Ebach

  • 25.02.91

    Trinitätslehre: Für Gott: Ich/Du/Er, für Jesus: Du/Ich/Er, für den Geist (und für uns): Er/Du/Ich. Wie wird die dritte Person zur ersten (und die erste zur dritten)? Die Barmherzigkeit gewinnt erst Grund, wenn sie die richtende Gewalt ganz in sich aufgenommen hat, selbst zur richtenden Gewalt geworden ist (als Gericht über das Weltgericht, das wäre dann das Jüngste). Die Trennung von Gericht und Barmherzigkeit (Erde und Himmel) ist der Grund der Erzeugung des Chaos-Drachens?
    (Was ist mit Ich/Er/Du, Du/Er/Ich, Er/Ich/Du? Ist der Sohn niemals dritte und der Geist niemals zweite Person, während allein die erste sich durch alle drei Personen durchkonjugieren läßt – kann die zweite nicht zur dritten und die dritte nicht zur zweiten Person werden, ist die Grenze zwischen zweiter und dritter Person unübersteigbar – Grund der Einzigkeit des Vaters?)
    Bekenntnis und Familienbande: Ödipus-Komplex; double-bind; Geschichte der Auseinandersetzung mit den Eltern Voraussetzung und Modell der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur (Stellung der Familie im historischen Reproduktionsprozeß: Struktur und Gewalt des Familienmythos abhängig von der Stellung der Familie in der Gesellschaft – vgl. Hannah Arendt: Erpressbarkeit der Väter); Bekenntnis zur Familie, Auflösung des Inzest-Tabus?
    Die Wendung, daß Gott außer Himmel und Erde auch das Meer erschaffen hat, scheint außer im NT nur im Buch Jona (im „Bekenntnis des Jona“) vorzukommen (außerdem im Dekalog) (vgl. Jürgen Ebach KuJ, S. 28).

  • 24.02.91

    Die mythische Vorstellung der Schöpfung von Himmel und Erde durch Spaltung des Chaos-Drachen Tiamat (J.Ebach LuB, S. 45, Anm. 11) wird in Gen. 1 umgekehrt (vom Kopf auf die Füße gestellt): Der Chaos-Drache ist das Produkt der Schöpfung von Himmel und Erde (Trennung von Zukunft und Vergangenheit: der Drache als Imago der Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft: Das Tier … war und ist nicht und wird wieder heraufkommen – Geh. Offb. 178).
    Nach Genesis 121 werden die „großen Meerestiere“ (die Tanninim) nicht „nach ihrer Art“ erschaffen: als dann auch nicht von Adam benannt? Ihre Benennung erfolgt erst am Ende („hier bedarf es Weisheit und Verstand; ihre Zahl ist 666“ – Vgl. hierzu auch Hi. 382 und 423: „wer ist es, der den Ratschluß verdunkelt, mit Gerede ohne Einsicht?“ – Zusammenhang mit dem „Bekenntnis“: „nur wer das Zeichen des Tieres trägt“)? – Vgl. auch Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann.
    Das kantische Objekt, der an sich bestimmungslose Gegenstand: Substrat der transzendentalen Logik, ist der Grund des Nichtwissens: Produkt und Endpunkt der Geschichte des Begriffs (die Hegel dann beschreibt) und Ausgangspunkt des Rosenzweigschen „Stern der Erlösung“. Rosenzweigs Kritik des „Alls“ ist die Kritik des Alls der Objekte: des historischen Objektvationsprozesses.
    Ist Jes. 11 wirklich „ein Vorschein der neutestamentlichen Feindesliebe“ (J. Ebach LuB, S. 46, Anm. 11)? Setzt das Gebot der Feindesliebe (das ohne das Nachfolgegebot: das Gebot, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, nicht zu verstehen ist) nicht voraus, daß das Fleischfressen der Löwen (die Horkheimersche „Katastrophe der Urzeit“, DdA) Folge einer Schuld ist, an deren Grund die Lehre vom „Sündenfall“ rührt, und die in die christliche Verantwortung (als Grund und Ausdruck der Gottesfurcht und als Grund der Notwendigkeit von Theologie als Erinnerungsarbeit – „exakte Phantasie“) mit hereinzunehmen ist? Letzter nachweisbarer Widerschein der Trinitätslehre: die Konstellation des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs.
    Das Vater in der Trinitätslehre ist (u.a.?) der Hinweis auf die Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit (Zusammenhang mit den Genealogien, den toledot). Bedeutung des Patriarchats? – Aber Gegenstand der Erinnerungsarbeit ist nicht einfach das Vergangene, der Ursprungsmythos, sondern im Ursprung die darin verborgene Zukunft.
    Behemoth und Leviathan: Das Krokodil ist Überlebender der Saurierzeit; aus welcher Zeit, aus welcher Phase im naturgeschichtlichen Evolutionsprozeß stammt das Nilpferd?
    Zoo und Museum: Indiz für den Stand der Naturgeschichte der Herrschaft (und der Gewalt): Auch Nilpferde und Krokodile werden – zusammen mit den Tieren aus Hi. 38f und Ps. 104 – als Anschauungsobjekte im Zoo gehalten (oder auch vor der endgültigen Ausrottung bewahrt? – wie in der Arche vor der Sintflut? -Waren auch Behemoth und Leviathan in der Arche; gab es dafür -sie waren als Meerestiere von der Sintflut nicht bedroht – eine Notwendigkeit, abgesehen davon, daß Noach nur Tiere „jedes nach seiner Art“ aufnehmen sollte, diese Meerestiere aber gerade keiner „Art“ angehören? Unterschied zwischen Zoo und Arche).
    Natur und Welt sind keine divergierenden Objektbereiche, auch nicht nur perspektivische Aspekte eines (desselben) Objektbereichs; das Verhältnis von Natur und Welt ist nicht mengentheoretisch bestimmbar; sie sind vielmehr logische, objekterzeugende Strukturen, die eigentlich bestimmte Strukturen und Verhaltensweisen des Subjekts (das Herrendenken) absichern und stützen: beide beziehen sich auf Objekte als Erscheinungen im Kontext der Naturbeherrschung und reflektieren ggf. im gleichen Objekt den Bruch der Subjekt-Objekt-Beziehung als Herrschaftsbeziehung. Natur und Welt verhalten sich wie Objekt und Subjekt, definieren die Rahmenbedingungen dieser Trennung und ontologisieren sie.
    Die Steigerung der Situationen, auf die die dreimalige Leugnung des Petrus sich beziehen, bilden den Fortschritt ab, der zur Entqualifizierung des Objekts (zur Zerstörung der benennenden Kraft des Begriffs, zur Löschung des Namens) führt: die Magd zu Petrus, die Magd zu den Umstehenden über Petrus, die Umstehenden zu Petrus; der letzte Fall hat die Selbstverfluchung Petri zur Folge.
    Die „persönliche Schuld“ (Gegenstand der Beichte) ist ein Folgeeffekt der Personalisierung der Schuld (Grundlage des Rechts, nicht der Moral, oder Symptom der Angleichung der Moral ans mythische Recht; Grund der Tatsache, daß Gemeinheit strafrechtlich nicht zu fassen ist; Probleme des Akkusativs, der dritten Person: grammatisch und theologisch), ihrer reflexiven Anwendung aufs Subjekt (Rückwirkung des Sündenbocksyndroms aufs projizierende Subjekt: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet); die wirkliche Schuld ist nicht beichtfähig und nicht „persönlich“: die Last der Vergangenheit, die mit jeder Generation sich mehrt (zugleich sich in Richtung Erkennbarkeit verändert) und die jede Generation als wachsende Hypothek neu von der Vergangenheit zu übernehmen hat (zum Begriff der Nachfolge).

  • 20.02.91

    Schneisen schlagen:
    – Theologie im Angesicht/hinter dem Rücken Gottes (vgl. Jürgen Ebach, UuZ, S. 51ff: Der Gottesgarten liegt im Antlitz Gottes; bedeutet „hinter dem Rücken Gottes“: im Angesicht des Feindes? – Im Angesicht = in den Augen von, im Urteil von),
    – Subsumtion der Zukunft (der Versöhnung) unter die Vergangenheit (Theologie hinter dem Rücken Gottes) als Basis des Herrendenkens,
    – „sanctificetur nomen tuum“: was geschieht dem Kind, dessen Mutter in seiner Gegenwart über das Kind redet: sie macht das Kind sich selbst und der Mutter zum Feind (und verdeckt diese Feindschaft durch symbiotische Bindung); genau das machen unsere Theologen mit Gott; – haben unsere Theologen einmal nachgefragt, was die Juden unter der „Heiligung des Gottesnamens“ verstehen?
    – zum Begriff des Ewigen (Umkehr: Heute, wenn ihr meine Stimme hört),
    – Bekenntnis: Herrendenken und Instrumentalisierung,
    – Kritik des Personbegriffs (Produkt der Verinnerlichung der falschen Versöhnung),
    – Kritik des Inertialsystems (Entfremdung, Grund der Instrumentalisierung, Löschung der benennenden Kraft der Sprache: Produkt der falschen Versöhnung),
    – Kritik des Herrendenkens (Begriff und hierarchische Struktur der Logik; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang),
    – Dornen und Disteln (Ursprung der Gewalt, Herschaft von Menschen über Menschen),
    – Ursprung und Kritik der Gewalt (Verhältnis zur Logik; Logos: Begriff oder Name?),
    – Ansteckung durch Gewalt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“
    – „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“,
    – Petrus: Schlüsselgewalt und dreifache Verleugnung: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung,
    – imitatio Christi, die Gottesfurcht (dazu gehört auch die Lektüre des Angehörigen-Info),
    – Natur und Welt als Totalitätsbegriffe zur Absicherung des Herrendenkens, Neutralisierung der Gottesfurcht (Zusammenhang mit der Grenze/Ausdehnung von Natur und Welt – Rom, Kopernikus),
    – Welt und Schöpfung: Ursprung und Geschichte der Häresien (Orthodoxie und Weltbegriff: Instrumentalisierung der Theologie; Äquivalenz von Bekenntnis und Trägheitsgesetz),
    – Welt und Geschichte: geschichtliche und kosmische Religion; Genealogie, Chronik, Prophetie vs. Mythos; Christentum und Verweltlichung; Ursprung und Geschichte von Antijudaismus, Ketzer- und Hexenverfolgung,
    – Verweigerung/Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit (Idee der Versöhnung: offene Zukunft und abgeschlossene Vergangenheit; die Öffnung des Raumes schließt die Vergangenheit ab),
    – nicht Ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen,
    – die raf und der Golfkrieg: die Welt gleicht sich immer mehr dem Verfolgungswahn an, durch den sie zugleich falsch abgebildet wird (seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben),
    – es kommt nicht aufs Rechtbehalten an (Bekenntnissyndrom; Rechtbehaltenwollen als Teil der „Versuchung“: et ne nos inducas in tentationem),
    – wer unbedingte Gewißheit: die Zukunft dingfest machen will, zahlt zwangsläufig den Preis der Entfremdung, weil er es nicht erträgt, in der Furcht Gottes zu bleiben; er ist zur Verdummung verurteilt,
    – wo kein Kläger, da kein Richter (Hauptsache: nicht erwischt werden): sich der Anklage stellen, anstatt die Schuldgefühle, die sie auslöst, zu verdrängen.
    Bekenntnis und Komplizenschaft: Die Komplizenschaft ist in den Weltbegriff bereits eingebaut. Als Bürger des Staates (sowie als Käufer in einer durch Geldwirtschaft bestimmten Gesellschaft) bin ich als Komplize der Herren (durch Identifikation mit dem Aggressor) selbst Herr über die Unterworfenen (und die Produzierenden, die Arbeit und das Produkt der Arbeit anderer). Entlastung von den Schuldgefühlen bringt die Absicherung der Selbstexkulpierung durch das „homologe“ Bekenntnis aller: Wo kein Kläger, da kein Richter. Erst durchs Bekenntnis (durchs Bekenntnis zu den geltenden Werten: zum moralischen Urteil, bzw. durch Identifikation mit dem Aggressor und Verzicht auf die Anklage gegen ihn) werde ich real zum Komplizen. Dieses „Bekenntnis“ (und das gilt heute auch für das kirchliche, konfessionelle Bekenntnis) ist ableitbar als Umkehrung des Schuldbekenntnisses (als falsche Versöhnung: Leugnung der offenen Schuld in der Gegenwart und Dekretierung der Versöhnung als einer in der Vergangenheit bereits geleisteten; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; das sich Verstecken des Adam („unter den Bäumen des Gartens“), Flucht aus dem Angesicht Gottes, dreifache Leugnung des Petrus: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung; Instrumentalisierung der Scham).
    Ist das homologein (Bekennen) nur ein anderer Ausdruck für das akolouthein (die Nachfolge)? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
    Beherrscht der Mond die Natur und die Sonne die Welt? Die Sonne erleuchtet (herrscht über) den Tag, der Mond die Nacht.
    Die Vorstellung des (nicht vorstellbaren) unendlichen Raumes hat Natur und Welt als Totalitätsbegriffe konstituiert: vorher waren beide begrenzt, gab es noch ein Außerhalb.
    Der philosophische Begriff des Kontingenten konnte nur deshalb mit dem Schöpfungsbegriff verwechselt werden, weil die Schöpfung selber mit der Welt verwechselt wurde. Beides war erkauft mit einem Tabu über die Erinnerungsarbeit (Kontingenz bezeichnet die Beziehung des Objekts zum Begriff, Schöpfung die zum Namen).
    Der Begriff der List der Vernunft ist der Spalt, durch den die benennende Kraft der Sprache entweicht und die Gewalt in die Hegelsche Philosophie Einlaß gefunden hat (vgl. Adornos Hegel-Aufsatz). Heute ist von der List der Vernunft nur die List noch übriggeblieben, der reine Dezisionismus. Nicht zufällig taucht der gleiche Begriff der List auch im Rahmen der Hegelschen Theorie der Naturbeherrschung auf: als Prinzip der Technik; die gesellschaftliche Anwendung des Listbegriffs liegt auf der Hand (vgl. die List des Swinegels und Jürgen Ebachs Bemerkungen dazu, UuZ, S. 154).
    Die Sprachverwirrung beim Turmbau von Babel („und machen wir uns damit einem Namen“) wird beschrieben als die Folge eines Eingreifens Gottes, der herabstieg, „um sich Stadt und Turm anzusehen“ (Gen. 111ff).
    Erst in der transzendentalen Logik, durch die Einbindung des Objektbegriffs, wird die benennende Kraft des Begriffs, die im traditionellen Begriff des Begriffs noch drinsteckt, gelöscht. Die Geschichte der Philosophie läßt sich hiernach auch begreifen als eine sprachgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen Begriff und Namen, mit dem Ziel, den Namen zu neutralisieren (Kampf gegen die Magie, Ursprung des Personbegriffs). Die Verwirrung kommt herein durch die zentrale Funktion des Urteils (und dessen Bindung an den instrumentellen Sprachgebrauch). Die Umformung der Subjekt-Prädikat- in die Objekt-Begriff-Beziehung in der transzendentalen Logik Kants markiert den Punkt, an dem sich die Sprache endgültig von ihrer benennenden Kraft emanzipiert. Hier vollendet sich die Sprachverwirrung (der Turmbau von Babel). Oder: die Postmoderne beginnt mit Kant und Hegel. Hier gibt es einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Interpretation der Geschichte vom Sündenfall (die in der Tradition der Aufklärung und des deutschen Idealismus als die Geschichte der Menschwerdung begriffen wird) und mit der Neigung zum Antisemitismus.
    „Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß“: Gegen die Sprachverwirrung die Dinge zum Sprechen bringen (oder sie beim Namen nennen).
    War es vielleicht die beängstigend nahegerückte Gefahr des Wiederauflebens der Magie (nicht nur in Astrologie und Alchimie, sondern näher noch in der neuen Gestalt des Bekenntnisses: des Konfessionalismus), die dann ihr Sündenbock-Opfer in der Hexenverfolgung fand? – Namenszauber und Ursprung der Naturwissenschaften und des Nominalismus, des Objekts der kantischen Kritik? Ritualisierung des Lebens (pompöse Verkleidung: Perücke und Robe) zur Abwehr der andrängenden feindlichen Mächte (der Gewissensmächte: zweite Geburt der Person – Christentum als Gewissenskomfort – Höllensturz). Unausweichlichkeit der Melancholie und der barocken Hybris?
    Gewissen und Über-Ich: das Gewissen lebt von der Erinnerungsarbeit, von der Fähigkeit, die Vergangenheit zur benennen (Name, Scham und Schuld), das Über-Ich ist die verinnerlichte, instrumentalisierte Gestalt der falschen Versöhnung, gehört zur Geschichte des Begriffs.
    Ich glaube, man muß heute die tiefe Ambivalenz in der Geschichte der Aufforderung an Petrus: „Schlachte und iß!“ (in der Apostelgeschichte) begreifen, um die ganze Tragweite der Entscheidung zur Heidenmission (die mit dem Namen des Petrus, der Kirche, untrennbar verbunden ist; die Auseinandersetzung mit Paulus, in der Petrus die andere Seite vertritt, macht das Gewicht der Entscheidung noch deutlicher) zu begreifen.
    Unsere Theologie hat die Gottesfurcht durch die Furcht des Herrn ersetzt (Ursprung und Geschichte der Herrenbegriffs, des Kyrios-Begriffs).
    Der Staat oder die installierte Sünde wider den Heiligen Geist.
    Einer der Nebeneffekte des Bekenntnissysndroms ist die Gesinnungsethik, bei der in der Regel übersehen wird, daß die „Ge-sinnung“ gerade nicht das Innerste des Menschen bezeichnet, sondern nur das, was der Gesinnte gerne als sein Innerstes nach außen demonstrieren möchte: Der demonstrative (durch den Exkulpationswunsch bestimmte) Grundzug, den die Gesinnung mit dem Bekenntnis gemeinsam hat, ist unverkennbar; er verweist zugleich darauf, daß ohne Ausnahme jede Gesinnung von außen induziert ist (oder auch transplantiert, bei herabgesetzten Immunkräften): Ausdruck dessen, was David Riesman den „außengeleiteten Charakter“ genannt hat; man ist national „gesinnt“, aber einem Menschen, den man liebt, wohl „gesonnen“ (zu diesem Adjektiv gibt es bezeichnenderweise kein verdinglichendes, personalisierendes Substantiv; hierauf kann man niemanden festnageln). Von der Gesinnung (wie auch vom Zwangs-Bekenntnis) ist das Passive, das Unspontane und Unlebendige, das Selbst-Opfer und die dahinter lauernde Wut auf den, der nicht einstimmt, nicht abzuwaschen (es gibt keinen Nationalismus ohne Feinddenken). Jede Gesinnungsethik trägt ausgesprochen exkulpatorische Züge, sie ist ein Akt der Selbstfreisprechung, des reuelosen Sich Unschuldigfühlens, der direkt in den Wiederholungszwang hineinführt. (Begriff der Gesinnung bei Kant?)

  • 19.02.91

    „Doch die Frauen haben einen Vorzug: Sie haben kein Gesicht zu verlieren.“ (Erica Fischer in der taz vom 19.02.91)
    Der Satz hängt mit den anderen zusammen: „Frauen sind nicht bekenntnisfähig (Forderung biologischer Unschuld: Jungfrau).“ „Männer dürfen nicht weinen (müssen sich zu ihrer Tat bekennen: Confessor).“ Das Gesicht, daß die Männer glauben, nicht verlieren zu dürfen, ist ein öffentliches Gesicht: die Maske der Person, die sie auf der Weltbühne der Politik, des Geschäfts, der Durchsetzung des Rechts als Existenzgrundlage benötigen (als Grund der Fähigkeit, mit der Schuld zu leben). Hintergrund ist das unterschiedliche Verhältnis zur Schuld (Biologisierung und Vergeistigung: Ursprung des Idealismus und des Rassismus) und die Unfähigkeit, diesen Konflikt aufzuarbeiten. Männer machen die „Drecksarbeit“, kämpfen insbesondere gegen den „inneren Schweinehund“ (im eigenen Innern und draußen), während die Frauen den Schein der „heilen Welt“ des Privaten, die die Männer durch ihre Arbeit draußen begründen und nach außen absichern, nach innen durchsetzen und nach draußen repräsentieren (Zusammenhang mit dem Eigentumsbegriff, mit der Geschichte des Tauschprinzips.)
    Das Bekenntnis steht in der Geschichte des Falls und transportiert ihn weiter, ist die Grundlage für die falsche Säkularisierung der Theologie (die Geschichte der Gottesleugnung).
    Wer sich zu etwas bekennt, gibt sich als etwas zu erkennen (Mord, Mörder).
    Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben: ein Gebot wider die Personalisierung der Schuld, gegen das Geschwätz (Gerede), gegen das Herrendenken.
    Gibt es einen sprachlichen Zusammenhang zwischen Welt, Gewalt, Verwaltung? Begründen Gewalt und Verwaltung die Welt (Funktion der Engelhierarchien)? Säkularisation kommt dagegen von saeculum: von Zeitalter, Weltalter, Epoche (per saecula saeculorum: durch die Zeitalter der Zeitalter, nicht „von Ewigkeit zu Ewigkeit“: Verewigung des Zeitalters?). Klingt im saeculum auch der astrologische Weltbegriff (Planeten als Herrscher der Zeitalter) an, oder nur der politische Begriff (assyrische. chaldäische, römische Aera, apokalyptischer Epochenbegriff)? – „per J.Chr., filium tuum, qui tecum regnat et imperat per s.s.“
    An der Hegelschen Philosophie läßt sich demonstrieren, daß der Antisemitismus mit der Leugnung des Vaters zusamenhängt.
    Das „messianische Licht“ in dem Stück „Zum Ende“ ist der genaue Ausdruck dessen, was man bei Adorno Gottesfurcht wird nennen dürfen.
    Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus legt den Schluß nahe, daß der Übergang von der Theorie zur Praxis nur unter theologischen Prämissen sich bestimmen läßt. Erst in theologischem Kontext wird die Theorie praktisch.
    In einem Punkt hat die christliche Sexualmoral recht: Es gibt eine Schamgrenze, die nicht überschritten werden darf. Ihr Fehler liegt jedoch darin, daß sie sich Scham nur als sexuelle Scham vorstellen kann: Im Übrigen ist die Theologie in der Tat unverschämt und schamlos. Sie hat bis heute nicht begriffen, daß die Schamgrenze (auch die sexuelle) durch die Idee der Gottesfurcht definiert und bestimmt wird.
    Das „et ne nos inducas in tentationem“ gilt auch im Hinblick auf die Empörung. Mehr noch: Es gibt keine Versuchung, die diesen Namen mehr verdient (Gemeinheit wird belohnt durch die Moralität dessen, der sich aus der Schuldzone durchs moralische Urteil herauszustehlen sucht; vor allem: er bemerkt es nicht.) Empörung ersetzt die Kraft des Arguments durch die personalisierende Projektion, durch Wut, die zugleich dem Wütenden den Schein der moralischen Überlegenheit verleiht. Empörung verhindert eben damit das, was aus dem Teufelskreis herausführen könnte: die Kraft der Besinnung, der Differenzierung, der Identifikation und der Unterscheidung. Man muß den alten theologischen Sinn von Empörung, nämlich Hybris, in diesem Begriff mithören: Mit dem Herrendenken wurde auch diese Hybris sozialisiert.
    Der Säkularisationsprozeß hat nicht erst zu Beginn der Neuzeit, sondern – mitten in der Theologie – schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung, in der Phase der Kirchenbildung, der Ausbildung des Dogmas: der Anpassung an die Welt, begonnen. Die ersten Gestalten der säkularisierten Religion waren der Confessor und die Virgo.
    Gesinnung als moralisches Alibi: Die reine Gesinnung will sich nicht selbst mit der Schuld beflecken, von der sie doch zugleich selbst lebt.
    Die Idee des Ewigen schließt die Vergangenheit von sich aus; aber ist nicht die Idee des Ewigen selbst eine vergangene Idee?
    Muß man zum Verständnis der Figur der Magd darauf achten, daß es sich um die Magd des Hohepriesters (nach Joh. um die Pförtnerin) handelt, daß die Leugnung im Hof des Hohepriesters sich ereignet? Und was hat es mit dem Vorhof und dem Tor auf sich? Ist die Kirche (Petrus) immer im Hof oder im Vorhof des Judentums geblieben (bis zum Hahnenschrei)? (Zusammenhang mit dem frühkirchlichen Antijudaismus?)
    Bei Johannes ist der „Jünger, den Jesus lieb hatte“, der Petrus den Zugang zum Hof des Hohepriesters verschaffte.
    Die johanneische Pförtnerin: Ist sie nicht eine Verwandte des Kafkaschen Türhüters (Vor dem Gesetz).
    Theologie im Angesicht Gottes: Als Jesus sich umsah und ihn anblickte, da ging er hin und weinte bitterlich.
    Bei der dritten Leugnung verflucht Petrus sich selbst.
    Die dreifache Leugnung:
    1. die Rezeption der griechischen Philosophie,
    2. die Rezeption der islamisch weiterverarbeiteten Philosophie,
    3. die europäischen Aufklärung. Hier helfen die Mittel, die den Kirchenvätern und den scholastischen Kirchenlehrern noch zur Verfügung standen, nicht mehr.
    (Die Angst davor, als Sympathisant erkennt zu werden, gab es damals schon: sie ist die Urangst des Christentums.)
    Die drei Leugnungen beschreiben exakt den Prozeß der Selbstentfremdung (der auch über die zuschauenden Anderen abläuft und in der Selbstverfluchung endet).
    Hat die Pförtnerin etwas mit der Schlüsselgewalt Petri zu tun? Zur Pförtnerin gehört auch, daß
    – Petrus Einlaß durch Johannes bekommen hat,
    – die ganze Geschichte sich im Hof, im Vorhof und am Tor abspielt. (Wer sind eigentlich die Galiläer? – Jakob Böhme würden jetzt vielleicht die Gallier, die Galizier, die Fürstin Gallitzin und vielleicht auch noch die Galle einfallen.)
    Die Geschichte der Kirche ist eine Geschichte der Bekehrungen. Aber diese Geschichte der Bekehrungen findet ihre Grenze an den modernen europäischen Aufklärung: Hier trifft sie auf ihr eigenes Produkt, auf eine Projektion ihres eigenen unbekehrten Inneren. Die Kirche hat Bekehrung immer als Überwindung des alten Heidentums, das damit abgetan und erledigt schien, verstanden, während die wirkliche Bekehrung nur durch Umkehr möglich ist: durch Aufarbeitung der Vergangenheit, durch Erinnerungsarbeit. Die Geschichte der Bekehrungen hätte eine Geschichte des Lernens sein können und müssen; sie war eine Geschichte der fortschreitenden Verdummung.
    Bezeichnend, daß Hegel den Islam nicht kennt (ihn nur kursorisch unter dem Titel Mohammedanismus abhandelt).
    Erinnerungsarbeit und das, was Horkheimer und Adorno exakte Phantasie nannten, gehören zusammen.
    Das Inertialsystem ist das vergegenständlichte Abfallprodukt des Denkens des Denkens.
    Aus der katholischen Tradition heraus ist der Hegelsche Begriff der „List der Vernunft“ (gibt es diesen Begriff auch in der Hegelschen Logik?) nicht akzeptabel, eigentlich unverständlich. Da ist offensichtlich eine spezifisch katholische Blockade. Das Gleiche gilt für den Begriff des Scheins bei Hegel. Diese Blockade hat bei Heidegger dazu geführt, daß er den Reflexionsbegriff nicht einmal wahrnehmen, wirklich zur Kenntnis nehmen konnte und dadurch in die Schlinge hineingeraten ist, die er dann in seiner Fundamentalontologie zugezogen hat.
    Der Fundamentalismus (in allen Buchreligionen) ist das Produkt der unaufgearbeiteten Gegenwart. Judentum und Islam scheinen ihm schutzlos preisgegeben zu sein. Das Christentum hat den Säkularisierungsprozeß nicht nur eröffnet und weitergetrieben, es ist die einzige Religion, die auch das Mittel dagegen hätte (wenn es nur endlich davon Gebrauch machen würde).
    Die Allegorie ist die Umformung des Mythos in Philophie, in Begriffe. Die Typologie ist die Umformung des Mythos in Prophetie, in die benennende Kraft der Theologie.
    Grund und Prinzip der Sprachverwirrung: das Ungleichnamige gleichnamig machen. Dieses Prinzip ist in Hegels Begriff des Begriffs (und in dem Konstrukt einer List der Vernunft) als Teil der philosophischen Vernunft begriffen worden.
    Die apriorische Objektbeziehung, die durch die subjektiven Formen der Anschauung in die transzendentale Logik hereingekommen ist, ist dauerhafte und irreversible Verletzung des Bilderverbots, Ursprung des Taumelkelchs des Begriffs (an dem kein Glied nicht trunken ist).
    Die Äquivalenzbeziehungen, die anhand der Analyse der Stoßprozesse herausgearbeitet worden sind, sind die Grundlage und der begriffliche Kern der gesamten Physik.
    Gilt das Gewaltmonopol des Staates auch fürs Inertialsystem (das von außen Angreifen als der Erkenntnisgrund der gesamten Physik)? Lassen sich die Hegelsche Logik und die Hegelsche Geschichtsphilosophie als als die begriffliche und historische Selbstentfaltung der Gewalt begreifen?
    Die physikalischen Erhaltungssätze sind eigentlich keine physikalischen Sätze, sondern erkenntnistheoretische Randbedingungen der physikalischen Erkenntnis. Sie definieren und stabilisieren die metrische Struktur des Referenzsystems, auf das sich alle physikalischen Begriffe beziehen; sie sind ein systematischer Teil des Inertialsystems.
    Die Physik ist das Skelett der Natur, und die Chemie beschreibt den Verwesungsprozeß des abgestorbenen Fleisches.
    Hat der Plural in Gen. 126,27 „Lasset uns dem Menschen machen nach unserem Bilde …“ etwas mit dem Plural haschamajim zu tun (vgl. auch das „qui es in caelis“)? Und ist der „Hofstaat“, auf den Jürgen Ebach den Plural bezieht, ein Vorläufer und früher Verwandter der „Mächte“ beim Paulus?
    Die Theologie ist zu Tode erkrankt an der Unfähigkeit, zwischen rettender und zerstörender Gewalt zu unterscheiden; oder auch an der Unfähigkeit, zwischen transzendent und transzendental zu unterscheiden. Bei Kant bezeichnet das An sich die Transzendenz, die transzendentale Ästhetik und Logik hingegen den Inbegriff der Subjektivität, den Ursprung des Idealismus. Die transzendentale Logik macht den Idealismus als Inbegriff dessen, was einmal Empörung hieß, als Hybris, erkennbar.
    Die kantische Erkenntniskritik gilt sowohl für die vom Tauschprinzip beherrschte Gesellschaft als auch für die vom Trägheitsgesetz beherrschte Natur.

  • 09.02.91

    Mit der Internalisierung des Schicksals wird das Subjekt zum Schicksal für die Dinge: Konstituierung des Weltbegriffs, Begründung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs. Zentrale Funktion des Bekenntnisses: als subjektives Moment der Versöhnung wird es im Prozeß der Konstituierung der Welt und der Anpassung an die Welt (mit den entsprechenden innertheologischen Konsequenzen) zugleich verraten, begründet es die „Person“, den Agenten des Ödipussyndroms, durch das das Subjekt zum Subjekt-Objekt (d.h. auch zum Objekt) des vergesellschafteten Schicksals wird. Wiederkehr des Verdrängten: Verinnerlichung des nicht aufgearbeiteten, sondern durch Negierung bloß verdrängten Heidentums (durch die politischen Formen der Bekehrung wurde das Christentum zur herrschenden Religion, das „überwundene“ Heidentum zur verdrängten Vergangenheit; seitdem begreift sich jeder Fortschritt als „Überwindung“, wird jede überwundene zur tabuisierten Vergangenheit, an die niemand mehr rühren darf: aufgrund seines Verhältnisses zur Bekenntnislogik läßt sich am Ende auch das Gesetz der Mode, die das Jüngstvergangene jeweils zur entferntesten Gestalt der Vergangenheit macht, als eine säkularisierte Gestalt der christlichen Praxis und des christlichen Begriffs der Bekehrung begreifen). Erinnerungsarbeit, Aufarbeitung des verinnerlichten Schicksals, der brennende Dornbusch (Dornen und Disteln). – Zusammenhang von Schicksal, Schuld- und Verblendungszusammenhang, Konstituierung der Welt (Volk als Schicksalsgemeinschaft), Herrendenken, Instrumentalisierung, Bekenntnis und Bekehrung (Überwindung, Verinnerlichung und Verdrängung).
    Der Islam fällt gleichsam hinter die griechische Philosophie dadurch zurück, daß er als Religion (als Islam: Ergebung) sich der Verinnerlichung des Schicksals widersetzt, das Schicksal als den Willen Allahs oder Allah als die personifizierte Schicksalsmacht begreift und akzeptiert: Damit hängt es zusammen, daß der Islam keine Opfer (und keine vergesellschaftete Form der Naturbeherrschung) kennt, zugleich auf einer gleichsam vorzivilisatorischen Stufe der Moral (mit entsprechenden Folgen im Hinblick auf die Struktur des Subjekts und das Selbstbewußtsein) steckenbleibt, weil es sich in den Schuldzusammenhang, in den jedes unbekehrte Christentum zwangsläufig sich verstrickt, um keinen Preis hineinziehen lassen will.
    Der Hegelsche Begriff der „Aufhebung“ hängt mit dem der Überwindung zusammen; er leistet nicht ganz, was er verspricht: Gegen die Überwindung hilft nur die benennende Kraft der Erinnerung, das ist das Gegenteil der Aufhebung, die das Überwundene beerben möchte: so aber gezwungen ist, die Opfer zu vergessen (aufgehoben ist im Kapital die vergangene Arbeit – vgl. hierzu auch Jürgen Ebachs Interpretation der biblischen Geschichte von Lots Weib).
    Wenn wir das Jüngstvergangene begreifen, begreifen wir die Schöpfung: nämlich durch die Erinnerungs-(Sisyphus-)arbeit, die notwendig ist, um das Jüngstvergangene überhaupt angemessen ins Bewußtsein zu heben. In der Distanz zum Objekt steckt heute die ganze Geschichte der Menschheit. Das gilt auch fürs Verständnis des (vergegenständlichten, verdinglichten) Dogmas.

  • 10.10.90

    In seiner Predigt vor der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in Fulda vermißte Karl Lehmann die „dankbare Freude“, statt dessen werde „Trübsinn, Vergangenheitsbeschwörung und gottferne Skepsis gepflegt“ (FR vom 26.09.90). Karl Lehmann auf J. Ebachs Interpretation der Geschichte von Lots Weib hinweisen? Der Begriff „Vergangenheitsbeschwörung“ zusammen mit dem Hinweis auf „Trübsinn“ und „gottesferne Skepsis“ macht die Verwirrung, die den deutschen Katholizismus heute beherrscht, (den Verdrängungsprozeß und die Verblendung, unter denen die Kirche heute leidet) mit einem Schlage sichtbar.

    Die Verwendung des Begriffs „Vergangenheitsbeschwörung“ läßt sich nur durch einen vollständigen Mangel an Gottesfurcht erklären.

    Die Todesstrafe wurde abgeschafft, als die Menschen nicht mehr an die Hölle glaubten. Dafür wurde dann die lebenslängliche Haftstrafe eingeführt und entsprechend ausgestaltet. Die Abschaffung der Todesstrafe war außerdem überdeterminiert, da nach Auschwitz zu viele das Risiko zu fürchten hatten.

    Das Gefängnis ist heute der Ort, an dem Menschen zu qualitätsloser Materie fertiggemacht werden. Es mußte einfach in der Industriegesellschaft einen Ort geben, der noch schlimmer war als die Fabrik. Das wirft ein Licht auf die Argumente der allgemeinen Niedertracht: „Denen geht’s ja viel zu gut“.

    Zu dem Prinzip „man darf alles tun, sich nur nicht erwischen lassen“: Das Prinzip ist erweiterungsfähig: Jede Gemeinheit ist zulässig, solange sie nicht ausdrücklich rechtlich untersagt ist; und Gemeinheit ist nicht justiziabel. Nach diesem Prinzip verfährt heute ein nicht unerheblicher Teil sowohl der Medien (von BILD bis FAZ) als auch unserer Justiz (von den Ermittlungsbehörden über unsere Gerichte bis zu den Aufsichtsorganen in den Strafanstalten).

    Das Gewaltmonopol des Staates drückt sich mittlerweile in den Folgen der Komplizenschaft einer Gemeinheit aus, die bewirkt, daß fast alles erlaubt ist, weil nichts mehr nachweisbar ist. Darin überlebt auf eine perfektionierte und gewitzte Weise Auschwitz.

    Im übrigen wurde Auschwitz vorbereitet in den kirchlichen Höllenpredigten (der Schule der Gemeinheit).

    Zum Problem des Selbstmitleids: Nach Walter Benjamin ist der Kleinbürger Teufel und arme Seele zugleich, arme Seele für sich und Teufel für die andern. Heute gibt es hierzu keine Ausnahme mehr, heute sind alle Kleinbürger. Genau darin liegt die ungeheure Gefahr und die Gewalt des Selbstmitleids. Vgl. hierzu Edgar Morins Antwort auf die Frage, warum die Menschen im Kino weinen.

    Im Übrigen ließe sich die Hölle sehr gut als Kino vorstellen, nur daß in der Hölle die Verdrängung entfällt, das reale Bewußtsein der Situation hinzukommt. Diese Situation ist heute durch das Fernsehen individualisiert und privatisiert worden.

    Naturkonstanten wie z.B. Masse und Ladung des Elektrons verweisen allesamt auf strukturelle Gegebenheiten, nicht auf Dingeigenschaften. Wer das verwechselt, ist potentieller Antisemit.

    Mir scheint, in der Auseinandersetzung mit der Postmoderne in Frankreich wird die mißlungene Auseinandersetzung mit dem Positivismus wie unter einem Wiederholungszwang nochmals mißlingend wiederholt. Die Leute wollen sich einfach die „Dinge“ nicht aus dem Kopf und aus der Hand schlagen lassen, weil sie fürchten, dabei sich selbst zu verlieren.

    Wären Menschen, die vor zweieinhalb Tausend Jahren Propheten wurden, heute vielleicht schizophren? Und säße Ezechiel heute in der Anstalt eines Landeswohlfahrtsverbandes?

    Zum Problem „Insektenforscher“: Der Begriff erweckt den Eindruck, als sollten Probleme der Kirche und der Hierarchie ohne Emotionen untersucht werden. Das ist nicht ganz korrekt: Affekte sind sehr wohl angemessen und notwendig; ich würde sagen: wenn es sein muß mit Zorn, aber ohne Empörung (beide unterscheiden sich durch ihre Richtung: der Zorn geht zur Sache, die Empörung gegen Personen).

    Zum Bruch zwischen der Vätertheologie und der Scholastik: Vätertheologie und Dogmenentwicklung als Anpassung der Theologie an die Welt, als der Versuch, sich als Kirche in der Welt einzurichten; war möglich, weil ihm ein philosophischer Weltbegriff (Begriff des Kosmos) entgegenkam. Dieser Weltbegriff, den Spengler mit dem Begriff der arabischen Kultur zu fassen versucht hat, mußte untergehen, ehe die dann weitergehenden Konsequenzen daraus gezogen werden konnten. Theologie mußte mit einem neuen Weltbegriff verbunden werden, der aus der Theologie zu entwickeln war: Das ist die Leistung der wissenschaftlichen Diskussion seit den Anfängen der Scholastik (Entwicklung des instrumentalisierten Begriffs).

    Theologie als Geschichte der Auseinandersetzung mit der Philosophie (mit dem Herrendenken, dem die Theologie mit der Rezeption der Philosophie dann selbst verfallen ist).

    Karl Thieme hat einmal die Geschichte des Schiffsbruchs vor Malta eschatologisch interpretiert: als Typos der Rettung der Völkerwelt (mit Ausnahme des einen Volkes, dessen Rettung nicht Sache der Kirche ist) bei gleichzeitigem Untergang des Schiffes (der Kirche). Er hat einen Punkt dabei übersehen: das Schiff ist infolge eines Sturms untergegangen (durch den Geist). – Vgl. auch die Geschichte mit der Natter (Paulus wird von der Natter gebissen, stirbt aber nicht, sondern überlebt, nachdem er sie ins Feuer geworfen hat: verniedlichter Höllensturz des Drachen).

    Heidegger war der Sache ganz nahe: Sein „Gestell“ ist in Wirklichkeit das Gericht.

    Die „Summa contra gentiles“ war der Weg, über den der Islam in das Christentum eingedrungen ist. Nach der Hellenisierung und Islamisierung wäre heute die Judaisierung des Christentums an der Reihe.

    Drückt in der kirchlichen Kampagne gegen die Abtreibung vielleicht doch ein Stück Projektion sich aus. Wird hier nicht etwas angegriffen, dessen man sich selbst schuldig fühlt: der Abtreibung der Wahrheit (durch deren Instrumentalisierung im Interesse des Herrendenkens).

    Eine Philosophie des Namens müßte die ganze Spannbreite des Sprachgebrauchs abdecken: vom „das ist in unserem Namen geschehen“ bis zum „die Dinge beim Namen nennen“.

    – Im Bereich des Namens gibt es keine Subsumtionsbeziehungen.

    – Im Namen ist die Trennung von Begriff und Objekt aufgehoben.

    – Das Sein ist der Annihilationspunkt des Namens, der Punkt, an dem der Name in den Begriff umschlägt, die Subsumtionslogik, das Herrendenken beginnt (Quellpunkt des Begriffs).

    – Rührt das emphatische, das gleichsam theologische Verständnis der Ontologie her vom ontologischen Gottesbeweis?

    – Nicht das Eine oder die Einheit, sondern der Eine ist ein Gottesname.

    Adams Namengebung der Tiere verweist auf den Zusammenhang von Benennung, gegenständlicher Erkenntnis, die „katastrophische“ Genesis der Tiere (DdA) und den Zusammenhang mit den apokalyptischen Tieren (den singulären Chaosmächten: den falschen Umschlag des „Begriffs“ als absoluter Begriff in den Namen). – Hiob nochmal lesen: Behemoth und Leviathan; welche Bedeutung der Hinweis auf diese Tiere an dieser Stelle hat: Begründung der Gottesfurcht? – Zusammenhang mit der Erschaffung Evas (Namengebung der Tiere vorher), der Geschlechtertrennung und dem Auftrag zur Naturbeherrschung, sowie mit dem Baum der Erkenntnis (Erkenntnis des Guten und Bösen).

    Merkwürdige grammatische Beziehung: Die Erhebung in die Allgemeinheit verwandelt ein Maskulinum in ein Femininum. Jede -heit und -keit ist feminin, jeder -ismus ist maskulin. Oder auch: der Logos, aber die Ontologie, Theologie, Geologie etc. – Gattung und Art sind feminin (im Deutschen, aber genus und species?), das Individuum ist neutrum.

    Die Raumkontraktion und die Zeitdilatation beschreiben genau den Punkt, an dem die die sinnliche Welt in die physikalische umkippt: die Grenze zum Objekt. Man muß den prozessualen Vorgang nur rückwärts lesen.

    Das Ätherproblem ist mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gelöst worden: Es ist das Problem der inneren Grenze des Inertialsystems.

    Die Tatsachenwelt ist in der Tat eine: Die Welt ist ein Produkt des Tuns; in der Konstruktion der Welt steckt das Tun der Menschen, der Gesellschaft: der Staat. Durch dieses Tun sind die Menschen, ist die Gesellschaft mit in den Schuldzusammenhang verflochten. Und auf dieses Tun müßte sich heute die Gewissenserforschung richten, deren Resultat eine neu begründete Theologie wäre. Der Inbegriff dieses Gewissens ist die jüdisch-christliche Tradition, die der Antisemitismus (im Auftrag der Welt) aus der Welt schaffen wollte. Wenn die Beichte heute den wirklichen Problemen in Deutschland (nach Auschwitz) überhaupt nicht mehr angemessen ist, dann hängt das damit zusammen. Der eigentliche Gegenstand der Beichte wäre das Erbe der Philosophie.

    Ist der (kultische) Opferbegriff dem Kreuzestod Jesu angemessen? Wo und von wem wurde zum erstenmal der Opferbegriff hierauf angewandt? Und wie war hier der Opferbegriff gemeint, real oder symbolisch (als Teil der Aufhebung des Opfers)?

    Was bedeutet die „Erhöhung des Herrn“, und zusammen damit das „Sitzen zur Rechten Gottes“: Die Rechte ist die Seite der Gnade, des Erbarmens (aber von hinten ist sie die Linke, die Seite der Strenge, des Gerichts – Bedeutung der Umkehr!). Wie verhält es sich mit dem Wort: „…, der ißt und trinkt sich das Gericht“? Hat nicht die Mysterientheologie durch den Zusammenhang, in den sie die sakramentale, mystische Teilhabe der Gläubigen an der Erhöhung des Herrn rückt, diese Erhöhung zur Hypostase des Gerichts gemacht?

    „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Dieses Wort Jesu verweist darauf, daß die Wahrheit nicht nur gegenständlich ist, sondern auch subjekthaft (wer das Subjekt in der Wahrheit durchstreicht, streicht die Wahrheit durch.)

    Vielleicht stimmt es, daß die Beziehung der Juden zu Gott unmittelbar ist (F. Rosenzweig), die der Christen ist es nicht. Hier bedarf es – auch im Sinne der Mysterientheologie – des Durchgangs durch den Tod. Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ hält davon die letzte und allerabstrakteste Erinnerung fest, oder auch die letzte Erinnerung des islamischen Verständnisses des Martyriums als Tod im Heiligen Krieg. Auch bei Heidegger ist ja das „Vorlaufen in den Tod“ Teil des heroischen Gestus seiner Philosophie. (Anzumerken ist: Der Islam hat den Heiligen Krieg gepredigt, das Abendland hat ihn – zuletzt im sogenannten „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war – aufs fürchterlichste praktiziert.)

    Der Zusanmmenhang von Objektivation und Instrumentalisierung (Vorhandenheit und Zuhandenheit bei Heidegger) verweist auf einen absoluten Vorrang des dreidimensionalen Raumes.

    Hegels Offenbarungsbegriff bezieht sich auf die Konstantinische Wende (das Ergebnis des Dogmatisierungsprozesses: das Christentum als Staatsreligion), nicht auf das Leben und die Taten und Leiden Jesu. Nicht zuletzt deshalb erscheinen auch bei Hegel die antijüdischen Vorurteile, die zu den Voraussetzungen und Folgen der Konstantinischen Wende gehören.

    Die Wirkung des Bekenntnissyndroms auf den Bekenntnisinhalt kann man daran erkennen, daß das Symbolum das Leben und die Lehre Jesu nicht erwähnt. Jesus ist nur geboren, gestorben und auferstanden; was dazwischen liegt, wird verschwiegen und ist auch im Rahmen des Bekenntnisses wohl nicht faßbar. Die Hegelsche Philosophie hingegen bezieht ihre ganze Stringenz aus diesem Bekenntnissystem; das Bekenntnis ist sozusagen die nicht mehr reflektierte Grundlage der Hegelschen Philosophie. Und die Bekenntnis-Theologie ist zum Inbegriff eines verworfenen, hoffnungslosen Glaubens geworden.

    Zu Dezisionismus und Bekenntnis: Die Ontologie ist nicht nur dezisionistisch, sondern auch Bekenntnis-Ontologie. Durch das Bekenntnis ist mit der Philosophie das dezisionistische Moment in die Theologie hereingekommen, und das war die Grundlage der Trinitätslehre und der Lehre von der Göttlichkeit Jesu im Sinne einer (nicht ewigen, sondern) überzeitlichen Göttlichkeit. Dieser Dezisionismus oder das Bekenntnis haben die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen ermöglicht. (Zum Begriff des Ewigen vgl. auch Rosenzweigs Aufsatz.) Überzeitlich ist der Staat (der Begriff), ewig ist der Gegenstand der Theologie (der Name).

    Wer sich mit dem Staat befaßt, wird den Staatsanwalt nicht vermeiden können.

    Jede Architektur ist ontologische und Bekenntnisarchitektur.

    Die Terroristen sind der Nachfolge Christi näher als die elitären Mysterientheologen.

    Zum Eckstein, den die Bauleute verworfen haben: Heute geht es nicht mehr nur um den Eckstein; sondern die Materialien, aus denen die Theologie zu erbauen wäre, bestehen nur noch aus den verworfenen Materialien, aus Ruinen. Zuerst ist die Betondecke zu zertrümmern, die die Ruinen der Geschichte zudeckt.

    Zu den Ursprungsbedingungen des pathologisch guten Gewissens gehören auch die historischen Verdrängungsprozesse, insbesondere jene die mit der Ursprungsgeschichte der modernen Aufklärung, vor allem der modernen Naturwissenschaften zusammenhängen. Erst wenn es gelingt, die Tathandlung, die die Naturwissenschaften ins Leben gerufen hat, und deren Folgen in der Welt selbst zu begreifen, erst dann gelingt es auch, jene Verdrängungsblockade aufzuheben.

    Modell für die Neutralisierung durch Erkenntnis ist das „pecunia non olet“. Deshalb wird man nicht umhin können, in der Vergangenheit „herumzuschnüffeln“.

    Es gibt zwei Formen der Entstehung von Vergangenheit. Die eine ist die historische: Mit jedem Tag vermehrt sich die Vergangenheit (die dann hinter uns liegt). Die zweite ist die natürliche (die auf uns lastet): sie ist gegenläufig zur historischen.

    Gefühl des Schwindels, wenn der Boden des Herrendenkens unter den Füßen weggezogen wird (Adorno): Die Kritik des Dings trifft auch das Subjekt zentral (in seinem blinden Fleck).

    Die Wahrheit ist antisystematisch, systemkritisch. Wenn sie trotzdem selbst systematische Züge trägt, rührt das her aus der Kritik des Herrschaftssystems, dessen Strukturen sich verkehrt in der Wahrheit abbilden. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung der Hegelschen Philosophie.

  • 24.08.90

    Zusammenhang zwischen dem unsteten (wurzellosen) Leben Kains, dem „wurzellossen Dornstrauch“ (der zum König der Bäume gewählt wird) in der Jotam-Fabel und der nt Dornenkrone (Ebach, UuZ, S. 59, Anm. 193)?

    „Wo aber das Produkt sich gegenüber dem Produzenten verselbständigt, wo es ihn beherrscht, da wird nach alttestamentlicher Auffassung Arbeit nichtig, da machen Menschen Götzen.“ (ebd., S.99) Nur muß dazu darauf hingewiesen werden, daß Arbeit nicht nur das einzelne Produkt, sondern hinterm Rücken der Arbeitenden auch die zugehörigen gesellschaftlichen Institutionen: den Staat, das Recht, das Geld, die Polarisierung von Armut und Reichtum (die Gewalt der Vergangenheit) produziert. Die Absicherung dieser Instutionen war Aufgabe der Götzen (die an den Opfern der Menschen sich erfreuten), unterm Vorzeichen des Christentums das Bekenntnis (das Malzeichen des Tieres).

    Aufklärung als Kolonialisierung der Natur und der Vergangenheit. Wenn die Distanz zum Objekt durch Herrschaft vermittelt ist (die Distanz ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt), dann müßte das auch für die historische Erkenntnis gelten (für die Konstituierung der Geschichte als Herrschafts-, Erfolgs-, Siegesgeschichte). Hier ist der Zusammenhang zwischen der Vorstellung, daß auch die Toten (die Besiegten) einen Anspruch an uns haben, und der Kritik der Naturwissenschaften (als Kritik der Todesgrenze) negativ begründet. Die Gnade der späten Geburt ist die „Gnade“ der Erhebung über die Vergangenheit, der Verführung zur unkenntlich gemachten „Empörung“.

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