Drewermann

  • 03.06.90

    Drewermann/Metz:

    – Strukturen des Bösen ohne Erwähnung von Auschwitz, ohne Kenntnis der bisherigen Analyse des Antisemitismus, offensichtlich ohne Kenntnis der Untersuchung des autoritären Charakters („no pity for the poor“: Weigerung, die Verantwortung für den Zustand der Welt zu übernehmen)

    – Karl Thieme: Verwandtschaft von Antisemitismus und Antiklerikalismus (D.s Grenze gegen beide diffus, nicht eindeutig)

    – Begriffe wie Forderung, Gebot lassen sich nicht streichen (irgendwann muß jeder die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen, ohne sich noch auf fremde Schuld herausreden zu dürfen; Psychoanalyse nur sinnvoll, wenn sie bei Übernahme dieser Verantwortung hilft: „wo Es war, soll Ich werden“, andernfalls nur strategische Nutzung des Schuldverschubsystems zur eigenen Entlastung: zur Verdrängung von „Schuldgefühlen“ und zur Herstellung des pathologisch guten Gewissens)

    – D. wehrt mit dem „moralischen Zwang“ eigentlich die Erinnerung an die Ehre und Würde des Subjekts (seiner Verantwortung) ab; die Psychologie ersetzt nicht die Moral, sie ist nur ein notwendiges Hilfsmittel gegen die Ideologisierung der Moral (gegen ihre Verwendung als Mittel der Rechtfertigung und Anklage – der Ankläger hat immer unrecht)

    Psychoanalyse auch Prototyp, Paradigma des „Wissens“ im Sinne Benjamins.

    „… Geld und Besitz in einen Fetisch absoluter Daseinssicherung zu verwandeln“ (S. 378): Dieser „Fetisch“ ist doch nun tatsächlich das transzendentale Apriori des Realitätsprinzips, des Ich, die Verknüpfung der Formen der Anschauung mit der transzendentalen Logik, Grund und Motor des historischen Abstraktionsprozesses, Konstitutionsgrund der Welt, Inhaber des Gewaltmonopols (auch gegen den Staat – kraft des Verfassungsprinzips des Eigentums), Subjekt der Rechtfertigung, der Anklage und des Weltgerichts. Diesem „Fetisch“ ist mit moralischen Argumenten nicht beizukommen. – Vergleichbar nur dem hilflosen kirchlichen Kampf gegen die Naturwissenschaften zu Beginn der Neuzeit. (Welche Bedeutung haben vor diesem Hintergrund das vatikanische Bankwesen und die deutsche Kirchensteuerregelung? – Vgl. Auch Le Goff: Die Geburt des Fegefeuers und Wucherzins und Höllenqualen – auch eine bis heute unaufgearbeitete Vergangenheit)

  • 02.06.90

    „… entsprechend seiner zwangshaften Art sind die Kategorien seines Denkens das ‚Du sollst‘ und ‚Man muß‘, und so kennt seine Sprache keinen Konjunktiv noch Optativ, doch um so mehr den Indikativ und Imperativ.“ (S. 296)

    Das Mönchstum als innerkirchlicher Protest gegen die Verweltlichung der Kirche, wird fortgesetzt in der Ketzerbewegung, in den abgespaltenen (dann selbst verweltlichten) Konfessionen. (vgl. S. 346)

  • 01.06.90

    D. meidet die Anbindung psychoanalytischer Begriffe an die Strukturbewegungen im historischen Prozeß: Die Ableitung der „Methoden theologischer Zwangsvereinheitlichung durch Ketzermacherei und Häretikerausschluß“ aus der Psychologie des Klerikers z.B. müßte ergänzt werden durch eine kritische Analyse der realen Geschichte von Ich, Es und Über-Ich (der Geschichte der Herrschaft, in die sie verflochten sind): Hier wäre die Kenntnis der materialistischen (politisch-ökonomischen) Geschichtsanalyse zweifellos von Nutzen. Hätte D. sich etwas mehr mit der jüngsten Vergangenheit befaßt, würde er z.B. den Begriff der „Identifikation mit dem Aggressor“ kennen, der sicherlich mehr zur Aufklärung frühkirchlicher Vorgänge beitragen könnte (wie überhaupt die Anwendung psychoanalytischer Methoden auf diese Periode konstruktiver sein würde als ihre Anwendung auf die „jahwistische Urgeschichte“: kann es vielleicht sein, daß das Christentum das Objekt der Psychoanalyse überhaupt erst „geschaffen“ hat? – vgl. S. 278: die „ödipale Problematik … lediglich eine kulturelle Variable, deren Einfluß auf die Mentalität der europäischen Zivilisationsgeschichte allerdings nur schwer überschätzt werden kann“).

    Zu Dornen und Disteln: sh. Mt 7,16 „die Trauben bei den Dornen und Feigen bei den Disteln suchen“.

    Adorno: Heute ist schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal. – Hat D. nie den Zynismus (und seine Wurzeln) analysiert, der heute als notwendige Folge aus dem Zustand der Theologie (nicht erst aus der Psychologie des Klerikers) resultiert, und der möglicherweise stärker, wirksamer und weiterreichend im katholischen Laien sich manifestiert, der gelernt hat, sein instrumentalisiertes Christentum als Herrschaftsmittel im privaten Bereich wie in der Politik taktisch und strategisch zu nutzen. Dagegen hat der Kleriker durch seine theologische Ausbildung noch Reibungsflächen, die vielleicht sein Leiden /am Zustand der Theologie) erhöhen, die aber auch die Chance eröffnen, durch Reflexion, durch Aufarbeitung dieses Leidens den Zustand der Theologie selbst zu ändern (die Möglichkeiten ihres Mißbrauchs zu reduzieren).

    Bemerkt D. nicht die Projektion, die in der unkritischen Rezeption des Katharerbildes steckt? (S. 162).

    Zu dem „Mangel an Persönlichkeit“ (S. 167, 170) vgl. die Bemerkungen von F.R. im „Stern“. Ist der Begriff der P. eigentlich psychoanalytisch relevant?

    Zu der wirklich nur noch polemischen Darstellung der klerikalen Kleidung: Warum eigentlich so ausführlich nur hinsichtlich der Nonnenkleidung? Was ist mit der liturgischen Kleidung? Und vor allem: Fehlt nicht als Hintergrund eine Soziologie der Kleidung (und hierbei auch der Mode) überhaupt? Ist es zulässig, hier die Realität als nicht mehr zu hinterfragende Normalität hinzunehmen, an der dann die klerikale Kleidung (ihre diachronische Symbolik) so unreflektiert gemessen werden darf? Wäre hier nicht eher ein Aufklärung dieser Diachronik, eine Aufarbeitung der Geschichte dieser gegenwärtigen Vergangenheit vonnöten?

    Drewermann kennt offensichtlich nur das „persönliche Gebet“ (das es heute eigentlich schon nicht mehr gibt, jedenfalls nicht mehr in authentischer Form), nicht jedoch das meditative Gebet (vgl. Reinhold Schneiders „allein den Betern …“ und Ernst Blochs „Wahrheit als Gebet“): Das persönliche Gebet ist den Tätern nach Auschwitz untersagt; das meditative Gebet (als Trauer- und Erinnerungsarbeit) behält seine Bedeutung (ja gewinnt sie heute vielleicht sogar verstärkt) als Vorstufe und als Exercitium des parakletischen Denkens.

    Was ist eine „persönliche Vertiefung der Frömmigkeit“ (S. 179)? Auch die Wachmannschaften in den KZs haben Weihnachten gefeiert.

    Zur Bußpraxis (S. 180): Die wirkliche Schuld ist heute nicht mehr beichtfähig, sie ist nicht mehr in dem Sinne individuell, wie es das Institut der Beichte voraussetzt. Vgl. hierzu das Jesus-Wort über die Aussöhnung mit dem Bruder vor dem Opfer: Dürfte hiernach heute überhaupt noch jemand am Opfer teilnehmen?

    „Was immer heute Religion heißt, vermittelt sich persönlich oder gar nicht …“ (S. 212f): Das kann doch nur heißen, daß der Inhalt, die Wahrheit, nicht mehr vermittelbar ist, sondern nur noch die „personality“ des Vermittlers (des „Führers“ – vgl. die Vorbereitung des H.J. Degenhardt auf das Priesteramt), vielleicht so etwas wie Charisma, Aufrichtigkeit o.ä., jedenfalls etwas, daß nicht mehr anhand nachvollziehbarer Kriterien (außer denen des „positiven Denkens“) zu beurteilen ist?

    D.s Begriff von den Psalmen: „tagaus tagein zu dem Hersagen altorientalischer Lieder genötigt“ – „Haßtiraden der Psalmen“ -„nicht ein einziges wirkliches Fürbittgebet“ – „Texte, gebunden an den heiligen Egoismus einer altorientalischen Stammesreligion“ – „muß sie beten, daß Gott dem König Macht gibt, seine Rache an den Feinden zu genießen“ (S. 179)

    S. 245ff: D. hat den entscheidenden Punkt des double bind in der Psychologie des Klerikers offensichtlich nicht begriffen (obgleich er ihn selbst kurz vorher sehr genau beschrieben hat): nämlich die „Doppelbindung“ an die „Mutter Kirche“, nicht selten projektiv ausgebildet in der priesterlichen Marienverehrung (sh. jedoch hierzu S. 287f). Dagegen ist das von D. beschriebene Beispiel der Gefühlsverwirrung in der ungeklärten Beziehung einer Frau zu „ihrem“ Pfarrer ein Fall, der nur vor dem Hintergrund einer selbst bereits wahnhaften (blasphemischen) Religionsbindung double-bind-ähnliche Züge annimmt (vgl. Schizophrenie und Familie – Anwendung auf Genesis und Struktur der Marienverehrung?). – Einbindung von double-bind-Strukturen in die Normalität zunächst durch die Religionen, dann Verselbständigung (sekundäre Religion – vgl. Spengler)?

  • 31.05.90

    Zu Heidegger: Das Vorhandene ist das Zuhandene; beide sind nicht unmittelbar gegeben, sondern gesellschaftlich (oder transzendentallogisch, durch Herrschaft) vermittelt (das kantische Ich, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist das Subjekt-Objekt von Herrschaft und der Repräsentant der Welt, des Realitätsprinzips; das Ich bin nicht ich). Beide stehen im Kontext (im Schuldzusammenhang) von Naturbeherrschung.

    Die (mehr den Leser als die Sache) erschöpfende Geschwätzigkeit Drewermanns, die unkonzentrierte Art zu schreiben, das punktuelle Reagieren auf Reize: das alles sind Symptome der Verdrängung oder Verleugnung. Zentral scheint hierbei die Verdrängung der realen Schuld zu sein (soweit sie rechtlich nicht dingfest zu machen ist): der „Schuldgefühle“, die therapeutisch aufzulösen seien. Ist das sein Befreiungsbegriff? Vgl. die Wendung „Erlösung (was immer das bedeuten mag)“ (Kleriker, ca. S. 90-100?). Bezeichnend, daß der Faschismus (ebenso die Vorgeschichte in Ketzerverfolgung, Inquisition, Antisemitismus, Hexenverfolgung) nur als Folie für den Schuldvorwurf gegen die Kirche, den Klerus, erscheint (vgl. u.a. S. 162f), nicht aber als Gegenstand der Reflexion, der „Gewissenserforschung“ (die D. vielleicht auch für veraltet hält). Insgesamt würde das einer Strategie der Befreiung durch Projektion (die Gefahr jeglicher Therapie) entsprechen, der technischen Handhabung eines Schuldverschubsystems, das die eigene Entlastung mit der Belastung der Außenwelt erkauft, gleichsam die Nachfolge Christi auf den Kopf stellt und glaubt, die Umkehr sich ersparen zu können. Diese Strategie wird mit Angst erkauft, für die er als Palliativ dann den lieben Gott braucht (Verwechslung von Schöpfung mit „Erzeugung“ der Materie). Das Resultat dieser Strategie wäre das pathologisch gute Gewissen (der Quellpunkt psychotischer Normalität; Drewermann weiß offensichtlich nicht, wovon er redet, wenn er dem Klerus eine „ontologische Verunsicherung“ nachsagt; er hätte vielleicht doch auch Sartres Beschreibung eines Antisemiten einmal lesen sollen). Auch Drewermann möchte (wie alle Kleriker heute) „normal“ sein (vgl. S. 170: „Die Künstlichkeit und Exemtheit gegenüber der Normalität …“).

    Das Unsystematische läßt sich mit Händen greifen in D.’s Kritik der Opfertheologie: Mit der Opfertheologie verwirft er auch die zentrale Lehre von der Übernahme der Schuld (des Abstiegs zur Hölle), den zentralen Punkt des Nachfolgegebots (auch hier würde er – Gesetz und Gebot verwechselnd, wie die gesamte Theologie, die den Offenbarungsbegriff verdrängt hat – vielleicht nur noch den „moralischen Zwang“ wahrnehmen, nicht aber mehr den theologischen Grund, den Kontext und Zusammenhang des Begriffs der Nachfolge).

    Der missionarische Eifer und die Ketzerverfolgung sind Symptome der Ich-Schwäche (die mit dem Herrendenken wie der Schatten mit dem Licht verbunden ist): Man glaubt seiner eigenen Überzeugung erst, wenn sie kollektiv abgesichert ist (der passive Glaube bedarf der Bestätigung durch den identischen Glauben der anderen, während der aktive Glaube seine eigene Rationalität entfaltet und der kollektiven Absicherung nicht bedarf). Vermittelt wird diese Absicherung durch die instrumentalisierte Orthodoxie des Dogmas, des durch Autorität definierten Bekenntnisses (und durch die Wut, die gegen alle sich richtet, die die Demuts- und Unterwerfungsgeste der Einstimmung ins kollektive Zwangsbekenntnis nicht mitvollziehen).

  • 30.05.90

    Die Adaptation der Psychoanalyse bietet Drewermann den Vorteil, daß er zwar seine Gegner unter Anklage setzen kann, aber den „moralischen Druck“ (den er bei Metz „tadelt“) dadurch vermeidet, daß er die Moral suspendiert. Er vergißt: Das Problem der Kirche heute sind nicht die Kleriker, sondern das Problem ist der Zustand der Theologie. Und auf den Zustand der Theologie ist eher eine theologische Antwort vonnöten als eine psychoanalytische.

    Die Psychoanalyse gehört wie der Marxismus zu den großen Endprodukten der europäischen Aufklärung, in denen der Primat des Verdachts sich durchsetzt; sie ziehen die Konsequenz aus dem Herrendenken der Aufklärung, gegen das sie ohnmächtig rebellieren. Herrendenken, und zwar oberlehrerhaftes, ist es, wenn Peter Eicher es Drewermann zubilligt, „Lob und Tadel“ verteilen zu müssen. Und wie tief er die psychoanalytische Schule des Verdachts verinnerlicht hat, sieht man an dem Vorwurf gegen Füssel, dem er vorhalten zu müssen scheint, daß er den Bruch mit der Kirche durch seine Konzeption selber provoziert habe(?).

    Drewermann unterschlägt die Tradition; er unterschlägt, daß zum Inhalt der theologischen Erkenntnis ein affektives und ein moralisches Element gehört. Bezeichnend die Verwendung des Freud-Zitats in der Struktur des Bösen. Während Freud anerkennt, daß das Geliebtwerden-Wollen des Ich ein Teil seiner Verflechtung in den Gesamtschuldzusammenhang ist und die psychoanalytische Erinnerungsarbeit als das Medium der Aufarbeitung dieser Verflechtung in den Schuldzusammenhang sieht (wo Es ist, soll Ich werden), hält Drewermann das Ich unkritisch als Ausgangspunkt fest und ersetzt die Erinnerungsarbeit durch einen theologischen Dezisionismus.

    Drewermann scheint die Differenz zwischen jüdisch-christlicher Offenbarungsreligion und dem Mythos nicht zu kennen (es finden sich sogar Anklänge an die diskriminierende Tradition des Gesetzesbegriffs). Diese Differenz, an der die Geschichte der Theologie seit den Kirchenvätern und über die Summa contra gentiles bis ins 17. Jahrhundert sich abgearbeitet hat, scheint er nicht zu kennen: Bei ihm versinkt auch das Christentum in den allgemeinen Religionsbrei, der für ihn als Psychoanalytiker, wenn er nicht die Krücke Jung benutzen würde, eigentlich nur noch Gegenstand der Kritik sein könnte. Einer Kritik, deren Modell in dem psychoanalytischen Psychosebegriff vorliegt.

    Es gibt bei der Lektüre Drewermann Stellen, die provozieren, Stellen, bei denen man innehalten sollte, um zu prüfen ob der Grund der Irritation nicht in einem selber liegt. Wirklich schlimm scheint mir aber die Analogie des lebenschaffenden Gotteshauchs mit einem Furz zu sein. Hier, scheint mir, liegt ein zentraler Punkt für eine Drewermann-Kritik: Wird hier nicht die vom Christentum nicht ablösbare Lehre vom Heiligen Geist weggedrückt, sozusagen wie ein F. ausgeschieden? Ist das Pneuma wirklich nur ein Furz, ist es nur ein flatus vocis, wie es die Nominalisten genannt haben, an deren Tradition Drewermann ohnmächtig und zwangshaft gebunden bleibt. (Dagegen Umkehr des flatus vocis zur Begriffskritik, zum Sprechen des Objekts, zur Namenlehre, die den erhabenen, zarten Indifferenzpunkt bezeichnet, an dem eine neubegründete Theologie anzusetzen hätte.)

    Die Anbindung an die wissenschaftliche Tradition kann zweierlei bedeuten:

    – die Anbindung an das Herrendenken, das in der Wissenschaft naiv und unreflektiert sich durchsetzt und verkörpert (als Mittel der Naturbeherrschung in Natur und Gesellschaft); genau hiergegen richtete sich die Dialektik der Aufklärung: als Aufweis der Verankerung des Herrendenkens in der Struktur des Subjekts, der notwendigen Verknüpfung mit dem blinden Fleck, zu dem das Subjekt dann wird und den es selber im historischen Erkenntnisprozeß verkörpert;

    – das Resultat dieser umwälzenden Arbeit des Herrendenkens (der kopernikanisch-kantischen Wende) wird akzeptiert, zur Kenntnis genommen, verarbeitet, aber in einer Form, in der der Begriff der Umkehr und das Gebot „Richtet nicht“ erkenntiskritische Relevanz gewinnen. Gegen das anklagende und richtende Herrendenken und sein Resultat wird Revision eingelegt: Begriff des parakletischen, verteidigenden Denkens. Über den Zusammenhang dieses Denkens mit der Idee des Heiligen Geistes, der dritten Person in der Gottheit, wäre nachzudenken. Hierbei wäre zu prüfen, ob nicht die Einbindung ins trinitarische Dogma, ob nicht das Abschlußhafte dieser Lehre die blasphemische Entmächtigung des Heiligen Geistes (durch Instrumentalisierung und Hypostasierung) zwangsläufig zur Folge hatte. Hier ist der Heilige Geist selbst zum Gegenstand des Herrendenkens geworden. Nicht die Lehre ist unwahr, wohl aber die Form ihrer theologischen Adaptation. Hieraus wäre die Idee eines entkonfessionalisierten Christentums, einer entkonfessionalisierten Kirche, die Kritik des Bekenntnisbegriffs und seiner Funktion in der Geschichte der Kirche, des Glaubens und im Selbstverständnis des Christen abzuleiten.

    Verräterisch auch der Begriff des Bösen bei Drewermann, den er schließlich umstandslos mit der Psychose, mit dem Wahn identifiziert. Waren Hitler, waren die KZ-Schergen, waren die kleinen Denunzianten nur Psychoten? Dieses Konstrukt liegt nahe, wäre aber insoweit näher und differenzierter zu fassen, als anhand einer zeitnahen, aktualisierten Welt- und Gesellschaftskritik die (im klinischen Sinne) psychotischen Züge der Normalität aufzuzeigen und seine Abkunft aus der gegenwärtigen Gestalt des Realitätsprinzips (und des Ich) nachzuweisen wäre. Ein dialektischer Psychosebegriff hätte nachzuweisen, daß die Bahn des Realitätsprinzips heute direkt in psychotische Strukturen hineinführt. Drewermanns ungemein produktiver Erkenntniseinsatz steht durch den mimetischen Anteil, ohne den er nicht zu leisten wäre, selber in der Gefahr, diesem psychotischen Bereich zu verfallen. Die Gefahr erhöht sich in dem Maße, in dem er versucht, sie durch Projektion zu neutralisieren. Kuno Füssel und Eugen Drewermann sollten vielleicht doch gemeinsam prüfen, ob es nicht möglich ist, anhand der Beziehung zwischen dem materialistischen Begriff des falschen Bewußtseins und dem Psychosebegriff dieses Dunkel aufzuklären.

    Sind die innerkirchlichen Ängste in der Endphase des Nationalsozialismus, daß nach den Juden die Kirche drankomme, die Katholiken, – waren und sind diese Ängste eigentlich so unbegründet? Ist der Schluß, den Karl Thieme nach dem Krieg daraus gezogen hat, daß auch der Antiklerikalismus Verwandtschaftszüge mit dem Antisemitismus aufweist, so unbegründet? Hier könnte es sich um Ängste handeln, deren Realteil von ihrem paranoiden Teil sich fast nicht mehr trennen läßt (Zusammenhang mit der psychotischen Struktur des Normalen?).

    Kennt Drewermann eigentlich eine wirkliche Angstbearbeitung; benutzt er nicht statt dessen den lieben Gott nur als Palliativ? Sozusagen: Wer in Gottes Hand ruht – diese schöne fromme Vorstellung! -, hat es nicht nötig, Angst zu haben. Aber wird hier Angst nicht nur verdrängt, und affiziert das nicht auch die Gottesvorstellung? Gibt es überhaupt bei Drewermann eine Theologie, die dem Anspruch des Gottsuchens genügt? Leitet sich sein Gottesbegriff her von einem nicht abschließend aufgeklärten Bedürfnis (Konsumideologie, Reflex der Betreuungskirche)? Verweist nicht der Begriff einer „ontologischen Verunsicherung“ in dem Klerikerbuch auf den Dezisionismus Drewermanns? Man sollte Drewermann einen Lehrstuhl geben, aber dann die Auseinandersetzung mit ihm beginnen; es lohnt sich!

    Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen: Ist das nicht ein Hinweis darauf, daß das selige Leben ohne die großartige Objektivität der Kinder nicht zu gewinnen ist; jene (präödipale) Objektivität, die noch nicht durch den blinden Fleck des Ich getrübt ist, bei der die Entzündung durchs Ich noch nicht eingetreten ist.

  • 23.05.90

    In jeder Feindschaft steckt ein Stück Projektion. Diesen Sachverhalt als Interpretationsmuster verwenden bei der Analyse von Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung. Was mich zur Empörung reizt, bin ich selber. So hat z.B. die Gesellschaft in den Hexen sich selbst erkannt: das Totenreich, das sie selbst zu errichten auf dem Sprunge war. Und das Erschrecken war ein Erschrecken über sich selbst. Als die Welt verhext wurde, wurden die Hexen verfolgt. Das Rätsel Swedenborg lösen hilft sicher mit, das Rätsel des Hexensabbat zu lösen.

    Ableitung der Gottesidee aus dem theologischen Erkenntnisbegriff? Wenn das Ich, das seinen Ursprung im Nein hat, der Inbegriff der Negativität ist, der Motor des Abstraktionsprozesses, und nur in diesem Zusammenhang als der Begleiter aller meiner Vorstellungen nach Kant zu begreifen ist, dann hinterläßt dieser Erkenntnisbegriff eine Lücke, die nicht zu schließen ist, die vielmehr als Lücke, als Wunde offengehalten werden muß. Die Ohnmacht des Ich, seine Hilfsbedürftigkeit, ist der Grund seines Geliebtwerden-Wollens (Freud/Drewermann). Sie reicht nicht aus zur Begründung der Gottesidee. Die Konstruktion des Ich gründet im historischen Prozeß, in der Geschichte der Welt, in der Geschichte der transzendentalen Logik, des Begriffsapparats, der die Erscheinungen so gliedert, daß sie dem Ich angemessen, kompatibel sind. Das Ich unterliegt zugleich selber der Logik, die es konstituiert (und wird sich selbst so zum blinden Fleck).

    Das Bewußtsein als offene Wunde ist konstruierbar nur vor dem Hintergrund der Idee des seligen Lebens. Vorausgegangen muß eine Idee, eine Erfahrung der Seligkeit und ein Seligkeitsversprechen sein. Der Anfang der aristotelischen Metaphysik: Alle Menschen streben nach dem Glück, ist durch ihr Ende, ihr Resultat (die Theoria, den transzendentalen Apparat in nuce) nicht abgegolten.

    Alle Wissenschaft ist Naturwissenschaft.

    Beschreibt die Elektrodynamik die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit? Beschreibt sie genauer den Vergängnisprozeß? Und sind die Quantenphysik und die Atomphysik gegenständliche Abbildungen der Logik des Zerfalls?

    Ziel ist nicht eine Ökumene, die vielleicht auf irgendeinem Kompromißwege tatsächlich zu erreichen wäre, sondern ein entkonfessionalisiertes Christentum, eine entkonfessionalisierte Kirche. Das läßt allerdings die Lehrtradition, an der alle Konfessionen wie unter einem Erkenntniszwang teilhaben, nicht unberührt.

    Gehört zu den Emblemen der Melancholia auch die Dornenkrone (nur bei Lochner?), haben die Theoretiker der Melancholie etwas gewußt? Woher kommt es, daß die Melancholie bevorzugt als Frau dargestellt wird – und dann u.a. auch als Frau mit Dornenkrone?

    Differenz zwischen Dürer und Lochner: Lochners Melancholie fällt bereits unters Vorurteil.

    Luthers Antisemitismus ist eine notwendige Folge des Friedens, den er mit der Welt geschlossen hat, ebenso wie sein Trübsinn. Der theologische Grund davon ist seine Rechtfertigungslehre. Nur die Lutherische Wendung hat dann Erfahrungen ermöglicht, hat Energien freigesetzt, die auf andere Weise nicht hätten freigesetzt werden können: insbesondere der wissenschaftliche Eros, der dann die Theologie ergriffen (und auf den Kopf gestellt) hat, war nur unter den Prämissen des Protestantismus möglich.

    „Experimentaltheologie – Elemente einer theologischen Erkenntnistheorie“

    Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter auf die Rücknahme der Schuld, die wir selber in die Realität hineinprojiziert haben, beziehen! Die einzig sinnvolle Interpretation des Gleichnisses?

    Wer es nicht mehr nötig hat, seine Ohnmachtsgefühle zu kultivieren, der bedarf auch der Selbstbestätigung durch Empörung nicht mehr.

    Die Trinitätslehre beruht auf Voraussetzungen, die heute (nach Auschwitz) nicht mehr ungebrochen übernommen werden können. Diese Voraussetzungen sind ein Teil der Verflechtung des Christentums, seiner Konfessionen, in die Welt- und Herrschaftsgeschichte. Die drei göttlichen „Personen“ sind es nicht an sich, sondern für uns. Die Aufspaltung ist begründet in den Erfahrungsbedingungen der endlichen, geschichtlichen, menschlichen Welt (kann ausgeschlossen werden, daß die trinitarische Konstruktion sich am Ende in die Wahrheit der Einheit Gottes auflöst?). Wahr ist, daß die Trinitätslehre die Einheit Gottes unangetastet läßt. Die Begriffe „Hypostase“, „persona“ sind genauer zu untersuchen (auf ihren Ursprung und Kontext). Was bedeutet es, wenn Jesus Sohn Gottes genannt wird, erzeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater? Was bedeutet es, wenn der Geist ex patre filioque procedit? Hat sich das Dogma in seiner lateinischen Rezeption gegenüber der vorhergehenden griechischen Fassung verändert? Und was bedeutet es, wenn z.B. bei Alexander von Hales die Begriffe, in denen das Dogma gefaßt ist, zu Namen Gottes werden, in vollständiger Differenz zu der Namen-Gottes-Lehre der jüdischen Tradition (und zur dritten Vater-Unser-Bitte)? Ist die Heiligung des Substanz- oder Person-Begriffs auch nur im Ansatz denkbar (ist diese Heiligung – und mit ihr die gemeinsame Genesis der Ontologie und des pathologisch guten Gewissens – aber nicht umgekehrt die notwendige Folge des Dogmas; sind nicht beide notwendige Folgen der Instrumentalisierung der Lehre, ihrer Umwandlung in ein Herrschaftsinstrument)? Anstatt die geologischen Strukturen des von den Christen dann so genannten „Alten Testamentes“ zu untersuchen, wurde das Alte Testament seit je nur als Steinbruch benutzt, als Material für apologetische oder erbauliche Traktate.

    Wird das Verständnis der Trinitätslehre nicht bestätigt durch den Paulinischen Satz, wonach am Ende „Gott alles in allem“ sein wird (vgl. hierzu den Hinweis und die Kritik Franz Rosenzweigs).

    Hat die Geschichte mit der Sonne bei Gideon (Josua) nicht doch mehr mit der Geschichte des Patriarchats als mit der der Naturwissenschaften zu tun?

    Hegels Urteil über die Natur als Äußerlichkeit der Idee, die den Begriff nicht halten kann, verweist darauf, daß die Natur als vollständig verurteilte und gerichtete nicht nur das ist (dann müßte sie dem Begriff entsprechen), sondern etwas darüber hinaus; daß sie im Begriff nicht restlos aufgeht.

    Das christliche Dogma und die Dialektik der Aufklärung oder Präliminarien einer theologischen Erkenntnistheorie.

    Wenn heute die Religion selber blasphemische Züge annimmt, wenn sie insbesondere gefährdet ist durch den fundamentalistischen Terrorismus, so hängt das mit der unaufgeklärten eigenen Geschichte zusammen.

    Liefert der Vergleich von „Totem und Tabu“ mit dem „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ – beide sind sich im Aufbau sehr ähnlich – einen Hinweis, unter welchen Prämissen die christliche Theologie aufzuarbeiten wäre? (Ist der Ursprung des deutschen Trauerspiels eine Interlinearversion von Totem und Tabu, ist er aus der gleichen Konstellation der Ideen – mit dem Königtum (Christentum?) im Zentrum – erwachsen? Etwas Vergleichbares scheint Walter Benjamin gemeint zu haben in seinem „Programm einer neuen Philosophie“ im Hinblick auf die Verwendung der Kantischen Kritik)

    Die Hoffnung von Karl Thieme in seinem „Am Ende der Zeiten“, daß das Christentum jetzt endlich ins Mannesalter eintritt, scheint sich bisher noch nicht erfüllt zu haben.

    Wenn es stimmt, daß die Geschichte der Aufklärung von den Mythen über die Religion bis hin zu den Naturwissenschaften ein Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, und selbst insoweit in den historischen Naturprozeß mit hereinfällt, ist die Naturphilosophie ein Haupterfordernis einer Philosophie, die den Anschluß an die Theologie wiedergewinnen will. Die Frage hierbei ist, ob der Begriff der Natur selbst nicht ein Teil dieser Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, in diesem Prozeß sich konstituiert und von ihm nicht sich ablösen läßt; und ob eine Naturphilosophie nicht mehr sein müßte als eine Philosophie der Natur. Sind nicht die Begriff Natur und Welt eigentlich identisch, und bezeichnen sie nicht zwei Aspekte der gleichen Sache (abhängig davon, ob sie auf das Subjekt als Subjekt oder als Objekt sich beziehen)? Und müßte nicht eine Naturphilosophie heute Kritik des Naturbegriffs mit einschließen?

    Hat das mittelalterliche Bild von Himmel, Fegefeuer und Hölle, dieses dreistufige Bild des Universums, das später reduziert wurde auf den einfachen Gegensatz von Himmel und Hölle, etwas mit der Hypostasierung der zeitlichen „Ekstasen“ zu tun: der Himmel als die absolute Zukunft (futurum perfectum), die Hölle, das Totenreich, als absolute Vergangenheit (plusquamperfectum), und das Fegefeuer das Zwischenreich, vielleicht so etwas ähnliches wie die Welt? Steckt nicht doch ein ernsthafter naturphilosophischer Gedanke dahinter, wenn dem Himmel das Licht assoziiert wurde und der Hölle das Feuer? – Aber die eigentlich theologischen Assoziationen knüpfen an an den akustischen Bereich: den Hauch, den Atem, den Geist, der weht wo er will, das Wort.

    Hat der „große Fisch“ im Jona-Buch etwas mit dem Tier aus dem Meer in der Geh. Offb. zu tun, und die Flucht des Jona etwas mit dem Exil des jüdischen Volkes (dem direkten, politischen, wie dem indirekten, religiösen: ins Christentum; ist das Tier aus dem Meer die Kirche)?

  • 22.04.90

    Heilt Drewermann etwa Neurosen durch Implementierung einer Psychose? Die „Geborgenheit in Gott“, die von Ängsten befreien und Gesundheit sichern soll, unterschlägt die Gottesfurcht (der Weisheit Anfang), entrealisiert und subjektiviert (psychologisiert) die Gottesidee, schafft eine Gewißheit, die von der Anstrengung des Gottsuchens enthebt: ist Teil der Genese des pathologisch guten Gewissens. D.s Gottesidee hat ihre Wurzeln im Selbstmitleid (Gott als Trost), und nicht im Gewissen (Gott als Gerechtmacher und als Verteidiger der Schwachen). Ihr Ursprung ist der Wunsch, geliebt zu werden (nach Adorno eine Folge des Nicht-Lieben-Könnens). Drewermann kennt die Umkehr nicht, oder unterschlägt sie, anstatt sie in eine theologische Erkenntnistheorie (vgl. Rosenzweig) mit einzubauen. Auch D. will eine Erlösung ohne Offenbarung. So blendet er die Realität aus und versinkt im Mythos, im Wahn. Der Preis ist eine erkennbare Affinität zum Antisemitismus.

    Drewermann Bd. II, S. XLII: j Urgeschichte = „ontologisch“ im Sinne Heideggers (Fundamentalontologie der Geschichte).

  • 16.05.90

    Walter Benjamin in einem Brief an Scholem vom 05.08.37: er wolle der Jungschen Archetypenlehre, die er für „echtes und rechtes Teufelswerk“ hielt, „mit weißer Magie zu Leibe rücken“. (Briefwechsel S. 247; vgl. Carlo Ginzburg: Hexensabbat, S. 244 und Anm. Nr. 112 dazu) – Nochmal die Geschichte von der Hexe von En Dor lesen.

    Ist das Sexualtabu ein Teil des Tabus über den Totenkult? (Genesis/Sündenfall, Ursprungsgeschichte der Sexualmoral, Zusammenhang mit politischer Theologie)

    Ginzburgs Hexensabbat: Gibt das Buch nicht auch Hinweise und Kriterien zur Beurteilung des Gesamtkomplexes der Terroristenverfolgung? Gibt es nicht gemeinsame oder auch nur vergleichbare Vorurteile (begründet in der Absicht der Stabilisierung von Herrschaftsstrukturen)? Insbesondere: Ist die Paranoia, die in beide hereinspielt, ein Nebeneffekt der Verdrängung des eigenen Schuldanteils an dem Konflikt, Blockade der Analyse dessen, was sich wirklich abspielt?

    Die merkwürdige Haßbindung der Rechten an die Toten (Grabschändungen, Schmierereien auf Friedhöfen, an Grabsteinen u.ä.): Die Gefahr der Linken ist die Instrumentalisierung des Todes, die der Rechten seine Magisierung. Man wird es sich nach Art einer Mutprobe (als Teil eines Initiationsritus) vorstellen müssen: die, die die Gräber schänden, scheinen auch von der Erwartung motiviert zu sein, daß nicht auszuschließen ist, daß die Gräber sich öffnen und die Toten hervorkommen (um sich an den Überlebenden zu rächen). Nicht zufällig ist der Werwolf (überhaupt der Wolf) eine faschistische Identifikationsfigur. Zum Werwolf wird, wer den „inneren Schweinehund“ in sich besiegt hat; den inneren Schweinehund besiegt man mit Mutproben, die die moralische Identität untergraben sollen (die Toten kommen nicht heraus, der liebe Gott greift nicht ein). Die erwünschte Befreiung ist eine Befreiung von den Tabus der Moral, vom Über-Ich. Ein weiterer Nebeneffekt: diese Mutproben haben eine gewaltige Bindungskraft: die der Komplizenschaft. Elemente davon sind nicht zufällig bei Polizeieinsätzen anläßlich linker Demonstrationen zu erkennen, die dann regelmäßig das Lob der Politiker nach sich ziehen. Der rein technische Aspekt dieses Verfahrens, durch projektive Kriminalisierung den politischen Grund der Sache zu verdrängen, sich die politische Auseinandersetzung zu ersparen, hat die Vorurteilsstrukturen, die er zugleich produziert und ausbeutet, zur Voraussetzung.

    Drewermann: „Es ist der in unserem Zusammenhang vielleicht wichtigste Satz der ganzen Angsttheorie der Psa, wenn Freud sagt: „Leben ist … für das Ich (Hervorhebung H.H.) gleichbedeutend mit Geliebtwerden, vom Über-Ich geliebt werden …“ (Drewermann II, S. 155; vgl Freud: Das Ich und das Es, XIII 288) – Anstatt dieses Zitat kritisch zu begreifen (Struktur und Genese des Idealismus anhand der Struktur des Ich) rezipiert er es affirmativ: als Beweis für den (zutreffenden, aber theologisch irrelevanten) Konnex von Ich und Geliebtwerden. Die Position Drewermanns bezeichnet genau den Punkt, den sie dann auch beschreibt: den Abfall von Gott (er beschreibt, ohne es zu wissen, seine eigene Position). – Drewermanns Begriff des Bösen ist ein infantiler Begriff: So verstehen Kinder sich selbst als böse (das Ich, das sich als Nein konstituiert, als apriori schuldig, das ebendeshalb des Geliebtwerdens bedarf, weil es selbst der Liebe nicht fähig ist), nachdem es die Eltern, aus deren Bannkreis sie nicht herauskommen, ihnen einsuggeriert haben. Das Schlimme ist, daß dieser infantile Begriff des Bösen der in der Gesellschaft immer noch herrschende ist; er ist der Nährboden insbesondere für die neue Welle des Nationalismus, für die Weigerung, den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang (und das Ich als Moment darin) zur Kenntnis zu nehmen. Es steckt die Weigerung mit drin, erwachsen zu werden, die Verantwortung für sich und für die Welt, in der man lebt, zu übernehmen (Grund sind die Angst und die Panik, die Kritik an den Eltern immer noch auslöst; Deutschland: das sind die Toten – die toten Helden – der Vergangenheit, von denen man nicht loskommt – vgl. Bitburg und Kohls „Versöhnung über Gräbern“).

    Drewermanns Haltung erinnert an die um Umkreis der Psychoanalyse nicht seltene Geste der Heilung durch Abwehr von Schuldgefühlen, der Unfähigkeit zu realer Schuldbearbeitung (Trauer- und Erinnerungsarbeit), die nach Auschwitz das erste Erfordernis einer theologischen Rezeption der Psychoanalyse sein sollte.

    Verantwortung übernehmen ist etwas anderes, als zur Verantwortung gezogen zu werden, d.h. sich schon im vorhinein gegen eine apriorische Anklage, einen apriorischen Verdacht rechtfertigen zu müssen und dadurch in das Gravitationsfeld der Autorität hereingezogen zu werden (in den Bannkreis der Eltern).

    Gott ist nicht beleidigungsfähig; jede andere Vorstellung ist (subjektiv wie objektiv) pathologisch und blasphemisch.

  • 14.05.90

    Dogma und Welt: Das Dogma ist ein wesentliches Moment in der Geschichte der Verweltlichung der Religion, der Verweltlichung des Christentums. Der Zusammenhang mit der Herrschaftsgeschichte spielt hier mit herein. Wenn die Umkehr eine erkenntnistheoretische Kategorie ist, dann ist sie auch aufs Dogma anzuwenden; nur so kann man es vermeiden, daß Theologie zur bloßen Ausschmückung des Dogmas wird, anstatt endlich deren Wahrheit zu realisieren, die nur durch die Umkehr zu realisieren ist. Alle Versuche der Modernisierung, der bloßen Anpassung des Dogmas an veränderte Welt- und Erkenntnisbedingungen verfehlen das Ziel theologischer Erkenntnis; verschoben wird die Relation von Maß und Gemessenem. Nicht die moderne Welt ist Maßstab für das, was am Dogma noch wahr ist, sondern das Dogma ist Maß dessen, was an der modernen Welt falsch ist. So sagen es zwar alle kirchlichen Lehrämter auch, und die Gefahr, mißverstanden zu werden, ist sicherlich groß. Aber wer der Gefahr des Mißverständnisses entgehen will, verstellt sich selbst den Zugang zur Wahrheit.

    Zu Drewermann: Seine Adaptation der Psychoanalyse leidet daran, daß es ihm nicht gelingt, den Bann des Psychologismus zu sprengen. Bezeichnend seine Rezeption des Begriffs des Unbewußten, der der Innerlichkeit des Subjekts verhaftet bleibt. Eine objektive Anwendung der Psychoanalyse ist wahrscheinlich erst möglich, wenn es gelingt, den Begriff des Unbewußten statt bloß formal, nämlich gegen das Bewußtsein, in Abgrenzung vom Bewußtsein zu definieren, ins Objektive zu wenden und inhaltlich zu bestimmen, d.h. darauf abzustellen, was in der Objektivität das Bewußtsein nicht mehr erreicht, welche Bereiche der Objektivität vom Bewußtsein ausgeblendet werden, und die besondere Rolle, die der moderne Säkularisationsprozeß darin spielt. Verdrängungsprozesse wären heute nicht mehr in erster Linie in der Privatsphäre, im Bereich der Sexualität, zu studieren, sondern in der Öffentlichkeit, in einem Bereich, der durch Diskriminierung, Ausgrenzung, neue Formen der politischen Gewalt von der Atombombe bis hin zu Polizeigewalt, die qualitativ neue Formen angenommen hat; hier geht es in erster Linie um Verdrängungsprozesse und eines der wesentlichen Instrumente ist hier die Produktion des pathologisch guten Gewissens. Hier haben die Studies in Prejudice, die Untersuchungen über das Vorurteil ganz erhebliche Vorarbeit bereits geleistet.

    Der Hinweis Jesu, daß man das Opfer nicht feiern soll, bevor sich nicht mit seinem Bruder versöhnt hat, ist heute das schlagendste Argument gegen die weitere Teilnahme an der Feier der Opfers. Würden die Christen dieses Wort ernst nehmen, die Kirchen wären leer. Die Sache ist nicht harmlos. Der historische Prozeß, in den auch die Geschichte der Sakramente verflochten ist, hat uns deren Gebrauch entfremdet, er hat uns mehr noch die Sakramente entwendet, und zwar entwendet in einem sehr wörtlichen Sinne: Ihr Inhalt ist so verkehrt worden, daß sie uns gleichsam nur noch die Rückseite zukehren, für uns unkenntlich geworden sind. Übrig geblieben ist eine barbarische Ästhetik.

    Zweifellos krankt Drewermanns Buch über die Kleriker daran, daß auch er hier das Problem von der falschen Seite anfaßt. Es ist keine Frage der Psychologie, die an die Lösung des Rätsels führt, sondern es ist eine Frage des historischen Prozesses. Und berührt wird nicht die Frage des Klerikertums, sondern betroffen ist die Frage des Priestertums im Kern. Und genau das hätte das eigentlich Objekt von Drewermann sein müssen, das er aber nicht wahrgenommen hat. Und genau das ist es, woran die Priester für alle sichtbar so intensiv leiden, nur sie selber merken es nicht mehr.

    Habe ich bei dem Hinweis auf Esther und Judith die Ruth vergessen? Es erscheint mir bemerkenswert, daß diese drei Frauengestalten im „Alten Testament“ die Beziehung der Juden, des jüdischen Volkes zur Außenwelt widerspiegeln, von den Heiden über die Machthaber bis hin zu den Tyrannen. Zu überprüfen wäre, wie sich Hiob, der Leidende, die Propheten zu dieser Außenwelt verhalten, wie verhält sich die Apokalypse hierzu. Propheten und Apokalyptiker scheinen doch zu sehr in die Innerlichkeit des erwählten Volkes versponnen zu sein, bis zum Exzeß versponnen, und die Außenwelt nur noch wahrzunehmen als Gegenstand der Verurteilung, des Banns. Und wohin gehört in diesem Zusammenhang das Hohe Lied der Liebe?

    Fällt in der säkularisierten Welt die Theologie insgesamt unter das Bilderverbot?

    Das Wesentliche an dem „Hexensabbat“ von Carlo Ginzburg scheint mir zu sein, daß es einen Blick auf eines der wichtigsten Motive der Hexenverfolgung wirft, nämlich auf die Verdrängung der Erinnerung an die Toten. Diese zugleich verdrängte Beziehung zu den Totenheeren scheint mir der Schlüssel zu sein. Verdrängt wurde hier mit der bedrängenden und möglicherweise falschen Erinnerung an die Toten der Grund für die Lehre von der Auferstehung.

    Was das Christentum nie geschafft hat, war der gelassene Umgang mit den Häresien. Grund dafür war die Komplizenschaft mit der Herrschaft. Erst das Staatschristentum kennt den Häretiker (wie zuvor der heidnische Staat das Christentum) als den zu eliminierenden Feind. Das Christentum ist in der Geschichte seiner Komplizenschaft mit der Herrschaft bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden, aber es ist darin nicht aufgegangen; ein Rest ist geblieben, der möglicherweise heute fähig wäre, seine rettende Kraft zu entfalten. Erst wenn das Bewußtsein seine Härte ablegt, sich selbst als offene Wunde begreift, erst dann ist Theologie wider möglich. Hier ist das Leiden und der Schmerz nichts, worauf einer sich berufen kann, woraus er Ansprüche herleiten könnte; sie bleiben Leiden und Schmerz. Sie finden keinen Trost. Wer aber in diesem Leiden, in diesem Schmerz sich selbst und seinen Gott zu finden und zu bewahren sucht, der … Selbstmitleid, das Verlangen, geliebt zu werden, ist der Tod der Theologie.

    Franz Rosenzweig hat den Streit zwischen Realismus und Nominalismus nicht geschlichtet, sondern auf eine Ebene gehoben, auf der er dann aufgehoben wird. Zentraler Punkt ist seine Lehre vom Namen. Der Name ist nicht Schall und Rauch. Der Name ist das Zentrum seiner Philosophie, deren Intention es ist, die Dinge beim Namen zu nennen oder auch – das ist die andere Seite der Sache – sie zum Sprechen zu bringen. Der kirchliche Zug, den Gershom Scholem an F.R. bemerkt hat, hängt offensichtlich zusammen damit, daß bei ihm keine Apokalypse gibt. Die Apokalypse war zu nah, zu brennend, zu direkt, als daß er sie hätte mit aufnehmen können. Auschwitz kam nach Rosenzweig.

    Wenn die Theologie nur dazu dient, die Vorstellung, durch Handeln ließe sich etwas ändern, zunächst einmal beiseite zu stellen, und die ganze Schwere und die den Umfang der Negativität ins Auge zu fassen, jede Illusion darüber beiseite zu lassen, und damit die Gefahr zu meiden, Räuber- und Gendarm-Spiel mit Revolution zu verwechseln, dann hat sie schon einiges erreicht. Aber der Schock der Radikalität ist nicht zu vermeiden. Vor allem dann nicht, wenn man kein Zyniker werden möchte.

    Die Hexen haben in der Auseinandersetzung mit der Natur auf der falschen Seite gestanden.

    Ein Schmerz, der nicht beleidigt, ein Schmerz, der keine Empörung wachruft, sondern nur Trauer. Es gibt keine Empörung mehr ohne Projektion. Zumindest auf der Seite der Täter. Wir haben kein Recht mehr beleidigt zu sein. Mehr noch, das Beleidigtsein ist Teil des pathologisch guten Gewissens.

  • 01.05.90

    „Indem also die äußere Wirklichkeit im Mythos nach der Art der inneren (psychischen) Wirklichkeit angeschaut wird, bietet die mythische Erzählung nicht nur eine Beschreibung der äußeren Naturvorgänge, sondern figuriert zugleich als Darstellung der psychischen Wirklichkeit.“ (E.D. SdB II, S. 88f) Diese unvermittelte Antithese von „äußerer“ und „psychischer“ Wirklichkeit setzt die Naturwissenschaft unkritisiert voraus und ist der Grund für den Rückfall in den Mythos. – Vgl. auch S. 92: „… der Phallus des Gottes selbst … coitus sempiternus …“ – Hat der Urknall der modernen Physik nicht doch etwas mit dem hieros gamos (oder die subjektiven Anschauungsformen Raum und Zeit im Sinne einer Begründungszusammenhangs mit Fruchtbarkeit, Fortpflanzung, Sexualität) zu tun?

    Der Begriff des Bösen im Titel des Drewermannschen Werkes scheint bewußt unklar, mehrdeutig gehalten zu sein. Eindeutig und bestimmt wäre er nur durch die Vorgabe der zeitgenössischen Manifestation des Bösen geworden.

    Insbesondere bleibt offen, ob das Böse

    – selbst als Person oder

    – als Eigenschaft (oder Wesen) einer Person oder

    – als Charakterisierung von Handlungen oder handlungsdeterminierenden Institutionen

    gemeint ist. Der Begriff des Bösen (wenn man das Problem seiner Personifikation – das Problem des Teufels – einmal offenläßt: aber war nicht gerade die Personifikation des Bösen auch einmal ein Schutz vor der personenbezogenen Anwendung des Begriffs?) scheint theologisch nur in handlungsbezogenem Kontext sinnvoll verwendet werden zu dürfen. Begründen läßt sich dieser Satz im Rahmen einer parakletischen Erkenntnistheorie, durch die Notwendigkeit des Verzichts auf richtendes Denken. Umgekehrt lassen sich alle Fehler des Drewermannschen Konstrukts genau hieraus ableiten (zu fragen wäre, ob die Personifikation des Bösen nicht auch ein Zugeständnis an die gleiche Zwangslogik des Richtens gewesen ist, die dann auch vor der Gottesidee nicht halt gemacht hat).

  • 29.04.90

    Das Telos des theoretischen Kontrukts Drewermanns ist die Regression: die Einheit mit Gott hat ihr Modell an der symbiotischen Einheit mit der Mutter. Deshalb kann er eine politische Theologie nicht anerkennen. Er kennt keine geschichtliche Entwicklung, nur einen Abfall von der ursprünglichen Einheit. Seine Theologie bleibt vergangenheitsbezogen, kennt eigentlich keine Utopie; die Idee des seligen Lebens ist ihr fremd, ebenso die zentrale theologische Kategorie des Ewigen (die sie mit dem „männlichen, geistigen Element mit dem Willen zum Ewigen und Unvergänglichen“ verwechselt und d.h. vom sexistischen Erklärungsschema nicht lösen kann, SdB II, S. 87, vgl. auch S. 81). Was bleibt, ist ein religiöser Einheitsbrei, die identitätsstiftende Instanz nicht die Wahrheit, sondern der Mythos, und zwar eine Gestalt des Mythos, dem die Abgrenzung zur Magie nur über die Gewalt gelingt (Affinität zum Antisemitismus!).

    Ursprung der Reflexionsbegriffe ist das Gravitationsgesetz, das zusammen mit der Reflexivität der Gravitations-Anziehungskräfte und mit der Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde erstmals die absolute Bedeutung der Beziehung von oben und unten (den Kern der Herrschaftsmetaphorik) aufgehoben und damit einer traditionellen Grunderfahrung der Theologie den Boden entzogen hat.

  • 14.04.90

    Wie kann man noch 1977 (im Jahre Stammheim) ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Die Strukturen des Bösen“ schreiben, ohne Auschwitz, den Faschismus, den Antisemitismus, die Hexenverfolgung, die Inquisition, ohne Hitler, Himmler, Eichmann zu erwähnen, ohne „Die Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt zu kennen (Rosemary Radford Ruethers „Brudermord und Nächstenliebe“ oder auch Ralph Giordanos „Zweite Schuld“ sind später erschienen): Ist nicht diese Art, Fachtheologie zu treiben, d.h. sich dabei um Gott und die Welt nicht kümmern, ein wesentliches Moment der „Strukturen des Bösen“? – Welches Böse meint Eugen Drewermannn eigentlich (nur das innerliche, private, psychologische, oder auch – wenn schon nicht zentral – das öffentliche: Wissenschaft, Ökonomie, Politik, die Welt)? Besteht nicht die Gefahr, daß er – wie die christlich-apologetische Geschichtsschreibung zum Ende des Römischen Reiches – den politischen Untergang auf die moralischen Verfehlungen der Menschen in dieser Zeit zurückführt?

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