Eisenmann/Wise

  • 24.6.1994

    Zur Theorie des Feuers und zur Unterscheidung von Völkern („Heiden“) und Nationen:
    – Jer 5158 („Die breite Mauer Babels wird bis auf den Grund zerstört und seine hohen Tore verbrannt werden, sodaß Völker sich quälten für nichts und Nationen fürs Feuer sich abmühten“) und
    – Hab 213 (mit der Umkehrung: „Völker arbeiten fürs Feuer, und Nationen mühen sich ab für nichts“).
    Kann es sein, daß die Erschaffung der Pflanzen am dritten und der Tiere am sechsten Tag (die beide „aus der Erde hervorgehen“) auf einen sprachlichen Sachverhalt verweisen? Kann man die Pflanzen den Verben und die Tiere den Nomen (den „Substantiven“: mit der Schlange, dem „klügsten aller Tiere“ als Neutrum) zuordnen? Vgl. dazu:
    – die beiden Nahrungsgebote (und ihre gesellschaftliche Zuordnung zu Freiheit und hierarchischer Herrschaft) und
    – die Opfer Abels und Kains (Gott nahm das Opfer Abels, ein Tieropfer, an, während er das Opfer Kains, der von den Früchten des Feldes opferte, nicht ansah).
    Ist nicht jedes Opfer ein „Tieropfer“, während das Früchteopfer an die Wurzel der benennenden Kraft der Sprache rührt (und zielt nicht die Konstellation von
    – Rache: das Blut Abels schreit zu Gott, und der kainitische Lamech rächt sich siebenundsiebzigmal, und
    – Vergebung: das Kreuzesopfer ist nach Karl Thieme das erste, das nicht nach Rache schreit, sondern um Vergebung bittet, und Jesus fordert Petrus auf, nicht siebenmal sondern siebenmal siebzigmal zu vergeben,
    auf das Verhältnis von Zerstörung und Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache)?
    Das Problem der Opfertheologie ist ein Sprachproblem, die Geschichte der Opfertheologie ist die Geschichte des Nominalismus.
    Ist der Bruch, der im Katholizismus mit dem ersten Weltkreig eingetreten ist (und nach dem zweiten sich vollendet hat), nicht an der Stelle eingetreten, an der die Gemeinheit endgültig eingebrochen ist und die Theologie überschwemmt hat?
    Das Transzendentale und das Transzendente sollten nicht verwechselt werden: Das Transzendentale verbleibt im Bann der Subjektivität (der subjektiven Formen der Anschauung).
    Welcher Jakobus gehört zu den „drei Säulen“: der Zebedäussohn oder der Herrenbruder?
    Die Zebedäussöhne sind die Donnersöhne, aber Johannes, einer der beiden Donnersöhne, darf, was die sieben Donner verkünden, nicht aufschreiben.
    Das Wort, wonach Gott „die Welt erschaffen“ hat, kommt nur bei Paulus, und zwar zuerst in Athen und dann im Römerbrief, vor.
    In jeder Abstraktion steckt ein Stück Wut, und was hat es mit dem furor teutonicus auf sich?
    Das Heil kommt von den Juden, aber Jesus war gesandt zu den verlorenen Stämmen Israels. Wann ist der Name „Jude“ entstanden, und was drückt er aus? Was bedeutet es, wenn die Kirche gegen die jüdische Tradition und Kanonbildung die Makkabäerbücher, das Buch Judit u.a. in ihren Kanon mit aufgenommen hat (Berichtigung der Thesen von Hyam Maccoby durch Eisenmann/Wise als Lösungsansatz: Differenzierung der Konstellation Pharisäer, Sadduzäer, Herodianer, Essener; Einbeziehung der „Essener“ in die makkabäisch-zelotische Tradition)?
    Wer war Alexander Jannai?
    Führt nicht Adornos Konzept der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte in seiner Anwendung auf die christliche theologische Tradition (die selber schon ein Säkularisationsprodukt ist, in die Geschichte der Säkularisation eingebunden ist) in eine double-bind-Falle?
    Mit der Feststellung der Identität von träger und schwerer Masse in der Allgemeinen Relativitätstheorie hat Einstein den Punkt in der Physik bestimmt, auf den Joh 129 sich bezieht: Die Konstruktion der Last, die in der Vergegenständlichung des Vergangenen gründet.
    Der Dingbegriff gründet im Opfer; deshalb ist der Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer, der Kern der Kritik der Verdinglichung.
    Heute verstecken sich alle in ihrem Winkel und murmeln vor sich hin: Ich habe doch nichts getan.

  • 10.02.93

    „Haus des Urteils“ und „letztes Gericht“ (Eisenmann/Wise, S. 241): Bezeichnen diese Begriffe nicht den Raum (als Form und Symbol der Verstockung gegen die Umkehr)?
    Zu Young, Beschreiben des Holocaust: Die Kritik an Peter Weiss (S. 118ff, wo er den marxistischen Ansatz von Peter Weiss kritisiert) und an Tadeusz Borowski (S. 170ff) bezeichnet genau die Grenzen des Youngschen Versuchs. Zu der folgenden Textpassage (von Tadeusz Borowski): „Erst jetzt erkenne ich, welcher Preis für die Errichtung der alten Kulturen bezahlt wurde. Die ägyptischen Pyramiden, die Tempel und die griechischen Statuen -welch ein abscheuliches Verbrechen! … Die Antike, das gewaltige Konzentrationslager, …“ schreibt Young: „So hat sich im Kopf des Schriftstellers nicht allein die Zukunft (!), sondern auch die Vergangenheit, sein kulturelles Erbe, in ein großes KZ verwandelt“. Wäre etwa die Verwandlung der Zukunft in ein großes KZ nicht so schlimm wie der verzweifelte Blick auf die Entstehungsbedingungen des „kulturellen Erbes“? Und spielt sich der beschriebene Sachverhalt nur „im Kopf des Schriftstellers“ ab? Ist der Begriff der Normalität, der dem Werk Youngs zugrundezuliegen scheint, überhaupt noch zu halten? Und trennt nicht Auschwitz in der Tat das „kulturelle Erbe“ von der Wahrheit?
    Der christliche Begriff der Buße konnte sich von dem der Umkehr ablösen und gegen ihn verselbständigen nur dadurch, daß die Welt (in der Konsequenz der Opfertheologie und unter Verletzung des Nachfolgegebots) als entsühnt begriffen und damit die Sünde entpolitisiert, privatisiert wurde. Dem theologischen Begriff der Rechtfertigung (der an die Stelle der Forderung, gerecht zu werden, tritt) setzt die vorhergehende Rechtfertigung der Welt -Grund des Bekenntnisbegriffs und dann jeder Ideologie – voraus. Und dieser Begriff des Bekenntnisses verewigt den ungerechten Zustand der Welt und macht ihn unkenntlich.
    Mit der Vorstellung des unendlichen Raumes schützt sich die Subjektivität gegen die Reflexion des sie begründenden Herrschaftsmoments. Ebenso wie die Vorstellung des Raumes sind auch die Begriffe Natur und Welt, die sich im Medium des mathematisierten Raumes überhaupt erst konstituieren, selbstreferentiell und damit fast unreflektierbar.
    Wäre das Rosenzweigsche Konstrukt nicht doch einmal anhand folgender Thesen zu überprüfen:
    – Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung,
    – der Begriff des Wissens die Offenbarung und
    – Naturbegriff die Erlösung?
    In welcher Beziehung stehen dazu:
    – Adornos Kritik der Verdinglichung,
    – sein Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt und
    – das auf Benjamin sich berufende Konzept der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte?
    Zur Jotam-Fabel (Ri 97ff): Der König steht in der Figur des Dornbuschs (und, nach Jürgen Ebach, Kains). Ist darin nicht auch ein Stück Messias-Kritik enthalten, die das kritische Element in den Evangelien (die Unkraut- und Kain-Tradition in ihm) antizipiert? Welche Bewandnis hat es dann mit dem Ölbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock? Ist nicht die Jotam-Fabel mehr als nur eine moralische Fabel: eine prophetische Fabel?
    Sind die Entdeckung des Winkel und die Entfaltung der Geometrie der Fläche bei den Griechen nicht ein Abfallprodukt der Entdeckung der Schrift, die ebenfalls auf die Fläche sich bezieht (Zusammenhang mit der Schrift als verstummte und deshalb tradierbare Sprache)?
    Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkommt: Die in der Schrift verstummte Sprache will wieder laut werden.
    Ist nicht die christliche Theologie in ihrer dogmatischen Gestalt mehr als Hurerei: die Vergewaltigung der Schrift?

  • 08.02.93

    Das Zwangsbekenntnis ist ein projektives Bekenntnis: ein Bekenntnis für andere, aber auch ein projektives Schuldbekenntnis: Kern der Komplizenschaft derer, die die Religion nur noch ausbeuten. Es verhält sich zum wirklichen Bekenntnis wie Beethoven zu Mozart.
    Wird nicht im Zwangsbekenntnis die Lehre von der Göttlichkeit Jesu an Voraussetzungen gebunden, unter denen sie nicht zu halten ist (double bind). Und hängt das nicht mit der Hellenisierung der Theologie zusammen, mit einer Objektbindung der Sprache, die z.B. in der Verbalinspiration, in dem Verständnis der „Wörtlichkeit“ (im augustinischen „de genesi ad literam“) sich ausdrückt, aber auch im Gesamtkonstrukt der dogmatischen Theologie, die eigentlich nur das philosophische Erkenntniskonzept (den Weltbegriff) rettet, aber die Gotteserkenntnis verrät? Hier liegt der Keim der nominalistischen Selbstzerstörung der Theologie, die heute endgültig der Willkür überantwortet zu werden scheint.
    Die Verbindung des Logos mit der Schöpfungslehre untergräbt die christliche Vorstellung vom fleischgewordenen Gott: sie ist wahr nur, wenn sie als Symbol der Erinnerungsarbeit gefaßt wird.
    Die Deutschen haben keinen Witz, weil sie Witze machen: weil sie unfähig sind, sich der Komplizenschaft des obszönen Witzes zu entziehen (Funktion des obszönen Witzes für die Geltungskraft des Realitätsprinzips).
    Der Weltbegriff verdrängt die Erinnerungsfähigkeit, die der benennenden Kraft der Sprache zugrunde liegt.
    Verweist die „Bitte“ im Brief an Martin Buber (und seine Folgen) nicht auf ein mimetisches Verhältnis zur Tradition: Bin ich nicht gleichsam (unter dem Druck des Faschismus) in diese Theologie hineingekrochen? Ich habe sie mir nicht vom Leibe halten können.
    In welchem Zusammenhang stehen in den Qumran-Texten (Eisenmann/ Wise) die Hinweise auf „Fels“, „Turm“, „Wand“ und „Festung“ (Körperliche Raumbegriffe?), auf Jona und auf die Kreuzigung (S. 148/151)?
    Der Naturbegriff bezeichnet die Objektseite, der Weltbegriff die Subjektseite der verräumlichten Dingwelt (des kantischen Reichs der Erscheinungen). Das Wissen gründet in dem Konstruktionsprinzip, das Natur und Welt verbindet und trennt (in System der transzendentalen Logik): es definiert die Gestalt des gegen die Offenbarung (die Prophetie) sich verstockenden Bewußtseins. Sind nicht wir das halsstarrige Volk, als welches wir die Juden ansehen?

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