Gibt es eine Beziehung des Buches Josue, des Berichts über die Eroberung Kanaans, zu den historischen Fälschungen im Mittelalter? Die Eroberungs-Berichte scheinen Rache-Phantasien in historischem Gewande zu sein, die nicht unmittelbar auf historische Ereignisse sich beziehen lassen. In der Phantasie wird dem Feinde das angetan, was man selbst von ihm erfahren hat. Hierzu ist das achte Gebot heranzuziehen: Hier wird kein „falsches Zeugnis wider den Nächsten“ abgegeben, hier wird nur gelogen. Aber das ist der ganze Unterschied: Während das falsche Zeugnis den Unschuldigen dem Gericht überliefert, verbietet das Gebot „Du sollst nicht lügen“ dem Opfer, seine realen Leiden über Rachephantasien zu verarbeiten: Es versperrt die Fluchtwege, und läßt nur den Ausweg der Identifikation mit dem Aggressor (der Konstituierung des Weltbegriffs). Drückt nicht in der Diskriminierung der „altorientalischen Rachephantasien“ die Angst der Täter sich aus, diese Rachephantasien der Opfer könnten vielleicht doch einmal wahr werden? Aber davor steht das Wort „Mein ist die Rache, spricht der Herr“. – Im Unterschied zum Buch Josue dienten die mittelalterlichen Fälschungen nicht der Verarbeitung der Leidenserfahrung, sondern der Herrschaftssicherung: Nur die Herren, die von den Untertanen fordern, sie sollten nicht lügen, können im Vertrauen darauf lügen, nicht erwischt zu werden. Und erst diese Lüge ist zugleich ein falsches Zeugnis wider den Nächsten.
Christen, sind das nicht die, die das Opfer dessen, der „sein Leben für sie hingegeben“ hat, hinnehmen und sich davon nicht irritieren lassen?
Sind die Texte Adornos nicht so formuliert, daß jede Kritik dem Verdacht der Projektion sich aussetzt, auf sie selbst zurückfällt? Die Kritik trifft nicht Adorno, sondern die eigene Phantasie, die an unverstandenen Adorno-Sätzen sich entzündete.
Die Sexualethik, wenn sie sich nicht als Kritik der Gewalt begreift, wird selber zu einem Instrument der Gewalt. Darin gründet die Verführungskraft des Fundamentalismus. Und es ist kein Zweifel: Die Geschichte der Sexualität ist in die Geschichte von Herrschaft und Gewalt, die ihre Wurzel in der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur, in der Geschichte der Ökonomie, hat, verflochten. Sie ist ein Indikator dieser Geschichte.
Hysterie: Der Name und die Sache erinnert an das Verhältnis von Barmherzigkeit und Kunst. Das Leiden, aus dem die Kusnt sich speist, ist das Leiden an der Unmöglichkeit, barmherzig zu sein. Und wem der Weg in die Kunst versperrt ist, wird „hysterisch“. In diesem Terrain ist die Abtreibungsdebatte angesiedelt.
Johannes Paul II: Und er verfluchte sich selbst und leugnete abermals.
Das Rad ist das Symbol der Reversibilität. Zur Reversibilität gehört die Orthogonalität als Norm, das säkularisierte Gebot: das Gesetz. (Fällt die Erfindung des Rades mit dem Ursprung des Rechts zusammen?)
Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang ist der Reflex des Raumes in der Sprache (der Schatten, den der Raum auf die Sprache wirft).
Der Raum ist das Instrument der Instrumentalisierung. Darin liegt seine selbstlegitimatorische Kraft, an der alle Argumente, die es gegen die Hypostasierung des Raumes gibt, abprallen.
Ist nicht die Tatsache, daß es nur eine begrenzte Zahl nichteuklidischer Geometrien gibt, ableitbar aus der Logik der Konstruktionselemente der euklidischen Geometrie?
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf eine Sphäre, die im Querdenken gründet: Was für den andern vorn und hinten ist, ist für mich, der ich ihn von außen anschaue, rechts und links. Die Beziehung des Lichts zur „Finsternis“, zum Dunklen, aber auch zur Scham (zur Fähigkeit, sich in den Augen anderer zu sehen), hängt damit zusammen.
Das Inertialsystem ist das im „Querdenken“ gründende „von allen Seiten hinter dem Rücken“. Es ist das System, das in der Geschichte der Objektivierung der Dinge hinter dem Rücken dieses Objektivierungsprozesses als dessen Referenzsystem sich gebildet hat (und die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind die Formen ihrer subjektiven Adaptation: Formen der Identifikation mit dem Aggressor).
Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Inertialsystem reflexionsfähig gemacht hat, wäre die erkenntnistheoretische Diskussion des Inertialsystems nicht möglich.
Zum Problem der Knäste, die seit je auch selber Brutstätten der Verbrechen waren, die sie eindämmen sollten: Käme es nicht auch hier darauf an, die irren Kreisläufe der Planeten endlich zu durchbrechen? Und bezieht sich nicht auch darauf das Wort: „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“?
Stephanus sah den Himmel offen: Verweist das nicht auf einen Begriff der Vision, die die Blockade, für die das Planetensystem (die paulinischen Archonten) steht, zu durchdringen vermag? Auf den Ursprung dieser Blockade des Sehens (auf seine Trennung von dem im Begriff der Vision, des Gesichts bezeichneten Sehen) bezieht sich das Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Diese Blockade des Sehens hat sich in den subjektiven Formen der Anschauung, in deren Kontext die Welt zu „allem, was der Fall ist“, geworden ist, als Selbstblockade enthüllt. Hier gründet die Differenz zwischen Stephanus und Paulus: Der eine sah den Himmel offen, der andere wurde in den dritten Himmel entrückt.
Einstein
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14.4.1995
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13.4.1995
Im Kontext ihrer Beziehung zum Licht ist die Scham ein sprachliches, dialogisches Phänomen. Sie gehört zur Logik der Rechtfertigung (und hat die Abstraktion von der Intention auf Änderung zur Grundlage). Scham ist herrschaftsbegründend und -stabilisierend.
Die Gravitationstheorie hat den Himmel zum Verschwinden gebracht, die Elektrodynamik das Licht.
Wenn der Ort die äußere Begrenzung eines Körpers ist, dann ist die spezielle Relativitätstheorie Einsteins der Ort des Lichts.
Die Äquivalenz von Masse und Energie ist der Reflex des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in der Materie.
Horror vacui: Das Vakuum ist die Parodie des Lichts.
Hodie, si vocem eius audieritis. Liegt darin nicht die Erinnerung an den Satz: Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor …? Wie hier die Erde „Seine Stimme hört“, so sollen wir es heute (deshalb ist der Mensch aus Erde geformt: Adam). Der Himmel und die Meere, die nichts selber hervorbringen, sondern nur als Medien begriffen werden, in die hinein Gott die großen Seetiere, die Fische und die Vögel des Himmels erschafft, sind nicht fähig (würdig?), „Seine Stimme zu hören“. Die Sterne hat Er gemacht und an die Feste des Himmels geheftet.
Die Eliminierung des teleologischen Moments aus dem Begriff der Erkenntnis hat ihren Ursprung in der Enttäuschung der Parusie-Erwartung, in der Hellenisierung der Theologie, in der Geschichte des Ursprungs des Dogmas. Sie war in ihrem Ursprung ein Reflex des Caesarismus in der Theologie.
Was bedeutet es für das Verhältnis der Sprache zur Welt, wenn heute „rein sachliche“ Erörterungen auf Empfindlichkeiten treffen und als Beleidigung erfahren werden können? Ist hier nicht ein Problem angezeigt, das nur noch durch die Hereinnahme von Joh 129 ins Nachfolgegebot sich lösen läßt? Es ist der Zustand der Welt selber, der die Rechtfertigungszwänge begründet, unter denen die Menschen heute stehen, Folge der Unfähigkeit, das anklagende Prinzip, das die Welt durchherrscht, zu begreifen. „Wenn die Welt euch haßt“: Das bezieht sich nicht mehr nur auf die Lieblosigkeit einzelner, sondern auf die innere, durch den Zustand der Welt selber determinierte Verfassung der Sprache heute.
Die Bekenntnislogik ist eine Scham-Bedeckungs-Logik (die Logik des Feigenblatts).
Ist nicht die Kollektivscham der Kern und das Prinzip des Tiers? (Ist nicht die Tiergattung ein Produkt einer „ursprünglichen“ Kollektivscham? Und sind die Tiere nicht durch eine Art Scham in die Gattung gebannt? Diese Gattungsscham, die auf eine genetische Beziehung des Tiers zum Licht verweist, ist der Grund der Unfähigkeit, die Welt zu reflektieren, aus ihrem Bann herauszutreten.)
Auch der Ausdruck „Etwas mit gleicher Münze heimzahlen“ gehört zu den Konnotationen des Tauschprinzips.
Kanthers Vorschläge zur Reform des öffentlichen Dienstes:
– Leistungszulagen setzen ein Beurteilungswesen (mit entsprechenden Ermessensfreiräumen) voraus, das den ohnehin paranoischen Zustand der Verwaltungen weiter fördern wird. Keiner der von der Gewährung der Zulagen Ausgeschlossenen (und das dürfte die Mehrheit sein), der nicht anfällig wäre für den Verdacht, hier würden andere Dinge honoriert als Leistung. Angeheizt werden Konkurrenzdruck, Neid, Gerede, Mobbing, insgesamt ein Betriebsklima, das alles mögliche fördern mag, nur nicht Leistung. Leistungszulagen, die nicht an objektive, nachprüfbare Kriterien gebunden sind, sind Öl ins Feuer der Paranoia. Und ausbaden muß es das Gemeinwesen, das möglicherweise diese innere moralische Korruption der Verwaltung für die Lösung der Probleme hält, die sie eben damit hervorbringt und verschärft.
– Das Instrumentarium, das Kanther vorschlägt, scheint eher eines der Disziplinierung als eines zur Förderung der Leistung zu sein (es paßt in den Zusammenhang des Konzepts der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen wie die Faust aufs Auge). Es befördert die Radfahrermentalität, mit absehbaren Folgen nach innen wie nach außen. Aber war von einem Mann wie Kanther etwas anderes zu erwarten? Geht es ihm nicht ohnehin mehr um die Außenwirkung, um den Eindruck, den er damit bei seinen Anhängern macht, als um eine produktive und konstruktive Veränderung? Hier scheint der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr darum geht, ob eine Maßnahme dem angestrebten Ziel angemessen ist und greift, sondern nur noch darum, daß sie bei denen, die ohnehin glauben, Beamte seien Faulenzer, sie lebten von „unsern Steuergeldern“ und ließen sich nur ungern in ihrem Büroschlaf stören, den Eindruck erweckt: Hier greift einer durch.
Andreas und Philippus: Die Bedeutung des Namens Philippus liegt offen: Sie liegt in der Tradition des Makedoniers Philippos, der der Vater des großen Alexander war, dessen Taten vorbereitet hatte. Aber worauf bezieht sich der Name Andreas (Bruder des Simon Petrus)?
Wirft es nicht ein Licht auf die Bedeutung sowohl der Musik als auch der Dreidimensionalität des Raumes, wenn Edgar Morin zufolge die Musik im Film primär die Aufgabe hat, das flächenhafte bewegte Bild zu verräumlichen, ihm den Schein der Tiefe und des Gewichts: des Plastischen, Dreidimensionalen, Körperlichen, der Materialität zu geben? Ebenso wichtig ist eine zweite Wahrnehmung Edgar Morins: Der Schein der Realtität wird im Zuschauer fundiert und verstärkt durch das Arrangement des Zuschauens, die ihn in eine Situation bringt, die den Trieb, in die Handlung einzugreifen, schon im Keim erstickt. Mit seiner Ohnmacht aber werden die Quellen des Selbstmitleids (des Sentiments) und der Identifikation eröffnet und gefördert. Durch die Reduzierung seiner Handlungsfähigkeit aufs Weinen und Lachen wird er – wie der Rohstoff in den Prozeß der industriellen Produktion – als passives Objekt (als träge Masse) in die Handlung mit hereingezogen, die ihn, ohne daß er eine Chance hätte, sich dessen bewußt zu werden, verändert, für den Zustand der Welt, in dem es das Kino gibt, konditioniert.
Durch die Verinnerlichung der Scham und durchs Selbstmitleid – die beide auf die Ursprungsgeschichte der modernen Naturwissenschaften zurückweisen – ist das moderne Drama (und in seiner Folge der Film) zum Liebesdrama geworden, während die antike Tragödie an die Sphäre des Gerichts gebunden war. Aber ist nicht das Liebesdrama das Produkt der Subsumtion der Liebe (der Barmherzigkeit) unters Gericht (bedingt durch das Verhältnis des Gerichts zur Form der Anschauung)? Und rührt nicht daher seine Affinität zur Hysterie?
Schuldig wird man durchs Urteil der Andern, die man im Schuldgefühl als Richter anerkennt: schuldig wird man im Anblick der Welt. Sündig wird man durch die Tat: durch die Verletzung des göttlichen Gebots; sündig wird man im Angesicht Gottes. Im Anfang der Sünde steht die Tat. Und die „Sünde der Welt“ bezeichnet die weltbegründende Tat Adams, in deren Bann wir so lange stehen, wie wir unfähig sind, sie auf uns zu nehmen.
Die Fichtesche Tathandlung begründet den Ursprung der modernen Ontologie.
Im Ursprung der Welt steht die Tat, aber das Wort entspringt dort, wo „das Lamm“ (und in seiner Nachfolge die Menschen) diese „Sünde der Welt“ auf sich nimmt. Dieses Lamm ist „würdig, die sieben Siegel zu lösen“ (und hatte die Kraft, Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern zu befreien). -
9.4.1995
Nehmen die Kerubim in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte und in der Vision des Ezechiel die Stelle ein, die im Schöpfungsbericht die Feste des Himmels einnimmt? (Der Herr der Heerscharen ist der, der auf den Kerubim thront; aber: der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße.)
Bei Ezechiel kommt der Name des Himmels nur als Äquivalent der göttlichen Gesichte und als Attribut der Vögel und der Sterne vor (und nicht als der Thron). – Und in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte? Hat die Schlange etwas mit der Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern scheidet, und mit den großen Seetieren zu tun (am Ort der Scheidung, am Eingang des Paradieses, lagern die Kerubim)?
Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt: Ist das das Buch, das der Apokalyptiker ißt, und es ist „im Munde süß, im Magen bitter“? Im Munde süß: Ist das nicht die sapientia?
Haftet nicht an der Lehre von den vier Elementen (und den vier humores) der Mangel, daß das Bittere und das Süße darin nicht vorkommt (nur die äußeren, quasi physikalischen Qualitäten: trocken und feucht, warm und kalt)?
Grimm und Zorn sind durch ihre Richtungsdifferenz zu unterscheiden: Was als Zorn nach außen sich kehrt, geht als Grimm nach innen.
Die Beziehung des Kelches zu den subjektiven Formen der Anschauung gründet in der beiden gemeinsamen Abstraktion von der Gottesfurcht.
Haben die Verben erschaffen, creare und ktizein (hebr. bara) außer ihrer gemeinsamen Bedeutung auch gemeinsame Konnotationen?
Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit – endlich lesen? Reflektiert nicht der Begriff der Öffentlichkeit die Herrschaft des männlichen Blicks (den objektivierenden Bann des Weltbegriffs), und sein „Strukturwandel“ die Geschichte dieses männlichen Blicks? Gründet der habermassche Begriff der Kommunikation, des Diskurses, sein Begriff der Objektivität als Intersubjektivität, nicht in dieser Konstellation, auch seine Weigerung, Natur in die Reflexion mit aufzunehmen? Zugrunde liegt die Neutralisierung der dialogischen Struktur der sprachlich fundierten Objektivität, die Leugnung des Lichts (oder die Leugnung der Scham, der Wurzel der asymmetrischen Struktur des Begriffs der Objektivität, auch der „Öffentlichkeit“: die Scham ist zusammen mit ihrem objektivitätsbegründenden Pendant, dem Weltbegriff, der Grund der Asymmetrie zwischen mir und dem Andern).
Kritik des Absoluten: Das Eine ist nicht nur das Andere des Anderen. Die Beziehung des Einen zu seinem Anderssein (zu seinem Sein-für-Andere) ist asymmetrisch: Die Scham bezeichnet die Grenze. Die Idee des Absoluten leugnet diese Schamgrenze; sie begründet den Objektbegriff und eröffnet das Reich der Gemeinheit.
Urbild der Gemeinschaft ist die Schicksalsgemeinschaft: die Volksgemeinschaft. Zu den Gründen jeder Gemeinschaft gehört die Bekenntnislogik; wie diese ist die Gemeinschaft ein Produkt der Vergesellschaftung, kein Ausweg daraus. Die Gemeinschaft transformiert die Asymmetrie der Scham ins Kollektiv: Der schambegründende (und so die Gemeinschaft „zusammenschweißende“) Außenblick wird dingfest im Feindbild (dem stärksten Kitt jeder Gemeinschaftsbildung).
Die raf hatte diese ungeheure Bedeutung, dem Feind im Innern der Gemeinschaft ein Symbol zu geben. In dieser neuen Konstellation, die die Nachkriegsära kennzeichnet, gehört zur Gemeinschaft als Gegenbild die Bande (Produkt der Externalisierung der Familienbande). – Gehört nicht auch Stammheim zu den Metastasen von Auschwitz (und ist das, was hier geschehen ist, deshalb so schwer aufzuarbeiten)? Fast macht es schon keinen Unterschied mehr, ob die Tode von Stammheim auf Mord oder Selbstmord zurückzuführen sind: Auch der Selbstmord wäre nur als induzierter Selbstmord in einem ungeheuren vorurteils-logischen Konstrukt, das längst beide Seiten ergriffen hatte, zu begreifen. Das dämonische Zwielicht und die dämonische Zweideutigkeit, die diese Ereignisse kennzeichnen (und die es so schwer machen, Taten der raf und das Handeln der Geheimdienst des Staates auseinander zu halten), beherrschen die ganze Nachgeschichte über die Startbahn-Morde bis hin zu Bad Kleinen (über Ingo Herbst zu Steinmetz). Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, läßt sich an der Geschichte des linken Terrorismus in Deutschland wie an einem Laborfall studieren.
Umkehrung der transzendentalen Logik: Hat nicht die Bundesanwaltschaft die selffulfilling prophecy (oder auch das double bind) längst zu einem technischen Instrument der Erkenntnisgewinnung (der „Ermittlung“) und der technischen Beherrschung der Strafverfahren gemacht (und das Urteil am Ende zu einem synthetischen Urteil apriori)?
Was bedeutet es, wenn in der speziellen Relativitätstheorie ein empirisches Moment zu einem apriorischen des Systems geworden ist? In welche Beziehung werden die Kategorien Ding und Ereignis gerückt (Tatsache: der Begriff ist im 18. Jhdt aus dem engl. matter of fact, dieser aus dem lat. res facti entstanden)?
Beziehung der „Sünde der Welt“ zu den „subjektiven Formen der Anschauung“ (Kritik der Form des Raumes): Den Begriff der Sünde aus dem autoritären Kontext (aus dem Blick des Herrn) herauslösen. -
28.3.1995
Die prima philosophia ist die Ethik: Die Ontologie ist die Ethik der steinernen Herzen.
Incubus und succubus, idealistisches Hexeneinmaleins: Die Hereinnahme des Objekts in den Begriff, Grund der transzendentalen Logik Kants, ist die Kehrseite der begrifflichen Durchdringung der Objektivität: der Ausblendung des Fremden.
Das Vorlaufen in den Tod (der „existentielle“ Ausdruck für die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit) macht die Vergangenheit gegenständlich, macht die Geschichte (und zwar jede Geschichte, auch die gegenwärtige und zukünftige) zur Geschichte (und den „Führer“, in dem die Phantasmagorie der Herrschaftsgeschichte pseudomessianisch sich erfüllt, zum „Werkzeug der Vorsehung“).
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgechwindigkeit definiert das Verhältnis des Inertialsystems zum Licht, nicht das Verhältnis des Lichts zum Inertialsystem. Das Inertialsystem ist das eiserne Joch der Schöpfung (die Leugnung des ersten Schöpfungstages). -
25.3.1995
Kann es sein, daß alle Häresien als gescheiterte Versuche einer Laientheologie sich begreifen lassen, und die Orthodoxie seit ihrem Ursprung als kirchliche Verwaltungslehre? Das hätte zur Folge, daß Theokratie, die unmittelbare Herrschaft Gottes, zwar nicht als politisches, wohl aber als religiöses Konzept sich begreifen läßt, und zwar als das genaue Gegenteil eines fundamentalistischen Konzepts (vgl. Jer 3134 und das Problem der Bekenntnislogik und des Lehramtes)?
Der Weltbegriff transformiert alle Dinge aus dem Bereich des Angesichts (und der Sprache) in den hinter dem Rücken (den Bereich der subjektiven Formen der Anschauung, in dem man so über die Dinge redet, als wären sie nicht anwesend). Diese Beziehung läßt sich ebenso am Beispiel des Kindes in der Familie wie auch am Verhältnis des Lichts zum System der Erscheinungen, die mit seiner Fortpflanzung im Raum verbunden sind (und auf die das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich bezieht), demonstrieren. – Deshalb ist die Welt alles, was der Fall ist.
Der Weltbegriff bezeichnet (zusammen mit dem der Natur und des Wissens) das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, wenn man den Weizen nicht mit vernichten will.
Welt und Tod: Zur Todesfurcht am Anfang des Sterns der Erlösung (und zu seiner Erkenntnisfunktion) wäre zu bemerken, daß diese Todesfurcht an der Erfahrung des Tods der Andern sich entzündet; am Sterben der Andern erfahren wir, daß wir sterblich sind. Diese Konstellation fließt mit ein in den Ursprung der Philosophie, die das auf den Tod der Andern bezogene Moment im Begriff des Todes verdrängt, wenn sie es im Urteil zur (sic, B.H.) die Sterblichkeit aller objektiviert (erst Heidegger hat das Geheimnis ausgeplaudert: in dem Wort vom „Vorlaufen in den je eigenen Tod“, das das Konstrukt der „Eigentlichkeit“ – das „heroische“ Moment in ihm – begründet). Hier wird die Barmherzigkeit aus der Philosophie hinauskomplimentiert und die Philosophie zur Selbstbegründung des Herrendenkens. -
8.3.1995
Der Plural majestatis ist ein Produkt der Logik der Schrift. Durch die Monologisierung der Sprache (eine Folge der Logik der Schrift) wird sie zum Selbstgespräch. Ein König hat Berater, aber entscheiden muß er für sich (dieser Satz scheint eine conditio des autoritären Charakters zu sein, der wie die Majestät, dialogunfähig ist).
Scheler hat das Paradigma einer Religionsphilosophie geliefert, deren Grundlage die theologischen Mucken der Ware sind.
Die Prophetie ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben.
Die Grundlage des theologischen Satzes von der Erhaltung der Welt ist nicht die Form des Raumes (das Inertialsystem), sie liegt in der Konstruktion des Himmels verborgen.
Was bedeutet es, wenn nach islamischer Tradition Gott jeden Tag die Welt neu erschafft? Wie verhält sich der islamische Schöpfungsbegriff zum biblischen Schöpfungsbericht (insbesondere zum siebten Tag)?
Haben das tohu wa bohu und die Finsternis über dem Abgrund und der Geist Gottes, brütend über den Wassern, etwas mit den drei abrahamitischen Religionen zu tun, mit Judentum, Islam und Christentum (jeweils in dieser Reihenfolge)?
Eine Kritik des Ansatzes der Kant-Laplaceschen Weltentstehungs-Theorie würde auch deren moderne Derivate (Urknall und schwarzes Loch) treffen.
Der Orion und die Plejaden: Sind sie die Reflexion des Planetensystems am Fixsternhimmel?
Die Naturwissenschaften rücken die Welt in die Perspektive des Eigeninteresses. Aber dieses Eigeninteresse steht unterm Bann der Äquivalenz von Einzelnem und Allgemeinem (der Beziehung von Privateigentum und Staat). Das Gewaltmonopol des Staates und der Nationalismus (das logische Fundament der Privateigentums-Gesellschaft) gehorchen einer Logik, die in den Naturwissenschaften gegen die Natur sich richtet. Kein Zufall, daß die Objektivation der Natur zu Beginn sowohl der alten als auch der neuen Geschichte mit der Astronomie anhebt (als Legitimationswissenschaft des Staates: Newtons „absoluter Raum“ war einer der logischen Gründe des politischen Absolutismus: der Privatisierung der Herrschaft).
Die kopernikanische Wende hat die „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ im Begriff der Nation kontrahiert (und neutralisiert): Die rassistische Wendung der Sprachwissenschaft (die Rückführung der indogermanischen Sprachen auf eine indogermanische Rasse) gründet in dieser Logik. Die sprachgeschichtliche Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhalts wird erst möglich sein, wenn es gelingt, den sprachlogischen Grund der indogermanischen Sprache zu entschlüsseln.
Einstein hat die im Relativitätsprinzip verkörperte Beziehung von Bewegung und Ruhe neu definiert und durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit konkretisiert. Das Licht, nicht der Raum definiert die Dauer, von der Folge und Zugleichsein (die anderen Attribute der Zeit) unterschieden werden müssen. Nicht mehr zu halten ist das im Raum verkörperte Moment des Zugleichseins, zumindest in dem Sinne, in dem es Vergangenheit und Zukunft von sich (vom Präsens) ausschließt, den Raum zur Wasserscheide der durchs Inertialsystem äqualisierten (zum Zeitkontinuum verräumlichten) Dimensionen der Zeit macht. Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Rache der Asymmetrie von Zukunft und Vergangenheit an der homogenisierten Zeitvorstellung. Es gibt ein Zugleichsein mit dem Vergangenen (die auch die zukünftige Vergangenheit umgreift): das Überzeitliche, und mit dem Zukünftigen (auch der vergangenen Zukunft): die Idee des Ewigen.
Hat der Satz über die „Lichter … an der Feste des Himmels“: „sie sollen als Zeichen dienen und zur Bestimmung von Zeiten, Tagen und Jahren“ (Gen 114), etwas mit den Zeichen an Hand und Stirn (in Ex 131ff, 1311ff, Dt 64ff und 1113ff) und haben beide etwas mit den Zeichen an Hand und Stirn in Off 1316 zu tun? Hat die kopernikanische Wende das Zeichen an Stirn und Hand geheftet (sowohl Kopernikus als auch Newton waren Geldtheoretiker), und hat dieses Zeichen etwas mit dem Zeichen des Kain zu tun?
Der Traum von einer Laientheologie, den ich mit einigen Freunden während des Theologiestudiums kurz nach dem Krieg geträumt habe, war ein Nebukadnezar-Traum: Ich mußte den Traum erst finden, um ihn dann deuten zu können.
Heute morgen eine Karikatur in der FR, zum Welt-Frauentag: ein Globus mit dem Abdruck eines Kußmundes. Angesichts der Zustände, an die dieser Tag erinnern soll, schlicht eine Geschmacklosigkeit. Aber erinnert es nicht an das Problem der Schiller-Beethovenschen Ode an die Freude: Auch hier gibt es „diesen Kuß der ganzen Welt“, und das im Kontext einer schrecklichen (dazu anatomisch unmöglichen) Vision: Alle Menschen werden Brüder. Wäre es nicht an der Zeit, daß endlich alle Brüder Menschen werden? -
5.3.1995
Keine Wand ohne Rückseite, oder: Bemerkung zur Bekenntnislogik (zu Jer 3134 und Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“): Hat nicht jeder nur seinen eigenen Zugang zum Gesetz (zur Gotteserkenntnis)? Wer glaubt, einen allgemeinen Zugang gefunden zu haben und ihn allen anderen vorschreiben will, steht nicht nur selbst vor einer verschlossenen Tür, sondern versperrt sie auch für andere.
Von der Pflicht zur Gotteserkenntnis kann sich niemand freisprechen. Aber wer nach Gotteserkenntnis strebt, hat es auch mit der Wand zu tun, die die andern vorm Gesetz aufrichten, mit der sie allen den Zugang versperren. Unterscheidet sich nicht die philosophische von der mystischen Schöpfungslehre dadurch, daß, während diese mit dem vierten Tag endet, jene mit dem fünften beginnt? Die Welt, die Gott aus dem Nichts erschaffen hat, ist das große Seeungeheuer, das Tier aus dem Wasser (das Korrelat des hegelschen Absoluten). Und die Kirche in der Welt: das ist der Bauch des großen Fisches, der Jonas verschlungen hat. Die Gottesfurcht, die der Anfang der Weisheit ist, ist das Ende der Dummheit, die aus der Herrenfurcht stammt.
Der Rechtfertigungszwang, unter dem heute alle stehen, ist der Schatten von Auschwitz. Die Frage „Warum Auschwitz?“ setzt den historisierenden Blick voraus. Wichtiger wäre, den Schatten, den Auschwitz auf uns wirft, und der in diesem historisierenden Blick sich reproduziert, zu durchdringen. Der Schatten, den Auschwitz auf uns wirft, ist die Reflexion des Schattens, den das Subjekt in der Idee des Absoluten auf Gott wirft. Gehört nicht die Geschichte der Fälschungen zu den Ursprüngen (zur Selbstbegründung) und das kontrafaktische Urteil zum Ende (zur Selbstwiderlegung) des historisierenden Blicks, der objektivierenden Geschichtsschreibung (der Verdrängung des Bewußtseins, daß die Toten unsere Richter sein werden)? Steht das kontrafaktische Urteil in der Logik der Geschichtsschreibung an der Stelle, an der das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit – oder das der Identität von träger und schwerer Masse? – in der Logik der Naturwissenschaften steht? Sind die Geschichtsfälschungen säkularisierte Formen der Mystik (vgl. die Apokryphen, den Pseudodionysius und den Sohar)?
Die Idee des Ewigen schließt die Vergangenheit von sich aus; dadurch unterscheidet sie sich vom Begriff des Überzeitlichen, der unterm Primat der Vergangenheit steht. Die Idee des Ewigen hält die Vergangenheit offen, der Begriff des Überzeitlichen verschließt die Zukunft. Der Unterschied läßt sich sinnfällig machen am Verhältnis zur Prophetie: Im Licht des Ewigen ist die Prophetie nicht vergangen, sondern immer gegenwärtig: das Wort, das Gott durch die Propheten spricht und das auf seine Erfüllung (daß wir es hören und tun) wartet, während der Begriff des Überzeitlichen (der auf andere Inhalte, auf einen anderen Wahrheitsbegriff sich bezieht) an die Vorstellung anknüpft, daß die Prophetie in der Menschwerdung des Gottessohns sich erfüllt hat und daß sie für uns vergangen ist (als Unheilsprophetie nur noch auf die Juden sich bezieht, so als bestünde die Erlösung darin, daß Jesus uns gegen den Fluch des Gesetzes gleichsam abschirmt).
So konnte der Eindruck entstehen, daß die Prophetie als vergangene ohne Rest der historischen Forschung freigegeben sei, bis hin zum bibelwissenschaftlichen Mißbrauch des Gottesnamens, der zu einem unter vielen toten Götternamen geworden ist, die mit den Völkern, an die sie erinnern, der Vergangenheit angehören. So ist auch Israel am Ende zu einem toten Volk geworden, das noch nicht gemerkt hat, daß es sich selbst überlebt hat (und Hitler hat nur versucht, dieses „Urteil der Geschichte“ an den Juden vollstrecken). In diesen Zusammenhang gehört es, wenn in christlichen Texten der Name Israel von der Kirche usurpiert wird, während die Israeliten (wie für den Pharao und die Philister) für christliche Autoren wieder zu Hebräern geworden ist. Äquivalenzen: – Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht:
– Stoß: vorn und hinten (Zerstörung des Angesichts),
– Gravitation: oben und unten (Aufhebung der Unterscheidung von Herrschaft und Religion, Zerstörung der Sprache, ihrer dialogischen Struktur durch die Schrift, Zerstörung des Namens),
– Lichtgeschwindigkeit: rechts und links (Trennung des richtenden Prinzips von der Barmherzigkeit, Ursprung des Feuers).
– Inertialsystem als Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: Zerstörung des Lichts, des Namens, der Barmherzigkeit, insgesamt der sinnlichen Welt; Konstruktion des Totenreichs (Schattenreich, Scheol).
– Naturwissenschaft als Instrument der Legitimation des Bestehenden (Naturwissenschaft und Kapitalismuskritik).
– Das Gravitationsgesetz und die Vergesellschaftung von Herrschaft,
– die Elektrodynamik und der Zivilisationsbruch (Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit).
Der Name des Himmels:
– schamajim, Wasser und Feuer (Was und Wer), – die Feste (die Einheit des Was und Wer) und die Trennung der Wasser (oberhalb und unterhalb),
– Tierkreis und Planetensystem,
– Spiegelung des Himmels im Inertialsystem: die Todesgrenze im Namen des Himmels,
– Himmel als Buch, das Buch des Lebens (die nicht vergangene Vergangenheit), Jüngstes Gericht, „Weltuntergang“ als Entmächtigung des Begriffs und Befreiung der Namen (der verdrängten vergangenen Zukunft).
– Der neue Himmel und die neue Erde, die Auferstehung der Toten. Die Welt als System von Instrumentalisierungen (Selbsterhaltung im Kern des Weltbegriffs): Welt und Tier. Differenzierung im Begriff der Instrumentalisierung: Das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande. -
4.3.1995
Wenn Marx den Ursprung des Geldes aus dem Tauschverhältnis herleitet, stellt er seine Analyse dann nicht doch auf die im kantischen Sinne „weltliche“ Seite des Verhältnisses ab, und verdrängt er nicht die naturale Seite, die in der Schuldknechtschaft gründet?
„Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Enthält der Ausdruck, ein Kind sehe „wissend“ aus, nicht auch die Wahrnehmung, daß es sein Vertrauen in die Eltern verloren hat? Und hat diese Wahrnehmung nicht weitreichende Implikationen und Konsequenzen; gründet nicht die gesamte Wissenschaft (und der Totalitätsbegriff des Wissens selbst) in der Abstraktion von diesem „Vertrauen“? Aber ist nicht umgekehrt diese Abstraktion vom Vertrauen, die eine Kindheit (durchs Wissen) zu zerstören vermag, auch wiederum notwendig und unvermeidbar: Alle Initiationsriten beziehen sich hierauf, wie auch das Erwachsenwerden ohne diese Abstraktion nicht gelingt; und ist nicht die Schule die formalisierte Einübung in diese Abstraktionsfähigkeit? Hinzuzufügen wäre nur, daß es eigentlich nur der Reflexionsfähigkeit bedarf, um den Eingriff dieser Abstraktion zu humanisieren. Das „Ja und Amen“, das J.B.Metz auf die „Welt“ bezieht (deren Begriff in der Abstraktion vom kindlichen Vertrauen gründet), bezieht sich an Ort und Stelle (im Korintherbrief) auf die göttlichen Verheißungen, heißt das aber nicht: auf ein durch die Abstraktion vermitteltes, wiederhergestelltes Vertrauen? Aber dieses „Ja und Amen“ ist ein aktives, gleichsam autonom gewordenes Ja und Amen; es erfüllt sich im Tun des Gebotes „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“. Die Welt nämlich ist unbarmherzig.
Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Meisters. (Jes 13, Buber-Übersetzung)
Zum Begriff der Versöhnung: Das Opfer kann sie gewähren, der Täter aber nicht einfordern. War es nicht der Konstruktionsfehler im Sakrament der Beichte, daß es das Opfer seiner Kompetenz zu vergeben beraubt und diese Kompetenz der kirchlichen Sakraments- und Gnaden-Verwaltung zugeeignet hat? Die Kirche hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So wurde die Sünde zu einem Problem zwischen der isolierten Seele und Gott (mit der Kirche als vermittelnder Instanz); das Opfer und die Welt werden ausgeblendet, sie bleiben unversöhnt draußen. Das hat den Weg zur Bekenntnistheologie und zur Rechtfertigungslehre freigemacht.
In theologos: Auschwitz muß in jeder Hinsicht davor geschützt werden, als stellvertretendes Opferleiden mißbraucht zu werden. Aber galt das nicht auch schon seit je für den Kreuzestod Jesu, dessen opfertheologischer Mißbrauch jetzt, nach Auschwitz, vollends blasphemisch geworden ist? Heute wird Getsemane wichtiger als der Kreuzestod: mit dem Schlaf der drei „Säulen“, dem „Wachet und betet“ und dem Kelch.
Bezeichnet der Begriff der Schöpfung eigentlich den selben Sachverhalt wie das hebräische bara? Und ist das Konzept einer creatio mundi ex nihilo nicht eine Kompromißbildung?
Wenn die Wissenschaften ihrem eigenen Entwicklungsgesetz sich überlassen, verlieren sie sich im leeren Unendlichen (vgl. neben Astronomie und Mikrophysik die Biologie und die historische Grammatik).
Sind nicht Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie Hinweise darauf, daß je nach Kontext das Inertialsystem in sich selbst noch zu differenzieren ist. Verhalten sich nicht Gravitationstheorie und Elektrodynamik wie Esel und Rind, Last und Joch?
Die Materie bezeichnet das Schuldmoment an den Dingen, durch das sie dem Naturgesetz unterworfen sind.
Greuel am heiligen Ort: Heute wollen alle bloß frei sein von Schuldgefühlen, das aber heißt: frei sein von der Gottesfurcht, und dazu mißbrauchen sie die so blasphemisch gewordene Religion. Diese Religion ist nur noch ein Exkulpationsautomat, mit hochexplosiven gesellschaftlichen Folgen.
Am Ende des ersten Stücks im „Geist der Utopie“ heißt es: „Diesen (sc. den utopisch prinzipiellen Begriff, H.H.) zu finden, das Rechte zu finden, um dessenwillen es sich ziemt zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir, hauen wir die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“ Zu den handschriftlich unterstrichenen Worten „bauen ins Blaue hinein“ findet sich in dem mir vorliegenden Exemplar aus dem Nachlaß von Heinrich Scholz die ebenfalls handschriftliche Randbemerkung: „scheint so“ (der nur wenige Seiten später dann eine ins Antisemitische eskalierende Bemerkung folgt: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um derlei Zeug zu verstehen“).
Die Tempelreinigung: Sind die Geldwechsler und die Taubenhändler nicht die Banken und die Kirchen? Markus ergänzt die Geschichte noch durch den Satz „und ließ es nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug“, während Johannes, die Stelle an den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu rückt (nach der Hochzeit in Kana), zu den Taubenhändlern noch die Verkäufer von Ochsen und Schafen nennt.
Die kantische Erkenntniskritik ist der Beginn der Selbstreflexion der richtenden Gewalt, die den historischen Erkenntnisprozeß durchherrscht (hierzu Reinhold Schneider: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“).
Bietet der Satz von Rind und Esel nicht auf eine Hilfe zur Lösung des Problems der Fälschungen im Mittelalter? Das moralische Urteil (zu dessen Grundlagen die Historisierung des Vergangenen gehört) verstellt der Erkenntnis nur den Weg, während es darauf ankäme, die Zwangslogik, die den Vorgang beherrscht, endlich zu durchschauen: Auch diese Zwangslogik (die Logik des Rechtfertigungszwangs) gehört nämlich zu den nicht vergangenen Vergangenheiten, zu den Fundamenten der Gegenwart, in denen die Vergangenheit überlebt. Ist nicht die Logik der Fälschungsgeschichte zu einem Strukturelement der Aufklärung selber geworden, in die Strukturen der projektiven Erkenntnis und der modernen gesellschaftlichen Institutionen mit eingegangen (unterscheiden sie sich nicht gerade hierdurch von der Form der antiken Institutionen)? Und steckt nicht in der moralischen Empörung über diese „Fälschungen“ selber ein projektives, vom Rechtfertigungszwang erzeugtes Moment, das seine Erkenntnis verhindert? Gehören nicht die Fälschungen zusammen mit der Sage und der Legende zur Vorgeschichte der historischen Aufklärung wie die Astrologie zur Vorgeschichte der Astronomie gehört und die Alchimie zur Vorgeschichte der Chemie? Wie verhalten sich die Fälschungen zum vorausgehenden symbolischen Erkenntnisbegriff der Theologie? Gibt es einen inhaltlich bestimmbaren abgegrenzten Bereich (institutionelle Legitimation von Eigentumsrechten und Herrschaftsansprüchen), auf den die Fälschungspraxis sich bezieht (ihr Ort waren wohl die Schreibwerkstätten in den Klöstern und kirchlich-politischen Kanzleien)? Gehören nicht die Inquisition (die projektive Paranoia, die die Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung begleitet) und die Geschichte der Eucharistie-Verehrung (opfertheologischer Ursprung des Dingbegriffs als Teil der Ursprungsgeschichte des Inertialsystems; vgl. hierzu die Jericho-Geschichte, das Verbot, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen und der mit dem Aufbau verbundene Fluch über die Erstgeburt und den jüngsten Sohn des Wiedererbauers) zu den Folgen der Fälschungsgeschichte und die Ausformung des katholischen Mythos, das Fegefeuer, die Ohrenbeichte, das Zölibat zu ihren Voraussetzungen (Zusammenhang mit der Geschichte der Legitimation der Gewalt, die ihre „naturwüchsige“ Qualität verliert, und der Verinnerlichung der Scham, beides Momente der institutionellen Selbstlegitimation, die im Inertialsystem in den Naturbereich sich ausdehnt)?
Hängen nicht die Fälschungen des Mittelalters mit einer frühen Phase der nominalistischen Aufklärung (den Anfängen einer aufgeklärten, historisierenden Bibel-Kritik, zu deren Vorläufern die Historisierung der Bibel seit Flavius Josephus gehört) zusammen? Die in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus und zur Vorgeschichte Hitlers gehörenden projektiven Rekonstruktionen der altorientalischen Geschichte sind späten Folgen der Historisierung der Bibel.
Das Barock hat die Bibel endgültig ins Erbauliche transformiert. Die Allegorie war das Instrument dieser Transformation (und nach Walter Benjamin der Totenkopf die Urallegorie). Gibt es einen Zusammenhang der Allegorie mit dem Nominalismus und der Eucharistie-Verehrung? Und war nicht die Transformation ins Erbauliche die Grundlage (der Hintergrund) für die historische Bibelkritik? (Hier wird das Daniel-Motiv – den Traum, den Daniel erklären soll, muß er zuvor erst finden – durch die Erfindungen des Traums, durch Fälschung, auf den Kopf gestellt.)
Wie hängt Kafkas Schauspieldirektor („er wechselt die Windeln des künftigen Hauptdarstellers“) mit dem Problem des Hahns zusammen?
Ist die Trennung von Wer und Was (von Feuer und Wasser) in der Konstruktion des Inertialsystems mit enthalten? Nicht zufällig führt die newtonsche Begründung des kopernikanischen Systems zum Deismus. Mit der Subsumtion des Falls unters Inertialsystem, mit seiner Neutralisierung im Gravitationsgesetz (mit der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen), ist die qualitative Unterscheidung von Oben und Unten auch neutralisiert: eigentlich das Inertialsystem als ein objektives System überhaupt erst begründet (oder aus seiner Vorstufe, dem Neutrum, erzeugt) worden. Gehört das Wasser zur Beziehung von Rechts und Links und das Feuer zu der von Oben und Unten (wie das Angesicht zu der von Vorn und Hinten)? Das aber heißt: Steckt im Wasser die verdrängte Kraft des Namens, wird die Urteilsform (der „Grund“ der Welt), werden Objekt und Begriff aus dem Wasser „geschöpft“, und ist das Nichts der Schöpfungslehre das Wasser (das Nichts des Begriffs)?
Hängt das hebräische esch/Feuer mit dem isch/Mann zusammen (wie das majim/Wasser mit dem ma/was)? Gibt es ähnliche etymologische Beziehungen bei dem griechischen und lateinischen Namen des Feuers (… und ignis)?
Hängen der griechische Pan (der Gott des mittäglichen Schreckens) mit dem lateinischen panis (Brot) zusammen? Hat der Pan etwas mit dem Schrecken Isaaks zu tun? Steckt im Pan der Schrecken des neutralisierten Angesichts (die Erfahrung des Angesichts in einer vom Neutrum beherrschten Sprache: das Angesicht des Hundes)?
Zwischen dem Brot und dem Korn steht die Mühle: Simson muß als Gefangener der Philister die Mühle drehen. In der Apokalypse ist die Rede von einer Stadt, in der der Gesang, das Geräusch der Mühle und die Stimme von Bräutigams und Braut nicht mehr gehört werden. -
25.2.1995
Das indoeuropäische Präsens bezeichnet nicht die Gegenwart, sondern die Gleichzeitigkeit, so wie die Tempora der indoeuropäischen Konjugationsformen insgesamt relative Tempora sind, auf Vergleichszeiten bezogen. Hiermit hängt es zusammen, daß im sprachlogischen Kontext dieser Sprachen das Angesicht nur als Maske: als Person erscheint. Hier ist die List und die Verstellung (Ursprung des „Bewußtseins“) schon eingebaut. Auch die kantische Erscheinung hat hier ihren sprachlogischen Grund: Die Erscheinung ist die Reflexion der Sache (die selbst ins Unfaßbare zurücksinkt) in ihrem Anderssein. Diese Sprachlogik ist der Grund des Weltbegriffs, des Korrelats des kantischen Begriffs der Erscheinung. Die Begriffe Erscheinung, Welt, Natur, Person bilden (zusammen mit den Begriffen der Hegelschen Logik) ein System, in dem sie sich wechselseitig definieren und jeder Begriff nur innerhalb dieses Systems wechselseitiger Definition Bedeutung gewinnt. Die Philosophie, ihr Ursprung, ihr Erkenntnisbegriff und ihre Geschichte, ist auch ein sprachlogisches und sprachgeschichtliches Problem, das seinen Grund in der indoeuropäischen Grammatik findet.
Das Hegelsche Absolute ist der Swinegel: „Ick bün all do“.
Die Liebe unterscheidet sich von der Barmherzigkeit durch ihre Instrumentalisierbarkeit. Ein paradigmatisches Beispiel hierfür ist die Nutzung des Liebesentzugs als Erziehungsmittel. Das Unverständliche der kirchlichen Gnadenlehre hängt mit dieser Instrumentalisierung (der Liebe und der Gnade) zusammen (Folge der Konstituierung der Theologie als priesterliche Verwaltungswissenschaft).
Die Instrumentalisierung der Liebe, der Liebesentzug und die damit verbundenen pathologischen Formen der Verletzlichkeit, des Beleidigtseins, der Empfindlichkeit (nicht Sensibilität, die durch Empfindlichkeit neutralisiert wird), gründen im Selbstmitleid.
Die Person ist das neutralisierte und idolatrisierte Angesicht, wie das Neutrum (als grammatisch instrumentalisierte Verletzung des Bilderverbots) gründet es in der Herrschaftslogik.
War nicht das Bilderverbot ein Schutz vor dem Neutrum?
Das realsymbolische Objekt der Sintflut sind die indeoeuropäischen Sprachen.
Der ungeheure Sinn des Satzes: „Hodie, sie vocem eius audieritis“. Sein Hintergrund ist die Erschaffung der Welt durchs Wort: Das erlösende Wort ist die Erfüllung des schaffenden Wortes, das, wenn es endlich gehört wird, erlöst.
Aqua: Hängt das quaerere mit dem qua zusammen?
Ist nicht die Identität von träger und schwerer Masse, die Einstein seiner Allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde gelegt hat, eine logische Konsequenz aus den Erhaltungssätzen (der Masse und der Energie)? Hat diese Identität nicht einen ähnlichen logischen Stellenwert wie die Äquivalenz von Masse und Energie in der speziellen Relativitätstheorie, im Kontext des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? Gibt es hier nicht eine Stufenfolge der dreifachen Reflexion, von der trägen Masse über die schwere Masse zur Äquivalenz von Masse und Energie?
Der Raum als subjektive Form der äußeren Anschauung ist der durchschlagene Knoten, den es zu lösen gilt.
Zum Begriff der Unzucht: Der Dingbegriff ist das Telos des Gattungsbegriffs.
Wenn im Namen des Himmels auch das Wer enthalten ist (der verborgene Name Gottes), ist dann nicht der Antisemitismus eine Folge der Himmelsverfinsterung.
Ursprung des Positivismus: Der kritische Impuls in der Geschichte der modernen Erkenntniskritik ist auf eine merkwürdige Weise punktuell und folgenlos geblieben. Auf die reale Wissenschaftsentwicklung hat er keinen nachhaltigen Einfluß genommen. Bezeichnend, daß die kantische Vernunftkritik ihre Wirkung eher als Begründung und Legitimierung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisanspruchs denn als dessen Kritik gehabt hat. Auch die Hegelsche Kritik der kantischen Antinomien (ihre Transformierung aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, die so zur dialektischen Logik geworden ist) hat legitimierend gewirkt.
Die Ontologie (die Hegel gegen Kant wieder rehabilitiert hat) bindet das Erkenntnisinteresse ans Wissen; das ist der Grund, weshalb sie in Heideggers Fundamentalontologie im Harakiri geendet hat. -
23.2.1995
Die Kosmologie war seit je eine Legitimationswissenschaft; sie hat (als theoretisches Korrelat des Rechts) der Politik und dem Geschäft den Rücken freigehalten.
Last und Joch: Die Justiz produziert die Schuld, für die sie dann – wie das Inertialsystem für die träge Masse – das Maß liefert. Es gibt kein Schuldurteil ohne projektives Moment; jedes Schuldurteil reproduziert das Schuldverschubsystem und ist eine Quelle der Paranoia. Wie das funktioniert, läßt sich am Prozeß gegen Birgit Hogefeld ablesen: Die paranoiden Eingangskontrollen erhärten die Schuld der Angeklagten mehr, als jede Beweisführung es vermöchte. So entsteht der Eindruck, als sei die Beweiserhebung nur eine lästige Pflichtübung, von der man absehen könnte, wenn nicht die Verteidigung den Gang des Verfahrens, dessen Ergebnis ohnehin schon feststeht, durch unnötige Fragen und Anträge behindern und verzögern würde. Dem entspricht das gereizte Klima in der Verhandlung ebenso wie das Verhalten der polizeilichen Hilfsorgane, denen der Hinweis auf „diese“ Angeklagte zur Begründung und Rechtfertigung der schikanösen und entwürdigenden Kontrollen, die sie mit deutlicher Demonstration von Berufsstolz durchführen, genügt. Nirgends wird deutlicher, daß dieser Prozeß auch der Erhaltung und Stabilisierung eines Vorurteils dient. „Rechtsstaatlichkeit“ ist, wie es scheint, nur eine Formalie, die beachtet werden muß, um keinen Revisionsgrund zu liefern.
Noch dem Sohar ist es „das Ich …, das die Flut bringt“ (Ausgabe Diederichs, S. 119). Vor allem bei der Sintflut spricht Gott in der ersten Person Singular („ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vom Erdboden vertilgen“, „so will ich sie denn vom Erdboden vertilgen“ und „ich lasse jetzt die Sintflut über die Erde kommen“ – Gen 67,13,17), voher jedoch schon bei der Erschaffung Evas („ich will ihm eine Hilfe schaffen“ – 218), nach dem Sündenfall, beim Fluch gegen die Schlange („ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, …“ – 315) und gegen Eva („ich will dir viel Beschwerden machen bei der Schwangerschaft“ – 316); bei der Erschaffung des Menschen (Adam) spricht er (im Selbstgespräch) in der ersten Person Plural („laßt uns den Menschen machen“ – 126). Die weiteren Stellen, an denen Gott in der ersten Person Singular spricht, betreffen dann den Bund (mit Noe, mit Abraham), die Selbstoffenbarung im brennenden Dornbusch, die zehn Gebote, und welche anderen außerdem? Schließt z.B. in der Prophetie die Unterscheidung zwischen erster und dritter Peron, zwischen „ich, JHWH“ und „Spruch des Herrn“ (bei Ezechiel: „Ich, ich“ und „Spruch des Herrn, des Herrn“) eine inhaltliche Differenz mit ein, und welche Bedeutung hat das Ich Gottes in den Psalmen? Was hat es hiernach mit der Sintflut auf sich, was war im Sohar gemeint?
Der Sohar übersetzt Dt 3323: „Voll vom Segen JHWHs, West und Süden werden ihn erben.“ Der Satz steht im Segen des Moses über Naphthali, in dem dieses „West und Süd“ in der Regel mit „Meer und Süd (Meer und Mittag)“ übersetzt wird. Die Beziehung zwischen Meer und West mag in der Geographie Palästinas begründet sein, wo das Meer im Westen lag. Aber läßt sich die Möglichkeit apriori ausschließen, daß die symbolische Beziehung des Westens zum „Hinter dem Rücken“ (im Gegensatz zum Angesicht) und in diesem Kontext auch zum Meer, zum Wasser, mit hereinspielt? Zum Meer gehören die großen Meerestiere (Rahab, Leviatan, der große Fisch), und nicht zuletzt das „Tier aus dem Meer“ der Apokalypse (die Verkörperung der Leugnung des Angesichts). Die Hure Babylon, „die an den an den vielen Wassern sitzt“, gehört hierher, auch der Satz, daß das Meer am Ende nicht mehr sein wird. Die Philosophie beginnt mit dem Satz „Alles ist Wasser“, und sie endet mit dem Inertialsystem, durch das die Dinge in eine Perspektive gerückt werden, in der sie „von allen Seiten hinter dem Rücken“ gesehen, in eine Logik eingetaucht werden, in der sie nur noch sind, was sie für andere sind (genau das drückt der kantische Begriff der Erscheinung aus). Das, was sie „an sich“ sein mögen, wird im wörtlichen Sinne „liquidiert“: verflüssigt. Naturwissenschaftlich gehört das Wasser zur Festkörperphysik (und das Glas zu den flüssigen Körpern): Ist das Wasser nicht das Realsymbol des Relativitätsprinzips, der Identität des Starren mit der vollständigen Beweglichkeit in sich selber? Wie im Inertialsystem und im Geld lassen sich auch im Wasser Ruhe und Bewegung nicht unterscheiden. Aber bezeichnen nicht das Inertialsystem und das Geld den Übergang vom Wasser zum Feuer (der Sohar ergänzt: vom Was zum Wer), der im biblischen Namen des Himmels sich anzeigt?
Weitere Konnotationen:
– Das Ich und die Sintflut (das Wasser und die Manifestation des göttlichen Ich), oder Noah, der Weinbau, die Trunkenheit und die aufgedeckte Blöße, Ham und Kanaan.
– Die Feste und die Scheidung der oberen von den unteren Wassern.
– Jesus, das Meer und das Wasser; die Berufung von Fischern zu Aposteln; die Kirche und das Schiff.
– Die Hochzeit zu Kana und die Verwandlung von Wasser in Wein.
– Das Zeichen des Jona.
Erst mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird das Inertialsystem gegenständlich, konkret, materiell.
Die Orthogonalität (der „Seitenblick“ auf die Zeit, ihre Verräumlichung) ist der Grund des Relativitätsprinzips: der Einheit von starrer Form und absoluter Beweglichkeit, der Nicht-Unterscheidbarkeit von Ruhe und Bewegung, die gleichwohl als Natur und Welt (als dynamisches und mathematisches Ganzes: als Bewegtes und Ruhendes zugleich) unterschieden und getrennt werden. Gründet in dieser Konstellation nicht auch das Konstrukt der Orthodoxie, mit einer merkwürdigen genetischen Wechselbeziehung zur Objektivationsgeschichte insgesamt.
Befreiung der Kritik aus der projektiven Logik des Schuldverschubsystems: Erst wer die „Schuld der Welt auf sich nimmt“, hat es nicht mehr nötig, sie zur eigenen Entlastung nach draußen zu projizieren. Kritik, die diesen Namen verdient, zielt, anstatt auf die Fixierung des Kritisierten, seine Dingfestmachung, auf seine Auflösung: auf die Änderung der Welt. -
22.2.1995
Zum Hinweis auf den Antisemitismus Freges in der FR vom 22.2.95 paßt die handschriftlichen Bemerkungen Heinrich Scholz‘ in seinem (Rezensions-)Exemplar von Ernst Bloch „Geist der Utopie“: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um dieses Zeug zu verstehen“. Erschreckend auch eine Notiz eines sicherlich sonst unverdächtigen Intimfeinds der Nazis, Theodor Haecker, am 28.3.1940 („Tag- und Nachtbücher“, S. 50f): Nachdem er feststellt, daß in den Evangelien niemals das Äußere eines Menschen beschrieben wird, verweist er auf die „einzige Ausnahme“, die „Christus selber (macht), da er einen seiner Jünger, ganz allgemein freilich, als echten Hebräer (!) anspricht, im Äußeren (!) schon. Das setzt aber doch voraus, daß man sich über den Typus eines echten Hebräers (!) durchaus im klaren war.“ Hierzu bleibt nur zu bemerken, daß Jesus an keiner Stelle von einem „echten Hebräer“ spricht, wohl aber, bei der Berufung Nathanaels im Johannes-Evangelium, von einem „echten Israeliten, einem Mann ohne Falschheit“ (Joh 147). Und der Zusammenhang läßt keinen Zweifel daran, daß es hier nicht um das „Äußere“ eines „echten Hebräers“ geht.
Die „Historische Grammatik des Griechischen“ von Helmut Rix (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 19922) ist ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie die Wissenschaft in Angst vor ihrem Objekt erstarrt und verstummt.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Grund der metaethischen Konstruktion im Stern der Erlösung, des B = B. Die Gestalt des Allgemeinen, die sie begründen, ist eine partikulare: Symbol der Katastrophe, des Untergangs. Sie ist ein Ausfluß der Logik der Schrift, ihr terminus ad quem der Fall.
Laß dich nicht ablenken: Lebt die Inspiration nicht von der Ablenkung, lebt sie nicht davon, daß sie dem Objekt sich überläßt, auch wo sie Gefahr läuft, daß sie sich verläuft? Wird nicht, wer sich nicht ablenken läßt, unsensibel, hart und stur, lebt nicht die Aufmerksamkeit von der Ablenkung, die vom Objekt ausgeht? – Ist nicht die Aufforderung: Laß dich nicht ablenken, selbst die Ablenkung, vor der sie vorgibt zu warnen?
Empörung ist das Alibi der Sensibilitätsverweigerung. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die instrumentalisierten Formen der Empörung (des Gelächters)?
Erste Phase der Aufklärung: Verinnerlichung des Schicksals; die zweite Phase: Verinnerlichung und Verdrängung der Scham (das Subjekt ist selbst der Adressat der Scham geworden).
Der „Bogen in den Wolken“ ist die Widerlegung des Inertialsystems.
Tohu wa bohu: Sind das nicht die Reflexe des Natur- und des Weltbegriffs, des B = B im Objekt?
Blinder Gehorsam: Käme es nicht darauf an, den Gehorsam endlich sehend zu machen? Aber das geht nur über das Hören (mit den Ohren denken).
An sieben Stellen gibt es das Wort tebel, in Ps 99, Spr 826, Hi 3413, 3712, Jer 1012, 5115, Kl 412. Vgl. auch Sohar (Ausgabe Diederichs), S. 113. (Wie den „Erdkreis“-Begriff auch den Weltbegriff aufschlüsseln.)
Die Kluft der Orthogonalität: Nach der speziellen Relaitivitätstheorie sind die Sterne, die uns vom Himmel her leuchten, sowohl zeitlich präsent (gleichzeitig) als auch über Lichtjahre vergangen. Das eine gilt fürs Sehen, das andere für die Abstraktion des Seitenblicks. Ist das nicht ein Grund, sich doch einmal wieder die alte Lehre von den Elementarmächten, den Thronen, Herrschaften, Mächten und Gewalten, von den Engelhierarchien, anzusehen?
Haben die Namen Alphäus und Thaddäus etwas mit der Jericho-Geshichte zu tun, in der die Wiedererrichtung Jerichos an das Opfer der Erstgeburt und des Jüngsten (des Ersten und des Letzten, das A und O) gebunden wird (Jos 626 und 1 Kön 1634)?
Zur Verwandschaft Jesu: Sind nicht Verwandschaftsbeziehungen (ähnlich wie später die Engelhierarchien) Bilder der Logik? Und gehören nicht Jakobus (der Sohn des Alphäus) und Juda (Thaddäus und der Bruder des Jakobus) zu den „Brüdern Jesu“?
Mit dem Opfer des Lamms wird die Erstgeburt des Esels ausgelöst. Hat diese Auslösung etwas mit der erb- und eherechtlichen Regelung der Auslösung (Schwagerehe beim Tod des Mannes, vgl. z.B. die Geschichte der Ruth und die von Juda und Tamar) zu tun? Hängt nicht generell das Verschwinden Josefs aus der Jesus-Geschichte hiermit zusammen (wie auch die Geschichten der Frauen im Stammbaum Jesu und in den Evangelien: neben der Mutter Jesu die Frauen, die ihn begleiten, insbesondere Maria Magdalena, Martha und Maria, die Mutter des Jünglings von Naim, die „große Sünderin“, die Frau, die an Blutfluß leidet, die Ehebrecherin, die Samariterin)?
Falle und Fall; Garn, Grube (Jeremias) und Kelch: Symbole des Inertialsystems, des Geldes und der Bekenntnislogik? -
21.1.1995
Zum projektiven Denken: Der Grund der Finsternis liegt in der Vergangenheit; die Verfinsterung der Dinge gründet in ihrer Subsumtion unter die Vergangenheit. Das Licht, das die Vergangenheit wirklich erhellen würde, wäre das im Buch des Lebens noch verschlossene Licht. Dieses Buch wird lesbar, wenn „der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt“.
Zur Logik der Schrift: Das Buch ist das Grab des Autors. Gründet die Idee der Auferstehung nicht darin, daß auch die der Logik der Schrift unterworfene Sprache nicht endgültig tot ist, daß sie wieder zum Leben erweckt werden kann?
Verweisen die Totenerweckungen in der Schrift nicht alle auf die Beziehung der Logik der Schrift zur Erfüllung des Wortes? (Welche Erweckungsgeschichten gibt es: die vom Jüngling zu Nain, von der Tochter des Jairus und vom Lazarus?) Kann es sein, daß die Schrift (oder das Dogma?) am Ende als das leere Grab sich erweist (es war das Grab des Joseph von Arimathaea, „der ein Jünger Jesu war – freilich im geheimen, aus Furcht vor den Juden“ – Joh 1938)? Wird nicht erst in diesem Zusammenhang deutlich, was es mit dem Logos auf sich hat?
Wie verhalten sich Ereignis und Geschehen zueinander? Das eine ist reflexiv, das andere objektiv (es ereignete sich, es geschah). Gibt es eine sprachliche Beziehung des Ereignisses zum Eigenen, zum Eigentum, zur Eigentlichkeit?
Adornos Bemerkung, daß das Selbst in theologischem Zusammenhang gründet, wäre zu korrigieren: Wie der Begriff des Absoluten, zu dem es gehört, fällt es in die Ursprungsgeschichte des Staates (zusammen mit dem Eigentumsbegriff). Es gründet im Kontext der Ästhetik (vgl. Rosenzweigs Bemerkung über die Beziehung des Selbst zum Kunstwerk). Das Selbst ist ein Reflex der subjektiven Formen der Anschauung; deshalb scheinen sich diese der Reflexion zu entziehen (und deshalb mußte Hegel die Antinomien der reinen Vernunft, die Kant auf die transzendentale Ästhetik bezogen hatte, aus dieser herausnehmen und in Logik transponieren, was nur mit Hilfe des Konzepts der List der Vernunft möglich war; so wurde das Gesetz der Erscheinungen zum Begriff des Scheins).
Konstruktion der Ästhetik: Das Selbst ist der Reflex einer Erfahrung, in der einer sich als anderer für andere erfährt: Es gehört in den Kontext der Geschichte der Scham.
In der Jotam-Fabel kommen neben dem Dornenstrauch, der zum König wird, der Feigenbaum, der Weinstock und der Ölbaum vor.
Sind nicht die Bäume und Sträucher, unter denen Adam, als er erkannte, daß er nackt war, sich verbarg, die Ahnen der Bäume der Jotam-Fabel? – Nathanael stand unterm Feigenbaum, als Jesus ihn als „wahren Israeliten, ohne Falsch und Tadel“ erkannte.
Ist nicht das Inertialsystem der Dornenstrauch, und das durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierte Inertialsystem der „brennende Dornbusch“?
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Löst dieser Satz nicht das Rätsel des Absoluten? Ist das Absolute (der Schatten, den das Selbst auf Gott wirft) nicht die Grube, die wir andern graben, und in die wir dann selber hineinfallen? Hier erweist es sich, daß das Absolute die Reflexionsgestalt des Raumes ist. Hat die Grube nicht etwas mit dem Kelch und mit dem Richten zu tun? Nur das Gebot der Feindesliebe schützt vor dieser „Grube“.
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Diesen Effekt der List der Vernunft hat Hegel nicht begriffen.
Ist nicht die Natur die Grube, in die wir die Schöpfung gestürzt haben? Und ist der Satz von der Grube nicht auch auf die Kirche zu beziehen, wogegen allein das Wort steht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (die Grube, die die Kirche den andern gegraben hat, war die Höllenvorstellung: das Äquivalent der Gottesfurcht im Schuldverschubsystem des Weltbegriffs, des Herrendenkens; sie ist ohne die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, durch die sie dann nur noch auf andere sich bezieht – und auf den Urteilenden selbst nur insoweit, als er selbst als anderer für andere sich erfährt -, nicht zu denken: Unzucht ist der apokalyptische Name für den richtenden Gebrauch der Sexualmoral).
Die subjektiven Formen der Anschauung (die transzendentale Ästhetik) sind der Inbegriff der Grube, die wir andern graben, und in die wir selber hineinfallen.
Die Logik der Schrift abstrahiert von der dialogischen Struktur der Sprache (vom Hören), das Inertialsystem (das in den subjektiven Formen der Anschauung gründet) vom Licht, vom Gesehenwerden, vom Angesicht. Zur Logik der Schrift gehört als Projektionsfolie der Begriff des Barbaren, zum Inertialsystem der des Wilden (das Antlitz des Hundes).
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