Cohen

  • 18.03.93

    Nach Raymond Bogaert „Grundzüge des Bankwesens im alten Griechenland“ wurden Eingänge (Einzahlungen) im Genitiv, Ausgänge (Auszahlungen, Kredite) im Dativ bezeichnet (S. 11). Kann es sein, daß Genitiv und Dativ Links und Rechts (die Seiten) bedeuten? Und sind Genitiv und Dativ die sprachlichen Repräsentanten des Tauschs? Die Banken verwalten das Tauschprinzip wie die Planeten das Inertialsystem.
    Die Anschauung abstrahiert von der eigenen Verstrickung ins Angeschaute; das Produkt dieser Abstraktion ist die Form des Raumes. Und sie überantwortet damit das Angeschaute den Gesetzen der Projektion (Barbaren, Natur, Materie).
    Die ersten Privatbanken sind von Sklaven gegründet worden, generell liegt ihr Ursprung im Bereich des Opferwesens und der Tempelwirtschaft. Das Bankenwesen ein Begleitinstitut der Lohnarbeit, die den Systemcharakter des Geldes begründet? Die Bankentürme in der Skyline Frankfurts stehen in der Tradition des Turms von Babel.
    Die Tradition des Opfers und ihre Verinnerlichung in der dogmatischen Theologie gehören zu den Fundamenten des Bankenwesens.
    Die Instrumentalisierung des Opfers macht sich gemein mit dem Mord und leugnet das Antlitz (Kruzifix und Münze).
    Sein, Haben und Werden, das sind die objektiven, naturhaften (den Naturbegriff begründenden) Hilfszeitverben. Ist nicht das Sein die veranderte Gegenwart, das Haben und das Werden die zukünftige Vergangenheit und vergangene Zukunft? Vergleiche die beiden Bildungen „Ich werde gehabt haben“ und „Ich werde geworden sein“ (aktives und passives Futur II).
    Wann sagte Jesus: Bei Gott ist kein Ding unmöglich? Mt 1926, Mk 1027 und Lk 1827: Nach dem Wort über den Reichen, das Kamel und das Nadelöhr.
    Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Im Sechstagewerk nutzt er dann den Himmel als Namen für die Feste, die die Wasser oben von den Wassern unten scheidet, und die Erde zur Hervorbringung der Pflanzen und Tiere. Die Finsternis über dem Abgrund nennt er nach der Erschaffung des Lichts Nacht, und die Wasser, über denen der Geist Gottes schwebt, trennt er durch das Firmament (Schuld und Segen).
    Wer das Leben aus den Leiden und Taten der Atome und Moleküle herleiten will, verhält sich ähnlich wie der, der das Wachsen der Bäume aus dem darin investierten Kapital herleitet.
    Die Merkaba ist sprachlichen Wesens, und wer sie entschlüsselt, begreift den Ezechiel.
    Zu dem Siebengestirn Cohen, Rosenzweig, Bloch, Benjamin, Lukacs, Horkheimer und Adorno den Orion finden. (Vgl. Hi 3831, auch 99 und Am 58)
    Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind die Bedingungen der Möglichkeit sowohl der dinglichen, körperlichen Existenz: der Vergangenheit der Dinge, als auch des Feuers: der dinglichen Gegenwart der Zukunft (entsprechen der Vergangenheit in Ding und Raum die Zukunft in Feuer und Licht?).

  • 07.10.92

    Zu den sieben Siegeln der Apokalypse: Welche Funktion hatten in jener Zeit die Siegel (Zeichen der Teilhabe an der Macht des Königs, persönliche Bekräftigung der Geltung eines Vertrages, eines Dokuments), lag sie nicht zwischen Unterschrift und Personalausweis? In welcher Beziehung standen sie zum Eigennamen? Haben die Öffnung (das Brechen) des Siegels und die Lösung eines Knotens (eines Problems, eines Rätsels) etwas miteinander zu tun? Ist nicht der Begriff des Begriffs und sind die damit zusammenhängenden, davon abgeleiteten Begriffe wie Raum und Zeit, Welt, Natur, Materie, Person, Bekenntnis nicht alle Siegel (die die Wahrheit versiegeln)?
    Es gibt keine Erklärung der Gemeinheit ohne Zuhilfenahme der Antisemitismus-Analyse.
    Ist nicht auch das Marquardtsche Votum für Israel, das Leute wie Micha Brumlik und Edna Brocke so anspricht, zwar wahr, aber zugleich konkretistisch entstellt (etwas, woran man sich halten kann)?
    Ich bin garnicht so ganz sicher, ob die Natur die Menschen überlebt, ob das nicht ein Schein ist, den die Natur selber erzeugt (der gleiche Schein, aus dem in der Hegelschen Logik das Wesen hervorgeht). Welt und Natur sind Momente in der Generationenbeziehung, sind Momente im Kontext der Genealogien (auch der Schöpfungsbericht gehört zu den toledot). Das auf eine Formel gebracht zu haben, ist die Bedeutung der Trinitätslehre. In ihrer dogmatischen Gestalt ist die Trinitätslehre das Siegel, mit dem die Schöpfung zu Welt und Natur verschlossen wurden. Von innen begriffen, und d.h. von ihrer dogmatischen Umhüllung befreit, wäre die Trinitätslehre der Beginn des Kommens der zukünftigen Welt.
    Die jüdische Mystik, die Kabbalah, ist Schöpfungsmystik, die christliche müßte Auferstehungsmystik sein.
    Israel ist der Augapfel Gottes, Teil seines Angesichts, sein verletzlichstes Teil. Aber die Kirche bewacht und hütet das versteinerte Herz der Welt.
    Die Patriarchen: Marx, Freud und Einstein; die Sühne Jakobs: Cohen, Rosenzweig, Lukacz, Bloch, Benjamin, Scholem, Horkheimer, Adorno, Kafka, Kraus, Schönberg (wer fehlt noch?).
    Die Instrumentalisierung des Opfers in der christlichen Opfertheologie, die Verdrängung der Täufer-Theologie (durch die falsche Übersetzung des tollere): der Versuch, die Wunde ohne den Schmerz zu haben, Ursprung der Anästhesie.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, Raum und Zeit, sind Abkömmlinge und Repräsentanten der invisible hand in unserem eigenen Innern. Die Umkehrbarkeit der Richtungen im Raum gehört zu den Prämissen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die dann aber am Ende zu Protest gehen, nämlich mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Und das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist auch die erste Manifestation der Umkehr und der Beginn der Erschaffung des Angesichts, das am sechsten Tage mit dem Menschen im Bilde Gottes, als sein Ebenbild, als Mann und Frau erschaffen wird.
    Die Naturwissenschaft gehorcht dem Prinzip des Von allen Seiten hinter dem Rücken, sie ist der Inbegriff der Ausweglosigkeit.

  • 16.01.92

    Unter der Voraussetzung, daß es gelingt, den Weltbegriff, seinen Zusammenhang mit der Idolatrie und deren erkenntnistheoretische (erkenntnisleitende) Funktion durchsichtig zu machen, findet der Cohensche Titel „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ eine überraschende Auflösung: diese Religin ist das Christentum.
    Gemessen an der Sprache des Buches der Richter ist die christliche Theologie eine Theologie aus dem Hinterhalt.
    Zwei haben Anteil an der künftigen Welt: die Opfer (die Märtyrer, die Zeugen) und die Helfenden (die Verteidiger). Die christologische Vergöttlichung des Opfers verrät beide.
    Die Idee des Ewigen bezeichnet etwas, das sich nicht als vergangen denken läßt, etwas, das die Vergangenheit von sich ausschließt. Nicht zu verwechseln mit der Idee des Überzeitlichen, zu der sämtliche Begriffe gehören (die Idee des Ewigen gehört nicht in den Bereich des Begriffs): Im Überzeitlichen drückt sich allein die Macht der Vergangenheit über die Zukunft aus, das Schicksal oder die Quelle der Gewalt, theologisch gesprochen die Erbschuld. Die Philosophie hat seit je das Ewige mit dem Überzeitlichen verwechselt; nur so ließ sich die Erkenntniskraft der Begriffe sichern. Damit hängt es zusammen, wenn die Philsophie (und das philosophische Subjekt) sich begreifen läßt als Produkt der Verinnerlichung des Schicksals (des Opfers); nicht zufällig erweist sie sich in der Hegelschen Philosophie als Reflex der Geschichte der Herrschaft, sie steht in einer noch aufzuklärenden Beziehung zum Sternendienst, zur Vorgeschichte der Astronomie. Im Gegensatz zum Überzeitlichen, das den Quellpunkt der Begriffe bezeichnet, bezeichnet die Idee des Ewigen den Quellpunkt der Sprache: nicht der Begriff, sondern der Name hat Anteil an der Idee des Ewigen.
    Mir scheint, es ist kein Zufall, daß der Ursprung des begrifflichen Denkens bei den Griechen zusammenfällt mit der Erkenntnis der Bedeutung und der Funktion des Winkels in der Geometrie, der Orthogonalität als des Grundes der Unabhängigkeit der Dimensionen im Raum. Die Form der Beziehungen der Richtungen im Raum ist Grund und Modell des Abstraktionsprozesses, in dem
    – die Begriffe sich bilden und
    – am Ende der Raum gegen die Zeit und die Materie sich verselbständigt, alle drei hypostasiert werden.
    Es gibt keine Wissenschaft, kein System apodiktischer Urteile, ohne ontologische Absicherung. Kritik der Wissenschaft ist nur möglich im Rahmen der Reflexion der Ontologie: im Rahmen der Reflexion des Satzes „das Eine ist das Andere des Anderen“ und des Rosenzweigschen Hinweises auf die „verandernde Kraft des Seins“, die sich genau auf den Kontext und die Folgen des Hegelschen Satzes bezieht. (Heideggers berühmter Titel wäre zu variieren: Raum und Sein.)
    Der Weltbegriff und sein unreflektierter Gebrauch ist die Grundlage und die Rechtfertigung zugleich für Machtpolitik und Gewinnökonomie, fürs Herrendenken. Die gleiche politisch-ökonomische Funktion und den gleichen Zweck erfüllte vor Konstituierung der „Welt“ die Idolatrie, der Götzendienst.
    Ethik als prima philosophia: die Ethik ist kein additum zu einer fix und fertigen Welt, sondern sie besetzt die Stelle, an der die Welt noch offen ist, und von der aus der die Welt begründende Schuldzusammenhang und die von der Welt ausgehende Verblendung durchschaut werden kann. Die Physik, oder allgemein die naturwissenschaftliche Aufklärung entgründet die Welt in gleichem Maße, in dem sie den Himmel entspannt.
    „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel schauen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“ (Mt 1810) „Ihre Engel“: Sind das die Engel der Kinder, und wie unterscheiden diese sich von den Engeln Gottes (Engel Elohims, Engel JHWHs)? Woher kommt die Vorstellung vom Schutzengel (im Christentum seit dem 9. Jhdt. nachweisbar; an deren Stelle ist im 20. Jhdt. – in Auschwitz – die „Schutzstaffel“ getreten)?

  • 05.04.91

    Vor vierzig Jahren habe ich ernsthaft vor der Frage gestanden, ob es nicht möglich oder gar notwendig sei, Jude zu werden. War dann aber der Meinung, daß es unzulässig sei, von der Täterseite auf die Opferseite zu wechseln. Das gleiche Problem hatte ich, als ich jetzt der Christlich-jüdischen Gesellschaft beigetreten bin: Ich sah darin die Gefahr, insgeheim doch so etwas wie Exkulpation zu erwarten aus dem Umgang oder der „Freundschaft“ mit lebenden Juden, sie als Versöhnungsinstanz zu mißbrauchen und zu überfordern. Versöhnung, scheint mir, wäre nur möglich, wenn sich das, was geschehen ist, ungeschehen machen ließe: als Versöhnung mit den Opfern, nicht mit den Überlebenden. Zwischen ihnen und mir (auch zwischen Franz Rosenzweig, den ich für einen Prüfstein dieser Geschichte halte, und mir) steht Auschwitz; ich kann mich nicht aus der Täterseite davonstehlen; ich kann dieser Schuld (und damit der Gottesfurcht) nicht entgehen. Die Gefahr des Philosemitismus ist dieser Wunsch, der Gottesfurcht zu entgehen. Hermann Cohen hat einmal über den Zionismus gesagt: „Die Schufte wollen genießen“. Dieser Satz ist nach Auschwitz nicht mehr zu halten; aber ich habe das Gefühl, er hat aktuelle Bedeutung als Prüfstein für den christlichen Teil am „christlich-jüdischen Dialog“. In uns allen steckt eine Exkulpationsgier, mit der wir rechnen müssen, der wir nicht verfallen dürfen, sondern die wir aufarbeiten müssen, wenn wir nicht im alten Sumpf noch tiefer versinken wollen.
    Joh 129: Ecce agnus dei, qui tollit peccata mundi. Dieser Satz enthält die entscheidende Wendung, führt aber zugleich in eine falsche Richtung. Der entscheidende christologische Satz ist in der Tat der, daß Jesus „die Schuld der Welt auf sich genommen“ hat. Die Konsequenz jedoch, die die Opfer- und Gnadentheologie unter Mißbrauch von Jes 53 daraus gezogen hat, daß wir die Früchte des „Opfertodes“ (ist dieser Ausdruck biblisch, oder nur ein falscher Schluß aus Jes 53?) und des Sühneleidens genießen können (wenn wir das richtige Bekenntnis haben), ist nicht christliche, sondern Täufertheologie, Theologie ante Christum. Theologie post Christum wäre eine Theologie, die dem Nachfolgegebot genügt: daß wir die Schuld der Welt ebenfalls auf uns nehmen, daran mitwirken, daß die Last endlich sich auflöst, anstatt weiterhin vermehrt wird. Das hat dann theologische Konsequenzen, insbesondere die, daß wir nur noch Theologie im Angesicht Gottes treiben können, nicht mehr hinter seinem Rücken. Für mich liegt die große Bedeutung Franz Rosenzweigs u.a. darin, daß er die Umkehr zu einer „erkenntnistheoretischen“ Kategorie gemacht hat. Aber zwischen dem „Stern der Erlösung“ und uns liegt Auschwitz. Deshalb kann eine Theologie heute nur noch gelingen (sie kann im wörtlichsten Sinne dem Geschwätz nur entgehen), wenn sie diese Sätze in ihren Erkenntnisbegriff mit aufnimmt: „Richtet nicht …“ „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe …“ Sonst kommt wieder eine Theologie der Wölfe (vielleicht im Schafspelz: Grund des christlichen double bind) dabei heraus.
    Ich frage mich, ob man (wenn überhaupt) einen „Gottesbeweis“ heute daraus ableiten könnte, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher, sondern „nur noch“ ein theologischer Tatbestand ist (aufzulösen nur gemeinsam mit der Auflösung des Geschwätzes: durch ein Leben, Denken und Handeln „im Angesicht Gottes“).
    Hat der Protestantismus sich die Nachfolge durch die Rechtfertigungslehre selbst verstellt?
    Um die adamitische benennende Kraft der Sprache wiederzugewinnen, wäre es notwendig, so etwas wie eine Geschichte der Scham zu schreiben: Über das Verhältnis von Scham und Sprache, über Scham und Sprachverhinderung, -vernichtung, das sicherlich in das Verständnis (die Benennung) der Tiere hereinreicht. Das apokalyptische Tier wäre vielleicht zu erkennen als der politisch-historische Gesellschaftskörper, wie er nach endgültiger Sprachzerstörung sich darstellt. Zu beschreiben wäre, wie der Turmbau zu Babel im historischen Prozeß nach innen schlägt, zusammenfällt mit der Geschichte der Verinnerlichung von Herrschaft und der Veräußerlichung der Außenwelt (Geschichte der Konstituierung des Objektbegriffs).
    Der Nominalismus ist in sich selber realistisch vermittelt.
    Die Waren- und Aktien-Börsen sind die Institutionen, die im Bereich der Herrschaft des Tauschprinzips die Stelle vertreten, die die Erhaltungssätze in der Physik einnehmen (Erhaltung der Masse: Warenbörse; Erhaltung der Energie: Aktienbörse).
    Die Geschichte der Architektur hat ihre „seinsgeschichtliche“ Bedeutung in ihrer Beziehung zur Geschichte der Entfaltung der Vorstellung des Raumes. Architektur war substantiell, solange es noch eine sinnvolle und begründete räumliche Unterscheidung zwischen Innen und Außen gab (Intimsphäre und Öffentlichkeit: Geschichte der Scham). Heideggers „Haus des Seins“ erinnert an diese Geschichte, führt aber nur zurück auf ein barbarisches Innere.
    Die Geschichte der Architektur ist das Medium der Auseinandersetzung mit der Schwerkraft und dem Licht (Hegel). Architektur als der Versuch, der Geschichte des Falls Widerstand entgegenzusetzen; sie hat heute kapituliert, die Niederlage besiegelt und das Reich dem Kapital überlassen (bis zum Sieg der sozialen Marktwirtschaft). Die Geschichte der Quantenmechanik ist der letzte Ausläufer der Geschichte der Architektur. Und die Geschichte der Naturwissenschaften steht in der Tradition der Geschichte des Turmbaus zu Babel. Hier ist der Punkt erreicht, wo der Turm an den Himmel heranreicht (die Sprachverwirrung sich vollendet).
    Gibt es eine Beziehung zwischen der Geschichte der Idolatrie und der Münzgeschichte? – Der Tempel von Jerusalem war die Bank von Israel; die Münzen enthielten das (blasphemische) Bild des Caesars; Ursprung der Münzen im Tieropfer?
    Woher stammt der Begriff der Hostie? Ist der Tabernakel Erbe der Tempelbank?

  • 02.04.91

    Die Person ist Produkt der Personalisierung, die Welt Resultat der Säkularisierung.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Kehrseite (die Innenansicht) des Gravitationsgesetzes; beide korrigieren das Inertialsystem, setzen es in Beziehung zu dem in der Physik sonst abgeschnittenen Teil des Objekts. Der Wert der Lichtgeschwindigkeit hängt mit der Gravitationskonstanten zusammen(?).
    „Die Schufte wollen genießen“ – dieses von Rosenzweig überlieferte Wort Hermann Cohens über den Zionismus trifft genauer die exkulpierungssüchtigen christlichen Teilnehmer am sogenannten „jüdisch-christlichen Dialog“. Sie brauchen als Beweis ihrer eigenen Rettung den Umgang mit den Juden, so als könnten die heute (noch) lebenden Juden uns von der irreversiblen Schuld an Auschwitz befreien, uns die Erinnerungs- und Trauerarbeit, deren Resultat sich einzig an unserer Theologie messen läßt, ersparen. Nur wenn wir die Last der Vergangenheit durchdringen, gibt es für uns Zukunft.

  • 02.03.91

    Im Herrengebet kommt der Himmel sowohl im Plural vor („qui es in caelis“), als auch im Singular („fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra“). Kann es sein, daß nur in einem der Himmel sein Wille geschieht? Hängt der Plural zusammen mit dem „Hofstaat“, mit den Herrschaften, Gewalten und Mächten, zu denen auch der „Ankläger“ gehört?
    Es kommt heute mehr darauf an, in der Politik und im politischen Bewußtsein der Mitmenschen die Dummheit zu begreifen, als über die Bosheit, die Verbrechen, sich zu empören. Es genügt nicht mehr das „moralische“ Urteil, das an den Dingen nichts ändert, nur den Urteilenden (scheinbar) exkulpiert. Die Empörung genießt das Sakrament des Büffels: sie will teilhaben an der richtenden Gewalt, aber sie ändert nichts. (Heute hat das Prinzip der richtenden Gewalt das Bewußtsein aller in der westlichen Welt, gleichsam als dessen transzendentale Logik, erfaßt und durchsetzt; es wird abgestützt durch den abstrakten Objektbegriff und durch die Herrschaft der Totalitätsbegriffe Welt und Natur; seine Logik ist die am Feinddenken sich orientierende Bekenntnis-, Kriegs-, Gewaltlogik. Es ist Teil des Realitätsprinzips, eigentlich mit ihm identisch.)
    Gibt es in der jüdischen Tradition ein Äquivalent zum „et ne nos inducas in tentationem“? Das Rätsel, daß Gott uns nicht in Versuchung führen soll, daß die Versuchung von ihm ausgeht, löst sich nur im Hinblick auf die Idee der richtenden Gewalt: Gemeint sein kann nur die Verführung durch die Vorstellung, an der richtenden Gewalt teilhaben zu können. Die Geschichte dieser Versuchung ist der Kirche vorausgesagt in der Erzählung von der dreimaligen Verleugnung des Herrn durch Petrus.
    Woher kommt eigentlich der (neudeutsche?) Zusatz zum Herrengebet „denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen“? Wie heißt dieser Text auf Lateinisch? Wann und aus welchem Grunde ist dieser Zusatz in den Text der Messe aufgenommen worden? – Und wann ist das Händewaschen („Lavabo inter innocentes …“) in den Meßkanon mit aufgenommen worden (und vor welchem Hintergrund)? Identifikation mit Pilatus; Hinweis auf die Instrumentalisierung der Opfertheologie? Zusammenhang mit dem kirchlichen Antijudaismus? Drückt sich hier das Bewußtsein aus, daß man sich in der Opfertheologie nicht auf die Seite des Opfers (unter das Gesetz der Nachfolge) sondern auf die Täterseite stellt und deshalb zwangsläufig das Entsühnungsritual des Händewaschens vollziehen muß? – Dann aber braucht man als Projektionsfolie, als Sündenbock einen anderen „Gottesmörder“. (Was bedeutet es, wenn Jesus beim letzten gemeinsamen Paschamahl darauf hinweist, daß der, der die Hand mit ihm in die Schüssel taucht, der Verräter sein wird?)
    Das Meßopfer heute: ein totes, leeres, verwesendes Gebilde, das nur durch Erinnerungsarbeit wieder zum Sprechen (zum Bewußtsein seiner selbst) gebracht werden kann.
    Zusammen mit dem Antijudaismus, der Ketzer- und der Hexenverfolgung bedürfen drei Dinge der Aufarbeitung (durch Erinnerungsarbeit):
    – der Ursprung des Frühkatholizismus und die Entwicklung der kirchlichen Hierarchie (und ihrer Insignien und Symbole),
    – die Geschichte der Dogmenentwicklung (des Bekenntnisses) und
    – der Ursprung und die Geschichte der kirchlichen Liturgie und des Meßopfers.
    Es scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß die Geschichte des Fronleichnamsfestes (und der Fronleichnamsprozession) im dreizehnten Jahrhundert beginnt und im zwanzigsten endet (mit Auschwitz: hier endet eine Epoche, deren Beginn zur zweiten Leugnung gehört, und deren Ende zur dritten).
    Steht die katholische Kirche nicht in der Tradition des lupus, des Wolfs (der zur Ursprungsgeschichte der Stadt Rom und des römischen Imperiums gehört)? Herrschaftskritik ist heute nur über die Kirchenkritik möglich (allerdings nur über eine Kirchenkritik innerhalb der Kirche, nicht von außen).
    Das Herrendenken scheint heute das allereinfachste (der Weg des geringsten Widerstandes: die erste tentatio) zu sein, nicht zuletzt aufgrund der Absicherungen über die Totalitätsbegriffe Natur und Welt, über das sogenannte naturwissenschaftliche Weltbild, über das Realitätsprinzip und das Gesetz der Selbsterhaltung. Diese Absicherungen haben eine Vorgeschichte, die in die Geschichte der Religionen zurückreicht und heute weitestgehend verdrängt und kaum mehr durch Erinnerungsarbeit zurückzuholen ist. Die einzige Institution, in der diese Vorgeschichte noch präsent ist, ist die katholische Kirche. Ihr Anachronismus ist ihr wichtigstes Erbteil.
    Die paulinische Lehre von Tod und Auferstehung beschreibt in ihrer instrumentalisierten Gestalt genau die Mechanismen des Verdrängungsprozesses, im Kontext der Gottesfurcht hingegen deren Auflösung. Die Subjektivierung des Verdrängungsbegriffs, die Leugnung seines objektiven Anteils (in dem seine Beziehung zur Gottesfurcht begründet ist), ist Reflex eines Objektivitätsbegriffs, der selbst der massivsten Verdrängung sich verdankt.
    Der Protestantismus ist auf den Kern des Bekenntnissyndroms gestoßen: auf die Frage der Rechtfertigung (Bekenntnis, Reklame und Sprachverwirrung; Dogma und Verzweiflung). Damit war die Kraft der Häresienbildung verbraucht.
    Das verdinglichte Dogma enthält die apokalyptische Tradition als Sprengsatz in sich; Aufgabe der Theologie wäre es, diesen Sprengsatz durch Auflösung des Dogmas zu entschärfen, bevor er tatsächlich das Dogma und mit ihm die Welt sprengt. Oder anders: Die verdrängte Apokalypse kehrt heute als Gemeinheit, Aggressivität und Brutalität wieder und bedroht den Bestand der Welt.
    Der Totalitätsbegriff der Natur hat keine Bedeutung außerhalb des Zusammenhangs der Naturbeherrschung, ebenso wie der Weltbegriff keine Bedeutung hat außerhalb der politischen Zusammenhänge, in denen er sich geschichtlich konstituiert. Beide Begriffe reflektieren und stabilisieren die Herrschaftsgeschichte, bezeichnen das Schienensystem, auf dem sich die Lokomotive bewegt, die kaum noch aufzuhalten ist.
    Grundlage des gesamten Konzepts wäre die Rekonstruktion der gegenwärtigen Phase der Herrschaftsgeschichte.
    Die Imitatio Christi wäre heute neu zu schreiben. Zentral wäre hierbei die Kritik jener Identifikation, die Thomas a Kempis hineingebracht hat, die ans Selbstmitleids appelliert. An ihre Stelle wäre die Identifikation mit den Armen, den Fremden, den Unterdrückten zu setzen. Nur so wäre dem Begriff der Nachfolge: d.h. der Idee der Übernahme der Schuld der Welt zu genügen. Das Selbstmitleid gehört zu den tentationes, vor denen das Herrengebet warnt.
    Die Deutschen (das einzige Volk, das sich selbst als anderes, als fremdes Volk: als Barbaren begreift) haben nicht sich, sondern der Welt die Tarnkappe übergeworfen: deshalb sehen sie sie nicht mehr. Sie sehen in gut idealistischer Tradition nur noch das in der Welt, was sie selbst in sie hineinlegen, hineinprojizieren. Sie bleiben an den Grund des Selbstmitleids gefesselt.
    Eine Unsterblichkeitslehre, die nicht die Rettung der Menschheit mit einbegreift, bleibt gefesselt an das Selbsterhaltungsprinzip (die Hypostase des Selbstmitleids); die Idee der Unsterblichkeit aber wird denunziert, wenn man sie an die Selbsterhaltung bindet. Das Selbstmitleid ist der Grund des Selbsterhaltungs- und des Realitätsprinzips. Hierbei sollte nicht verschwiegen werden, daß das Selbstmitleid nicht gegenstandslos, und daß es insoweit unvermeidbar ist, als die Gestalt der Welt die Menschen zur Selbsterhaltung und zur Beachtung des Realitätsprinzips zwingt; es ist nur in Hoffnung aufzuheben: im Kontext der Gottesfurcht.
    Die (mittelalterliche) Lehre von der persönlichen Schuld schließt die Leugnung der Erbsünde mit ein.
    Ich kann ein Bekenntnis nicht fordern, ohne Heuchelei zu provozieren; deshalb hat der Ankläger immer unrecht.
    Die Stelle aus Jer. 3121f, die Radford Ruether ihrem Buch „Frauen für eine neue Gesellschaft“ als Motto voranstellt, enthält die biblische Begründung für den Satz Franz von Baaders über Strenge und Liebe.
    Das physikalische Experiment hat seine Vorgeschichte im Kontext von Inquisition und Folter, in der Geschichte der Ketzer- und Hexenverfolgung, in der Häresienfurcht und -feindschaft der Kirche. Und die wütende Reaktion der Kirche auf die Anfänge der modernen Naturwissenschaft verweist genau auf diesen projektiven Anteil.
    Das Bekenntnis Hermann Cohens ist ein falsches Schuldbekenntnis gegen eine falsche Anklage. Ihr Ziel ist die Kritik der Anklage, der Versuch, der Anklage durch Verweigerung der Komplizenschaft (der falschen „Solidarität“) den kollektiven Grund zu entziehen (Bekenntnis als Gericht über die Anklage).
    Umgekehrt argumentiert die Bekenntnisforderung nach dem Schema „mitgehangen, mitgefangen“; und: beweise, daß du nicht dazugehörst (Umkehr der Beweislast).
    Die Naturwissenschaft kennt keine Häresienbildung, wohl die politische Theorie (Baader-Meinhof-Bande, Familien-Bande, Gottsucher-Bande).
    Zum Begriff des Bekenntnisses
    oder
    über die Rehabilitierung der Gottesfurcht,
    die Notwendigkeit der Selbstbekehrung der Christen und
    die Entkonfessionalisierung der Kiche.
    Kein work in progress, sondern ein work in regress.
    Selbstheilungskräfte wachsen nicht, sondern werden vom Zustand der Verwirrung provoziert.
    „… und weinte bitterlich.“ Erst wenn die Kirche aus ihrer dogmatischen Erstarrung sich befreit, wenn die Tränen sich lösen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört.“ – Dieses Heute tritt dann ein, wenn wir begreifen, daß das Bilderverbot generell, ohne Ausnahme gilt, insbesondere auch für den kantischen Objektbegriff. Oder es tritt ein, wenn der Satz „Männer weinen nicht“ nicht mehr gilt, wenn auch Männer ihr Gesicht verlieren dürfen.
    Rosenzweig und Münchhausen: Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf (des Nichtwissens) ziehen. Aber das wäre eine idealistische Interpretation Rosenzweigs (vor der er selber nicht ganz gefeit war; und nur in dieser idealistischen Version gründet seine Nähe zu Heidegger, der dann die Probe aufs Mißlingen des Münchhausenschen Rezepts gemacht hat).
    Zum Begriff des Bekenntnisses wird man sicher zunächst an die zarteste Anwendung dieses Begriffs erinnern müssen: an die des Schuld- und des Liebesbekenntnisses. Der religiöse Begriff des Bekenntnisses in seiner Ursprungsgestalt wird weit eher in der Richtung des Namenszaubers, der Namensmagie zu suchen sein als in der des weltanschaulichen Apriori und seiner Logik. Zu erinnern wäre hier an die sehr konkrete Bedeutung der „Heiligung des Gottesnamens“ in der jüdischen Tradition, wenn beispielsweise in der Geschichte der jüdischen Mystik von der Einung des Gottesnamens magische Wirkungen erwartet werden. So war das ursprüngliche Bekenntnis das Bekenntnis des Namens (an dessen Stelle dann das Symbolum, der Schuldschein, trat: oder der Vertrag, der Erbschein, der Neue Bund).
    Der Faschismus ist nicht nur irrational. Seine Logik läßt sich ableiten aus der Bekenntnislogik. Erst wenn diese Ableitung gelingt, ist der Bann gebrochen. Zu erinnern wäre hierbei an die Aufspaltung der Heiligenverehrung nach Geschlechtern nach Ende der Märtyrerzeit, im Prozeß der Anpassung des Christentums an die Welt, seiner Umformung zur römischen Staatsreligion, sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung des christlichen Dogmas und der frühkatholischen Kirchenorganisation: da erscheinen der männliche Confessor und die weibliche Virgo als neue Heiligengestalten. Bei der Trennung wird nicht zufällig der Bekenntnisbegriff eingeschränkt auf das männliche Geschlecht, während die Frauen „in der Gemeinde schweigen“ (später dann nicht einmal mehr singen durften): nicht mehr bekenntnisfähig sind. In diesem neuen Bekenntnisbegriff sind enthalten:
    – der Antijudaismus (durch den Inhalt der Doxologie: zum Bekenntnis gehören insbesondere das Trinitätsdogma und die Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die die Juden nicht mitvollziehen können),
    – der antihäretische Grundzug (die Abgrenzung der Orthodoxie nach außen)
    – und die Frauenfeindschaft (die Neubestimmung des Subjekts des Bekenntnisses: auch heute können nur Leute wie Saddam Hussein oder George Bush das „Gesicht verlieren“, Frauen dagegen wohl nicht; das Gesicht, das man verlieren kann, ist die Maske; es hängt offensichtlich mit dem mit dem Bekenntnisbegriff ganz wesentlich verbundenen Begriff der Person zusammen; auf dem Schauplatz der Geschichte gibt es eigentlich nur Männer; wer hier sein Gesicht verliert, kann seine Rolle nicht mehr spielen; deshalb dürfen Männer nicht weinen, nur stolz sein).
    Das Bilderverbot wird auf eine ebenso subtile wie verhängnisvolle, kaum fassbare und nur im Kontext einer Kritik der christlichen Theologie im ganzen begreifbaren Weise durch Einführung des Personbegriffs in die Theologie verletzt (Anwendung des Vermummungsverbot auf die Theologie).
    Die Instrumentalisierung der Opfertheologie war unvermeidbar, solange die Theologie es versäumte, durch Erinnerungsarbeit den mythischen Bann des Opfers (oder den Bann des Mythos) aufzulösen, anstatt das Heidentum in einer Form nur zu „überwinden“, die dann auch Bekehrungskriege (und die Kriegslogik des Zwangsbekenntnisses, zuletzt die Vernichtungslogik des faschistischen Weltanschauungskrieges) möglich machte.
    Eine Kreuzestheologie ist möglich, wenn sie
    – die Reflexion auf Auschwitz mit einbezieht und
    – durch Erinnerungsarbeit zum Sprechen gebracht wird (für die beispielsweise Walter Burkerts „Wildes Denken“ einsteht, aber auch die systematische Stellung des Mythos in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“).

  • 10.01.91

    Die Person ist Gegenstand von (Wert-)Urteilen: darin ist der Zusammenhang der Wertphilosophie mit dem Personalismus bei Scheler begründet. Als Urteilsobjekt aber kann die Person nicht „ich“ sagen (erst die – logisch nicht haltbare – Hypostase des „Ich“ kann zum Gegenstand gemacht werden: das idealistische Absolute).
    Ich und Du: Im Liebesbekenntnis wird der Geliebte als göttliches Du angesprochen; darauf antwortet er mit dem Schuldbekenntnis: Ich bin nur ein Mensch. So wird der Schuldzusammenhang aufgelöst: durch Ausbreitung dieser Liebe. – Das Christentum hat dieses Verhältnis auf die Beziehung zu Jesus tendentiell eingeschränkt und so dogmatisch verdinglicht (im christlichen Bekenntnis, in dem die Spuren dieses Verhältnisses noch zu erkennen sind: insbesondere in der Lehre von den zwei Naturen in Christus; das verdinglichte Bekenntnis ist dann zum Modell des politischen Zwangsbekenntnisses geworden – um den Preis der falschen Vergöttlichung des Staates (des falschen Gottessohns), der Hypostasierung des Staates als Prinzip der Anklage, der Stabilisierung des Herrendenkens und des ihm korrespondierenden Verhältnisses des Bewußtseins zur Objektivität, der Erhaltung des so unauflösbar gewordenen Schuldzusammenhangs). Die Ausbreitung durch Nachfolge (in der das Verhältnis von Liebes- und Schuldbekenntnis erlösende Kraft gewinnt) ist von den Kirchen seit je unterbunden worden. – Hierauf beziehen sich die Sätze Adornos: „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“, und: „der Ankläger hat immer Unrecht“.
    Vor diesem Hintergrund ist die Physik ein Teil der Staatsphilosophie, und ihre Kritik ist ein notwendiges Moment der Kritik an der Selbsterhöhung des Subjekts (der „Empörung“), die stabilisiert und der Reflexion entzogen wird durch eine gleichsam mystische Partizipation an der richtenden Gewalt des Staates. Die Geschichte dieser „Empörung“ läßt sich ablesen an der Geschichte des Natur- und des Weltbegriffs (oder der Herrschaft des Trägheits- und des Tauschprinzips).
    Gibt es außer dem Natur- und Weltbegriff noch eine dritte Hypostase des Rosenzweigschen Begriffs des Alls (neben der Neutralisierung des Schöpfungs- und Erlösungsbegriffs durch den Natur- und Weltbegriff die des Offenbarungsbegriffs durch den Begriff der Wissenschaft)?
    Raum und Zeit werden nicht von außen an die Dinge herangetragen (oder die Dinge von außen in sie hereingebracht), sondern haften den Dingen an wie das Schneckenhaus der Schnecke. Jedenfalls ist das die mit dem Relativitätsprinzip verbundene Vorstellung. Das einzige Objekt, dessen Beziehung zu Raum und Zeit sich nicht unter diese Vorstellung bringen läßt, ist das Licht (Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: niemand kann über seinen eigenen Schatten springen). Was bedeuten eigentlich das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Identität von träger und schwerer Masse für den Stellenwert des Inertialsystems?
    Kabarett, Satire, Empörung oder der Genuß, Recht zu behalten: daher die Wirkungslosigkeit des Kabaretts? Lachen als Identifikation mit dem Aggressor (Lachen und Konstituierung des Inertialsystems)?
    Alle Religionen tragen heute museale Züge, sind anachronistisch. Gleichwohl gibt es keine Religionskriege mehr. Wenn Kriege so bezeichnet werden (vom Nordirland-Konflikt bis zur Golf-Krise), dann hat das real nur die Bedeutung, daß auch obsolet gewordene Religionen Stellungen des Bewußtseins zur Objektivität repräsentieren und damit Verhaltensweisen stabilisieren, die rationale Konfliktlösungen zumindest erschweren, wenn nicht ausschließen. Die Eröffnung und Begründung von Friedensmöglichkeiten muß die Selbstreflektion der durch religiöse Traditionen bedingten Blockaden von Konfliktlösungsstrategien mit einschließen (im Golf-Konlikt die kritische Selbstreflektion der drei Buch-Religionen).
    Ontologie, Wissenschaft und Sprachzerstörung, die „verandernde Kraft des Seins“: das Sein (die Kopula, der indikativische Satz, das apodiktische Urteil) nagelt das Objekt fest, macht es überhaupt erst zum Objekt: setzt es – durch Verwandlung in ein Objekt des Wissens – unter Narkose, durch Subsumtion unter die Vergangenheit (gewußt wird nur das Vergangene, und die Natur nur insoweit, als sie unter die Vergangenheitsform sich bringen läßt). Das Sein ist das sprachliche Äquivalent des Inertialsystems und des Tauschprinzips in der Wissenschaft: Es macht wie diese das Ungleichnamige gleichnamig, es zerstört die Sprache.
    Das heutige naturwissenschaftliche „Weltbild“ (das gegenständliche Korrelat eines an Reproduzierbarkeit und Intersubjektivität gebundenen Wahrheitsbegriffs, in dem das Subjekt nicht mehr vorkommt) zieht seine Teilhaber zwangsläufig in den Bann des Vergangenen mit herein. Insoweit ist es ebenso zwangsläufig atheistisch (und jeder Versuch, mit naturwissenschaftlicher Begründung eine Rehabilitierung der Religion zu betreiben, schändet die Religion). Grundlage einer Kritik der Naturwissenschaften ist die Idee des seligen Lebens, ihr Modell die Lehre von der Auferstehung der Toten, nicht die von der Unsterblichkeit der Seele: d.h. die Kritik der Naturwissenschaften verknüpft die Idee einer Resurrektion der Natur (aus dem Totenreich des Inertialsystems) mit der einer Resurrektion des Subjekts (der Befreiung, Erlösung vom Inbegriff und von der Hypostasierung der Selbsterhaltung: vom Bann der Identität und von der Idee des transzendentalen Subjekts).
    „Die Ablösung der Herrschaft über Menschen durch die gemeinschaftliche Verwaltung von Sachen“ wäre nur möglich, wenn sich beides wirklich voneinander trennen ließe (vgl. P. Bulthaup: Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften, S. 139). Die Vorstellung, beides ließe sich trennen, fällt hinter die Dialektik der Aufklärung zurück; sie resultiert aus dem undurchschauten Stellenwert der Naturwissenschaften, aus der unbegriffenen Stellung des naturwissenschaftlichen Bewußtseins zur Objektivität. Dazu paßt es, wenn P.B. in seinen Bemerkungen über die Offenbarungsreligion (S. 120ff) unbewußt in antisemitische Konstrukte hineingerät (er hätte vielleicht doch einmal die Propheten und Hermann Cohen lesen sollen).

  • 07.09.90

    Bekenntnisse fordert, wer selbst verdrängen muß (und Liebesbekenntnisse, wer an seiner eigenen Liebe zweifelt): Das Zwangsbekenntnis (als säkularisierte Form des Bekenntnisses) ist Ausdruck der (selbstverschuldeten) objektiven Verzweiflung an der Erlösung. Cohen: Hat denn jemals jemand wirklich daran geglaubt?

    Welt-Kritik und Bekenntnis sind nicht äquivalent, wohl aber deckungsgleich; das säkularisierte Bekenntnis (das Bekenntnis, das den Bedingungen der Welt gehorcht) ist eine contradictio in adjecto. Liebes- und Schuldbekenntnis sprengen den (Schuld-)Zusammenhang der Welt und eröffnen die Sphäre, in der Theologie allein möglich ist.

    Die Öffnung im System die Physik, die Einstein in der speziellen Relativitätstheorie entdeckt hat, (die innere Grenze des Objektivationsprozesses) ist durch die nachfolgende zweite Instrumentalisierung (durch die Quantenphysik) wieder zugeschüttet (verstellt) worden. Mit dieser Konstellation hängt es zusammen, wenn in diesem Bereich die Naturbeherrschung nicht ganz gelingen will, wenn einerseits der gegenständlichen Interpretation (der dinglich-modellhaften Anschauung der Prozesse) objektive, unüberwindliche Grenzen gesetzt sind und andererseits der Objektbereich mit nicht mehr beherrschbaren Nebenwirkungen behaftet ist (Strahlungsprozesse, exzessive Lebensfeindlichkeit neuer chemischer Verbindungen: Entstehung hochgiftiger und krebsverursachender Substanzen). Der Schlüssel zum Verständnis dieses Bereichs liegt in der Bestimmung der objektiven Bedeutung der Lichtgeschwindigkeit (erklärbar durch ein nur in den „Phänomenen“, zu deren Konstituentien die Lichtgeschwindigkeit gehört, wirksames Moment, das als eine Art Zeitspiegelung sich beschreiben läßt; angegriffen und instrumentalisiert wird gleichsam das der Materie inhärente Zukunftsmoment; hier löst sich auch das Rätsel des Korpuskel-Welle-Dualismus, dessen Konstruktionselemente sich wie natürlich hieraus ergeben). – Hier löst die Physik ein, was in der Theologie bewußtlos begonnen wurde: die Instrumentalisierung (und damit die Neutralisierung, schließlich die Vergiftung) der Utopie.

  • 19.08.90

    Der christliche Missionstrieb rührt u.a. daher, daß die eigene mangelnde Glaubensfähigkeit der Absicherung und Unterstützung durch die Unterwerfung aller anderen unter den nichtgeglaubten Glauben notwendig machte. Die Zweifel (im Anblick der Ungläubigen draußen) waren allein nicht zu ertragen. Oder: erst wenn alle glauben, ist die Wahrheit des Glaubens gesichert. Das letzte Hemmnis waren die starrsinnigen, verstockten Juden, deshalb die irrationale Wut.

    Oder: Der Kampf gegen die Häresien hat im Dogmatisierungsprozeß den Glauben so bestimmt, daß er gegen jeden Einwand gesichert erschien, aber eigentlich nicht mehr geglaubt werden konnte (der Glaube wurde so definiert, daß er, ohne geglaubt werden zu müssen, als kirchliches Bekenntnis vorgeschrieben werden konnte). Darauf beziehen sich Cohens „wer hat denn jemals dran geglaubt“ und Adornos „heute ist schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal“. Den gottsuchenden Glauben haben die Häresien verbraucht; so wurde er von den Kirchen verworfen.

    Wenn die Welt das Weltgericht ist (das Urteil über die Vergangenheit), dann ist das Jüngste Gericht das Gericht über das Gericht (seine Umkehr): der Sieg des Erbarmens, die Rettung der besiegten Vergangenheit; und dessen Vorläufer: das parakletische Denken. Der Historismus identifiziert sich mit dem Weltgericht: er verkündet das „Urteil der Geschichte“.

  • 07.08.90

    Die Materie ist nicht nur tot, sondern Ursprung, Telos und Inbegriff der Vergängnis, der Sterblichkeit; der genaue innerphysikalische Ausdruck davon ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (hier bewegt sich nicht ein Objekt im Raum, sondern der Raum in sich selber). Hängen die Menschheitsgefahren, die heute von der Atomphysik und von der Chemie ausgehen, damit zusammen? (Physikalisch wie ökonomisch?) – Rührt Erich Fromms Begriff der Nekrophilie an diese Bedeutung des Materiebegriffs?

    „Das lyrische Gedicht ist das Bekenntnis, welches die Seele selbst von ihrem innersten und innigsten Erlebnis ausspricht“ (H.Cohen, S. 433): Bei der Analyse des Bekenntnisbegriffs das Liebesbekenntnis nicht vergessen: dies ist der erhabene rationale Kern jedes Bekenntnisses: es nährt sich aus dem Licht der Versöhnung. – Aber das Symbolum ist weder ein lyrisches Gedicht, noch ein Liebesbekenntnis. Und das Zangsbekenntnis ist obszön; es erfüllt genau den biblischen Begriff der Unzucht (des Götzendienstes): es ist die Einbruchstelle des Heidnischen ins Christentum, der nicht bekehrte Quellpunkt des Schuld- und Verblendungszusammenhangs (dessen Wirkung ins Zentrum der christlichen Erlösungslehre hineinwirkt: in die Lehre vom Opfertod als einem stellvertretetenden Sühneleiden).

    Das Dogma: das an der Kälte der Welt und des Herrendenkens erstarrte Bekenntnis.

  • 15.05.89

    Die Vergöttlichung Jesu ist das genaue Pendant seiner Instrumentalisierung. Seine Instrumentalisierung ist sowohl der Grund als auch das Modell der Instrumentalisierung der Welt (der europäischen Aufklärung). – Hat auch der Instrumentalisierungsprozeß drei Anwendungsobjekte: Gott, Welt und Mensch?

    Die Einheit der Welt wird konstituiert durch die Einheit des Subjekts (des Denkens). Die Begriffe Universität und Universum: die Einheit der Wissenschaft und das in eins Gewendete der Objektivität (der „Welt“) gehören zusammen. Aber ebenso wie die Einheit der Wissenschaft sich nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch methodisch, verfahrensmäßig und verwaltungsmäßig definieren läßt, ebenso gibt es die hier zugrunde gelegte Einheit der Welt nicht mehr außer im Sinne eines ganz abstrakten, nicht mehr einzulösenden Titels (Hermann Cohen hat recht, wenn er gegen die Einheit Gottes Seine Einzigkeit reklamiert..)

    Warum nennt Kant den Sternenhimmel „erhaben“? Kann es sein, daß der Anblick eines Unendlichen, das durch Denken nicht mehr aufzulösen ist, genau durch diese ästhetische Kategorie ausgedrückt wird?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie