Erbaulichkeit

  • 3.6.1994

    Wie tief die Hegelsche Staatsmetaphysik verwurzelt ist, mag man daran erkennen, daß das Carl Schmittsche Konstrukt von Souveränität, Notstand und Führerprinzip sein Modell in der Hegelschen Rechtsphilosophie (278) hat. Genau diese Stelle ist der Beweis dafür, daß auch die Dialektik die Asymmetrie der Beziehung des Ich zu den Andern nicht aufhebt, sondern zugunsten der Andern (der Welt) neutralisiert.
    Die Welt ist für jeden die Welt für die Anderen; das Anderssein der Andern (nicht zu verwechseln mit dem Fremdsein) begründet die Objektivität der Welt.
    Zur logischen Äquivalenz von Individuellem und Allgemeinem (oder Problem einer Geisterlehre): Kann es nicht sein, daß, was hier ein Individuelles, dort ein Allgemeines, und das, was hier ein Allgemeines, dort ein Individuelles ist: daß die Einzelsterne Gattungen sind, und die Gattungen Geister? Liegt hier der logische Grund für die Konzeption des Tierkreises und der frühchristlichen Engellehre (auch der biblischen Himmelsheere und des göttlichen Hofstaates)? Dann wären die subjektiven Formen der Anschauung der genaue Reflex der christlich-mythischen Gestalten des Satan und des Teufels. Und was bedeutet dann die Entdeckung des Begriffs: war sie nicht der Anfang der Vertreibung der Engel? Oder anders: Greift hier nicht eine Art Umkehrung des Verhältnisses von Natur und Welt (Objekt und Begriff), so daß wir in der Tat nur durch unseren Beitrag zur Rettung der Welt hindurch gerettet werden können? Wirft das nicht ein neues Licht auf die paulinischen Archonten und auf den Namen des Fürsten dieser Welt?
    War nicht der Kreuzestod die antizipierte Strafe für eine Untat, die erst folgte, oder ist er dazu erst durch die christliche Opferthologie geworden? Bezieht sich darauf nicht das jesuanische Kelchsymbol (in der Antwort an die Zebedäussöhne, in Gethsemane und in dem Hinweis an Petrus)?
    Die Bemerkung, daß die Theologie heute „bekanntlich klein und häßlich“ sei, ist noch zu harmlos: Sie ist zur Stätte des Greuels der Verwüstung geworden.
    Kann es sein, daß es deshalb keine Aktualisierung der Marxschen Kapitalismus-Kritik mehr gibt, weil niemand mehr fähig ist, in diesen Abgrund zu schauen?
    War nicht die Vertreibung der Händler und Wechsler aus dem Tempel der letzte Akt des Kampfes gegen Kanaan, und enthält sie nicht den Hinweis, daß zur Theologie heute eine Geschichtstheologie der Banken gehören müßte? Die Befürchtung scheint nicht unbegründet, daß eine Kritik der Banken davon ausgehen müßte, daß es eine technische Lösung des Problems nicht gibt: Es gibt keine Alternative zu den bestehenden Institutionen, gleichwohl muß man dem, was ist, ins Auge sehen, – und es dann auch aussprechen: Ninive wird in 40 Tagen zerstört.
    Der Sündenfall hat sehr viel mehr mit der Organisation und Entfaltung der Sprachen (Grammatik, Beziehung der Sprachen zur Mathematik und Ursprungsgeschichte des Neutrums) zu tun als mit der Sexualmoral.
    Die besondere theologische Qualität der deutschen Sprache, die nicht zu leugnen ist, kann man an Begriffen wie „Fall“, an der Unterscheidung von Zorn und Wut (sowie Ding und Sache), auch an Begriffen wie Urteil und Empörung ermessen.
    Zusammenhang der Urteilsform mit den subjektiven Formen der Anschauung: Ihr gemeinsamer Ursprung liegt in der Halbierung des Lichts. Das erste Urteil gründete in der Abstraktion vom Gesehenwerden. Insofern ist die Scham in die Konstruktion des Urteils mit eingegangen. Das Objekt ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung der Scham; es ist die Scham vor vor dem leeren Blick des Allgemeinen, vor dem subjektlosen „Gesehenwerden“ durch den Begriff, die das Objekt gegen den Begriff zusammenschließt, durch die es gegen den Begriff sich vergegenständlicht (Genesis der Urteilsform). – Deshalb war der Heußsche Begriff der „Kollektivscham“ so verhängnisvoll: Er hat die Deutschen an den Blick „des Auslands“ gefesselt, in dem sie sich seitdem „spiegeln“. Die Fremdenfeindschaft heute ist ein ebenso ohnmächtiger wie vergeblicher Ausbruchsversuch.
    Mit dieser Beziehung des Urteils zur Scham (der Verwechslung der Wahrheit mit der aufgedeckten Blöße) hängt der Ursprung der Sexualmoral zusammen.
    Creatio mundi ex nihilo: Das Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat, ist das durch die Verdrängung der Scham erzeugte Nichts. Hier liegt der Ursprung des Idealismus. Und vor diesem Hintergrund gewinnt Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ ihre ungeheuerliche Bedeutung.
    Das Keuschheitsgebot, das sich auf diese Geschichte der Scham und des Urteils bezieht, gehört wirklich zu den Fundamenten der Theologie. Und der Greuel der Verwüstung ist das Produkt der vollständigen Entblößung (Philosophie heute wäre Reflexion des Ekels).
    Wodurch unterscheiden sich Kohl, Hintze, Rühe, Seiters, Schäuble und Kanter von Kinkel, Frau Schwätzer, Rexrodt? Nur durch die Reflexion des Ekels hindurch, so scheint mir, läßt sich der Abgrund dieser Koalition noch ausmessen. Koalition der aussitzenden Gnade der späten Geburt mit den gnadenlosen Leistungsträgern: Und daneben eine SPD, die den Eindruck erweckt, daß ihr das imponiert.
    In der Anmerkung zu 279 seiner Rechtsphilosophie gibt Hegel einen bedeutenden Hinweis auf den Zusammenhang des Begriffs mit der Schicksalsidee (Hinweis auf den Dämon des Sokrates) und auf den Hintergrund, auf den sich die Untersuchung von Marie Theres Fögen über die „Enteignung der Wahrsager“ bezieht. Hier übrigens auch das Wort von der „wüsten Vorstellung des Volkes“ (die „formlose Masse, die kein Staat mehr ist“). In Hegels Staatslehre steht der Monarch an der Stelle, an der in der Theologie das Opfer steht: als Verhinderer des Chaos.
    Ist nicht der Zerfall der europäischen Agrarmarktordnung in den 70er, 80er Jahren (ähnlich wie die sogenannte Schuldenkrise der Dritten Welt) ein Menetekel für das Schicksal der Geldwirtschaft insgesamt: die Schrift an der Wand?
    Ist die Hegelsche Philosophie nicht der Beweis für die Wahrheit der biblischen Überlieferung, daß außer Petrus nur die Dämonen den Gottessohn erkennen?
    Wenn die Philosophie der Leib Christi ist, dann wäre heute die descensio ad inferos an der Zeit. Nicht auszuschließen, daß sie dort auf die Propheten trifft.
    Gründet nicht die Erbaulichkeit im Selbstmitleid (in der Anwendung des Schuldverschubsystems aufs Opfersein, oder in der Verschiebung der Armut von der Realität draußen ins Selbstgefühl drinnen): In der Ersetzung der Nachfolge durch die Imitatio?
    Daß der Terrorismus-Paragraph im Strafrecht nur ein Instrument zur Bekämpfung und Diskriminierung der Linken war, ist daran erkennbar, daß er bei den Nachfahren der größten terroristischen Vereinigung, die es in diesem Lande je gegeben hat, nicht greift.
    In Westfalen sagt man statt „es ist egal“: et is een Dohn, es ist ein Tun. Das heißt: das eine Tun unterscheidet sich nicht von dem anderen, beide sind in ihren Folgen gleich.

  • 04.08.93

    Jedes Urteil enthält ein projektives Element und ist in Schuld verstrickt, aber in eine Schuld, in die die Welt selber verstrickt ist: Diese Schuld ist der logische Grund des Weltbegriffs.
    Futur und Futur II sind Reflexionsformen von Imperfekt und Perfekt, davon nur durch die Prämisse einer unter die Vergangenheit subsumierten Zukunft unterschieden (Produkt einer innerzeitlichen Verschiebung: Ursprung des Naturbegriffs und seines sprachlichen Pendants, des Neutrums). Das Plusquamperfekt ist eine sprachlogische Konsequenz dieses grammatischen Eingriffs. Die hebräische Sprache kennt keinen Indikativ, diese verhängnisvolle Mischung von Präsens und Imperativ, das sprachliche Äquivalent dessen, was neudeutsch Sachzwang heißt.
    Der ungeheure sprachlogische Prozeß, in dem sich Futur und Futur II, Plusquamperfekt und Indikativ gebildet haben, auch das Neutrum (und der Welt- und Naturbegriff), hängt zusammen mit der Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung. Dessen Einheitsprinzip ist die Orthogonalität. Aber die Orthogonalität ist zunächst nur ein Strukturelement der Fläche, die selber wiederum dadurch definiert ist, daß sie auf eine und nur eine zu ihr orthogonale Richtung im Raum bezogen ist. Der Raum ist zwangsläufig dreidimensional. Der Preis für die Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: der oben bezeichnete sprachlogische Prozeß (oder die apriori positiv beantwortete Frage: if the future will be like the past).
    Die exkulpatorische Funktion der Ontologie wird erkennbar an dem unter Ontologen so beliebten Begriff des Geschehens, in das sie den Weltprozeß verzaubert. Dem entspricht das Fernsehen, das Politik und Zeitereignisse als Zeitgeschehen dem Konsum präsentiert, aber mit dem systemimmanenten Hinweis: Du bist Zuschauer und hast keine Chance, einzugreifen und die Dinge zu ändern. Mit der Betroffenheit, mit der alle auf die Darbietung des Schlimmsten reagieren (und aus dem die Fernseh-Theologie ihren erbaulichen Honig saugt), wird das moralische Subjekt, das hier ohnehin nicht mehr vorkommt, endgültig ausgelöscht. – Ist die Betroffenheit nicht eine Reflexionskategorie der Kollektivscham?
    Mit der Subsumtion unter die Vergangenheit schneiden wir den Dingen (auch dem Kreuzestod Jesu) die Zukunft ab. Was meint das Wort Name im Bekenntnis des Namens?
    Ist nicht die Beziehung des Begriffs zum Objekt (im Urteil die Beziehung des Prädikats zum Subjekt und in der Realität die des Schicksals zu seinem Substrat) eine genitivische: eine Eigentums- und Herrschaftsbeziehung (und zwar als wechselseitige oder als Reflexionsbeziehung: Grund der Unterscheidung von genitivus subjektivus und objektivus)? Der Eigentümer ist nicht nur Herr über seinen Besitz, sondern er selber wird durch seinen Besitz beherrscht („besessen“). Hier liegt der Ansatz zur Lösung des Problems des Weltbegriffs.
    Zum Antlitz des Hundes: Sind nicht alle Blickbeziehungen Herrschaftsbeziehungen, und ist das nicht der Grund, weshalb Hunde aufs Angeblicktwerden aggressiv reagieren? Der freie Blick ist etwas davon deutlich (nämlich durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion) Unterschiedenes; er schließt die Umkehr mit ein, die Fähigkeit zur Reflexion der Intentionalität. Frei ist nur, wer den Rechtfertigungszwängen und der in den modernen Erkenntnisbegriff mit eingebauten Projektionsautomatik entronnen ist: Notwendigkeit einer Logik des Angesichts (das Gesehenwerden durchs Objekt und das Hören aufs Objekt in das Sprechen übers Objekt mit hereinnehmen)!
    Die Probleme des dritten Buchs im zweiten Teil des Sterns der Erlösung (die Probleme des Rosenzweigschen Erlösungsbegriffs) hängen zusammen mit den Problemen im zweiten Buch des ersten Teils des Stern (mit den Problemen des Weltbegriffs). Hier wird deutlich, was die jüdische Tradition in der Rosenzweigschen Fassung vom Christentum unterscheidet; aber diese Differenz war zwangsläufig, weil sie im Christentum selber bis heute nicht begriffen ist.
    Nicht der Erste Weltkrieg, sondern Getsemane ist das Korrelat des Anfangs des Sterns.
    Stern, S. 37: „Die Natur ist stets die eigene Natur der Götter.“ Darin steckt schon der christologische Naturbegriff.
    S. 153: Der Begriff einer Schöpfung aus Nichts „enthält die Leugnung des Chaos“; er ist ein Instrument der Leugnung und Verdrängung der Vergangenheit, der Diskriminierung der Erinnerung und der Verhinderung von Herrschaftskritik: Vor dem Ursprung des Weltbegriffs war nichts. Wenn doch etwas war, was nicht mehr zu leugnen ist, muß es dem Weltbegriff angeglichen und subsumiert werden (wie im Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit).
    Ebd.: Mit der Urteilsform ist die „Vorstellung“ eines Unvorstellbaren: einer unendlichen Vergangenheit, mitgesetzt.
    Zur Sünde der Welt: „Die Seele ist ihrer Last ledig im Augenblick, wo sie sie ganz auf die Schultern zu nehmen gewagt hat“ (S. 201).
    Ontologie und Umkehr: Das Sein, als allgemeines Possessivverhältnis, ist die Umkehr der Gnade, der Barmherzigkeit; daher seine „verandernde Kraft“ (Instrumentalisierung durch Vergegenständlichung rückt alles, was es ergreift, in ein vergesellschaftetes Possessivverhältnis: Deshalb gibt es ohne Staat keine Welt).
    Das Haus hat nicht nur mit Zweckmäßigkeitsgründen zu tun (Schutz vor den Unbilden der Witterung), sondern ebenso mit der Geschichte der Scham (Schutz der Intimsphäre): Hängen das Sklavenhaus Ägypten und der Name Pharao damit zusammen?
    Was bedeutet es eigentlich, wenn das Paradigma Innen/Außen nicht mehr zu halten ist: das Innere zu Nichts geworden ist?
    Die intersubjektive Welt ist zum gemeinsamen Gefängnis aller geworden: Alle sitzen in Isolationshaft.
    Der Korpuskel-Welle-Dualismus resultiert aus der objektiv unvermeidbaren Alternative, die der Lichtgeschwindigkeit zugrundeliegende „Bewegung“ entweder nur auf eine Richtung des Raumes zu beziehen, oder auf die Zeit, und damit auf die Totalität des Raumes.
    Das Inertialsystem abstrahiert vom Gesehen-Werden, von der Scham, die sich dann gegenständlich als Materie in den niederschlägt (sic, B.H.) (projektive Erkenntnis und Schuld). Scham ist Selbstbewußtsein des Andersseins, logische Konsequenz des Satzes: Das Eine ist das Andere des Anderen.
    Wann wird es gelingen, die Vergangenheit so einzudämmen, daß sie nicht mehr die Zukunft überschwemmt?
    Ist nicht im ersten Satz der Genesis (im „elohistischen“ Schöpfungsbericht, Gen 11) auch die Reihenfolge des Geschaffenen (Himmel und Erde) von Bedeutung? Erst am Anfang des zweiten („jahwistischen“) Schöpfungsberichts (24b), der die Paradiesesgeschichte und die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wird die Folge umgekehrt („Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“). Wird der erste Schöpfungsbericht im Imperfekt, der zweite im Perfekt erzählt? Ist die Reihenfolge des Geschaffenen nicht in der Logik der Sprache begründet (in der perfektivischen Gestalt gewinnt die Erde den Vorrang vor dem imperfekten Himmel)? Deshalb endet der zweite Bericht mit dem Sündenfall und der jahwistischen Urgeschichte (bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel), der erste hingegen mit dem „sehr gut“. Enthält nicht die Geschichte von der Bindung Isaaks (mit dem Engel Elohims am Anfang und dem Engel JHWHs am Ende) den Lösungansatz?
    Zum ersten Satz der Genesis: den Himmel nutzt Gott als Namen für das Firmament, die Erde zur Herbringung der Kreaturen.
    Zum paradiesischen Nahrungsgebot: Nur dem Menschen ist die Frucht verheißen, den Tieren nur das Grün, die Blätter (vgl. das Feigenblatt und die Scham).
    (Gibt es im Hebräischen ein Partizip?)
    Ist nicht majim, das Wasser, ein Plural (wie schamajim, der Himmel), und ist nicht auch der deutsche Begriff Wasser ein Plural von Was (wie Völker von Volk)? Merkwürdig, daß der Ursprung der Philsophie mit der Neutralisierung des Wassers (Thales: Alles ist Wasser, Heraklit: panta rhei, und: niemand steigt zweimal in den gleichen Fluß) beginnt: der unendlich schwere, am Ende vergebliche Versuch das Flüssige dingfest zu machen (in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase mit Hilfe der Theologie: Bedeutung der Trinitätslehre!)?
    Ist Theologie heute nicht doch nur noch in einer bekenntnishaften Form möglich, aber einer, die es wirklich ist: auf die Neutralisierung des Bekenntnisses, die Konfessionalisierung der Theologie, endgültig verzichtet? Dieses Bekenntnis wäre eines im Angesicht Gottes, nicht im Angesicht der Welt (dem Scheffel überm Licht). Durch Objektivierung und Theoretisierung wird der Inhalt der Theologie generell verfehlt.
    Das zum Bekenntnis neutralisierte Symbolon ist das vergrabene Talent.
    (Die Welt ist das Verwesungsprodukt des toten Gottes.)
    Steckt nicht in der projektiven Vorstellung vom „jüdischen Rachegott“ (bei Drewermann, Alt, Christa Mulack u.a.) auch die Angst vor einem Gericht, in dem die Opfer der Vergangenheit, die nur still sind, wenn sie endgültig tot sind, die Richter sein werden? Müßten nicht Kirche und Theologie, Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Politik und Gesellschaft, völlig anders sich darstellen, wenn es auch nur einen gäbe, der wirklich an die Auferstehung glaubte? Hat das Christentum nicht die Theologie (Trinitätslehre und Christologie) auch dazu mißbraucht, sich die Vergangenheit (ihre jüdischen Wurzeln, aber dann auch ihre fatale eigene Rolle in der Geschichte) vom Leibe zu halten? Mit der Gehorsamsforderung wurden die Ohren verstopft, damit niemand das Blut, das zum Himmel schreit, mehr hören konnte. Ist nicht der „christliche Liebesgott“, der in der Vorstellung gründet, daß Gott seinen eigenen Sohn hingeschlachtet habe, „um uns zu retten“, Produkt und Deckbild einer nun wirklich sadistischen Phantasie? Während wir glauben, den „Rachegott“ nicht mehr zu brauchen, haben wir in Wahrheit genau diesen Aspekt längst neutralisiert und instrumentalisiert, indem wir ihn, wenn wir ihn nicht zu Zeiten auch einmal selbst in die Hand genommen haben, an den Staat, an die Institutionen des Rechts: der staatlichen Strafverfolgung und des Strafvollzugs, delegiert haben. Das „Volk“, in dessen Namen Gesetze erlassen, Recht gesprochen und Urteile gefällt werden, ist der anonymisierte Erbe dessen, den das antijudaistische Vorurteil einen „Rachegott“ nennt. Wer sich auch nur ein wenig mit den Zuständen in unseren Knästen (die jeder zu verantworten hat, der dem Volk angehört, in dessen Namen hier die „Strafen vollzogen“ werden) vertraut gemacht hat, weiß, daß zu den realen Gründen des Strafrechts auch, wenn nicht zentral, die Vergesellschaftung der Rachebedürfnisse gehört, während der „alttestamentliche Rachegott“ (das „Mein ist die Rache“ des Gottes, dessen wichtigste Eigenschaft die Barmherzigkeit ist) in seinem realen Kontext auf die Auflösung der Rachebedürfnisse der Opfer abzielt. Übrigens: Im Neuen Testament (im Hebräerbrief, 1030) steht der Satz: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, während im Alten Testament (im Buch Jona, 411) Gott gegen Jona den Verzicht auf die Zerstörung Ninives so begründet: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, und soviel Vieh.“
    Das gedankenlos Bösartige an der antijudaistischen Unterscheidung des „alttestamentlichen Rachegottes“ vom „neutestamentlichen Liebesgott“, das zum Syndrom der verfolgenden Unschuld gehört, wird deutlich, wenn man auch nur einen Augenblick daran denkt, wer – in einem geschichtlichen Kontext, zu dem Auschwitz gehört – hier an wen welches Ansinnen stellt: Der Täter schlägt dem Opfer das einzige Mittel, die Erinnerung an die Leiden zu verarbeiten, aus der Hand. Hier darf nicht mehr aufgearbeitet, hier soll nur noch verdrängt werden.
    Der Beter rächt sich nicht selbst (Zenger, S. 71): Ist das nicht das zentrale Anliegen eines jeden Gebets, das Moment, durch das es mit dem Gottsuchen sich verbindet, und der Wahrheitsgrund des Satzes von Reinhold Schneider? Wäre dieser Satz nicht heute eine der Grundlagen der Rechtskritik: als Kritik eines Instruments der instrumentalisierten Rache?
    Wird mit dem Gerede vom „jüdischen Rachegott“ nicht
    – der zugrundeliegende Text entstellt, seine Wahrnehmung verzerrt, und zugleich
    – ein theologischer Erkenntnisgrund durch Verdrängung neutralisiert?
    Verräterisch die Rede vom Gottesbild im Hinblick auf eine Religion, zu deren zentralen Elementen das Bilderverbot gehört: Zu den objektiven Intentionen des Bilderverbots gehört es, sich die reale Erfahrung nicht durch Bilder verstellen zu lassen. Hierzu gehört auch die biblische Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Der Antijudaismus ist ist ein System von Vorstellungen über die Juden hinter ihrem Rücken, er ist (nach einer auch hierauf zutreffenden Formulierung Adornos über den Antisemitismus) das Gerücht über die Juden, das jede reale Erfahrung mit Juden und mit der jüdischen Tradition scheut, wie der Teufel das Weihwasser.
    Hebr 1030f: Wenn wir vorsätzlich sündigen, gibt es für diese Sünden keine Opfer mehr. – Ist nicht das Opfer die Vergebung?
    In einer Welt, die bis in ihre innersten Strukturen hinein, und ohne daß eine Alternative dazu überhaupt noch sichtbar wäre, durchs Selbsterhaltungsprinzip geprägt und bestimmt ist, braucht man, wie es scheint, einen „Gott der Liebe“; aber gilt nicht hierfür Adornos Satz: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist? Die Sperre vor der Fähigkeit zu lieben liegt in der Struktur dieser Welt.
    Die antikirchlichen Positionen in Kirche und Theologie sind nicht einfach nur falsch und zu verurteilen, sondern haben ihren eigenen Erkenntniswert in einem System, in dem Erkenntnis insgesamt seine projektiven Anteile nicht mehr abwischen kann.
    Den Begriff zum Sprechen bringen: das setzt eine Theorie des Lachens und des Schreckens voraus.
    Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem (der „luftleere Raum“) zerstören den Himmel durch die Zerstörung der „Elemente“ hindurch: die Erde, die Luft (das Pneuma), das Wasser und das Feuer (haschamajim).
    Physik als Kloß im Hals der Theologie: im „luftleeren Raum“ gibt es keine Luft zum Atmen.
    In welcher Beziehung stehen die Juden, Ketzer und Hexen der christlichen Geschichte zu den Barbaren der Griechen (trinitarische Entfaltung des projektiven Erkenntnisbegriffs der Philosophie)?
    Kants Philosophie war Erkenntniskritik, der stringente Nachweis, daß der Erkenntnisbegriff der Philosophie sich auf die Dinge, nicht wie sie an sich selber sind, sondern wie sie uns erscheinen, sich bezieht.
    Bekenntnisse des Jeremias: 1118-21, 121-6, 1510-21, 1714-18, 1818-23, 207-18: prophetischer Ursprung der Reflexion?
    Jeremias, der Prophet des welthistorischen Bruchs?
    – Dreimal verbietet Gott dem Jeremias, für das Volk zu beten; aber Jeremias gebietet dem Volk, für das Wohl der Stadt, in der sie nach der Deportation leben, zu beten.
    – Selbst wenn Mose und Samuel … (Jer 14-15?)
    – „Wer sich den Chaldäern ergibt, wird sein Leben als Beute gewinnen.“ (Jer 282, vgl. dazu den „Ursprung des Weltbegriffs“ und das Jesus-Wort: Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.)
    – Dreimal „Grauen um und um“.
    – Ist der „Feind aus dem Norden“ (Babylon) ein Vorbegriff der Welt?
    – tewel (hebr. für Welt und Natur) nur zweimal im AT, beide Stellen bei Jeremias (?). Sonst „Himmel und Erde“; haolam ist der Bereich der göttlichen Herrschaft, nicht die Welt.
    – Zu Jer 1010-16: außer an dieser Stelle nur noch zwei andere „Schöpfungsberichte“, Ps 104 (der älteste) und Hiob 38ff.
    Erfüllung des Worts: „Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Worts erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 289, vgl. Dt 1821-22, Ez 3333) Ist der Name die Erfüllung, das Eintreffen des Worts?
    Das Wunder gehört zur Prophetie: daß „das Wort sich erfüllt“, zum Namen wird (das Wunder erlischt im Namen).
    Das Absolute ist ein Korrelat der Welt: deshalb ist kein Gied in ihm nicht trunken.
    Zur Bestimmung der Theologie:
    – Aktualität (Prophetie),
    – eingreifende Erkenntnis,
    – apokalyptisch (aber nicht die Endzeit berechnend: dazu zwingt nur die Logik des Weltbegriffs).
    Kommen die Völker Kanaans in der Völkertafel, in den Genealogien der Genesis vor?
    Zur Vorgeschichte der drei Leugnungen Petri gehört ihre Weissagung:
    – Mt 2630 und Mk 1432: Ihr werdet in dieser Nacht (!) an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen.
    – Lk 2231ff: … der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf …, daß der Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke dein Brüder.
    – Joh 1336ff: Wohin ich jetzt gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen …
    Binden und Lösen: Ist nicht durchs Binden das Lösen neutralisiert, unkenntlich gemacht worden: und der Glaube zur Hybris?
    Das Dogma hat die Frage: Wie ist die Thora „heute“ (und d.h. prophetisch) zu verstehen, neutralisiert.
    Das Urschisma: auch eine Frage der Grammatik? Sind physis und kosmos (natura und mundus) grammatisch bedingte Begriffe? (Vgl. Rosenzweig: der „Mittler“ nur für die Heiden, nicht für die Juden).
    Der Weltbegriff fundiert den Egoismus (das Prinzip der Selbsterhaltung), den Sexismus und die Desensibilisierung, die Erfahrungsunfähigkeit.
    Die Welt ist Welt für andere: Schamgenerator. Durch die Identifikation der Kirche mit der Welt (mit dem Aggressor) ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden.
    Hegel: die Neutralisierung der Philosophie zum Absoluten.
    Jeder Machtgewinn wird mit Sprachverlust erkauft.
    Zur Raummetaphorik: Die Neutralisierung von Oben und Unten ist ein Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft: Hat nicht das Bußsakrament das Lösen in kleine Münze umgemünzt (und ist nicht der verdinglichte Glaube ein Stück verinnerlichter Schuldknechtschaft)?
    Das Christentum hat der frühen Christenheit die Last der Umkehr abgenommen, heute blockiert es sie.
    Jona ben Amittai und Jesus kommen aus der gleichen Gegend (Nazareth und Umgebung).

  • 23.05.93

    Wenn das „natürliche Sittengesetz“ (vgl. Z. 1958f) unveränderlich ist (und das unterstellt schon das Adjektiv „natürlich“), dann ist Erlösung unmöglich: dann gibt es zum Staat und zu dieser Welt keine Alternative.
    Z. 1968: „So hat er das Kommen Christi vorbereitet“: Klingt das nicht eher nach dem Organisationskonzept einer Konzertagentur, als nach einem Akt der göttlichen Vorsehung?
    Was heißt es eigentlich, daß „der Menschensohn auch Herr über den Sabbat“ ist (Mk 228)?
    Z. 2302: „Zorn ist ein Verlangen nach Rache“. Diese Definition ist nicht nur falsch, sie ist antisemitisch. Sie unterschlägt die Differenz zwischen Wut und Zorn und die Beziehung des Zorns zur Liebe.
    Zum Titel „Friede“ (Z. 2302ff): Es gibt auch objektive Verhältnisse, die von denen, die deren Opfer sind, als Rachewunsch, als Haß, erfahren werden. Nicht immer (und heute weniger denn je) hängen Friede und Gerechtigkeit von personalisierbarem guten Willen ab. Das „sie wissen nicht, was sie tun“ hat heute eine beängstigende Aktualität (im Staat wie in den Kirchen); sie wird umso beängstigender, je mehr sie geleugnet wird.
    Der Lieblosigkeit der Ausführungen über die Liebe entspricht die Einsichtslosigkeit in die Verstrickungen auch der Kirche in den gesellschaftlichen Prozeß. Das Gegenmittel wäre zu entwickeln aus dem achten Gebot: Das „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“ ist im Prozeß der Verweltlichung der Welt zu einem Erkenntnisprinzip, zu einem Teil der Idee der Wahrheit selber, geworden: das einzige Mittel zur Auflösung des Banns. Erkenntniskritik ist zu einem Mittel geworden, der Gesetzmäßigkeit der Lüge auf die Spur zu kommen.
    Die „Reinheit des Herzens“ (Z. 2518ff) hat mit der Übernahme der Sünden der Welt (und mit Herrschaftskritik) zu tun, während der affirmative Gebrauch des Weltbegriffs die Idee der Reinheit des Herzens zur Unkenntlichkeit entstellt, wenn er – durch die Logik des Weltbegriffs – sie als einen Begriff der Sexualmoral zu begreifen gezwungen ist (die kirchliche Sexualmoral konnte die entsetzliche historische Bedeutung nur gewinnen, nachdem mit der Idee einer „Entsühnung der Welt“ die Welt und mit ihr ihr Daseinsgrund: die Institutionen der Herrschaft, der Kritik entzogen wurden; zwangshaft reproduziert deshalb der neue „Welt“-Katechismus das autoritäre Syndrom).
    Der Eindruck, daß der Katechismus nur lieblos von der Liebe, von der Sexualität, von der „Natur des Menschen“ – um von dem eigentlich theologischen Bereich zu schweigen – redet, hängt mit dem ungeklärten Weltbegriff zusammen.
    Diese Katechismus erinnert nicht zufällig an die Trümmerlandschaften nach dem Kriege.
    Der Katechismus ersetzt die benennende Kraft der Sprache durch ihren Schein: die ernennende Gewalt der Autorität (ähnlich wie er die erkennende Kraft des Namens durch die bekennende Gewalt aller über alle ersetzt). Der Name des Goebbelsschen Ministeriums („Propaganda“) ist nicht zufällig kirchlichen Ursprungs. Die hierbei von der Kirche benutzte tabuisierende Gewalt des Begriffs des Heiligen, die selber bereits antijudaistisch war, ließ sich dann über das beliebig anzuheizende, Mordlust erzeugende Grauen vor den „Juden“ antisemitisch instrumentalisieren.
    Natur als Inbegriff des Andersseins ist durch den Tod vermittelt (Grund der „Todesangst“ von Getsemane: der Schweiß des Angesichts aus Gen 319 wird hier zu Schweiß und Blut).
    Die Begriffe Natur und Materie sind ohne Antisemitismus, Fremden- und Frauenfeindschaft nicht zu halten.
    Kommt der unsäglich erbauliche Ton (Verletzung der biblischen „Nüchternheit“) nicht daher, daß die an sich prophetische Wahrheit in die indikativische Dingsprache zurückübersetzt wird (Grund des Dogmatismus)? Durch den Indikativ wird das, was (wie die Idee des Ewigen) jeder Vergangenheit sich entzieht, unter die Vergangenheit subsumiert, ihrem Gesetz unterworfen, damit aber neutralisiert und entmächtigt. (Vgl. Mt 2327: Wehe auch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler: Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung.) Die Sprache des Katechismus ist die „fachidiotische“ Sprache derer, die sich von Berufs wegen damit befassen müssen, aber die Sache selbst um keinen Preis an sich herankommen lassen dürfen.
    Was im neuen „Welt“-Katechismus zur Trinitätsspekulation verkommt, war einmal nur die verdinglichte Beschreibung der Umkehr. Die Übersetzung metaphorischer Namen in Begriffe ist in einer Logik und in einem System vermittelt, dessen Hypostasierung das Objekt der Trinitätslehre ist. Es war der Weltbegriff, der (vermittelt durch den Natur- und Objektbegriff) die Begriffe von ihrem metaphorischen Sprachgrund getrennt hat.
    Das Urteil ist das gekreuzigte Wort.
    Hängt der Gottesname „Vater“ (dessen patriarchalische Konnotationen heute nicht mehr verdrängt werden sollten) mit der Übernahme der Sünden der Welt zusammen (wie der Vatername mit dem Begriff der Schuld, der der Mutter mit dem der Sünde)? Ist er nur der Name eines Äons?
    „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – aber nicht unseren täglichen Wein?
    Es gibt keinen Begriff ohne Empörung: jeder Begriff ist durch seinen Objektbezug über der Sache. Die „Natur der Dinge“ ist der Inbegriff ihres Andersseins. In der Erkenntnis des Andersseins (der „Natur“) der Dinge und als dessen Legitimation bildet sich der Weltbegriff.
    Der Freudsche Mythos von der Ermordung des Urvaters durch die Brüderhorde (der in dem christlichen Gottesnamen „Vater“ nachklingt) ist ein wesentlicher Beitrag zur Erklärung des Antisemitismus.

  • 09.01.93

    Hängt der Name des Pharao („das große Haus“?) mit dem gesellschaftlichen Begriffsfeld Haus (domus, dominus) zusammen; und gehört der Name des Sklavenhauses dazu?
    Zu Franz Rosenzweigs Bemerkung über Eugen Rosenstock: Ist nicht das Christentum generell die systematische Vermantschung der Symbole, notwendig im Kontext des projektiven Bibellesens, die den biblischen Text insgesamt zu einer erbaulichen Soße zusammenfließen läßt.
    Ist das Christentum nicht vorgebildet in der Geschichte Kains: mit dem zurückgewiesenen Opfer und dem daraus erfolgenden Brudermord am Anfang, dem „Bin ich denn der Hüter meines Bruders“, der anschließenden Stadtgründung und Kulturentwicklung, und schließlich mit Lamech am Ende. Welche Bedeutung haben hier die Parallelen und Differenzen der Geschlechterfolge Kains zu der des Set? Und was hat es mit dem Kainszeichen auf sich, und wer sind Ada und Zilla?
    Set ist nach Kain geboren (als Abel redivivus), aber Kenan, der den Stammbaum Kains im Stammbaum Sets eröffnet, ist sein Enkel (der Sohn seines Sohnes Enosch, Menschlein: Klein-Adams). Und Kain gründet eine Stadt, die er nach seinem Sohne Henoch nennt, Henoch aber, als Urenkel des Kenan (die Folge Henoch-Irad-Mehujael wird umgekehrt in Mahalalel-Jered-Henoch, danach kommen dann Metuschael/Metuschelach und Lamech), „war seinen Weg mit Gott gegangen, dann aber war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn aufgenommen“. Der kainitische Lamech nahm sich zwei Frauen, Ada und Zilla, und zeugte Jabal und Jubal, sowie Tubal-Kajin und Naama, der setische Lamech zeugte Noach.
    Ist nicht Metz‘ Theologie der Welt eine Konsequenz aus dem undurchschauten kainitischen Christentum (Folge der Verwechslung der göttlichen Verheißungen mit der Welt?
    Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (Begriff der Kritik): Gibt es eine selbstreferentielle Anwendung des Urteils auf die Urteilsform? Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch?

  • 15.06.92

    Das Adornosche Konzept einer Säkularisation theologischer Gehalte ist zweideutig: Vergessen wird, daß der innere Motor des Säkularisationsprozesses selber bereits Produkt einer Säkularisation theologischer Gehalte ist, der christlichen Theologie-Geschichte sich verdankt. Mit der Folge, daß es heute generell (auch unter den Schülern Adornos) nur noch theologische Halbbildung gibt: nichts mehr, was sinnvoll auf seinen rationalen Gehalt sich zurückführen ließe. Das „theologische Erbe“, auf das Adorno sich bezog, war nicht mehr nur „klein und häßlich“, wie Benjamin schon notierte, sondern für die Nachkriegsgeneration schlicht inexistent. Übriggeblieben waren nur die „theologischen Mucken“ der Ware, und deren Säkularisation war ja wohl nicht gemeint.
    Das Schuldbekenntnis ändert ebensowenig die Tat wie das Glaubensbekenntnis die „Tatsachen“.
    Ist nicht bereits die Trinitätslehre das erste Resultat der falschen Säkularisation (Produkt der Brechung der Theologie im Medium des Weltbegriffs: der Philosophie und des Rechts) und deshalb nicht mehr säkularisierungsfähig? Und sind nicht diese Rechenkunststücke von ein Wesen und drei Personen, eine Person und zwei Naturen, Nebenfolgen dieser Brechung? Kommt man der Sache nicht näher, wenn man Begriffe wie Substanz, Person, Natur als im historischen Prozeß – in einer konkreten Situation und in einem genau bestimmbaren Kontext – entsprungene Begriffe begreift und diesen Ursprung in ihr Verständnis mit hereinnimmt. Genau diese Begriffe sind es, die als unreflektierte den unreflektierten Weltbegriff und mit ihm den geschichtlichen Schuldzusammenhang in die Theologie hereingebracht haben (und Ursache dafür sind, daß christliche Theologie heute zum Prototyp theologischer Halbbildung geworden ist).
    Die Trinitätslehre hat einmal dazu verholfen, den Weltbegriff zu stabilisieren, an den sie gebunden ist. Dagegen bedurfte es der Trinitätslehre nicht mehr, nachdem diese Aufgabe vom Inertialsystem übernommen wurden (d.h. nach Begründung der naturwissenschaftlichen Aufklärung). Und genau das Inertialsystem ist Produkt der Säkularisation der Trinitätslehre. In diesem Prozeß ist der moderne Naturbegriff entsprungen. Seitdem ist die Theologie leer, tot und stumm geworden wie der Raum. Die Trinitätslehre wäre wirklich obsolet, wäre sie nicht die versteinerte Erinnerung an eine bis heute unbegriffene Vergangenheit. Und genau daran hätte sich die Erinnerungsarbeit abzuarbeiten, die heute allein noch Theologie heißen darf.
    Die Selbstverfluchung (in der Geschichte von den drei Verleugnungen) ist ein Resulat jenes Prozesses, auf den sich das Gebot „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ bezieht: In dem Maße, in dem die Kirche als richtende Instanz sich begreift, richtet sie sich selber. „Wer dieses Brot unwürdig ißt und diesen Wein unwürdig trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht.“
    Person und Schuld: Als Person bin ich freigesprochen vom gesellschaftlichen Schuldzusammenhang und nur für mein eigenes Handeln verantwortlich. Rührt dann nicht Auschwitz an die Grundlagen des Personbegriffs?
    Die Verdrängung der „Schuldgefühle“ dort, wo ich nichts ändern, nicht eingreifen kann (eigentlich in der gesamten beruflichen und politischen Sphäre, ebenso im Verhältnis zur Vergangenheit und zur Natur), ist der Tod der Sensibilität, der Tod der Erfahrungsfähigkeit: Grund der kollektiven Amnesie. Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ ist imgrunde eine Flucht vor der Zumutung der Schuldreflexion, die sich dann faschistisch als Heroismus verkleidet. Die pompöse Vorstellung, die wir mit dem Begriff der „Übernahme der Sünde der Welt“ verbinden, täuscht uns selbst insbesondere darüber hinweg, daß es sich hier um den ganz schlichten Grund der Erfahrungsfähigkeit handelt. Die benennende Kraft der Sprache ist nicht zurückzugewinnen ohne die Fähigkeit zur Reflexion von Schuld.
    Das „Staub bist du und zu Staub wirst du wieder werden“ erinnert an das projektive Moment im Materiebegriff, wobei an den Namen der Materie, an den Zusammenhang mit „mater“, zu erinnern ist. Liegt hier der Grund für den Zusammenhang zwischen Rousseaus Naturbegriff und dem Inzestmotiv in seinen Bekenntnissen? Und verweist das nicht zugleich auf die Konstellationen, aus denen die Hexenverfolgung entstanden ist?
    Das katholische Schriftverständnis scheint der Tendenz nicht mehr sich entziehen zu können, alles ins Banale und Erbauliche übersetzen zu müssen, um nicht an das erinnert zu werden, worauf es eigentlich ankäme.
    Wenn bei Augustinus das Glück der Seligen im Himmel den Anblick der Leiden der Verdammten mit einschließt, so ist das die genaue Umkehrung des Realgrundes des Christentums: der Sensibilisierung durch die Übernahme der Sünde der Welt (vos estis sal terrae). Hier wird ableitbar und kritisierbar, weshalb Augustinus die Erbschuld in die sinnliche Lust verlegen muß. Auch die verdinglichende Trennung von Leib und Seele, mit den merkwürdigen Ursprungskonzepten im Hinblick auf die Einzelseele, überhaupt der objektivierende (und instrumentalisierende) Erkenntnisbegriff gehört hierher. Diese Trennung ist mit dem Ursprung der modernen Naturwissenschaften obsolet geworden; sie ist (mit der Trennung von Welt und Natur) in ihren Ursprung zurückgekehrt: in die Herrschaft des Raumes über die Erkenntnis und die Urteilsform, den Inbegriff der Erbschuld und die Verkörperung des Baums der Erkenntnis
    Die kantische Unterscheidung von Schul- und Weltphilosophie und sein (bei Hegel sich entfaltendes) Votum für die Weltphilosophie ist die Grundlage und die Voraussetzung für die Konzeption der transzendentalen Ästhetik, insbesondere für das Konzept der subjektiven Form der äußeren Anschauung. Genau darin, in der subjektiven Form der äußeren Anschauung, manifestiert sich die unreflektierte (und fast unreflektierbare) Gewalt des Weltbegriffs über das Denken. Die Form der äußeren Anschauung ist gleichsam der Statthalter des Urteils der anderen im Einzelsubjekt. Und dieser Statthalter des Allgemeinen ist kommunikativ oder – wie Kant selber nachgewiesen hat – mit den Mitteln der Beweislogik nicht mehr zu erschüttern. Das einzige, das Kant festgehalten hat, was dann aber gründlich verdrängt wurde – nicht zuletzt mit Hilfe der scheinbaren Auflösung des Problems durch Hegel -, findet sich in den Antinomien der reinen Vernunft. Hier begründet er die Subjektivität der Formen der Anschauung mit dem Nachweis, daß die Fragen, ob der Raum endlich oder unendlich ist, oder ob die Zeit einen Anfang hat oder auf eine unendliche Vergangenheit zurückweist, mit den Mitteln der Beweislogik nicht entscheidbar sind. Dieser Nachweis der Subjektivität eröffnet den Raum zur Begründung der Freiheit (im Gegensatz zum Naturbegriff) und damit der praktischen Vernunft.
    Freiheit, die mehr ist als das liberum arbitrium, läßt sich nur im Kontext der Reflexion von Schuld begründen.
    Jede Apologetik enthält dadurch, daß sie sich der Logik des Diskurses, der Beweislogik (Kommunikation und Öffentlichkeit) bedient, etwas von der Identifikation mit dem Aggressor, nimmt von ihm etwas in sich hinein. Unter diesem Aspekt wäre die Geschichte der Theologie als Teil der Geschichte der drei Leugnungen zu begreifen.
    Die Theologen: Sind das nicht die falschen Freunde Hiobs?
    Der Begriff der Welt definiert das Eine als das Andere des Anderen, er schließt die Leugnung des Einen mit ein.

  • 02.02.93

    Bezeichnet nicht das Kreuz (das im NT schon vor der Passion und dem Kreuzestod als ein Inbegriff der Nachfolge erscheint) den Ursprung und das Medium der Objektivierung: des Zum-Objekt-Machens?
    Kreuz und Kelch: Das Kreuz als Orthogonalitätssymbol (Ursprung der Verdinglichung) ist ein Reflexionssymbol des Kelches (Symbol der Herrschaftsverblendung). Kreuz und Kelch verhalten sich wie Welt und Natur.
    Die Kirche: Ist das nicht der Abstieg zur Hölle, und das einzige, was ihr verheißen ist, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (Mt 1618), bedeutet dann nur: daß sich die Pforten der Hölle sich hinter ihr nicht schließen werden. Mehr noch: Ich werde die die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein. (1619)
    Hat nicht die Kirche seit je alle Symbole ins Positive (ins Erbauliche) umgelogen?
    Seit dem Zusammenbruch des Faschismus, mit dem der autoritäre Kern des kirchlichen Glaubens- und Bekenntnisbegriffs zerstört wurde, ist die Kirche insgesamt von der Furie des Verschwindens ergriffen. Johannes XXIII war der erste, der versucht hat, den autoritären Kern durch Erinnerung aufzusprengen, aber spätestens Johannes Paul II hat in paranoider Panik das Alte zu retten versucht und damit das Verschwinden nur beschleunigt. Heute verschwindet eine Position nach der anderen.
    War nicht das Marxsche Konzept der Versuch einer Wiedergewinnung der Prophetie; aber daraus hervorgegangene politische Sozialismus (insbesondere der „real existierende Sozialismus“), war er nicht die erste Gestalt des modernen Fundamentalismus? Der Marxismus hat gleichsam (ähnlich wie in der Frühzeit der Islam) in Kurzfassung die Kirchengeschichte wiederholt. In beiden Fällen war die Dogmatisierung (Bildung einer ideologisierten Orthodoxie) eine Folge der enttäuschten Parusieerwartung und der Anpassung an die Welt.
    Gott will nicht, daß das Wort leer zu ihm zurückkehrt. Das leere Wort ist der Begriff, der sich nur äußerlich auf ein Objekt bezieht, seine benennende Kraft verloren hat.
    Die Erkenntnis unterscheidet sich vom Wissen dadurch, daß sie sich nicht restlos vergegenständlichen läßt: daß sich das prophetische Moment darin nicht gänzlich tilgen läßt. Der Bendorfer Satz, daß nur zwei Positionen zur Prophetie zulässig seien:
    Entweder man ist selber Prophet, oder man ist Objekt der Prophetie; unzulässig ist die Position der neutralen Zuschauers, dieser Satz ist dahin zu verschärfen, daß man danach eigentlich nur noch Prophet sein darf. Jede andere Position ist verworfen.
    Am Ende des „Ursprungs des deutschen Trauerspiels“ hat Walter Benjamin die dämonischen Konnotationen des Begriffs des Wissens benannt (zusammen mit einem bedeutenden Hinweis auf den Zusammenhang von Wissen und Lachen, „Gelächter“). Nicht der Glaube, sondern die Erkenntnis bezeichnet den Gegenpol zum Wissen. Reines Wissen ist dämonisch, reine Erkenntnis wäre Prophetie. Und Jesus hat zwar nicht gelacht, aber die Dämonen ausgetrieben.

  • 23.08.91

    Wann wurde das Symbolum zur Confessio? Ursprung des kirchlichen Konfessionalismus, des religiösen Schuldzusammenhangs durch Subjektivierung des Symbolums, das damit zum Keim des autoritären Syndroms geworden ist. Zusammenhang mit Max Webers Rationalismus-Konzept; Doppelbedeutung des Begriffs der Entzauberung (Säkularisierung, Verweltlichung: Naturwissenschaft als Kloß im Hals der Theologie). Grund der Erinnerungslosigkeit; eines Begriffs der Frömmigkeit, der die Schrift zum Steinbruch für beliebige Zwecke der Erbaulichkeit macht, generell die Religion der idolatrischen Beliebigkeit und Verfügbarkeit preisgibt (Idolatrie und Instrumentalisierung); zu Konsumzwecken für Harmoniebedürftige. Folgen für die christliche Erlösunglehre, die Opfer- und Sakramentenlehre, die Christologie.

  • 28.04.91

    Zu den Problemen des Vaterbegriffs gehört es, daß die davidische Abstammung über Josef geht, Josef selbst aber nicht der Vater Jesu ist. Daß Josef später nicht mehr vorkommt, daß aber der Vaterbegriff Jesu trotz allem sehr auf Josef bezogen ist: daß er keinen Vater hat, macht ihm Gott zum Vater. Er hat eine Mutter (was hab ich mit dir zu schaffen?) aber keinen Vater. Der Vaterbegriff scheint dann ja auch in den einzelnen Evangelien mit unterschiedlicher Akzentuiereng, Betonung und Häufigkeit vorzukommen. Der Vaterbegriff ist – wie mir scheint – in der jüdischen Tradition so nicht vorgebildet. Mit dem Vaterbegriff hängt dann auch der fatale trinitarische Begriff der Zeugung zusammen. Frage: Ist das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben …, eine Widerlegung oder eine Bestätigung des Christentums? Oder ist die Zweideutigkeit des Zeugungsbegriffs nur eine Suggestion des deutschen Sprachgebrauchs? Im Lateinischen wird zwischen dem generare und dem testare unterschieden.
    Die Atome, Moleküle (Avogadrosche Zahl), Elementarteilchen sind Knotenpunkte des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierten Inertialsystems.
    Ist der „unbewegte Beweger“ des Aristoteles der Inbegriff aller Gravitationszentren (zumindest ist er das seit den Kant-Laplaceschen Weltentstehungstheoriem geworden)?
    Die christliche Theologie war seit ihren Anfängen Apologetik. Ihr beliebtestes Werkzeug war – spätestens seit dem ontologischen Gottesbeweis – die Theodizee. Beide, der ontologische Gottesbeweis und die Theodizee, sind den Theologen spätestens mit Auschwitz aus der Hand geschlagen worden. Ist die Trinitätslehre auch eine Gestalt der Theodizee, oder nur ihr systemlogischer Ursprung? Wenn die Theologen nicht in der gleichen Geschichte das Hören verlernt gehabt hätten, hätten sie diese Katastrophe vorher kommen hören (in ihrer eigenen Sprache, in der Sprache der Erbaulichkeit). Die Theodizee war seit je ein Teil der Scheinheiligkeit, die sich im kirchlichen Pomp aufs drastischste manifestiert und darin sich um die Gottesfurcht herumgelogen hat. Wenn doch diese verstockte Christenbande endlich begreifen würde, welche Konsequenzen sie aus dem Nachfolge-Gebot ziehen müßte und daß nicht Gott sich für das Böse in der Welt rechtfertigen muß.
    Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ bleibt an die Begriffe von Natur und Subjekt gebunden, die eigentlich zu kritisieren wären.
    Kennzeichnend für den Zustand der Theologie ist es, daß von den zentralen theologischen Kategorien wie z.B. Gottesfurcht oder „im Angesicht Gottes leben“ nur noch ein erbaulicher Gebrauch gemacht wird, der in den Kontext der Scheinheiligkeit hineingehört. Grund ist die metaphysische Interpretation des Ergebnisses der Säkularisation.
    Das wesentlich Neue bei Marquardt ist, daß er begriffen hat, daß nach Auschwitz jede apologetische Haltung gegenüber den Juden untersagt ist; nicht begriffen hat er, daß Mission (die Ausbreitung des Bekenntnisses) insgesamt eine Form der Apologetik ist. In diesem Zusammenhang erweist sich „Empörung“ (der Quellpunkt des autoritären Denkens) als die Versuchung, der unsere Theologie immer wieder erliegt.
    Die Einführung des Personbegriffs in die Theologie war die Folge einer falschen Übersetzung durch Tertullian; im Griechischen heißt es soma. Genau hier ist der Punkt, an dem das physische Martyrium (die Heiligung des Gottesnamens) durch das seelische Selbstmitleid ersetzt wird. Hier setzt sich die Kirche an die Stelle der Armen und der Fremden und begründet so ihre hierarchisch-autoritäre Struktur (und den Pompzwang). Durch den Personbegriff ist die Sünde wider den Heiligen Geist fest in der Theologie installiert worden. Und hier ist der Punkt, an dem Gott, Mensch und Welt fast unrettbar in den Schuldzusammenhang eingebunden worden sind.
    Trug meine Anpassung an kirchliche Bräuche, insbesondere mein Verhalten im Gottesdienst, vielleicht doch von Anfang an subversive Züge: Ich wollte nicht (zu früh) erkannt werden. Hierzu paßt es, daß ich nach dem Krieg sehr kurzentschlossen Theologie studieren wollte, mir aber nie vorstellen konnte, einmal Priester zu werden.
    Auf eine wirkliche Berufung kann man sich nicht berufen (zum Titel des Professors). Bedeutung des Begriffs Berufung: jdn. berufen, sich berufen, berufen werden, Berufung einlegen.
    Im Begriff des Feindbildes verschmelzen die Übertretungen des Bilderverbots und des Gebots der Feindesliebe. Sind nicht alle Bilder Feindbilder? Sind nicht Idole (Götzenbilder) Projektionsflächen für die Identifikation mit dem Aggressor und deshalb untersagt? Und ist nicht das Gebot der Feindesliebe der subjektive Aspekt des Bilderverbots?
    Der Dekalog wird traditionell so aufgeteilt, daß die ersten drei Gebote als die eigentlich theologischen Gebote als die wichtigsten angesehen werden, während die folgenden nur das Zusammenleben der Menschen regeln, somit zweitrangig sind. Könnte es nicht sein, daß bei näherem Hinsehen die Akzente sich doch ein wenig verschieben.
    – Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten: bedeutet doch auch, daß es untersagt ist, Theologie hinter dem Rücken Gottes zu betreiben.
    – Ebenso das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden. Hier geht es nicht um die autoritäre Familienbindung, sondern darum zu begreifen, daß man die Eltern nicht als Projektionsfolie für eigene Fehler nutzen darf, daß man am Ende selbst die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen muß.
    Susanne Albrecht und Ezechiel: Das „dixi et salvavi animam meam“ ist nur einem Propheten (im Rahmen von Herrschaftskritik) erlaubt; im profanen Gebrauch (im Rahmen der Kronzeugenregelung) wird es zur Denunziation, zur Verletzung des achten Gebots. Sie hat ihre Haut, nicht ihre Seele gerettet.
    Die Staatsfrömmigkeit, die im Titel des Staatsanwalts sich ausdrückt, hat u.a. lutherische Ursprünge (bzw. paulinische). Und der Säkularisierungsschub, den der Protestantismus ausgelöst hat, hat offensichtlich seine Grenze in seiner Beziehung zum Staat. Und diese Staatsbeziehung ist es, die den Protestantismus auf spezielle Weise anfällig gemacht hat für den Antisemitismus, d.h. auf pathologische Weise empfindlich gemacht hat gegen das Moment von Herrschaftskritik, das in der jüdischen Tradition enthalten ist. Hier scheint der kritische Punkt beim Friedrich-Wilhelm Marquardt zu liegen, wenn er sein Votum für Israel auch auf den israelischen Staat bezieht.
    Kann es sein, das Marquardtsche Votum für den Staat Israel damit zusammenhängt, daß Israel durch den Staat in den Bekenntnizwang hereingezogen wird? Und Henryk M. Broder und Micha Brumlik sollten vielleicht doch einmal darüber nachdenken, ob nicht ihre Stellungnahmen in der letzten Zeit mehr mit der Schaffung „klarer Fronten“ als mit einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zu tun haben, und ob nicht die Aufteilung in Gute und Böse, und die Anwendung des Prinzips „Wer nicht für mich ist, ist wider mich“ in die Mechanismen hineinführt, aus denen der Antisemitismus erwachsen ist: das ist ein böses Erbe des Christentums. Mir ist ein Jehoshua Leibowitz immer noch lieber als ein Micha Brumlik der auf den Bileam Marquardt hereinfällt.
    Zur Kritik von Metaphysik: Die Verwechslung von Kontingenz und Geschöpflichkeit ist identisch mit der Verwechslung des Untertans mit dem Geschöpf (und des Staats mit dem Schöpfer: hier trifft die gnostische Kritik des Schöpfergotts).
    Wie hängt die Institution des Bundespräsidenten mit der Bekenntnislogik zusammen (Personalisierung des Staates)?
    Der Behemoth reicht (wie der Leviathan) in die Saurierzeit zurück; das Rätsel beider läßt sich wahrscheindlich nur gemeinsam lösen.
    Was kommt alles zweifach vor? Jahwe und Elohim, die Urflut und die Wasser (über denen der Geist brütet), die Wasser über und unter dem Firmament, Mond und Sonne, herrschen über Tag und Nacht, Behemoth und Leviathan, Kain und Kenan, Adam und Noach.
    Zur Konstruktion der Verblendung, des Verblendungszusammenhangs: Grundlage ist die Empörung, die Konstitution des Herrendenkens, des vergesellschafteten Subjekts; vorbedeutet im Verhältnis von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sonne und Mond, Wachen und Schlaf, Leben und Tod, Name und Begriff. Wir werden geweckt, auferweckt, wenn wir beim Namen gerufen werden. Zusammenhang mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (Idee der Gegenwart).
    Wo und in welchem Zusammenhang erscheint in der Schrift die Aufforderung zu wachen? Wie hängt das Gebot zu wachen mit dem Beten zusammen?
    Hier sind die Kinder dieser Welt wieder einmal klüger als wir: Im brain-storming haben sie längst entdeckt, was heute nottut (allerdings auch wieder unter Kontrolle gebracht): die Erinnerungsarbeit.
    Im Schöpfungsbericht gibt es sieben Tage, aber nur sechs Nächte: nach dem siebten Tag gibt es keine Nacht.
    Hat nicht der Aufklärungsprozeß, die Geschichte der Säkularisation, die ganze Welt in Nacht getaucht? Die Romantik hat nur den Mond entdeckt, nicht die Sonne. Und die Kirche wird den Herrn dreimal verleugnen und beim Hahnenschrei erwachen.
    Ferdinand Ebner und Florens Christian Rang sind wohl die ersten im Christentum gewesen, die im Ansatz begriffen haben, welche Konsequenzen sich aus der Idee eine Theologie im Angesicht Gottes ergeben. Bei Florens Christian Rang in seiner Idee einer messianischen Erkenntnistheorie und in dem Ziel, nicht die Unendlichkeit Gottes, sondern seine Endlichkeit zu begreifen. Ferdinand Ebner fällt hinter seine eigene Einsicht zurück, wenn er die Ich-Du-Beziehung wieder in seine Ich-Einsamkeit zurücknimmt. Christ kann man nicht alleine sein, nur gemeinsam mit anderen. Das gemeinsame Gebet, die gemeinsame Auflösung der Ich-Einsamkeit: die Ausgießung des Geistes.
    Die Vergöttlichung Jesu, die ihn zum Objekt der Anbetung macht, ist der Balken im christlichen Auge. Hier wurde auf Erden gebunden, was dann auch im Himmel gebunden war; der Weg der Nachfolge versperrt. Vgl. Büchners „Lenz“: Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
    Mit dem homoousia haben wir ihn getötet, den cäsarischen Wahn, mit dem wir Macht über den Vater zu erlangen suchten, in die Fundamente der westlichen Zivilisation mit eingebaut. Der Preis dafür war der Antijudaismus (und schließlich der Antisemitismus, die letzte Reichsideologie). „In hoc signo vincis“: Als Siegeszeichen wurde das Kreuz zum Zeichen des Tieres.
    Großartig erinnert Freud an „die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen“. (Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Fischer Bücherei, Frankfurt 1958, S. 193)
    Gott schuf:
    – Himmel und Erde,
    – das Licht (1),
    – alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
    – den Menschen (6).
    Gott schied:
    – das Licht von der Finsternis (1),
    – die Wasser unterhalb des Gewölbes von den Wassern oberhalb des Gewölbes (2)
    Gott machte:
    – das Firmament (2),
    – die Lichter am Firmament (4),
    – alle Arten von Tieren des Feldes, alle Arten von Vieh und alle Arten von Kriechtieren auf dem Erdboden (5).
    Es sammle sich:
    – das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde (2).
    Das Land lasse wachsen:
    – junges Grün, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin (3).
    Das Land bringe hervor:
    – alle Arten von lebenden Wesen, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes (5).
    Gott nannte:
    – das Licht Tag und die Finsternis Nacht (1),
    – das Gewölbe Himmel (2),
    – das Trockene Land, das angesammelte Wasser Meer (3).
    Herrschen sollen:
    – das größere Licht über den Tag, das kleinere über die Nacht (4),
    – die Menschen: unterwerft euch die Erde und herrscht über die Fische des Meeres, das Vieh, die Vögel des Himmels und alle Kriechtiere auf dem Land (6).
    Gott segnete:
    – alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
    – die Menschen (6),
    – den siebten Tag (7).
    Nahrungsgebot:
    – Für die Menschen alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen und alle Bäume mit samentragenden Früchten (6),
    – für die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und alles, was sich auf Erden regt, was Lebensatem in sich hat: alle grünen Pflanzen (6).

  • 22.01.91

    Zu Metz: „Zur Theologie der Welt“. Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht den Theologen ihr „Wissen über Gott“ aus der Feder rinnt. Wie schnell sie den biblischen Hinweis auf die Gottesfurcht (den „Anfang der Weisheit“) beiseitelegen. In dem Zitat aus 2 Kor 119 (S. 18) wird der entscheidende Satz einfach ausgelassen, dann werden aus dem verkürzten Zitat Konsequenzen gezogen, die dem Kontext exakt zuwiderlaufen. Das Ja gilt nicht der Welt (auch nicht „dem Menschen“ – S. 51), sondern den göttlichen Verheißungen. So verbaut sich J.B. Metz schon a limine den Weg zum Verständnis des Weltbegriffs und seiner in der Tat zentralen Bedeutung für die Theologie der Geschichte: Theologie als Erinnerungsarbeit und parakletisches Denken (Kritik des realen und historischen Kolonialismus: der Hypostasen der Empörung, der Verführung zum Richten; Errettung der vergangenen Hoffnung, der Hoffnung für die Opfer und für die bis heute unabgegoltene Güte; Auflösung der den Weltbegriff konstituierenden Verdrängungen).
    Ableitung der christlichen Weltkritik aus Mt. 1016: Aus der Prämisse, eine kritische Aufarbeitung der Erfahrung der Wolfswelt und eine Begründung der Güte, sei unmöglich, zieht jeder Faschismus seine zynisch-verzweifelten Schlüsse: von der Mordlust bis zur Gräberschändung.
    Beispiel theologischer Hybris: Metz fragt nicht mehr, ob, sondern nur noch „wodurch (es sich) zeigt, daß unser Glaube eben ein christlicher Glaube ist, der weiß (!), daß die weltliche Welt von Gott je schon eingeholt ist, ja, daß sie in ihrer radikalen Weltlichkeit nur erscheinen kann, weil sie von Gottes befreiendem Ja jeweils schon übergriffen ist“ (S. 42, Hervorhebungen von mir, H.H.). Ein Glaube, der „weiß“, verletzt sein eigenes Prinzip; und das „je schon“ erinnert außer an die Heideggerei und den Jargon der Eigentlichkeit nicht zufällig an die Geschichte vom Hasen und vom Igel: Ick bün all do. Dabei ist das Metzsche Konstrukt nicht einfach nur erfunden, erbauliches Geschwätz, sondern es verweist auf einen sehr ernst zu nehmenden Sachverhalt: Es ist in der Tat dieses christliche Erbe eines Glaubens, der im Kontext der Geschichte des Dogmas und des Bekenntnisses, der Konfessionalisierung der Kirche(n), für sich die Form des Wissens beansprucht: Grund der anders nicht zu erklärenden Neigung des konfessionalisierten Christentums (und seiner politisch-staatlichen Erben) zur wütenden Aggression gegen jeden, der das geforderte Zwangsbekenntnis verweigert (Bekenntnis als technisches Instrument zur Nutzung des Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor). Nicht zufällig war der „Weltanschauungskrieg“ der Nazis, der in der Tradition der christlichen Ketzerverfolgungen und der Bekehrungskriege steht, einer der brutalsten Kriege der Geschichte, und dazu einer, der die Täter fast ohne das Bewußtsein von Schuld zurückgelassen hat. In diesem Kontext ist das Konzept von der „Annahme der weltlichen Welt“ und von „Gottes befreiendem Ja“ zumindest mißbrauchbar.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist (Wittgenstein): Aber das Ja und Amen ist nicht das Ja und Amen zum Fall, dessen unwiederrufliche Bestätigung, sondern im Gegenteil: das Ja und Amen zur Verheißung, daß das Opfer und die alltägliche Erfahrung des Unrechts nicht das letzte Wort sind.
    Das fundamentalontologische „je schon“ ist der genaueste Ausdruck der aktiven Verdrängung, der Unterdrückung von Erfahrung, des Nicht-Wahrhaben-Wollens; es schafft genau die double-bind-Situation.
    Bevor die Grundlagen der Instrumentalisierung der Welt (das Trägheitsgesetz und die Prinzipien der Mechanik) draußen entdeckt werden konnte, mußten sie (unterm Gesetz des Zwangsbekenntnisses) internalisiert und als Form der Welterfahrung schon ausgebildet und vorhanden sein. In diesen Zusammenhang gehört die ganze Säkularisierungsdiskussion.
    Das Bekenntnis ist die Grundlage des Zivilisationsprozesses (die Fähigkeit zum Bekenntnis die Grundlage des zivilisierten Lebens). Aber es ist nur haltbar, wenn es die Selbstreflektion mit in sich aufnimmt.
    Die kritische Selbstreflektion des Bekenntnisses ist die Voraussetzung für eine kritische Reflektion der Naturwissenschaften (und des Naturbegriffs): Einheitspunkt einer sich wechselseitig aufklärenden Natur- und Geschichtsphilosophie (einer wechselseitigen Kritik von Schelling und Hegel).
    Die Naturwissenschaft ist seit Galilei das Trauma der katholischen Theologie: Grund der entsetzlichen und heute explosiv sich ausbreitenden Verwirrung.
    Zusammenhang von: Bekenntnis, Empörung, richtendem Urteil, Freund-Feind-Denken, Herrendenken, Gemeinheit; Weigerung, Begriffe wie Fall und Empörung durch Definition zu entschärfen, anstatt durch Hinhören wieder in ihren theologischen Rang einzusetzen.
    Ursprung der Gemeinheit aus dem Christentum: Bekenntnis als Alibi und Erinnerungsersatz; Komplizenschaft der Gläubigen; Bekenntnis als Zwangsbekenntnis des anderen; Rache für das, was man sich selbst antun muß; Christentum als Ausrede; Verdrängung und Projektion. Opfertheologie, Gnaden- und Sakramentenlehre; Rechtfertigungslehre: Ausbeutung des Leidens Jesu statt Nachfolge (Opfer statt Barmherzigkeit). Veränderung des Glaubens durchs Zwangsbekenntnis, durch Verdinglichung, durch Zeitumkehr (Rosenzweig: die verandernde Kraft des Seins. Studium der Berichte aus Auschwitz.
    Daß nach Metz „das Christentum … als zunehmende Entgöttlichung und in diesem Sinne Profanisierung der Welt erscheinen (muß), als deren Entzauberung und Entmythisierung“ (S. 30), stimmt nur zum Teil und da auch nur bedingt, nämlich insoweit, als die Entmythisierung im Verhältnis zur Offenbarung, nicht jedoch zur wissenschaftlichen Aufklärung, verstanden wird. Die Entzauberung im Sinne der Säkularisation (und Instrumentalisierung, Subsumtion unter die gesellschaftliche Herrschaft) unterliegt der Dialektik der Aufklärung: Auch diese Entzauberung fällt in den Mythos zurück (nur daß er als gegenwärtiger Mythos nicht so leicht wie der vergangene sich durchschauen läßt).
    Wird in dem Konstrukt „Freisetzung der Welt ins Eigene und Eigentliche“ (S. 31) nicht Sündenfall und Erlösung verwechselt? Das ist nun wirklich bürgerliches Christentum (das Proletariat wird nicht der Gesellschaft, zu der man selbst gehört, zugerechnet, sondern der im historischen Prozeß unterworfenen, beherrschten Natur. Und die Vorstellung, „in der Verweltlichung der Welt (setze sich) ein genuin christlicher Antrieb geschichtlich durch“ (S.31), erinnert an die Apartheidstheologie, an die Gleichsetzung von Kolonialismus und Christianisierung. Hierauf paßt der Horkheimersche Satz: Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum (die Religion der Feindesliebe), aber auch keine, in deren Namen vergleichbare Untaten begangen wurden. Daß auch diese letzteren Dinge christlichen Ursprungs sind, soll nicht bestritten werden; aber das ist dann das Gegenteil einer Rechtfertigung (und nach Rechtfertigung klingt zumindest der oben zitierte Satz). Die Theologie ist nur zu retten, wenn die Säkularisationsdebatte endlich der paranoiden Vorstellung sich entzieht, nach Galilei sei eine Kritik der Naturwissenschaften nicht mehr möglich. Sie ist nicht nur möglich; ohne diese Kritik ist die Theologie nicht zu retten: sowohl im Rahmen einer immanenten Diskussion des Stands der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selbst, als auch als Teil einer Kritik des philosophischen und mythischen Erbes der Theologie, gleichsam als Teil ihrer Selbstbekehrung.
    Die Säkularisation als Verweltlichung der Welt ist so aus Herrensicht gesehen: Ausgeschlossen sind die Juden, die Frauen, die Arbeiter, die gesamte „nichtzivilisierte Welt“; ausgeschlossen ist der Rohstoff- und der Produktionsbereich, zu der auch die Arbeitskräfte gehören (als Teil der ausgebeuteten Natur); im Blickfeld ist nur die (heile) Warenwelt. Hierauf beziehen sich auch die unreflektierten Erlösungsvorstellungen: Wer oben ist, ist dem Bann der Natur entronnen, ist befreit, ist exkulpiert. Und solange das, was unten erfahren und erlitten wird, nicht laut wird, ist die Welt in Ordnung.
    Theologie nach Auschwitz ist Kritik der Theologie hinter dem Rücken des lieben Gottes (Kritik der Hybris und der Anmaßung, die vorgibt, „über Gott“ etwas zu wissen; Rosenzweigs: „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott“ ist die geniale Lösung dieses Problems).

  • 05.01.91

    Zusammenhang des Bekenntnisses mit den Strukturen und Mechanismen, die die Markenzeichen und -namen begründen. Der Markenname ist ein reiner Kollektivname, kein individueller Name; er steht aber auch nicht in der hierarchisch-genealogischen Folge von Gattung und species; er tendiert vielmehr zur reinen Differenz, und zur Tautologie (mit der Nähe zur Blasphemie: Persil bleibt Persil). Er usurpiert die Funktion des Namens, im Gegensatz zum Begriff (die gleiche Struktur und Funktion wie Markennamen haben heute Firmen-, Partei- und Vereinsnamen: auch diese fordern heute das Bekenntnis; und überall reagieren die Anhänger so wie die Kinder, die nur Adidas-Schuhe tragen wollen; jeder Kauf- und Wahlakt ist bereits ein Bekenntnisakt). Genau an dieser Stelle wird etwas vom Problem des Bekenntnisses sichtbar, das ursprünglich das Bekenntnis des Namens war, diesem Bekenntnis befreiende Funktion zusprach. Wenn Christus später dann gleichsam als Familienname (Vorname Jesus) verstanden wurde, nicht mehr als Bezeichnung des Messias, so zeichnet sich hier der Zerfall des Bekenntnisses ab: die Ersetzung des Namens durch die Person, die er bezeichnet, und den Begriff, der dann am Ende wieder zum Namen wird. (Reklame verschweigt den Tod: verweigert und verdrängt wie das Zwangsbekenntnis die Erinnerungsarbeit.)
    Das christliche Bekenntnis tritt die Nachfolge der Magie an, wenn es von der Nachfolge Christi getrennt wird. Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte der Remagisierung des Christentums (Sakramentenlehre). Das Zwangsbekenntnis ist genau so hilf- und wirkungslos wie der Regenzauber. Und die Hexen wurden nur deshalb so wütend vefolgt, weil sie an dieses magische Selbstverständnis des Christentums erinnerten. Die Gewaltbereitschaft der Gläubigen ist der Reflex auf dieses magische Selbstverständnis, an das man selber nicht mehr glaubt: die reale Gewalt soll ersetzen, was die magische nicht mehr leistet.
    Das jüdische Bekenntnis, das „Höre Israel“ ist ein Liebesbekenntnis und ein Schuldbekenntnis zugleich. Das christliche Bekenntnis behält davon nur die formale Hülle zurück: die Verknüpfung eines vergangenen Ereignisses (Repräsentant der Schuld, die zugleich das Projektionsangebot enthält) mit einer zukünftigen Hoffnung, Erwartung (der Begründung der Möglichkeit der Liebe, des rechten Handelns).
    Ist der Neue Bund (das Novum Testamentum) ohne das Nachfolgegebot überhaupt tragfähig?
    Das Christentum ist heute zentral vom Gedächtnisverlust, vom Vergessen, von der Erinnerungslosigkeit geprägt; Ausdruck dessen sind seine erbaulichen Versionen (die es in verschiedenen Gestalten gibt). Es bedarf großer Anstrengung, um durch Erinnerungsarbeit wieder zum eigentlichen Inhalt durchzudringen. Theologie könnte diese Erinnerungsarbeit sein. Voraussetzung wäre, daß die Vorkehrungen außer Kraft gesetzt werden, die durch ihr Gegenstands- und Wahrheitsverständnis diese Erinnerungsarbeit gerade ausschließen. Die dogmatische Theologie leistet durch ihr Erkenntnisgesetz gegenüber ihrem eigenen Inhalt dasselbe wie die Naturwissenschaften gegenüber der Natur. Kann man Theologie treiben ohne Gottesfurcht?
    Der sogenannte Urknall, der Big Bang, war nicht am Anfang, sondern kommt, wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen, am Ende.
    Welt und Natur sind – auch als philophische Begriffe – politischen Ursprungs, in der Theologie nur Gegenstand der Kritik.
    Ist der Turmbau zu Babel ein Typos des hierarchischen Denkens? -Zur Geschichte der Architektur: Vom Turmbau zu Babel zum Haus des Seins.
    Der Personbegriff, der den Träger des Namens bezeichnet, neutralisiert den Namen, macht ihn verwaltungsfähig.
    Die Neutralisierung des Messiasnamens durch das griechische Christus, hat diesen Namen herrschaftsfähig (und in einer fatalen neuen Weise bekenntnisfähig) gemacht: Durch die neue Form des Bekenntnisses wurde das Christentum unter Narkose gesetzt.
    Herrendenken setzt Reflexion voraus und verdrängt sie zugleich (durch listigen Gebrauch). Oder: Herrendenken ist zweite Unmittelbarkeit, die die erste verdrängt.
    Die Ursprünge des Christentum liegen bei Juden, Ketzern und Frauen: Deshalb wurden diese in der Geschichte des Christentums immer wieder verfolgt (Kampf gegen die Erinnerung). Zusammenhang mit der Entwicklung der Kirche, der Einführung des Bischofsamtes, der Entstehung und Festlegung des Schriftkanons und der Entwicklung des Dogmas: Der Kanon ist antijüdisch, das Dogma antihäretisch, das Bischofsamt sexistisch. Oder die Gefahr des Kanons ist die der Leugnung des Vaters, die des Dogmas die der Leugnung des Sohnes und die des Bischofsamtes die der Leugnung des Heiligen Geistes.
    Das Bekenntnis ist das vergeistigte Martyrium, und die Vergeistigung die Identifikation mit dem Aggressor. Zusammenhang mit den evangelischen Räten (Gehorsam, Armut, Keuschheit: Absterben des Eigenwillens, des Eigentums und der Sinnlichkeit): darin ist das Martyrium (durch Formalisierung) im Hegelschen Sinne aufgehoben. Zugleich wird das zentrale Moment der Nachfolge verraten und unkenntlich gemacht.
    In der Auseinandersetzung mit den Häresien hat die Kirche durch Identifikation mit dem Aggressor das häretische Prinzip in sich mit aufgenommen: jeder Sieg über die Häresie war eigentlich eine Niederlage.
    Der Faschismus ist die letzte Verkörperung der Sünde wider den Heiligen Geist; er war aber insofern nur die „Generalprobe“, als der Antichrist am Ende diese Verkörperung in der Verkleidung des Christentums selber darstellen wird.
    Pater noster, qui es in caelis: nicht „in caelo“ (aber: fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra).
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit rührt an die Idee des Ewigen. Wenn es gelingt, diesen Punkt genau herauszuarbeiten, müßte es möglich sein, die Naturwissenschaften von ihrem Bann zu befreien.
    Ist die dogmatische Bindung des Christen an die Trinitätslehre, an die Bekenntnispflicht, Modell der Beziehung des materiellen Objekts zum dreidimensionalen und ein früher Vorgriff darauf?
    Ist das Bekenntnis, das Symbolum ein reales oder ein stellvertretendes Bekenntnis (für die ganze Kreatur)? Nur so wäre das Zwangsmoment in Freiheit umzukehren. Ein Glaube, der nur für sich glaubt, der nicht die Armen und die Fremden, die Leidenden, die Unterdrückten und die Zukurzgekommenen mit einschließt, ist irreal.
    Eine Lehre, die wie ein Besitztum streng gehütet wird, anstatt im Wandel des historischen Prozesses neu gewonnen zu werden, verkommt, stirbt ab.
    Ist die Kirche etwa der Lazarus („Herr, er riecht schon“ – oder auch der, der die Brosamen an den Tischen der Reichen aufliest).
    Wer ist der Adressat des Confiteor (deus omnipotens etc.)? Und in welchem (inhaltlichen und funktionalen) Verhältnis steht das Confiteor zum Credo in der Messe? Konstruktion der Messe: Stellung und Bedeutung des Lavabo?
    Das pathologisch gute Gewissen ist sowohl katholisches Erbe als auch ein Rechtsinstitut (Bedingung des Urteilens): Niemand hat das autoritäre Exkulpationsritual nötiger als Staatsanwälte und Richter.
    Die Derrik- uund Schymanski-Mentalität, die im Vorhinein schon weiß, wer der Schuldige ist, ihn dann nur mit allen Mitteln zur Strecke zu bringen sucht (wobei das Vorauswissen als Rechtfertigung auch brutaler Mittel benötigt wird).
    Wenn man Längenkontraktion und Zeitdilatation zusammennimmt, wie ändern sich dann die Geschwindigkeiten? Die Strecken werden kürzer, die Zeiten dehnen sich: müßte nicht die Geschwindigkeit sich gleich bleiben? Gibt es auch den umgekehrten Effekt der Zeitkontraktion und der Längendilatation? – die umgekehrte Relation des ruhenden zum bewegten System (anhängig von der relativen Richtung von Licht und bewegtem Objekt)? Gibt es eine Beziehung zwischen diesen beiden Beziehungen?
    Verweist das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht bei den Dinosauriern auf eine andere Gravitationsstruktur? Und weist das plötzliche Aussterben der Dinosaurier auf eine Änderung in dieser Struktur hin? – Maus/Elefant: Kurz-/Langzeitgedächtnis?
    Die Weltkriege als Phasen des Weltuntergangs begreifen. Wir leben in den Trümmern, die der Wiederaufbau nur verdeckt, nicht wirklich beseitigt hat, und merken es immer noch nicht. Geduld und langer Atem sind notwendig, um in den Bruchstücken die Elemente der neuen Welt zu finden und an ihrer erneuten, veränderten Zusammensetzung mitzuarbeiten.
    Wer der Gewalt der Sprachzerstörung, die in den Begriffen liegt, nicht verfallen will, muß die benennende Kraft der Sprache zurückgewinnen. Das wäre die Aufgabe der Philosophie heute. Insbesondere bedarf es heute der adamitischen Kraft, die beiden Tiere zu benennen. Zentrales Modell für die Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Philosphie wäre heute die Kritik der Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften sind keine Weltbild-Produzenten, sondern sie bergen in sich die subversive Kraft, die die Weltbilder zerstört.
    Hegel hatte geglaubt, das Bild einer neuen Welt erstellen zu können; das war sein Fehler. – Die kommende Welt – wie immer sie auch sonst beschaffen sein mag -, eines ist gewiß: sie ist bilderlos.
    Die Umkehrung des Trotzes war die Liebe, die des Charakters die geliebte Seele. Nach Rosenzweig ist das Bekenntnis der Seele die Antwort auf die Offenbarung.
    Ist der dreifache Verrat des Petrus auch inhaltlich unterschieden?
    Die Virginitas ist ein Symbolum, kein Biologicum.
    Seit der Phänomenologie ist der theologische Gebrauch des Begriffs der Anschauung obsolet geworden. Die Phänomenologie hat als reine Theorie zugleich dieses zentrale Moment der philosophischen Tradition, die Theoria, liquidiert (Zusammenhang von Anschauung und Bekenntnis!).
    Nicht die Umwertung aller Werte, die vielmehr genau in die Katastrophe hineinführt, zu deren ersten Vorboten gehört, sondern die Kritik des Wertbegriffs selber, genauer: die Kritik jenes Begriffs der Objektivität, in dem der Begriff des Werts entspringt, sich konstituiert, ist der Anfang der neuen Philosophie.
    Der engliche „cant“ war für Max Scheler die Projektions-Müllhalde, auf der er alles abladen konnte, was er in sich selbst verdrängen mußte.
    Man kann sich zu einer Sache bekennen, von der man überzeugt ist.
    Schellings „das Zukünftige wird geahnt“ stellt eine Beziehung zur Zukunft her, die dem des Schicksals entspricht. Die Zukunft ist etwas, was von außen her eintritt, außer jeder Beziehung zum eigenen Handeln, von dem für den, der nur noch „ahnt“, nichts mehr abhängt.
    Eine Zukunft, von der man „überzeugt“ ist, ist entweder Gegenstand einer negativen Prognose (Vorteil: wenn’s eintrifft, behält man recht, wenn nicht, wird die Prognose vergessen) oder aber Gegenstand eines (zwangsweise) geglaubten Bekenntnisses. Das reale Verhältnis zur Zukunft ist das der Gottesfurcht: eben diese wird durch die Überzeugung verdrängt.
    Wer die Zukunft dingfest machen will, erträgt es nicht, in der Gottesfurcht zu bleiben: er verachtet die Weisheit. Er ist zum Verdummen verurteilt.
    Wenn Erkennen etwas mit der Zeugung zu tun hat (Adam erkannte sein Weib …), dann ist das Überzeugen eine Vergewaltigung.
    Verhältnis von chemischem und juristischem Prozeß: Am Ende bleibt die Asche.
    Die Fundamentalontologie ist die in objektloser Angst erstarrende Hypostasierung des Wissens, das dann keines mehr ist.
    Zur philosophischen Bildung heute gehört die Lektüre des „Angehörigen-Info“.

  • 23.05.90

    In jeder Feindschaft steckt ein Stück Projektion. Diesen Sachverhalt als Interpretationsmuster verwenden bei der Analyse von Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung. Was mich zur Empörung reizt, bin ich selber. So hat z.B. die Gesellschaft in den Hexen sich selbst erkannt: das Totenreich, das sie selbst zu errichten auf dem Sprunge war. Und das Erschrecken war ein Erschrecken über sich selbst. Als die Welt verhext wurde, wurden die Hexen verfolgt. Das Rätsel Swedenborg lösen hilft sicher mit, das Rätsel des Hexensabbat zu lösen.

    Ableitung der Gottesidee aus dem theologischen Erkenntnisbegriff? Wenn das Ich, das seinen Ursprung im Nein hat, der Inbegriff der Negativität ist, der Motor des Abstraktionsprozesses, und nur in diesem Zusammenhang als der Begleiter aller meiner Vorstellungen nach Kant zu begreifen ist, dann hinterläßt dieser Erkenntnisbegriff eine Lücke, die nicht zu schließen ist, die vielmehr als Lücke, als Wunde offengehalten werden muß. Die Ohnmacht des Ich, seine Hilfsbedürftigkeit, ist der Grund seines Geliebtwerden-Wollens (Freud/Drewermann). Sie reicht nicht aus zur Begründung der Gottesidee. Die Konstruktion des Ich gründet im historischen Prozeß, in der Geschichte der Welt, in der Geschichte der transzendentalen Logik, des Begriffsapparats, der die Erscheinungen so gliedert, daß sie dem Ich angemessen, kompatibel sind. Das Ich unterliegt zugleich selber der Logik, die es konstituiert (und wird sich selbst so zum blinden Fleck).

    Das Bewußtsein als offene Wunde ist konstruierbar nur vor dem Hintergrund der Idee des seligen Lebens. Vorausgegangen muß eine Idee, eine Erfahrung der Seligkeit und ein Seligkeitsversprechen sein. Der Anfang der aristotelischen Metaphysik: Alle Menschen streben nach dem Glück, ist durch ihr Ende, ihr Resultat (die Theoria, den transzendentalen Apparat in nuce) nicht abgegolten.

    Alle Wissenschaft ist Naturwissenschaft.

    Beschreibt die Elektrodynamik die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit? Beschreibt sie genauer den Vergängnisprozeß? Und sind die Quantenphysik und die Atomphysik gegenständliche Abbildungen der Logik des Zerfalls?

    Ziel ist nicht eine Ökumene, die vielleicht auf irgendeinem Kompromißwege tatsächlich zu erreichen wäre, sondern ein entkonfessionalisiertes Christentum, eine entkonfessionalisierte Kirche. Das läßt allerdings die Lehrtradition, an der alle Konfessionen wie unter einem Erkenntniszwang teilhaben, nicht unberührt.

    Gehört zu den Emblemen der Melancholia auch die Dornenkrone (nur bei Lochner?), haben die Theoretiker der Melancholie etwas gewußt? Woher kommt es, daß die Melancholie bevorzugt als Frau dargestellt wird – und dann u.a. auch als Frau mit Dornenkrone?

    Differenz zwischen Dürer und Lochner: Lochners Melancholie fällt bereits unters Vorurteil.

    Luthers Antisemitismus ist eine notwendige Folge des Friedens, den er mit der Welt geschlossen hat, ebenso wie sein Trübsinn. Der theologische Grund davon ist seine Rechtfertigungslehre. Nur die Lutherische Wendung hat dann Erfahrungen ermöglicht, hat Energien freigesetzt, die auf andere Weise nicht hätten freigesetzt werden können: insbesondere der wissenschaftliche Eros, der dann die Theologie ergriffen (und auf den Kopf gestellt) hat, war nur unter den Prämissen des Protestantismus möglich.

    „Experimentaltheologie – Elemente einer theologischen Erkenntnistheorie“

    Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter auf die Rücknahme der Schuld, die wir selber in die Realität hineinprojiziert haben, beziehen! Die einzig sinnvolle Interpretation des Gleichnisses?

    Wer es nicht mehr nötig hat, seine Ohnmachtsgefühle zu kultivieren, der bedarf auch der Selbstbestätigung durch Empörung nicht mehr.

    Die Trinitätslehre beruht auf Voraussetzungen, die heute (nach Auschwitz) nicht mehr ungebrochen übernommen werden können. Diese Voraussetzungen sind ein Teil der Verflechtung des Christentums, seiner Konfessionen, in die Welt- und Herrschaftsgeschichte. Die drei göttlichen „Personen“ sind es nicht an sich, sondern für uns. Die Aufspaltung ist begründet in den Erfahrungsbedingungen der endlichen, geschichtlichen, menschlichen Welt (kann ausgeschlossen werden, daß die trinitarische Konstruktion sich am Ende in die Wahrheit der Einheit Gottes auflöst?). Wahr ist, daß die Trinitätslehre die Einheit Gottes unangetastet läßt. Die Begriffe „Hypostase“, „persona“ sind genauer zu untersuchen (auf ihren Ursprung und Kontext). Was bedeutet es, wenn Jesus Sohn Gottes genannt wird, erzeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater? Was bedeutet es, wenn der Geist ex patre filioque procedit? Hat sich das Dogma in seiner lateinischen Rezeption gegenüber der vorhergehenden griechischen Fassung verändert? Und was bedeutet es, wenn z.B. bei Alexander von Hales die Begriffe, in denen das Dogma gefaßt ist, zu Namen Gottes werden, in vollständiger Differenz zu der Namen-Gottes-Lehre der jüdischen Tradition (und zur dritten Vater-Unser-Bitte)? Ist die Heiligung des Substanz- oder Person-Begriffs auch nur im Ansatz denkbar (ist diese Heiligung – und mit ihr die gemeinsame Genesis der Ontologie und des pathologisch guten Gewissens – aber nicht umgekehrt die notwendige Folge des Dogmas; sind nicht beide notwendige Folgen der Instrumentalisierung der Lehre, ihrer Umwandlung in ein Herrschaftsinstrument)? Anstatt die geologischen Strukturen des von den Christen dann so genannten „Alten Testamentes“ zu untersuchen, wurde das Alte Testament seit je nur als Steinbruch benutzt, als Material für apologetische oder erbauliche Traktate.

    Wird das Verständnis der Trinitätslehre nicht bestätigt durch den Paulinischen Satz, wonach am Ende „Gott alles in allem“ sein wird (vgl. hierzu den Hinweis und die Kritik Franz Rosenzweigs).

    Hat die Geschichte mit der Sonne bei Gideon (Josua) nicht doch mehr mit der Geschichte des Patriarchats als mit der der Naturwissenschaften zu tun?

    Hegels Urteil über die Natur als Äußerlichkeit der Idee, die den Begriff nicht halten kann, verweist darauf, daß die Natur als vollständig verurteilte und gerichtete nicht nur das ist (dann müßte sie dem Begriff entsprechen), sondern etwas darüber hinaus; daß sie im Begriff nicht restlos aufgeht.

    Das christliche Dogma und die Dialektik der Aufklärung oder Präliminarien einer theologischen Erkenntnistheorie.

    Wenn heute die Religion selber blasphemische Züge annimmt, wenn sie insbesondere gefährdet ist durch den fundamentalistischen Terrorismus, so hängt das mit der unaufgeklärten eigenen Geschichte zusammen.

    Liefert der Vergleich von „Totem und Tabu“ mit dem „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ – beide sind sich im Aufbau sehr ähnlich – einen Hinweis, unter welchen Prämissen die christliche Theologie aufzuarbeiten wäre? (Ist der Ursprung des deutschen Trauerspiels eine Interlinearversion von Totem und Tabu, ist er aus der gleichen Konstellation der Ideen – mit dem Königtum (Christentum?) im Zentrum – erwachsen? Etwas Vergleichbares scheint Walter Benjamin gemeint zu haben in seinem „Programm einer neuen Philosophie“ im Hinblick auf die Verwendung der Kantischen Kritik)

    Die Hoffnung von Karl Thieme in seinem „Am Ende der Zeiten“, daß das Christentum jetzt endlich ins Mannesalter eintritt, scheint sich bisher noch nicht erfüllt zu haben.

    Wenn es stimmt, daß die Geschichte der Aufklärung von den Mythen über die Religion bis hin zu den Naturwissenschaften ein Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, und selbst insoweit in den historischen Naturprozeß mit hereinfällt, ist die Naturphilosophie ein Haupterfordernis einer Philosophie, die den Anschluß an die Theologie wiedergewinnen will. Die Frage hierbei ist, ob der Begriff der Natur selbst nicht ein Teil dieser Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, in diesem Prozeß sich konstituiert und von ihm nicht sich ablösen läßt; und ob eine Naturphilosophie nicht mehr sein müßte als eine Philosophie der Natur. Sind nicht die Begriff Natur und Welt eigentlich identisch, und bezeichnen sie nicht zwei Aspekte der gleichen Sache (abhängig davon, ob sie auf das Subjekt als Subjekt oder als Objekt sich beziehen)? Und müßte nicht eine Naturphilosophie heute Kritik des Naturbegriffs mit einschließen?

    Hat das mittelalterliche Bild von Himmel, Fegefeuer und Hölle, dieses dreistufige Bild des Universums, das später reduziert wurde auf den einfachen Gegensatz von Himmel und Hölle, etwas mit der Hypostasierung der zeitlichen „Ekstasen“ zu tun: der Himmel als die absolute Zukunft (futurum perfectum), die Hölle, das Totenreich, als absolute Vergangenheit (plusquamperfectum), und das Fegefeuer das Zwischenreich, vielleicht so etwas ähnliches wie die Welt? Steckt nicht doch ein ernsthafter naturphilosophischer Gedanke dahinter, wenn dem Himmel das Licht assoziiert wurde und der Hölle das Feuer? – Aber die eigentlich theologischen Assoziationen knüpfen an an den akustischen Bereich: den Hauch, den Atem, den Geist, der weht wo er will, das Wort.

    Hat der „große Fisch“ im Jona-Buch etwas mit dem Tier aus dem Meer in der Geh. Offb. zu tun, und die Flucht des Jona etwas mit dem Exil des jüdischen Volkes (dem direkten, politischen, wie dem indirekten, religiösen: ins Christentum; ist das Tier aus dem Meer die Kirche)?

  • 15.04.90

    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Beginnt hier die Welterkenntnis, ist das erste Gebot „Ihr sollt euch kein Bildnis machen“ nicht ein spätes und genaues Echo darauf; hängt das „Richtet nicht …“ nicht mit dem Bilderverbot zusammen; und ist theologisches (parakletisches) Denken nicht aus eben diesem Grunde Sprachdenken und Kritik der Anschauung (des Bilderdenkens, der transzendentalen Logik und des apodiktischen Urteils)? (Zusammenhang mit Nacktheit, Scham; Ursprung von Schuld und Materialität; Ökonomie, Politik und Sexualität; zum Begriff des Sexismus und des Obszönen vgl. Rosemary Radford Ruether)

    Die Materie hat etwas zu verbergen; sie ist das gegenständliche Pendant der Scham, diese der Grund jeglicher Projektion und der Ursprung der Mathematik (der Verdoppelung). Am meisten zu verbergen hat der Pomp (vom Dogma bis zu den Ritualen und Uniformen/Gewändern aller hierarchischen Organisationen).

    Vgl. auch Walter Benjamins Sprachphilosophie: Erkenntnis des Guten und Bösen als Geschwätz, sowie seine Theologie des Wissens im „Ursprung des deutschen Trauerspiels“.

    Zum Bekenntnis: Jedes wirkliche Bekenntnis ist Schuldbekenntnis; der Erlöste, wäre er es wirklich, bedürfte des Bekenntnisses nicht mehr; jedes falsche Bekenntnis (als Rechtfertigung) ist Ideologie, verstrickt in den Schuldzusammenhang. Und Konfession ist Schuldgemeinschaft. Das Bekenntnis, als Zeichen der Zugehörigkeit zur Schuldgemeinschaft, löst die Schuld nicht auf, sondern macht sie unsichtbar für die Betroffenen und verstärkt sie zugleich durch Komplizenschaft (Aufnahme in die Gemeinschaft: Genesis des pathologisch guten Gewissens – das Confiteor/Confiteri kennt nur die passivische Konstruktion).

    Zur j Urgeschichte (E.D.): Liegt die Schuld, das Böse, denn wirklich nur im Ungehorsam, in der Übertretung des Gebots: Von diesem Baum dürft ihr nicht essen? Gibt es keine inhaltliche Begründung für das Verbot, nur die autoritäre Drohung mit der Todesstrafe? Besteht die Sünde nur in der Trennung von Gott? Müßte Gott diese Trennung nicht eigentlich sogar wollen? Kommt diese Interpretation nicht letztlich doch dem konfessionellen Schuldzusammenhang und der falschen kirchlichen Bindung der Gläubigen zugute?

    Wichtiger als die Entstehung der Strukturen des Bösen in der j Urgeschichte wäre deren Geschichte selbst, die Geschichte des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs, die dann vielleicht am Ende ein völlig neues Licht auf seine Genesis werfen könnte. Denn nur so läßt sich die Distanz ermessen, die uns heute von dieser Urgeschichte trennt, und deren Kenntnis zum Verständnis der j Urgeschichte essentiell dazugehört. So bleibt die Darstellung in einem entsetzlichen Sinne nur erbaulich.

    Kann es sein, daß das „kreisende Feuerschwert“, das das Paradies nach dem Sündenfall gegen die Rückkehr des Menschen schützt, etwas mit dem Planetensystem zu tun hat und die „Flucht gen Osten“ der aus dem Paradies Vertriebenen mit dem Tag-/Nacht-Wechsel und mit der Erddrehung? Die Erklärung der Cherube mit alten Tiergöttern (die die Tradition der Engellehre völlig außer acht läßt) greift mit Sicherheit zu kurz (Abwehr der Naturphilosophie?).

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