeschichte des modernen Objektivationsprozesses, der an den Bekehrten zuerst erprobt worden ist. Unter dem Bann dieser Konstellation steht die christliche Theologie (als Bekenntnistheologie) seit ihrem Ursprung. Das Bekenntnis bezieht sich in ähnlicher Weise auf die Wahrheit wie die Bekehrung auf die Umkehr: nämlich als Form ihrer Instrumentalisierung; beide sind Teil der Herrschaftsgeschichte, der Geschichte der Naturbeherrschung, in die das Christentum verstrickt ist.
    Zur Konstruktion der Mechanik und zum Bild der Stoßprozesse, die nicht zufällig am Verhalten von Billardkugeln demonstriert werden, gehört das Bild einer ebenen und glatten Fläche: die Realabstraktion vom Einfluß und von den Wirkungen der Gravitation, die Eliminierung der Fallbewegung. Das so Eliminierte kehrte dann als vergegenständlichtes Gesetz im Gravitationsgesetz, das zu den Konstituentien des Inertialsystems gehört, wieder.
    Entspricht nicht die Abstraktion vom Fall im Konzept des Inertialsystems in der Gesellschaft die Abstraktion von der Arbeit im Prozeß ihrer Subsumtion unters Tauschprinzip? Ist nicht die Logik, die das Geld aus dem Tauschverhältnis (statt aus der Institution der Schuldknechtschaft) herleitet, ein Teil der Logik, die das Inertialsystem als naturgegeben hinnimmt und von dem Abstraktionsprozeß, in dem es entspringt, abstrahiert? Den gleichen konstitutiven Abstraktionsschnitt (der dann in den Antinomien der reinen Vernunft reflektiert wird) vollzieht in der Transzendentalphilosophie Kants das Konstrukt der subjektiven Formen der Anschauung.
    Die Geschichte der Erfindung von Instrumenten (der Verdinglichung der Objekte) setzt historisch und genetisch die Entdeckung des Feuers voraus: Prometheus hat die Menschen den Gebrauch des Feuers gelehrt. Gibt es zu diesem Mythos eine Parallele in der Tradition der Bibel?
    Zu Metz‘ Bemerkung, daß man auch nach Auschwitz noch beten könne, weil auch in Auschwitz gebetet worden sei, wäre zunächst zu fragen, ob die Frage Adornos, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, auf das Gebet überhaupt sich übertragen läßt. Müßte im Falle des Gebets die Frage nicht heißen, wie man nach Auschwitz noch beten kann (ohne die Opfer zu verraten), nicht aber, ob man nach Auschwitz noch beten kann (diese Frage wäre zu erledigen mit dem Hinweis, daß, wer nach Auschwitz nicht betet, die Opfer nochmals verrät). Zu ergänzen wäre einzig, daß nur die Beantwortung der ersten Frage die Bejahung der zweiten zu begründen vermag.
    Lag nicht die Frage, wie man nach Auschwitz noch beten kann, unbewußt schon der Problemlage, aus der die „liturgischen Bewegung“ hervorgegangen ist, zugrunde; wobei die „Liturgiereform“ nur nur als Ausdruck dieses Problems, nicht als dessen Lösung sich erwiesen hat. Die Frage nach der Möglichkeit der öffentlichen Repräsentanz des Gebets nach Auschwitz, scheint mir, ist noch unbeantwortet. Ist diese Frage nicht eine Frage an die Theologie, die in der These sich zusammenfassen läßt:
    Die christliche Theologie ist seit den Kirchenvätern eine Theologie hinter dem Rücken Gottes,
    es käme aber darauf an, endlich Theologie im Angesicht Gottes zu treiben.
    Hierzu einige Erläuterungen:
    – Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Beispiel: Kinder in der Familie („machen wir Gott autistisch?“),
    – Cohen/Levinas: Die Attribute (der Gegenstand der Gotteserkenntnis) sind Attribute des Handelns, nicht des Seins, sie haben den Charakter des Gebots (Der Satz: Gott ist barmherzig, heißt: Seid auch ihr barmherzig),
    – Sehen und Hören: Begriff und Name (Rosenzweig und Ernst Schlenker oder die Heiligung des Gottesnamens),
    – Theologie und Naturwissenschaften (Objektivation und Instrumentalisierung),
    – Apologetik, Rechtfertigung und parakletisches Denken,
    – das Gebet als Erinnerungsarbeit (die Vergangenheit offenhalten),
    – Camilo Torres: Revolution, Opfer und Gebet (Mt 522f, Mk 1125; vgl. Elena Hochman und Heinz Rudolf Sonntag: Christentum und politische Praxis: Camilo Torres, Frankfurt 1969, S. 92ff u. 108),
    – Reinhold Schneider: Allein den Betern kann es noch gelingen …,
    – Joh 129 und die sieben Siegel der Apokalypse,
    – der Weltbegriff.
    Zu Mt 1619 und 1818: Hat nicht die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst?
    Gunnar Heinsohn hat kürzlich auf die „Methode der parallelen Rätselkumulation“ aufmerksam gemacht: „Sie besagt, daß ein Einzelrätsel leichter zu lösen ist, wenn man es mit benachbarten Rätseln gleichzeitig angeht und einen gemeinsamen Grund für alle sucht.“ („Parallele Rätselkumulation – ‚Warum Auschwitz?’“, Zeitensprünge 1/95, S. 56f) Heinsohn verweist auf mehrere Beispiele, bei denen die Lösung eines Rätsels durch den direkten Zugriff nur erschwert, wenn nicht blockiert wurde, während sie durch Häufung paralleler Rätsel aus deren wechselseitiger Beziehung sich gleichsam von selbst ergab. Alle Beispiele, die er hierbei anführt, beziehen sich auf „Rätsel“, die selber wieder in einer merkwürdigen wechselseitigen Beziehung stehen und auf ein gemeinsames Zentrum zu verweisen scheinen. Und die Vermutung ist vielleicht nicht ganz unbegründet, daß die „Lösungs“-Methode selber auf einen gemeinsamen logisch-systematischen Grund zurückweist.

  • 30.4.1995

    Verhalten sich nicht Objekt und Begriff wie Angesicht und Name?
    Daß die Distanz zum Objekt (nach der Dialektik der Aufklärung) durch die Distanz vermittelt ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, gehört zu den Wurzeln des Weltbegriffs und verweist auf die vom Weltbegriff nicht abzulösende Herrschaftsstruktur. Im Erkenntnisapparat drückt sich das in den subjektiven Formen der Anschauung aus.
    Hic et nunc: Während die Unendlichkeit des Raumes ein Binneneffekt ist: ein in der über die Beziehungen der Punkte im Raum sich fortpflanzender Effekt der Struktur des Raumes (jeder Raumpunkt, jedes Hier, ist Ursprung des ganzen Raumes), ist die Vorstellung des Zeitkontinuums ein Außeneffekt: Sie bildet sich in der Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit, in einem Akt, in dem ich mich an das Ende einer an sich unendlichen Zeitreihe oder das (in der Zeit verschiebbare) Jetzt (und mit ihm die Vergangenheit) absolut setze, damit aber zugleich die Zukunft (ihre Differenz zur Vergangenheit) auslösche. Durch ihre Objektivation mache ich die Vergangenheit erst zur Vergangenheit, tilge ich die Erinnerung an die Auferstehung. Diesen Frevel sucht die Erinnerungsarbeit zu heilen. Diese Erinnerungsarbeit verhält sich zur Objektivation der Vergangenheit wie das Gericht der Barmherzigkeit zu seinem Objekt: zum gnadenlosen Weltgericht.
    Gegen die Objektivation der Geschichte (gegen das Gericht über die Vergangenheit) richtet sich der Satz: Mein ist die Rache, spricht der Herr.
    Im Inertialsystem erweist sich die wirkliche Funktion und Bedeutung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, die zum Inertialsystem erst dann sich verselbständigen (und zugleich ihre innere Logik freilegen), wenn die subjektiven Formen der Anschauung nicht mehr auf das eigene Anschauen, sondern auf das Anschauen der Andern, das in der eigenen sich spiegelt, bezogen werden: Jeder Raumpunkt, nicht nur der, an dem ich selber mich befinde (und dieser eigentlich erst durch Reflexion auf die Logik seiner Reproduktion außer mir), ist Ursprung des Inertialsystems. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergesellschaftung der Erfahrung und des Denkens im Subjekt, das Instrument der „Veranderung“, deren Produkt die Erscheinungen sind, die Kant dann auch von den Dingen, wie sie an sich selber sind, unteschieden hat. Die verkürzte Form der Logik, die das Reich der Erscheinungen organisiert (der Logik der Veranderung), drückt in den kantischen Totalitätsbegriffen, insbesondere in den Begriffen Natur und Welt, sich aus.
    Ist nicht die Spenglersche Sicht zu radikalisieren: Das „organische“ Wachsen der Kulturen ist kein pflanzenhaftes Wachsen (ist nicht in eine Folge von Kreisläufen einbezogen), sondern die Evolution und die Bildungsgeschichte des Tieres (vgl. Hegels Satz, daß „die Natur den Begriff nicht zu halten“ vermag und seine Begründung: Eigentlich dürfte es keine verschiedenen Arten geben, sondern innerhalb der Logik einer aus der Idee frei entlassenen Natur nur ein Tier).
    Die paulinische Gesetzeskritik gewinnt ihre ungeheure Bedeutung, wenn man sie aus dem antijudaistischen Kontext, in den die kirchliche Tradition sie versetzt hat, herauslöst und sie auf ihren Grund zurückführt: Das Gebot wird verfälscht, wenn man es zum Gesetz macht. Vgl. hierzu
    – Cohens und Levinas‘ Bemerkungen über die Attribute Gottes (die Cohen zufolge Atttribute des Handelns, nicht des Seins, sind, und nach Levinas im Imperativ, nicht in Indikativ stehen (der Satz: Gott ist barmherzig, bedeutet: sei auch du barmherzig),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“ (der Ankläger – der „Widersacher“ – macht aus dem Gebot für mich ein Gesetz für alle: aus der Richtschnur des Handelns einen Maßstab des Urteils für andere),
    – Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar (und zum Vergleich Jer 3134),
    – das deuteronomistische Wort vom Rind und Esel (Joch und Last),
    – den Begriff der „Erbsünde“, der nicht auf die Sexuallust, sondern auf die Urteilslust (die das Gebot für mich in ein Gesetz für alle transformiert), zu beziehen ist,
    – den Begriff des Gesetzes selber, der die Sünde von der Tat auf das Urteil über die Tat verschiebt (von der Handlung aufs Erwischtwerden), und seine Funktion bei der Begründung des Rechts und der Selbstbegründung des Staats,
    – das projektive Erkenntniskonzept, den Objektivationsprozeß, die Begriffe Natur und Materie, den Weltbegriff, insgesamt auf den philosophischen Erkenntnisbegriff,
    bezieht. Hier erst wird die Gnadenlehre konkret.

  • 11.3.1995

    Wenn Empfindlichkeit pathologisch ist, wer ist dann ihr Subjekt? Der Empfindlichkeit geht es um den Schutz der Bäume, unter denen Adam sich versteckte, als Gott ihn beim Namen rief.
    Ist nicht der Ausdruck „Entfremdung“ doch korrekt? Bezeichnet er nicht die Xenophobie, Grund und Produkt der Anpassung an die Welt, die das Subjekt, indem es das Fremde abstößt, von innen aufzehrt und auslöscht, „sich selbst entfremdet“? Die Entfremdung, indem sie das Fremde abwehrt, richtet sich auf am Anderen, dem sie dann sich angleicht. Entfremdung ist ein anderer Ausdruck für Veranderung. Das Verhältnis zu den Fremden ist der Gradmesser der Autonomie. Der Andere und der Fremde verhalten sich wie Joch und Last, wie Begriff und Name. Hängt nicht die Ambivalenz der christlichen Symbole mit dem Verschwinden des Rinds aus dem Kreis dieser Symbole zusammen, mit der Konsequenz, daß sowohl die Auflösung des Jochs (das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt) als auch seine Unauflösbarkeit (die Opfertheologie und das Konstrukt der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu, das zur Geschichte der Aufklärung als Geschichte der Selbstlegitimation des Bestehenden gehört) als Grund christlicher Erfahrung sich anbieten?
    Verweist nicht auch der Satz: Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Herrn, auf das Verhältnis von Fremdheit und Anderssein? Fremdheit und Anderssein sind geschieden durch die subjektiven Formen der Anschauung (durch den Kelch, dessen Inhalt das Anderssein der Dinge ist). Sie sind geschieden wie der Ewige vom Überzeitlichen.
    Ist nicht die Welt, deren Fundament der Gerechte ist, eine andere als die, deren Fundament die Naturwissenschaften sind?
    In welchem Verhältnis stehen Sodom, Jericho und Gibea (die biblischen Exempel der Xenophobie) zu einander?
    – Auf Sodom bezieht sich die Stelle im Hebräer-Brief, daß die Fremden als Engel sich erweisen. Aber Lot, der anstelle der von der xenophoben Meute herausgeforderten Fremden seine Töchter anbietet (jedoch vor dieser Konsequenz durch die Engel geschützt wird), wird selber später von seinen (von ihm verratenen) Töchtern betrunken gemacht und erzeugt mit ihnen Moab und Ammon. Über die „Moabiterin Rut“ gehören Lot und seine Töchter zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – In Jericho ist es nicht das Volk, sondern der paranoide König, der von der Hure Rahab die Herausgabe der Fremden, der Kundschafter Josues, fordert. Rahab, die die Fremden rettet, wird als einzige Einwohnerin Jerichos auch gerettet und gehört ebenfalls zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – Gibea ist die Geburtsstadt Sauls. Ein Levit, der als Fremder im Gebirge Ephraim lebt, kommt mit seiner bethlehemitischen Nebenfrau auf dem Heimweg als Fremder nach Gibea, ein Mann, der selbst als Fremder in Gibea lebt, nimmt ihn auf. Als die xenophobe Meute der benjaminitischen Einwohner Gibeas seine Herausgabe fordert, gibt er seine Nebenfrau heraus, die zum Opfer der Meute wird. Bethlehem, der Heimatort der Frau, ist der Geburtsort Davids und Jesu.
    Sodom wird durch Schwefel und Feuer, Jericho durch den Posaunenschall der Israeliten, Gibea nach einem Vergeltungskrieg ganz Israels an dem einen seiner Stämme, in dem diese schreckliche Tat begangen wurde, zerstört.
    Der Begriff unterscheidet vom Namen durch die Monologisierung, durch seine äußerliche, durch die „dritte Person“ vermittelte Beziehung zum Objekt, gleichsam durch ein in ihn installiertes, gegen das Objekt gerichtetes Lachen: durch die subjektiven Formen der Anschauung, die das Objekt zum Objekt erstarren machen.
    Der Name unterscheidet sich vom Begriff dadurch, daß er (wie nach Emanuel Levinas die Attribute Gottes) die Trennung von Indikativ und Imperativ suspendiert: er steht im Imperativ (er ist als Name zugleich Gebot – aber eines, das in der Objektivität der Sprache, und subjektiv im Hören, gründet). Oder – in Abwandlung eines Satzes von Herrmann Cohen: auch für den Namen gilt, daß er kein Attribut des Seins, sondern des Handelns ist (so wie die Attribute Gottes die Qualität des Namens, nicht des Begriffs haben). Ist nicht Joh 129 ein Teil des Namens Jesu, und rückt nicht das „Bekenntnis (homologein) des Namens“ diesen ins Zentrum des Nachfolgegebots? Die Theologie wird durch die wiederzugewinnende Kraft des Namens (durch die Heiligung des Gottesnamens oder als Theologie im Angesicht Gottes) überhaupt erst zur Theologie.
    In der Beziehung zum Namen gründet, was Adorno einmal „eingreifende Erkenntnis“ nannte. (Aber was bedeutet in Gesetzen und Urteilen das „Im Namen des Volkes“; ist der „Name des Volkes“ das allen Gesetzen und Urteilen zugrunde liegende Gewaltmonopol des Staates?)
    Der Johanneische Logos bezieht sich auf die Kraft des Namens (und nicht auf den „Begriff“). Die Differenz liegt in Joh 129, eine Stelle, die falsch übersetzt werden mußte (mit fatalen Konsequenzen für die gesamte Theologie), um den Anschluß der Theologie an die Philosophie sicherzustellen. Die Frage, ob das Dogma der Hellenisierung der Theologie oder der Enttäuschung der Parusieerwartung sich verdankt, ist falsch gestellt: Beide Thesen bezeichnen nur zwei verschiedene Aspekte des gleichen Sachverhalts.
    Die Vision rührt an das Schauen Gottes, nicht an die „Anschauung Gottes“, eine contradictio in adiecto.
    Stehen nicht die Siegel (mit denen das Buch versiegelt ist) für den Namen? Und wenn die sechs Richtungen des Raumes nach kabbalistischer Anschauung auf sechs Aspekte des Gottesnamens versiegelt sind, kommt das nicht der Wahrheit der apokalyptischen Siegel nahe? Das Problem des Raumes ist nur im Kontext der Rekonstruktion (der Wiederherstellung) der benennenden Kraft der Sprache aufzulösen.
    Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist auch das Lamm, das würdig ist, die Siegel zu lösen: Nach dem Wort vom Binden und Lösen ist etwas von dieser Kraft an die Kirche übergeben worden (die dann ihr Talent im Dogma vergraben hat); das aber setzt voraus, daß das Auf-sich-Nehmen der Sünde der unters Nachfolgegebot fällt.
    Kann es sein, daß das Verhältnis des Feminismus zur Kirche in dem Satz der Martha vorm Grab des Lazarus vorbezeichnet: „Herr, er riecht schon“ (Joh 1139)?
    Die christliche Theologie hat immer aus zweiter Hand gelebt: die der Kirchenväter von Philo und die der Scholastik von Maimonides. Kann es nicht sein, daß das Werk Franz Rosenzweigs heute eine ähnliche Bedeutung hat, wir sie nur noch nicht erkannt haben?
    Wenn Ezechiel die Namen Daniels und Hiobs zusammen mit dem des Noe nennt, so rückt er beide in eine Beziehung zum Stammvater der Menschheit nach der Sintflut. Verweist es aber nicht zugleich auch darauf, daß bereits für Ezechiel Hiob und Daniel (deren Namen er kennt) zusammen mit Noe an die Qualität und den Charakter des Gerechten rühren? Welche Bedeutung hat diese Stelle für die historische Bibelkritik, für die historische Zuordnung der Bücher Daniel und Hiob?

  • 13.12.1994

    Der projektive Erkenntnisbegriff gewinnt seine Überzeugungskraft vor allem daraus, daß er die die Schuld des andern zur Rechtfertigung seiner eigenen gebraucht. Dem Rechtfertigungszwang liegt die Selbstverteidigung (und das Selbstmitleid) zugrunde.
    Erst wenn es gelingt, die Marxsche Kapitalismuskritik aus den Zwängen ihrer personalisierenden Anwendung zu befreien, wird sie selber zu einer befreienden Kraft.
    Die Person ist eine Emanation des Staates; beide definieren sich (wie auch die Begriffe Natur und Welt, zu deren Kontext sie gehören) durch ihr Verhältnis zum Eigentumsbegriff. Ebenso gibt es den Wissensbegriff nur im Kontext des Staates: Wissen ist das in Eigentum verwandelte Erkenntnisprodukt; es hat sein fundamentum in re in der projektiven Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung (vgl. die dem Begriff der Meinung zugrunde liegende Beziehung der Anschauung zum Eigentumsbegriff).
    Taumelkelch: Was die Propheten Trunkenheit nennen, wird durch Empörung erzeugt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind Mechanismen der automatisierten Empörung (der Urteilslogik). Die Urteilslust (die Selbstentlastung durch das Urteil über andere) ist Ausdruck dessen, was die Apokalypse Unzucht nennt (Zusammenhang mit der „Mordlust“).
    Wenn Lukas im Zusammenhang mit der Kindheitsgeschichte Jesu auf Augustus und Matthäus auf Herodes sich bezieht, worauf beziehen sich Markus und Johannes? Kann es sein, daß Markus sich auf die polis bezieht, Johannes auf die Welt („Sünde der Welt“)?
    Hängt die Grenze, die die Geschichte von der Gegenwart (die Zivilisation von der Vorgeschichte, das Präteritum vom Präsens) trennt, mit der Grenze des Himmels zusammen; und erscheint diese Grenze (die Grenze zum Mythos) im Symbol des Wassers (Thales), das in Wahrheit Feuer ist? War es dieses Feuer, das Jesus meinte, als er sagte, er sei gekommen Feuer vom Himmel zu bringen, und er wollte, es brennte schon?
    Das Symbol des Rades ist das Äquivalent der Fläche (so wie die atomare Struktur der Materie eine Konsequenz aus dem Feldbegriff der Maxwellschen Gleichungen ist).
    Ist nicht der Satz „Gott ist ewig“ (der Ausschluß der Vergangenheit von der Idee Gottes) eine notwendige Folge aus dem Cohenschen Satz, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind?
    Wie hängt das Inertialsystem mit dem System der Deklinationen und der Konjugation (oder Raum und Zeit mit Objekt und Begriff) zusammen?
    Bezieht sich der Satz „Mein Joch ist sanft, meine Bürde leicht“ auf das Wort vom Rind und Esel?

  • 30.11.1994

    Das Tier ist der Fürst dieser Welt.
    Die aristotelische Prämisse: „Alle Menschen streben nach dem Glück“ wäre durch die Definition des Glücks zu ergänzen: Glücklich ist, wer die Möglichkeit hat, gut sein zu können. Nur so gewinnt die daraus abgeleitete christliche Idee des seligen Lebens Inhalt.
    Der Weltbegriff ist der Quellpunkt und der Inbegriff der Staatslogik, deren Ursprungsgeschichte die mythischen Kosmologien und Kosmogonien zu beschreiben suchten.
    Taucht der Naturbegriff bei Rosenzweig in systematischem Zusammenhang nur in der „Metaphysik“, bei der Konstruktion des mythischen Gottes auf? Interessant wäre die Rekonstruktion der Stellung und des Schicksals der drei kantischen Totalitätsbegriffe, Wissen, Natur und Welt.
    – Das Wissen erscheint in der Gestalt des Nichtwissens (zu dessen Konstituentien die Todesangst gehört),
    – die Natur erscheint im Kontext der Konstruktion des mythischen Gottes, und
    – nur die Welt ist (als eines der Objekte des Nichtwissens) eines der drei „Elemente“, in die das All mit der Reflexion der Todesangst zerspringt.
    Wenn die Philosophie (die Selbstreflexion der Herrschaftsgeschichte) der mystische Leib Christi ist, wirft das nicht ein neues Licht auf das Bild der Pieta?
    Der Kelch: Nachdem die Kirche mit der Opfertheologie sich auf die Seite der Täter der Ermordung Jesu gestellt hat, wiederholt sie zwangshaft dieses Tätersyndrom im Säkularisationsprozeß. Ist nicht dieses Tätersyndrom der Grund einer Gnadenlehre, die die Christen zur Ohnmacht (und die Attribute Gottes, die nach Hermann Cohen Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, zum spurlosen Verschwinden) verurteilt? Und war diese Gnadenlehre nicht die christliche Transformation des Islam (das Handeln eine Form der Ergebung)? Aber hatte Jesus nicht seine „Vollmacht“ auf die Jünger und Apostel übertragen, und bezieht sich diese Vollmacht nicht auf die Taten, mit denen Jesus die Frage des Täufers beantwortete, ob er es sei, der da kommen soll?
    Hätte Jesus länger gelebt, wenn er seinen Vater, der nach seiner Kindheit aus der Geschichte Jesu spurlos verschwindet, und seine Mutter, die er mit dem „was habe ich mit dir zu schaffen“ abfertigt, geehrt hätte?
    Das Christentum ist der Verführung durch die Sexualmoral erlegen: einer Verführung, die in dem Glauben sich ausdrückte, es gebe so etwas wie Unschuld in dieser Welt. Indem nur die Frauen an der Idee der Virginitas gemessen wurden, wurden zwei Effekte erzielt:
    – Die Politik wurde aus dem Bereich der Idee der Keuschheit ausgegrenzt, und
    – die (an das Organ der Gebärmutter gebundene) Idee der Barmherzigkeit wurde theologisch gegenstandslos (um dann im projektiven Konstrukt der Hysterie wiederzukehren).
    Bezieht sich der apokalyptische Unzuchtsbecher auf diesen Sachverhalt?
    Ist die Beziehung des Femininum zum Plural (beim bestimmten Artikel im Deutschen) nicht im Begriff der Materie vorgebildet (dem Begriff der Materie einbeschrieben)? Und ist dieser Gedanke nicht der Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Planckschen Strahlungstheorie (des Planckschen Wirkungsquantums)? (Hatte Hitlers Instinkt nicht die Masse als Weib erkannt?)
    In welcher Beziehung stehen im Planckschen Strahlungsgesetz die zeitbezogenen Energiequantelungen (der Korpuskelt-Welle-Dualismus) und die raumbezogenen Materiequantelungen (die Atome)? Drückt nicht das Plancksche Strahlungsgesetz die Beziehung der mechanischen Bewegung zur Lichtgeschwindigkeit (der kinetischen Wärmeenergie zur Strahlungsenergie) nach dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aus? Und sind nicht die Gleichungen der Lorentz-Transformation nur ein anderer Ausdruck der Form dieser Beziehung?

  • 22.11.1994

    Ist nicht schon die Magie ein Produkt einer Exkulpationsstrategie auf der Basis eines Schuldverschubsystems? Und rührt nicht das Wunder an diese gefährliche Grenze der Aufklärung?
    Ist das quantenmechanische Kausalitätsproblem nicht schon in allen Wellenerscheinungen enthalten? Würde die heute kanonisierte Interpretation der Quantenmechanik stimmen, wäre dann nicht jedes Musikwerk ein chaotisches Zufallsergebnis? Und wäre dann die kinetische Gastheorie die Widerlegung der Akustik? In allen Wellenbewegungen wird Energie transportiert („fortgepflanzt“). Die Fortpflanzung ist das Prinzip der Wellenbewegung.
    Zeugenschaft, Beweis (Logik der Schrift), Fälschung, Gemeinheit. Der stichhaltigste Beweis ist der schriftliche: das Dokument, die „Urkunde“ (der Kaufvertrag, das Symbolum). In welcher Beziehung steht die Logik der Schrift zur Blutzeugenschaft und die Schrift zum Blut?
    Waren die vorschriftlichen Gemeinschaftsformen (die Formen der Stammesgemeinschaft) Vorformen der Schrift, und die Magie der Beleg dafür? Gibt es für die Schrift (als Verkörperung der Logik der Schrift) ein kosmisches fundamentum in re? Sind Natur und Welt Produkte der Spiegelung von Himmel und Erde an der Logik der Schrift?
    Die Bemerkung von Emmanuel Levinas, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, schließt die Allmacht Gottes (nicht die omnipotentia) aus. Die Eigenschaften Gottes im Koran sind indikativisch; deshalb sind sie auf das All bezogen (allmächtig, allwissend, allbarmherzig: das sind Attribute der Islamisierung). Wo der Imperativ neutralisiert wird, bleibt nur die Ergebenheit in Gottes Willen, der zum Schicksal wird.
    Das fiat voluntas tua wird zum Feigenblatt, zum bloßen Lippenbekenntnis, wenn es den imperativischen Charakter verliert.
    Grenzen die Thesen Paul Formans nicht an Verschwörungstheorien, so als wäre die gesamte Kultur eine Verschwörung gegen die Naturwissenschaft. Aber steckt darin nicht ein Stück Wiederholungszwang; reproduziert sich darin nicht das vorausgegangene Verhältnis der Theologie zur Aufklärung (Ursprung der Apologetik)? Die Souveränität würde in der Fähigkeit (und Bereitschaft) bestehen, das argumentative Potential der Kritik aufzunehmen und zu reflektieren, anstatt aus der Kritik nur die Feindschaft herauszuhören. Aber diese Fähigkeit wurde ja bereits mit der Formalisierung der Mathematik und der Logik getilgt: Das erste Opfer der Formalisierung war nicht zufällig der Begründungszusammenhang, aus dem das Denken sich speist, der Bereich der hypothetischen Urteile.
    War vielleicht der Intuitionismus ein Versuch, in der Mathematik wieder die Begründung, die Logik der Argumentation, zu restituieren? Leider ein mißlungener und – wie es der Erfolg der Hilbertschen Formalisierung (Algebraisierung) der Mathematik beweist – „leicht“ zu entkräftender Versuch (weshalb war die Widerlegung so „leicht“ und wirksam?). Spielte hier nicht der Bruch zwischen Geometrie und Algebra mit herein; war die Algebraisierung nicht seit je das Medium der Selbstanwendung der Naturbeherrschung aufs Denken, seiner Technisierung? War nicht ein entscheidender Schritt die Diskussion des euklidischen Parallelenaxioms: Beginn der Formalisierung der Geometrie, der Konstruktion „nichteuklidischer“ Geometrien aus den Bruchstücken der euklidischen? Euklid war, wenn man so will, ein naiver Intuitionist: Das Medium seines Beweisverfahrens war die Anschauung (die Bildebene). Die „nichteuklidischen“ Geometrien verwerfen den Anschauungsbeweis, ersetzen ihn durch Definitionen und bringen dadurch ein dezisionistisches Element herein, daß nicht mehr herauszubringen ist: Dieser Dezisionismus (die Verwerfung der Anschauung) verwirft das Argument, die Logik der Begründung. Kehrseite dieses Verfahrens ist eine Logik, die aus einem Argument nur noch heraushört, wogegen oder wofür einer ist; jede inhaltliche Diskussion ist gegenstandslos geworden. Der Vorteil der Formalisierung liegt darin, daß mit dem letzten Anschauungsrest der letzte Rest an Subjektivität aus dem Denken ausgetrieben wird: Begründung eines Denkens, das (wie die Form der Anschauung) ohne Denken funktioniert. Ist hier nicht die Stelle, an der sich die Logik der Physik der Logik angleicht, die auch dem Gewaltmonopol des Staates zugrundeliegt? (War die Kritik des Intuitionismus nicht in seinem elitären Charakter real begründet?)
    Berührt sich dieser Problemkreis nicht mit dem der kantischen Antinomien, die Kant in der transzendentalen Ästhetik lokalisiert hat, während Hegel versucht hat, sie in die transzendentale Logik zu übertragen, die so zur dialektischen Logik geworden ist? Wiederholt sich diese Geschichte nicht in der Ursprungsgeschichte des Neopositivismus, im Übergang von Mach zum Wiener Kreis? Während Mach noch am Problem der Konstituierung des Objekts sich abarbeitete, hat der Wiener Kreis vor der Übermacht des Objekts kapituliert, die Aggression nach innen, gegen die Sprache und das Denken selbst gerichtet. Das läßt sich an der Linguistik, die daraus sich herleitet, noch ablesen.
    Es fällt in diese Geschichte herein, wenn mit der Verwerfung des Problems der Empfindungen in der Physik die Orientierung an der sinnlichen Organisation der Erfahrung (in Mechanik, Optik, Akustik) ersetzt wird durch die Orientierung an anderen (teils systematischen, teils methodischen) Kriterien (Mechanik, Elektrodynamik, Statistik, Quantenmechanik, Festkörperphysik u.ä.).
    Läßt sich diese Entwicklung nicht aus der Unfähigkeit, die Schuldreflektion in den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß mit aufzunehmen, herleiten? Und hängt das nicht damit zusammen, daß in einer Welt, in der es Unschuld nicht mehr gibt, die Verstrickung in Rechtfertigungszwänge nur tiefer in die Verstrickungen der Logik der Schuld hineinführen?
    Haben nicht alle ökonomischen Kategorien (wie Ware, Zirkulation, Monopol, Kredit, aber auch die Beziehung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bis hin zum Begriff des Imperialismus) ihre Entsprechungen in der Logik der Naturwissenschaften?
    Die Kausalitätsdiskussion in der Quantenmechanik war ein Teil (und eine Folge) der Kriegsschulddiskussion, ein Versuch, nicht den Kriegsschuldvorwurf zu entkräften oder zu widerlegen, sondern ihn dadurch gegenstandslos zu machen, daß man ihm den logischen Grund entzog: Der Kriegsschuldvorwurf gehört zu den Dingen, zu denen Wittgenstein festgestellt hat, „davon muß man schweigen“. In einer Welt, die „alles (ist), was der Fall ist“, ist Schuld ein gegenstandsloser (weil den Weltbegriff fundierender) Begriff.
    Die Kriegsschulddiskussion hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf neuer Ebene in der Kollektivschulddiskussion wiederholt. Steht nicht die Heussche Lösung (Kollektivscham) in einer inhaltlichen Beziehung zur Ideologie der Quantenmechanik?
    War nicht die Kollektivscham die Schiene, auf der der faschistische Modernisierungschub weiterbefördert werden konnte (vgl. das Bild von der Lokomotive, die auf den Abgrund zurast)? Die Anerkennung der Kollektivschuld wäre die Bremse gewesen: Zur Scham gehört nur die Buße, während zur Schuld die Umkehr gehört. Über die Scham erneuert sich nur das schlau gewordene autoritäre Syndrom: zur Scham gehört einer, „vor dem“ man sich schämt. Mit der Kollektivscham wurde der Blick der Welt ins Innere installiert, und damit die Xenophobie.
    Die Frage, ob es Gott gibt, ist untheologisch; das „es gibt“ ist auf die Theologie nicht anwendbar.
    Ist nicht der Blochsche Satz „nur die Bösen bestehen durch ihren Gott, während die Guten: da besteht Gott durch sie“, eine Explikation des Cohenschen Satzes, daß die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern Attribute des Handelns sind? Und rührt nicht der Geist der Utopie stellenweise tatsächlich an den imperativischen Gehalt der Attribute Gottes? Und gilt nicht der Satz von der Sünde wider den Heiligen Geist für diesen Sachverhalt? Hat die kritische Theorie (ihr „Negativismus“) nicht hierin ihre gemeinsame Wurzeln mit dem Aktualitätsbezug der Prophetie: im Zeitkern der Wahrheit, den die Philosophie durch das tode ti neutralisiert (unter Narkose gesetzt) hat? Erst das tode ti, als der Grund der Trennung von Sprache und Objekt, hat den Raum für den Ursprung und die Geschichte von Philosophie und Wissenschaft geschaffen.

  • 3.10.1994

    Theologie beginnt, wenn endlich einmal nicht mehr die Substantive großgeschrieben werden, sondern allein der Gottesname: wenn Erkenntnis aus dem Bann der Verdinglichung heraustritt.
    Das Substantiv ist eine Steigerung des Nominativ und setzt die Trennung des Nominativ vom Akkusativ voraus (wie sie im Deutschen nur dem Maskulinum, nicht jedoch dem Femininum, eignet, während die griechische und lateinische Sprache die Grenze zwischen Person und Sache legt (nur das Neutrum kennt die Identität von Akkusativ und Nominativ), in den anderen modernen Sprachen erstreckt sich die Neutralisierung des Nominativ, seine Angleichung an den Akkusativ, auf die gesamte Deklination.
    Müßte man nicht in Anlehnung an die „Haupt- und Staatsaktionen“ (im barocken Trauerspiel) die Substantive (die ebenfalls dem Barock sich verdanken) Haupt- und Staatswörter nennen? Die Substantive sind Ausdruck einer Staatsmetaphysik, zu der auch der Titel des Staatsanwalts (dessen sprachlogischer Grund eine eigene Untersuchung verdiente) gehört.
    Die „Schamlosigkeit der Glaubensbekenntnisse“ (Levinas: Schwierige Freiheit, S. 70) ist eine Konsequenz aus der Logik der Schrift – wie auch die Verinnerlichung der Scham, die zum Kontext des Ursprungs der modernen Naturwissenschaften gehört und den Konfessionalismus begründete: Sie ist Teil einer Phase der Geschichte der Logik der Schrift und gehört (wie der Kreuzestod und wie die Ärgernisse, die kommen müssen) zur „Erfüllung der Schrift“. Das letzte Produkt der Verinnerlichung der Scham (und der darin gründenden Schamlosigkeit) ist der Skinhead. Hier hat die verinnerlichte Scham das Subjekt ausgebrannt; dafür rächt es sich an den andern. Das Angeblicktwerden erinnert an die verdrängte Scham und ist deshalb unerträglich und Auslöser der Aggression.
    „Herr der Himmelsheere“: Ist das nicht der Herr und Adressat der Engelschöre? Sind die Engelschöre die Himmelsheere?
    Rührt der Name des Himmels nicht an das gleiche Problem, das im Deutschen im Verhältnis des Femininum zum Plural steckt: Die Deklination des bestimmten Artikels im Femininum singular ist identisch mit der allgemeinen Plural-Deklination. Ist hier nicht die Grenze, an der das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem aus dem starren Subsumtionsverhältnis des Begriffs sich löst und in ein Umkehrverhältnis transformiert wird? Der Begriff der Materie verdankt sich der Abstraktion von diesem Umkehrverhältnis, dessen gegenständliches Korrelat die Feste des Himmels ist (deren Ausdruck ist das Gravitationsgesetz): Die Materie ist das gleichnamig gemachte Ungleichnamige.
    Grenzen der Beweislogik, Zeuge und Zeugnis: Selbst die Gestalt des Märtyrers ist vor Mißbrauch nicht geschützt: Die „Heldenfriedhöfe“ machen von diesem Konstrukt Gebrauch, wenn sie den „Heldentod“ zum Zeugnis für die Wahrheit des Bekenntnisses zur Nation instrumentalisieren. Das war der Hintergrund und die Basis der faschistischen Parole „Blut und Boden“. Mit Hilfe dieses Konstruktus schirmt der Nationalismus gegen jede Kritik sich ab, wenn er auf den Tod und das Blut der Helden sich beruft. Das Blut der Helden heiligt den Boden, auf dem es vergossen wurde.
    Vgl. hierzu
    – den biblischen Satz von der Erde, die „der Schemel Seiner Füße“ ist,
    – die Zerstörung dieses Satzes durch das Institut des Privateigentums, die den Boden zur Ware vergegenständlicht (Staat, Eroberung und Handel),
    – die logische Sanktionierung dieses Vorgangs durch die naturwissenschaftliche Vergegenständlichung der Welt, durchs Inertialsystem.
    Die Kopernikanische Wende hat durch Identifikation von Last und Joch im Begriff der Materie Gottes Thron und den Schemel Seiner Füße zerstört.
    Grundsätzlich obliegt im Rechtsstreit die Beweispflicht der Anklage und nicht der Verteidigung; der Verteidigung obliegt sie nur aufgrund der gleichen Lücke in der Beweislogik, der auch das Faktum, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, sich verdankt. Auf dieser Grundlage wäre (gegen Carl Schmitt) nachzuweisen, daß wirkliche Souveränität im Gnadenrecht, nicht im Exekutionsrecht sich manifestiert.
    „Ich werde euch den Beistand senden“: nicht zur Selbstverteidung, sondern zur Verteidigung der Barmherzigkeit, zur Verteidigung des Glücks, das der Erfüllung des tiefsten Wunschs der Menschen sich verdankt, endlich uneingeschränkt gut sein zu dürfen.
    Wenn die Theologie hinter dem Rücken Gottes Gott autistisch macht, und wenn es stimmt, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, dann liegt die eigentliche Wirkung dieser Theologie darin, daß sie nicht Gott, sondern die Gläubigen zum Autismus verführt. Bezieht sich der Satz vom Binden und Lösen auf diesen Sachverhalt?
    Die Philosophie wird zur monologischen Theorie dadurch, daß sie nur das Denken des Andern ins eigene Denken mit aufnimmt (durch die noesis noeseos, die sich bei Kant zur Erkenntniskritik entfaltet), nicht aber die Barmherzigkeit, das Votum für die Armen und die Fremden, die „Witwen und Waisen“. Das Denken des Denkens konstituiert sich im Verhältnis zur Natur, es verkörpert, vergegenständlicht, materialisiert sich im Weltbegriff (der die Barmherzigkeit a limine aus dem Begriff der Erkenntnis ausschließt). Es schlägt seine Wurzeln im Subjekt in den subjektiven Formen der Anschauung. Diese Wurzeln sind die Wurzeln des Baumes der Erkenntnis und das Instrument der Vergesellschaftung zugleich.
    Emmanuel Levinas hat die These Hermann Cohens, wonach die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern des Handelns sind, verschärft: Ihm zufolge stehen die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ (Schwierige Freiheit).

  • 12.6.1994

    Berufskleidung für Soldaten (Uniformen und Waffen, sowie Orden und Standarten) gibt es, seit es geprägte Münzen gibt (zur Geschichte der Banken, zur Kritik des Absoluten, des Weltbegriffs und des Staates). Zur Geschichte der Banken: War nicht die Priesterkleidung die erste Banker-Kleidung, und ist nicht die Banker-Kleidung im neunzehnten Jahrhundert zur männlichen Standardkleidung überhaupt geworden (Bedeutung der Krawatte)? Zur Geschichte der Optik: Im Ersten Weltkrieg ist die Gala- und Paradeuniform durch die Tarn- und Schutzuniform (Feldgrau und Stahlhelm) ersetzt worden. Gegen den Monotheismus: Nicht die Einheit, sondern die Einzigkeit ist ein Attribut Gottes (Hermann Cohen, vgl. Hegels Logik über das Eine und das Viele, das Eins und das Leere). Das Christentum hat die Prophetie mit der Philosophie verwechselt, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs mit dem Absoluten. Durch das Attribut der Einheit wird Gott zu einem Nationalgötzen (wozu der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs dann für die deutsche bibelwissenschaftliche Tradition auch geworden ist: Grund der Verstrickung des deutschen Nationalismus in den Antisemitismus). Befördern die gegenwärtigen Verhältnisse nicht die windigen Geschäfte? Und die F.D.P. ernennt alle, die daran teilnehmen, zu Leistungsträgern (die es nur als „Besserverdienende“ sind). Die röhrenden Hirsche, die irgendwann die Kruzifixe in den Wohnzimmern ersetzt haben: die Eucharistie der steinernen Herzen, Beweis der Anstrengung, die heute notwendig ist, das Realitätsprinzip anzuerkennen (und das Fernsehen: die Aufbereitung des Realitätsprinzips zur frohen Botschaft – Drachenfutter). Hat die Eucharistie nicht in der Tat einmal die Gläubigen in die Anfangsgründe dieses Fotorealismus eingeübt (die Transsubstantiation und die Hostie als Modelle der technischen Reproduzierbarkeit)? Ist das Tier aus dem Wasser die Philosophie (der Weltbegriff), und das Tier vom Lande die theologische Orthodoxie und ihr Produkt: die modernen Naturwissenschaften (der Naturbegriff)? Die Sprache heute ist der (durch Geldwirtschaft, Inertialsystem und Bekenntnislogik) gefesselte Prometheus. Sensibilität ist Sprachsensibilität; sie gründet in der Fähigkeit, die Logik der Sprache nicht zu verdrängen, ihrer Instrumentalisierung zu widerstehen (sie gründet in der Fähigkeit zur Reflexion des Tauschprinzips, des Trägheitsgesetzes und der Opfertheologie).

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