Sünde als Voraussetzung der Erkenntnis: Diese Erkenntnis wird durchs moralische Urteil (durch die Exkulpations-Logik des Schuldverschubsystems) zum Geschwätz neutralisiert.
Die grammatischen Begriffe sind insgesamt geronnene Handlungen, Verbalabstrakta; deshalb die Suffixe -ativ/-itiv (nominare: Nominativ, accusare: Akkusativ).
Woher stammt der Genetiv/Genitiv (oder der Infinitiv)? Hat er etwas mit dem generare (erzeugen) zu tun, und ist der Genitiv Repräsentant des Zeugungs- und Adoptionsverhältnisses in der Sprache (Ableitung von Herrschaft und Besitz aus der Hurerei)? Im Griechischen wird das bar (Sohn des) durch den Genitiv wiedergegeben. Und hat nicht in der Tat jedes Herrschafts- und Besitzverhältnis eine sehr tief reichende libidinöse Komponente? Liegt hier der Ursprung der biblischen Schwurpraxis (mit der Berührung der Lenden des Vaters, des Herrn), oder auch die Lösung des Problems der Beziehung des Schwurs zur Zahl Sieben (Beerscheba): Zusammenhang des Schwurs mit den Siegeln?
Im Hebräischen ist der Genitiv ein Nominalobjekt, der Akkusativ ein Verbalobjekt. Ist die Entfaltung des Deklinationssystems in den indogermanischen Sprachen eine Konsequenz der Neutrumsbildung und durch diese mit dem veränderten System der Konjugationen (der veränderten Beziehung der Verben zur Zeit) verbunden? Und verweist die Ursprungsgeschichte dieses Deklinationssystems auf die Geschichte Israels mit Kanaan (ist die Sprache wie das Land Kanaan Privateigentum und Gegenstand des Wertgesetzes, oder ist sie Gottes Eigentum)?
Ist der Baal die Urgestalt des Absoluten?
Die grammatischen Begriffe sind hypostasierte Adjektive, ihre Hypostasierung eine Folge der Trennung von Ding und Sache.
Die grammatischen Begriffe der indogermanischen Sprache sind Funktionsbegriffe, die der hebräischen Sprache, soweit sie nicht aus analoger Anwendung der indogermanischen Grammatik sich herleiten, haben die materiellen sprachlichen Bildungselemente als Grundlage (daher der Name der „hebräischen“ Schrift und Sprache?).
Bezeichnet das „Filius meus es tu, hodie genui te“ den Ursprung des Genitiv?
Definition der Ellipse: Geometrischer Ort aller Punkte, bei denen die Summe der Abstände zu den beiden Brennpunkten sich gleichbleibt. In der Konstruktion der Ellipse wird gleichsam der Radius des Kreis in seine zwei Richtungskomponenten (in das Sehen und Gesehenwerden) aufgespalten: Schlüssel zum Verständnis der elliptischen Planetenbahnen?
Zu den griechischen Sternensagen: Sind vielleicht die griechischen Mythen insgesamt Sternensagen (und historische Sagen zugleich)? Und haben wir nicht durch das Tabu über die Astrologie (über das Problem ihrer logischen Konstitution) den Schlüssel zu den Mythen verloren? Ist die Astrologie der Turm, der bis an den Himmel reicht (Turmbau zu Babel, Ursprung des Mythos und der Herrensprache)? Und sind Spuren davon nicht noch in den divinatorischen Traditionen (die der Römische Imperialismus dann als Gefahr wahrgenommen und verboten hat) enthalten (Haruspizien, Auguren: Leberschau und Vogelflug)?
Wäre es nach Erfindung des Fernsehens nicht an der Zeit, zu Platons Höhlengleichnis endlich die Konstruktion der Höhle zu entschlüsseln? Ist die platonische Höhle ein Bild der Hölle, von der es in der Bibel heißt, daß ihre Pforten sie (die Kirche) nicht überwältigen werden?
Ist nicht der technische Fortschritt eingebunden in ein System von Entsprechungen; sind nicht die Gestalten der Naturbeherrschung ebenso Formen der Herrschaft in der Gesellschaft und Gestalten der Selbstverblendung in der Theologie im Kontext des Herrendenkens?
In Küng und Drewermanns Ägyptophilie ist die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens aufgebrochen, der Wunsch nach Wiederherstellung des Sklavenhauses.
Kontrafaktische Urteile gehorchen der Logik des Stammtischs; sie leben von der fatalen Gnade der späten Geburt (dem Privileg des Besserwissens). Sie sind die ohnmächtigen Erben der Magie, die, wenn sie ihrer Ohnmacht bewußt wird (und den Drang zu handeln in sich verspürt), faschistisch wird.
Wenn Kohl das Urteil der Geschichte reklamiert, dann gründet das in seinem Glauben an die Kraft der kontrafaktischen Urteile.
Die historische Bibelkritik wird zwangsläufig antisemitisch, wenn sie das Problem der prophetischen Geschichtsschreibung, der Beziehung von Prophetie und Geschichte, oder auch das Problem der Grenzen der objektivierenden Erkenntnis in der Geschichte, verdrängt (vgl. Nietzsche, Rosenzweig, Benjamin).
Wenn sich Biblische Texte des „Alten“ wie des „Neuen“ Testaments) dem historisch-kritischen Blick in verschiedene Quellen auflösen, so gründet das in dem gleichen Gesetz, nach dem im Stern der Erlösung das All nach seiner Konfrontation mit der Todesfurcht in seine Elemente auflöst. Die Quellentheorie ist das Opfer der gleichen Logik, die Franz Rosenzweig durch Reflexion zu durchdringen und zu begreifen versucht hat. Die Rosenzweigsche Reflexion der Todesfurcht ist die Antwort auf ihre philosophische Instrumentalisierung, deren direkte Produkte die Opfertheologie, das Dogma und die Bekenntnislogik sind: Seit ihrem Ursprung hat sich die Theologie geweigert, den Kelch zu trinken, auf den die Getsemane-Geschichte sie so deutlich verweist. So ist sie zur Theologie hinter dem Rücken des lieben Gottes geworden.
Am Brotbrechen haben ihn die Jünger in Emmaus erkannt, aber den Kelch wird er erst im zukünftigen Gottesreich mit ihnen trinken.
Drewermann
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27.4.1994
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20.01.94
Die Juden sind Hebräer für die anderen (für die Welt), Israeliten hingegen für Gott und für sich selbst.
Ist nicht die Argumentation beim Loretz deshalb unverständlich, weil er es nicht zulassen kann anzuerkennen, daß die Beziehung der Hebräer zu Israel auf einer Ebene liegt, die durch den szientifischen Objektivitätsbegriff neutralisiert, gegenstandslos wird. Ist nicht der ganze Eiertanz um die Frage, ob der Name der Hebräer ein Appelativum oder ein Gentilizium sei, dadurch verursacht, daß das Eingehen auf die Sache den wissenschaftlichen Objektivitätsansatz sprengen würde? Dieser Objektivitätsansatz macht sich gemein mit der Welt, für die die Israeliten Hebräer sind, die sie haßt. An dieser Konstellation krankt die gesamte historische Bibelkritik (die „Quellentheorie“, die nicht zufällig an der Beziehung der Begriffe Stämme, Sprachen, Völker und Nationen, in deren Kontext die Namen der Israeliten und Hebräer gehören, sich desinteressiert zeigt).
Die „Völker“ (als Schicksalsgemeinschaften, die mit dem Ursprung des Weltbegriffs entstehen) sind die Heiden. Gleicht die Unterscheidung von Völkern und Nationen nicht der von natura und physis? Die Sprachen beziehen sich auf Babylon, die Völker auf die Völkertafel, die Stämme auf die Genealogien, und die Nationen? Kann es sein, daß zwischen Völkern und Stämmen und zwischen Nationen und Sprachen genetische Beziehungen bestehen?
Da wird Israel zu einem völkisch-nationalen Begriff, da werden die „späten Bearbeiter“ (Loretz, S. 122) zu dummen Kerlen (die gleichen Redaktoren übrigens, die Franz Rosenzweig mit dem Namen Rabbenu ehrt), die die „Materialien“, mit denen sie umgehen, nicht mehr verstehen und sich von den „kritischen“ Wissenschaftlern vorrechnen lassen müssen, wie die Stellen, die sie nur, wie der Assistent das Buch seines Professors oder der Lektor das Manuskript eines Autors, redaktionell „bearbeitet“ haben, eigentlich hätten lauten müssen.
Merkwürdig, daß der Widerspruch zwischen dem „Hebräer“ Abraham und der „aramäischen“ Verwandschaft, bei der Isaak und Jakob sich ihre Frauen holen, überhaupt nicht erwähnt wird. Er paßt in das Schema der Fragestellung, die sich in voreilendem Gehorsam dem apriorischen Antworthorizont anpaßt, nicht herein. (Vgl. Deut 265: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater …) Hierzu gehören Wendungen wie „er lebte als Fremder im Land“ oder auch die mit der Erinnerung an die eigene Vergangenheit als Fremde in Ägypten begründeten Regelungen für die Fremden in Israel.
S. 125: Erinnert nicht das Alt-Zitat, im Namen der Hebräer schwinge „ein Ton der Selbstdemütigung“ mit, niemals aber ein „nationales Hochgefühl“, an das Argumentationsschema, mit dem heute die Erinnerung an Auschwitz abgewehrt wird?
Ist die Trinitätslehre das dreidimensionale Gegenstück zur noesis noeseos des Aristoteles. Verhält sich die aristotelische Metaphysik zur euklidischen Geometrie wie die Trinitätslehre zum Inertialsystem (und zum kapitalistischen Wertgesetz)?
Hatte nicht Sacharja nur die vier „apokalyptischen Reiter“, die erst in Johannes-Apokalypse durch den Hinweis auf den Einsturz des Himmels und die Märtyrer unter dem Altar ergänzt, vervollständigt werden?
Hat der hebräische Sklave etwas mit dem Gottesknecht zu tun? Oder soll es deshalb keine hebräischen Sklaven geben, weil Israel der Knecht Gottes ist (ist Nietzsches Begriff der jüdisch-christlichen Sklavenmoral ein Hebraismus)?
Nach der Selbstzerstörung der Welt (nach den Weltkriegen?) war das Innere „leer, gereinigt und geschmückt“.
Verdankt sich nicht die Verdreifachung der altorientalischen Chronologie dem gleichen Mechanismus, dem in der Bibelwissenschaft die Quellentheorie sich verdankt?
Hat nicht die historische Bibelkritik etwas mit Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zu tun: Da werden Stoff, Farbe und Faltenwurf der Kleider untersucht und beurteilt; in Wahrheit aber ist der Kaiser nackt (und die zum Feigenblatt naturalisierte Schrift wird mit den nicht vorhandenen Kleidern verwechselt).
Ist nicht das Stück Wut, das bei Heinsohn und Illig sich zeigt, der Drewermannschen Wut (die ihn an die Kirche bindet) vergleichbar: in beiden Fällen Ausdruck des blinden Flecks in der Theorie?
Der Positivismus legt ein Minenfeld vor die Wahrheit.
Wenn Jesus in seiner Botschaft an den Täufer mit den Blinden und Lahmen ein Detail aus der Geschichte der Eroberung Jerusalems durch David zitiert, gewinnen dadurch nicht beide Stellen prophetische Qualität? Von den Blinden und Lahmen, „die David in der Seele verhaßt waren“, heißt es da: „Sie werden dich (sc. David) vertreiben“ und „Es soll kein Blinder noch Lahmer in das Haus kommen“ (2 Sam 56ff).
Die Strafverfolgung gegen den Stasi-Chef Wolff ist Heuchelei, aber die Nichtverfolgung wäre Zynismus. Wo liegt da die Lösung?
Macht Heidegger nicht die gleiche Sorge, gegen die sich u.a. die Bergpredigt richtet, zum Existential? -
14.01.94
An der englischen Grammatik, insbesondere am Fehlen der impersonalen Satzbildungen, läßt sich ablesen, weshalb das englische Wissenschaftsverständnis empirisch ist: es gibt kein „es gibt“, wohl aber das „there is“. Hängen die Besonderheiten der Flexion im Englischen: die Neutralisierung des Artikels und des Nomens gegen Geschlecht und Kasus, aber auch der abweichende Gebrauch der Hilfsverben, und hierbei die Verwendung des Präfixes „be-“ (seine Beziehung zum Infinitiv to be), damit zusammen?
Wie hängen die grammatischen Neubildungen im Lateinischen: das Futur II und das Supinum (supino: rückwärts beugen, nach oben kehren, umwühlen; supine: mit abgewandtem Gesicht; Supinum: das angewandte, gehandhabte Passiv, Ausdruck des subjektiven Zwecks als Grund der Instrumentalisierung), zusammen: Ist das Supinum nicht eine logische Folge aus dem Futur II, eine Zwischenstufe zum Neutrum? – Sind Griechisch und Latein nicht Verkörperungen zweier komplementärer Sprachlogiken des Herrendenkens (der Subjektlogik der Philosophie und der caesarischen Staatslogik), die dann im Inertialsystem sich zusammenschließen, von der Sprache sich ablösen und gegen die Sprache sich verselbständigen; in deren Folge ist die Sprache dann zu etwas Äußerlichem gegen die neutralisierte Dingwelt geworden: wurde ihre benennende Kraft zur Unkenntlichkeit entstellt.
Das Futur II ist eine „Erfindung“ des Altlateinischen. Beschreibt es nicht die Struktur einer selffulfilling prophecy: Es wird gewesen sein? Hier hat Rom verinnerlicht, aus der Sternenwelt in die Sprache übertragen, was Babylon (die Chaldäer) mit der Astrologie begonnen hat (vgl. die sprachlogische Beziehung des Futur zum Supinum, zum Imperativ und zum Neutrum). Ist es ein Zufall, daß die wichtigsten lateinischen Kirchenväter Rhetoriker waren? Wenn Rosenzweigs Vergleich, wonach in der alten Welt die Rhetorik das war, was für die modernen Welt die Technik bedeutet, stimmt, waren dann nicht die Kirchenväter Sprachingenieure?
Ist nicht die Beziehung von Raum und Objekt eine Verallgemeinerung der Beziehung von Begriff und Gegenstand; der Raum Konstituens des Begriffs durch Trennung vom Objekt (Trennung der Sprache von der Sache: Kreuzigung des Logos)? Und sind nicht Zeit und Materie (und der Naturbegriff) die Spuren der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (die im Inertialsystem sich vollendet)? – Über die Beziehung von Raum und Begriff (die in der Opfertheologie gründet) hängt die Geschichte des Begriffs: die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft, mit der Geschichte der Architektur zusammen.
Der Turmbau zu Babel, das Herniederfahren Gottes und die Verwirrung der Sprache: der gleiche Vorgang wird in der Prophetie als der Sturz Luzifers beschrieben.
Wenn Stephanus den Himmel offen und „des Menschen Sohn“ zur Rechten Gottes stehen sieht (Apg 756), heißt das nicht auch, daß der Menschensohn jenseits des Tierkreises ist (vgl. Vermes, S. 149)? Und wenn es (S. 158) vom Menschensohn heißt, er habe seinen Namen erhalten, bevor die Sterne und Himmel erschaffen wurden, so bedeutet das nicht nur, daß er vor der Welt erschaffen wurde, sondern bezeichnet auch seinen Ort jenseits des Tierkreises.
Zu bar nasch (Menschensohn), bar nascha (der Menschensohn) und bar enasch vgl. Vermes, S. 149 und 173f. enasch (mit Initial-Aleph) ist die Grundform von nasch wie Eleazar die von Lazarus; der als Suffix angefügte Determinant in nascha bezeichnet den bestimmten Artikel.
Nach dem Hinweis in Anm. 50 auf S. 158 gibt es anstelle von Menschensohn auch den Namen „Sohn der Frau“. Wird hier der Samen des Weibes aus dem Fluch über die Schlange nach dem Sündenfall zitiert?
Die Physik hat die Sensibilität zur Empfindlichkeit naturalisiert.
Der Begriff der Naturalisierung entspricht dem der Verweltlichung: Auch das physei (in diesem Falle die Volkszugehörigkeit, die der Staat, der weltliche Gott, auch einem Fremden zuerkennen kann) ist ein thesei.
Erinnern die gegenwärtigen Beziehungen der Medien zur Politik (die fortschreitende Ersetzung politischer Kritik durch Skandal-Berichte) nicht an gewisse symbiotische Beziehungen in der Natur, die man heute – im Kontext des Slogans „Erhaltung der Schöpfung“ – gerne ökologische System nennt, und zu deren Erhaltung Naturschutzgebiete eingerichtet werden? Gibt es nicht eine merkwürdige Konvergenz zwischen den Naturschutz-Interessen und dem Interesse an der Erhaltung exkulpierender System: dem Entlastungs-Interesse? Aber mit der Schuld-Entlastung wird auch das Erkenntnis-Interesse neutralisiert.
Wenn man den Kafka-Satz vom Fehlläuten der Nachtglocke aufs Christentum bezieht, wird verständlich, was es mit dem Hahn in der Geschichte von den drei Leugnungen auf sich hat.
Ist nicht Drewermanns Wort, die Psalmen seien altorientalische Rachegesänge, ein projektive Verarbeitung katholischer Ängste nach Auschwitz? Und ist nicht Drewermanns Haßbindung an die Kirche (die in der gegenwärtigen Verfassung der Kirche vorgebildet ist) ein strenger Beweis für die Verwechslung Gottes mit dem „Schöpfer der Welt“, die heute innertheologisch fast nicht mehr aufzulösen ist?
Begründung der Gottesfurcht: Die Rechtfertigung ist das Instrument des Unschuldsverlangens, des Exkulpationstriebs; die Armen und die Fremden, die Juden und die Frauen sind seine Opfer (die Opfer unseres Exkulpationstriebs). Das Wort aus der Dialektik der Aufklärung von der Geschichte der Zivilisation als der Geschichte der Verinnerlichung des Opfers bezeichnet aufs genaueste den Grund dieses Zusammenhangs. -
28.12.93
Ist der Rock aus Fell, in dem keine Naht ist, der Tierkreis, die vom Himmel sich ablösende Buchrolle?
Der Heilige Geist, der Paraklet, ist in der Tat auch der Tröster, aber der einzige, der der Illusion und des Betrugs nicht bedarf.
Ist Drewermann nicht der lebendige Beweis dafür, daß die Personalisierung (der Konkretismus, der Mechanismus der Verdinglichung: der Weltbegriff) zum Aufdecken der Blöße gehört?
An die Feindesliebe sind bei Mt Konsequenzen geknüpft: „damit ihr Söhne eures Vaters in den Himmeln seid“ (545). Ist die Feindesliebe das Ende der Unzucht?
Die Vorstellung, daß in Jesus die Prophetie, das Wort, sich erfüllt, daß er selbst das Wort ist, ist wahr und unwahr zugleich: Aber das Moment der Unwahrheit daran hat das etablierte Christentum seit je verdrängt, und damit auch die Wahrheit entstellt. Es hat die benennende Kraft des Worts durch die objektivierende, verdinglichende Gewalt der Logik ersetzt.
Waren es nicht die Jünger in Emmaus, denen Jesus erklärte, daß und weshalb alles so kommen mußte?
Der Menschensohn unterscheidet sich dadurch vom Tier (und wird dadurch zum Menschensohn), daß er die Sünde der Welt auf sich nimmt, den Bann der Welt, dem die Tiere verfallen sind, entrinnt.
Die Urteilslust partizipiert durch das Moment der Projektion in ihr an der Exkulpationslust (sie ist Exkulpationslust).
Abraham war ein Hebräer, Josef war ein Hebräer, Judith war eine Hebräerin, Jona war ein Hebräer: Alle waren es als Fremde. Auch Paulus bekennt sich als Hebräer: 2 Kor 1122, Phil 35. Aber vgl. hierzu den falschen (unsensiblen) Gebrauch des Namens der Hebräer in der Einheitsübersetzung und die verräterische Verwechslung der Namen Israelit und Hebräer (und die damit verknüpften antisemitischen Assoziationen) in den „Tag- und Nachtbüchern“ von Theodor Haecker.
Ist das Millenium (als die Geschichte, in der Jesus dem Vater „alles unterwirft“: als Herrschaftsgeschichte des Christentums) der Kelch, von dem Jesus in Getsemane wünschte, er möge an ihm vorübergehen?
Mt 1626: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele“; die ganze Welt: to kosmos holon, die Sünde der Welt: täs hamartias tou kosmou. -
27.12.93
Die Opfertheologie verweigert genau das, was sie leisten soll: die Befreiung. Eine Kritik der Opfertheologie, der Vergöttlichung des Opfers, ist schon deshalb notwendig, weil sie die Bindung an die Opferrolle sprengt.
Die Christen haben das Christentum als Religion für andere (als Weltreligion) zu einem undurchdringlichen System gemacht, in dem man, wie man sich auch wendet, gefangen bleibt. Z.B. Drewermann bleibt gerade durch seine Opposition zur Kirche (und durch die damit verbundene Opferrolle) in dem Netz gefangen. Eine Schlüsselfunktion scheint bei ihm die Personalisierung der Probleme zu haben (die ihn konfliktunfähig macht, seiner Position aber zugleich den Schein des Absoluten verleiht). Es ist eine kirchlich produzierte Psychose, die ihn aus der Kirche heraustreibt.
Ist Drewermann das letzte Opfer der kirchlichen Ketzerverfolgung, die seit je die Wahrheit aus Furcht vor den Wehen abgetrieben hat?
Die Beziehung der Wissenschaft (des Positivismus) zur Wahrheit ließe sich am ehesten als Abtreibungsautomatik beschreiben (und die Alma Mater als Hure Babylon).
Grund des Antijudaismus: In den Juden hat die Kirche immer schon sich selbst gehaßt. Enthält nicht Mt 523f das Gebot zur Beseitigung des Urschismas; und ist nicht vorher jede Eucharistie blasphemisch?
Ist nicht jeder Fundamentalismus Produkt einer Anpassung der Religion an das steinerne Herz der Welt? Aber diese Gefahr gibt es nur für die Buchreligionen (sie ist im Christentum entstanden und eines ihrer ersten Symptome war das augustinische „ad litteram“).
Daß der Himmel wie eine Buchrolle sich zusammenrollt (Jes 344): Gibt es eine bessere Beschreiung der Thora? -
22.08.93
Ist der Personbegriff nicht ein Reflexionsbegriff der neutralisierten Welt (er bezeichnet den Schauspieler im Drama und das rechtlich schuldfähige Subjekt).
Die sieben Siegel: Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe und Salbung.
Wer den Faschismus nur unter dem Aspekt der Schuldfrage reflektiert, verfehlt ihn. Zu Auschwitz gibt es kein objektives Verhältnis mehr; das Besondere an Auschwitz ist die nicht mehr abweisbare Einsicht, daß man auch durch Nichthandeln (auch durch die Distanz des „historischen Betrachters“) schuldig wird. Mit Auschwitz enthüllt sich Objektivität insgesamt als Schuldzusammenhang.
Grund des Weltbegriffs: Der Raum ist ein sich-selbst-tragendes Konstrukt (das reine Sich-Fortzeugen); er scheint nur hingenommen werden zu können und jeder Begründung und Reflexion sich zu entziehen. Die Konsequenzen allerdings sind unabsehbar.
Die scheinbar so einfache und klare Struktur des Raumes ist in Wahrheit ein Produkt der Zerwirbelung der raummetaphorischen Elemente der Sprache:
– im Angesicht und hinter dem Rücken,
– rechts und links (Gerechtigkeit und Barmherzigkeit),
– oben und unten (Herr und Knecht).
Dies ist der Knoten, den Alexander als Erbe der Philosophie und Begründer des Cäsarismus, nur durchschlagen hat, während es darauf ankäme, ihn zu lösen.
Hat nicht die Entdeckung des Winkels, der Orthogonalität, jene Seitenansicht der Dinge erst eröffnet und begründet, die dann die Begründung der Philosophie und die Konstituierung des Weltbegriffs (die Trennung des Natur- und Weltbegriffs) ermöglichte? Die ganze nachfolgende Geschichte, einschließlich des Ursprungs und der Ausbildung des Dogmas im Christentum, steht unter diesem Vorzeichen und war so die Voraussetzung für den europäischen Objektivations- und Säkularisationsprozeß. In diesem Prozeß ist die Seitenansicht dann zur Totalen geworden: zum Inertialsystem (der Verkörperung des Jeremias-Wortes vom „Grauen um und um“).
Vgl. die schöne Stelle in Büchners „Lenz“: Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
Die Verführung des Feminismus: Wenn der Faschismus eine aus der Logik des Patriarchats erwachsene Erscheinung ist, dann ist der Feminismus gleichsam apriori exkulpiert. – Die große Bedeutung des Feminismus liegt darin, daß sie die politische Dimension des Sexismus wiederentdeckt hat.
Gibt es eigentlich zum Schuldzusammenhang (und zum Rechtfertigungs- und Exkulpierungszwang) keine Alternative mehr?
Die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die einhergeht mit der Unfähigkeit zur Sprachreflexion, reproduziert den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, in dem sie gründet.
Die technische Adaption der kritischen Theorie subsumiert sie unter Rechtfertigungs- und Alibizwänge.
Die Kritik der Postmoderne, die Kritik Drewermanns und auch die Kritik Edith Steins trifft zwar den Sachverhalt, verdrängt aber zugleich das Problem und verfällt deshalb der Bekenntnislogik, der Vorstellung, das Bekenntnis zur richtigen Anschauung würde schon etwas ändern.
Man muß sich klarmachen, daß das Inertialsystem das Referenzsystem aller physikalischen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze ist, mit zwei Grenzfällen:
– der speziellen Relativitätstheorie und
– den Statistik-Gesetzen, insbesondere dem Planckschen Strahlungsgesetz.
In beiden wird die Selbstreferenz und das Problem der Vermittlung im System als Gesetzeszusammenhang zu einem Teil des Systems. Die „empirischen“ Konstanten (der Wert der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum) sind selber auch Knotenpunkte des Systems. Hier liegt der objektive, in der Physik selber verankerte Grund einer Theorie des Feuers.
(Sind nicht die Banken die black boxes der Ökonomie?)
Sind die drei großen und die zwölf kleinen Propheten Reflexgestalten der Patriarchen und der zwölf Söhne Israels? -
04.08.93
Jedes Urteil enthält ein projektives Element und ist in Schuld verstrickt, aber in eine Schuld, in die die Welt selber verstrickt ist: Diese Schuld ist der logische Grund des Weltbegriffs.
Futur und Futur II sind Reflexionsformen von Imperfekt und Perfekt, davon nur durch die Prämisse einer unter die Vergangenheit subsumierten Zukunft unterschieden (Produkt einer innerzeitlichen Verschiebung: Ursprung des Naturbegriffs und seines sprachlichen Pendants, des Neutrums). Das Plusquamperfekt ist eine sprachlogische Konsequenz dieses grammatischen Eingriffs. Die hebräische Sprache kennt keinen Indikativ, diese verhängnisvolle Mischung von Präsens und Imperativ, das sprachliche Äquivalent dessen, was neudeutsch Sachzwang heißt.
Der ungeheure sprachlogische Prozeß, in dem sich Futur und Futur II, Plusquamperfekt und Indikativ gebildet haben, auch das Neutrum (und der Welt- und Naturbegriff), hängt zusammen mit der Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung. Dessen Einheitsprinzip ist die Orthogonalität. Aber die Orthogonalität ist zunächst nur ein Strukturelement der Fläche, die selber wiederum dadurch definiert ist, daß sie auf eine und nur eine zu ihr orthogonale Richtung im Raum bezogen ist. Der Raum ist zwangsläufig dreidimensional. Der Preis für die Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: der oben bezeichnete sprachlogische Prozeß (oder die apriori positiv beantwortete Frage: if the future will be like the past).
Die exkulpatorische Funktion der Ontologie wird erkennbar an dem unter Ontologen so beliebten Begriff des Geschehens, in das sie den Weltprozeß verzaubert. Dem entspricht das Fernsehen, das Politik und Zeitereignisse als Zeitgeschehen dem Konsum präsentiert, aber mit dem systemimmanenten Hinweis: Du bist Zuschauer und hast keine Chance, einzugreifen und die Dinge zu ändern. Mit der Betroffenheit, mit der alle auf die Darbietung des Schlimmsten reagieren (und aus dem die Fernseh-Theologie ihren erbaulichen Honig saugt), wird das moralische Subjekt, das hier ohnehin nicht mehr vorkommt, endgültig ausgelöscht. – Ist die Betroffenheit nicht eine Reflexionskategorie der Kollektivscham?
Mit der Subsumtion unter die Vergangenheit schneiden wir den Dingen (auch dem Kreuzestod Jesu) die Zukunft ab. Was meint das Wort Name im Bekenntnis des Namens?
Ist nicht die Beziehung des Begriffs zum Objekt (im Urteil die Beziehung des Prädikats zum Subjekt und in der Realität die des Schicksals zu seinem Substrat) eine genitivische: eine Eigentums- und Herrschaftsbeziehung (und zwar als wechselseitige oder als Reflexionsbeziehung: Grund der Unterscheidung von genitivus subjektivus und objektivus)? Der Eigentümer ist nicht nur Herr über seinen Besitz, sondern er selber wird durch seinen Besitz beherrscht („besessen“). Hier liegt der Ansatz zur Lösung des Problems des Weltbegriffs.
Zum Antlitz des Hundes: Sind nicht alle Blickbeziehungen Herrschaftsbeziehungen, und ist das nicht der Grund, weshalb Hunde aufs Angeblicktwerden aggressiv reagieren? Der freie Blick ist etwas davon deutlich (nämlich durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion) Unterschiedenes; er schließt die Umkehr mit ein, die Fähigkeit zur Reflexion der Intentionalität. Frei ist nur, wer den Rechtfertigungszwängen und der in den modernen Erkenntnisbegriff mit eingebauten Projektionsautomatik entronnen ist: Notwendigkeit einer Logik des Angesichts (das Gesehenwerden durchs Objekt und das Hören aufs Objekt in das Sprechen übers Objekt mit hereinnehmen)!
Die Probleme des dritten Buchs im zweiten Teil des Sterns der Erlösung (die Probleme des Rosenzweigschen Erlösungsbegriffs) hängen zusammen mit den Problemen im zweiten Buch des ersten Teils des Stern (mit den Problemen des Weltbegriffs). Hier wird deutlich, was die jüdische Tradition in der Rosenzweigschen Fassung vom Christentum unterscheidet; aber diese Differenz war zwangsläufig, weil sie im Christentum selber bis heute nicht begriffen ist.
Nicht der Erste Weltkrieg, sondern Getsemane ist das Korrelat des Anfangs des Sterns.
Stern, S. 37: „Die Natur ist stets die eigene Natur der Götter.“ Darin steckt schon der christologische Naturbegriff.
S. 153: Der Begriff einer Schöpfung aus Nichts „enthält die Leugnung des Chaos“; er ist ein Instrument der Leugnung und Verdrängung der Vergangenheit, der Diskriminierung der Erinnerung und der Verhinderung von Herrschaftskritik: Vor dem Ursprung des Weltbegriffs war nichts. Wenn doch etwas war, was nicht mehr zu leugnen ist, muß es dem Weltbegriff angeglichen und subsumiert werden (wie im Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit).
Ebd.: Mit der Urteilsform ist die „Vorstellung“ eines Unvorstellbaren: einer unendlichen Vergangenheit, mitgesetzt.
Zur Sünde der Welt: „Die Seele ist ihrer Last ledig im Augenblick, wo sie sie ganz auf die Schultern zu nehmen gewagt hat“ (S. 201).
Ontologie und Umkehr: Das Sein, als allgemeines Possessivverhältnis, ist die Umkehr der Gnade, der Barmherzigkeit; daher seine „verandernde Kraft“ (Instrumentalisierung durch Vergegenständlichung rückt alles, was es ergreift, in ein vergesellschaftetes Possessivverhältnis: Deshalb gibt es ohne Staat keine Welt).
Das Haus hat nicht nur mit Zweckmäßigkeitsgründen zu tun (Schutz vor den Unbilden der Witterung), sondern ebenso mit der Geschichte der Scham (Schutz der Intimsphäre): Hängen das Sklavenhaus Ägypten und der Name Pharao damit zusammen?
Was bedeutet es eigentlich, wenn das Paradigma Innen/Außen nicht mehr zu halten ist: das Innere zu Nichts geworden ist?
Die intersubjektive Welt ist zum gemeinsamen Gefängnis aller geworden: Alle sitzen in Isolationshaft.
Der Korpuskel-Welle-Dualismus resultiert aus der objektiv unvermeidbaren Alternative, die der Lichtgeschwindigkeit zugrundeliegende „Bewegung“ entweder nur auf eine Richtung des Raumes zu beziehen, oder auf die Zeit, und damit auf die Totalität des Raumes.
Das Inertialsystem abstrahiert vom Gesehen-Werden, von der Scham, die sich dann gegenständlich als Materie in den niederschlägt (sic, B.H.) (projektive Erkenntnis und Schuld). Scham ist Selbstbewußtsein des Andersseins, logische Konsequenz des Satzes: Das Eine ist das Andere des Anderen.
Wann wird es gelingen, die Vergangenheit so einzudämmen, daß sie nicht mehr die Zukunft überschwemmt?
Ist nicht im ersten Satz der Genesis (im „elohistischen“ Schöpfungsbericht, Gen 11) auch die Reihenfolge des Geschaffenen (Himmel und Erde) von Bedeutung? Erst am Anfang des zweiten („jahwistischen“) Schöpfungsberichts (24b), der die Paradiesesgeschichte und die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wird die Folge umgekehrt („Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“). Wird der erste Schöpfungsbericht im Imperfekt, der zweite im Perfekt erzählt? Ist die Reihenfolge des Geschaffenen nicht in der Logik der Sprache begründet (in der perfektivischen Gestalt gewinnt die Erde den Vorrang vor dem imperfekten Himmel)? Deshalb endet der zweite Bericht mit dem Sündenfall und der jahwistischen Urgeschichte (bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel), der erste hingegen mit dem „sehr gut“. Enthält nicht die Geschichte von der Bindung Isaaks (mit dem Engel Elohims am Anfang und dem Engel JHWHs am Ende) den Lösungansatz?
Zum ersten Satz der Genesis: den Himmel nutzt Gott als Namen für das Firmament, die Erde zur Herbringung der Kreaturen.
Zum paradiesischen Nahrungsgebot: Nur dem Menschen ist die Frucht verheißen, den Tieren nur das Grün, die Blätter (vgl. das Feigenblatt und die Scham).
(Gibt es im Hebräischen ein Partizip?)
Ist nicht majim, das Wasser, ein Plural (wie schamajim, der Himmel), und ist nicht auch der deutsche Begriff Wasser ein Plural von Was (wie Völker von Volk)? Merkwürdig, daß der Ursprung der Philsophie mit der Neutralisierung des Wassers (Thales: Alles ist Wasser, Heraklit: panta rhei, und: niemand steigt zweimal in den gleichen Fluß) beginnt: der unendlich schwere, am Ende vergebliche Versuch das Flüssige dingfest zu machen (in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase mit Hilfe der Theologie: Bedeutung der Trinitätslehre!)?
Ist Theologie heute nicht doch nur noch in einer bekenntnishaften Form möglich, aber einer, die es wirklich ist: auf die Neutralisierung des Bekenntnisses, die Konfessionalisierung der Theologie, endgültig verzichtet? Dieses Bekenntnis wäre eines im Angesicht Gottes, nicht im Angesicht der Welt (dem Scheffel überm Licht). Durch Objektivierung und Theoretisierung wird der Inhalt der Theologie generell verfehlt.
Das zum Bekenntnis neutralisierte Symbolon ist das vergrabene Talent.
(Die Welt ist das Verwesungsprodukt des toten Gottes.)
Steckt nicht in der projektiven Vorstellung vom „jüdischen Rachegott“ (bei Drewermann, Alt, Christa Mulack u.a.) auch die Angst vor einem Gericht, in dem die Opfer der Vergangenheit, die nur still sind, wenn sie endgültig tot sind, die Richter sein werden? Müßten nicht Kirche und Theologie, Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Politik und Gesellschaft, völlig anders sich darstellen, wenn es auch nur einen gäbe, der wirklich an die Auferstehung glaubte? Hat das Christentum nicht die Theologie (Trinitätslehre und Christologie) auch dazu mißbraucht, sich die Vergangenheit (ihre jüdischen Wurzeln, aber dann auch ihre fatale eigene Rolle in der Geschichte) vom Leibe zu halten? Mit der Gehorsamsforderung wurden die Ohren verstopft, damit niemand das Blut, das zum Himmel schreit, mehr hören konnte. Ist nicht der „christliche Liebesgott“, der in der Vorstellung gründet, daß Gott seinen eigenen Sohn hingeschlachtet habe, „um uns zu retten“, Produkt und Deckbild einer nun wirklich sadistischen Phantasie? Während wir glauben, den „Rachegott“ nicht mehr zu brauchen, haben wir in Wahrheit genau diesen Aspekt längst neutralisiert und instrumentalisiert, indem wir ihn, wenn wir ihn nicht zu Zeiten auch einmal selbst in die Hand genommen haben, an den Staat, an die Institutionen des Rechts: der staatlichen Strafverfolgung und des Strafvollzugs, delegiert haben. Das „Volk“, in dessen Namen Gesetze erlassen, Recht gesprochen und Urteile gefällt werden, ist der anonymisierte Erbe dessen, den das antijudaistische Vorurteil einen „Rachegott“ nennt. Wer sich auch nur ein wenig mit den Zuständen in unseren Knästen (die jeder zu verantworten hat, der dem Volk angehört, in dessen Namen hier die „Strafen vollzogen“ werden) vertraut gemacht hat, weiß, daß zu den realen Gründen des Strafrechts auch, wenn nicht zentral, die Vergesellschaftung der Rachebedürfnisse gehört, während der „alttestamentliche Rachegott“ (das „Mein ist die Rache“ des Gottes, dessen wichtigste Eigenschaft die Barmherzigkeit ist) in seinem realen Kontext auf die Auflösung der Rachebedürfnisse der Opfer abzielt. Übrigens: Im Neuen Testament (im Hebräerbrief, 1030) steht der Satz: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, während im Alten Testament (im Buch Jona, 411) Gott gegen Jona den Verzicht auf die Zerstörung Ninives so begründet: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, und soviel Vieh.“
Das gedankenlos Bösartige an der antijudaistischen Unterscheidung des „alttestamentlichen Rachegottes“ vom „neutestamentlichen Liebesgott“, das zum Syndrom der verfolgenden Unschuld gehört, wird deutlich, wenn man auch nur einen Augenblick daran denkt, wer – in einem geschichtlichen Kontext, zu dem Auschwitz gehört – hier an wen welches Ansinnen stellt: Der Täter schlägt dem Opfer das einzige Mittel, die Erinnerung an die Leiden zu verarbeiten, aus der Hand. Hier darf nicht mehr aufgearbeitet, hier soll nur noch verdrängt werden.
Der Beter rächt sich nicht selbst (Zenger, S. 71): Ist das nicht das zentrale Anliegen eines jeden Gebets, das Moment, durch das es mit dem Gottsuchen sich verbindet, und der Wahrheitsgrund des Satzes von Reinhold Schneider? Wäre dieser Satz nicht heute eine der Grundlagen der Rechtskritik: als Kritik eines Instruments der instrumentalisierten Rache?
Wird mit dem Gerede vom „jüdischen Rachegott“ nicht
– der zugrundeliegende Text entstellt, seine Wahrnehmung verzerrt, und zugleich
– ein theologischer Erkenntnisgrund durch Verdrängung neutralisiert?
Verräterisch die Rede vom Gottesbild im Hinblick auf eine Religion, zu deren zentralen Elementen das Bilderverbot gehört: Zu den objektiven Intentionen des Bilderverbots gehört es, sich die reale Erfahrung nicht durch Bilder verstellen zu lassen. Hierzu gehört auch die biblische Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Der Antijudaismus ist ist ein System von Vorstellungen über die Juden hinter ihrem Rücken, er ist (nach einer auch hierauf zutreffenden Formulierung Adornos über den Antisemitismus) das Gerücht über die Juden, das jede reale Erfahrung mit Juden und mit der jüdischen Tradition scheut, wie der Teufel das Weihwasser.
Hebr 1030f: Wenn wir vorsätzlich sündigen, gibt es für diese Sünden keine Opfer mehr. – Ist nicht das Opfer die Vergebung?
In einer Welt, die bis in ihre innersten Strukturen hinein, und ohne daß eine Alternative dazu überhaupt noch sichtbar wäre, durchs Selbsterhaltungsprinzip geprägt und bestimmt ist, braucht man, wie es scheint, einen „Gott der Liebe“; aber gilt nicht hierfür Adornos Satz: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist? Die Sperre vor der Fähigkeit zu lieben liegt in der Struktur dieser Welt.
Die antikirchlichen Positionen in Kirche und Theologie sind nicht einfach nur falsch und zu verurteilen, sondern haben ihren eigenen Erkenntniswert in einem System, in dem Erkenntnis insgesamt seine projektiven Anteile nicht mehr abwischen kann.
Den Begriff zum Sprechen bringen: das setzt eine Theorie des Lachens und des Schreckens voraus.
Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem (der „luftleere Raum“) zerstören den Himmel durch die Zerstörung der „Elemente“ hindurch: die Erde, die Luft (das Pneuma), das Wasser und das Feuer (haschamajim).
Physik als Kloß im Hals der Theologie: im „luftleeren Raum“ gibt es keine Luft zum Atmen.
In welcher Beziehung stehen die Juden, Ketzer und Hexen der christlichen Geschichte zu den Barbaren der Griechen (trinitarische Entfaltung des projektiven Erkenntnisbegriffs der Philosophie)?
Kants Philosophie war Erkenntniskritik, der stringente Nachweis, daß der Erkenntnisbegriff der Philosophie sich auf die Dinge, nicht wie sie an sich selber sind, sondern wie sie uns erscheinen, sich bezieht.
Bekenntnisse des Jeremias: 1118-21, 121-6, 1510-21, 1714-18, 1818-23, 207-18: prophetischer Ursprung der Reflexion?
Jeremias, der Prophet des welthistorischen Bruchs?
– Dreimal verbietet Gott dem Jeremias, für das Volk zu beten; aber Jeremias gebietet dem Volk, für das Wohl der Stadt, in der sie nach der Deportation leben, zu beten.
– Selbst wenn Mose und Samuel … (Jer 14-15?)
– „Wer sich den Chaldäern ergibt, wird sein Leben als Beute gewinnen.“ (Jer 282, vgl. dazu den „Ursprung des Weltbegriffs“ und das Jesus-Wort: Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.)
– Dreimal „Grauen um und um“.
– Ist der „Feind aus dem Norden“ (Babylon) ein Vorbegriff der Welt?
– tewel (hebr. für Welt und Natur) nur zweimal im AT, beide Stellen bei Jeremias (?). Sonst „Himmel und Erde“; haolam ist der Bereich der göttlichen Herrschaft, nicht die Welt.
– Zu Jer 1010-16: außer an dieser Stelle nur noch zwei andere „Schöpfungsberichte“, Ps 104 (der älteste) und Hiob 38ff.
Erfüllung des Worts: „Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Worts erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 289, vgl. Dt 1821-22, Ez 3333) Ist der Name die Erfüllung, das Eintreffen des Worts?
Das Wunder gehört zur Prophetie: daß „das Wort sich erfüllt“, zum Namen wird (das Wunder erlischt im Namen).
Das Absolute ist ein Korrelat der Welt: deshalb ist kein Gied in ihm nicht trunken.
Zur Bestimmung der Theologie:
– Aktualität (Prophetie),
– eingreifende Erkenntnis,
– apokalyptisch (aber nicht die Endzeit berechnend: dazu zwingt nur die Logik des Weltbegriffs).
Kommen die Völker Kanaans in der Völkertafel, in den Genealogien der Genesis vor?
Zur Vorgeschichte der drei Leugnungen Petri gehört ihre Weissagung:
– Mt 2630 und Mk 1432: Ihr werdet in dieser Nacht (!) an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen.
– Lk 2231ff: … der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf …, daß der Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke dein Brüder.
– Joh 1336ff: Wohin ich jetzt gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen …
Binden und Lösen: Ist nicht durchs Binden das Lösen neutralisiert, unkenntlich gemacht worden: und der Glaube zur Hybris?
Das Dogma hat die Frage: Wie ist die Thora „heute“ (und d.h. prophetisch) zu verstehen, neutralisiert.
Das Urschisma: auch eine Frage der Grammatik? Sind physis und kosmos (natura und mundus) grammatisch bedingte Begriffe? (Vgl. Rosenzweig: der „Mittler“ nur für die Heiden, nicht für die Juden).
Der Weltbegriff fundiert den Egoismus (das Prinzip der Selbsterhaltung), den Sexismus und die Desensibilisierung, die Erfahrungsunfähigkeit.
Die Welt ist Welt für andere: Schamgenerator. Durch die Identifikation der Kirche mit der Welt (mit dem Aggressor) ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden.
Hegel: die Neutralisierung der Philosophie zum Absoluten.
Jeder Machtgewinn wird mit Sprachverlust erkauft.
Zur Raummetaphorik: Die Neutralisierung von Oben und Unten ist ein Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft.
Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft: Hat nicht das Bußsakrament das Lösen in kleine Münze umgemünzt (und ist nicht der verdinglichte Glaube ein Stück verinnerlichter Schuldknechtschaft)?
Das Christentum hat der frühen Christenheit die Last der Umkehr abgenommen, heute blockiert es sie.
Jona ben Amittai und Jesus kommen aus der gleichen Gegend (Nazareth und Umgebung). -
16.07.93
Warum reagieren die Jungianer (Drewermann und Jutta Voß) so aggressiv auf den Hl. Franziskus?
Zu Hunden und Schweinen: Mt 76 (Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, …) und 2 Petr 222 (Auf sie trifft das wahre Sprichwort zu: Der Hund kehrt zu dem zurück, was er erbrochen hat, und: Die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck).
Wurde nicht der Rechtsstaat zum Tabu, als die Regierung aufhörte zu regieren und sich aufs Verwalten beschränkte (vgl. das Aussitzen und die „Wiedervereinigung“)? Aber gibt es dazu angesichts der realen Machtverhältnisse (der politischen Zwänge von außen und der wirtschaftlichen im Innern), deren „Willen“ diese Regierung zu auszuführen hat, überhaupt noch eine Alternative? -
21.01.93
Das Problem des Patriarchats ist ein Problem der Geschichte der Naturbeherrschung und seiner gesellschaftlichen Organisation: der Politik. Das Verhängnis des Christentums war es, daß es die symbolische Kritik dieser Geschichte privatisiert, als „realistische“ Sexualmoral mißverstanden hat.
Drewermann verteufelt die Hilflosigkeit, was nicht dadurch besser wird, daß diese Hilflosigkeit der Kirche selbstverschuldet ist. Hilflosigkeit ist nur durch die Erweckung der Kraft zu helfen zu „überwinden“. Wer diese Kraft verloren hat, erfährt sich selbst als hilfsbedürftig, die ganze Welt als gnadenlos, als potentiellen Feind. Es ist diese Hilfsbedürftigkeit, die die Kraft zu helfen in sich aufsaugt wie das schwarze Loch jegliche „Strahlung“: das Licht und seine Derivate. Und es ist die gleiche Hilflosigkeit, die aus sich selber die paranoide Empfindlichtkeit erzeugt, die das Gegenteil der Sensibilität ist.
Der Satz: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden“, wird durch seine bloß private Interpretation verfälscht: Er enthält generell den Hinweis auf die Vergangenheit und die Verpflichtung zur Erinnerungsarbeit, die den Bann der Welt und den der Natur sprengt. Ein anderer Ausdruck für diese Erinnerungsarbeit ist die Idee der Auferstehung der Toten.
Der Historismus ist ein Vergangenheits-Kolonialismus, wobei das Herrschaftsmoment in diesem Kolonialismus ein wechselseitiges ist: Indem wir glauben, die Vergangenheit zu beherrschen, beherrscht sie uns. Der Objektivationsprozeß, der im Historismus auch die Vergangenheit ergreift, ist als ein Moment der Erkenntnis der Vergangenheit unabdingbar und notwendig; aber auch hier erweist sich die Idee der Umkehr als gnoseologische Kategorie: Hier heißt Umkehr: Auferstehung der Toten.
Müßte nicht der Paulus-Satz, wonach die ganze Kreatur seufzt und in Wehen liegt, durch seine Anwendung auf die Vergangenheit auf die Toten bezogen und so radikalisiert werden?
Die Vorstellung von einem jenseitigen Himmel, getrennt von dem endzeitlichen Gottesreich und gleichsam zeitlich vor ihm, trennt die Unsterblichkeit der Seele von der Auferstehung der Toten; sie stellt die Idee der Auferstehung der Toten durch ihre Vertagung ad calendas graecas gleichsam still. Thomas von Aquin hat es noch gewußt, daß das Schicksal der Seele vor der Auferstehung (nach der Trennung vom Leib und im Zustand dieser Trennung) kein glückliches ist, daß sie an der Trennung leidet und Erfüllung erst in der Wiedervereinigung mit dem Leibe findet. Aber ist nicht diese Vorstellung insgesamt falsch, insbesondere nachdem der Himmel im historischen Aufklärungsprozeß aus dem räumlichen Oben verdrängt worden ist. Die Idee des Ewigen legt es ohnehin nahe, deren Beziehung zu Raum und Zeit, und damit auch zur Geschichte, neu und anders zu bestimmen: Der Himmel ist kein anderes Amerika, das jenseits des Ozeans liegt, aber der gleichen Zeit unterworfen ist, wie alle anderen Orte der Welt. Die Vorstellung, der Himmel sei nur ein anderer Ort, falle aber unter das gleiche Zeitkontinuum wie diese Welt, habe gleichsam eine zeitparallele Geschichte, ist der Grundfehler der kirchlich-theologischen Tradition. Das bloß Überzeitliche ist die verworfenste Gestalt des Zeitlichen und auf keinen Fall zu verwechseln mit dem Ewigen.
Die naturwissenschaftliche Aufklärung, deren Erkenntnisgesetz selber aus der Theologie stammt, hat die Theologie in eine Engführung (in ein „Nadelöhr“) gebracht, vor der sie heute zu kapitulieren scheint.
Ist es nicht heute fast unmöglich geworden, das Judentum als Christ aus der Sicht des Zuschauers zu betrachten? Die zwangsläufig daraus erwachsenden Rechtfertigungszwänge führen notwendig in neue Antisemitismen hinein. Kann es sein, daß hierbei der Israel-Tourismus eine nicht ganz ungefährliche Rolle spielt?
Wie wäre es, wenn man die drei regulativen Ideen Kants, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, ersetzen würde durch die drei theologischen Kategorien Schöpfung, Offenbarung und Erlösung, d.h. durch objektive Ideen: Käme man damit nicht auch dem Problem der kantischen Philosophie näher. Sind nicht diese drei regulativen Ideen auf die Totalitätsbegriffe der kantischen Philosophie zu beziehen, auf Welt, Wissen und Natur, aus denen sie gleichsam durch Umkehr sich rekonstruieren lassen und deren Bann sie zugleich sprengen: Die Idee der Schöpfung sprengt den Bann des Weltbegriffs, die der Offenbarung den des Wissens und die der Erlösung (die die Idee der Auferstehung der Toten mit einschließt) den des Naturbegriffs. -
14.01.93
Merkwürdige Beziehung: Das Subjekt wird (unrettbar) schuldig durch die „Entsühnung der Welt“, es wird erlöst durch die Übernahme der Sünden der Welt. Genau das ist die Folge der Herrschaftsbeziehung, durch das Neutrum und den Weltbegriff unkenntlich gemacht wird.
Merkwürdige Beziehung des gegenwärtigen Zustands der katholischen Kirche zur „ägyptischen“ Tradition, wie sie offensichtlich auch von Küng und Drewermann reklamiert wird. Dazu die Stelle von Herodot bei Benveniste (S. 506). Enthält nicht auch der Josefs-Roman einen prophetischen Bezug zur Weltgeschichte der Kirche?
Ist nicht unsere gesamte Geschichtswissenschaft von der Intention und vom Ansatz her „superstitiosus“ (sh. s. 516f).
Hat die Arglosigkeit der Tauben etwas damit zu tun, daß auch die Taube in Israel ein Opfertier (das Opfertier der Armen) ist, und daß sie wie das Lamm „zur Schlachtbank geführt“ wird? Weshalb erscheint dann der Geist in Gestalt einer Taube? Hat nicht die Trinitätslehre etwas mit der Trinität von Stier, Widder und Taube zu tun? Gibt es in Israel das Stieropfer, und wenn ja, in welchem Zusammenhang? Das Widderopfer hing mit der Rettung Isaaks, mit der Abgeltung der Kinderopfer (der Erstgeborenen?), zusammen, bei der Geburt Jesu wurde eine Taube geopfert.
Wer die Sünden der Welt auf sich nimmt, dem ist das messianische Ego alles und das durch Schande und Verletzbarkeit (Empfindsamkeit) verführbare und entzündete private Ego zunichte geworden. Er ist in dem Sinne keine Privatperson mehr und völlig unpathologisch geworden.
Die Fremdenfeindschaft ist eine Folge des unaufgearbeiteten schlechten Gewissens, das von der privaten Existenz (von der Privatisierung der Religion) nicht abzulösen ist.
Wäre es eigentlich möglich, zum „Bruttosozialprodukt“, zu den in Geldwert ausgedrückten Leistungen der gesamtwirtschaftlichen Erfolgsrechnung, die Gegenrechnung aufzumachen: die roten Zahlen niederzuschreiben (die Summe aller Schulden, die Bilanz der realen Armut in der Dritten Welt und des Armutsdrucks in der Ersten)?
Bezeichnend für das Schellingsche Konzept am Anfang der Weltalter ist, daß er für die Zukunft die Ahnung reklamiert, gleichsam eine unvollkommene Gestalt des Wissens (die aber am Wissen sich mißt), und nicht die Hoffnung und nicht die Moral. Er verschweigt das praktische Element in der Beziehung zur Zukunft. Er hält daran fest, daß auch das Zukünftige einmal vergangen, Gegenstand des Wissens und nicht mehr änderbar, sein wird: So wird es Gegenstand eines (wenn auch unvollständigen) Wissens: der Ahnung. Durch die Ahnung wird die Zukunft in eine Schicksalsperspektive gerückt: Indem er von der Hoffnung und von der Praxis absieht, verwandelt er die Totalität in bloße Natur, in der das tätige Subjekt nicht mehr vorkommt, bereitet er die mythische Philosophie vor, auf die das Ganze am Ende hinausläuft.
Das kreisende Flammenschwert trennt das reale Leid vom erinnerten Leid.
Erst wenn die Theologie von der Vorstellung sich befreit, Verkehrsregelungen für die Phantasie der der Menschen, für ihre Vorstellungskraft, produzieren zu müssen, erst dann hat sie eine Chance, selber zu einem Gefäß des Heiligen Geistes zu werden.
Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein: Heute ist die Kirche zu einem Verein von Steinewerfern geworden. Voraussetzung ist das falsche Zeugnis: die falschen Zeugen werfen, nachdem sie ihre Kleider abgelegt haben, den ersten Stein. -
29.12.92
Die christliche Theologie lebt davon, daß in der Ursprungsphase der Philosophie die Zwangslogik, Reflex der Gewalt im Denken, noch verschränkt war mit der benennenden Kraft der Sprache. Aber nachdem sich der Nominalismus, Konsequenz der Zwangslogik, durchsetzte, hat die Theologie ihre raison de etre verloren und die Partei der Gewalt ergriffen. Das war der Grund der Entstehung der Inquisition.
Weltkritik ist Herrschaftskritik, und nur der Gott, der als Schöpfer der Welt verstanden wird, löst sich im Prozeß der Verweltlichung der Welt auf: im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft. Was sich nicht auflöst, ist der Schöpfer der Himmel und der Erde.
Im empathiefreien reinen Zuschauen, in den Laborbedingungen, die hergestellt werden müssen, um das reine Zuschauen (Georg Lukacs‘ „kontemplative Erkenntnis“ der Herrschaft) zu ermöglichen, sind die Inquisition, die Geheimdienste und die Stasi vorgebildet. Die Stasi war der zwangsläufige Versuch, die reinen Laborbedingungen herzustellen, unter denen der Sozialismus als Experiment durchgeführt werden sollte. Aber daß dadurch die gesamte Gesellschaft zur trägen Masse degradiert wurde, die das Ganze durch ihre eigene Gravitation in den Abgrund geführt hat, wurde aufgrund der naturwissenschaftlichen Verblendung nicht gesehen. Ähnlich hat die Inquisition im Hochmittelalter jene Laborbedingungen hergestellt, in denen die Gläubigen die Chance haben sollten, die Schuld, der sie ohnehin verfallen waren, zu bekennen und zu büßen. Die Scheiterhaufen waren Manifestationen der Hölle, zu der die Welt inzwischen zu werden drohte.
Die Geschichte des Marxismus ist noch nicht zuende; sie wird es erst dann sein, wenn innerhalb des Marxismus das Problem der Armen und der Fremden gelöst wird. Das Gefährlichste am Sieg über den Sozialismus ist der Triumph der Sieger: die Selbstverblendung durch den Sieg. Vergessen wird das Erkenntnismoment in der Kritik der politischen Ökonomie. Aber dem hatte der real existierende Sozialismus selbst schon vorgearbeitet: in der Unterdrückung all dessen, was an Erkenntnis erinnerte, weil es an die theologische Vergangenheit erinnerte. Notwendig gewesen wäre insbesondere, was Georg Lukacs begonnen, dann aber verdrängt hatte: die Kritik der politischen Ökonomie durch eine Kritik der Naturwissenschaften zu ergänzen, die Marxsche Erinnerung an Jakob Böhme und an die resurrectio naturae aufzunehmen. Das aber heißt: nicht nur die gegenständlichen Manifestationen von Herrschaft, sondern ihre Wurzeln in den vergesellschafteten Menschen, die Vergesellschaftung von Herrschaft und die vergesellschaftete Herrschaft selber, in die Kritik mit aufzunehmen.
Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist nur eine Weltmacht übriggeblieben. Was bedeutet das?
Mit der Unterdrückung der Idee der Befreiung der Natur zerstört Habermas die Wurzeln der Empathie.
Königtum und Opfer, Geld und Idolatrie, Schrift und Sternendienst: die drei Angelpunkte der Vorgeschichte des Weltbegriffs. Und diese drei Angelpunkte lassen sich zusammenfassen als Quellpunkte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs.
Wo gibt es in der Schrift Erinnerungen an gesellschaftliche Naturkatastrophen, z.B. an Hungernöte (Buch Ruth, Josefsroman).
C. G. Jung hat insofern recht, als das, was er die Archetypen nennt, in der Tat etwas bezeichnet, was aufzuarbeiten ist: die Repräsentanten der Vergangenheit in unseren Köpfen. Aber das sind keine Bilder, die „Gott in unsere Seele gelegt“ hat (Drewermann).
Ist es nicht die Namengebung der Tiere, die Adam die Zunge löst, so daß er, als er Eva erkennt, sagen kann: Dies ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.
In welcher Beziehung steht die Inquisition zur Ohrenbeichte, mit der sie ja doch wohl historisch-genetisch zusammenhängt? Ist es nicht die Inquisition, die jenes Schuld- und Sündenverständnis erst durchsetzt, das dann Grundlage der Ohrenbeichte (Entschuldung der Welt, Privatisierung der Schuld) geworden ist?
Das kreisende Flammenschwert, das sinnlose Kreisen der Planeten und die Mühle, die alles zu Staub zermahlt.
Die Angst in Gethsemane war die Angst vor den Folgen dessen, daß er es nicht vermocht hat, die Sünden der Welt „hinweg“ zu nehmen.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Und dieses Wort sitzt zur Rechten des Vaters. Ist nicht dieses Wort, das in der Übernahme der Sünde der Welt sich konstituiert, das Wort, von dem Gott will, daß es nicht leer zu ihm zurückkomme (Jes 5511)? Liegt hier nicht die zentrale Aufgabe der Theologie?Böhme, Drewermann, Geld, Habermas, Inquisition, Jung, Lukacs, Marx, Marxismus, Philosophie, Theologie, Tiere -
30.11.92
Der Satz des Thales „Alles ist Wasser“ ist ein prophetischer Satz. Er beschreibt das Schicksal der gesamten Philosophie.
Mit dem Satz „ens et unum convertuntur“ wurden das Neutrum und der Weltbegriff abgesichert.
Ist der Dualis die Vorstufe des Neutrum, ist das ne utrum durch Negation aus dem Dualis hervorgegangen? Und kann es sein, daß der Dualis in einer kritischen Beziehung zum Akkusativ steht, daß er das Moment des verteidigenden (gegen die identifizierende Gewalt des Akkusativ gerichtete) Denken noch in sich enthält? Hängt das lateinische Akkusativ-m (-um, -am) mit dem hebräischen Dualis-m (-jim) zusammen? Und ist die Negation, die den Dualis in das Neutrum umgewandelt hat, durch die Futurbildungen (durchs Herrendenken) in die Sprachstruktur hereingekommen: durch das Abschneiden der Utopie, durch die Sünde wider den Heiligen Geist (die Sünden der Welt als Folge der Sünde wider den Heiligen Geist)? Und dieses Negative, diese Negation drückt sich in einer Fülle von Strukturen aus: vom Weltbegriff über den Begriff des Seins bis hin zu den subjektiven Formen der Anschauung; theologisch wird es durch die Schlange und durch die Teufelsnamen, vom Ankläger über den Verwirrer bis zum Dämon, symbolisiert. (Beziehen sich darauf nicht auch die drei Versuchungen Jesu; und sind die drei Leugnungen nicht prophetische Hinweise darauf, daß die Kirche diesen Versuchungen erliegen wird?
Hängt der Ursprung des Neutrum mit all seinen Konnotationen mit der Geschichte der Entdeckung des Winkels in der Geometrie zusammen? Und steckt nicht in allen mit orthos zusammengesetzten Begriffen, von der Orthogonalität bis hin zur Orthodoxie, etwas von dieser neutralisierenden, verweltlichenden Gewalt (hängen etwa der Turmbau von Babel und der Name des Pharao mit dem Problem der architektonischen Beherrschung der Raumverhältnisse zusammen)?
Kann es sein, daß der Name des Pharao mit dem Prozeß der Neutrums-Bildung zusammenhängt, so daß es kein Zufall wäre,
– wenn die Anpassungstheologen wie Küng und Drewermann auf ägyptische Konzepte zurückfallen, und
– daß die Unsterblichkeitstheologie in Ägypten ihren Ursprung hat.
Gewinnen vor diesem Hintergrund nicht die Ägypten-Geschichten von Abraham und Sara über den Josefs-Roman bis zu Exodus-Geschichte einen anderen Sinn? Ägypten: das Sklavenhaus mit den Fleischtöpfen.
Beziehen sich drei inhaltlichen Bestimmungen des Hebräer-Namens: Kleinviehnomaden, Sklaven und Söldner, nicht auf die drei Völker: Babel (Ur in Chaldäa), Ägypten und die Philister?
Sind Idolatrie, Sternendienst und Opferdienst Hilfsmittel zur Begründung und Durchsetzung indogermanischer Sprachstrukturen, Hilfsmittel zur Durchsetzung jenes hypostasierenden und objektivierenden Denkens, das vermittelt ist über die Bildung des Futur II und des Neutrum, sowie der Kasus Genitiv und Dativ? Das Ganze im Kontext von Herrschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen: Städtegründung, Ursprung der Institutionen des Priester- und Königtums, des Tempels (Religion und Wirtschaft), Ursprung der Schrift und des Geldes.
Was bedeutet der Wortstamm in dem Volksnamen mizrajim, und woher kommt und was bedeutet der Name der Philister?
Gegen Velikovsky und seine Nachfolger: Nach Auschwitz sollte es eigentlich möglich sein, auch gesellschaftliche Naturkatastrophen sich vorzustellen. Das Problem und Schwierigkeit scheint nur darin zu liegen, daß unser Bewußtsein mit einer Gewalt von Rechtfertigungszwängen beherrscht und durchdrungen ist, die durch den naiven Gebrauch des Weltbegriffs in den historischen Prozeß verflochten sind, daß es dadurch in einer Weise gehemmt und behindert ist, die es außerordentlich schwer macht, diese Hemmnisse real zu durchschauen. Da ist der Velikovskysche kosmische Konkretismus leichter zu akzeptieren.
Steckt in dem Benjaminschen Wort, daß heute alle entscheidenden Schläge mit der linken Hand geföhrt werden, ein verstecktes Zitat aus dem Buch der Richter?
Nochmal Jericho, Sodom und Gibea: Alle drei Städte wurden zerstört, aber auf verschiedene Weise:
– Jericho durch die Posaunen-Prozession um die Mauern der Stadt,
– Sodom durch Feuer und Schwefel und
– Gibea durch die restlichen elf Stämme Israels (mit der Stadt wurden zugleich die Frauen und Kinder der Benjaminiter vernichtet).
Ähnelt das Ergebnis der Zerstörung Gibeas nicht dem Ursprung Roms: die Bildung einer frauenlosen Männerhorde, die erst durch Frauenraub ihr Fortbestehn sichern können; außerdem ist Benjamin ein reißender Wolf, und Romulus und Remus wurden durch eine Wölfin ernährt.
Müssen wir nicht in der Begründung des Wortes „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, in diesem Nichtwissen endlich uns selbst wiedererkennen, anstatt dieses Bewußtsein unter den Rechtfertigungszwängen, die dieses Nichtwissen selber begründen, zu verdrängen. Christ kann nur sein, wer das Erschrecken über dieses Nichtwissen erfahren hat. Und ist auf das Wort im letzten Satz des Buches Jona noch Verlaß; sollten wir nicht endlich lernen, rechts und links wieder zu unterscheiden? Wenn man dem Buch Tobias glauben darf, wird Ninive am Ende doch zerstört. Aber zuvor wird Tobias, der die Toten begrub, von der Blindheit geheilt.
Woher kommt der Name Anatolien (die Weisen haben den Stern in Anatolien gesehen)?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie