Ensslin

  • 9.3.96

    Hat nicht das Eingedenken der Natur im Subjekt etwas mit der Beziehung des Namens der Barbaren mit dem der Hebräer zu tun: mit der Reflexion (und der Rücknahme) des projektiven Elements in der Erkenntnis, das die Aufklärung mit dem Mythos verbindet?
    Die Zwei-Kinder-Familien stehen unter dem Rentabilitätsbann, die Kinder in diesen Familien unter dem Bann der intentio recta (der Unfähigkeit zur Reflexion). Die Konstellation insgesamt ist der genaueste Ausdruck der moralischen Proletarisierung des Mittelstandes.
    Moral als Instrument des Wegsehens (der Brief von Antje Vollmer/Felix Ensslin): Das moralische Urteil rückt den Urteilenden in die Position dessen, der über der Sache steht und deshalb der Pflicht sich entbunden fühlt, sich in die Sache einzulassen.
    Die hethitische Sprache kennt kein Femininum: Sie ist die Sprache des Staubes (den Adam produziert und die Schlange frißt). Hat nicht Christina von Braun („Nicht-Ich“) den Nachweis erbracht, daß die logozentrische Sprachlogik an diesem hethitischen Erbe teilhat?
    Gilt die Warnung in der Johannes-Offenbarung vor denen, die „die Tiefen des Satans erforschen“ (224), der theologischen Rezeption des Weltbegriffs (dem daraus hervorgegangenen Konstrukt der creatio mundi ex nihilo, in dem das gnostische Erbe in der Theologie fortlebt)? Ist darin nicht schon die Warnung vor der Theologie hinter dem Rücken Gottes enthalten?

  • 3.3.96

    Zum Brief von Antje Vollmer/Felix Ensslin: Der Verzweiflung die Mahnung auf den Weg mitzugeben „Verhärtet euch nicht“ ist zynisch (insbesondere wenn die Vermutung zutrifft, daß die hier Angeklagte zu denen gehört, die in der RAF zur Auflösung der Verhärtung beigetragen hat, und wenn die Befürchtung begründet ist, daß sie allein wegen ihrer Weigerung, sich als Kronzeugin zur Verfügung zu stellen, verurteilt werden sollte).
    Dieser Prozeß ist nun wirklich alles andere als ein Dialog (Erklärungen der Angeklagten werden nicht zur Kenntnis genommen, bewußt und gezielt fehlinterpretiert, Fragen der Verteidigung an Zeugen und Beweis-Anträge, die darauf abzielen, die Vorgänge in Bad Kleinen (die Grundlage der Anklage sind) aufzuklären, werden unterbunden, abgelehnt. Der Eindruck, daß die Angeklagte als Feind und nicht als Angeklagte wahrgenommen wird, gründet u.a. in der offenkundigen Unterbindung jedes dialogischen Elements in der gesamten Verfahrensführung durch das das Verfahren beherrschende Gericht, das es nicht mehr für nötig hält, den Eindruck, Herr des Verfahrens sei die Bundesanwaltschaft, zu vermeiden.
    (Das poker-face der „Persönlichkeit“, die „über der Sache“ steht, weil sie sich nie in die Sache eingelassen hat.)
    Paßt hierzu nicht das Wort aus dem Lukas-Evangelium von der Bekehrung der Väter zu ihren Kindern?
    Zum Begriff der Sünde: Die Abstraktion vom Gegenblick, die zu den Konstituentien der subjektiven Formen der Anschauung gehört, kehrt als subjektloser Blick der Welt wieder. Dieser subjektlose Blick der Welt ist es, der den Raum nach allen Seiten ins Unendliche öffnet (das kopernikanische System begründet).
    Das Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ ist die theologische Verführung zum Konformismus. Es ist zugleich Teil der Gottesfurcht-Vermeidungs-Strategie, die die Theologie hinter dem Rücken Gottes begründet, und die Begründung des Schuld-Verschub-Systems, das im Christentum immer wieder mit der Sündenvergebung verwechselt worden ist.
    Zwei Dinge, die schwer auseinander zu halten sind: die persönliche und die moralische Verletzlichkeit.
    Ich wünschte mir eine Theologie wie auch einen politischen Diskurs, die endlich aus den Rechtfertigungszwängen sich befreien.
    Subjektlosigkeit ist Herzlosigkeit. Deshalb gründet die Autonomie in der Barmherzigkeit.
    Anmerkung zur Bekenntnislogik: Es gibt kein Bekenntnis ohne Feindbild, ohne Ketzerverfolgung und ohne Frauenfeindschaft. Das Bekenntnis ist ein Rechtsbegriff; hängt es nicht damit zusammen, wenn Juden an sich schuldig waren, während für Ketzer und für Hexen das Prinzip der Beweisumkehr galt: ihnen brauchte die Schuld nicht nachgewiesen zu werden, sie mußten, wenn sie in Verdacht geraten waren, ihre Unschuld beweisen (nach der gleichen Logik war das Gegenstück zum Confessor die Virgo; und deshalb ließ der Name der Büßerin für Maria Magdalena den Umkehrschluß zu: Sie muß es wohl schlimm getrieben haben).
    Wie hängt diese Konstellation (Feind, Ketzer, Hexen und deren Beziehung zur Beweislogik) mit der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere mit der Selbstbegründung der Form des Raumes, zusammen (das Objekt ist das neutralisierte Feindbild, Repräsentant des an sich Schuldigen)?
    Was bedeutet es eigentlich, wenn niemand mehr etwas dabei findet, daß im Bereich des § 129a die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten (durch entsprechende Gestaltung der Haftbedingungen, durch restriktive Besuchsregelungen, durch Überwachung der Post und durch Behinderung des Verkehrs mit den Verteidigern) weitestgehend eingeschränkt werden, während gleichzeitig den Ermittlungs- und Anklagebehörden ein Riesenapparat, den niemand mehr kontrolliert, und dessen Arbeit selbst im Strafprozeß, in dem die Ergebnisse dieser Arbeit ins Beweisverfahren mit einfließen, gegen den Einblick der Verteidigung durchs Gericht abgeschirmt wird, zur Verfügung steht? Geführt werden diese Prozesse von „Staatsschutz“-Senaten, also von politischen Gerichten, zu deren Aufgabe es dann aber zugleich gehört, ihre eigene Grundlage zu verleugnen. Es gehört zu den praktischen Prämissen des Verfahrens, daß die subjektive Dimension der angeklagten Handlungen (z.B. die wirklichen Ziele und Motive der Angeklagten) strikt ausgeblendet bleibt. So gerät das Verfahren unterm Zwang seiner eigenen Voraussetzungen in eine Engführung der Sachverhaltsermittlung, der Beweiserhebung und der Gesetzesanwendung, die nur noch die reine Objektbeziehung zur Angeklagten zuläßt (sie nicht durch die „Gesinnung“ der Richter, sondern durch die eigene Logik des Verfahrens, zum „Feind“ macht), ein gerechtes Urteil aber von vornherein ausschließt. Oder, um die Sprache von Frau Dr. Vollmer aufzunehmen: Ist es nicht diese „Logik des Verfahrens“, die zu den Verhärtungen beiträgt, die den Dialog so unendlich erschweren, wenn nicht ausschließen? Bekommt der Hinweis auf die Notwendigkeit des Dialogs angesichts dieses Verfahrens nicht einen zynischen Klang?

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