Drewermann

  • 18.06.90

    D. nimmt Rationalisierungen unkritisch als Feststellungen objektiver Tatbestände, Schutzbehauptungen als reale Kausalbeschreibungen. Die Psychologisierung der Kriegsursachen ist Resultat der Verdrängung der materiellen Ursachen.

    Erst vor dem Hintergrund der Erkenntnis der objektiven historischen Kriegsursachen (die nicht ubiquitär sind) wird auch der Sinn und das Gewicht ihrer psychologischen Verstärkung erkennbar: insbesondere der Komplex der Komplizenschaft, der dann z.B. auch die Funktion des Antisemitismus (als Überwindung des „inneren Schweinehundes“, als Instrument zur Ausschaltung des Gewissens) erkennbar macht. Hier würde auch die Kritik der Geschichte des Christentums eine ganz andere Bedeutung gewinnen.

    D.’s Begriff der Eucharistie ist nur ein weiterer Hinweis darauf, daß dieses Sakrament heute (nach Auschwitz) ohne Reflexion seines barbarischen (kannibalischen) Aspekts nicht mehr nachvollziehbar ist. Aber: welche biblischen Hinweise muß D. verdrängen (vom „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ bis zur Forderung, vor dem Opfer mit dem „Bruder“ – und nicht im Opfer mit sich selbst und mit dem „Schicksal“ (S. 323) – sich zu versöhnen)? Nicht die „Versöhnung mit dem erlittenen Leid“ (die seitens des Täters die Forderung, das Opfer möge sich doch gefälligst damit abfinden, mit einschließt) sondern die Versöhnung des angetanen Leids (über die der Täter nichts vermag, außer durch Erinnerung, durchs Schuldbekenntnis) ist das einzige religiös noch zu begründende Ziel (vgl. S. 328); diese Grenze der Ethik aber ist innerhalb der Ethik, im Rahmen ethischer Argumentation, zu bestimmen, sobald man bereit ist, den Bann der reinen Innerlichkeit, der Psychologisierung zu sprengen und die Realität der Schuld (gegen ihre Verharmlosung zu bloßen „Schuldgefühlen“) sowie den Unterschied zwischen Tätern und Opfern wahrzunehmen und anzuerkennen.

    Die Instrumentalisierung ist eine Folge der Ubiquität, der Abstraktion von der historischen Realität (oder der Umwandlung der realen Schuld in Schuldgefühle, Grundlage der denunziatorischen Selbstentlastung). So wird die Psa verinnerlicht, im schlechten Sinne psychologisch und schließlich selber mythisch. Das Vieldeutige des Mythos (seine Funktion im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang) zieht die Willkür an, gibt den Mythos frei zur beliebigen Verwendung (insbesondere zur Selbstrechtfertigung durch Schuldverschiebung).

  • 17.06.90

    Zu der unsäglichen Interpretation des „Peer Gynt“ („Krieg und …“, S. 261ff): Das Verständnis der „Mutter Solveig“ als Symbol der „Mutter Kirche“, in deren Schoß zurückkehren muß, wer die verlorene Einheit mit Gott wiederherstellen will, beweist das inzestuöse Religionsverständnis D.’s; die Sünde liegt hier offensichtlich in der Freiheit, die sich aus der symbiotischen Beziehung lösen, aus dem Bann der Mutter heraustreten will; das erklärt seine gereizte Ablehnung der politischen Theologie. D. braucht die „Geborgenheit“, und zwar eine Geborgenheit, die ihn dann für sein Handeln in der feindlichen Welt vorab freispricht, gleichsam Generaldispens erteilt: die Moral soll ihm nicht mehr in die Quere kommen. Daher sein Haß auf den „Klerikalismus“ und die offene Nähe zum Antisemitismus. Er selbst will, was er der politischen Theologie vorwirft: die sich aufopfernde Mutter (vgl. auch „Kleriker“, S. …) retten.

    Es ist Abwehr und auswegloses, zwanghaftes Reagieren zugleich, wenn D. offensichtlich Handeln nur noch als „Machen“ kennt (S. 271, vgl. hierzu auch die dekouvrierende Einleitung zur „Krieg und …“). Ist es auch ein „Machen“, wenn ich ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist, rette? War der Widerstand gegen den Faschismus, war das Retten von Juden ein „Machen“?

    D.’s Kanonisierung des eigenen Werks: Er wirft mit dem schlichten Hinweis auf sein eigenes Buch … vor, daß er den Stand der exegetischen Forschung nicht kennt.

    D: ein Wolf im Schafspelz?

    „… und jeder psychische Mißklang im Inneren hinterläßt spürbar seine sozialen und politischen Folgen draußen“ (S. 273): Stellt D. hier die Kausalbeziehung auf den Kopf, um die andernfalls notwendige Schmerz- und Trauerarbeit zu umgehen?

    „… statt weiterhin zerstörerisch an seiner Exklusivität zu hängen“ (S. 275): Hier verwechselt D. die notwendige Entkonfessionalisierung des Christentums mit seinem Untergang in einem allgemeinen Religionsbrei. (Hat die extensive Analogiensammlung von Mythen und Märchen bei der Exegese nicht auch den Nebenzweck, den wirklichen Text zu verwischen, sich auf ihn im Detail dann nicht mehr einlassen zu müssen?)

    Kann es sein, daß jeder „Fortschritt“ eigentlich nur eine andere Gestalt des schlechten Alten realisiert? Die Abschaffung der Sklaverei war erst möglich, als die Herrschaftsbeziehung (im kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnis) gesellschaftlich institutionalisiert (entpersonalisiert, objektiviert) und zugleich individuell verinnerlicht war; auch die Abschaffung der Todesstrafe hatte ihre Vergesellschaftung und Verinnerlichung zur Voraussetzung.

    Ist etwa D.’s Rückgriff auf den archaischen Kannibalismus bei seinem Eucharistieverständnis exakt der Punkt der Remythisierung des Christentums, und zugleich der Bekenntnispunkt, an dem nur noch das non credo den Weg in ein versöhnungsfähiges (entkonfessionalisiertes) Christentum eröffnet? (S. 290ff) – Übrigens hier wieder der Eindruck wie schon in den SdB, daß D. strategisch geschickt Material beibringt, das u.a. den Nebeneffekt des Spurenverwischens hat.

  • 16.06.90

    Nach Kant und Hegel (aber auch in Kenntnis der in jeder Hinsicht verhängnisvollen Folgen kirchlicher Dogmatik) dürfte dieses Verfahren (Philosophie als Streit von Meinungen, von denen eine wahr sein soll) eigentlich nicht mehr möglich sein. Insoweit ist das D.’sche Konzept in der Tat regressiv. (Jede Meinung ist als Produkt von Instrumentalisierung unwahr. – „Bekenntnis“ und Meinung.)

    D.’s Kriegstheorie (begründet in Angst, die durch moralischen Druck einer veräußerlichten Ethik erzeugt und verstärkt wird) ist a) spekulativ und b) zu harmlos. Er bringt keine wirklichen Belege für seine Theorie. Daß er ausgerechnet an Franziskus und Tolstoi sich ärgert, die nun wirklich nicht zu Kriegen aufgehetzt haben, läßt nur auf seine eigenen Verdrängungen schließen. Vor allem aber übersieht er den gesamten (insbesondere am Faschismus zu studierenden) Komplex von gezielter Verführung, Herstellung von Komplizenschaft, Erzeugung des pathologisch guten Gewissens (die Ausbeutung von Angst, Ich-Schwäche, Schuldgefühlen ist nur ein Teil des Arrangements). Statt dessen denunziert er Beispiele der Umkehr.

    Die Gefahr der Psa liegt darin, daß sie mit der Hypostasierung des Unbewußten aus einem Adjektiv einen Substanzbegriff macht, aus einer Eigenschaft ein Ding. Wahr daran ist, daß es in der Tat (nach Groddeck) so etwas wie eine Dramaturgie des Es, etwas Subjekthaftes im Unbewußten gibt; aber dieses wäre konkret abzuleiten; im Übrigen ist das Es zwar unbewußt, aber es ist nicht „das“ Unbewußte: Das Unbewußte ist (als Negation des Bewußten) zunächst gegenstandsbezogen, Hinweis auf eine Verdrängung und auf deren Resultat: eine verkürzte, eingeschränkte Sicht der Realität, der Objektivität, die dann eine Art naturhaften, subjektlosen Subjekts (gleichsam den Schatten des verdrängenden „Ich“, das „Es“) nach sich zieht, konstituiert. Darauf bezieht sich in Büchners „Dantons Tod“ der Satz „was ist das, was in uns hurt, mordet …“ Dagegen setzt Freud das aufklärerische „Wo Es ist, soll Ich werden“. Wer (wie u.a. Jung und jetzt auch Drewermann) das Negative des Unbewußten verdrängt und gar von den heilenden Kräften des Ub redet, sollte vielleicht doch einmal darüber nachdenken, an welche Angst-, Schuld- und Gewaltquellen er damit rührt, welche Schleusen (des Vorurteils, der Verblendung, der Aggression) er öffnet.

    Doppelter Effekt der methodischen Kraft der Ubiquität:

    – es begründet eine dem Inertialsystem nachgebildete Objektivität, und

    – es stellt eine Gegenwart her, die die Fremdheit ausschaltet und verdrängt, indem sie die Gegenwart dem Vergangenen angleicht, die Differenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit (die Todesgrenze) tilgt.

    Die Ubiquität der Mythen ist ein Reflex davon, daß es im Bereich des Mythos einen Ausweg aus dem Totenreich nicht gibt.

  • 15.06.90

    „Krieg und Christentum“: Eine Diskussion, die nur auf Strategie, Technik und Psychologie sich beschränkt, aber den gesamtgesellschaftlichen Kontext verschweigt, hilft nicht weiter. Die fürchterlichen Auswirkungen der modernen Waffen, der Zwang, sie zu beschaffen und weiterzuentwickeln, reflektieren einen Aspekt des gesamtgesellschaftlichen Zustands, den D. verdrängt. Nach der DdA steckt in der Vergegenständlichung (im geschichtlichen Erkenntnisprozeß) das Verhältnis des Herrn zum Beherrschten mit drin: Ist der Stand der Waffentechnik, ist die darin sich manifestierende materielle Gewalt nicht auch ein Teil des geschichtlichen Stands der Objekt-Beziehung (der Erkenntnisstruktur) überhaupt? Ist die Rüstung nicht schon Teil des herrschenden Realitätsbegriffs (und war es je anders)?

    Zu S. 185ff: Kennt die Bibel überhaupt die Darstellung von Jagden? – War nur Nimrod ein großer Jäger? – Ist es nicht zu wenig, wenn D. die Tierfeindschaft des AT nur aus seinem Anthropozentrismus ableitet, aber nicht konkret belegt?

  • 14.06.90

    Der „Blut und Boden“-Mythos gewann seine Verführungs- und vor allem seine Bindungskraft aus der Verletzung des Inzest-Tabus (der bodenständigen, fremdenfeindlichen Symbiose mit der „Mutter Erde“ galt schon die Anwesenheit „fremden Blutes“ als „Blutschande“): Wer ihn akzeptierte, war Komplize der Urschuld und verloren. Durch die Enthistorisierung des biblischen Sündenfalls zur ubiquitären „j Urgeschichte“ und durch die Einbindung in den psa Mythos wird auch D’s Theologieverständnis in die Nähe des Inzestsyndroms gerückt (den er dann projektiv und stellvertretend in seinem Klerikalismus-Buch kritisiert). Die „falsche Zärtlichkeit“ (vgl. Hegels „falsche Zärtlichkeit für die Welt“), die jede moralische Forderung wegen des darin enthaltenen Schuldvorwurfs abweist, erinnert an die verwöhnende Fürsorge der Mutter, die dem Kind mit der Verantwortung für sich selbst auch die Erfahrungsmöglichkeit und die Freiheit vorenthält. D.’s Freiheit bleibt im Bann des autoritären Denkens (Kriege wird es immer geben; no pity for the poor, außer für die arme Seele, die man selber ist, denn lt. D. ist die wirkliche Armut nicht die materielle, sondern die seelische).

    D.’s Problem ist, daß er – aufgrund seiner psa Erfahrung -imgrunde weiß, daß eine Befreiung ohne Verarbeitung der Schuld nicht möglich ist, die Verarbeitung der Schuld heute (nach Auschwitz) jedoch die Verarbeitung der gesamten Natur- und Menschheitsgeschichte (der gesamten Vergangenheit) mit einschließt, das aber ohne wirklich freies (kritikfähiges) Verhalten zur Gegenwart, zu den realen politischen und ökonomischen Mächten nicht möglich ist (der „Mut“ zur Kritik der mythischen Mächte ist dafür nur ein ebenso schlechter wie verhängnisvoller Ersatz).

    Kannibalismus und „Eucharistie“? (Erst wenn die Beziehung zum Kannibalismus geklärt ist, …)

  • 12.06.90

    Das Rätsel D. scheint sich zu lösen in „Krieg und Christentum“, schon im Vorwort: Es ist sein Begriff des Politischen, der selbst neurotische Züge aufweist (depressive Kritik-Unfähigkeit). Genau gegen diesen Politikbegriff, nicht neben ihm, als gleichsam unpolitische Religion, ist Freiheit überhaupt erst zu begründen, die sich jedoch dann bei D. in dem gleichen Schuldzusammenhang wieder verstrickt, aus dem sie herausführen soll, und deshalb des göttlichen Trostes bedarf.

    D.’s „Politik“ ist eine, an der man sich nur die Hände schmutzig machen kann, die notwendig die Folgen nach sich zieht, die dann niemand mehr verantworten kann. Aber da hilft dann D.’s Therapie. D’s Politikverständnis schließt eigentlich jeden politischen Widerstand aus (und schändet so nachträglich den historischen: er war ja nutzlos), es entmündigt und infantilisiert den Gläubigen (nicht zufällig gibt es – zumal in Deutschland -diesen auffälligen physiognomischen Trend zum Baby-Face in der Politik; es gibt bereits viele Menschen, die offensichtlich nicht mehr alt werden, nur noch irgendwann plötzlich vergreisen).

    Nach der Realisierung der Einen Welt (in der es keine unberührten Enklaven, keine Schlupfwinkel mehr gibt, in der alles mit allem zusammenhängt) ist die Haltung des Zuschauers (der Verzicht aufs Eingreifen) insgesamt unmoralisch geworden; in dieser Welt gibt es zur Nachfolge (zur Übernahme der Schuld der Welt, zum Prinzip Verantwortung) keine Alternative mehr.

    Vgl. Christina von Brauns „Mutter Staat“ (Die schamlose Schönheit des Vergangenen, S. 73f)

    D.’s Religion: sublimierter Inzest? Das Angenommen-Werden eine Erlösung unter dem Vorbehalt des Fortbestehens der schuldbehafteten Beziehung? (Vgl. das „Rauschen des Blutes“, überhaupt die Affinität von Kitsch und Wiederholungszwang).

  • 11.06.90

    Hängt die Gereiztheit D.s gegenüber Rahner und vor allem Metz vielleicht mit dem Konzept der „ubiquitären“ Struktur der j Urgeschichte zusammen, mit der Tilgung ihres historischen Charakters, der Anpassung an den naturwissenschaftlichen Objektivitätsbegriff (letztlich mit der Verdrängung der Schöpfungslehre)?

    „Selten nur wurden Menschen in größerer Zahl in Deutschland …“ (III, S. XVI) – Auschwitz lag nicht in Deutschland. – Diese Selbstmitleidsblockade war der Grund für die unsäglichen Verdrängungsleistungen in den vierziger Jahren.

    „(Die Psa) versteht die Angst nur (?) als einen Reflex äußerer Gefahrensituationen, nicht als etwas, das vom Bewußtsein der Menschen selbst ausgeht.“ (III, S. XX)

    „Nicht was andere aus einem gemacht haben, ist das Entscheidende, sondern zu wem man sich selbst bestimmt hat und wozu man sich in jedem Augenblick auch heute noch weiter bestimmt.“ (III, S. XXIII) – Konkreter: Für das, was andere aus einem gemacht haben (d.h. für sich selbst, für den eigenen Charakter), die Verantwortung übernehmen. Der Sartresche Existenzialismus, auf den D. sich hier offensichtlich bezieht, abstrahiert von der Geschichte und von der versöhnenden Kraft der Erinnerung, wenn er den Vorrang der Existenz vor dem Wesen und die Fähigkeit, das eigene Wesen selbst zu setzen, vertritt.

    „So wird die Objektivität des Erkennens, die den Aufstieg der Wissenschaft ermöglichte, von der ständigen Ichbezogenheit der Angst blockiert.“ (III, S. XXXV) – Nicht nur blockiert, sondern gleichzeitig und ebensosehr blind weitergetrieben (vgl. die DdA).

    „Was ein Neurotiker an seinem Therapeuten lernt, das hat die Menschheit lernen müssen in dem Glauben an den Gott des Volkes Israel, mit dem einen wesentlichen Unterschied …“ (III, S. XXXVI) – Ist das das D.sche Konzept?

    Die Anwendung des Bildes vom brennenden Dornbusch (III, S. XXXVII) liegt nur knapp daneben: Nicht die Menschen, sondern das Werk ihrer Hände (was ihre Bearbeitung des Ackers für sie hervorbringt: die gegenständliche Welt als Substrat der Geschichte und als Gericht) ist das mit dem Bild Gemeinte.

    „Im Umkreis der Mythen wie der Neurosen gibt es keine Geschichtlichkeit (er meint: keine wirkliche Geschichte, H.H.); alles erstarrt darin vielmehr zu einer angsterfüllten Gegenwart (zur Ubiquität, H.H.), die von dem Schrecken und den Mächten der Vergangenheit (vom Mythos, vom Schicksal, H.H.) vollkommen überlagert wird.“ (III, S. XXXIX) Der Umkreis der Mythen wie der Neurosen ist demnach exakt der durch das Erkenntnisgesetz der Wissenschaft (in den Naturwissenschaften durchs Inertialprinzip) bestimmte, und er umfaßt nachweisbar auch das D.sche Konzept (das Inertialsystem stellt jene Zweideutigkeit, jene Ununterscheidbarkeit von Objektivität und Projektion, Paranoia und Selbstmitleid, her, die Medium sowie Grund und Folge der Instrumentalisierung ist und nur durch Schuldreflexion sich auflösen läßt).

    D.’s Versuch, eine theistische Theologie ohne Sündenfall und Auferstehung der Toten zu begründen, führt zwangsläufig in den Mythos zurück. Die Existenz Gottes läßt sich nicht daraus ableiten, daß andernfalls nur Verzweiflung, „das Böse“ und der Wahnsinn bleiben. Auch die therapeutische Instrumentalisierung ist blasphemisch. – Im übrigen würde seine Theologie anders aussehen, wenn er wirklich glauben (und den Glauben wörtlich nehmen) würde anstatt an den Wunsch sich zu klammern, daß es (für wen?) gut wäre, wenn es einen Gott gäbe.

    Gibt es einen trinitarischen Bezug von Angst, Schuld und Scham (Projektionen: Macht, Gericht, Sexismus; Opfer: Juden, Ketzer, Frauen)?

  • 08.06.90

    Der Eindruck des Konfusen ist in der assoziativen Methode D.’s begründet. Man ist immer wieder überrascht über wirklich eingreifende Einsichten, die dann aber wieder völlig unverbunden neben Formulierungen stehen, die sich dazu wie ein Dementi verhalten. Hinzu kommt der Eindruck, daß er offensichtlich zu qualitativen Unterscheidungen nicht fähig ist (Affinität zum Kitsch).

    „Das ‚Raffinement‘ der Sintflutmythe“ (II, S. 396) läge nach der Darstellung D.’s darin, daß durch ein gigantisches Projektions-und Schuldverschubsystem die ganze alte Menschheit geopfert wird, um von der Schuld des „Helden“ abzulenken, die Kastrationsdrohung abzuwenden, den Vater zu überlisten, die Vereinigung mit der Mutter zu ermöglichen und dem Helden das gute Gewissen zu verschaffen, in einem neuen Bund mit Gott eine neue Menschheit, fast eine neue Schöpfung zu begründen. Nach D. (ebd.) „(wurde) die Vernichtung der Menschheit gehemmt durch das Erbarmen Gottes; das Gericht sei zugleich die Rettung, … der Aufstand des Sohnes gegen den Vater (wird) in eine Versöhnung mit dem Vater umgewandelt“ (nur eben auf Kosten des Untergangs der übrigen Menschheit, die ja hiernach an dem „Aufstand des Sohnes“ unbeteiligt, deren „Schuld“ nur noch als Produkt einer Projektion zu verstehen, und deren Vernichtung der Preis für die Rettung wäre). – Diese Interpretation verwirrt mehr als sie klärt.

  • 07.06.90

    Es ist ein einfaches Schema, das die Argumentation D.’s beherrscht: drinnen (in der Familie, in der Kirche: ohne Gott) herrscht Angst; draußen (bei den andern, in der Welt: im Paradies) ist der Mensch entronnen, frei. Freiheit ist da, wo ich nicht bin (für dem Zölibatären: in der Liebe). So einfach und (deshalb) so konfus ist die Argumentation D.s tatsächlich. Das erklärt es vielleicht, wenn er bei Autoren, die beim Wort genommen werden wollen, ausflippt.

    Gibt es auch eine kollektive Anorexia nervosa (II, S. 243ff); den Versuch, „von der eigenen Substanz zu leben: autark, narzißtisch, voller Schuldgefühle, besetzt mit Angst, Ekel- und Schamschranken, nach rückwärts gewandt, ohne Hoffnung auf Zukunft, …“ (II, S. 246)? Ist das nicht die präzise Beschreibung des Nationalismus oder auch des Konfessionalismus? – Vgl. hierzu aber Christina von Braun!

  • 06.06.90

    D. schneidet den historischen Grund (die aufzuarbeitende Vergangenheit) der Kirche, ihre Verflochtenheit in den historischen Naturprozeß einfach ab. In der Feststellung ihrer Unzeitgemäßheit ergreift er Partei für das Zeitgemäße.

  • 05.06.90

    Drewermanns Kritik an den Klerikern gründet im Blick auf die (von ihm als Kleriker beneidete) Welt; sein Ideal ist die „freie Persönlichkeit“.

    Die Kritik D.’s nimmt demagogische und denunziatorische Züge an, wenn es darum geht, projektiv die Ansprüche und Forderungen des Gebots (das er vom Gesetz und vom Befehl offensichtlich nicht unterscheiden kann) abzuwehren (vgl. vor allem die Ausführungen zum Gehorsam).

    Merkwürdiger Eindruck beim Drewermann: Argumentation unverbunden, auch auf Kosten von Widersprüchen; schwer zu fassen: zu jeder Aussage auch das Dementi; großes strategisches (oder nur taktisches?) Geschick. – Vor allem merkwürdig die gereizte Reaktion auf Rahner, mehr noch auf J.B.Metz. Frage, ob nicht gerade hier projektiver Anteil? Insbesondere das Problem der gesellschaftlichen und historischen Valenz/Vermittlung psychoanalytischer Einsichten. Psa. gebunden an die familiäre, intime Situation; reif für Psa. erst bei einem bestimmten Stand der Entwicklung der Privatsphäre (an die insbesondere auch der katholische Religionsbegriff gebunden ist)? Übertragbarkeit auf andere Situationen? Privatsphäre selbst gesellschaftlich-historisch vermittelt; Zusammenhang mit der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur; Funktion des Weltbegriffs. Fehlende Reflexion hierauf hat Zweideutigkeit/Ambivalenz zur Folge; Folge der Herrschaft der Reflexionsbegriffe? (…: Seit Entwicklung der Psa erübrigt sich die Produktion von Kunst, da jetzt Neurosen direkt (ohne Sublimierung) bearbeitet werden können: Anwendung auf Drewermann). Abwehr der Theologie notwendig aus Selbstschutzgründen, zur Erhaltung der Produktivität?

    Steckt in Adornos Satz: „Der Ankläger hat immer Unrecht“ nicht auch ein logisches Problem, der Kern der negativen Dialektik? Und rührt nicht die „Unlogik“, der merkwürdig diffuse und oszillierende Wahrheitsbegriff bei D. aus der Nichtbeachtung der durch A.’s Satz bezeichneten Logik? M.a.W.: folgt aus dem Verständnis, der Entschuldigung, immer auch die Erlaubnis? Es ist das gleiche Mißverständnis, das der Verwechslung von Moral und Recht zugrunde liegt. (Bezeichnend, daß immer die gegen die „Gesetzlichkeit“ der jüdischen Religion aufbegehren, die selbst diese einfache Unterscheidung nicht verstehen oder nicht wahrhaben wollen).

  • 04.06.90

    „… Illusionen, deren Trugbild dem ungetrübten Auge eines Kindes verborgen bleiben sollte.“ (S. 476)

    „… verzehrte rasch und gewaltsam wie ein Steppenbrand die kleinen Reste an spärlichem Grün in den Niederungen und Tälern des irdischen Lebens.“ (S. 472) – Solche Sprachbilder verraten mehr, als der unmittelbare Wortlaut des Textes wahrhaben will.

    So verdienstvoll die Gesamtdarstellung des Klerikers ist, es bleibt ein Verdacht, daß hier eine katholische Assimilation (wie im letzten Jahrhundert die jüdische) auch den Schatten des Selbsthasses (eines verinnerlichten Antiklerikalismus) nach sich zieht. Ausgeblendet wird der Hintergrund (der Symptomenkomplex der zweiten Schuld) in Deutschland; die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird nur soweit mit vollzogen, wie sie sich in die Kritik an der Kirche mit einbeziehen läßt. Die Psychologie des Klerikers wird sicher überhaupt erst durchsichtig, sobald sie die Reflexion auf den welthistorischen Zustand der Dinge mit einbezieht: das gesamtgesellschaftliche Verhältnis von Es, Ich und Über-Ich, von dem das kirchliche nur ein ohnmächtiger Reflex ist. Der Verdacht bleibt, daß D. die Vorteile der Assimilation und des Schutzes der kirchlichen Institution zugleich haben möchte; den Widerspruch, der daraus notgedrungen folgt, hat er nicht aufgearbeitet (den Widerspruch des antiautoritären Autoritarismus).

    D.’s Antisemitismus? (S. 493ff: die „Religion des Alten Testamentes“)

    Das Christentum und das Erbe Ägyptens (S. 496): Verrat des Exodus.

    Zusammenhang der umfassenden Adaptation mythischer Motive mit der zentralen Verdrängung des politischen Teils der Idee des seligen Lebens. (Bedeutung Ägyptens für D.: Kein Gedanke an die Realität des Pharaonischen Reichs; Entpolitisierung, Psychologisierung der Befreiungstat Moses, des Mordes an dem Sklaven-Aufseher).

    2 Fragen:

    – Mit dem sozialen Hintergrund blendet D. auch das Faktum aus, daß sein Thema, insbesondere Keuschheit und Sexualität jetzt, infolge einiger genau bestimmbarer gesellschaftlicher Veränderungen, zum „Problem“ wird, an dem auch die Kleriker selbst nicht mehr vorbei kommen (Zusammenhang mit dem Ursprung der Psychoanalyse).

    – Ausgeblendet wird bei der Darstellung der Probleme der Keuschheit eigentlich vollständig das Problem, wie es aus dem Blickwinkel der Frau sich darstellt, der sehr wohl Vorbehalte gegen die freie Verfügbarkeit für männliche Begierden mit einschließt.

    M.a.W. verkürzt wird das gesamte Problem um den Problemkern, der vielleicht doch (freilich mit ganz anderen Konsequenzen, als aus der Sicht des Sexismus, des klerikalen Herrendenkens) in der kirchlichen Tradition steckt.

    „… der Haß auf die eigene Männlichkeit … übersetzt sich jetzt in eine Fülle reiner Gedanken zur Rettung der Welt“ (S. 556): D.h. wer über Auschwitz den Verstand verliert, und ernst macht mit der Maxime, daß das nicht wieder eintreten darf, tut es aus „Haß auf die eigene Männlichkeit“? Umgekehrt: Birgt nicht das Bestreben, den „Haß auf die eigene Männlichkeit“ zu vermeiden, gerade die Gefahr des Sexismus in sich? – Unfreiwilliger Hinweis auf den Zusammenhang von Empathie und parakletischem Denken?

    D.s Konzept stimmt nur unter der Voraussetzung, daß wir in einer heilen Welt leben, die nur von der Kirche angeschwärzt wird. Nur so läßt sich der Eindruck vermitteln: Wenn ihr aus den Fängen des Klerikalismus euch befreit, ist alles in Ordnung. Statt dessen käme es darauf an, diesen Zustand des Klerikalismus als selbst vermittelt (objektiv im Zustand der Welt, subjektiv in der Unfähigkeit, den Wahrheitskern der theologischen Tradition zu realisieren) zu begreifen. Und die begriffene Vermittlung könnte sehr wohl ein Moment der Realisierung der Wahrheit der theologischen Tradition sein.

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