Ebach

  • 01.09.93

    Arbeit und Bewahren (Ebach, S. 92ff): Gehören nicht
    – die Arbeit, der Mensch als Diener des Ackers, das Sklavenhaus (Ägypten) und der Gottesknecht und
    – das Bewahren des Paradieses, der Kerub und das kreisende Flammenschwert (Hüter des Eingangs des Paradieses) und die Kerubim, auf denen die Herrlichkeit Gottes thront, Abel (Hüter der Herde) und Kains Frage (bin ich denn der Hüter meines Bruders?), der Sabbat und der Exodus (der Auszug aus dem Sklavenhaus)
    zusammen?
    Der Naturbegriff hat den Trägheitsbegriff als Grund. Deshalb gibt es im Bannkreis der Natur keinen Sabbat.
    Die neutralisierte Welt ist der geronnene, verdinglichte Hass, Produkt der Verdrängung der Seite, die sie den Opfern zuwendet.
    Die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert; Nebukadnezar frißt Gras wie die Tiere; aber der Pharao geht unter in den Fluten des Roten Meeres.
    Ägypten und Babylon: das Sklavenhaus, der Turm und die Hure.
    Das Bekenntnis ist die säkularisierte Umkehr.
    Institut des Beaux Arts: Läßt sich das nicht auf doppelte Weise übersetzen: Als Institut der schönen Künste und Institut für die schönen Künste? Das Besitzverhältnis wird mit dem Bestimmungs- und Verfügungsrecht kurzgeschlossen.
    Das Institut des Beaux Arts ist ein Teil des Institut de France: Steht hier das de auch für den Genitivus, den Genitivus subjektivus, während das des für den Genitivus objektivus stehts? Das Institut de France ist das Institut der Nation (oder das Französische Institut, vergleichbar den Deutschen Instituten: und ins Deutsche eigentlich nur adjektivisch übersetzbar). Es gibt nur das (nicht ein) Institut de France. Ist nicht l’etat nur dieser (französische) Staat, ebenso le nation, le grand nation, diese eine Nation?
    Le France ist nicht (wie Great Britain) steigerungsfähig, es gibt nur le grand nation. Sind der Nationbegriff und das Königsinstitut in Frankreich und in England nicht doch sehr genau zu unterscheiden (ebenso wie die Artikulation und die Logik der französischen und englischen Sprache)?
    Das Objekt als Produkt der Inkarnationslehre? Ist nicht die Inkarnationslehre, dieser zentrale Teil der Christologie (und der Trinitätslehre), der historische und logische Grund des Objektbegriffs, die Grundlage für die Verselbständigung des Objektbegriffs und Voraussetzung für den aus der Theologie entsprungenen modernen Subjektbegriff?
    Das Niederknien während der Wandlung (der Transsubstantiation) und die Anbetung der Eucharistie sind das Knien vor dem Objekt und seine Anbetung: Die Objektvorstellung ist Produkt der Verinnerlichung des Opfers. Das vergöttlichte Objekt ist das vergöttlichte Opfer (Ursprung des christologischen Naturbegriffs). Deshalb ist heute die Objektvorstellung selber tabu, sie darf nicht angetastet werden. Der Preis ist das Vorurteil, die Xenophobie und der Antisemitismus.
    Das Inertialsystem ist die Identität des Kreuzes mit den Dornen und Disteln.
    Die Eucharistie, das Fleischessen und die Hierarchie sind die andere Seite des Kelchsymbols. Bezieht sich nicht darauf das Wort: „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen“ und das andere: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Ihr werdet den Kelch trinken, aber …“
    Vergleiche auch die einschlägigen Stellen (über das Opfer, das Selbst und die zwangshafte Wiederholung des Kreuzesopfers, an dessen Wirkung niemand mehr glaubt) in den „Elementen des Antisemitismus“ in der Dialektik der Aufklärung.
    Ist nicht das kreisende oder das zuckende Flammenschwert sowohl der Blitz als auch das Planetensystem? Und gehören nicht Blitz und Planetensystem zusammen?
    (War ich nicht immer der Philosophie nur hilflos ausgeliefert, sogar wenn ich so unsägliche Darstellungen der Geschichte der Philosophie gelesen habe wie die von Stückl oder von Messner?)
    Die Trennung von Welt und Natur, oder die Urteilslogik und das Herrendenken: der Klassenkampf in unserm Kopf.

  • 31.08.93

    Die „moralisierende christliche Rezeptionsgeschichte“ (der biblischen Urgeschichte; Ebach, Ursprung und Ziel, S. 64) steht in direktem Zusammenhang mit dem augustinischen „ad litteram“. Sie steht in direktem Zusammenhang mit der Bindung der christlichen Theologie an den historischen Objektivationsprozeß, gegen den jede Moral äußerlich: „moralisierend“ bleibt. Diese Moral ändert nicht mehr, sie macht nur ein schlechtes Gewissen und damit ihre Objekte gefügig. In diesem Kontext gibt es kein eingreifendes Erkennen; erkannt wird nur was ist (und nicht zu ändern ist): islamische Erkenntnis. Es bleibt nur das nachträgliche (und das nachtragende) Urteil.
    Theologie ist das dogmatisch stillgestellte Organon eingreifenden Denkens.
    Die Weltbegriffe Natur, Materie und Barbaren lassen sich nicht widerlegen, sondern nur durch die Rücknahme des projektiven Moments, das zu ihren Konstituentien gehört, sich auflösen. Das ist gemeint mit dem Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Die Arglosigkeit ist die Rücknahme des projektiven Moments in der Klugheit der Schlangen. Nur durch Paranoia unterscheidet sich die Schlange von der aufgeklärten Arglosigkeit der Tauben: vom Heiligen Geist.
    Nur wer die Sünde der Welt auf sich nimmt, trägt dazu bei, daß sich das Wort endlich erfüllt.
    Die Orthodoxie ist (wie das Bekenntnis, dem sie zugehört) männlich.
    Im deutschen Wort Welt (wereld) stecken die Begriffe Mann und alt: Der deutsche Weltbegriff ist vom Ursprung her unheilbar patriarchalisch.

  • 30.08.93

    Während die Reste anderer Architektur-Epochen fast restlos dem Krieg und dann dem „Wiederaufbau“ zum Opfer gefallen sind, wurden vorrangig die Fachwerk-Innenstädte (auch die, die es gar nicht gegeben hat) restauriert: Gehört nicht auch das zur Abschaffung der Vergangenheit, die die Nachkriegsgeschichte in Deutschland bestimmt?
    Was haben wir (außer der Theologie und der Kindheit) mit der Vergangenheit sonst noch abgeschafft?
    Zur Geschichte der Architektur und ihrer Beziehung zu Politik und Philosophie (ihrer Beziehung zur Weltgeschichte: zur Geschichte des Weltbegriffs) gehört die Geschichte der Ruinen.
    Musik und Prophetie: Versucht nicht die Musik die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen? (Der Ton macht die Musik. – Ende und Erfüllung der Musik: Heute, wenn ihr seine Stimme hört. – Musik und die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.)
    Haß und Schuld: Nur die Schuld verringert sich, wenn sie übernommen wird, während der Haß das einzige Material ist, das sich mit seiner Ausbeutung vermehrt. – Die Führer (und heute die Medien) sagen dem Volk, „was zu hassen sei“. Es gibt keinen spontanen Antisemitismus und keine spontane Ausländerfeindschaft.
    Das folgenlose Kabarett: Der Witz ist ein Instrument der Überlebensstrategie (als Instrument des Angriffs und der präventiven Verteidigung). Aber er ist kein Instrument der Veränderung, der Revolution. Käme es nicht darauf an, anstatt über die Verhältnisse nur zu lachen, endlich die Dämonen auszutreiben?
    Ursprung und Ziel: Trifft der Begriff der Umkehr (Rosenzweig) den Sachverhalt nicht insofern genauer, als sich in der Umkehr etwas bildet, was „vorher“ noch nicht war. Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Verdrängten (auch nicht etwas durch Sublimierung Entstandenes), sondern der Ursprung selber (ein in der Lösung aus dem Bann der Vergangenheit erst Entspringendes).
    Rosenzweigs Todesangst und Hegels Logik: Sterblich ist das Eine, es gewinnt den Schein der Unsterblichkeit durch sein Anderssein (Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nennt Hegels Begriff der Aufhebung beim Namen).
    Im Französischen heißt Est Osten und Ouest Westen: Ist das Ouest aus „ou Est“ entstanden? Dann wäre der Osten das Sein, der Westen das Nichtsein, und der Anfang der Hegelschen Logik die philosophische Verarbeitung des Verhältnisses vom Im Angesicht zu Hinter dem Rücken.
    Ist der Westen aus dem Osten entstanden: seine Vergangenheit; ist er das Totenreich (oder die Grenze zum Totenreich, und das Totenreich selber unten)?
    Das Verhältnis des Menschen zur Welt (Ebach, S. 25) abstrahiert von der Beziehung des Ich zum Anderen, leugnet die Asymmetrie zwischen mir un den Anderen.
    Zur historischen Bibelkritik: Nach der Trennung der Quellen kommt erst das Wichtigste: die Komposition.
    Das Vergangene ist nicht nur vergangen: Die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der logischen Konsequenz des affirmativen Gebrauchs des Weltbegriffs hat der Natur christologische Züge verliehen.
    Erster Grundsatz des Herrendenkens: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen. So werden Sachzwänge zu Verwaltungszwängen.
    Sind nicht alle akademischen Berufe dadurch bestimmbar, daß sie dem Delegationsprinzip gehorchen:
    – die Rache wurde (als Recht) an die Justiz delegiert (Gericht und Gefängnis),
    – die Krankheit an die Medizin (Klinik),
    – der Tod (als Unsterblichkeitswunsch) an die Theologie (Kirche und Friedhof),
    – das Wissen an die Wissenschaft (Bibliothek und Museum),
    – die Erfahrung an Bildung und Erziehung (Schulen).
    Der Kern dieses Delegationssystems ist politisch: er liegt im Gewaltmonopol des Staates (Polizei und Militär), sein Symbol ist das einzige außerstaatliche Delegationsverfahren: die Delegation des Tötens der Tiere an den Metzger (der Schlachthof). Ist es ein Zufall, daß zwei „Naturtalente“ der deutschen Nachkriegspolitik Söhne von Metzgern waren (Franz-Josef Strauß und Joschka Fischer – und beide ihre Vornamen veränderten)?
    Es gibt eine Sprache der Gewalt, aber sie ist eine gegen den Namen gerichtete Sprache. Wenn Recht „im Namen des Volkes“ gesprochen wird und Gesetze „im Namen des Volkes“ erlassen werden, so dementiert in beiden Fällen der Begriff des Volkes den des Namens: es ist niemand gemeint und niemand angesprochen, aber alle sind in den Schicksals- und Schuldzusammenhang des Rechts und seiner Vollstreckung verstrickt. Verweist nicht die Sintflut- und Noe-Geschichte auf diesen Zusammenhang?
    Die Sprache der Gewalt ist namenlos: Ursprung und Abbild reiner Objektbeziehungen. Hier wird der Name zu Schall und Rauch.
    Wie hängt der Begriff der Gewalt mit dem der Welt zusammen?
    Wird das Werk des zweiten Schöpfungstages, das Firmament, das die oberen von den unteren Wassern trennt, nicht gegenständlich in der Astronomie, die zu den Konstituentien des Subjekts und (in der Alten wie in der Neuen Geschichte) zur Geschichte des Ursprungs des Staats (als Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört?
    Monster und teuflisch (zwei Zeitungsüberschriften zu Privatpersonen in den letzten Tagen): Sind Verteufelung und Personalisierung nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Greift das nicht immer weiter um sich, und ist das nicht ein Teil der schleichenden Faschisierung der Verhältnisse, gegen die es kein Mittel gibt außer der Entmythologisierung der Begriffe im Kontext ihres objektiven erkenntniskritischen und politischen Gebrauchs (Kritik der projektiven Charakters der Begriffe)?
    Ist eigentlich der Titel „Die Thora als Person“ zulässig? Darf der Logos des Johannes-Evangeliums „personal“ verstanden werden?
    Das Feuer vom Himmel holen: geht das nicht nur das Wasser hindurch, während die Nutzung des Wassers, die seit der Rezeption der Philosophie die Theologie beherrscht, das Feuer löscht? – Und er „wollte, es brennte schon“.

  • 26.03.93

    Die Euphorieeffekte, von denen Dirk Baecker (S. 120) spricht, sind Ursache sowohl der Fachidiotie als auch des politischen und weltanschauulichen Ghettodenkens; sie gründen im Schuldverschubsystem, sind Folgen der Exkulpierungsmechanismen. Das Problem heute sind nicht die Fehler, die wir machen können, sondern die Unmöglichkeit der Dinge, die notwendig sind. Der Weltbegriff, der darin darin gründet, daß er gegen die Notwendigkeit sich mit der Unmöglichkeit abfindet, bezeichnet nicht nur die Zivilisationsschwelle, sondern auch die Grenze, die die Erwachsenen von ihrer Kindheit trennt.
    Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ löst die Hegelsche Dialektik aus dem Bann des Raumes (des Pharaonischen). Die Lösung des Banns des Raumes (oder die Lösung der sieben Siegel) befreit das Angesicht.
    Der Export der Armut war das Geschäft der Banken; er hat die Banken – wie vorher die Universalisierung des Giroverkehrs -über Anpassungs- bzw. Modernisierungskrisen hinweggerettet. Um einen ähnlichen Effekt scheint es sich beim Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zu handeln. Aber wo ist das nächste Ventil für den wachsenden Schuldendruck, den die Banken verwalten: Schlägt die Schuldenproduktion (die Erzeugung der Armut als Kehrseite des spekulativen Reichtums) nicht jetzt auf die Ursprungsländer in den Metropolen zurück? (Und war nicht die Geschichte der Agrarmarktordnungen, mit der Überschußproduktion und dem daraus resultierenden Exportdruck als Äquivalent des Schuldendrucks: mit der Zerstörung des Welt-Agrarmarkts und der Vernichtung der Agrarproduktion in der Dritten Welt, ein Reflex und ein Ableger der Bankenentwicklung?) Ist nicht das Bankenwesen Kern und Modell projektiver Verarbeitung der Realität? (Grund des Begriffs der Barbaren, der Natur und der Materie; Grund des Staates: Wird das Problem der Schuldknechtschaft von Gunnar Heinsohn nicht noch unterschätzt; geht nicht der Weltbegriff als Projektionshilfe und -absicherung und die Zivilisation aus der Verinnerlichung der Schuldknechtschaft hervor?)
    Zu dem von den Kirchen so gerne zitierten Rat Jesu, wer ihm nachfolge, müsse Diener, dürfe nicht Herr und Meister sein:
    – Niemand kein zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon (Mt 624); und
    – in diesem Satz den Hinweis auf den deuterojesajaischen Gottesknecht (Jes 42ff) und zugleich das Zentrum der jesuanischen Weltkritik erkennen.
    Das Herrschaftsgebot im Schöpfungsbericht bezieht sich auf eine Herrschaft, die das Töten, das Fleischessen und die Angst noch nicht mit einschließt. Vgl. Jürgen Ebachs Untersuchung über den Schrecken der Tiere.

  • 10.02.93

    „Haus des Urteils“ und „letztes Gericht“ (Eisenmann/Wise, S. 241): Bezeichnen diese Begriffe nicht den Raum (als Form und Symbol der Verstockung gegen die Umkehr)?
    Zu Young, Beschreiben des Holocaust: Die Kritik an Peter Weiss (S. 118ff, wo er den marxistischen Ansatz von Peter Weiss kritisiert) und an Tadeusz Borowski (S. 170ff) bezeichnet genau die Grenzen des Youngschen Versuchs. Zu der folgenden Textpassage (von Tadeusz Borowski): „Erst jetzt erkenne ich, welcher Preis für die Errichtung der alten Kulturen bezahlt wurde. Die ägyptischen Pyramiden, die Tempel und die griechischen Statuen -welch ein abscheuliches Verbrechen! … Die Antike, das gewaltige Konzentrationslager, …“ schreibt Young: „So hat sich im Kopf des Schriftstellers nicht allein die Zukunft (!), sondern auch die Vergangenheit, sein kulturelles Erbe, in ein großes KZ verwandelt“. Wäre etwa die Verwandlung der Zukunft in ein großes KZ nicht so schlimm wie der verzweifelte Blick auf die Entstehungsbedingungen des „kulturellen Erbes“? Und spielt sich der beschriebene Sachverhalt nur „im Kopf des Schriftstellers“ ab? Ist der Begriff der Normalität, der dem Werk Youngs zugrundezuliegen scheint, überhaupt noch zu halten? Und trennt nicht Auschwitz in der Tat das „kulturelle Erbe“ von der Wahrheit?
    Der christliche Begriff der Buße konnte sich von dem der Umkehr ablösen und gegen ihn verselbständigen nur dadurch, daß die Welt (in der Konsequenz der Opfertheologie und unter Verletzung des Nachfolgegebots) als entsühnt begriffen und damit die Sünde entpolitisiert, privatisiert wurde. Dem theologischen Begriff der Rechtfertigung (der an die Stelle der Forderung, gerecht zu werden, tritt) setzt die vorhergehende Rechtfertigung der Welt -Grund des Bekenntnisbegriffs und dann jeder Ideologie – voraus. Und dieser Begriff des Bekenntnisses verewigt den ungerechten Zustand der Welt und macht ihn unkenntlich.
    Mit der Vorstellung des unendlichen Raumes schützt sich die Subjektivität gegen die Reflexion des sie begründenden Herrschaftsmoments. Ebenso wie die Vorstellung des Raumes sind auch die Begriffe Natur und Welt, die sich im Medium des mathematisierten Raumes überhaupt erst konstituieren, selbstreferentiell und damit fast unreflektierbar.
    Wäre das Rosenzweigsche Konstrukt nicht doch einmal anhand folgender Thesen zu überprüfen:
    – Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung,
    – der Begriff des Wissens die Offenbarung und
    – Naturbegriff die Erlösung?
    In welcher Beziehung stehen dazu:
    – Adornos Kritik der Verdinglichung,
    – sein Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt und
    – das auf Benjamin sich berufende Konzept der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte?
    Zur Jotam-Fabel (Ri 97ff): Der König steht in der Figur des Dornbuschs (und, nach Jürgen Ebach, Kains). Ist darin nicht auch ein Stück Messias-Kritik enthalten, die das kritische Element in den Evangelien (die Unkraut- und Kain-Tradition in ihm) antizipiert? Welche Bewandnis hat es dann mit dem Ölbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock? Ist nicht die Jotam-Fabel mehr als nur eine moralische Fabel: eine prophetische Fabel?
    Sind die Entdeckung des Winkel und die Entfaltung der Geometrie der Fläche bei den Griechen nicht ein Abfallprodukt der Entdeckung der Schrift, die ebenfalls auf die Fläche sich bezieht (Zusammenhang mit der Schrift als verstummte und deshalb tradierbare Sprache)?
    Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkommt: Die in der Schrift verstummte Sprache will wieder laut werden.
    Ist nicht die christliche Theologie in ihrer dogmatischen Gestalt mehr als Hurerei: die Vergewaltigung der Schrift?

  • 30.10.92

    Das „und was du auf Erden lösen wirst, …“ ist das Objekt des paulinische „Harrens der ganzen Schöpfung“ (auf die Freiheit der Kinder Gottes).
    Ist das Binden und Lösen nicht vorbezeichnet in der Geschichte der „Bindung Isaaks“?
    Wenn bei Hegel die Idee die Natur „frei aus sich entläßt“, dann erinnert das nicht zufällig an den sonstigen Gebrauch des Wortes Entlassen: an die Entlassung aus einem Arbeitsvertrag oder aus der Haft, wie überhaupt Verwaltung und vergesellschaftete Arbeit, Begriff und Strafvollzug nicht unabhängig von einander zu denken sind: alle stehen in einer vergleichbaren Objektbeziehung. Und was Hegel der Natur ankreidet: daß sie den Begriff nicht halten kann, ist eher ein Vorzug der Natur als ein Defekt des Begriffs. Nur: Als aus der Idee Entlassene ist die Natur für Hegel mit dem gleichen Makel behaftet, mit dem jeder Entlassene in der bürgerlichen Gesellschaft behaftet ist.
    Ontologie und Ethik stehen im Verhältnis der Umkehr zueinander.
    Ist die christologische Zwei-Naturen-Lehre nicht im Stern der Erlösung enthalten, und zwar in der Weise, daß sie mit dem Beginn der gleichen Bewegung (den Naturen Gottes und des Menschen im ersten Teil) zusammenfällt, aus der (durch Entfaltung und Umkehr) der Begriff der Offenbarung hervorgeht?
    Das Lamm, das berufen ist, die sieben Siegel zu lösen, hat diese Fähigkeit schon bewiesen in der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern. Nur unter dem sexistischen Vorzeichen, von dem sich die theologische Tradition seit den Kirchenvätern nicht hat lösen können, wurde aus der einzigen, die die Umkehr vollzogen hat, die Büßerin, die es wohl schlimm getrieben haben muß.
    Müßte nicht in der Karfreitags-Liturgie die felix culpa durch das felix peccatum ersetzt werden; denn die felix culpa bezieht sich nicht auf die Schuld der Väter, sondern auf die Sünde der Mutter (Ps 10914).
    Ist bei den Sünden der Mutter nicht auch an Lots Weib (und an Jürgen Ebachs Hinweis dazu in „Ursprung und Ziel“, S. 147ff) zu denken?
    „Wenn ein Deutscher die Wahrheit sagt, ist er ein Grobian“: Ist der Begriff der Wahrheit in diesem Satz zu halten? Wird er nicht definiert durch einen Begriff der Lüge, der den Verzicht auf Herrschaftskritik zur Grundlage hat? Und ist es nicht ein Wahrheitsbegriff, zu dessen Voraussetzungen die Logik der Personalisierung und zu dessen Konsequenzen Xenophobie und Antisemitismus gehören? Zu seinen Konstitutionsbedingungen gehört der Zusammenhang des Weltbegriffs (Korrelat der Personalisierung) mit der Bekenntnislogik (dessen exkulpatorische Funktion die Sündenbockmechanik mit einschließt).

  • 17.12.91

    Rosenzweigs Konstruktion, wonach durch den Tod, durch das „Ich mit Vor- und Zunamen“ die Einheit des All gesprengt wird, gelingt nur, weil der Weltzustand, auf den er sich bezieht, fast ausweglos mythisch geworden ist. Deshalb die Rekonstruktion der Theologie über die Konstruktion des Mythos, durch dessen Umkehr hindurch.
    Ein ins Agentenmilieu transportierter jüdischer Witz (J.Ebach) verändert mit seiner Umgebung seinen Sinn: er nimmt paranoische Züge an.
    Wenn Christen die Juden Hebräer nennen, dann erinnert mich das an den Prüfer der Vorprüfungsstelle des Ministeriums, der das freiwillige Bekenntnis eines Betroffenen in seinem Prüfbericht unter dem Anschein eines selbstermittelten Tatbestands in eine Anklage umformte (und damit seiner Karriere diente). Hier ist das Stück Gemeinheit, das in dem objektivierten Gebrauch der Bezeichnung Hebräer steckt, mit Händen zu greifen (Genese der Gemeinheit, Funktion und Sinn der Reflexionsbegriffe). Den gleichen Gebrauch haben die Christen seit je von der Prophetie gemacht. Hier ist einer der Belege für die Wahrheit des Satzes „Ärgernisse müssen sein …“
    Ist nicht der paulinische Begriff „Stückwerk“ als Erläuterung der Bezeichnung Symbolum zu verstehen; und ist das Symbolum nicht selber in diesem Sinne Stückwerk (vgl. auch das Wort „Jetzt sehen wir wie im Spiegel, dereinst aber von Angesicht zu Angesicht“).
    Hegels Philosophie, gipfelnd in der trinitarischen Struktur des Absoluten, ist als Entfaltung der Struktur des Begriffs die Selbstreflexion der Geschichte des Schicksals. Wenn es zutrifft, daß der Islam unter den gleichen Prämissen wie die Philosophie und das Christentum angetreten ist, nur gleichsam die andere Seite im Schicksalszusammenhang repräsentiert: dessen Objekt (so wie im Begriff des Islam, der Ergebung, das Schicksal als der Wille Gottes vorgestellt wird), so gewinnt der zentrale Begriff des Islam: der der Allbarmherzigkeit, eine auf ganz andere Weise exkulpierende Bedeutung. Die Allbarmherzigkeit ist die zwangsläufige Folge davon, daß Allah als Personifizierung des Fatum die Schuld der Welt auf sich nimmt und den ihm ergebenen, dem Handeln entsagenden Muslim entlastet. Auch hier bezieht sich die Allbarmherzigkeit auf das Sündenbewußtsein, das dadurch gelöscht wird, daß die Schuld auf Allah abgewälzt wird. Hier nimmt Allah die Schuld der Welt auf sich (er nimmt sie hinweg). Unterscheidet sich Gott im Islam nicht doch nur dadurch vom Teufel, daß er zugleich der Allbarmherzige ist.
    Der Schwindel, den Adornos Philosophie beim ersten Lesen zu erzeugen scheint, ist in Wahrheit die Aufhebung des Schwindels.

  • 21.11.91

    Bekenntnis (Hypostasierung des Raumes, Logik des Geldes) = Isolationshaft des Geistes.
    Daß der Himmel sich wie eine Buchrolle aufrollt, ist ein Bild für die Auflösung des Objektivierungsmechanismus, der uns von der Vergangenheit trennt, sie uns gegenständlich macht. Und das wird sein, wenn wir die Sprache beherrschen und nicht mehr die Sprache uns.
    Der Durchbruch der naturwissenschaftlichen Aufklärung ist erfolgt, als es gelang, den Raum gegen die theologische Metaphorik abzuschirmen, ihn davon abzutrennen und die theologische Metaphorik als bloß subjektiv und bloße Anthropozentrik zu diskriminieren. Die Raummetaphorik konnte allerdings nicht ganz zum Verschwinden gebracht werden: Die Unterscheidung von oben und unten ist geblieben; sie hat die Erinnerung daran erhalten, daß die Abstraktion von der theologischen Metaphorik nur dem Herrendenken zugute gekommen ist.
    Zur Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken: sie paßt genau zu dem Hinweis Horkheimers, es sei eigentlich unvorstellbar, daß auf dem riesigen Leichenberg, den die Vergangenheit uns hinterlassen hat (gleichsam auf dem Rücken der Leiden der Vergangenheit), einmal die richtige Gesellschaft errichtet werden könne.
    Die Subjektivierung der theologischen Metaphorik, die zusammenging mit der Derealisierung und Subjektivierung der „sekundären Sinnesqualitäten“, hat der Gemeinheit den Weg frei gemacht.
    Das, was Levinas (gegen Buber, aber auch gegen den pseudotheologischen Begegnungsbegriff) die Asymmetrie der Ich-Du-Beziehung genannt hat, läßt sich demonstrieren am Verhältnis von Subjekt und Objekt im Raum.
    Kant hat dem sokratischen daimon dingfest gemacht im System der transzendentalen Ästhetik und Logik (insbesondere der Raum erfüllt präzise die Funktion des diabolos gegen die Sprache: er macht das Objekt namenlos).
    Nach Ebach ist die Wendung Im Angesicht sowohl auf Gott als auch auf den Feind bezogen: Ist nicht darauf das Gebot der Feindesliebe anzuwenden? Erscheint uns das Antlitz Gottes nicht prima facie im Gesicht des Feindes?
    Entkonfessionalisierung der Kirchen heißt: aus den Gestalten der selbstverschuldeten Entfremdung der Kirchen heraustreten, sich befreien.
    Das Trägheitsprinzip im Inertialsystem entspricht der Winkelfunktion im Raum (Zusammenhang mit dem Verfahren der Begriffsbildung); es bezieht – ähnlich wie die Winkelfunktion die räumlichen Dimensionen – die Zeit und die Materie in ein gemeinsames metrisches System mit ein. Die Konstituierung des Trägheitsprinzips hat das Relativitätsprinzip zur Voraussetzung.

  • 04.11.91

    „… widerrät, noch den Leviatan von Hi 40f dualistisch-moralisierend eindeutig dem Bösen zuzurechnen.“ (Ebach: Leviatan und Behemoth, S. 74) Bemerkungen:
    – Das „dualistisch-moralisierend“ steht in der Sündenfall-Tradition (Erkenntnis des Guten und Bösen: Zusammenhang von Instrumentalisierung und moralischem Urteil) und ist das Element, in dem sich die „Erbschuld“ fortpflanzt.
    – Schon die Grundelemente des Christentums:
    . Nachfolge-Gebot, Übernahme (nicht Hinwegnahme) der Schuld der Welt (Gott hat nicht die Welt, sondern Himmel und Erde erschaffen; Welt als Medium und Resultat des Säkularisationsprozesses, als Medium der Geschichtsphilosophie; Begriff der Welt, Beziehung zum Naturbegriff: Totalitätsbegriffe), Feindesliebe, Richtet nicht …, Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben (Kontext: Kritik des Bekenntnisbegriffs, der Trinitätslehre – insbesondere der Christologie -und der Opfertheologie; Begreifen des Ursprungs des Antijudaismus, der Häresien und ihrer Geschichte, der Frauenfeindschaft und der Hexenverfolgung); widerraten der Zurechnung und eröffnen darüber hinaus ein theologisches Konzept, das erst noch zurückzugewinnen wäre (Theologie im Angesicht, nicht hinter dem Rücken Gottes), und in dem vielleicht dann auch der Leviatan seine Stelle finden wird.
    Mary Dalys Titel „Gott Vater, Sohn und Co“ enthält eine sehr tief begründete Kritik an der Trinitätslehre: am theologischen Gebrauch des Personbegriffs. Dieser Begriff ist in der Tat nur als Teil einer politischen Theologie zu begreifen, die – auf der Grundlage des Bekenntnisbegriffs – unaufhebbar patriarchalische Züge trägt. Zur Widerlegung mag der Hinweis dienen, daß die Vorstellung der Unsterblichkeit der Person schon an der Bindung dieses Begriffs an seinen politisch-ökonomischen Kontext (Person und Eigentum, Zurechenbarkeit der Schuld als Grundlage des Rechts, Institut der juristischen Person) und an seiner damit verknüpften Beziehung zum Namen scheitert (der Name, dessen Träger die Person ist, ist Schall und Rauch: das Rosenzweigsche „Ich, mit Vor- und Zunamen“ ist nicht der Inhaber eines Personalausweises).
    Es gibt keinen direkten Weg vom Bekenntnisbegriff (Theologie hinter dem Rücken Gottes) zum Inertialsystem (Subsumtion des Himmels unter die Erde): dazwischen liegt die unreine Vermischung von Strenge und Milde (richtendem Urteil und Barmherzigkeit: Fegefeuer und Ohrenbeichte), dazwischen liegt das Gravitationsgesetz und die Vergegenständlichung des Lichts. Heute nimmt eine in den Mythos zurückgefallene Aufklärung die Offenbarung nur noch als Mythos wahr.
    Der Staat begründet sein Existenzrecht durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Mord und gegen die Verletzung des Eigentums (Gewaltmonopol), die Kirche durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Unmoral (Sexualmoral). Gibt es hier einen Zusammenhang mit Behemot und Leviatan?
    Den Bemerkungen Jürgen Ebachs zu Jon 411: „… mehr als 120.000 Menschen, die nicht rechts und links unterscheiden können, und viel Vieh“ (Kassandra und Jona, S. 116f) bleibt der Hinweis anzufügen, daß nach biblischer Metaphorik rechts und links auch mit der Unterscheidung von Milde und Strenge, Barmherzigkeit und Gericht (richtendem Urteil) zusammenhängt: Diese Menschen wissen – wie auch die Christen heute – nicht mehr, was es heißt, wenn der Auferstandene zur Rechten des Vaters (der Seite der Barmherzigkeit) sitzt. Beschreibt nicht die Verwechslung von Barmherzigkeit und richtendem Urteil mit gut und böse (dem Primat des Gerichts) genau das autoritäre Syndrom wie auch den Tatbestand des Sündenfalls, der Erbschuld?
    Auch ist mir bei dem Ausdruck „hebräische Metaphorik“ (S. 117) insoweit etwas unwohl, als ich glaube, im Begriff des Hebräischen (für jüdische Ohren die von Ägyptern und Philistern verwandte Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung) einen Ton mitzuhören, dessen Gebrauch uns – insbesondere nach Auschwitz – nicht mehr erlaubt sein sollte. Allein als Bezeichnung der uns fremden Sprache ist der Gebrauch erlaubt, aber dann mit dem Bewußtsein, daß Juden in dieser Sprache mehr als nur eine Sprache gegeben ist: der Inbegriff des Fremden, des Antlitzes, das sowohl das Antlitz Gottes als auch das des Feindes sein kann (welche Folgen ergeben sich hieraus für den Staat Israel und die dort gesprochene Sprache?). Das glaubte Paulus den Christen ersparen zu können; ebenso wie es keine Schrift des „Neuen Testamentes“ in hebräischer Sprache gibt, ist der christlichen Theologie die Idee des Angesichts Gottes fremd; an deren Stelle sind der Vaterbegriff und die Trinitätslehre getreten.
    Ist Jona wegen seiner Warnung an Ninive (für Ninive, „die große Stadt“, ähnlich Babel der Urfeind Israels) ein „Hebräer“ (vgl. nochmal die „Hebräer“-Stellen bei Loretz)? Werden die Juden nur von ihren Feinden Hebräer genannt (vgl. den Jerusalemer Kommentar – die „hebräische“ Sprache ist den Juden als Sprache, die sie ins Angesicht Gottes stellt, fremd – Abraham war ein Hebräer, und er war ein Fremder im Land; „im Angesicht“ ist – wie der durch schlichte Umkehrung konstruierbare Begriff der „Barbaren“, derer, die bloß stammeln, kein Griechisch sprechen – ein sprachlicher Sachverhalt, er gilt wie für Gott nur noch für den Feind)?
    Läßt sich nicht anhand des Begriffs des Hebräischen (des Hebräers und der hebräischen Sprache) die Idee der Übernahme der Schuld der Welt, die ebenfalls einen sprachlichen Sachverhalt bezeichnet, genauer bestimmen?
    Der Raum verwischt die Differenz zwischen vorn und hinten, rechts und links, oben und unten. Und Büchners Lenz wollte auf dem Kopf laufen.
    – Die erste Verwechslung ist die von Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
    – die zweite die von Strenge und Milde, von richtendem Urteil und verteidigendem Denken,
    – die dritte die von Himmel und Erde.
    Alle drei Verwechslungen gehen zu Lasten des Humanen; es triumphiert das Hinter dem Rücken, das Gericht und die totalisierte Erde (das Universum): Es triumphiert die Welt (oder auch die Gemeinheit).
    Wer Sicherheit will, will eine Zukunft ohne Überraschungen (daher die große Bedeutung der Versicherungswirtschaft heute).
    – In der Physik wird diese Sicherheit durchs Inertialsystem begründet,
    – in der Gesellschaft durchs (kalkulierbare, das Eigentum und die Währung garantierende) Recht, in beiden Fällen durch Gesetze, unter die man alle möglichen Fälle subsumieren kann.
    – In der Theologie soll das Dogma (das Bekenntnis und seine Logik) das gleiche leisten. Mit den Juden sollte nicht nur das eigene Gewissen, sondern auch die Idee einer zukünftigen Welt, die anders ist, vernichtet werden.
    Begriffe wie Begegnung und Partnerschaft neutralisieren die kritische Potenz dessen, was Buber einmal die Ich-Du-Beziehung genannt hat. Zwei Bemerkungen dazu:
    – die Ich-Du-Beziehung ist (nach Levinas) asymmetrisch; Ich und Du sind nicht gleichwertig;
    – diese Asymmetrie gründet im Schuldverhältnis beider: das Ich konstituiert sich in der Übernahme der Schuld der Welt, in der Freisprechung des anderen, im Verzicht auf die falsche, durchs moralische Urteil: durchs Richten vermittelten Autonomie. Wenn Reaktionäre der Soziologie und Psychologie vorwerfen, daß sie zu Exkulpationszwecken genutzt werden, daß jeder sich darauf hinausreden könne, nicht er, sondern die Gesellschaft, die anderen seien schuld, so gründet das in der Umkehrung der Levinasschen Asymmetrie, zu der es keine Alternative mehr gibt; sie verwischen den Unterschied zwischen dem, was einer für sich selbst und was er für andere ist. Sie kennen kein anderes Sein als das Sein für andere.
    Gegen Marx und Freud ist festzuhalten: Die Theorie und ihre aufklärerische Potenz ist nicht zu bestreiten; unwahr ist die Vorstellung, sie ließe sich – als Instrument der Revolution oder als Therapie – unreflektiert in Praxis überführen.
    Der diabolos ist das Subjekt der Hegelschen List der Vernunft (der Mephisto Fausts). Er wirbelt die Richtungen durcheinander.
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Wer das Moment der Verzweiflung in den Taten der raf begreift und insoweit Verständnis dafür aufbringt, setzt sich dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung aus. Hier wird das Verständnis für eine vergangene Tat mit der Aufforderung zu einer zukünftigen Tat verwechselt. Das rührt an den Grund der Gemeinheit.
    Der Begriff „Straftäter“ paßt zum „Staatsanwalt“: Wo der Staat zum Prinzip der Anklage wird, wird die Tat zum Wesen des Täters und zum Subjekt der Strafe (in welchen Fällen definiert das deutsche Strafrecht Taten, und in welchen Täter? Iäter nur, wenn Tätermerkmale – z.B. die Gesinnung – eine Rolle spielen? In welchen Fällen spielen Tätermerkmale eine Rolle? Vgl. „Mörder ist, wer …“ – ? §§ 211 (2) StGB; ein Mord verletzt das Gewaltmonopol des Staates; das scheint vor allem den „Abscheu“ zu begründen, nicht der Tod des Opfers, dieser nur als instrumentalisiertes Mittel der Emotionalisierung).
    Adam, der den Acker (den Schrecken) bearbeiten soll, wird in Tiefschlaf versetzt; aus seiner Seite wird Eva genommen (aus der rechten Seite? – Sitzt Jesus wirklich schon zur Rechten des Vaters, oder bedarf es dazu noch unserer Hilfe: der Nachfolge?).
    Luthers Rechtfertigungslehre ist falsch, insoweit sie die Gottesfurcht leugnet (den Glauben von seiner Beziehung zu den Werken trennt). Damit hat er die Melancholie ins Christentum eingebracht, das saturnische Wesen. Folge ist die Ersetzung der Gottesfurcht durch die Herrenfurcht (und die Furcht vor der Welt; die Furcht des Herrn ist von der paranoiden Furcht vor der Welt nicht zu trennen: Ursprung der Idolatrie).

  • 01.11.91

    Zur Imago-Dei-Lehre (Jürgen Ebach: Ursprung und Ziel): Sie gibt Sinn nur vor dem Hintergrund des Satzes: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ und der Asymmetrie, die Emmanuel Levinas (gegen Buber) an der „Ich-Du-Beziehung“ notiert hat: Gott wird für mich durch den Anderen, vor allem durch den Armen und den Fremden repräsentiert. Der Andere wird am Jüngsten Tag mein Richter sein; an dieses Gericht erinnert Walter Benjamins Satz „Glücklich ist, wer seiner selbst ohne Schrecken inne wird“ (Einbahnstraße): der Schrecken ist das präsente Bewußtsein des zukünftigen Gerichts.
    Die Tefillin (die Gebetsriemen mit den Tora-Abschnitten Ex 131-10.11-16, Deut 64-9, 1113-21) werden nach Ex 139,16, Deut 68 als Zeichen an der Hand und als Erinnerungsmal/Schmuck an der Stirn getragen, nach Deut 1118 auch „auf euer Herz und auf eure Seele“ geschrieben; das Zeichen des Tieres ist an der rechten Hand oder an der Stirn anzubringen (Off 1316). Was bedeuten hier Hand und Stirn bzw. Herz und Seele?
    Bekenntnis: Gegensatz der Präfixe ent-/be- (ent-/bekleiden). Das be- drückt einen aktiven (zweckbestimmten?) Gebrauch des mit dem nachfolgenden Verb bezeichneten Tuns aus: das Bekennen ein durch Subjektivität (Glauben) bestimmtes Erkennen. Im Beschreiben, Befürchten, Behandeln, Besichtigen steckt ein bestimmendes, eingrenzendes Moment gegenüber dem Offenen im Schreiben, Fürchten, Handeln, Sehen; es induziert das objektivierende, thematisch eingrenzende, das „definierende“ Moment, den apriorischen Objektbezug, als Teil einer vorausgehenden Absprache oder Konvention (eines „Vertrages“). Im Falle des Bekennens enthält es die Beziehung zu anderen, die diese „Definition“ mit vollziehen, in sich: zuletzt ein dezisionistisches Moment, den Appell an kollektive Gewalt. Bekenntnis und Personbegriff (das Bekenntnis ist Teil der Maske; oder ist es die Maske, die ich anlegen muß, um nach draußen mich „als Christ“ zu erkennen zu geben? – Der Inhalt des Bekenntnisses, der seinem Zweck angemessen sein muß, wird dadurch determiniert).

  • 26.08.91

    Max Webers Probleme bei der Darstellung der Verhältnisse in der Alten Welt, insbesondere sein Begriff des Idealtypus, sind Folgen seines Geschichtskolonialismus, d.h. Folgen der Anwendung von Kategorien, die definiert sind nur im Rahmen der zeitgenössischen politischen Ökonomie. Die Brüche in der (nur sich „annähernden“) Darstellung sind Folge des projektiven Gebrauchs der Begriffe, deren unreflektierte Anwendung auf die Ursprungsgeschichte zwangsläufig zu Fehlern und Mißverständnissen führt (bis hin zu antisemitisch verwertbaren Konstruktionen). Das Ganze ist Folge seines unhistorischen (durch den Endzweck seines Rationalisierungsbegriffs vorgeprägten) Weltbegriffs. (Vergleich Weber / Lukacs und Planck /Einstein?)
    Die Historisierung der Welt, die Einbindung der Welt in den historischen Prozeß, führt darauf, daß der Antisemitismus in diesem Weltbegriff verankert und jedenfalls keine bloße Gesinnungsfrage ist.
    „An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten …“ (Ps 1371).
    Hängt die Reinlichkeitsneurose deutscher Frauen, der Zwang, jede Spur von Staub zu tilgen, mit ihrer Feindschaft mit der Schlange, die dazu verurteilt wurde, Staub zu fressen, zusammen?
    Wenn die Entwicklung ihrer eigenen Logik weiter folgt, ist nicht auszuschließen, daß auch die Rechtsversicherung zu einer Pflichtversicherung – wie die Kranken-, die Haftpflicht- und die vorgesehene Pflegeversicherung – wird. – Anwendungsbeispiele für die Staubgeschichte (Adam: Staub bist du und zu Staub wirst du wieder werden; zu dem Staub, den dann die Schlange frißt?
    Die Mühlen als Symbol des Todes (vgl. Benjamins Wahlverwandschaften) passen in diese Staubgeschichte herein.
    Die Bedeutung des Inertialsystems scheint darin zu liegen, daß die Betrachtung „hinter dem Rücken“ allseitig wird (komplettiert wird zum System wie der Kapitalismus durch das Institut der Lohnarbeit, die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, durch die Begründung eines Marktes für Arbeit, Güter und Kapital), das aber zugleich den genauen zeitlichen Charakter dieser Sicht mit einschließt, nämlich die Subsumtion unter die Vergangenheitsform.
    Der Objektivationsprozeß ist der Sturz. Und wenn die Naturwissenschaft die Welt im Zustand des vollendeten Sündenfalls abbildet, dann deshalb, weil über die Naturwissenschaft die Welt in diesen Sturz, dessen Bahn durch das Herrendenken vorgezeichnet ist, mit hereingezogen worden ist.
    Sind die Äste, Zweige, Blätter der Bäume, auch ihre Blüten und Früchte, nicht sozusagen Luftwurzeln (Luft- und Lichtwurzeln)? -Wie verhält sich der Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens? Im gleichen Kontext bezeichnet das Erkennen auch das Zeugen. Kann es sein, daß die gleiche Frucht, die die Frucht des Lebens gewesen wäre, durch die Trennung vom Baum zur Frucht der Erkenntnis wurde, der Erkenntnis des Guten und Bösen, d.h. des richtenden Urteils; war der Sündenfall nur ein falscher Gebrauch? Was Anfang war, ist hier zum Ende geworden; es muß sein Ende erst wieder einholen, ehe es in den Anfang zurückkehren kann. Blochs Bemerkung, daß der Anfang am Ende sein wird, könnte damit zusammenhängen (vgl. auch Ebachs „Ursprung und Ziel“).
    Kann es hiernach sein, daß auch die Physik auf die Umkehr harrt? – Der Umkehrpunkt in der Physik läßt sich bezeichnen: er liegt im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Zur Konzeption des Inertialsystems gehören die drei Elemente: Raum, Zeit und Materie; diese drei Elemente spiegeln sich in der Dreidimensionalität des Raumes, sie haben etwas mit dem Werden der Vergangenheit zu tun. Ist die Dreidimensionalität des Raumes, in dem sich dann die Dinge (von den Photonen bis zu den Sternen) nicht nur bewegen, sondern auch als Dinge konstituieren, nicht auch bloßer Schein, der mit Gewalt durchgesetzt wird und dabei die entscheidenden Differenzen verdrängt und unterdrückt. Ist nicht der Raum selbst in die Bewegung mit hereingezogen, Objekt einer Bewegung, deren Subjekt zu sein er vortäuscht.
    Über diese Bewegung des Raumes gibt Aufschluß die Geschichte der Banken, des Geldes, des Finanzkapitals.
    Das Inertialsystem ist insgesamt ein selbstreferentielles System, und die Mechanik (unter Voraussetzung der metrischen Komponenten des System, Raum Zeit und träge Masse) reine Mathematik. Erst im Prozeß der Vergegenständlichung von Raum und Zeit, der Verräumlichung der Zeit, kristallisiert sich als ergänzendes metrisches Moment die träge Masse aus, die dann als äußerliches Ding in dieses System hereinkommt: und zum reinen namenlosen Objekt wird.
    In der Bindung des Weltkonzepts an die Anschauung vollendet sich die Erkenntnis, daß „sie nackt sind“. Aber die Scham wird übermächtig (trifft vor allem die Tiere) und überschwemmt das ganze System. Die menschen verbergen ihr Angesicht und das Angesicht der Erde ist nicht mehr auffindbar.
    Hat die Erfindung der Sumerer etwas zu tun mit dem letzten, verzweifelten Versuch, angesichts des Erkenntniskontinuums, das da war, den fernen Blick zu retten, der nicht zu retten gewesen wäre, wenn man die Sumerer gleich als die Chaldäer erkannt hätte. Und der Spenglersche Versuch einer Kulturmorphologie, der Versuch, die Einheit der Weltgeschichte zu sprengen und durch die Einheit eines abgehobenen kulturmorphologischen Modells zu ersetzen, das dann dem Gesetz der ewigen Wiederkehr unterliegt, scheint hiermit zusammenzuhängen. Der Zwang, die Sumerer zu einem besonderen Volk zu machen, rührt her von dem modernen Konzept der Einheit von Volk, Nation und Sprache, das so auf die Alte Welt nicht übertragen werden kann. Diese Bemerkung gilt u.a. auch für das „Volk“ der Hebräer. Einer der letzten – und vielleicht auch problematischsten – Ausläufer dieses Nationalbegriffs ist der Zionismus.
    Gibt es zu dem Cherub mit dem flammenden Feuerschwert, der die Pforten des Paradieses bewacht, in der jüdische Tradition (Talmud, Mischna oder Mystik) Hinweise oder Interpretationen?
    Ist die Idolatrie der Anfang des Objektivations- und Instrumentalisierungsprozesses, der sein Telos im Inertialsystem findet?
    Die neuere französische Philosophie ist auf das Probleme des Anderen, des Fremden abgestimmt; sie wäre durch das Votum für die Armen, durch die Verteidung der Armen, zu ergänzen.
    Kann es sein, daß der Konstruktionsfehler des Stern der Erlösung darin liegt, daß in der Konstruktion der Welt deren beide Elemente umgekehrt zu fassen sind: erst das B und dann das A (B=A, nicht A=B): so würde deutlicher, daß das A ein durchs B Provoziertes ist; oder daß Subjektivität (als Inbegriff des Allgemeinen) nicht das Erste und das Allgemeine nicht der Ursprung ist.
    Das tode ti des Aristoteles ist das Inertialsystem in nuce.
    Die Persönlichkeit ist für sich, was die Person an sich ist, nämlich ein Sein für andere. Deshalb ist die Persönlichkeit (als Ansehen) erlebbar, die Person nicht.
    Wie verhalten sich Welt und Natur zu Himmel und Erde? Die Welt ist ein Reflex der Natur, die Natur ein Produkt der Welt. Aber wie hängt das zusammen?
    Die jüdische Tradition vom verborgenen Gerechten verweist darauf, daß die Gemeinheit strafrechtlich nicht zu fassen, vom Recht nicht unterscheiden ist. Die Gemeinheit des antisemtischen Topos von der Doppelmoral der Juden liegt darin:
    – ihre Voraussetzungen sind durch ein Wirtschaftssystem vorgegeben, das immer mehr darauf hinausläuft, die Gemeinheit der Wahrnehmung zu entziehen; diese Voraussetzungen sind nicht von Juden geschaffen worden, diese sind Opfer des Systems;
    – aufgrund der rechtliche Sonderstellung, der die Juden weder aus eigenem Willen noch aus freiem Entschluß unterworfen wurden, insbesondere dadurch, daß nur jene Bereiche im Wirtschaftsleben auch für Juden offen waren, in denen es ohne die Doppelmoral nicht geht, kann ihnen die Doppelmoral nicht angelastet werden;
    – Nutznießer dieses Systems sind nicht die Juden, sondern die Raubkapitalisten (unter ihnen auch die Weberschen Puritaner, die ohne dieses System ihre Moral und Gesinnung nicht entfalten könnten), die die Schuldverschiebung (auf die Juden) als Mittel der Exkulpierung nutzen, hinter diesem Vorhang unbehelligt ihren Geschäften nachgehen können.
    Ohne die Herren, die sich der Hofjuden bedienen, würde es die Hofjuden nicht geben, und ohne jenes spekulative Geldgeschäft, das nicht nur den Bereich der Börsen und Banken kennzeichnet, sondern längst auch den Gesamtbereich der Produktion beherrscht, würde es den moralischen Kapitalismus, den Max Weber zu beschreiben versucht, nicht geben. Auch der Calvinismus als innerweltliche Askese war Ideologie im Sinne von Rechtfertigung.
    Die feinsinnige Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik läuft darauf hinaus, die Verantwortungsethik zu einer Gesinnungsethik zu machen, und sie von jener Verantwortung zu entbinden, die sich aus den Nebenfolgen ergibt. Das Ganze ist eine innere Konsequenz aus dem Rationalisiserungskonzept und aus der Rechtfertigung des Weltbegriffs, die damit zwangsläufig verbunden ist.
    Das Selbsterhaltungsprinzip, das bei den Menschen individuell ist, ist bei den Tieren an die Art gebunden. Liegt hier das Bindeglied zwischen Schlange, Inertialsystem, Venus und Babel, sowie dem Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert, der Sintflut und dem Regenbogen?
    Abraham stammt aus Ur in Chaldäa, aber die Familie ist über Haran gezogen (einer seiner Brüder hieß Haran; ist der in Ur geblieben?). Haran liegt im assyrischen Herrschaftsbereich, näher bei Ninive als bei Ur.
    Kommen Sodom und Gomorra (und die drei anderen Städte, von denen zwei in den Untergang mit hereingezogen werden, eine den Namen ändert) außer in der Abraham-/Lot-Geschichte nochmal vor?
    Wenn Abraham (der Hebräer, der Fremde im Land) und Isaak (der Schrecken Isaaks) dem Jakob/Israel nachträglich vorgesetzt worden sind, welche Bedeutung hat es dann, daß die Frauen alle aus der (aramäischen) Verwandtschaft Abrahams genommen worden sind und alle Probleme mit der Geburt haben?
    Wer ist Lots Frau?
    Auch Sprachregelungen partizipieren an der benennenden Kraft der Sprache. Und der Weltanschauungskrieg, der auch ein Vernichtungskrieg war, war nur der Anfang. Der projektive Scharfsinn heute lebt von der dezisionistischen Gewalt der Sprache, indem er die eigene Sprachregelung unkenntlich und unangreifbar macht.
    Der Unterschied zwischen „hat gemordet“ und „ist ein Mörder“ ist der Unterschied ums Ganze. Die Rückverwandlung eines Verbs, eines Tätigkeitsworts, in eine Eigenschaft ist der Grund der philosophischen Logik; sie gelingt nur um den Preis der Verwandlung des Täters in ein Ding. Ohne diesen Trick würde es den Weltbegriff nicht geben, würde es Herrschaft nicht geben. Grundlage und Modell dieses Verfahrens (Grund der Hegelschen Reflexionsbegriffe) ist das Inertialsystem. Die gesamte Logik, das „Wer A sagt, muß auch B sagen“, reicht genauso weit wie diese Herrschaftslogik, die eine Verdinglichungslogik ist. Wenn ich dem Subjekt die Eigenschaft (das Prädikat) als feste Bestimmung anhefte, verdingliche ich das Subjekt; und die Härte dieser Verdinglichung zeigt sich daran, daß sie den Begriff besoffen macht (daß – Hegel zufolge – im Absoluten kein Glied nicht trunken ist).
    Jesus kann nur das „Ich bin’s“ sagen, weil er die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Insoweit ist er auch der gefallene Morgenstern, der Erbe Luzifers, ist er „abgestiegen zur Hölle“).
    Bei den Griechen ist es Kronos, der seine Kinder frißt; weshalb ist es bei den Kanaanäern Ischtar, Astarte, der Moloch? Kann es sein, daß der griechische Mythos über den Schicksalsbegriff in die Philosophie hineinführt, weil er von Anfang an ein kosmologicher Mythos war? Der orientalische Mythos ist als ethischer Mythos dieser Auflösung nicht fähig, wird erst abgegolten durch die Ablösung des realen Kinderopfers.
    Das Christentum: das gefährlichste Experiment Gottes mit der Welt.
    Die narrative Theologie wäre ein Gegenkonzept zur prädikativen, zur Begriffstheologie, wenn sie ohne Willkür noch möglich wäre. Wenn es narrative Theologie noch gibt, dann steckt sie u.a. in den Berichten von Überlebenden aus Auschwitz. Alles andere ist Kunst und Schmücke Dein Heim.
    Der Begriff „allseitig“ und der Slogan „der Mensch im Mittelpunkt“ passen aufs genaueste zur dritten Leugnung: Wir sind umstellt.
    Wer die Psalmen Rachegesänge nennt, läßt die Grunderfahrung, die sich in den Psalmen ausdrückt, nicht an sich herankommen.
    Wann wurde das Symbolum zum Bekenntnis, wann wurde das Credo logisch umgeformt in ein Confiteor? – Mit dem Confessor?
    Maria Magdalena, die von den sieben bösen Geistern befreit wurde (Mk 169, Luk 82, vgl. auch Luk 1126): heißt das, daß sie die erste war, die vom Sternendienst befreit wurde (während in der Zahl der Aposteln noch der Tierkreis symbolisiert ist)? Umgekehrt: die Besessenen, deren böse Geister „Legion“ heißen (Mt 828, Mk 59, Luk 826), die dann in die Schweineherde getrieben werden, beziehen sie sich auf die ganze Sternenwelt (Abrahams Nachkommenschaft zahlreich wie die Sterne).
    Insbesondere die katholische Kirche entartet immer mehr zu einer Religion für den beliebigen Privatgebrauch.

  • 01.03.91

    Reflexionsbegriffe und der Begriff der Lüge: Das erzieherische Verbot der Lüge („wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht“) blockiert letztlich das noch verbliebene Organ der Wahrheit: die Phantasie. Jürgen Ebachs Hinweis, daß es kein striktes Gebot, nicht zu lügen, gibt, sondern nur das Verbot, falsches Zeugnis zu geben wider seinen Nächsten, greift weiter, als es zunächst scheint: Gemeint ist offensichtlich das Verbot, über seinen Nächsten hinter dessen Rücken anders zu reden, als man in seiner Gegenwart reden würde, insbesondere sollte jede Kritik nur im Angesicht des Betroffenen geübt werden. Lüge dagegen ist das Reden hinter dem Rücken der Dinge, das „Über die Dinge Reden“, ist die Theologie hinter dem Rücken Gottes und die Physik und das Geschäft hinter dem Rücken der Dinge (Rechtfertigung und Reklame): die Vorstellung, der Raum erstrecke sich ins Unendliche oder das Tauschprinzip beherrsche die Welt. Daß der Teufel der Vater der Lüge ist, hat demnach auch diese konkrete Bedeutung, daß die Welt unterm Gesetz der Lüge steht (so viele Prämissen zur Abstützung des Augenscheins braucht und die Hegelsche List möglich macht), zum reinsten Ausdruck der babylonischen Sprachverwirrung geworden ist. Die Lüge ist demnach nicht an die subjektive Unehrlichkeit, sondern an das objektive Anderssein der Dinge gebunden, der verandernden Kraft des Seins unterworfen: die Ontologie ist die Lüge, sie ist das falsche Zeugnis über Gott, die Welt und über den Nächsten. Unter dieser Prämisse kommt es nur noch darauf an, nicht erwischt zu werden (und die gegenwärtige Gestalt der Objektivität ist soweit gediehen, daß sie das fast schon endgültig garantiert); die Bahn ist frei für die ungestrafte Gemeinheit.
    Es kommt nicht mehr darauf an, welche Handlungen sich heute (nach endgültigem Zerfall der Kraft des Arguments, nach Auflösung des Zusammenhangs von Theorie und Praxis) noch rechtfertigen lassen, sondern allein darauf, welche Handlungen überhaupt noch zur Änderung der Dinge beitragen.
    Die sieben Gaben des Heiligen Geistes (Jes. 112ff; Utopie vom Tierfrieden 119):
    – sapientia, intellectus, consilium, fortitudo, scientia, pietas, timor Dei.
    Die fünf Charismen der Gemeinde (1 Kor. 1426):
    – psalmus, doctrina, apocalypsis, lingua, interpretatio.
    Ninive: „die große Stadt“ – vgl.
    – Karl Thieme: Biblische Religion heute,
    – Jona (Rettung) und Tobit (die Prophetie des Jona erfüllt sich doch – der Hund des Tobias?),
    – „das Zeichen des Jona“ (Math. 164, vor allem Luk. 1129ff: „wie Jona den Niniviten ein Zeichen war, …“, Verknüpfung mit der drei-Tage-Prophetie),
    – Nahum: „Weh der Stadt voll Blutschuld; sie ist nichts als Lüge“ (31; Ninive = Babylon; Rom/Troja; Rom/Rom, Byzanz, Moskau; Rom/Rom, USA).
    Die „imperiale Aufspreizung der Gegenwart, als sei sie Herr der Vergangenheit“ (KuJ, S. 148) ist die Umkehrung der Wahrheit (= Definition der Lüge), Folge der Entlastungsgier, die die Last der Vergangenheit, die sie selber produziert, indem sie die Vergangenheit instrumentalisiert, nicht erträgt, sie abwerfen will. Gleiches Schema wie beim Herrendenken insgesamt. Das „no pity for the poor“ schiebt denen die Last zu, die ohnehin die Opfer sind: Umkehrung des Nachfolgegebots. Die Nachfolge schließt das Eingedenken mit ein: die Erinnerungsarbeit.
    Das Inertialsystem gehört ins gleiche Schema (Objektbegriff, Begriff der Lüge; Sprachverwirrung):
    – Produkt der Vergegenständlichung und Verdrängung der Erinnerung: Verräumlichung der Zeit;
    – Verdrängung der Bedingungen, unter denen die Prämissen allein gelten: Unendlichkeit des Raumes;
    – Verfügung über das entfremdete, enteignete Produkt der Vergegenständlichung vergangener Arbeit: Materie als das gleichnamig gemachte Ungleichnamige.

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