Das Militär ist die Produktionsstätte der Nation (die einzige Produktionsstätte, die nach dem Prinzip der Selbstproduktion arbeitet: in der die Produzenten selber auch die Produkte sind). In einer militaristisch organisierten Gesellschaft sind auch Staatsbetriebe, von der Verwaltung über die Eisenbahn bis zur Post, militärisch-hierarchisch durchorganisiert (der Faschismus hat alle in Uniformen gesteckt und in paramilitärischen Organisationen erfaßt). Hat die Tatsache, daß Mysterien-Religionen, deren Struktur im Christentum dann sich reproduzierte, vorrangig Miltär-Religionen waren, hiermit etwas zu tun? Die Kirchenbildung begann dann auch mit der hierarchischen Durchorganisation der christlichen Gemeinden (gewinnen hier nicht die Beelzebub-Geschichte und die Geschichte vom Hauptmann und seinem erkrankten Knecht eine höchst ambivalente Bedeutung? Vgl. auch die anderen in den Evangelien auftretenden Soldaten, z.B. den Hauptmann unterm Kreuz; wird nicht in der Geschichte vom Dämon, der sich Legion nennt, das Dämonische und das Militärische aufeinander bezogen?). Hierarchische Organisationen lassen durch die Verschmelzung von logischen und Herrschaftsstrukturen (als organisches System eines vollständig durchinstrumentalisierten Herrschaftskörpers) sich begreifen.
Ist nicht das Präfix be-, das im Englischen als Infinitiv des Hilfsverbs „sein“ erscheint und die Sprachlogik beherrscht, das Schlüsselwort des Positivismus? Der Besitzer einer Sache besitzt nur, was einem anderen gehört, das Eigentum eines andern ist (hängt Gehorsam mit gehören zusammen, ist Gehorsam eine Eigentumskategorie?).
In den modernen Sprachen (am konsequentesten in der deutschen Sprache) haben die Präfixe eine neue Funktion bekommen, während die Funktion der Suffixe sich verlagert hat: von der sprachlogischen Ebene der Deklination und Konjugation auf die der Bildung der Abstrakta (der Substantivierung von Adjektiven, Verben). Die Bildung der bestimmten Artikel (und ihre Einbeziehung ins Deklinationssystem im Deutschen) und die Einführung der Hilfsverben und der Personalpronomina gründet in dieser Verlagerung. Die Präfixe hingegen sind der Sprache durch ihre Subsumtion unters Inertialsystem aufgezwungen worden: sie sind die Spuren des Inertialsystems in der Sprache.
War es nicht die gemeinsame Aufgabe der Naturerkenntnis und der Geschichtsschreibung, Natur und Geschichte, die in diesem Prozeß erst sich konstituierten, vor Augen zu führen, um sie (durch Objektivation) der Erinnerung zu entziehen? Opfer dieses Objektivationsprozesses waren die Juden, mit Beginn der Moderne auch die Ketzer (die nicht mehr nur verurteilt, sondern erstmals systematisch verfolgt wurden) und die „Hexen“ (in welchen die Sexualmoral eliminatorische Qualität gewann: bezieht sich nicht das apokalyptsiche Symbol des „Unzuchtsbechers“ auf diesen Vorgang: auf die projektive Anwendung der Sexualmoral?).
Die Naturwissenschaften (und ebenso der Kapitalismus, die Geldwirtschaft, das Rentabilitätsprinzip) haben die hierarchischen Strukturen nicht abgebaut, sondern sie (durch Hypostasierung der intentio recta, durch Verdrängung des Bewußtseins der Vermittlung) nur der Reflexion entzogen. Die Hypostasierung der intentio recta, die erstmals im Prozeß der Dogmenbildung ihre logische Gewalt entfaltete, ist eine Funktion der Orthogonalität: Deshalb gehören die „subjektiven Formen der Anschauung“, die die intentio recta determinieren, zu den Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs.
Die sieben unreinen Geister: Ist die Theologie heute nicht dabei, alle Ecksteine zu verwerfen?
Die Duden-Grammatik (1984), die an Sprachlogik nicht interessiert ist, hat inzwischen bereits eine Konstruktion aus der Medien-Sprache notiert: Zum Genitiv des maskulinen Demonstrativpronomen („dieses“) bemerkt er in einer Anmerkung: „Gelegentlich schon mit -en wie ein Adjektiv (Man verzeichnet gern, daß dank diesen Besuches die Atmosphäre sich aufgehellt hat. [FAZ 1967])“ In Zeitungen und Nachrichten scheint die Wendung diesen Jahres die grammatisch korrekte dieses Jahres inzwischen vollständig verdrängt zu haben. Drückt in dieser Adjektivierung des Demonstrativpronomens (die das deiktische „dieses“ zu einer Eigenschaft der Sache, auf die es hinweist, macht) nicht ein beunruhigender Sachverhalt sich aus? Einerseits verliert die Sache ihre Substantialität, wird sie zu einer Funktion der Information, die ihr überhaupt erst Realität verleiht (nur was im Fernsehen erscheint, ist real). Andererseit aber wird die Information der Sache zugeschlagen, von der sie nicht mehr sich trennen läßt: So wird der Berichtende entlastet; sein Hinweis auf die Sache (die Information über die Sache) wird zu einem Teil der Sache, für die er nicht verantwortlich ist („Objektivität“ legitimiert jede Gemeinheit). Das Omnipotenz-Bewußtsein der Medien, die die Realität konstituieren, korrespondiert ihre Verantwortungslosigkeit: Sie berichten ja nur über das, was ist. Steckt diese demiurgische Selbstverleugnung nicht auch in den anderen Genitiv-/Dativ-Problemen der Medien-Sprache? Und ist sie nicht insbesondere der Grund des Wegsehens von allem, was an die moralische Gemeinschaft des Berichtenden und des Lesers, Hörers, Zuschauers erinnert: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“; heiß aber ist nur, was die Leser, Hörer und Zuschauer heiß macht, was die Empörung weckt, die sie manipulierbar macht, nicht was an sich heiß ist. Keine Meldung, in die nicht die Reflexion auf die Reaktion des ohnmächtigen und verantwortungslosen Konsumenten der Information als konstitutives Moment mit eingeht.
Faschismus
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04.09.1996
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02.09.1996
Steckt nicht in Kants Begriff des Geschmacks (und der Lust) ein Hinweis den Zusammenhang von Verurteilung und Werbung für das, was man verurteilt? Wer den Faschismus nur verurteilt, macht ihn erst anziehend. Und in jeder Empörung über Sexuelles steckt ein Stück sexueller Lust.
Der Heilige Geist (der Paraklet, der Verteidiger) läßt sich durch ein Attribut am genauesten bestimmen: er schließt das Mittel der Verurteilung (das Feinddenken, die Paranoia) aus. Das „Seid <klug wie die Schlangen und> arglos wie die Tauben“ bezieht sich genau auf diesen Sachverhalt. -
24.08.1996
Der postdogmatische Charakter der lateinischen Sprache gründet in ihrer instrumentalisierenden Sprachlogik. Die lateinische Sprache ist die Sprache des Römischen Imperiums, dessen Herrschaftslogik sie widerspiegelt. Hegel hat schon die römische Religion als Religion der Zweckmäßigkeit bezeichnet (vgl. Philosophie der Weltgeschichte, Dritter Band: Die griechische und die römische Welt, Meiner 1944, S. 677); dieser Charakter hat sich im lateinischen Christentum erhalten. Ist das Futur II eine lateinische Erfindung, oder findet es sich schon im Griechischen (mit Hilfsverb-Konstruktion, in Anlehnung an den Perfekt Konjunktiv/Optativ)? Perpetuum mobile: Der eliminatorische Charakter des deutschen Antisemitismus gründet in einem Mechanismus, der darauf hinausläuft, daß man die Opfer für das bestraft, was sie den Tätern antun, wenn sie sie zwingen, sie zu verfolgen und zu töten. Und strafen kann sie man nur, wenn man sie, bevor man sie tötet, quält und demütigt. Dieser Mechanismus, dessen naturwüchsige Form der Antisemitismus ist, wurde in der Folter zu einem technischen Verfahren, zu dem eine spezielle Ausbildung und Konditionierung der Folterer gehört, instrumentalisiert. Steht nicht die Frage Heideggers: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts, unter dem Bann des theologischen Konstrukts der creatio mundi ex nihilo? Hat Heidegger damit nicht den Abgrund eröffnet, der hinter diesem Konstrukt sich auftut, den Abgrund nicht zuletzt einer Politik, die den Problemen, die sich ihr stellen, nicht mehr gewachsen ist, und deshalb den Verdrängungsraum des nihil eröffnet? Einer Wirtschaftspolitik, für die Arbeit nur ein Kostenfaktor ist, werden die Arbeitenden zum nihil. Steckt nicht in der Diskriminierung der Slawen, die Erinnerung an die Sklaven, die in ihrem Namen mit enthalten ist? Und sind die Sklaven nicht das logische Verbindungsstück zwischen Arbeitern und den unterworfenen, zur Sklaverei gezwungenen Fremden? Für die (antisemitische) Logik des Es waren die Slawen, der Bolschewismus und das Judentum eine einzige graue Masse, in der sich nichts mehr unterscheiden ließ. Ist es wirklich reiner Zufall, daß gleichzeitig im naturwissenschaftlichen Begriff der Masse die Akzente sich verschoben haben, in Richtung der Zerstörungskräfte, die der Masse innewohnen (und deren Beherrschung zum Testfall der gesellschaftlichen Naturbeherrschung geworden ist)? Sklaven und Arbeiter: Fremdarbeiter und Gastarbeiter erinnern an den Ursprung der Arbeit in der Sklaverei; Kriegsgefangene und Angehörige unterworfener Völker waren (als Sklaven) die ersten Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit im Dienst fremder Herren sich definierten. Nur die Herren verstanden sich als Menschen, während die Sklaven, die nicht über sich selbst verfügen konnten, der Natur zugerechnet wurden, die sie bearbeiteten; Menschsein war (ebenso wie eine ökonomische) auch eine nationale Kategorie. Die wirre Ausländer-Diskussion (das „Das kann doch nicht wahr sein“, mit dem einer seine Wahrnehmung kommentierte, daß man „fast keine Deutschen mehr“ sieht) gründet in dieser Unterscheidung von Mensch und Sklave, die der Unterscheidung von Deutschen und Ausländern zugrunde liegt. Der Wahrheitsbegriff, der in dem „Das kann doch nicht wahr sein“ zitiert wird, ist der der „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“; in seinen identitätstiftenden logischen Grundlagen steckt real ein nationalistisches Element (deshalb war die Logik so wirksam, wonach nur Deutsche Menschen und zur Weltherrschaft berufen waren; Juden waren keine Menschen). Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, entfaltet heute seine unheilvolle Logik: In der positivistischen Beharrung auf der intentio recta steckt die ganze Herrschaftsmaschinerie, die Ausblendung der Arbeiter, der Haß auf die Fremden und die Verachtung der Ausländer. Im Kern dieser Logik, sie gleichsam stabilisierend, steckt ihr ästhetischer Grund, stecken die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere die Raumvorstellung. Ist nicht der Name des Gottesknechts der Kern der Nachfolgelogik? Und müßte die Xenophobie nicht eigentlich Gastfeindschaft heißen (die Bekenntnislogik hat der Gastfreundschaft den Boden entzogen)? Habermas braucht die Theologie nicht mehr: die Naturwissenschaften liefern ihm einen entsühnten Weltbegriff ohne den Umweg der Opfertheologie. Gehört nicht zur Kritik der Moderne die Reflexion der Geschichte ihres Begriffs? Ist er nicht zuerst im Namen der devotio moderna aufgetreten, und gehort zur devotio moderna nicht die Ersetzung der Nachfolge durch die imitatio (Thomas a Kempis)? Die Vernichtungsphantasien, die die Bilder der Masse auslösen, sind das Produkt einer projektiven Verschiebung des Bewußtseins der Ich-Vernichtung, der Selbst-Aufgabe, die das „Aufgehen in der Masse“ impliziert. Darin gründet die Brisanz, das – weiß Gott – nicht Ungefährliche des Slogans „Wir sind das Volk“. Wer sich selbst als Volk, und d.h. als Teil einer Schicksalsgemeinschaft begreift, ist auf dem Sprunge, zum Schicksal für andere zu werden. Die Nazis haben den Judenmord als präventive Notwehr verstanden. Die Katstrophe wird absehbar, wenn es zu der Logik, die den Faschismus beherrschte, keine Alternative mehr geben wird: wenn die Theologie aufgibt. Wenn der Atheismus siegt, und es gibt auch einen Atheismus in der Theologie, hat Hitler gesiegt. Es gibt eine Situation, in der die Theologie auf den einfachen Satz sich reduziert, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Dem selbstreferentiellen, projektiven und paranoiden Blick der Welt ist dieses Herz verschlossen. In den gleichen Zusammenhang gehört der Satz, daß das Jüngste Gericht nicht das Hegelsche Weltgericht ist, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Hegels Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen“, ist der Schlüssel für diesen ganzen Bereich. Das Andere ist das Andere für mich (und für alle Anderen); die Logik des Andersseins ist die Logik des Reichs der Erscheinungen, das beherrscht wird von den Totalitätsbegriffen Natur und Welt. Die Differenz zwischen den Kosmogonien und den Kosmologien, die die Grenzscheide markiert zwischen Mythos und Philosophie, kehrt in den Kosmologien, im Bereich der Philosophie, wieder als Differenz von Natur und Welt. Alle Naturbegriffe sind durch den Weltbegriff domestizierte kosmogonische Begriffe, während alle Weltbegriffe im Naturbegriff reflektierte kosmologische Begriffe sind. Alle Weltentstehungslehren sind Mythologien, nicht zuletzt auch die Theorie vom Urknall, die die aus dem Entropiebegriff entwickelten Endtheorien in eine Anfangstheorie umgekehrt hat.
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23.08.1996
Das Urteil, indem es „über“ das Objekt ergeht, konstituiert das Objekt (so wie das Urteil des Gerichts durch die Macht zu strafen Realität gewinnt).
Der Wunsch, es möge mit dem Schicksal ein Ende haben, schließt das Ende der Schicksalsgemeinschaft mit ein: der Name des Volks verliert seine raison d’etre.
Die ägyptischen Plagen treffen auch Tiere; gilt das auch für die Plagen der Apokalypse?
Sind nicht die Evangelien der strikte Gegensatz der als „Rede von Gott“ sich verstehenden Theologie (der monologischen Verkündigung)? Schließt das Evangelium nicht in allen seinen Teilen ein dialogisches Element mit ein?
Unser Lehrer in der Grundschule hat uns – nach einem Besuch Hitlers und seiner Teilnahme an einem Vorbeimarsch vor Hitler -am folgenden Morgen erzählt, jeder, der an diesem Vorbeimarsch teilgenommen hat, habe das Gefühl gehabt, daß Hitler ihn persönlich angeschaut habe. Als Kind habe ich diese Geschichte nicht begriffen, sie ist mir als Rätsel in Erinnerung geblieben. Ist diese merkwürdige Erfahrung nicht in der transzendentallogischen Struktur des Vorgangs vorgebildet, durch diese Struktur determiniert? Jeder fühlte sich als Objekt der Anschauung; und Hitler war das Subjekt dieser Anschauung.
Ließe sich der Faschismus nicht insgesamt so definieren, nämlich als Versuch, die subjektive Form der Anschauung, die Abstraktion, die darin sich verkörpert, zur Norm der Politik zu machen? Dieser Versuch war apriori antisemitisch; die „Endlösung“ sollte die Abstraktion, die in den Formen der Anschauung sich verkörpert, in die Realität überführen. Die Juden waren das stellvertretende Opfer für das, was die Nazis sich selbst antun mußten.
Hat nicht dieses Novum, daß Politik die subjektiven Formen der Anschauung zur Norm macht, den Faschismus überlebt, nur daß es zu dieser subjektiven Form der Anschauung kein Subjekt mehr gibt, die Welt zum Objekt der Sachzwänge geworden ist, die sie beherrschen? Erfüllt dieser Zustand nicht präzise die Definition der Finsternis?
Dieser Vorgang wäre anhand der Geschichte der Rezeption Einsteins, der Rezeption der speziellen Relativitätstheorie, an der er sich demonstrieren läßt, zu begreifen.
Zu den inneren Folgen der speziellen Relativitätstheorie gehört es, daß sie – ähnlich wie zuvor die kantische Antinomienlehre -die Vorstellung des Raumes in einer Weise verrätselt hat, die das Problem einer Lösung näher bringt.
Unterscheidet sich nicht Sabbatai Zwi von Jesus durch die unterschiedliche Gestalt, in der sie den Tikkun vollzogen haben: Sabbatai Zwi ist zum Islam übergetreten, Jesus hat den Tod am Kreuz erlitten (und ist „zur Hölle abgestiegen“)?
Hat der „Abstieg zur Hölle“ etwas mit der Einsicht zu tun, daß die Verurteilung den Schrecken nicht löst? In den Schrecken hinabsteigen, heißt das nicht auch, den Bann des Inertialsystems lösen, das ein Reich der Erscheinungen begründet, zu dessen Konstituentien die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, der Gebrauch der Todesgewalt als Erkenntnismittel, gehört?
Habermas‘ Kapitulation vor dem für ihn nicht mehr reflexionsfähigen Naturbegriff war der Anfang einer Kommunikationstheorie, die die Herrschaftskritik durch das Konstrukt des „herrschaftsfreien Dialogs“, den es nicht gibt, ersetzte.
Rechtfertigt nicht der „herrschaftsfreie Diskurs“ auch die RAF-Prozesse, die nur noch auf Herrschaftssicherung abzielen und alles, was zur Erkenntnis der Ursprünge der RAF beitragen könnte, jeden Versuch, auch im Falle der RAF in die Angeklagten sich hineinzuversetzen, apriori abblocken? Gibt es einen „herrschaftsfreien Diskurs“ ohne den Zwang, ihn zugleich durch Feindbild- und Frontdenken abzusichern?
Die bloße Verurteilung des Faschismus ist post festum leicht und billig zu haben; aber rückt sie nicht zugleich alle Formen der Herrschaftskritik, die in diesem Kontext sich verwirren, ins Irrationale? Auch die RAF, die Herrschaftskritik glaubte durch terroristische Gewalt ersetzen zu können, war eine Gestalt dieser nun wirklich entsetzlichen Verwirrung.
Hat nicht der Historikerstreit nur scheinbar die Fronten geklärt, oder hat er sie nicht auf eine Weise geklärt, die sie vielmehr endgültig verwirrt haben? Hat er nicht alle, die versuchen, in den Faschismus sich hineinzuversetzen, zu Häretikern erklärt, die das Dogma der Verurteilung nicht teilen?
Wer heute das Gefühl hat, die möglichen Gesprächspartner sind tot und nur als Autoren von Büchern noch präsent, macht der nicht die Erfahrung, was es mit dem „Abstieg zur Hölle“ auf sich hat?
Ist nicht das Fernsehen ein Hinweis darauf, welche universalen Formen der Gewalt zitiert werden müssen, um das Gedächtnis der Toten zu verdrängen?
Waren es nicht die Theologen, die, als sie Hegels „Weltgericht“ als eine Bestätigung der theologischen Idee des Jüngsten Gerichts ansahen, rechts und links nicht mehr unterscheiden konnten? Das Jüngste Gericht, wenn es das einmal geben wird, wird das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht sein. Und steckt nicht genau hierin die Lösung der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links?
Kann es sein, daß, wer Gräber schmückt und Blumen auf ein Grab pflanzt, sicherstellen will, daß der Ruf der Auferweckung bei den Toten nicht mehr ankommen wird? Geht er nicht davon aus, daß dieser Ruf, durch die Blume gesprochen, die Toten nicht mehr erreicht?
Sind die Evangelien (was sie offensichtlich sogar für Theodor Haecker waren) eigentlich wirklich antisemitisch? Ist es nicht vielmehr so, daß man die scheinbar „antisemitischen Stellen“ erst dann wirklich begreift, wenn man den historischen Kontext (und die Ereignisse, die Flavius Josephus beschreibt) hinzunimmt? Und haben wir dann nicht viel mehr Grund, in diesem historischen Kontext die Gegenwart und in diesen „Juden“ uns selbst wiederzuerkennen: die christlichen Politiker in den Sadduzäern, die Kirchen und die Theologen in den Pharisäern, die gesamte Linke, bis hin zur RAF, in den Zeloten? Ist nicht vielmehr die Frage des Historismus: „wie es denn wirklich gewesen ist“, die das „Was“ von den eigenen Rechtfertigungszwängen sich vorgeben läßt, damit aber die Erinnerung an die Gegenwart ausblendet, antisemitisch?
Werden die Evangelien nicht in der Tat durchsichtiger, verständlicher, wenn man auf den Hintergrund, in dessen Anblick sie geschrieben worden sind, bezieht: auf den Jüdischen Krieg und die Zerstörung Jerusalems? Verweisen nicht schon die apokalyptischen Reden und die Getsemane-Geschichte hierauf, und wird das nicht direkt benannt, als Jesus bei Lukas auf dem Weg zur Kreuzigung die Frauen aus Jerusalem anspricht: „Ihr Töchter Jerusalems, weint nicht über mich, weint vielmehr über euch und eure Kinder“ (2328)? -
10.08.1996
Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
– der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
– des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
– der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
– der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
– zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
– hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs. -
08.08.1996
Erbauliche Theologie dient allein der Einübung des Geschwätzes. Biblische Personen und Erzählungen werden nur noch als Folie der Selbstbespiegelung wahrgenommen. Es gibt eine erbauende Kraft der Schrift, und in ihren Zusammenhang gehört das Wort vom Eckstein, den die Bauleute verworfen haben. Diese Verwerfung des Ecksteins führt direkt in die an sich blasphemische Erbaulichkeit. Die Erbaulichkeit orientiert sich an einer Idee der Unsterblichkeit der Seele, die vom Zustand der Welt abstrahiert, während das erbauende Denken am Zustand der Welt sich orientiert: Es findet seinen Grund in der Lehre von der Auferstehung der Toten.
Das Gelübde ist auf der Grenze zwischen Tauschprinzip und Rechtsprechung angesiedelt, das Gelübde selbst als Angebot oder Anklage, das Eintreten seiner Erfüllungsbedingungen als Kauf oder Urteil. Und ist nicht das Tauschverhältnis die säkularisierte Gestalt eines Herrschaftsverhältnisses (mit dem Verkäufer als Knecht und dem Kunden als Herrn), oder genauer: Verwandelt das Tauschverhältnis nicht das Herrschaftsverhältnis in eine reversible Beziehung, ist es nicht das Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft (und der Verhärtung der Herzen)? Aber diese Reversibilität ist der Ursprung des Scheins: der Trennung des Bewußtseins vom Sein, der Ursprung des falschen Bewußtseins (Bedingung und Resultat der Verhärtung des Herzens).
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum gründet in der Orthogonalität, beide zusammen (und mit ihnen die Zwangsvorstellung des dreidimensionalen Raumes) gründen in der Irreversibilität der Zeit. Wäre das Inertialsystem mehr als ein metrisches Konstrukt, wäre es eine objektive Wesenheit, so würde das Zeitkontinuum gesprengt. Darin liegt die Wahrheit des Urknalls, in dem diese Sprengung sich reflektiert, und der am Ende, nicht am Anfang liegt. Auf dieses Ende zielt Heideggers (von Vernichtungsphantasien genährte und beherrschte) Frage: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
Die Lichtgeschwindigkeit (die durchs Inertialsystem vermittelte Außenseite des Lichts) rührt ans tohuwabohu und an die Finsternis über dem Abgrund.
Das Recht und das Inertialsystem sind die vergeblichen, und deshalb unendlichen Versuche, den Bruch, der Natur und Welt scheidet, zu heilen, und ist es nicht dieser vergebliche Versuch, auf den sich das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht?
Kann es sein, daß es in den USA deshalb nie eine linke Partei gegeben hat, weil der Rassismus den Klassenkampf unsichtbar gemacht hat? Die linke Theorie hat insofern recht, als der Rassismus dem Grunde nach auf ein gesellschaftliches Verhältnis, nicht auf ein biologisches sich bezieht. Aber erfahren wir dieses gesellschaftliche Verhältnis (auch den Klassenkampf) nicht in der Tat als Natur, und hat es für uns nicht die Gewalt der Natur, die der Staat und das Recht dann garantieren? Zu dieser Natur gehören dann – wie zur christlichen Welt die Hölle – die Knäste.
Auto und Fernsehen: Freie Bahn für freie Bürger. Die andern enden vor der Glotze.
Entspricht nicht der Bildschirm der Scheibe im Schaufenster, die die potentiellen Käufer von der Ware trennt; sind nicht Fernsehmoderatoren zum Leben erweckte Waren?
Wort zum Sonntag und Morgenandacht: Das Fernsehen markiert das Ende, das Radio den Anfang vom Ende.
Kohl hat sich durchgesetzt, weil er alles aussitzt: Ist er überhaupt ersetzbar?
Als die SPD Lafontaine zum Parteivorsitzenden wählte, hat sie das Pfeifen im Walde mit den Trompeten von Jericho verwechselt.
Wie unterscheidet sich das Erbarmen vom Mitleid (vgl. hierzu die Geschichten von den „wunderbaren Brotvermehrungen“: das eine Mal „ergriff ihn das Mitleid mit dem Volke“, das andere Mal „erbarmte ihn des Volkes“)? Unterscheidet sich nicht das Mitleid von der Barmherzigkeit durch das Bewußtsein der Ohnmacht? Und gilt das Erbarmen (der Impuls zu helfen) den Opfern, das Mitleid (die Erfahrung der Ohnmacht und der Schrecken angesichts der Frage: Wie können die das tun?) den Tätern? Hängt nicht Nietzsches Idee des Herrenmenschen (der „blonden Bestie“) mit der Abwehr des Mitleids (als „größte Gefahr“) zusammen, mit der Unfähigkeit, diese Ohnmacht zu ertragen? Anstatt das Bewußtsein der Ohnmacht im Mitleid zu reflektieren, schlägt er sich auf die Seite der Herren, die am Ende kein Mitleid mehr dulden.
Das Fernsehen kann Mitleid erzeugen, niemals Barmherzigkeit. Gründet das Mitleid im Sehen, während die Barmherzigkeit das sprachlich reflektierte Sehen zur Grundlage hat? Das Mitleid gehört zur Logik der Schrift, die Barmherzigkeit gründet im Wort (das Objekt des Mitleids ist stumm, das der Barmherzigkeit schreit zum Himmel).
Unterscheidet nicht schon die Schrift zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Wortes? Ist diese innere Unterscheidung der Prophetie nicht in den Begriff der Prophetie mit hereinzunehmen, und ist nicht die Apokalypse (die Fortentwicklung der Prophetie unter den Bedingungen des Weltbegriffs, der in dieser Unterscheidung sich ausdrückt) der Ausdruck und die Entfaltung der Objektivität dieser Unterscheidung?
Der Weltbegriff unterliegt einem organischen Prozeß: So enthält er in sich selbst die Ursachen seines Untergangs. Spenglers Kulturbegriff gründet in diesem Weltbegriff.
Ist nicht der Urknall ein spätes Echo der creatio mundi ex nihilo? War nicht dieses theologische Konstrukt bereits ein Reflex des „Weltuntergangs“, die bloße Umkehrung des Endes? Als Schöpfer der Welt ist der Staat der Vollstrecker ihres Untergangs.
Gibt es den Begriff der Verstockung (der Verhärtung des Herzens) schon vor der Exodus-Geschichte?
Das Ding ist der Reflex der unendlichen Ausdehnung des Raumes (und der Zeit), während das Angesicht diese Unendlichkeit widerlegt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind die realsymbolische Entsprechung des biblischen Kelchsymbols; ihre verdinglichende Gewalt korrespondiert dem „göttlichen Zorn und Grimm“.
Der Hinweis auf die Verantwortung bleibt formal, ein Instrument der Selbstentlastung (und des Schuldverschubsystems), wenn ich nicht davor die Frage setze, ob ich sicher bin, daß ich, wenn ich an der Stelle des Andern gewesen wäre, anders hätte handeln könnte.
Auch die Nazis waren Opfer. Das entlastet sie nicht von ihren Taten, aber vielleicht hilft dieser Satz, die Wiederholung dieser Taten, die über ihre bloße Verurteilung sich vorbereitet, zu verhindern.
Die Ausgrenzung des Schreckens aus dem Begriff des Faschismus (durch das Instrument der Verurteilung) ist die Ausgrenzung derer, die ihn nicht loswerden.
Hat nicht der Gebrauch der Verurteilungslogik, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, sehr viel mit den „sieben unreinen Geistern“ zu tun?
Die einzige brauchbare Definition Gottes: Er ist es, der die Toten erweckt.
Der Corpus Christi Mysticum schließt (nach der „Mysterientheologie“ Odo Casels) die Einbeziehung in das Leiden und den Tod Jesu mit ein.
„Was sind das doch armselige Menschen …“ und „Was sind das doch für armselige Menschen …“: Dieses „für“ rückt den Satz aus dem Bereich des Erschreckens (und der Barmherzigkeit) in den der Verurteilung (des Gerichts). Die erste (ursprüngliche) Fassung des Satzes ist Ausdruck eines katholischen Selbstverständnisses, das es nicht mehr gibt. Die Kirche gibt keinen Halt mehr für den Widerstand gegen die Welt, sie hat die Mittel dieses Widerstands als Ballast abgeworfen. So findet sie sich als das steinerne Herz der Welt in deren leerem Zentrum wieder.
Drückt sich nicht in dem „für“ die Verdrängung genau der Wahrnehmung aus, die in dem ersten Satz zum Ausdruck gebracht wurde? -
6.8.96
Der Satz, daß Gott ein Gott der Lebenden, nicht der Toten sei, klingt nach in dem anderen: „Laßt die Toten ihre Toten begraben“, der sich auf die Väter bezieht. Welche Väter gibt es in den Evangelien (außer Joseph, Zacharias, Zebedäus u.a. auch den Simon von Cyrene <der das Kreuz getragen hat, und der nur dadurch näher bestimmt wird, daß er der Vater zweier Söhne, des Alexander und des Rufus, ist>, den Jairus, den römischen Offizier)? Der Rassismus ist das auf den Kopf gestellte, ins Biologische gewendete Symbol. Und der Antisemitismus ist der Kern des Rassismus, nicht nur eine seiner Anwendungen. Der Weltbegriff hat einen herrschaftslogischen Kern, der erst in der Geschichte sich gebildet hat. Der teleologische Ursprung der Metaphorik ist vermittelt durch den Primat der Kausalität, die selber unter dem Apriori der Selbsterhaltung steht. Real ist die Sprache der Kausalität und Selbsterhaltung, alles andere ist metaphorisch. Das Realitätsprinzip ist auf die Kausalität eingeschworen, ein Schwur, der sich selbst als Zeugen anruft: Modell der Beziehung der transzendentalen Logik zur transzendentalen Ästhetik. Die subjektiven Formen der Anschauung sind im wörtlichen Sinne Formen der Verschwörung (auf der Basis eines Schwurs, den jeder bei sich selbst schwört, wobei er die Welt zum stummen und falschen, aber unwiderlegbaren Zeugen, zum augenlosen Augenzeugen, macht – Parodie der Beziehung Jesu zum Vater.) Die Metaphorik ist das Residuum des Namens. Gehört nicht zum philosophischen Begriff der Autonomia die Ataraxia, die sich vom Mitleid nicht mehr hinreißen läßt? Aber dieser (bürgerliche) Begriff der Autonomie gründet in der finanziellen Unabhängigkeit, von der die Armen apriori ausgeschlossen sind. Die wahre Einsicht wäre eine, die sich unmittelbar mitteilt und deshalb nicht mehr erfragt zu werden braucht. Die Geschichte der Verklärung auf dem Berge Tabor wäre wahr, wenn sie sich Petrus, Jakobus und Johannes unmittelbar mitgeteilt hätte, wenn diese sie nicht nur gesehen hätten. Die mittelalterliche Eucharistieverehrung und -spekulation hat das Geheimnis des Worts an die Mathematik (das Hören ans Sehen) verraten. „Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich“: Wer das Kreuz auf sich nimmt, hat es nicht mehr vor Augen, kann es nicht mehr vergegenständlichen. Ist dieser Satz nicht die Widerlegung der Opfertheologie? Und sind die Evangelien nicht insgesamt ein Akt des Eingedenkens gegen die paulinische Objektivierung, die die Abstraktion überhaupt erst möglich macht, die dann im Credo sich ausdrückt (in dem das Leben Jesu zum „incarnatus est de Spiritu Sancto, ex Maria Virgine, et homo factus est; crucifixus etiam pro nobis, sub Pontio Pilato passus et sepultus est“ zusammenschnurrt)? Der Bruch zwischen Paulus und den Evangelien, den das Dogma zudeckt, wird thematisiert in der Apokalypse. Hat nicht der Faschismus auch die Sieger in seinen Strudel mit hereingezogen? Hängt das Problem, das um die Begriffe aioon, oder saeculum, aeternitas, sich herumrankt, nicht damit zusammen, daß die Herrschaftsgeschichte zum logischen Zentrum des Weltbegriffs geworden ist? Die Herrschaftsgeschichte hat das Überzeitliche vom Ewigen geschieden. Woher kommen und was bedeuten diese Worte, die die Idee des Ewigen umkreisen? Von der Botschaft der Sterne hat die Kirche nur die Boten, die Engel, zurückbehalten, wobei sie die dämonischen Ursprungs- und Elementarmächte der Einfachheit halber (und zur Legitimation der kirchlichen und weltlichen Hierarchien) mit zu den Engeln gezählt hat. Die Austreibung der sieben unreinen Geister steht noch aus (und ist nicht durch die Ersetzung des Sabbath durch die dies dominca schon erfüllt). Gehört nicht auch der Name des Barabbas zur evangelischen Geschichte der Verwerfung der Väter? Die Idee des Absoluten gründet im Rechtfertigungszwang und endet im Wiederholungszwang (deshalb ist der Staat die sterbliche Gestalt des Absoluten: es gibt keine andere). Das Ganze ist das Unwahre: Die Wege des Irrtums sind die Wege des in sich selbst zurückkehrenden Kreisens. Wenn die Metaphorik teleologischen Ursprungs ist, ist dann nicht das Geld ein metaphorisches Instrument? Oder: Wenn das Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ist dann nicht das Geld die Umkehrung dieses Aktes, nämlich die Subsumtion der Vergangenheit unter eine Zukunft, die selber schon unter die Vergangenheit subsumiert ist? Das Geld ist das Instrument, mit dessen Hilfe das Subjekt (über die subjektive Form der inneren Anschauung) sich an das Ende der Zeitreihe setzt, um durch die Erhebung über die Zeit autonom zu werden. Unter dieser Prämisse wird das Bekenntnis zum flatus vocis, durch seine Trennung vom Namen wird es zur im Unendlichen verhallenden Stimme. Hängt es nicht mit der Verdrängung des Namens und des Angesichts zusammen, wenn der Name der Welt auch als Name für alle Menschen sich verwenden läßt? Der Andere wird zum bestimmten Anderen nur durch den Namen; für sich ist er nur ein Anderer für Andere. Der bestimmte Artikel ist nur der Repräsentant des Namens in der Sprache, während der unbestimmte Artikel das unter den Allgemeinbegriff fallende Objekt bezeichnet (ein Objekt unter vielen: an sich ein Kollektivum). War die Vätertheologie nicht erst möglich, nachdem aus dem Gesalbten, dem Messias Jesus, der Jesus Christus geworden ist, und der Name Christus zum Allgemeinbegriff, der alle Christen unter sich befaßt? War es nicht der Trick der homousia, daß sie den Sohn dem Vater gleichgesetzt hat? Laßt die Toten ihre Toten begraben: Liegt die logische Funktion dieses Tods der Väter nicht in der Beziehung der Väter zum Begriff, in ihrer „zeugenden“ (die Gattung begründenden) Funktion. Ist nicht der Rassismus die logische Konsequenz aus der Väterreligion (und der Antisemitismus sein Kern)? Der Zölibat ist die fundamentalistische Version eines logischen Sachverhalts. Bezeichnet nicht der Unzuchtsbecher, ähnlich wie der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, ein logisches Problem (hat das Wissen mit dem Kelch, und haben Natur und Welt mit Grimm und Zorn zu tun, und liegt hier der Schlüssel zum „Unzuchtsbecher“)? Das Possessivpronomen ist das principium individuationis, und zwar sowohl für den Besitzer und Eigentümer wie für den Besitz und das Eigentum. Auf den beiden Seiten des Schaufensters, durchs Schaufenster getrennt, sind Ware und Käufer nur Exemplare einer Gattung, erst im Kauf (durch die Eigentumsbeziehung) gewinnen sie Individualität, Ununterscheidbarkeit. Erst der Fernsehmoderator, der sich selbst verkauft, gewinnt (als die Ware, zu der er sich macht) Individualität. Wer wissen will, wo der Filmstar der zwanziger Jahre geblieben ist, sollte sich den Fernsehmoderator ansehen (nicht den Darsteller der Fersehserie, der hinter seiner Rolle, die ihn zum Nachbarn aller macht, verschwindet: Derrick ist nicht Tappert, sondern Tappert ist Derrick; auf der Straße würde ich ihn als Derrick „erkennen“). Das Charisma ist eine Qualität, die in der Eigentumslogik gründet. Der Führer war die Verkörperung der sich selbst anpreisenden und verkaufenden Ware; deshalb war er auch die Verkörperung des Antisemitismus. Er war die Verkörperung einer Ware, die ihr Massendasein leugnete: die Uniform als signum individuationis. Er war nur die Matrix, das Modell einer Massenproduktion, mit dem Antisemitismus als Produktionsmittel. Der ungeheure Verdrängungsakt, der mit einem Schlage alle Deutschen von der Schuld befreit hat, hängt damit zusammen: Alle haben ihre Anschauungen (ihr Feindbild) wie ein Hemd gewechselt, ihre Verstrickung wie die Uniform abgelegt. Der Produktionsapparat ist erhalten geblieben, er wurde noch gebraucht.
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3.8.96
Die Bekenntnislogik stellt die Schuldreflexion still durch das Instrument der Urteilsmagie: den Mechanismus der Verurteilung.
Seit die Welt zur Hölle geworden ist, kann niemand mehr an die Hölle glauben: So schlimm kann Gott nicht sein, so sind nur wir. Aber ist die andere Frage wichtiger: ob die Pforten der Hölle uns wirklich nicht „überwältigen“ werden?
Sind nicht die zehn Plagen Ägyptens das Negativ der mystischen Stufen der Erkenntnis, beschreiben sie nicht den Weg, der hineingeführt hat und deshalb vielleicht auch wieder herausführt?
Ist nicht der Ofenruß, der gen Himmel geworfen wird (die 6. Plage), die Wende, ist hier nicht der Punkt, an dem die Zauberer die Taten des Moses und Aaron nicht mehr nachzumachen vermögen, weil sie selbst erstmals Opfer der Plagen sind? Bei den „Mücken“ (der 3. Plage) vermochten die Zauberer es auch nicht, und sie warnten den Pharao: hier ist „Gottes Finger“, aber sie waren nicht selbst betroffen. Beim „Geziefer“ (der 4. Plage) wird Israel erstmals ausgespart, Mizrajim ist alleine das Opfer, und hier sagt Moses dem Pharao, der ihn auffordert, im Land zu opfern, daß ihr Opfer das des Scheusals Ägyptens ist.
Hat die vorletzte Plage (vor der Tötung aller Erstgeburt), die Finsternis, etwas mit der Finsternis über dem Abgrund zu tun, und kann es sein, daß die Tötung der Erstgeburt (in der Mitternacht) dem tohuwabohu in der Schöpfung korrespondiert? Und haben die Frösche, die in die Schlafgemächer und in die Backtröge eindringen und am Ende im Nil verbleiben, etwas mit den apokalyptischen Tieren (mit denen die Apokalypse sie dann auch zusammenbringt) zu tun?
Wenn die Tötung der Erstgeburt auf das tohuwabohu und die Finsternis auf die über dem Abgrund sich bezieht, haben dann nicht die Heuschrecken etwas mit dem Geist über den Wassern zu tun? Die Heuschrecken (die 8. Plage) aber sind offenkundig ein Symbol der militärischen Macht; in dieser Plage ist das Schicksal der ägyptischen Militärmacht am Schilfmeer vorbezeichnet.
Es ist wahr, wer die Zeiten berechnen will, erliegt der Verstarrung, was aber nicht heißt, daß man die Zeichen der Zeit nicht erkennen soll.
Die Differenz zwischen dem Erzählten und der historischen Realität ist festzuhalten, aber sie bezeichnet nicht die Alternative, um die es geht; wenn die Erzählung Vorrang hat vor dem Indikativ des Historischen (auf das sie gleichwohl sich bezieht), dann nur, weil sie an die erkennende Kraft der Sprache rührt, die im historischen Indikativ (im „Wie es denn eigentlich gewesen ist“) verdampft. Diese erkennende Kraft der Sprache (der Halacha) gehört der gleichen Ordnung an wie das Gebot (die Haggada). Beiden eignet ein Realitätsbezug (der des Eingedenkens), von dem der historische Indikativ, die historische Objektivierung, abstrahiert. Das Eingedenken unterscheidet sich von der historischen Objektivierung dadurch, daß es versucht, im Vergangenen der Gegenwart innezuwerden, während die historische Objektivierung die Gegenwart (den seiner selbst gewissen Herrenblick) ins Vergangene projiziert.
An welchen Stellen in den Evangelien erscheint das betonte Du außer in Mt 1618 (sy ei Petros) sonst noch? Läßt diese Stelle auch so sich verstehen, daß das Prädikat („Fels“) nicht nur auf diese bestimmte Person (auf Simon Petrus), sondern auf die Form der Beziehung zum providentiellen dialogischen Partner des Messias, die Kirche, insgesamt sich bezieht, die nicht hört und nicht versteht, und den Dialog ins Leere verströmen und die Antwort zum Monolog der Theologie (zur Theologie hinter dem Rücken Gottes) verstarren läßt? Ist das Tu es Petrus die Vorankündigung der dreifachen Leugnung? Und ist die Kirche nicht in der Tat bis heute das stumme, versteinerte Du Gottes? – Gibt es hierzu Hinweise in den anderen Stellen, an denen das betonte Du (das Du als Anruf des Andern: als Gebot oder als Aufruf zum Gericht) erscheint?
Theologie im Angesicht Gottes treiben, das ist etwas anderes als „Christum treiben“.
Merkwürdiges Wort der Jünger: „Siehe, jetzt redest du frei heraus und gebrauchst keine Bildrede. Jetzt wissen wir, daß du alles weißt und nicht nötig hast, daß dich jemand fragt“ (Joh 1629f); müßte es nicht heißen, „daß du jemanden fragst“? Weshalb hat jemand, der alles weiß, nicht nötig, daß ihn jemand fragt; nach unserem Verständnis des Wissens, hat der, der der alles weiß, nicht mehr nötig, andere zu fragen. Was ist das für ein Wissen, das den, der es hat, den Fragen der anderen enthebt?
Der Glaube ist ein Wissen, das dem Rechtfertigungszwang (den Fragen der anderen oder auch den durch die Rechtfertigungszwänge vorgezeichneten Wegen des Irrtums) enthoben ist.
Hängt das merkwürdige Wort im Johannes-Evangelium nicht auch mit der Sprachgeschichte der Frage zusammen, die bei Heidegger implodiert? Die Frage, auf die das Wort aus Joh sich bezieht, ist die Frage der „Theodizee“, die in Heideggers Frage nach dem „Sinn des Seins“ oder auch in seiner Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ nachhallt (und faschistisch radikalisiert wird). Beide Fragen stellen das Sein unter Rechtfertigungszwang, unterwerfen es einem Jüngsten Gericht, dessen Richter der Fundamentalontologe ist.
Ist nicht der Glaube, der Berge versetzt, der Glaube, der die Wege des Herrn bereitet, seine Straßen gerade macht, ein Glaube, der dem Bann der Apologie entronnen ist, der aus sich selbst einleuchtet, zu dem es keine Fragen mehr gibt? Gehört das apokalyptische Bild vom Berg, der ins Meer geworfen wird (Off 88, vgl. auch 1821), nicht hierher?
Wäre zu Ton Veerkamps „Plusquamperfekt“ nicht daran zu erinnern, daß das eine griechischen Erfindung ist? Und ist nicht der Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ ein vergeblicher (weil unangemessener) Ausbruchsversuch aus dem Historismus?
Ist nicht das Epos die ästhetische Ursprungsgestalt des Neutrum, der Vergegenständlichung, die Gestalt seiner ersten Entfaltung, die Tragödie das Produkt der ersten Reflexion und Verarbeitung des Epos und die Philosophie der erste Versuch, der tragischen Aporie zu entkommen, der dann in die universale Neutralisierung hineinführte? Die Philosophie hat das Schicksal, das ästhetisch-moralische Korrelat des Neutrum, das im Mythos sich entfaltete und in der Trägodie als die die Tragik erzeugende Macht der Objektivierung sich enthüllte, als instrumentale Gewalt sich zugeeignet.
Kirchengeschichtlich fallen das Urschisma und die Rezeption des Weltbegriffs, als dessen hypertropher Ausdruck und Reflex die Gnosis sich begreifen läßt, zusammen.
Zum Begriff als Reflex der Herrschaftsgeschichte: Ist nicht das Sklavenhaus zugleich der Eisenschmelzofen (das Schwert, das die Wunde schlug, heilt sie auch)?
Ist nicht die „Jahwä“-Theologie eine Theologie, deren pharaonische Tradition (die Tradition der Verstockung und Verblendung) darin sich zeigt, daß sie den Namen immer nur als den des Gottes der Hebräer versteht? -
30.7.96
Schwindel: ein physischer und ein logischer Sachverhalt; Zusammenhang von Hören und Sehen, Fall und Rotation (Planeten). Der Schwindel und die „Wege des Irrtum“, der Taumelkelch. Das Inertialsystem erzeugt den Schein des Schutzes vor diesem Schwindel, er verschafft den Begriffen Grund durch Verankerung in der Identität des Anschauens, der sichtbaren Dinge. Seitdem steht alle Identität unter dem Bann des Anschauens.
Im Johannes-Evangelium gibt es den „Fürsten dieser Welt“: – 1231: „Jetzt … wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden“, – 1430f: „Nicht mehr viel werde ich mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt. Über mich vermag er nichts, …“ – 167f.11: „Wenn ich nicht ginge, würde der Beistand nicht zu euch kommen … Wenn er dann kommt, wird er die Welt überführen: … des Gerichts, weil der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist.“
Wer ist damit gemeint: Der Caesar oder eine Engelsmacht (wenn beide sich überhaupt unterscheiden lassen)? Ist die Engelsvorstellung nicht politischen und astrologischen Ursprungs zugleich (und sind die Horoskope säkularisierte Engelsbotschaften)? Und unterscheiden Engel und Dämonen sich nicht eigentlich nur dadurch, daß, während jene auf das Endziel, die Rettung der Welt, sich beziehen, diese auf Interessen der Selbsterhaltung?
Zur Zweideutigkeit des Begriffs der Autonomie: Die Autonomie, die dem Selbsterhaltungsprinzip korrespondiert, gründet im Eigentum (der Nicht-Eigentümer ist nicht autonom), die andere Autonomie in der Distanz zur Selbsterhaltung (oder in der Fähigkeit zur Schuldreflexion): in der Freiheit zur Barmherzigkeit, zur Identifikation mit dem Anderen.
Die zweite Gestalt der Autonomie findet ihre biblische Verkörperung in der Idee des Heiligen Geistes. Als Verkörperung des verteidigenden („parakletischen“) Denkens ist der Heilige Geist die Verkörperung einer Freiheit, die dem Rechtfertigungszwang entronnen ist.
Ist nicht das Auto, dessen Kosten insgesamt die der „Anschaffung, Aufzucht und Erhaltung“ eines Kindes entsprechen dürften, und das auch einer ähnlichen „Zuwendung“ bedarf, das Symbol der Abschaffung der Zukunft? Hierbei entspricht der Geschwindigkeitsrausch („Freie Fahrt für freie Bürger“) dem Trieb, in der Gegenwart verharren zu können, der Zukunft zu entfliehen (Kult des Komparativs: Höher, schneller, weiter; zum Fetisch Auto gehört der Olympia-Kult). Sind nicht die Siege im Sport, insbesondere auf dem Fußballplatz, Exerzitien der schrecklichen Siege, deren Opfer wir alle einmal sein werden? Ist nicht das Ziel allen Sports das Präsens, das keine Zukunft mehr kennt (der Indikativ, der keinen Konjunktiv mehr kennt)? Bezieht sich nicht der Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden, auf dieses Präsens. Oder anders: Ist dieses Präsens das schwarze Loch, das alles Licht in sich aufsaugt, aber keins mehr ausstrahlt? Wie hängen die Formen der Deklination (die Casus) mit den Formen der Konjugation (den Zeiten und Modi: mit Präsens und Vergangenheit, Aktiv und Passiv, Indikativ und Konjunktiv, mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II, am Ende mit Infinitiv und Imperativ) zusammen? Hat nicht das nunc stans, das geheime Ziel der Lehre von der ewigen Wiederkunft, mit Nietzsche als absolute Parodie des Ewigen sich enthüllt? Nur daß es in einer Logik, die das Ewige mit dem Überzeitlichen verwechselt, hierzu keine Alternative gibt. „Ehe Abraham ward, bin ich“: ist dieser Satz nicht doppeldeutig? Er verweist einerseits auf eine vergangene Zukunft, die bis heute noch nicht eingeholt ist, während das „ehe“ auf eine Vorangehendes, Früheres, Erstes verweist, durch deren Kritik hindurch die Idee des Messias überhaupt erst zu gewinnen wäre. In messianischem Kontext ist das Erste das Letzte. Was „vor aller Zeit“ ist, ist keine Vergangenheit, sondern die Zukunft. Dieser Anfang wird das Ende sein. Deshalb ist der erste Akt der Schöpfung das Fallen, eine Katastrophe, das tohuwabohu, die Finsternis über dem Abgrund, während der zweite, noch nicht abgeschlossene der des Rettens ist. Der Anfang dieses zweiten Akts ist der über den Wassern brütende Geist. Aus wieviel Siebener-Gruppen besteht die Apokalypse (wenn man die Schreiben an die Engel der sieben Gemeinden in Asien mitzählt)? Kann es sein, daß es insgesamt elf sind, und bezieht sich darauf das Jesus-Wort an Petrus (das fast unmittelbar auf den Satz vom Binden und Lösen folgt), daß wir nicht nur siebenmal sondern siebenundsiebzigmal vergeben sollen (Mt 1822)?
Läßt sich die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik nicht daraus herleiten, daß nur die, die mitgemacht haben, lebenstüchtig waren, während die, die nicht mitgemacht haben, zu sehr mit sich selbst (mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Probleme) befaßt und für die anderen Dingen nicht frei waren? Hat nicht der leichte Gesinnungswechsel nach dem Krieg die Bekenntnislogik, der er sich bediente, endgültig gegen die Tradition, aus der sie einmal erwachsen ist, immunisiert und damit erst wirklich faschistisch gemacht? Hier liegt der Ursprung des Mechanismus, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, der bewirkt, daß heute der Kampf gegen den Faschismus zum Kampf gegen die Erinnerung wird: Die reflexartige Verurteilung des Faschismus, die das Erinnern ausschließt (das Entsetzen soll nicht „konserviert“ werden), macht auch den Kampf gegen den Faschismus blind gegen das wirkliche Verhängnis, das fortbesteht, sie macht ihn am Ende selber faschistisch. „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ (Zwi Rix, zit. na Henryk M. Broder): Gehört nicht zur Anamnese der Rache die Einsicht, daß nicht die Opfer, sondern nur die Täter rachsüchtig sind; und liegt darin nicht die wirkliche politische Gefahr? Läßt sich nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos auf die Gechichte des Christentums anwenden (und liegt das einzige Hemmnis nicht in den aus genau dieser Anwendung ableitbaren Folgen dieser Geschichte)? Und sind wir nicht heute in der Phase der Finsternis? Worauf bezieht sich das Wort vom Greuel der Ägypter; ist dieses Greuel (die Materie des Opfers) eins in den Augen der Ägypter oder in den Augen Israels (das Greuel der Ägypter selbst, das Prinzip Mizrajim)? In jedem Fall rührt das am dritten Tag nach dem Auszug vorgesehene (dann aber nicht erfolgte?) Opfer an die „heiligsten Güter“ Ägyptens.
Ist es nicht doch ein wenig arglos, wenn Ton Veerkamp darüber klagt, daß die gegenwärtige Theologengeneration an der Schrift nicht interessiert sei? Braucht nicht jeder Staat sein Militär, um in seinen Bürgern die paranoiden Ängste zu erzeugen und zu pflegen, deren er zu seiner Absicherung gegen ein etwaiges Erwachen der politischen Vernunft bedarf?
Auch wenn Tertullian selber nicht heilig gesprochen wurde: Ist er nicht gleichwohl die Verkörperung jenes Paradigmenwechsels, der dazu führte, daß an die Stelle des Märtyrers der Confessor getreten ist? Hat nicht Tertullian das Martyrium in die Confessio transformiert, und war das nicht der Grund der donatistischen „Häresie“? Dazu würde es passen, wenn es stimmt, daß Tertullian einmal gesagt hat, daß Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, dort zu Männern (gleichsam „befördert“) werden. Hat er sich hierbei auf die Antwort bezogen, die Jesus den Sadduzäern gegeben hat, als sie ihn wegen der Frage der Auferstehung auf die eine Frau, die mit sieben Männern verheiratet war, ansprachen (und erinnert diese Geschichte nicht an zwei andere Geschichten: an die der Sara und des Dämon Asmodai im Buche Tobit, wie auch an die der Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde <überhaupt an die „sieben unreinen Geister“, die in das „leere, gereinigte und geschmückte Haus“ zurückkehren>; wie wurde übrigens die Sara von ihrem Dämon befreit)? Bei Mk wird an die Befreiung der Maria aus Magdala von den sieben Dämonen anläßlich des Gangs zum Grabe (am „ersten Tag“) und der Auferstehung erinnert (169), bei Lk im Zusammenhang mit der ersten Nennung der Frauen aus Galiläa, die Jesus begleiteten (82). -
29.7.96
War Johannes nicht „der Jünger, den der Herr liebhat“, und auch der, von dem er sagte: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, was geht das dich an“, nach einer Tradition, an die Karl Thieme erinnert hat, der Typos der Juden (Petrus hingegen der Typos der Kirche)? Hat nicht die Kirche mit der Rezeption des Hellenismus das gleiche Scheusal verinnerlicht, gegen das einmal der Aufstand der Makkabäer sich richtete?
Man muß von der Vorstellung Abstand nehmen, daß in einer seit je bestehenden und immer sich gleichbleibenden Welt, die gleichsam nur als Bühne fungiert, die politischen Änderungen dann sich abspielten. Es waren politische Ereignisse, Prozesse und Veränderungen, die den Weltbegriff, die Spiegelung und Legitimierung der Herrschaftsstrukturen im Objekt, hervorgebracht und mit verändert haben. Die Kosmogonien, die mythischen Weltentstehungserzählungen, sind nicht nur unwahr: Sie reflektieren die mit der Entstehung der politischen Herrschaftsstrukturen verbundene Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs. Deshalb war der biblische Schöpfungsbericht ein Teil der Kritik der Idolatrie, der im Götzen-, Sternen- und Opferdienst sedimentierten Herrschaftsideologie. Hängt die Unfähigkeit, den Zusammenhang zwischen dem Reichtum der Metropole und der Armut in der Dritten Welt überhaupt wahrzunehmen, nicht mit dem Naturbegriff zusammen, mit dem die Herrschenden vor dem Erkanntwerden und schließlich vor der Selbstwahrnehmung sich schützen? Und beschreibt nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos genau diesen Prozeß (und damit auch den Prozeß der Konstituierung des Naturbegriffs)? Ton Veerkamps „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ wird widerlegt durch den anderen Satz: Das Vergangene (die Verhärtung des Herzens Pharaos, der Kreuzestod Jesu, der Faschismus und Auschwitz) ist nicht nur vergangen.
Deshalb ist Theologie ohne Erinnerungsarbeit nicht möglich, aber diese Erinnerungsarbeit (und damit die Theologie) zielt aufs Begreifen der Gegenwart (nicht des Überzeitlichen).
Wird nicht das Erzählen zum Mythos, wenn man die Halacha von Haggada trennt (durch den Rechtfertigungszwang, unter dem alles Erzählen steht: es entlastet)? Dieses Erzählen erzeugt aus sich selbst den Bann der Schicksals, dessen Logik es dann nicht mehr zu entrinnen vermag.
Die Lehrerfrage, die Schülern die Literatur verekelt: „Was wollte der Autor damit sagen?“ findet sich heute auch bei Theologen, die unterstellen, ein biblischer Autor habe nicht das gesagt, was er gesagt hat, sondern etwas gemeint, was von dem, was er gesagt hat, noch unterschieden sei; die meinen, es käme darauf an zu erkennen, was er hat sagen wollen, als wäre das etwas anderes als das, was er gesagt hat. Es ist der allwissende Theologe, der die geheime Absicht des biblischen Autors besser zu kennen vorgibt als der Autor selber. Er erweckt den Eindruck, erst wir wüßten wirklich, was der biblische Autor mit den damaligen, noch unzulänglichen Mitteln noch nicht so deutlich habe ausdrücken können, wie wir es heute können. So heißt es an einer Stelle im neuen katholischen Weltkatechismus (ich zitiere sinngemäß), der Autor der Genesis habe den an sich klaren Sachverhalt, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat, nur undeutlich (in der „Sprache seiner Zeit“) mit dem Satz, daß Gott im Anfang den Himmel und die Erde erschuf, wiedergegeben, vielleicht weil ihn seine Zeitgenossen, die noch in im Bann eines mythischen Weltbildes lebten, sonst nicht verstanden hätten. Aber gibt es einen undeutlicheren Satz als den, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat? Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, und das „naturwissenschaftliche Weltbild“ die Finsternis über dem Abgrund der Geschichte. Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, weil es vom Hören abstrahiert. Das Credo spricht die Sprache des Bewußtseins. Wenn ich etwas „bewußt“ sage, sage ich etwas anderes als ich meine, verfolge ich mit dem, was ich sage, eine Absicht, die ich zugleich verberge, ist für mich die Sprache ein bloßes Instrument, aber unfähig, die Wahrheit auszudrücken. Kein Bewußtsein ohne „Hintergedanken“, ohne List, ohne Ziele, die im Dunkeln bleiben. Das Bewußtsein spricht durch die Blume. Erst seit es das Bewußtsein gibt, gibt es die Psychologie, die Frage nach dem, was sich „hinter“ den manifesten Äußerungen des Bewußtseins verbirgt. Wer von einem biblischen Text sagt, daß der Autor „bewußt“ etwas sage oder nicht sage, kreuzigt das Wort. -
25.7.96
Eine Theologie der Schöpfung, die nicht auch Raum und Zeit als erschaffen begreift (die subjektiven Formen der Anschauung zum Gegenstand der Reflexion macht), gehorcht der Logik des Nationalismus, einer Logik, die den Staat zum Gott macht. Das ex nihilo, das auch auf den leeren Raum und die leere Zeit, auf das Nichtsein der Dinge in Raum und Zeit (auf ihre Vernichtung durch die von den subjektiven Formen der Anschauung beherrschte Einbildungskraft), sich beziehen läßt, ist ambivalent. Der Urknall ist keine Alternative zur Schöpfung, er setzt nur die atomare Katastrophe an den Anfang. Das Nichts, aus dem die Welt erschaffen wird, ist die zuvor zu vernichtende Welt.
Ist nicht der katholische Mythos, die Lehre von Himmel, Hölle und Fegfeuer, eine logische Entfaltung der aristotelischen Theorie vom „natürlichen Ort“? Dem hat Newton, durch die Relativierung des Falls durchs Gravitationsgesetz, den Boden entzogen – allerdings um den Preis, daß das Ganze zur Hölle (die Welt zu allem, was der Fall ist) geworden ist, und die Erlösung zur Fähigkeit, das nicht wahrzunehmen, davor die Augen zu verschließen (das ist der Grund der Rechtfertigungslehre, die den Glauben zum Organ des Wegsehens, damit aber auch gleichgültig gegen seinen Inhalt, gemacht hat). Newton hat die Welt so verändert, daß seitdem überall unten ist; seitdem gibt es zur Niedertracht keine Alternative mehr. Heute ist aus dieser Niedertracht die ganz gewöhnliche Gemeinheit geworden, der Faschismus, der alles durchdringt.
Für Aristoteles war das Feuer das absolut Leichte, sein natürlicher Ort war oben. Die christliche Kosmologie hat dann, um die obere Welt als reine Lichtwelt zu konstituieren, das Feuer nach unten verbannt und als Hölle unauslöschlich gemacht.
In der Apokalypse gibt es nicht nur die sieben Siegel, die das Buch verschließen, sondern auch den Schlüssel zum Abgrund.
Ist nicht das Chronologie-Problem, das Problem der „Tiefenzeit“, ein Abgrund-Problem (mit der subjektiven Form der inneren Anschauung als Finsternis über dem Abgrund)?
Ton Veerkamp bemerkt in seinem letzten Beitrag in TuK, daß das am ersten Tag erschaffene Licht „die Finsternis vertrieben“ habe. Die Finsternis wurde jedoch nicht vertrieben, sondern sie besteht weiter, und damit die Aufgabe, Licht in die Finsternis zu bringen: „Ihr seid das Licht der Welt“ (nach Jes 457 ist die Finsternis erschaffen, das Licht gebildet).
Sind die Planeten die „Enden der Welt“ (die Siegel auf den sechs Richtungen des Raumes und auf der Vergangenheit)?
Beleidigung, Betrug, Vergewaltigung: Die bloße Verurteilung der Beleidigung, des Betrugs und der Vergewaltigung täuscht sich und andere darüber hinweg, daß der Zustand der Welt selber beleidigend, betrügend und vergewaltigend ist. Die Verurteilung folgt immer nur der Tat, während allein die Reflexion dieses Weltzustandes, das Licht, das sie in die Finsternis zu bringen vermag, vielleicht einmal vor der Tat stehen wird.
Die Bibel unterscheidet die „Vögel des Himmels“, die „Fische des Meeres“ und die „Tiere des Feldes“.
„Bevor ich es vergesse …“: Wäre das nicht ein schöner Titel? – Ist nicht das Schreiben insgesamt ein Kampf gegen das Vergessen, das die Welt erzwingt, und verweist darauf nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Aber gibt es nicht auch Bücher – und spricht davon nicht Kohelet, wenn er schreibt: Des Büchermachens ist kein Ende -, die Instrumente des Vergessens sind?
Wenn Physik und Ökonomie als Instrumente des Vergessens und der Verdrängung sich begreifen lassen, in der Physik gibt es einen Punkt, der vom Kampf gegen das Vergessen zeugt: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Das Vergessen der Physik ist eine Potenzierung des Vergessens, das (über die Ökonomie und in ihrem Auftrag) schon in der Philosophie sich entfaltete. Hat nicht C.F.von Weizsäcker dieses potenzierte Vergessen in die Philosophie eingeführt, und ist nicht Habermas ein Beleg für das Gelingen dieses Versuchs?
Reflektiert nicht Nietzsches Bemerkung über das Mitleiden (in Jenseits von Gut und Böse, Werke Bd. 2, S. 627) aufs genaueste die Logik, die Schopenhauer zum Menschenfeind hat werden lassen? Nietzsches Bemerkung ist wahr, aber verweist sie nicht auf das logische Problem, das in der Wahrnehmung steckt, daß auch die „Nachbarn“ noch Opfer sind?
Verdrängung ist kein eindimensionaler Vorgang, es gibt eine dreifache Verdrängung (jede Verdrängung ist Produkt einer dreifachen Leugnung).
Der Kampf der Kirche gegen die Aufklärung war begründet, aber er blieb abstrakt, weil die Kirche nicht in der Lage war, in der Aufklärung eine Folge ihres eigenen Prinzips wiederzuerkennen.
Auch Theorien veralten durch den einfachen Zeitablauf (nur mathematische Erkenntnis enthalten in sich eine Automatik, die sie gegen dieses Veralten schützt, indem sie es instrumentalisiert). Eine Einsicht ist nur für den eine, der sie hat: Ex post, aufgrund der objektivierenden Gewalt, der sie durch den reinen Zeitablauf unterworfen ist, wird sie zur Meinung, die der Logik der Instrumentalisierung verfällt: sie verliert ihr Objekt und wird zum Ausdruck der Subjektivität: einer subjektiven Anschauung, eines subjektiven Interesses. Der Objektivationsprozeß (der Prozeß der fortschreitenden Naturerkenntnis und -beherrschung) ist nicht nur ein von der Menschheit angezettelter, gegen die Natur angestrengter Prozeß, sondern zugleich ein Prozeß der Natur gegen sich selber, in dem sie sich der Menschheit nur bedient.
Hieß nicht das Tier mit den neun Köpfen, dem, wenn man einen abschlug, zwei zwei neue nachwuchsen, Hydra („Wasserschlange“), und hat dieses mythische Tier (das Herakles besiegte) etwas mit dem apokalyptischen Tier aus dem Meere zu tun?
Das Rätsel der spätantiken, frühmittelalterlichen Theologie wäre gelöst, wenn begriffen wäre, wie die paulinischen Elementarmächte, die „Herrschaften und Gewalten“, zu Engelsmächten geworden und in die Präfation hineingeraten sind.
Der faschistische Slogan „Blut und Boden“ zog seine symbolische Kraft aus der dunklen (durch keine Reflexion aufgehellten) Erinnerung an den durch das Blut der bei der Eroberung gefallenen Helden „geheiligten“ Boden, den Eigentumsgrund des Staates. Diese Blutsymbolik hat zugleich die Eigentumswirtschaft, der Staat und das Geld geheiligt. Hat sie nicht der Opfertheologie (der Vorstellung einer „Erlösung durch das Blut“ des am Kreuz geopferten Gottessohns) endgültig den Grund entzogen?
Dieser Begriff der Heiligkeit, der die Herrschaftssymbolik begründet, ist dem, der der Gottesoffenbarung beim brennenden Dornbusch zugrundeliegt („Ziehe die Schuhe von den Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst ist heiliges Land“, Ex 35) durch die gemeinsame Beziehung zum Eigentumsbegriff zwar verbunden, in der Sache aber aufs genaueste entgegengesetzt. Während der biblische Begriff der Heiligkeit das Heilige jedem staatlichen Zugriff entzieht, zielt der faschistische, der mit dem Eigentum den eigenen Staat und die Gewalt, die beide aneinander bindet, vergöttlicht, darauf ab, es dem Zugriff anderer zu entziehen.
Hat der Satz des Täufers: „Nach mir kommt der, welcher stärker ist als ich, und ich bin nicht würdig, mich zu bücken und ihm den Riemen seiner Schuhe zu lösen“ (Mk 17) etwas mit Ex 35 zu tun?
Die Theologie hat die Kraft der Selbstreinigung von der Logik des Fundamentalismus; sie gründet in der einfachen Überlegung, daß die Vergegenwärtigung des Vergangenen etwas anderes ist als die Subsumtion der Gegenwart unter die Vergangenheit. Ist nicht die Idee des Messianismus etwas anderes als die isrealische Siedlungspolitik?
Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, wäre durch den anderen zu ergänzen: Die Geschichte und der Weltbegriff (die durch eine logische Symbiose verbunden sind) können das Objekt nicht halten. Die Trennung von Natur und Geschichte ist unvermeidbar, aber gleichwohl falsch; sie ist ein Teil der logischen Verblendung, die theologisch allein durch die Idee der Auferstehung der Toten sich auflösen läßt.
Ist die Sintflut nicht das Symbol des Ursprungs des Weltbegriffs (vgl. hierzu die Reflexionen zur Sintflut im Sohar)? Dann wäre Hegels Logik die Beschreibung der Sintflut von innen.
Gibt es eine Beziehung der Praxis des „Banns“ bei der Landnahme zu den Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea? -
24.7.96
Hängen die paulinischen Reflexionen über die Thora, das Gesetz, mit der Bräutigam-Braut-Symbolik zusammen, mit der Beziehung Jesu zum „himmlischen Jerusalem“ der Apokalypse (Jankowski, TuK 70, S. 8ff)?
Erinnert nicht die Auslegung des paulinischen Fleischbegriffs, den Jankowski auf die Juden bezieht (ebd. S. 12ff, vgl. auch Ton Veerkamp im gleichen Heft), an den der „fleischlich gesinnten Juden“, den ich zuletzt bei Karl Thieme vorgefunden habe? Und zieht er nicht die ganze Vorstellungswelt des kirchlichen Antijudaismus nach sich, die über die Beziehung von Fleisch und concupiscencia, Sexualität, dann auch in die antisemitische Vorstellungswelt mit eingegangen ist? In der Sache, so scheint mir, scheitert diese Auslegung an der sachlich nicht begründbaren Gleichsetzung von Beschneidung und Fleisch: Die Beschneidung ist nicht Fleisch, sondern wird am Fleisch vollzogen. Hier wird das Objekt einer Handlung mit dieser Handlung verwechselt. Ist dieses „Fleisch“ – auch vor dem Hintergrund des Weltbegriffs, auf die ganze Ursprungsgeschichte des Christentums sich beziehen läßt – nicht eher das Fleisch der apokalyptischen Tiere, das am Ende die Vögel fressen? Hegel hat einmal seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, mit dem Hinweis begründet, daß es dann keine unterschiedlichen Gattungen und Arten von Tieren, sondern nur eine Art bzw. Gattung geben dürfe; diese Begründung spiegelt den unbestreitbaren Sachverhalt wider, daß Tier und Welt in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen: Jedes Tier (jede Gattung) hat seine Welt, und zur Idee der „einen Welt“ (zum universalen Weltbegriff) gehört dann das eine Tier (als das dieser Welt eindeutig zuzuordnende Subjekt). In dieser Beziehung drückt sich übrigens ein logischer Sachverhalt aus: die Logik der Welt ist die Logik der Instrumentalisierung, und der Begriff des Tieres (des Organismus) drückt genau diese als Subjekt sich konstituierende Einheit der Instrumentalisierung aus, die über das Selbsterhaltungsprinzip, über ein System subjektiver Ziele, sich definiert. Deshalb unterliegen alle subjekthaften (dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfenen) Systeme und Institutionen dem Gesetz der „organischen Entwicklung“. Und die kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ erfüllen genau diese Funktion: alle Erfahrung nach dem Prinzip der Selbsterhaltung zu organisieren, in deren Licht die Dinge nur noch als Mittel subjektiver, ihnen von außen auferlegter Ziele erscheinen. Dieses Prinzip liegt dem kantischen Begriff der Erscheinungen zugrunde, die die Erfahrung insgesamt nach Maßgabe der Totalitätsbegriffe Welt und Natur aufteilt und organisiert. Unter diesem Gesetz ist, was die Dinge an sich sind, in der Tat nicht mehr erkennbar.
Macht nicht Jankowski, wenn er Fleisch als Synonym für Beschneidung setzt (S. 14), den Gegensatz Fleisch/Geist zu einem antijudaistischen Gegensatz?
Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein Grund der Hoffnung.
Wenn Paulus ein Zelot war, dann war Hitler ein Sozialist.
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Wäre das nicht das Motto einer Theologie-Kritik, einer Kritik der Verdinglichung?
Die einfachste Definition der Barmherzigkeit ist die, daß vor dem Urteil die Frage steht, ob du anders hättest handeln können, wenn du an der Stelle des Objekt gestanden hättest.
Rosenzweigs Stern der Erlösung oder die Vergegenwärtigung der Tradition: Die Transformation der Schrift ins Wort setzt die Reflexion auf das fundamentalistische Schriftverständnis, auf die Bindung des Textes an die intentio recta, voraus. Lesen, wie es heute nötig wäre, ist interlineares Lesen, Lesen zwischen den Zeilen, bei genauester Wahrung des Worts.
Ist nicht genau das der Unterschied zwischen Buber und der jüdischen Tradition, daß Buber die Bücher Josue bis Könige als historische und nicht als prophetische Bücher begreift (zum Buch der Richter vgl. Lillian Klein: Triumph Of Irony In The Book Of Judges)? Vergegenwärtigung ist heute nicht leichter mehr zu haben als über die Auflösung des Banns der subjektiven Formen der Anschauung, und d.h. über die Kritik der Naturwissenschaften.
Wer die Prophetie historisiert, braucht sie nicht mehr auf die Gegenwart und auf sich zu beziehen: Als Heilsprophetie hat sie sich in Jesus erfüllt, als Unheilsprophetie gilt sie nur noch für die Juden (und dient so als Schriftbeweis des Antisemitismus: schon damals waren sie so).
Jüngstes Gericht: Aufhebung der Trennung von Natur und Geschichte im Geiste der Utopie, oder die Idee der Auferstehung als erkenntnisleitendes Prinzip. Eine Distanz zu dem, was die Idee der Auferstehung von sich aus meint, bleibt; diese Distanz darf durch Symbolisierung der Idee (die die Toten instrumentalisiert und vergißt) nicht aufgehoben werden.
Die Geschichte aus dem Gefängnis befreien, in das wir sie durch Subsumtion unter unsere subjektive Form der inneren Anschauung (durch Subsumtion unters Zeitkontinuum) eingesperrt haben.
Die subjektiven Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind keine Naturprodukte, sondern in einem gesellschaftlichen Prozeß entsprungen; sie sind selbst Produkt einer Vergesellschaftung („das stumme Innere der Gattung“).
Unterscheidet sich nicht die mittelalterliche von der antiken Kosmologie durch eine geringfügige, kaum wahrnehmbare, darum aber nicht weniger folgenreiche Veränderung: durch die Lehre vom Sündenfall, als deren instrumentalisierte Gestalt die Naturwissenschaften sich begreifen lassen? Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, wäre in antikem Kontext nicht denkbar.
Läßt sich nicht der Haß auf die Zukunft als das Produkt eines logischen Zwangs begreifen, den die Beschaffenheit der Welt in Verbindung mit dem alles durchdringende Selbsterhaltungsprinzip auf unser Bewußtsein heute ausübt, ist er nicht schon überdeterminiert? (Ich habe Benjamins anderslautende Bemerkung schon beim ersten Lesen nicht begriffen, bis mir bewußt wurde, daß sie in der Tat aus Gründen, die es endlich zu begreifen gilt, heute nicht mehr gilt. Daß sie nicht mehr gilt, affiziert die Idee des Glücks, die damit ihre raison d’etre verloren hat. Dafür rächt sich der Faschismus und macht so den Verlust irreversibel.)
Adornos Philosophie ist die Entfaltung des apokalyptischen Satzes: Das Erste ist vergangen.
Klingt nicht in Rosenzweigs Kritik des Allbegriffs die Kritik der Universalität des Hegelschen Weltgerichts mit an, die eigentlich die Universalität des Opfers meint.
Ist nicht das Opfer der Zukunft, auf das die Kirche heute bewußtlos und selbstzerstörerisch sich zubewegt, die Selbstverfluchung Petri in der dritten Leugnung?
Nicht nur der römische Hauptmann unterm Kreuz sagt: Das war Gottes Sohn, auch die Dämonen sagen es („und zittern“, nach Jakobus), auch Petrus (nach Karl Thieme ein Typos der Kirche) sagt es, bevor er ihn dreimal verleugnet.
Ton Veerkamps Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (TuK 70, S. 23) erinnert an Hegels Bemerkung (in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte), daß das Wort Geschichte sowohl die historia rerum gestarum als auch die res gestas bezeichnet.
Hat die Vorstellung des Zeitkontinuums (die subjektive Form der inneren Anschauung) sich in der Auseinandersetzung mit der Sternenwelt gebildet? Das würde die Beziehung begründen, in die Kant das moralische Gesetz in uns und den Sternenhimmel über uns rückt. Und der altorientalische Sternendienst war in der Tat ein Instrument der Legitimation der altorientalischen Reiche.
Steckt nicht eine ungeheure Logik in den Problemen, die Goethe und Hegel mit Newton hatten? War es nicht bei beiden das griechische, das „heidnische“ Erbe, das sie aufs Anschauen verwies, auf eine Distanz zu den Dingen, deren Preis die Leugnung und Verdrängung eines Innen war, das bei Newton als das barbarische der allgemeinen Gravitation sich enthüllte (Christentum und Gravitation)? Ist nicht die Anthroposophie eine der letzten Manifestationen dieser Logik? Und gehört nicht die Marxsche Bindung seiner Kapitalismus-Kritik ans Tauschparadigma (und die Ausblendung des Schuldknechtschafts-Paradigma) in diesen Zusammenhang, mit der welthistorischen Folge, daß der Versuch der Realisierung im real existierenden Sozialismus direkt ins Sklavenhaus führte (deshalb gab es im gesamten Ostblock keine Banken)?
Blüm wäre zu korrigieren: Nicht Jesus lebt, wohl aber die tief in der Geschichte des Christentums verwurzelten Banken, deren Zentralen in der Bankenstadt Frankfurt den Triumph über den Sozialismus und das Christentum zugleich ausdrücken.
Ist nicht die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler aus dem Tempel das zentrale Symbol der heute anstehenden Kirchenkritik? (Gibt es einen Zusammenhang dieser Vertreibung der Taubenhändler mit der Geschichte vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock gab; ist nicht die Taube das Opfer der Armen und das Symbol des Heiligen Geistes zugleich? Hat nicht die Kirche die Armen und den Heiligen Geist zugleich verraten, als sie sich selbst an die Stelle der Armen setzte und den Geist zum Instrument der Selbstlegitimation machte?)
Wie unterscheidet sich die typologische und realsymbolische Schriftinterpretation von der historisch-kritischen (auf die sie gleichwohl sich beziehen muß)? Ist nicht vor allem der Versuch einer Vergegenwärtigung, die nicht dem Bann des Erbaulichen verfällt? Die typologische und realsymbolische Interpretation gewinnt ihr Leben aus dem des Namens, das in ihnen sich entfaltet.
Sprachastrologie: Ist der Jupiter der Nominativ und der Mars der Akkusativ, und haben Venus und Merkur mit Genitiv und Dativ zu tun?
Unschuldige Dingwelt, oder das Prinzip der Verdinglichung: Der Verurteilungsmechanismus ist ein Exkulpationsmechanismus. Es ist der Mechanismus der Verhärtung des Herzens.
Wer durch die Blume spricht, greift den Adressaten auf eine Weise an, daß er sich nicht wehren kann; er nimmt ihm die Möglichkeit der Verteidigung.
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