Derrida

  • 13.6.1995

    Die Wahrheit des Dezisionismus ist das Bewußtsein des ungeheuren Gewaltpotentials, das der Zivilisationsprozeß erzeugt hat.
    Mit dem Begriff der Intersubjektivität ist schon eine apriorische Vorentscheidung getroffen, die innerhalb der Philosophie nicht sich rückgängig machen läßt.
    Intersubjektivität entscheidet den Hegelschen Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Anderen, bringt das Eine zum Verschwinden. Ins Deutsche übersetzt heißt Intersubjektivität: Anpassung an die Welt, wie sie nun einmal ist. Das eröffnet dann den Spielraum fürs „Experimentieren“, tastet aber die Maschine nicht mehr an.
    Der Begriff der intersubjektiven Vernunft verletzt das Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen.
    Philosophie und Projektion: Es stimmt, daß wir nur das erkennen, was wir in die Dinge hineinprojizieren (und der Begriff der Intersubjektivität sanktioniert diese Projektion, die eine kollektive ist). Nur daß wir im Prozeß dieser Projektion den eigenen blinden Fleck herausarbeiten, dessen Reflexion dann die Philosophie wäre. Die Hegelsche Philosophie (Hegels Logik) ist dieser gleichsam entfaltete und durchorganisierte blinde Fleck.
    Zu Metz: Die „Verweltlichung der Welt“, das ist die Entfaltung des blinden Flecks.
    Kann es sein, daß die memoria passionis mit dem Gebot der Feindesliebe konvergiert? Oder umgekehrt: Ist nicht das Gebot der Feindesliebe der Hebel, mit dessen Hilfe Moderne und Religion gemeinsam auszuhebeln wären, damit beide sich erfüllen? Was in der Verweltlichung der Welt sich herausarbeitet, ist der „Feind“, in dem wir uns selbst (unser eigenes Angesicht) erkennen. In diesen Zusammenhang gehört das Wort vom Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. – Ist nicht die Aufklärung der Feind, in dem die Kirche sich selbst erkennen würde, wenn sie aus dem eigenen blinden Fleck heraustritt? Und ist nicht Religion selber heute der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort?
    Die memoria passionis gewinnt konkrete Gestalt erst im Kontext des parakletischen Denkens. Und der Universalimus kommt zu sich selber in dem Satz, daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken (zusammen mit dem Jeremias-Wort, daß keiner den Andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen).
    Hat Hegel nicht, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die Logik transponierte, die transzendentale Ästhetik erst recht unangreifbar und undurchschaubar gemacht?
    Warum gibt es in der ganzen Adorno-Schule niemand, der einen Kommentar zu Hegels Logik schreibt? Das Potential, das den Bann hätte lösen können, war da.
    Der Titel des Werks von Hermann Cohen „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ ist bis heute uneingelöst. – Vgl. insbesondere die Bemerkung Cohens, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, die Emmanuel Levinas dann so verschärft hat: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. Hierin liegt das Programm der Gotteserkenntnis, der Grund der Unterscheidung von Gebot und Gesetz und die Dekonstruktion des Begriffs der Intersubjektivität (die das Subjekt zum Objekt seiner eigenen Formen der Anschauung macht).
    Das Angesicht ist eine logische Konstruktion: die Grenze, an der die Logik sinnlich wird.
    Der Begriff ist ein Totengedenken und Hegels Philosophie ein Heldenfriedhof (und Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ ein Versuch, selber noch einen Platz auf diesem Heldenfriedhof zu erhalten). Aber wäre nicht dieses Totengedenken aufzusprengen, in ihm die Kraft des Namens wiederzuerwecken, denn Gott ist kein Gott der Toten (und: Laßt die Toten ihre Toten begraben).
    Der Mörfelder Wald ist durchsetzt von Erinnerungen an die Startbahn-Auseinandersetzungen, in denen kommunikatives Handeln durch Schlagstock und Wasserwerfer erfahren werden konnte.
    Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns hat das hilflose Postulat des gewaltfreien Diskurses an die Stelle der Reflexion der Gewalt gesetzt: Sie hat der eingreifenden Argumentation entsagt und, ohne es noch zu bemerken, ihr Vertrauen in die Kräfte des sich selbst regulierenden Marktes, die selber eine der Quellen der Gewalt ist, gesetzt.
    Als der Studentenprotest aus der Öffentlichkeit herausgeprügelt worden ist, ist die raf in die Studentenbewegung hineingeprügelt worden.
    Es gehört zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, wenn es nicht gelungen ist, Derrida’s unverschämte Benjamin-Kritik öffentlichkeitswirksam zu destruieren.
    Wäre nicht die Frage von Maimonides, ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal da gewesen ist, auch in die christliche Theologie mit aufzunehmen: Muß Christus, wenn er wiederkommen wird, notwendig das Antlitz dessen tragen, der im Stall geboren wurde und am Kreuze starb?
    Theologie im Angesicht Gottes wäre nicht mehr religiös, sondern politisch.
    Der Name der Theologie wäre zu retten, wenn der Logos die Erinnerung an den Begriff in sich tilgen und die Kraft des Namens in sich wachrufen würde. Schwieriger wäre es mit dem Namen der Philosophie: Hier wäre aus der Sophia das Abgeklärte zu entfernen.
    Die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt hängt auf eine sehr merkwürdige Weise mit der Fähigkeit zur Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung zusammen: Die subjektiven Formen der Anschauung erbringen (gemeinsam mit dem Weltbegriff) eine Vorleistung, deren Reflexion die der Gewalt überhaupt erst ermöglicht.
    In dem Augenblick, als man den Raum durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen in ihm definierte, als man ihn gegen die Zeit verselbständigte, zusammen mit der Geometrisierung des Raumes, wurde die Idee der Umkehr destruiert. Über diese Logik hängen Orthogonalität und Orthodoxie mit einander zusammen.
    Zur Geschichte der Scham (zu ihrer Ursprungsgeschichte im Sündenfall) gehören auch die Benennung der Tiere durch Adam und die Erschaffung der Eva. Gehört nicht der Tierkreis zur Benennung der Tiere durch Adam, das Planetensystem zur Vertreibung aus dem Paradies und zum Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert?

  • 11.08.93

    Ist nicht die Bühne ein Inertialsystem, und das Schauspiel, die Oper ein ästhetisches Korrelat der Physik?
    Opfer, Tragödie, Schauspiel: Ist das nicht ein Teil der Geschichte der Ausbildung der Raumvorstellung?
    Hat die Salbung des Königs etwas mit der Einbalsamierung der Toten, insbesondere des Opfers, zu tun? Ist der König nicht das gerettete (das wieder auferstandene) Opfer, der Kaiser hingegen die Verkörperung des philosophischen Monotheismus (der Einheit der Welt)? Was bedeutet dann die Krone, hatten die israelischen Könige eine Krone (David: 1 Sam 1230, 1 Chr 202; Joasch: 2 Kön 1112, 2 Chr 2311)? Ist die Krone der Kranz des Siegers oder der Kranz des Siegers ein Abbild der Krone? Hat nicht (nach der Legende) Karl der Große sich selbst die Krone aufs Haupt gesetzt?
    Natur und Welt werden durch den Einbruch der Subjektivität (genauer: der Intersubjektivität) getrennt.
    Es fehlt eine Kritik der indogermanischen Sprachen.
    Reicht nicht Rosenzweigs Bemerkung, daß das Äquivalent der modernen Technik in der alten Welt die Rhetorik gewesen sei, tiefer, als er selbst es gewußt hat: Sind nicht die sogenannten klassischen Sprachen des Altertums Ingenieursprodukte?
    Was verändert sich in der Sprache mit und nach der Entdeckung der Schrift? Welche innersprachlichen Voraussetzungen müssen für die Entwicklung der Schrift gegeben sein, und welche Rückwirkungen hat die Schrift auf die Sprache (Zusammenhang mit der Tempelreligion, dem Tempelbau, der Tempelwirtschaft: War die Schrift der Turm von Babel)?
    Ist das Christentum nicht ein Produkt der griechischen und lateinischen Tradition, bei gleichzeitiger Instrumentalisierung der jüdischen (wodurch unterscheiden sich die griechischen von den lateinischen Kirchenvätern)?
    Welche ökonomische Entwicklung liegt der Entdeckung des Winkels und welche der des Inertialsystems zugrunde?
    Auf das Futur II und die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit antwortet der Logos mit einer Art Zeitumkehr: mit der Übernahme der Sünde der Welt und der Hereinnahme der schöpferischen Kraft des Wortes in die Schöpfungsidee. Wird hier nicht verständlicher, was mit dem homologein gemeint ist? Und gewinnt nicht erst hier das von den Kirchen entsetzlich verharmloste Wort vom Binden und Lösen seinen ungeheuren Sinn?
    Sind nicht die drei evangelischen Räte Ansätze oder Teile des Versuchs, den Wiederholungszwang endlich zu durchbrechen, der Katastrophe, die darin besteht, daß es immer so weitergeht, Einhalt zu gebieten?
    War nicht der Untergang des Zweiten und Dritten Reiches (die Ergebnisse der beiden Weltkriege) ein zweistufiger Weltuntergang? Oder waren sie nicht die Nachwehen (und ein spätes schreckliches Echo) jenes Weltuntergangs, dessen Zeuge Hegel war? Ist nicht das Erste Reich untergegangen, als Hegel seine Phänomenologie des Geistes schrieb?
    Der 68er Marxismus war von einer erschreckenden Banalität, eigentlich doch nur ein Rechtfertigungskonstrukt privater Probleme der 68er Generation: der Generation der verlorenen Söhne. Sie lebten von dem Gefühl, neu und unbelastet in die Welt gekommen zu sein und haben die Last der Vergangenheit (auch in ihnen selber) offenkundig falsch eingeschätzt.
    Zum Weltbegriff: Wird hier nicht seit seinem Ursprung eine entstehende Atombombe mit einem Rettungsboot verwechselt? Die Geschichte der Welt ist das Maß für das Anwachsen der kritischen Masse der Selbstzerstörung.
    Kritik des Weltbegriffs als Weissagung des Jüngsten Gerichts: Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
    Das Zeichen des Jona: Jona, der vor dem Prophetenamt nach Tarschisch flieht, wird ins Meer geworfen, vom großen Fisch verschlungen, betet im Bauch des Fischs, wird wieder ausgespien und geht dann nach Ninve, um zu verkünden: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört. Und welche Folgen hatte das?
    War die BALM der große Fisch?
    Wo und in welchem Kontext kommt die Auferstehung im AT vor (Jes 2619, Ez 37, Dan 122f, Hos 1314, 2 Makk 79, 1244f)? Alle im Zusammenhang mit der Unterwerfung Israels unter die Weltreiche (Assur, Babylon, Griechen)?
    Privatexistenz heute: das Ersticken im Komfort; das Fernsehen: der Schnuller im Mund; die Medien als Drachenfutter? Aufgabe der Medien heute: den Leuten die Welt, von der sie leben, vom Leibe halten?
    Wäre nicht Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit endlich fortzuschreiben? Ist nicht Habermas der Mentor einer Wiederbelebung einer Theologie, die längst an den Naturwissenschaften erstickt ist? Gemeinsam mit Bloch, dessen große mystische Inspiration nach seiner marxistischen Bekehrung zur Rhetorik verdampft ist. Und wäre es nicht fortzuschreiben unter dem Aspekt:
    – Distanz zu den Frankfurtern (Verwerfung der Idee einer Rettung der Natur) und
    – im Hinblick auf die gegenwärtige Engführung des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ selber (die Hilflosigkeit und die Ohnmacht der Öffentlichkeit gegen dem, was jetzt sich zuträgt: Zusammenbruch des Ostblocks und Nichtgelingen der „Wiedervereinigung“, Ausbruch der Nationalismen, Verschärfung der ökonomischen Weltsituation; Fremdenhaß, Haß auf das Sichtbarwerden von Armut, Situation der Frauen)
    Hat nicht Habermas mit dem Ausklammern der „Naturfrage“ der Erinnerungsarbeit die Wurzeln abgeschnitten, dem einzigen Hilfsmittel gegen eine immer mehr in der eigenen Logik sich verstrickenden Öffentlichkeit? Ist der Verzicht auf die Kritik an den Naturwissenschaften nicht der Grund für den affirmativen Öffentlichkeits- (und Welt-) Begriff, an dem Habermas festhält, und der seinem Diskurs-Konzept zugrundeliegt (und ihn so harmlos macht)? Ist nicht die Abwehr der Postmoderne (ein Gemeingut der Habermas-Schule) die Abwehr dessen, der sich ertappt fühlt? Ist nicht die Verwechslung des Fremden mit dem Andern das, was die Habermas-Schule mit der Postmoderne verbindet, nur daß Derrida daraus die logischen Konsequenzen zieht, während Habermas die Früchte der Frankfurter Schule weiterhin ernten möchte, aber den Baum längst abgehauen hat? Weiter hilft nur die Einsicht, daß der Begriff des Anderen systemimmanent bleibt (und das Anwachsen der kritischen Masse mit befördert), während nur der des Fremden das System sprengt (bzw. die Sprengkraft des Systems auflöst). Zum Adorno/Benjaminschen Konzept der Säkularisierung aller theologischen Gehalte: Diese Säkularisierung setzt die Erinnerungsarbeit voraus, die Rekapitulierung der theologischen Gehalte. Denn: Auch die Naturwisenschaften sind eine Gestalt der restlosen Säkularisation der theologischen Gehalte, aber eine bewußtlose und die automatische und universale Verdrängungsarbeit fördende. Opfertheologie und Christologie sind Gestalten einer Logik, deren blindes und bewußtloses Fortwirken in den Zivilisationsprozeß selber eingewandert ist und, um des Begreifens dieses Prozesses willen, durch Erinnerungsarbeit der Bewußtlosigkeit zu entreißen ist.
    Die Physik ist der Stein vorm Grab der Vergangenheit: Wer wird ihn fortwälzen?
    Die ersten sechs Siegel (Off 6): die vier apokalyptischen Reiter, die Seelen der Märtyrer und Sonne, Mond und Sterne (die vom Himmel fallen wie ein Feigenbaum seine Blätter abwirft).
    Muß nicht, wer die Lehre von der Auferstehung ernst nimmt, die Unsterblichkeitslehre, die die Welt verrät, indem sie sie affirmativ rezipiert, verwerfen?
    Zur prophetischen Tradition: Neben dem Votum für die Fremden steht das für die Witwen und Waisen, wobei das für die letzten beiden gemeinhin zusammengefaßt wird als Votum für die Armen. Aber gehören die Frauen (die Witwen) nicht konstitutiv zu den Armen: Wer sind die Witwen? Sind es nicht die, die wie die Fremden und die Armen nur noch herausfallen aus den Strukturen des Patriarchats? Die Töchter leben unter dem Schutz des Vaters, die Frauen unter dem ihres Mannes, aber die Witwen fallen nur noch heraus. Müßte es heute nicht heißen: das Votum für die Fremden, die Armen und die Frauen?
    Wo wurde das Konzept der „narrativen Theologie“ entwickelt? Verdacht der Ambivalenz: Ist es nicht auch ein Kozept der Remythisierung, der Neutralisierung des kritischen Gedankens? (Gefahr, daß mit dem Urteil, dem Begriff, auch das Gebot, die Lehre, verworfen wird.)

  • 09.05.93

    Die mikrologische Arbeit ist der Versuch, den Bann, unter dem der Begriff steht, durch Reflexion aufzulösen: die Sache selbst zum Sprechen zu bringen.
    Ableitung des Konstrukts, wonach es heute nicht mehr auf die Tat, sondern aufs Nicht-erwischt-Werden ankommt, aus der Logik des Begriffs, die darin übereinstimmt mit der Logik der politischen Sprache. Kohl bleibt solange unwiderlegbar, und das Verhängnis ist nicht aufzuhalten, wie es nicht gelingt, die Logik des Begriffs (das darin enthaltene Moment der „List der Vernunft“) zu entschlüsseln. Diese Logik ist ein Ausfluß des trinitarischen Konzepts, die das Konzept der Opfertheologie und das der Schöpfung und Entsühnung der Welt mit einschließt.
    Die vollständige Säkularisation aller theologischen Gehalte setzt die Kritik der falschen Säkularisation, der die christliche Tradition verfallen ist, voraus.
    Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten hat Wurzeln, die durchs Christentum begossen und zum Wachsen angeregt, zum Blühen und Fruchttragen gebracht worden sind, und deren Früchte wir heute genießen. An diesen Früchten wird man es erkennen (vgl. das Gleichnis vom Feigenbaum).
    Der Hund und die subjektiven Formen der Anschauung, oder die Trennung von Sehen und Gesehenwerden: Das Zeitalter des Antichrist wird das Antlitz des Hundes tragen. Die subjektiven Formen der Anschauung als Formen des Angeschautwerdens begreifen: das ist der Schlüssel zum Verständnis der kantischen Philosophie.
    Das Nichts in der Lehre von der creatio mundi ex nihilo wird als ein nihil absolutum vorgestellt, aber das ist nicht denkbar. Dieses Nichts, dieses nihil absolutum war ein Konstrukt zur Begründung einer göttlichen Autorität, die mit Seinem Namen Mißbrauch treibt. Durch dieses nihil absolutum ist die den Herrschenden seit je gefährliche Lehre von den göttlichen Namen destruiert worden. (Liegen nicht überhaupt die Wurzeln des Derridaschen Dekonstruktionskonzepts in der Geschichte der dogmatischen Theologie und in der Konsequenz ihrer blasphemischen Logik?)
    Das Wort vom Binden und Lösen geht nicht nur an Petrus, sondern zugleich auch an die Jünger, an die Gemeinde.
    Eine Leiche im Keller, an der alle ihren Schuldanteil haben, paralysiert heute die Politik.
    Ist nicht der „Wissenschaftsbetrieb“ ein Betrieb im Sonnemannschen Sinne, und der Positivismus eine Berufskrankheit, gegen die sich die Schutzimpfung durch die kritische Theorie nur bedingt als wirksam erwiesen hat?
    Das Hinter dem Rücken und der Weltbegriff als Grund und Inbegriff des leeren Objekts, oder „auf dem Bauche sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen“, oder die dritte Leugnung, oder über den Ursprung des Autismus in Kirche, Wissenschaft und Staat (die Privatisierung von Religion, Wissenschaft und Politik).
    Ist der Autismus nicht ein Produkt der verandernden Kraft des Seins, kommt in ihm nicht die sprachzerstörerische Kraft des Nominalismus auf seinen Begriff?
    Ist die Schlange nicht deshalb das klügste aller Tiere, weil sie das Bewußtsein, von einem Unerkennbaren erkannt zu sein, verinnerlicht hat? Der Preis hierfür war es, (wie an der astronomischen Begründung der modernen Naturwissenschaften nachzuweisen wäre) auf dem Bauche zu kriechen und Staub zu fressen.
    Wissenschaft lebt von der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Produktions- und Kontrollmechanismen und der Leugnung der Spontaneität der Erfahrung.
    Der Samen der Schlange ist der Objektbegriff (das leere Weltenei).
    Die Geschichte der drei Leugnungen ist die Geschichte des historischen Objektivationsprozesses: die Geschichte von Herrschaft, Schuld und Verblendung, die Herstellung jenes Zustandes, den Jeremias als „Schrecken um und um“ beschreibt.
    Zustand der Theologie: die offizielle. lehramtliche Theologie ist die der dritten Leugnung; alle Ausbruchsversuche aber sind bis heute auf Identifikationen mit dem Aggressor hinausgelaufen (bei Metz direkt nachweisbar im ersten Teil seiner Theologie der Welt).
    Wie hängt das Votum für die Armen und die Fremden mit den sieben Werken der Barmherzigkeit zusammen?
    Die Geschichte der Kirche und der Theologie hat Teil am Abstieg zur Hölle (deren „Pforten“ sie nicht überwältigen werden).
    War Kohl nur im Katholizismus möglich?
    Nicht nur das Überzeugen, auch das Widerlegen ist unfruchtbar: Beide gehorchen dem Bekenntnisprinzip und der Bekenntnislogik (ist nicht das Ideologieproblem ein Problem der Bekenntnislogik? Wie verhalten sich Weltanschauung und Ideologie?).
    Im Autismus kommt der Objektbegriff zu sich selber, der Autismus ist eine Form der Isolationshaft (wie die deutsche Staatsmetaphysik). Wie verhält sich der Autismus zur Paranoia und zur Schizophrenie, ist er nicht die Systemeinheit beider (und darin Modell und Produkt des Objektbegriffs)? Rührt daher die besondere Art des autistischen Sprachverlusts (moderne Version der Stummheit des Helden)? Das Kaninchen vor der Schlange, der Anblick der Medusa oder der Schrecken Isaaks.
    Laufen nicht alle, die heute auf Identitätssuche sind, in die Autismusfalle?
    Die transzendentale Logik ist eine Fernsehlogik: Man sieht, aber wird nicht gesehen.
    Drückt nicht die Schlottsche Hypothese (in Adelheid Schlott: Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, München 1989, S. 21f), die die Buchstabenschrift aus der Rezeption der Fremdsprachenschrift anderer (im Falle der Phönizier: Handels-) Völker herleitet, sich aufs genaueste im Namen der „hebräischen“ Schrift aus? (Woher kommen die Namen Griechisch und Latein? Haben die Griechen sich selbst Griechen genannt?)
    Die hebräische Sprache ist eine Objektsprache in dem Sinne, daß sie davon lebt, die Dinge selber zum Sprechen zu bringen.
    Ist nicht die Identität von Sprache und Volk (auf dem Grunde der Idee der Schicksalsgemeinschaft) ein Produkt der modernen Welt (die englische, französische, deutsche Sprache)? Wie drückt sich das in den modernen Sprachen aus? Sind nicht die hebräische, die griechische und die lateinische Sprachen im Kern Kunstsprachen?
    Läßt nicht an der Schlottschen Theorie vom Ursprung der Schrift sich das metaphorische Element der Sprache und der Ursprung seiner Notwendigkeit und seiner Depotenzierung (seines Verfalls) zugleich nachweisen? Das metaphorische Element läuft übers Prädikat und mündet ein im Begriff.
    Die Hegelsche Geschichtsphilosophie führt das kontrafaktische Urteil ad absurdum: in der Idee des Absoluten. Vergleiche hierzu den ungeheuerlichen und blasphemischen Satz, dieses von Hegel umgeformte Schillerzitat, am Ende der Phänomenologie des Geistes:
    aus dem Kelche dieses Geisterreiches
    schäumt ihm seine Unendlichkeit.

  • 15.04.93

    Der interessanteste und der entscheidende Teil der kantischen Kategorientafel ist der dritte. Der erste und zweite Teil definieren die Brille, durch die hindurch der dritte gesehen wird, während der vierte dieser Brille die objektive Realität verschafft. Das Entscheidende ist das Moment der Gefangenschaft im System (der Isolationshaft), das dadurch zustande kommt, daß, wohin man sich auch wendet, man keinen Ausweg findet; der Ausweg ist versperrt durch das Prinzip der Reversibilität der Richtungen im Raum. Diesem Prinzip der Reversibilität verdankt sich die Struktur der homogenen Zeit: Die Reversibilität ist der Ausdruck der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Die Geschichte vom Hasen und Igel drückt das aufs genaueste aus.
    Was ist das Neue beim Noe:
    – die Sintflut mit der Verheißung, daß sie nicht noch einmal kommen wird und mit dem Bogen als Bestätigung;
    – das neue Essensgebot: mit der Erlaubnis des Fleischessens (das das Töten von Tieren mit einschließt);
    – der Weinanbau: Noe ist der Erfinder des Weinanbaus und der erste Trunkene;
    – Sem, Ham und Jafet, das Aufdecken der Blöße und der Ursprung der Knechtschaft.
    Haben Sem und Jafet etwas mit der Unterscheidung der semitischen und indogermanischen Sprache zu tun? Ham (zu dessen Söhnen Kanaan gehört) ist der Vater des Knechts beider. Was bedeuten die Namen Sem, Ham und Jafet?
    Luther hat „dem Volk aufs Maul geschaut“: Hat seine Bibel-Übersetzung die Schrift dem Volk nur mundgerecht gemacht? Liegt nicht die Erinnerung an die Doppelbedeutung des Gerichts nahe?
    Hängen die Prä- und Suffixe mit dem Nominalisierungsprozeß der Verben zusammen? Während die Suffixe in der Regel den Nominalisierungsprozeß abschließen, besiegeln, nehmen die Präfixe die Präpositionen in das Verb mit herein, ordnen damit die Verben den Deklinationen (dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang der casus) zu.
    Kommt dem Präfix be- nicht insofern eine Sonderstellung zu, als es den Mechanismus selber ausdrückt: die Identität von Empörung und Unterwerfung und die Identifikation mit dem Aggressor (das genaue Äquivalent des Raumes in der Sprache). Wenn ich ein Haus bewohne, beherrsche ich es durch meine eigene Unterwerfung unter seine Gesetze (Zusammenhang mit dem englischen to be?).
    Anwendung auf den Begriff des Bekenntnisses (Prinzip der Instrumentalisierung der Religion: es macht sie „bewohnbar“). Ist das Schuldbekenntnis die Umkehrung des Zwangsbekenntnisses?
    Wie verhält sich die Bekehrung zur Umkehr? Auch das reflexive Sich-Bekehren ist nicht identisch mit der Umkehr: Hier tut man sich nur selber an, was einem sonst von außen angetan wird. Sind nicht die Naturwissenschaften die Bekehrung der Natur (hier liegt der Grund des christologischen Naturbegriffs)?
    War nicht Alexander, der Schüler des Aristoteles, auch der erste große „Bekehrer“ (der den Barbaren die Zivilisation gebracht hat)? Als er den gordischen Knoten durchschlug und Asien unterwarf, war das nicht die prophylaktische Verwandlung der Umkehr in die Bekehrung?
    Man muß die Gewalt der Sprache von der Sprache der Gewalt unterscheiden. Was heißt Sprachgewalt?
    Walter Benjamins Erörterungen zum Begriff der Gewalt, seine Unterscheidung zwischen der rechtsetzenden und rechterhaltenden Gewalt (und der göttlichen, befreienden Gewalt), ist weder deduktiv abzuleiten, noch unterliegt sie der empirischen Überprüfung, sondern sie hat eine Schlüsselfunktion: sie erschließt neue Erfahrungsbereiche. Aber wenn einer nicht bereit ist, diesen Schlüssel auf seine Erkenntnisse anzuwenden, kann er ihn nur noch als unbrauchbar verwerfen; aber das ist dann sein Problem und keins des Textes von Walter Benjamin. Walter Benjamin hat als erster das transzendentallogische Problem des Rechts begriffen: daß auch das Recht (im Kontext von Begriffen wie Welt, Natur und Materie) ein Instrument zur Organisation von Erfahrung ist, dessen Begründung ohne Rekurs auf Gewalt (die ohnehin in den Fundamenten der transzendentalen Logik mit drin steckt) nicht möglich ist. Derrida ist ein Rutengänger der Philosophie, aber er vermag die Goldadern, auf die er stößt, nicht selber auszubeuten.

  • 04.04.93

    Wirft nicht der Gebrauch des Begriffs des Staats in der folgenden Formulierung: „… so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgend eines Dinges erraten oder erforschen zu wollen“ (Kr.d.r.V., S. 219), ein neues Licht auf die Widmung des Werkes?
    Kants Kritik des Idealismus läuft in letzter Konsequenz auf die Ethik als prima philosophia und den Vorrang des Angesichts hinaus (durch die Widerlegung der Innerlichkeit). Seitdem ist eine Vorstellung des seligen Lebens, die nicht die Erlösung der Welt mit einschließt, nicht mehr zu halten.
    Rousseau, dessen ungeheure Bedeutung für die Geschichte der europäischen Aufklärung Derrida wieder in Erinnerung gerufen hat, hat durch seinen Naturbegriff das Rätsel des Ursprungs der Schrift unlösbar gemacht und die Unlösbarkeit in seinem Versuch über den Ursprung der Schrift selber demonstriert. War nicht der deutsche Idealismus überhaupt erst möglich, nachdem durch Rousseau das Schriftproblem zu einem Problem der wissenschaftlichen Erkenntnis geworden ist (und damit für die Philosophie neutralisiert worden ist).
    Ist es ein Zufall, daß die einzige Stelle, an der die Hegelsche Philosophie ein in der Philosophie sonst unbekanntes satirisches Niveau erreicht, die über die physiognomischen Theorien Lavaters ist? War dieser Aufwand für die Hegelsche Philosophie deshalb erforderlich, weil nur so das andringende Problem des Angesichts abgewehrt werden konnte? Verweist das nicht auf das affirmative Moment in jeder Form des politischen Kabaretts, das die Erinnerungsbereitschaft verhindert, indem es sie im Lachen explodieren läßt? Das wirklich befreite Lachen wäre ein vom Bann der Entfremdung (vom Bann des Raumes) befreites Lachen. Wird in Büchners „Lenz“, als Lenz begreift, daß der Mond nur eine leere Steinwüste ist, das (den Atheismus begründende) Lachen nicht zum Bellen (die Hunde, die den Mond und den Spaziergänger anbellen: sie wachen nur, aber sie beten nicht)? Ist nicht das Lachen des Lenz ein selbstreferentielles Sich-selbst-Auslachen, ein Lachen nach Innen? Daß einem das Lachen im Halse stecken bleibt, verweist auf die Physik, die zum Kloß im Hals der Theologie geworden ist.
    Nochmal bei Böll (Und sagte kein einziges Wort) die Beschreibung der Physiognomie der Prälaten nachlesen: die Unterscheidung des fanatischen Asketen vom hinterhältigen Genießer (beide Physiognomien tauchen bei den Nazis wieder auf: als SS-Offizier und Reichsleiter)?
    Ist scheol, das biblische Modell der christlichen Hölle, nicht in der Tat das Grab?
    Es ist wahr: Über Geschmack läßt sich nicht streiten, aber gleichwohl ist der Geschmack kritisch zu reflektieren (zum Bruch zwischen Theorie und Praxis). Ist nicht sapientia reflektierter Geschmack? Wie hängen sapientia, Geschmack und Gericht mit einander zusammen?
    Wenn die Musik aus dem Bauch kommt, besteht dann nicht die Gefahr, daß das Herz in die Hose rutscht?
    Wie paßt der Grundsatz „in mundo non datur casus“ (Kr.d.r.V., S. 232) zu Wittgensteins „Die Welt ist alles, was der Fall ist“? Auf der gleichen Seite beweist Kant, daß Selbsterkenntnis „ohne Beihülfe äußerer empirischer Anschauungen“, und d.h. ohne Weltreflexion, nicht möglich ist.

  • 03.02.93

    Wozu benötigt die Sprache das Futur II? Hat das Futur II (als sprachlicher Kern des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs) etwas mit dem babylonischen Turm, der bis zum Himmel reichen sollte, zu tun? Ist sie der Ursprung des Falls (die Antizipation des Selbstmords)? Das „Es wird gewesen sein“, die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, begründet mit dem Selbsterhaltungsprinzip die wechselseitige Äußerlichkeit der Dinge im Raum, sie konstituiert damit die Raumvorstellung selber: die die Orthogonalität und die Reversibilität der Richtungen im Raum begründenden Logik. Sie begründet das abschlußhafte, die Dinge wie die Vergangenheit abschließende Wissen, seine vergegenständlichende Kraft, die in der Trennung und wechselseitigen Konstituierung von Natur und Welt sich manifestiert.
    Das Futur II neutralisiert den Wunsch und das Gebot; es ist der Grund des Gesetzes, ein Graecum, kein Hebraicum. Es hat mit dem Orakel und mit den Auguren zu tun, nichts hingegen mit der Prophetie. Es ist der sprachliche Grund und Reflex der Subjektivierung des Schicksals (der Philosophie und des Weltbegriffs) und insoweit das reale Korrelat der Geschichte des Turmbaus zu Babel.
    Zielt nicht der katholische Gebrauch des Begriff des Fundamentalismus heute auf die Wahrheit selbst: sich selbst erfüllende Projektion?
    taz, 03.02.93 („Unterm Strich“): Die Redensart „Aus Saulus wird
    Paulus“, aus einem schlechten Mensch wird ein guter Mensch, fußt nach neuesten Bibelforschungen auf falschen Voraussetzungen. Der Apostel habe seinen ursprünglichen Namen niemals abgelegt, sei zeitlebens Jude geblieben und gelte fälschlicherweise als Mitbegründer des Christentums, erklärte der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide in einem AP-Gespräch. Saulus, der später als zweiten, römischen Namen Paulus angenommen habe, habe sich nie zum Christentum bekehrt. „Das Wort Bekehrung kommt in der sogenannten Damaskus-Vision überhaupt nicht vor, sondern es heiße dort Berufung zum Apostolat“, erläutert der in Frankfurt am Main lebende Religionswissenschaftler. Nach der Überlieferung hatte Paulus auf dem Weg von Arabien nach Damaskus die Vision, daß Jesus ihn zum Apostel berufen wolle. Mit dem Menschen Jesus ist Paulus jedoch nie zusammengetroffen. Zu Petrus und Jakobus soll Paulus einmal gesagt haben: „Meine Vision der Auferstehung war wichtiger als eure Begegnung mit dem irdischen Zimmermannssohn.“ Als ein wesentliches Forschungsergebnis bezeichnet es Lapide, daß sich Paulus entgegen der Überlieferung im Galater-Brief niemals in Arabien aufgehalten habe. Vielmehr sei er von Arawah (hebräisch Steppe) nach Qumran gegangen, die beide am Toten Meer liegen. Den Weg habe Paulus zu Fuß oder auf dem Esel in etwa einer halben Stunde bewältigt. Qumran, wo im Jahre 1947 die berühmten Schriftrollen gefunden wurden, habe früher den Beinamen „Damaskus in der Wüste“ getragen, erläutert Lapide. So sei fälschlicherweise überliefert worden, Paulus sei von Arabien nach Damaskus in Syrien gegangen. Gegen die klassische Überlieferung spreche auch, daß es damals etwa von Riad nach Damaskus eine Achttagereise gewesen wäre, erklärte der Neutestamentler. Die berühmten Qumran-Rollen, Handschriften vor allem aus Büchern des Alten Testaments, wurden 1947 in einer Höhle von Beduinen entdeckt, die auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege waren. „Die meisten Rollen sind aus Leder, wenige aus Papyrus und nur zwei aus Kupfer“, erläutert der Neutestamentler. Da Wissenschaftler noch heute dabei seien, die Rollen auszuwerten, werde spekuliert, daß mit einer Gesamtveröffentlichung „die Einzigartigkeit von Jesus und seiner Botschaft geschmälert“ werden könnte. (Zusatz taz: Oh weh, oh weh.)
    Die „Beschreibung des Holocaust“ von James E. Young rührt an einen zentralen Punkt: an das Problem des Schreibens heute überhaupt und an das Verständnis der Schrift. Nähe zur „Grammatologie“ von Derrida und zum „Widerstreit“ von Lyotard. Erinnerung an die Selbstmorde von Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan (unsere Mitschuld daran, weil wir nicht bereit waren, den Schrei aufzunehmen). Lyotards Reflexionen über das vollkomene Verbrechen rühren an ein Problem der Sprache, für das Auschwitz auch steht: an die Unfähigkeit, den Bann der Gemeinheit zu sprengen und zugleich die rechtlichen Kriterien der Zeugenschaft zu erfüllen. Dazu ist an den Kontext des Logos-Begriffs und das „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, …“ zu erinnern, die das Problem in einen realen theologischen Zusammenhang rückt. Läßt sich über Auschwitz erst im Kontext der Idee der Auferstehung (oder erst nach der Auferstehung der Toten) schreiben? Rückt das die deutsche Abwehr der Postmoderne nicht doch in ein anderes Licht? Und hat es nicht doch verhängnisvolle Folgen, wenn dieser Diskurs in Deutschland fast nur abgewehrt und die Postmoderne wie eine Häresie verfolgt wird?
    In Auschwitz ist der Weltbegriff mit untergegangen, er ist seitdem für die Theologie nicht mehr brauchbar. Auschwitz ist der Maelstrom, dessen Poe’sche Beschreibung Adorno als Motto vor seine Kierkegaard-Arbeit gesetzt hatte: der Wirbel, der die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt. Wir leben in diesem Wirbel und halten ihn immer noch – unter dem Bann der subjektiven Form der äußeren Anschauung, des Raumes – für eine ruhende Welt. Auschwitz ist der Beweis dafür, daß der Logos die Last, die wir ihm aufbürden, indem wir die Nachfolge verweigern (und die Erscheinungen für die Dinge an sich halten), nicht zu tragen vermag. Die Last ist endgültig auf uns übergegangen.
    Erinnerungsarbeit und Vergangenheitskolonialismus: Solange wir glauben, die Richter der Toten sein zu können, richten sie uns.
    Zeugenschaft und Eingedenken: Dieses „Das darf nicht vergessen werden“ ist das zentrale Motiv, nicht die Widerlegung der Leugner.
    Zu Otto F. Best (FR von heute): Die Deutschen haben keinen Witz, weil sie Witze machen. Dadurch unterscheiden sie sich u.a. von den Franzosen. Witz ist die Fähigkeit zur Sprachreflexion, die das Witze-Machen durch seine verdinglichende, vergegenständlichende Gewalt (durch Gelächter) zerstört. Der deutsche Witz ist eine xenophobe und paranoide Notwehraktion (Indiz der verfolgenden Unschuld). Karl Kraus hat einmal darauf hingewiesen, daß die Deutschgesinnten in der Regel des Deutschen nicht mächtig sind. (Vgl. Adenauers Wort: „Je einfacher Denken ist eine guten Gabe Gottes“. Einschlägig scheinen auch die Satzeinschübe Kohls zu sein, wie z.B.: „das werde ich an dieser Stelle sagen dürfen“, mit denen Kohl seine Rede unterbricht, um sein Erstaunen darüber auszudrücken, was er hier wieder einmal sagt, und mit denen er zugleich sich selbst ermächtigt, es zu sagen. Das liegt auf der gleichen Ebene wie seine eigene Unfähigkeit und die anderer Mitglieder seines Kabinetts, zu den xenophoben und antisemitischen Ausschreitungen der letzten Zeit überhaupt auch nur einen vernünftigen Satz zu sagen. Zugrunde liegt die allgemeine Erleichterung darüber, daß wir nach der wiedergewonnenen Einheit uns keine Zurückhaltung mehr auferzulegen brauchen und endlich wieder sagen dürfen, was wir denken; die Irritation durch die ausländerfeindlichen Ausschreitungen wird real verdrängt und verschoben auf das bedauernswerte Unverständnis des Auslands für diese deutsche Eigenart, auf die wir leider noch Rücksicht nehmen müssen.)
    Die verandernde Kraft des Seins ist der Grund des Weltbegriffs, sie wird durch durch die Gewalt des Weltbegriffs unumkehrbar. Der Weltbegriff ist die verandernde Kraft des Seins als Totalität.
    Ist nicht der augustinische Satz, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört, eine direkte Konsequenz aus dem Kernkonstrukt der dogmatischen Theologie: der Opfertheologie. Hier liegt der Grund, daß in der kirchlichen Tradition die Buße nur noch als Leiden verstanden wird, und nicht als Tun: die Umkehr ist gegenstandslos geworden. War nicht das Bild der Hölle ohnehin das Produkt einer projektiven Verarbeitung des Bewußtseins, daß die Gläubigen selber für sich und für die anderen die Hölle sind (mit der Exkulpierung von Herrschaft, der Legitimierung des staatlichen Gewaltmonopols, und einem Begriff der Sexualität, in dem die politische Ohnmacht bewußtlos sich reflektierte, als dem Herd des ewigen Feuers)?
    Das Wort von den Pforten der Hölle (Mt 1618): ou katischysousin autäs, sie werden sie nicht überwältigen.
    Die Rehabilitierung Galileis durch Johannes Paul II scheint mir auf den Versuch hinauszulaufen, den Kloß im Hals der Theologie, zu dem die Naturwissenschaften geworden sind, jetzt endlich zu schlucken: aber wird die Kirche nicht daran ersticken?
    Das Dogma war der Preis, den der Staat und die Philosophie für die Rettung des Welt- und des Objektbegriffs zahlen mußten.
    Hegels Satz, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, müßte eigentlich unters kirchliche Abtreibungsverbot fallen (durch den affirmativen Weltbegriff hat die Theologie sich selbst abgetrieben).
    Zur deutschen Staatsmetaphysik gehören neben dem Gewaltmonopol des Staates und dem Staatsanwalt auch das deutsche Staatsexamen.

  • 29.10.92

    Sind die Orden nicht in der Tat ein Hinweis auf die Geschichte der (inneren und äußeren) Verweltlichung der Kirche, von den Eremiten, über die Gemeinschafts- und Armutsorden zum verweltlichten Gehorsamsorden der Jesuiten.
    Das Paradigma Natur und Welt hat die Welt höchst folgenreich gegen Gott und Mensch gekürzt. Der Naturbegriff leugnet die Auferstehung, der Weltbegriff die Schöpfung. Und die Kritik der Welt schließt das Votum für die Armen, die der Natur das für die Fremden mit ein. Es ist der Bann beider Begriffe über unser Bewußtsein, der die Sprache heute entmächtigt, depotenziert, sie ihrer benennenden Kraft beraubt. Seitdem verliert das Argument seine Kraft, es dankt ab gegen die einzige noch unmittelbar einleuchtende Instanz: die Gewalt, die in der Einrichtung der Welt sich manifestiert. Das Hegelsche Absolute war der Widerschein dieser Gewalt.
    Wie hängen das Votum für die Fremden und das für die Armen mit dem Vater und dem Sohn zusammen: Bezieht sich darauf das Hervorgehen des Geistes (des Parakleten: des Beistands)? Der Fremde rührt an den Grund des Angesichts, der Arme an den der Barmherzigkeit.
    Die Welt ist der Deckel auf der unerlösten Natur. Dessen genaueste Beschreibung findet sich in Elias Canettis „Masse und Macht“.
    Im Bilde der Primitiven und Wilden wird Ursprung und Ende der Menschheit zugleich vorgestellt. Nicht nur die Tieren, sondern in diesem Kontext auch die Anfänge der „gesellschaftlichen Entwicklung“, die sogenannten Primitiven und Wilden, erinnern an ein abgründiges Unheil in der Urzeit. (Kann es sein, daß die Velikovskysche Katastrophen- (Venus-) Theorie zu ergänzen oder zu korrigieren wäre durch Einbeziehung geologischer Katastrophen, zu denen auch die Trennung der Kontinente gehören müßte.)
    Das Lachen Abrahams und Saras und der Schrecken Isaaks sind Momente der Selbsterfahrung des Fremdseins.
    Die Klage über die „Unfähigkeit sich trösten zu lassen“ (Zeit der Orden, S. 30) ist nicht ganz unproblematisch. Angesichts der Unerlösbarkeit der Welt noch den kirchlichen Trost der Erlösungszuversicht haben zu wollen, ist irrational und blasphemisch. Da ist es fast schon komisch, wenn die Kirche feststellt, daß da niemand mehr ist, der sich von ihr trösten lassen will.
    Der Abschnitt über die „Ehelosigkeit“ (in dem Band über die Orden) ist merkwürdig blaß und abstrakt, auch seine Begründung. Das Ganze wäre wahrscheinlich unter dem Titel Keuschheit genauer zu bestimmen gewesen, wenn dieser aus den traditionellen sexualmoralischen Konnotationen herausgelöst und in den politischen Zusammenhang des prophetischen Gebrauchs der Begriffe Hurerei und Unzucht gestellt worden wäre (zusammen mit Erinnerung an den Ursprung der Scham im Sündenfall: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, und der Aufnahme des Adornoschen „ersten Gebots“ der Sexualmoral: „der Ankläger hat immer Unrecht“: der Lösung der Sexualität aus dem Bann des Baums der Erkenntnis). Der zentrale Stellenwert der Sexualmoral in der christlichen Tradition ist viel weniger christlich als vielmehr ein gesellschaftliches Erbe aus der Zeit des Ursprungs der Anpassung des Christentums an die Welt (ein Erinnerungsmal an den Ursprung des Weltbegriffs selber), und damit sicherlich ein zentraler Punkt der Erinnerungsarbeit, die heute zu leisten wäre.
    Zum Gehorsam: Gehorsam kommt vom Hören und ist der eigentlich prophetische unter den evangelischen Räten; insbesondere hier, im Begriff des Gehorsams, ist das herrschaftskritische Moment, das der Prophetie und dem Hörenkönnen gemeinsam ist, endlich zu entdecken; der Gehorsam ist endlich aus dem autoritären Bann zu lösen.
    Die Umkehr, ohne die es keine Nachfolge gibt, hat nicht mehr nur eine einfache Richtung, sondern sie ist in sich selber differenziert (Verhältnis des einen zu den sieben unreinen Geistern).
    Der Hinweis (Jenseits bürgerlicher Religion, S. 13), daß die bürgerliche Religion „in der schwächlichen und unparteilichen Art, in der sie sich über alle leidvollen Gegensätze spannt, gar keine wirklichen Gegner mehr hat“, wäre zu ergänzen: außer sich selbst.
    Das Futur II gehört zu den Gründen der Welt.
    Die Differenz, die sich daraus ergibt, ob das Ja und Amen Jesu auf die Welt oder auf die göttlichen Verheißungen sich bezieht, drückt sich auch im Selbstverständnis der Theologie und in ihrem Verhältnis zur Kirche aus.
    Mir ist der Jonas, der in den Bauch des Fisches gerät, dann Ninive den Untergang ansagt und schließlich darüber enttäuscht ist, daß Ninive gerettet wird, lieber als Tobias und Tobit, die den Fisch erlegen, selber gerettet werden, aber dann mit ansehen müssen, daß Ninive zerstört wird.
    Wenn Drewermann mit einem deutlich empörten (und antisemitischen) Unterton die Psalmen „altorientalische Rachegesänge“ nennt, so vergißt er, daß wir, durch die Konstruktion der Welt, in der wir leben, selber die Rache nur noch kalt genießen. Die Rache ist längst in als Bindekraft in die Fundamente der Welt mit eingegangen: Sie ist die Sünde der Welt, die Jesus nach dem Wort des Täufers auf sich (nicht hinweg) genommen hat; und hierauf bezieht sich das Nachfolgegebot. Wie tief die Rache in der Konstruktion des Gewaltmonopols des Staates und des Rechts, das hierauf gründet, drinsteckt, wird deutlich, wenn man das Wirken der Generalbundesanwaltschaft oder des Bundeskriminalamts und auch der Staatsschutzgerichte näher betrachtet; hiermit hängt es rechtssystematisch zusammen, wenn Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Wenn in Deutschland der öffentliche Ankläger Staatsanwalt heißt, wenn der Staat selber sich zum Prinzip der Anklage gemacht hat, und den Staatsanwalt zu seinem Anwalt, so schirmt er sich damit nur gegen die Reflexion dieses Zusammenhangs ab und macht ihn damit umso gefährlicher: So ist er jeder Kontrolle entzogen. Als (verständliche, wenn nicht notwendige) Rache rechtfertigt sich immer noch jede Untat. In jeder Empörung steckt etwas von dieser Rechtfertigungs-, d.h. Exkulpierungsautomatik.
    Vorschlag für eine Reform des Rechts in Deutschland:
    – den Staatsanwalt wie in anderen zivilisierten Ländern öffentlichen Ankläger nennen (der Tradition der deutschen Staatsmetaphysik die Grundlage entziehen);
    – die Anerkennung der Trunkenheit als Strafmilderungsgrund gesetzlich ausschließen (und damit eine Quelle der Gewalt verstopfen).
    Der Begriff des Andern ist nicht nur systemimmanent, sondern zugleich der Systemgrund, der am Ende in der Selbstzerstörung des Systems durchschlägt (in diesen Kontext scheint der Derridasche Dekonstruktivismus zu gehören).
    Die selbstgestellte Aufgabe der Fernsehsendung „Weltspiegel“ scheint es zu sein, den Schrecken, den der Zustand der Welt heute auslöst, durch Empörung zu neutralisieren, und noch das Elend als Mittel zur Einübung des Herrendenkens zu nutzen.
    In der Xenophobie reflektiert sich die unverarbeitete Erfahrung des Gewaltmonopols des Staates in der vom Marktparadigma beherrschten Gesellschaft.
    Was J.B. Metz gelegentlich über Einstein (der ein schlechter Schüler und ein langsam Lernender war) berichtet, gehört mit zur Einsteinschen Wende.
    Die christliche Sexualmoral verwechselt die Reflexion der Blöße mit dem Aufdecken der Blöße. Die Befreiung entspringt der Reflexionsfähigkeit, die die Sexualmoral als Mittel des Urteils über andere unbrauchbar macht.
    Es gibt schon zuviel Vergangenheit, von der wir glaubten, erinnerungslos Abschied nehmen zu können, und die seitdem erinnerungslos verschollen zu sein scheint, in Wahrheit jedoch nur verdrängt ist.
    Die Geschichte des Christentums basiert auf der Verinnerlichung des Schicksals (und somit auf der Geschichte der Philosophie), und sie ist selber Teil der Geschichte der Verinnerlichung von Herrschaft (und damit eine wesentliche Ursache der Verweltlichung der Welt, die am Ende die Herrschaftsmetaphorik, die die christliche Religion historisch, im Dogma wie in seinen Institutionen geprägt hat, aufzehrt: die Geschichte der Entzauberung ist die Geschichte der Aufzehrung dieser Herrschaftsmetaphorik, der Aufzehrung des Bewußtseins der Herrschaft von sich selbst: der Erinnerungslosigkeit).

  • 24.08.92

    Worauf beziehen sich die von Heinsohn (S. 49) aufgeführten Stellen über pharmakeia = Zauberei? Sie gehören zu einem Verworfenheitskatalog, zu dem auch Unzucht, Mord u.ä. gehören. Bezieht sich der Begriff der Zauberei nicht eher auf den dämonischen (instrumentalisierenden) Gebrauch des Opfers (der sich u.a. im Handel fortsetzt)? Und entstammt der Hexenwahn (wie auch die kirchliche Sexualmoral, in deren Geschichte sie hereingehört) nicht der patriarchalischen, verdinglichenden Umdeutung dieses Begriffs der Zauberei?
    Im Kontext der Auslegungsgeschichte des Begriffs der Zauberei (d.h. im Kontext der Geschichte der christlichen Sexualmoral, der Hexenverfolgung und der gegenwärtigen Abtreibungskampagne) läßt sich präzise bestimmen, was das Neue Testament die Sünde wider den heiligen Geist nennt.
    Dämonisch ist der Hexenwahn: diese Art der projektiven Zauberei-Unterstellung.
    Unsere Theologie heute ist die Gestalt gewordene Prophetie-Empfängnis-Verhütung. Und das kirchliche Lehramt ist (als Gottesfurcht-Vermeidungs-Institut) ein einziges Präservativ, ein Theologie-Verhüterli. Wirksamstes Instrument dieser „Empfängnisverhütung“ ist der verdinglichte (dogmatisch sich objektivierende) Wahrheitsbegriff.
    Mit dem Beginn der Hexenverfolgung verliert die Kirche, zusammen mit der prophetischen, ihre häresienbildende Kraft. Und die neue Orthodoxie: das sind (als Gestalten subjektloser, technisch verdinglichter Prophetie) die Naturwissenschaften, zu deren Vorgeschichte die Judenfeindschaft, der Kampf gegen die Häresien und die kirchliche Frauenfeindschaft als Ursprungsbedingungen dazugehören.
    Heinsohn und Götz Aly/Susanne Heim: Merkwürdig, daß sowohl die Hexenverfolgung als auch der Holocaust (die größten gesellschaftlichen Naturkatastrophen) fast zwanglos aus bevölkerungspolitischen Konzepten (aus dem Versuch, das Armutsproblem durch technologische bevölkerungspolitische Konzepte zu lösen) sich herleiten lassen.
    Christologie, die Vergöttlichung des Opfers, oder der schizogene Naturbegriff. Die double-bind-Strukturen reichen in die Trinitätslehre und den Naturbegriff zurück und enthüllen sich der Kritik als symbiotische Herrschafts- und Exkulpierungs-Instrumente.
    Natur, Pan und Panik, oder die Installierung des Schreckens.
    Der Raum und das Lachen: Hegels Philosophie wird vom Gelächter eingeholt (vgl. Derridas Hinweis auf Bataille). Das Gelächter als Reaktion auf Hegels Begriff der Aufhebung entspricht dem Lachen in Büchners „Lenz“ und dem Ursprung der Lehre „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Nietzsches. Dieses Gelächter bringt das Hegelsche Absolute zu Fall. Aber das hat Hegel selbst gesehen; Heine hat es notiert. Und das Hegelsche Weltgericht ist nur ein anderer, emphatischer Ausdruck für die lakonische Feststellung Wittgensteins: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“
    In der Ausländerfeindschaft, im Fremdenhaß (im sogenannten Asylantenproblem), explodiert die kirchliche Tradition des Kampfes gegen die Heiden und gegen die Häresien. Die zentrale Funktion des Namens der Barbaren im Prozeß der philosophischen Begriffsbildung hat in der Kirche (für das Selbstverständnis des Glaubens) der Name der Heiden übernommen, der nach Bildung der National- und Volkskirchen dann leicht mit dem der Ausländer (den Nachfahren der Häretiker und der Andersgläubigen) verschmelzen konnte.
    Aus Angst vor der Wahrheit pflegen die Kirchen heute den autoritären Charakter, dieses Theologie-Verhütungs-Instrument. Zu seinen Konstituentien gehören die Xenophobie und das „No pity for the poor“.
    Das Gebot der Feindesliebe ist ein Riegel vor der Paranoia (und sprengt den Natur- und Weltbegriff). Zur Übernahme der Sünde der Welt: das verdinglichende, objektivierende Erkenntnisgesetz bedient sich des Weltbegriffs als Exkulpierungsmittel. Das Gebot der Feindesliebe, die Übernahme der Sünde der Welt und das Arglosigkeitsgebot sind drei Seiten ein und derselben Sache.
    Die Velikovsky-Heinsohnsche Venus-Theorie, das Naturkatastrophen-Konzept, das den altorientalischen (vorweltlichen) Sternen-und Opferdienst und seine Funktion im Prozeß der frühgeschichtlichen Staatenbildung begründen soll, ist ein entstellter Hinweis auf das in der Bibel mit den Begriffen Unzucht, Hurerei und Zauberei bezeichnete Problem. Und mir scheint, die Velikovsky-Heinsohnsche Theorie gewinnt einen Teil ihrer Plausibilität daraus, daß sie das Eingehen auf den patriarchalisch-frauenfeindlichen Anteil dieser Geschichte überflüssig macht (konsequenterweise muß Heinsohn genau diesen Aspekt dann auch aus der Geschichte der Hexenvervolgung wegerklären). Zumindest als Resonanzboden der Wirkung einer frühgeschichtlichen interstellaren Naturkatastrophe müßte dieser gesellschaftliche Aspekt der Naturkatastrophe im Kontext der Entstehung der Großreiche mit reflektiert werden. Die mit der Venustheorie verbundene Chronologie-Revision wird damit nicht nur nicht hinfällig, vielmehr wird so erst das Hintergrund-Problem sichtbar, das da mit drin steckt: Die projektive Ausgestaltung (Verzerrung) der altorientalischen Geschichte, die Verdreifachung von Staaten, Dynastien und Völkern spiegelt einen vergleichbaren Vorgang im gleichzeitigen Erkenntnisprozeß der Naturwissenschaften (im neunzehnten Jahrhundet). Auch hier wird gleichsam ein überflüssiger Reichtum an Fakten und Objekten geschaffen, vor dem wir heute ebenso staunend wie begriffs- und hilflos stehen. Mir scheint das historische Chronologie-Problem hängt mit dem erd- und naturgeschichtlichen durch die gleichen Erkenntnismechanismen, denen der Ursprung beider Probleme sich verdankt, zusammen. Könnte es nicht sein, daß der historischen Verdreifachung (die vor allem sprach-und schriftgeschichtlich aufzulösen wäre) eine Verdreifachung im naturgeschichtlichen Bereich nicht nur entspricht, sondern sogar zugrundeliegt: Auch hier wird in einen langen (quasiharmonischen) Evolutionszeitraum zurückprojiziert, was in anderen, (von außen gesehen:) katastrophenähnlichen Prozessen in einer ganz anderen chronologischen Folge durchsichtig zu machen wäre, wenn es gelingt, die Reflexion des Referenzsystems des naturwissenschaftlichen Objektbegriffs (des Inertialsystems) und seiner Beziehung zur Sprache in die Erkenntnis mit einzubringen.
    Ist das Chronologie-Problem ein Umkehr-Problem, ein Problem der Selbstbesinnung des Herrendenkens? (Zusammenhang mit den sieben unreinen Geistern?)
    An Heideggers Begriff des „Vorlaufens in den Tod“ ist zu ermessen, was am Ereignis des Kreuzestodes und seiner kirchlich-theologischen Rezeption aufzuarbeiten, welche Erinnerungsarbeit zu leisten wäre. Die Verwechslung des Kreuzestodes Jesu (der für seine Henker um Vergebung bittet) mit dem Tod des Sokrates (der sich mit seinen Richtern identifiziert, selber das Urteil vollstreckt) bezeichnet einen wichtigen Aspekt des Problems der Beziehung von Theologie und Philosophie (und der Opfertheologie als Brennpunkt dieses Problems).
    Die ironische gemeinte Bemerkung Heinsohns, „die Rauschmittel als Ziel der Hexenverfolgung zu behaupten, käme der These gleich, daß in Deutschland die Juden ausgerottet wurden, um die Spitzenleistungen in Physik und Mathematik zu eliminieren“ (S. 65), trifft gar nicht soweit daneben, wenn man nur das Wort „Spitzenleistungen“ durch den konkreteren Hinweis ergänzt, daß hier in der Tat mit Einstein, Weil und Minkowski die Naturwissenschaften der Grenze ihrer Selbstaufklärung in einer für den Einbruch der Barbarei gefährlichen Weise nahe gekommen waren. Dem hat dann die deutsche Sektion der Kopenhagener Schule mit Mühe und insoweit auch mit Erfolg entgegengearbeitet, als es seitdem ernsthafte theoretische Fortschritte in den Naturwissenschaften nicht mehr gegeben hat (der nächste Schritt nach der zu vermutenden Vollständigkeit des theoretischen Instrumentariums kann nur noch der der Selbstaufklärung sein).

  • 19.08.92

    Es ist schon eine merkwürdige Sache, daß das Passiv und das Futur mit dem selben Hilfszeitwort, nämlich „werden“, gebildet werden. Auch das zukünftige Handeln, insofern es vorausgesagt werden kann, ist ein passives Handeln (ein durch die Voraussage bereits bestimmtes Handeln, kein Handeln aus Freiheit). Aber diese „Voraussage“ ist nicht die der Prophetie.
    Im Deutschen wird das Futur II auch als Ausdruck einer bloßen Vermutung (in einem Satz, der sich auf ein vergangenes Ereignis bezieht, von dem ich keine sichere Kenntnis, kein Wissen, habe) gebraucht: „Er wird um diese Zeit in der Stadt gewesen sein.“ D.h. der Satz: „Er war um diese Zeit in der Stadt“ drückt nicht nur ein vergangenes Ereignis, sondern auch mein Wissen darum aus.
    Die Innenwelt ist die Außenwelt der Außenwelt.
    Nach Gen 1413 war Abram (nicht Abraham) ein Hebräer. Und „er nahm die Verfolgung auf bis nach Dan“ (1414), d.h. nach einer Region, die von seinem Urenkel den Namen hatte.
    Die Lehre von der Auferstehung der Toten eröffnet eine Beziehung zur Vergangenheit, die Theologie überhaupt erst möglich macht. Die Vorstellung, daß die Vergangenheit nicht abgeschlossen ist, gehört zu den Grundvorstellungen der Theologie. Aber die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist eine Hoffnung, die wir nicht für uns, sondern für andere hegen.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Existenz von … sind zwei Seiten ein und desselben Sachverhalts.
    Das Bekenntnis des Namens Jesu ist identisch mit der Übernahme der Sünde der Welt . Wer dem sich entzieht, leugnet ihn: Und die Geschichte dieser Leugnung ist in der Petrus-Geschichte festgehalten.
    Der Verzicht auf das moralische Außenurteil, auf das Urteil über andere, die Übernahme der Sünde der Welt und die benennende Kraft der Sprache.
    Für die vier Wesen, die nach allen Seiten Augen und Flügel haben, ist gleichsam nach allen Seiten vorn und oben, gibt es kein hinten und kein unten.
    Die Idee der Ewigkeit schließt die Vergangenheit von sich aus. D.h. zum Ewigen gehören auch die unabgegoltenen vergangenen Hoffnungen: Die Idee der Ewigkeit ist demnach ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht zu halten.
    Die Derridasche Dekonstruktion beruht auf einem Konstrukt, das den Sündenfall vor die Schöpfung setzt (vgl. Die Schrift und die Differenz, S. 311).
    Zum Unterschied zwischen Präfixen und Suffixen: Präfixe machen das Objekt zum Material einer Bearbeitung (Gegenstand einer Tätigkeit), Suffixe zum Instrument (unterschiedliche Beziehung zur Zeit: Imperfekt und Perfekt; im Perfekt gründet die Trennung von Objekt und Begriff)?

  • 05.08.92

    Auch Gewalt ist eine Gestalt der Kommunikation. Eine, die den Tod zitiert und „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ leugnet. (Zusammenhang der Gewalt mit dem, was Levinas die „Asymmetrie“ des dialogischen Prinzips nennt. Gewalt und Konstituierung des Objekts, Zerstörung der Sprache.)
    An der Bitte „Geheiligt werde Dein Name“ läßt es sich demonstrieren: In der christlichen Tradition, in der diese Bitte in die Nähe der Majestätsbeleidigung gerückt wurde, ist das theologische Element geleugnet worden, die Herrschaftsmetaphorik hat sich durchgesetzt, und das im Kontext der Rezeption des Hellenismus und der Philosophie.
    Nach dem Jesus-Wort steht vor dem Opfer die Versöhnung, nicht umgekehrt.
    Der Satz Jesu „Ich bin das Licht der Welt“ ist von der Übernahme der Sünde der Welt nicht zu trennen (Zusammenhang mit dem ersten Schöpfungstag und Einsteins Relativitätstheorie).
    Newton hat die moderne Astronomie, das Realsymbol von Herrschaft in der Moderne, begründet und stabilisiert, Einstein hat die Himmel erschüttert.
    Ist nicht der medizinisch-industrielle Komplex ein ähnlich risikoloser und gewinnträchtiger Markt wie der militärisch-industrielle Komplex?
    Das Subjekt der aristotelischen Logik ist die (griechische) Sprache; diese Logik hat noch Anteil an der benennenden (und metaphorischen) Kraft der Sprache (die Beziehung der benennenden zur metaphorischen Kraft der Sprache wäre zu analysieren). Die kantische (transzendentale) Logik gründet in der Mathematik; sie hat sich von der benennenden (und metaphorischen) Kraft der Sprache gelöst; sie ratifiziert die Selbstzerstörung der Sprache. Aber die Kritik der reinen Vernunft ist noch nicht zum Ende durchgeführt. Die Erkenntniskritik wäre als Kritik des Herrendenkens weiterzutreiben, über den Zusammenhang von Objektivation und Instrumentalisierung zu einer Kritik des Welt- und Naturbegriffs und zu einer Kritik der Bekenntnislogik. In diesem Zusammenhang wäre auch die Kritik der Gewalt als logisches Problem zu begreifen und weiterzuführen, der Zusammenhang von Schicksal, Recht und Mythos konkreter zu bestimmen und u.a. abzuleiten, daß der Derrida’sche (und Wittgensteinsche) Begriff der Mystik ein Deckbegriff für den Mythos ist.
    Benjamins Definition des Kapitalismus als Kult ohne Dogma rückt den Kapitalismus in die genaueste Beziehung zur christlich-theologischen Tradition, insbesondere zur Opfertheologie.
    Das Inertialsystem, die transzendentale Logik und die mit der Funktion des Welt- und Naturbegriffs akzeptierte Logik setzt die Zukunft als vergangen, das Vergangene als zukünftig. Das Herrendenken gründet in der Umkehrung des der theologischen Erfahrung zugrundeliegenden Zeitsinns (der mit der räumlichen Metaphorik von Oben und Unten zusammenzuhängen scheint).
    Der Weltbegriff (und der der Natur) ist nur im Kontext von Schuld zu bestimmen: Schuld ist eine theoretische (und zugleich philosophiekritische) Kategorie. Deshalb erweist sich die Ethik als prima philosophia.

  • 31.07.92

    Jacques Derrida rührt in seinen Erörterungen über den „mystischen Grund der Autorität“ („mystisch“ im Sinne Wittgensteins) an den Grund des Dezisionismus („Gesetzeskraft“, S. 53ff), dessen Folgen Christian Graf Krockow schon vor Jahren anhand der Texte von Heidegger, Schmitt und Jünger genauestens beschrieben hat.
    Nachdem er vorher sich auf Wittgenstein bezieht, benutzt D. den Begriff des Mystischen später (S. 77ff) zur Bestimmung des Grundes der Gewalt. Darin manifestiert sich eine zentrale logische Konsequenz. Mystisch heißt der Bereich, in den die Argumentation nicht mehr hereinreicht: der gemeinsame Ursprung des Dezisionismus und der Gewalt. Das reale Thema ist nicht der „mystische Grund der Autorität“, sondern der mythische Grund der Gewalt; und vor diesem Hintergrund ließe sich vielleicht die „göttliche Gewalt“ tatsächlich anders – und möglicherweise genauer – bestimmen.
    Erstaunlich, daß bei dem erreichten Stand der Benjamin-Philologie niemand bereit oder in der Lage ist, den Grund der mit Händen zu greifende Fehlinterpretation der Benjaminschen Untersuchung „Zur Kritik der Gewalt“ durch Derrida zu benennen. Er liegt an dem gleichen Punkt, an dem Derrida am Begriff der Entscheidung (s.o.) seinen „Vorbehalt gegen alle Horizonte“ erläutert, „etwa gegen den der regulativen Idee Kants oder gegen den des messianischen Ereignisses, des messianischen Kommens“ (S. 53). Dieser Vorbehalt ist einer gegen die Idee der Geistesgegenwart, die in der Tat nicht zu halten ist, solange Philosophie zurückschreckt vor der Selbstreinigung, der sie zwangsläufig sich unterwerfen muß, wenn sie sich auf die Kritik der Naturwissenschaften einläßt. Ohne die Kritik der Naturwissenschaften ist aber die (messianische) Kritik der Vorstellung einer homogenen Zeit nicht mehr zu leisten. Es beweist das Ingenium Derridas, wenn er mit dem Hinweis auf die regulative Idee Kants und das messianische Element in Benjamins Werk genau die Punkte benennt, an denen es sich entscheidet, ob Geistesgegenwart noch denkbar und möglich ist.
    „Als Erfahrung der absoluten Andersheit ist die Gerechtigkeit undarstellbar“ (S. 57): Dieser Satz, der die Postmoderne mit so unterschiedlichen Denkern wie Horkheimer und Karl Barth verbindet, verdankt sich der Verwechslung des Andern mit dem Fremden. Das (und auch der) Andere ist Teil (wenn nicht Grund) des Systems (vgl. den für die gesamte Philosophie zentralen Satz der hegelschen Logik: das Eine ist das Andere des Anderen, und Rosenzweigs Hinweis auf die „verandernde Kraft des Seins“), erst der Fremde (der unaufgelöste Name der Barbaren und die Erinnerung an die Herbräer) sprengt das System (sprengt die erkenntnisbindende Gewalt des Natur- und Weltbegriffs), er ist ohne Rückgriff auf die Theologie: ohne die Idee der Schöpfung (Kritik des Weltbegriffs) und der Auferstehung der Toten (Kritik des Naturbegriffs) nicht zu halten. Und „billiger“ ist auch der Begriff der Geistesgegenwart nicht mehr zu haben (Zusammenhang mit Benjamins Definition des Kapitalismus als „Kult ohne Dogma“).
    Der Andere ist nicht der Fremde (zur Prophetie gehört neben dem Votum für die Armen das für den Fremden, nicht jedoch das für den Anderen; die Hebräer lebten als „Fremde im Lande“), das Andere ist systemimmanent, der Fremde (wie der Arme und das Antlitz) transzendent.
    D. setzt die Differenz zwischen „dem Nationalen und dem Internationalen, dem Öffentlichen und dem Privaten“ (S. 58) auf eine Stufe (nach dem Außen-/Innen-Pardigma, zu dem die Kategorie des Anderen gehört); er hat die Bedeutung des Antlitzes bei Levinas offensichtlich nicht verstanden (allerdings scheint auch Levinas die Differenz des Antlitzes zum Außen/Innen-Schema nicht realisiert zu haben: zum Antlitz gehört als Korrelat nicht das Außen, sondern das Hinter dem Rücken; erst diese Unterscheidung begründet die Ethik als prima philosophia).

  • 07.05.92

    Kelch und Kreuz: Ist mit dem Kreuz im Nachfolge-Rat schon das Kreuz von Golgatha gemeint? Muß, wer das Kreuz auf sich nimmt, den Kelch trinken?
    Die Unbelehrbarkeit (Produkt aus Schuld und Verstockung) ist eine Konsequenz aus der Sünde wider den Heiligen Geist. Sie kann weder in dieser noch in der kommenden Welt vergeben werden.
    Jungfrauengeburt und die sogenannte „Enttäuschung der Parusieerwartung“: In beiden spielen die Mechanismen eine Rolle, die man in dem Konzept von Objektivierung und Instrumentalisierung zusammenfassen kann.
    Alle Kosmogonien haben mit dem Urknall gemeinsam, daß sie sich um die Idee der Schöpfung herummogeln, den Naturbegriff als Totalitätsbegriff festhalten wollen.
    Zu den Confessiones des Augustinus:
    – Für ihn war das Bekenntnis als Symbolum in erster Linie etwas, das sich in seiner Beziehung zu Gott abspielte; es war esoterisch, der Gottesfurcht oder der Scham unterworfen.
    – Vor den Menschen war es vorab ein Schuldbekenntnis, ein Sich-wehrlos-Machen, ein „Akt der Demut“, und zugleich ein Bekenntnis der Befreiung, mit dem Anreiz für andere, es nachzumachen. Hierin ist der ursprüngliche Sinn des Bekenntnisses noch sichtbar, aber hier ist genau der Punkt bezeichnet, an dem es umkippt in ein konfessionelles Bindemittel.
    – Das zweite große Bekenntnis in der europäischen Geschichte, das des Rousseau, ist eigentlich nur noch exkulpatorisches Bekenntnis, Bekenntnis einer schuldlosen Schuld, das glaubt, im „Zurück zur Natur“ einen Fluchtweg aus dem Schuldbewußtsein, aus der Gottesfurcht gefunden zu haben, und das dann zwangsläufig in den christologisch instrumentierten Naturbegriff führt. Es kein Zufall, daß Rousseau, die Etablierung des modernen Naturbegriffs, diese zugleich ungeheure und subkutane Wirkung gehabt hat, in der gesamten Geschichte von Spinoza über den deutschen Idealismus bis hin zu Derrida.
    – Welche Sünden bekennt Augustinus:
    . die Gier und die Eifersucht des Säuglings,
    . den Diebstahl des Heranwachsenden und
    . die Sexualität des jungen Mannes, wobei er das moralische Problem nicht in der Trennung von der Frau, mit der er zusammengelebt hat, sieht, sondern nur in der sexuellen Beziehung, die er vor der Trennung gehabt hat. Diese Kälte ist die Kirche seitdem nicht mehr losgeworden. Indiz des Zusammenhangs der kirchlichen Unsterblichkeitslehre mit dem bürgerlichen Prinzip der Selbsterhaltung, das über diese Unsterblichkeitslehre (und durch die Aufnahme des Tauschprinzips in die bürgerliche Moral) gleichsam seine theologische Weihe erhält.
    – Beim Augustinus ist der Kontext des ungeheuerlichen Wortes vom Binden und Lösen noch mit Händen zu greifen. Hat nicht dieses Binden und Lösen nicht sehr viel mit dem gordischen Knoten zu tun: den Alexander, Schüler des Aristoteles und erster Welteroberer, nur durchschlagen und nicht gelöst hat? Alexander ist geradezu die historische Verkörperung jener Beziehung von Philosophie und Herrschaft, die dann durch die Rezeption der Philosophie und durch die Übernahme des Erbes Roms in der Konstantinischen Ära von der Kirche übernommen und verinnerlicht worden ist, mit all den Folgen, die das gehabt hat.
    – Im Anfang (im Zusammenhang mit dem Satz „inquietum es cor nostrum …“) kommt die Differenz zwischen dem Anrufen Gottes und der Kenntnis Gottes zur Sprache, ohne daß sie wirklich entfaltet wird. Ist nicht das „inquietum …“ ein Fluchtversuch aus dem Bereich der Gottesfurcht?
    – Ist nicht der augustinische Gott – wie der philosophische -stumm, und wird er nicht gerade durch die dogmatische Logos-Spekulation zum Verstummen gebracht? Was ist das für ein Gott, in dem ich ruhen könnte?
    Zur euklidischen Geometrie: Ein Dreieck in einer Ebene enthält sechs Bestimmungselemente: drei Längen und drei Winkel. Von diesen sechs Elementen müssen drei gegeben sein, um ein Dreieck eindeutig zu bestimmen, mit der einen Ausnahme: Durch drei Winkel werden nur ähnliche, nicht gleiche Dreiecke bestimmt (Grund ist u.a., daß aufgrund der mathematisch bestimmten Winkelsumme der dritte Winkel keine unabhängige Größe darstellt, sondern durch die Festlegung der beiden anderen mitbestimmt ist).
    Hat das Rosenzweigsche Konstrukt Gott Welt Mensch etwas mit dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zu tun, oder auch mit dem Verhältnis von Raum und Umkehr: Oben/Unten, Rechts/ Links und Vorne/Hinten (und zwar genau in dieser Reihenfolge)? Und gründet die Ebenbildlichkeit des Menschen in der Abbildlichkeit, in der abbildlichen Beziehung des Vorne und Hinten zum Oben und Unten? Für Gott gibt es kein Hinten, für den Menschen kein für ihn gegenständliches Unten (aus diesem Satz läßt sich die gesamte Moral ableiten).
    Die Subjektivität der kantischen Formen der Anschauung wird bei Kant selber nachgewiesen durch die Antinomien der reinen Vernunft.
    Israel ist der Augapfel Gottes; deshalb entspringt mit dem Versuch, der Gottesfurcht zu entgegehen, gleichsam hinter den Rücken Gottes zu gelangen, der Antisemitismus.
    Es ist wahr: Mit dem Ursprung des Protestantismus war die häresienbildende Kraft in der Kirche erschöpft. Aber ist die Frage nicht interessanter: Wo und unter welchen Bedingungen ist die häresienbildende Kraft in der Kirche entstanden, wo ist sie entsprungen? Die Lösung dieser Frage würde die Lösung des Rätsels des Christentums mit einschließen.
    Die apologetische Bemerkung in der Einleitung zu den Minima Moralia über die Bedeutung der individuellen Erfahrung für die Philosophie wäre ihres apologetischen Charakters zu entkleiden und als schlichter sachlicher Quellpunkt einer neuen Selbstbegründung der Philosophie zu bestimmen.

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