Derrida

  • 31.12.91

    „Alle Menschen streben nach dem Wissen“, weil sie die Ungewißheit des Nichtwißbaren (und der potentiellen Schuld), der Zukunft, nicht ertragen können. Das deutsche Versicherungswesen ist gerade keine „Solidarhaftung“, sondern einerseits ein Netz, durch das zu viele hindurchfallen, und anderseits ein Abwälzen der Last auf die Nachfahren, die Zukunft, die gleichsam apriori in Schuldhaft genommen wird: ein Exkulpationssystem.
    Wer Wahrheit an die Kommunikation bindet, bindet sie an die Beweislogik, mit all den Folgen, die sich daraus ergeben (Freispruch der Gemeinheit).
    Im Zusammenhang der Hegelschen Beziehung von Volksgeist und Weltgeist müssen die Volksgeister (die Nationen) sterblich sein: deshalb ist der Idealismus antisemitisch.
    Das „die Erde bringe hervor“ bedeutet, daß die Pflanzen und die Tiere nicht unmittelbar von Gott geschaffen wurden (ausgenommen die großen Seetiere).
    Ist der Ort der erschaffenen „großen Seetiere“ das Wasser über oder das unter dem Firmament?
    Das Schicksal ist das gesichtslose Anlitz der Natur.
    Grundlage des liberum arbitrium (der Wahlfreiheit) sind das Geld und der Raum (und ihre „Freiheitsgrade“), wobei das Geld die Beschränkung auf drei Dimensionen aufhebt (das Geld korrespondiert dem „Wert“, dem Gewicht der Einzeldinge; Zusammenhang des Wertgesetzes mit dem Gravitationsgesetz: was ist hier die Sonne?).
    Die Entstehung der Schrift (Säkularisation des Bildes), der Ursprung des Geldes (des Wertgesetzes) und die Entstehung des Weltbegriffs (der Raumvorstellung) sind Teile eines Prozesses.
    Derrida: Grammatologie, S. 173: Rousseau, der Christologe des modernen Naturbegriffs. Oder: Rousseau, die Krise der Schrift und der Rückfall in die Barbarei. (In Derrida explodiert die Rousseausche Revolte der Natur – vgl. hierzu Horkheimer.)
    Die Stimme bewegt nicht die Natur, wohl aber die Ökonomie.
    Seit dem Ende des letzten Krieges herrscht in Deutschland ein geradezu wütender Rechtfertigungszwang.
    Zum Begriff der Offenbarung: Der brennende Dornbusch ist der Inbegriff (das Außenbild) der Apokalypse. Im Prozeß der Weltbildung wird die Offenbarung apokalyptisch.
    Liegt die Schuldknechtschaft (der Ursprung der hpr) vor dem Ursprung der Kriege (dem Ursprung des Handels und der Schrift)? Wann und wo ist erstmals von Kriegen die Rede? (Alle Kriege zielen auf Eroberungen: gibt es auch Erunterungen?)
    Ist die nordafrikanische Vätertheologie (der Ursprung der lateinischen Theologie in Nordafrika) punisch, hängt sie mit der Geschichte der Phönizier, mit der Erfindung der alphabetischen Schrift zusammen?

  • 09.08.91

    Geldwirtschaft gründet in Schuldknechtschaft. Der Aspekt der Herrschaft des Tauschprinzips ist insoweit irreführend, als er das Unaufhebbare am Kapitalismus verdeckt, verdrängt. Die Vorstellung, daß gleichberechtigte Warenbesitzer mit einander tauschen und dafür irgendwann ein allgemeines Tauschmittel, das Geld, einführen, erweckt den Eindruck, als sei der Reichtum schlicht vorhanden, bloß gegeben, und bräuchte im Bedarfsfall nur umverteilt zu werden. Es gibt aber keinen Reichtum, der nicht die Armut zur Grundlage hat, die er selbst produziert. Daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut zu steuern, hängt mit dem Ursprung und dem Begriff des Reichtums zusammen. Die Geschichte vom reichen Jüngling drückt genau diesen Sachverhalt aus.
    Es gibt heute – draußen und drinnen – eine Armut, die nicht mehr mit dem Argument zu rechtfertigen ist, die Armen seien selbst schuld, daß sie arm sind.
    Gibt es – neben dem Confessor und der Virgo, zu deren letzten Auswirkungen die Penner und die Huren gehören – auch die Heiligengestalt des Gerechten? Diese Gestalt des Gerechten, die kenntlich gemacht hätte, worauf das Ganze hinausläuft, scheint es im Christentum nicht gegeben zu haben. Mit dem Ursprung der Welt ist die Gerechtigkeit zu einer transzendenten, unerfüllbaren Idee geworden, das Recht als seine säkularisierte Gestalt in der verweltlichten Welt ist ein konstitutiver Teil des Schuldzusammenhangs. Erlösung war immer eine Erlösung von der Schuld, aber nicht Befreiung zu einem gerechten Leben. Das drückt sich dann aus in der Idee der Rechtfertigung, dem Kristallisationskern des mythischen Denkens in der Theologie.
    Die kantischen synthetischen Urteile apriori und die Kategorientafel sind die Konstituentien des namenlosen Objekts.
    Kann es sein, daß der Objektstatus heute nur noch zu ertragen ist, wenn er durch das, was sich heute Musik nennt, übertäubt wird. Beachte die Gesichter von Joggern: ohne Walkman verzerrt, wütend, aggressiv, mit Walkman selig lächelnd.
    Heute nagelt das Christentum die Gläubigen an das Kreuz ihres Selbstmitleids, macht sie unsensibel sowie arrogant, böse und stumm.
    Die Welt definiert sich gegen die Vorwelt durch die Vergesellschaftung der Gewalt, durch die Installation des Gewaltmonopols des Staates (durch das Recht); oder durch die damit begründete Vergesellschaftung und Internalisierung der Naturbeherrschung. Bevor sie ihren Siegeszug nach außen antreten konnte, mußte sie sich in der Gesellschaft, in den Subjekten konstituieren.
    Die staatliche Instrumentalisierung der Gewalt ist die Voraussetzung des Objektivationsprozesses, Grundlage des Weltbegriffs.
    Die Bäume in der Bibel:
    – „Von allen Bäumen dürft ihr essen“: Vorausgesetzt war das Nahrungsgebot, das die Früchte des Feldes und die der Bäume den Menschen zuwies (und den Tieren das Kraut).
    – „Nur nicht von dem Baum in der Mitte des Gartens“ (dem Baum der Erkenntnis, des Lebens?): Vom Baum der Erkenntnis haben sie dann gegessen, mit den bekannten Folgen.
    – Die Jotam-Fabel (auch der Dornbusch ist demnach ein Baum), die Zedern des Libanon, der Weinstock, der Feigenbaum, der Ölbaum, das Kreuz.
    – Gibt es zu Stammbaum eine biblische Entsprechung? Stammbaum = toledot; Stamm (Baum) und Stamm (Sippe): Jesus kommt aus dem Stamme Davids? Gibt es eine Beziehung zu den Türmen?
    Nachdem die häresienbildende Kraft mit der Reformation verbraucht war, hat es neben den Konfessionen (den säkularisierten Gestalten der Kirche) nur noch Sekten gegeben.
    Dummheit gründet im allgemeinen in mangelnder Idenfikationsfähigkeit (Aufmerksamkeit), in der Unfähigkeit, sich auf die Erfahrung des anderen einzulassen.
    Früher haben Propheten eine Situation durch Symbolhandlungen aufgeschlüsselt, heute sind Symbolhandlungen (aufgrund des Wiederholungszwangs, dem sie unterworfen sind) Formen der Selbstverurteilung.
    Opfertheologie und Instrumentalisierung gehören zusammen. Die gemeinsame Wurzel beider ist die Idolatrie.
    Der Konkretismus der Heinsohn et al. rührt her von der Unfähigkeit, das, was sie durch Naturkatastrophen hervorgerufen verstehen, aus der genetischen Struktur der Erfahrung und der Geschichte der Sprache abzuleiten.
    Fundamentalisten sind Religions-Hooligans (Bindeglied ist das Bekenntnis).
    Das Prinzip der Delegation (im postmodernen Management) scheint daraus sich herzuleiten, daß insbesondere das Unangenehme, das, was moralische Skrupel verursachen könnte, an andere delegiert werden soll. Daher kommt es, daß die Bedenkenlosesten im allgemeinen als die besten Mitarbeiter angesehen sind
    Warum gibt es keine objektive Moral, oder: warum schließt der Begriff einer moralisch begründeten Erkenntnis den Verzicht auf moralisches Urteil mit ein (Zusammenhang von Erkenntnis und Schuld: Grund des Nachfolge-Gebots)?
    Heideggers „In-der-Welt-Sein“ ist das notwendige Korrelat der begrifflichen Aufteilung des Seienden in Vorhandenes und Zuhandenes. Der reflektorische Begriff des Zuhandenen verleiht dem Dasein den Charakter des In-der-Welt-Seins. Als Zuhandenes ist das Dasein uneigentlich, als Vorhandenes eigentlich? Der Trick zieht nicht: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit sind wie Vorhandenes und Zuhandenes untrennbare Reflexionsbegriffe.
    Inertialsystem und Gravitationsgesetz gehören zusammen: sie sind zwei Aspekte der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen.
    Hat die Geschichte von Romulus und Remus etwas mit der von Kain und Abel zu tun? Auch Romulus erschlägt seinen Bruder Remus und gründet dann die Stadt Rom.
    Sind die Astralreligionen als Herrschaftsreligionen schon in der Schöpfungsordnung (Herrschaftsauftrag an die Leuchten des Himmels) verankert?
    Der Personbegriff ist die Stecknadel, mit der der Name getötet und wie ein Schmetterling aufgespießt wird; er nimmt dem Namen das Wesen: das Angesprochen- und Gehört-Werden. Sind Frauen Personen, und sind nur Personen bekenntnisfähig? Auch Gott ist nur ein Personbegriff.
    Das Inertialsystem ist das Refenzsystem, auf das alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Gesetze und Erscheinungen sich beziehen, und diese drei Begriffe bezeichnen nur drei Aspekte einer Sache (Grund der negativen Trinitätslehre).
    Die Welt ist das entstellte Antlitz der Erde, auf das sich der Satz bezieht: emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae.
    Adornos Eingedenken der Natur im Subjekt gehorcht dem Nachfolge-Gebot.
    Die Parole Rousseaus „Zurück zur Natur“, die zusammenhängt mit der romantischen Vorstellung von den edlen Wilden, fällt herein auf die christologisch begründete Hypostasierung der Natur (der Vergöttlichung des Opfers) und ist wider Willen einer der Auslöser der Barbarei. Vielleicht müßte man hierzu den zweiten Teil von Derridas „Grammatologie“ lesen.
    Die Psychoanalyse und die Psychomatische Medizin sind keine Hilfen bei der Wiedergewinnung des Subjekts, sondern verlängern den Instrumentalismus ins Subjekt hinein. Nicht zufällig sitzt der Psychotherapeut bei der Anamnese hinterm Rücken des Patienten.

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