Faschismus

  • 22.7.96

    Jak 520: Gerettet ist nicht, wer frei von Schuld ist, sondern wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums bekehrt. Mission, Propaganda, Reklame sind die Irrwege der Bekehrung. Bekehrung ist nicht Umkehr: Bekehren kann ich auch mit Gewalt, aber Umkehr kann ich nicht erzwingen.
    Ist nicht das Scheitern des real existierenden Sozialismus der Beweis dafür, daß die richtige Gesellschaft sich nicht über die Köpfe der Menschen hinweg (nicht durch „Bekehrung“) errichten läßt? Die wirkliche Umkehr korrespondiert mit der Auferstehung aller.
    „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp in TuK Nr. 20, S. 23): Dieser Satz ist schrecklich. Der Kreuzestod Jesu oder Auschwitz wären demnach nicht „passiert“, wenn nicht davon erzählt worden wäre? Und das namenlose, nie erzählte Grauen in der Geschichte ist nicht gewesen, wenn niemand es erzählt? Ist es nicht vielmehr das Leiden, an dem, was Rosenzweig wie auch Adorno einmal den Vorrang des Objekts genannt haben, sich demonstrieren läßt? Ist es nicht der Sinn des Eingedenkens, des Erinnerns, auch das Nicht-Erzählte, das, was im Dunkeln liegt, noch ans Licht zu bringen? Und korrespondiert nicht das Dunkel der Vergangenheit mit den heutigen Objekten der Verdrängung (liegt hier nicht die geheime Korrespondenz der Gegenwart mit der Vergangenheit, an die Walter Benjamin in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen erinnert)?
    Was nicht erzählt wird, ist so, als wäre es nicht passiert; aber dieses „als“ ist ein Äquivalent der Verdrängung. Denn die Spuren auch des nicht erzählten Leidens sind unauslöschbar. Das Erzählen ist wichtig als eine Hilfe des Nicht-Vergessens; nur im Mythos hat es objektkonstituierende Macht. Martin Buber hat die Bücher Josua bis Könige zu den Geschichtsbüchern gezählt und für Mizrajim den Namen Ägypten gewählt. Hängt nicht beides zusammen, hat er hier nicht das hellenistische Erbe (das auch das Christentum verhext) übernommen? Ist nicht die Historisierung dieser Bücher ein Symptom der Historisierung der Prophetie, eigentlich ihrer Leugnung durch Remythisierung?
    Ist es nicht ein Unterschied, ob man die drei Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea historisch, oder ob man sie prophetisch begreift (z.B. als Hilfe zum Verständnis von Rostock, Mölln, auch von Auschwitz)?
    Paulus war kein Zelot (gegen Jankowski), eher ein Skinhead.
    Ist nicht heute die Freudsche Psychosenlehre wichtiger geworden als seine Neurosenlehre (liegen nicht die Fortschritte der Psychoanalyse heute im Bereich der Erforschung der Schizophrenie und des Autismus, auch der Antipsychiatrie)? Und werden hier nicht biblische Motive wie das Gebot, die Eltern zu ehren, oder das der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kinder, auch das, daß nur der seine Seele rettet, der einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, auf ein ganz neue Weise aktuell? Rühren diese Motive nicht genau an diesen Punkt? Nur: das Problem der Psychose ist im Gegensatz zu dem der Neurose psychologisch (subjektintern) nicht mehr darstellbar, es rührt an den Grund des Zustands der Welt (wie in der Theologie der Name Israel oder der corpus Christi mysticum). Ist die Jesus-Geschichte nicht die Innenseite (die Feuerseite) der gleichen Geschichte, deren Außenseite (Wasserseite) im Römischen Imperium und im Caesarismus sich manifestiert? Gründet nicht Adornos Ästhetik (der Begriff wie auch das Werk, das diesen Titel trägt) in Hegels Logik des Scheins?
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Bezeichnet nicht dieser Begriff des Falls einen physikalischen, einen gesellschaftlichen und sprachlogischen Sachverhalt? Dieser eine Begriff bezieht sich nicht zufällig (nicht durch bloße Äquivokation) gleichzeitig auf – die Erscheinungen der Gravitation, – die Objekte der Verwaltung: die Fälle, die die Verwaltung bearbeitet, und nicht zuletzt – die casus der Grammatik. Gehören nicht zu dem sprachtheoretischen Konstrukt einer „indoeuropäischen Ursprache“ acht casus (neben den vier kanonischen: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, der Ablativ, der Lokativ, der Instrumentalis und der Vokativ)? Sind nicht die casus, die dann (in den modernen europäischen Sprachen, nach dem griechischen Vorbild, das zusätzlich allerdings noch den Vokativ enthielt) kanonisch geworden sind, die Reflexionsformen des Begriffs im Objekt? War nicht die Einführung des unbestimmten Artikels, die sprachlogisch mit dem Ursprung der Hilfsverben zusammenzuhängen scheint, der entscheidende Schritt zur Kanonbildung der casus? Ist es nicht eine gemeinsame (ihren empirischen Objektbezug begründende) Sprachlogik, die das englische to be mit der Tatsache verknüpft, daß gleichzeitig die Artikel im Englischen geschlechtsneutral sind und nicht dekliniert werden? Sprachlogisch lassen männlich und weiblich nicht mehr sich unterscheiden, Akkusativ und Nominativ nur noch durch ihre Stellung im Satz, während Dativ und Genitiv von außen, durch vorangestellte Präpositionen, bestimmt werden. Wann und in welchem herrschaftsgeschichtlichen (gesamtgesellschaftlichen) Kontext sind die Hilfsverben entstanden? Ist das englische to be ein sprachlogisches Denkmal des Übergangs von der Stammesgesellschaft zur Monarchie (und das deutsche Sein eines des Ursprungs der Reichsgeschichte und des Kaisertums)? Ist das to be (wie auf andere Weise auch das Sein) nicht ein Exorzismus (einer, der die Geister leben läßt, sich aber nicht mehr vor ihnen fürchtet)? Sind die Hilfsverben Beleg einer Entwicklung, die (wie das mittelalterliche Christentum insgesamt) den Mythos übersprungen hat, ihn aber eben deshalb (in Gestalt der Hilfsverben, mit Hilfe der Logik, die sie repräsentieren) in sich reproduziert?
    Die kantischen Prolegomena verhalten sich zur Kritik der reinen Vernunft wie Engels zu Marx. Der Nationalsozialismus, der seine „Weltanschauungs“-Kriege im Rußland-Feldzug wie in Auschwitz als Vernichtungs-Kriege geführt hat, hat damit den Begriff der Weltanschauung selber aufgedeckt und unbrauchbar gemacht.
    Der Begriff der Weltanschauung ist aus zwei Komponenten zusammengesetzt, die jede für sich auf die Ursprungsgeschichte der gleichen Zivilisation verweisen, die sie in dieser Komposition von innen sprengen. Der Begriff der Weltanschauung macht den apokalyptischen Vorgang unkenntlich, den er bezeichnet.
    Die Auseinandersetzung mit dem Staat ist die Auseinandersetzung mit der Quelle der Logik, die auch das eigene Bewußtsein beherrscht. Das Feindbild Staat gewinnt seine Verführungsgewalt aus der Vorstellung, dieser Auseinandersetzung (der Selbstreflexion des falschen Bewußtseins, dessen Quelle in der Tat der Staat ist) sich entziehen zu können. Zugrunde liegt das Versäumnis der Reflexion des Faschismus (der deshalb das „wahre Gesicht des Staates“ ist, weil der Staat keins hat).

  • 21.7.96

    Die Welt ist alles, was der Fall ist. Sind die Wege des Irrtums die Wege des Falls? Hat die Entdeckung der Gravitation (der Schwere) deshalb die christliche Theologie (die Kritik und Auflösung der Vorstellung vom „natürlichen Ort“, ihre Ersetzung durch die Vorstellung einer absoluten, Himmel und Hölle aufeinander beziehenden und zugleich sie trennenden Richtung) zur Voraussetzung?
    Wer sagt, daß das Foucaultsche Pendel ein Beweis für die Bewegungen der Erde ist, hat Einstein nicht begriffen und glaubt immer noch an ein absolutes, an den Fixsternen haftendes Inertialsystem.
    Es ist die selbstverschuldete Unfähigkeit, die politische Ökonomie zu reflektieren, die die Naturwissenschaften gegen Kritik immunisiert.
    Hat das Christentum nicht das mosaische Gesetz auf die Sexualmoral reduziert, und das verkürzte Gesetz (zu dem neben der Unzucht noch das Nahrungsgebot: die Enthaltung von Speisen, die aus Götzenopfern stammt, vom Blute und von Ersticktem gehörte), an dem Jakobus (für die „Heiden“, die Völker) noch festgehalten hat, mittlerweile vergessen? Bei Paulus (1 Kor 8ff) wird das Verbot, Götzenopferfleisch zu verzehren, schon reduziert auf die gleichsam private Empfehlung, kein Götzenopferfleisch zu essen, wenn man dadurch bei den Schwachen Anstoß erregt, während 2 Petr 215, Jud 111 und Off 214.20 unter Hinweis auf Verführung durch Bileam (und durch Isebel) das Verbot bekräftigen. Rücken Petrus, Judas und Johannes mit dem Hinweis auf Bileam und Isebel das Verbot nicht in einen politisch-messianischen (und apokalyptischen) Zusammenhang, der bei Paulus aus dem Blickfeld verschwindet? Drückt in dieser Differenz nicht die Differenz im Verhältnis zu Rom (zum Reich, zu „Babylon“, zur Welt) sich aus (oder auch die Differenz zwischen der messianischen Bewegung und einem Mysterienkult, der mit Rom seinen Frieden geschlossen hat)?
    Zwischen Grundbesitz, Handel und kapitalistischer Produktion stehen die Banken.
    Es gibt zwei Begründungen des Gewaltmonopols des Staates:
    – es nimmt den Bürgern das Recht auf Selbstjustiz, es ist ein Instrument der Zivilisierung: der Hemmung des Rachetriebs;
    – zugleich dient es der Absicherung der „sozialen“ Aufgaben des Staates: es ist ein Instrument zur Verteidigung der Rechte der Armen und Schwachen gegen die ökonomisch Mächtigen. (Wenn der Staat aufhört, seine soziale Aufgaben wahrzunehmen, verliert das Gewaltmonopol seine Legitimation. In diesem Kontext wäre Benjamins Begriff der „göttlichen Gewalt“ und Derridas Kritik dieses Begriff neu zu prüfen: Er läßt sich sehr wohl von der faschistischen Gewalt unterscheiden.)
    Drückt sich das nicht u.a. darin aus, daß im Strafrecht der zivilisierten Staaten der Mord kein Tat-, sondern ein Täterdelikt ist: Bestraft wird der Mörder, nicht der Mord? Zum Mord gehört die „niedrige Gesinnung“, ein strafrechtlich schwer zu fassender Tatbestand, der nicht zufällig immer wieder als Einfallstor subjektiver Vorurteile in das Verfahren der Urteilsfindung sich erweist. Zu den Indikatoren „niedriger Gesinnung“ gehören insbesondere
    – der „Bereicherungstrieb“, der zwar die Grundlage und der Motor des kapitalistischen Wirtschaftens ist, in strafrechtlich relevanten Bereichen aber vorwiegend Arme zu befallen scheint (der Arme, der einen Reichen erschlägt, ist ein Mörder; die Bank, die einen Schuldner in den Selbstmord treibt, handelt in Wahrnehmung legitimer Interessen); oder auch
    – der „Geschlechtstrieb“, der vor allem bei Frauen zu finden ist, die es in ihrer Beziehung zu einem Mann, auch in ihrer Ehe, nachdem sie zu einem Gewaltverhältnis geworden war, nicht mehr aushielten.
    Niedrige Gesinnung war hingegen nicht feststellbar bei Richtern, die durch Terror-Urteile im letzten Krieg dazu beigetragen haben, den mörderischen Krieg zu verlängern und den Betrieb der industriellen Massenmord-Maschine der Nazis abzusichern, oder auch bei Polizeibeamten, bei denen in Ausübung ihres Dienstes aus der Dienstwaffe „ein Schuß sich löste“.
    Gibt es nicht dazu noch weitere Hinweise, daß der Mord nicht zuletzt auch deshalb kein Tatdelikt ist, weil es im Ernst um die Tat nicht geht, sondern darum, daß hier eine(r) ein Recht sich herausnimmt und anmaßt, das eigentlich nur dem Staat zusteht? Der Eingriff in die Rechte des Staates, der die Regeln festlegt, wann und unter welchen Bedingungen die Tötung eines Menschen, die individuelle Bereicherung oder auch die Ausübung des Geschlechtstriebs erlaubt sind, dieser Eingriff und nicht die Schädigung oder der Tod des Opfers ist es, der den Täter zum Verbrecher macht.
    – So fand der damalige Innenminister, daß an den Ausschreitungen gegen Ausländer und Asylanten in Rostock nicht die Tat, sondern der Eindruck, den sie im Ausland machte, verurteilenswert war.
    – Oder als der Regierungssprecher nach den Morden in Mölln gefragt wurde, ob nicht der Bundeskanzler an den Trauerfeierlichkeiten hätte teilnehmen sollen, konnte er es, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, sich erlauben, eine solche Teilnahme als „Beileids-Tourismus“ abzuqualifizieren.
    – Weisen nicht die Reaktionen auf den Brief der Brüder von Braunmühl an die raf, in dem sie ihr Erschrecken über die Tat zum Ausdruck brachten, auf den gleichen Sachverhalt?
    Hat nicht die deutsche Justiz, als sie ihre am Volksgerichtshof und an den Nazi-Sondergerichten tätig gewesenen Kollegen freisprach, dem raf-Terrorismus den Weg freigemacht und die Zweifel mit begründet, die nach Stammheim und Bad Kleinen bis heute nicht ausgeräumt worden sind?
    Immer noch wird bei Anschlägen auf Ausländer-Wohnungen betont, daß „ausländerfeindliche Motive nicht erkennbar“ seien, wird bei Flugzeugunglücken mitgeteilt, ob (und wieviel) Deutsche betroffen sind. Im Golfkrieg war die Hauptsache, daß „unsere Jungs“ heil herausgekommen sind, wieviel Tote (auch unter der Zivilbevölkerung) es auf der anderen Seite gegeben hat, hat niemand ernsthaft interessiert. In der „UNO-Schutzzone“ Srebrenica haben die UNO-Truppen nur sich selbst geschützt, die Massaker an der bosnischen Bevölkerung haben sie nicht interessiert. Aber Soldaten genießen Ehrenschutz: Sie dürfen nicht Mörder genannt werden.
    Gibt es nicht heute Siege in Kriegen, die eigentlich Niederlagen sind (Vietnam)?
    Ist nicht der Nationalismus das Grundmodell der symbiotischen Beziehung?

  • 14.7.96

    Die Definitionskraft Kants ist phantastisch, aber was er logisch durchdringt und erhellt, ist erschreckend.
    Die Philosophie heute ist Teil eines Prozesses, der durchherrscht wird von Trägheitskräften: überlebende Schiffbrüchige, die an die Planken des zerstörten Schiffes sich anklammern (und sich immer noch für Kapitäne halten).
    Ist nicht die irische Neubegründung des Christentums eine Parallelerscheinung zum Islam: diese Neuversion des Christentums ist zur gleichen Zeit entsprungen und hat in der gleichen Zeit über Europa sich ausgebreitet. Das Neue, das hier sich herausgebildet hat, war ein Selbstverständnis, das als Legitimation des Königtums das Ende der Stammesgesellschaft ratifizierte, verbunden mit einer (im Kontext des theologischen Begriffs des Sündenfalls an der Schwere sich orientierenden) Neubestimmung des Naturbegriffs: Natur war alles, was unten ist. Hier liegen die Wurzeln sowohl der neuen Gestalt des Bürgertums als auch der neuen Natuwissenschaften, die nur über diese (theologische) Zwischenstufe sich haben etablieren können.
    Der Begriff der Eigentumsgesellschaft dogmatisiert die Oben-Unten-Beziehung (zum Eigentum gehört der Knecht, der es bearbeitet; die Hierarchie ist ein System von Knechten).
    Aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstands wird man beim Hogefeld-Prozeß davon ausgehen müssen, daß die Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden in der Aktion in Bad Kleinen zum Opfer ihrer eigenen paranoiden Phantasien geworden sind. Weist nicht alles darauf hin, daß es die Aufgabe dieses Prozesses ist, diesen Phantasien, die schon damals durch die Erkenntnisse des V-Manns widerlegt gewesen sein müssen, nachträglich den rechtlichen Status der Erkenntnis zu geben? Daß das Gericht seine Aufgabe begriffen hat, mag man daran erkennen, daß alle Versuche, das Geschehen in Bad Kleinen im Prozeß aufzuklären, abgeblockt und unterbunden werden. Hierbei profitieren BAW und Senat offensichtlich davon, daß auch die Phantasie der Angeklagten und der Verteidigung an das, was wirklich passiert ist, nicht heranreicht, daß beide – ebenso wie die Öffentlichkeit insgesamt – das Undenkbare, das wirklich geschehen ist, nicht zu denken wagen.
    Die „Undenkbarkeit“ des Geschehens gründet in einem (urteils- nicht handlungs-)moralischen Sachverhalt. Der Nationalsozialismus hat erstmals mit nachhaltiger Wirkung von diesem Mechanismus Gebrauch gemacht: Wenn das, was man tat, so schlimm war, daß man jeden Versuch, das Geschehen öffentlich zu machen, als „Greuelpropaganda“ dementieren konnte, so war die Tat selber der beste Schutz gegen ihr Bekanntwerden (und gegen ihre Verurteilung). Der gleiche Mechanismus hat am Ende des Krieges der gesamten Bevölkerung als absolut wirksame Verdrängungshilfe gedient, und er hat es der Rechtsprechung nach dem Krieg erlaubt, die Nazi-Justiz insgesamt freizusprechen (mit Hilfe der gleichen Logik, die heute immer noch Trunkenheit als Schuldminderungsgrund anerkennt).
    Ein Staat, der sich selbst für beleidigungsfähig erklärt (der „verunglimpft“ werden kann), der den „Ehrenschutz“ ausdehnt (und das Militär unter Sonderrecht stellt), hat wirklich etwas zu verbergen, und seine Repräsentanten wissen es auch.
    Hat nicht der Begriff Rechtsstaat auch den Hintersinn, daß es sich um Staat handelt, in dem das Regieren immer mehr ins Verwalten übergeht: in ein Handeln, das durch Gesetze, nicht durch die souveräne moralische Reflexion (oder – frei nach Kant – durch die bestimmende, nicht die reflektierende Urteilskraft) sich bestimmt. Im Rechtsstaat tut jeder seine Pflicht, aber keiner weiß mehr, was er tut (so haben auch die Richter am Volksgerichtshof nur ihre Pflicht getan, nur daß sie nicht mehr wußten, was sie taten).
    Soldaten und Beamte tun ihre Pflicht, wissen aber nicht mehr, was sie tun: Die nationalsozialistische Durchmilitarisierung des Volkes, die ohne den Antisemitismus (die reinste Gestalt einer instrumentalisierten Bekenntnislogik) nicht möglich gewesen wäre, hat das ganze Volk in eine hierarchische Verwaltungsorganisation transformiert, mit dem einen Ziel: der Neutralisierung der moralischen Selbstreflexion und Selbstbestimmung, der Aufhebung der Tötungshemmung, der Etablierung des durchorganisierten blinden Gehorsams. Insoweit war der Faschismus eine gesellschaftliche Naturkatastrophe, die den Greuel der Verwüstung hinterlassen hat.
    Ist nicht der Faschismus das Modell für den Begriff einer „nachhaltigen Entwicklung“?
    Fragepronomen: Ist nicht das Wie eine falsche, den „Weg des Irrtums“ eröffnende Frage? Beantworten nicht die Namen der Planeten alle eher ein Wie als ein Was? Konstituiert das Wie die Sphäre, in der das Warum (die Frage nach der Ursache wie nach der Schuld, die den Naturbegriff und die Geschichtsschreibung begründen) entspringt? – Gibt es im Hebräischen das Wie und das Warum (das Warum begründet die Theodizee)? Welche Frageformen entspringen mit der Vergegenständlichung der Zeit (und welche Fragen erlöschen in der Idee des Ewigen)?
    Quod erat demonstrandum: In der Wissenschaft wird demonstriert, im Recht wird bewiesen; wie unterscheiden sich wissenschaftliche und juristische Urteile? Gibt es eine wissenschaftliche Entsprechung des Zeugen: Im Recht wird die Wahrheit bezeugt, in der Wissenschaft wird sie erzeugt?

  • 13.7.96

    Nach Kants Definition des Erhabenen ist der Islam die Religion der Erhabenheit.
    Notwendig wäre die Rekonstruktion und Reflexion des Mechanismus, der bewirkt, daß ebenso, wie die Verurteilung des Faschismus den Schrecken nicht auflöst, die Verurteilung der Kirche nicht den Weg zum richtigen Leben eröffnet.
    Es gibt zwei Wege, die versprechen, dem Schuldzusammenhang zu entrinnen: den der Abstraktion (der zu seiner Absicherung der Mechanismen der Projektion und des Schuldverschubsystems, mit einem Wort: der Verurteilung, sich bedient) und den der Reflexion. Nur der zweite hält, was er verspricht.
    Die Sünde der Welt auf sich nehmen, das heißt auf das Mittel der Projektion und der Verurteilung verzichten. Das setzt die Fähigkeit zur Reflexion des Schuldverschubsystems voraus. Der Kreuzestod ist der Beweis dafür, daß die Rücknahme der Projektion (die „Umkehr“) kein bloß subjektiver Akt ist.
    Nimmt nicht in Hegels Rechtsphilosophie der Begriff des Eigentums die Stelle ein, die in seiner Logik der Begriff des Seins einnimmt?
    Haben Sonne, Mond und Saturn etwas mit den drei Abmessungen des Raumes zu tun, und Jupiter, Mars, Merkur und Venus etwas mit den vier Himmelsrichtungen?
    Sind nicht die Planetenbahnen, zu denen auch die Bahnen der Sonne, des Mondes und des Saturn gehören, die „Wege des Irrtums“ (und ist der Saturn, und nicht die Sonne, der Planet der „Ruhe“)?
    Ist das heliozentrische System (das anstelle des Saturn die Sonne ins ruhende Zentrum setzt) nicht der Beweis, daß die Wege der Planeten (die Wege des Irrtums) die Wege in der Finsternis sind, ist nicht das heliozentrische System selber diese Finsternis: das Reich des Hades, die „Unterwelt“? Vgl. hierzu die symbollogischen Phantasien Swedenborgs, der die Toten auf den Planeten ansiedelt, und dazu die irreführende Einbildungskraft Dantes, die auf die irischen Ursprünge der mittelalterlichen Vorstellungswelt des Christentums zurückweist: einer theologischen Vorstufe des heliozentrischen Systems (vgl. Le Goffs Essay über das Fegfeuer, ein erster Hinweis auf die „irische Revolution“ des Christentums, die die Planetenwelt theologisch neutralisiert und den Hades: die Hölle und das Fegfeuer, ins Innere der Erde verlegt hat; gibt es hierzu nicht deutliche Spuren und Hinweise beim Johannes Scottus Eriugena, z.B. in der Logik seines Naturbegriffs, die, in der Folge des Hierarchie-Theoretikers Pseudodionysius Areopagita, die Oben-Unten-Beziehung auf den Kopf gestellt und eindimensional, irreversibel gemacht, damit der neuen Gestalt der Naturbeherrschung den Weg eröffnet hat, die Planetenwelt dagegen, das Reich der paulinischen Archonten und Elementarmächte, zum himmlischen Vorbild und Modell der irdischen – der politischen wie der kirchlichen – Hierarchien gemacht hat)? – NB: Wann erfolgte die Richtungsumkehr in der Merkaba-Mystik, wann wurde der Abstieg zum Aufstieg?
    Als der Auferstandene zum sol invictus wurde, wurde Kohelet zum Grundtext des kirchlichen Selbstverständnisses: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
    Ist das kopernikanische System die ausweglose Vollendung der „Augenlust“ (beachte hierzu Kants Lustbegriff), die politische Ökonomie die Verkörperung der „Fleischeslust“, das Produkt der Vereinigung beider hingegen die „Hoffahrt des Lebens“ (1 Joh 216)? Und bezieht sich nicht der evangelische Rat des Hörens (nicht des „Gehorsams“) auf die Augenlust, der Rat der Armut auf die Fleischeslust und der Rat der Keuschheit auf die Hoffahrt des Lebens?
    War nicht in der Tat das proton pseudos der kirchlichen Neuorganisation der Woche, daß die Kirche den Sabbat durch den Sonnentag ersetzt, den Sonntag zu dies dominca gemacht, damit aber die Gottesfurcht durch die Herrenfurcht ersetzt hat?
    Wie hängen Passah, das Opfer des Lammes, der Sabbat, die sieben Tage der ungesäuerten Brote und der Exodus mit Abendmahl, Kreuzestod und Auferstehung zusammen?
    Sind nicht die Texte der „katholischen Briefe“ allesamt apokalyptische Texte und die der Paulinischen Briefe Texte des Aufschubs?
    Jugoslawien und Nordirland: Gibt es nicht Aufgaben der Ökumene, die wichtiger wären als die Verteilung der Karrieren in den bestehenden kirchlichen Hierarchien?
    Wie verhalten sich die beiden Sätze zueinander: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ und „… die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben“, wie verhält sich die Rache zu Sündenvergebung? Bezieht sich die Vorstellung von der „reinigenden“ und „erlösenden“ Kraft des Blutes auf das Opfer oder auf die Nachfolge?
    Unmittelbar nach dem Kriege gab es in der Kirche die Furcht: Das wird sich einmal rächen. Ist diese Furcht nicht auf eine ungeheuerliche Weise wahr geworden? Haben die Deutschen diese Rache nicht an sich selbst vollzogen (durch die Verleugnung des Geschehenen und ihre Folgen)? Aber es gibt einen Spiegel, in dem sie das erkennen können: die Geschichte von der Verhärtung des Herzens Pharaos.
    „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“
    proteron/hysteron: Der Name Hystera für Gebärmutter ist zugleich der Name für das Spätere (im Gegensatz zum Früheren), das Zweite (im Gegensatz zum Ersten). Ist nicht der Name schon ein Stück Diskriminierung, setzt er nicht den höheren Rang der Zeugung, wie die Trinititätslehre ihn dann festschreibt, voraus?

  • 9.7.96

    Das liberum arbitrium hängt mit den Freiheitsgraden des Raumes so zusammen wie die Reflexion mit der Abstraktion. Es setzt an die Stelle die Freiheit, die der Reflexion sich verdankt, die Freiheit, die die Abstraktion verspricht; die Beziehung beider ist durchs Opfer vermittelt, auf dessen Geschichte sie zurückweist. Der Preis der Abstraktion ist das Opfer der Vernunft. Die Vorstellung des unendlichen Raumes ist das Produkt des vollendeten Opfers. Der Begriff ist das Opfer des Worts an die Idee des Absoluten. Deshalb hängt die Entdeckung des Begriffs mit der Entdeckung der Orthogonalität, der Winkelgeometrie, zusammen.
    Die Vergegenständlichung der Zeit, die die Sprachlogik der indoeuropäischen Sprachen einmal begründete, ist das Prinzip der Abstraktion. Ihr praktischer Grund war die Konstituierung des Eigentums. Hat die Zeitvorstellung zusammen mit dem Zins sich gebildet? Der Atheismus heute gründet in der Unfähigkeit, den Bann der Logik des Eigentums durch Reflexion zu brechen.
    Die Vorstellung einer unendlichen Zeit, Produkt ihrer Vergegenständlichung und Reflex der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, ist das subjektive Apriori der gegenständlichen Erkenntnis. Im Bann dieser Erkenntnis gilt, daß ER kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Ist die so rapide sich ausbreitende Furcht vor Einbrechern nicht ein apokalyptisches Zeichen?
    Menschenfischer: Das Feindbild ist der Köder, mit dem der Kapitalismus seine Gegner fängt. Über das Feindbild und über die Mechanismen der Empörung (des schnellen Zorns) gerät man in eine subjektive Verfassung, in der man, ohne es zu wissen und auch, wenn man es nicht will, das Geschäft der anderen Seite betreibt. Logischer (und objektiver) Ausdruck dieser „subjektiven Verfassung“ ist der Weltbegriff.
    Mit der Beziehung zur Zeit hängt es zusammen, wenn das Weltgericht nicht mit dem Jüngsten Gericht verwechselt werden darf. Wenn es ein Jüngstes Gericht gibt, wird es das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht sein. Gnadenlos ist das Weltgericht durch die Objektivierung der Zeit.
    Der Faschismus hatte Recht, wenn er sich auf die indogermanische Tradition berief: Im Faschismus ist das barbarische Potential des Abstraktionsschrittes, dem die Logik der indoeuropäischen Sprachen sich verdankt, explodiert. Das erste Opfer dieser Explosion waren nicht zufällig die Juden, die die andere, verdrängte Tradition verkörperten: der Antisemitismus war der Zündsatz des Faschismus.
    Nach dem Holocaust kann man zwar kein Jude mehr werden, notwendig und überfällig aber ist die Rückbesinnung auf ihre Tradition, die die eigene Tradition des Christentums ist, allerdings eines Christentums, das den Hahnenschrei vernommen hat und endlich aus dem Schlaf, in den es seit Getsemane versunken ist, erwacht. Erinnert nicht Reinhold Schneiders Satz „Allein den Betern kann es noch gelingenen …“ an die Aufforderung, die Jesus in Getsemane an die Jünger richtete, als er sie schlafend fand: „Wacht und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallt“?
    Zu Getsemane: Wenn die Todesangst Jesu messianische Qualität hat, dann kann sie sich nicht (oder jedenfalls nicht nur) auf den eigenen Tod, sondern muß sich zugleich auf die Herrschaft des Todes in der Welt beziehen. Da aber stellt sich eine wahrhaft ungeheuerliche Beziehung zum Symbol des Kelches her, der genau diese Herrschaft des Todes repräsentiert.
    Hat das Christentum nicht seit je die Fleischwerdung des Wortes mit seiner Wiederkunft verwechselt, hat es nicht so getan, als hätten Kreuz und Aufertehung schon das geleistet, was erst die Wiederkunft leisten wird? Eben damit aber ist das Christentum selber der Versuchung der Welt zum Opfer gefallen. – Oder war auch diese Opferfalle noch providentiell, ein Teil des Opfers, das eben nicht schon alles geleistet hat?
    Erst wenn die Gestalt der Unsterblichkeits- und Auferstehungshoffnung, die sich aus dem Selbsterhaltungsprinzip herleitet, verbrannt ist, wird die Wahrheit hervortreten. – „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.“
    Der Begriff der trägen Masse, der Materie, ist der Reflex des Eigentumsbegriffs in der Natur, mehr noch: Der Eigentumsbegriff konstituiert den Begriff der Natur (Naturschutz ist Eigentumsschutz). Das Dogma reflektiert den logischen Schritt, mit dem die physis in die natura und der kosmos in den mundus transformiert wurde.
    Wenn Kant Raum und Zeit als subjektive Formen der Anschauung begriffen hat, so wäre das heute zu ergänzen: Die Subjektivität der subjektiven Formen der Anschauung ist in sich selber gesellschaftlich vermittelt, sie ist eine gesellschaftliche Subjektivität, die Reflexion des Andern im Subjekt. Insoweit, nämlich als gesellschaftliche, sind die subjektiven Formen der Anschauung zugleich auch objektiv.
    Der Vergesellschaftungsprozeß ist in der Struktur der Raumvorstellung selber nachvollziehbar. Den drei Abstraktionsschritten, in denen der Raum als subjektive Form der Anschauung sich konstituiert, korrespondieren die drei ökonomischen Abstraktionsschritte, denen Polanyi zufolge die Konstituierung der Eigentumsgesellschaft sich verdankt: die Verwandlung von Grund und Boden, der Arbeit und des Geldes in Waren, in Objekte des Tauschprinzips. Es ist der Begriff des Eigentums, der in diesem Prozeß sich entfaltet, der zugleich die Außenwelt konstituiert, die Äußerlichkeit der Dinge außer uns, deren Formgesetz dann in der Form des Raumes sich entfaltet. Insofern ist die kopernikanische Wende, die die Vorstellung des unendlichen Raumes, der nichts mehr außer sich hat, begründet, das kosmologische Korrelat einer restlos vom Tauschprinzip durchdrungenen Welt.
    Es müßte eigentlich nachweisbar sein, daß das Steigen der Grundstückspreise im Nachkriegsdeutschland zusammenhängt mit der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Banken (vgl. den Hinweis auf die ostasiatischen Länder <S. 109f> und insbesondere auf Japan <S. 234> bei Heinsohn/Steiger). Haben sich hier nicht die Banken selber die Grundlage für die Ausweitung ihres Kreditvolumens geschaffen?
    Ist der Fall Schneider, wenn er denn wirklich ein Opfer seiner Banken sein sollte, ein Beleg dafür, daß es heute möglich ist, das Erwischtwerden durch die Tat selber auszuschließen (vgl. Lyotards Reflexionen zum „absoluten Verbrechen“)?
    Gibt es eigentlich eine spezielle Affinität
    – der Banken zum Grundstücksgeschäft,
    – der Produktion zum Spekulationsgeschäft und
    – des Staates zum Arbeitsmarkt, dem ersten Objekt seiner „Spar“-Maßnahmen?
    Sind nicht die Banken, die Wirtschaft und der Staat die „natürlichen“ Repräsentanten dieser spekulativen Formen der Eigentumsbearbeitung? (Zum Zusammenhang mit den drei Abstraktionsschritten, die den Kapitalismus begründen: die Überführung des Grund und Bodens, der Arbeit und des Geldes in veräußerbare, tauschbare Handelsware, vgl. Polyani.)
    „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“: Ist der Rosenzweigsche Satz, daß Gott die Welt, nicht die Religion erschaffen hat, eine Folge seiner Staatsphilosophie?
    Die Verteidigung des Eigentums, als dessen institutionelle Verkörperung der Staat sich begreift, ist die zentrale Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die mit dem Eigentum eigentlich die universelle Geltung des Tauschprinzips, die „gesellschaftliche Ordnung“, nach innen (wie das Militär das Eigentum selber nach außen) verteidigt und schützt. Ist nicht die Institution des Eigentums der logische Kern des anklagenden („satanischen“) wie auch des verwirrenden („teuflischen“) Prinzips, das seit Babylon in den großen Imperien sich verkörpert, mit deren Ursprung auch die Gestalt und der Name des Anklägers (sh. Hiob) sich gebildet hat? Ist nicht der Teufel wie auch der Satan in den Evangelien der Repräsentant des weltlichen Reiches?
    Das Recht stellt bei der Schuldzuweisung (beim „Urteil“) auf das Wissen und die Absicht der Person (des Angeklagten) ab. Vor diesem Hintergrund ist der Links-Terrorismus das absolute Verbrechen, während Auschwitz eine Naturkatastrophe war. Fürs Recht ist die Unterscheidung einfach: Die Linke weiß, was sie tut, die Rechte weiß nicht, was sie tut.
    Der Fehler des „realexistierenden Sozialismus“, der heute bei den Umweltschutzgruppen sich zu wiederholen scheint, lag darin, daß er glaubte, die Kritik der Ökonomie von der Kritik der Verwaltung (von der Kritik der Macht, deren technische Organisation der Verwaltung obliegt) trennen zu können, die Verwaltung als eine „neutrales“ Instrument anzusehen. Die Kritik der Verwaltung hätte von dem Satz auszugehen: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Die Verwaltung ist das Schuldverschubsystem des Staatsapparats; und das scheint eine ihre Hauptaufgaben zu sein: sie deckt in der Tat eine Menge Sünden zu und wartet auf einen gnädigen Gott.
    Wie hängt die Aufblähung der Verwaltung mit der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Banken zusammen; erinnert die Beziehung beider nicht an die Beziehung von Blähungen und Verdauung, und rührt daher die heute verbreitete Neigung zur analen Metaphorik (vgl. Freuds Bemerkung über die Beziehung des Geldes zur analen Metaphorik: „der Teufel scheißt auf den größten Haufen“)?
    Ist nicht die Logik selber das Rattennest der Widersprüche, und die alternative wie insbesondere die Punk-Szene der ebenso hilflose wie selbstzerstörerische Versuch, metaphorisch die Wahrheit der Welt zu verkörpern, sie sichtbar zu machen, die Ratte zu domestizieren, ein unüberhörbarer Aufschrei, in dieser Realsymbolik das Wesen dieser Welt endlich zu begreifen? Anders kommen sie nicht davon los, die Logik dieser Welt symbolisch auszuagieren. Auch die deutsche Wirklichkeit hat ihre Slums, mitten in den Familien, sichtbar auf den Straßen unserer Städte.
    Die Geschichte der Verdrängung, die im Weltbegriff sich gründet, hat einen Punkt erreicht, an dem es auch um die Lösung des Problems der Symbollogik geht, an dem es nicht mehr nur um das Verhältnis von Marx und Freud, sondern zugleich um die Beziehung beider zu Einstein geht.
    Das Mathematische bei Einstein ist nur ein Hilfsmittel der Kritik des Logischen. Das logische Problem wird kenntlich, wenn man das Inertialsystem als ein Referenzsystem begreift, das in der speziellen Relativitätstheorie als ein selbstreferentielles System sich erweist: Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird eine empirische, meßbare Größe zu einem Strukturelement des gleichen Systems, durch das diese Größe selber überhaupt erst sich definiert.
    Ist die Welt die „babylonische Gefangenschaft“?
    Besteht nicht die Sünde wider den Heiligen Geist in der Umkehrung der Beziehung von Anklage und Verteidigung, in dem Versuch, diese Beziehung, die ein asymmetrische ist, reversibel zu machen, die dann unweigerlich auf die Verteidung der Herrschaft hinausläuft, und ist das nicht die Verführung des Staates (die, im Falle des absehbaren Erfolgs, die Pforten der Hölle schließen würde)? Hier ist der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, auf den jedoch auch der Satz sich bezieht: Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein (nur wer Himmel und Erde durch den Weltbegriff ersetzt, kann aus diesem Satz die Ohrenbeichte deduzieren).

  • 4.7.96

    Die Pforten der Hölle (Mt 1618): Der Faschismus hat hat eine atomisierte Selbsterhaltungsgesellschaft hinterlassen, in der alle in der Isolationshaft ihrer Eigentlichkeit sitzen (die Eigentlichkeit ist die unterm universalen, ausweglosen Rechtfertigungszwang allein noch mögliche Gestalt des Selbstbewußtseins, die Keimzelle der neuen Bilder-Religion, der Drache, dessen unendlichen Hunger die Medien zu stillen vergeblich sich abmühen). Jeder sitzt im Hochsicherheitstrakt seines Verdrängungsapparats, als dessen objektives Modell die Naturwissenschaften sich erweisen (die objektivierten Naturwissenschaften, die die Phantasie, aus der sie einmal hervorgegangen sind, absorbiert und stillgestellt haben: die ganze Physik ist zu einer grandiosen, alles ergreifenden „Form der Anschauung“, zu einem unversalen synthetischen Urteil apriori, geworden). Nur durch Schuldreflexion ist der Bann zu brechen. Das Absolute als Schuldverschubsystem, oder der Staat als subjektive Form der Anschauung: Ist die Stillstellung der Phantasie nicht eines der Hauptziele des im Bereich des Staatsschutzes tätigen Ermittlungsapparats? Und ist der Verdacht so unbegründet, daß diese Intention in den Objekten dieses Apparats sich reproduziert? Bewegen sich die Ermittlungen nicht einem Bereich, in dem die Objektivität der Schuld nur durch Abstraktion vom gesellschaftlichen Schuldzusammenhang, durch Projektion, und d.h. auf der Basis des Schuldverschubsystems (im wörtlichen Sinne) sich „bestimmen“ läßt: durch das Verfahren der Konstruktion synthetischer Urteile apriori?

  • 3.7.96

    Gegen den 68er Bruch: Der Faschismus war keine Naturkatastrophe, und das Horkheimer-Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe, wird heute durch Umkehrung wahr: Vom Kapitalismus darf nicht reden, wer vom Faschismus schweigt.
    Die 68er Bewegung hat den faschistischen Zivilisationsbruch als Kulturbruch ratifiziert. Mit der Beziehung zum (weiterhin realen) Staat hat sich auch die Beziehung zur Sexualität, das Verhältnis von Eigentum und Besitz, verändert. Die traditionelle Sexualmoral war Ausdruck der am Eigentumsbegriff sich orientierenden Beziehung der Person zu sich selbst. Ist nicht an die Stelle der Eigentumsbeziehung (deren Respektierung die Sexualmoral leisten sollte) das Besitzverhältnis (an die Stelle des Respekts vor dem Andern die Freiheit der Güternutzung) getreten? Gibt es (nach der Globalisierung des Marktes und der Verrottung des Staates) überhaupt noch „Eigentum“? Ist sein Verschwinden nicht am Verschwinden des Tabus auf der Sexualität (mit den Folgen, die das insbesondere für den weiblichen Teil der Gesellschaft hatte) ablesbar?
    Das Privateigentum konstituiert die Privatsphäre (den idiotes).
    Rühren die Probleme der Theorien Heinsohns nicht daher, daß er einem Theorie- und Objektivitätsmodell sich verpflichtet fühlt, daß aus der Physik stammt? Die vermittelnde Kategorie scheint der Eigentumsbegriff zu sein, der in der Tat einmal den Naturbegriff konstituiert hat: Der Eigentumsbegriff verhält sich zur Geldwirtschaft wie die träge Masse zur Physik insgesamt.
    Die begriffliche Trennung von Eigentum und Besitz, die mit der von Tausch- und Gebrauchswert zusammenhängt, determiniert die Widersprüche, die Heinsohns Konzept durchziehen (vgl. z.B. S. 129 und 137 zum Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Geschichte).
    Wenn Heinsohn die Geschichte sowohl braucht als auch abwehrt, so drückt sich darin genau die Ambivalenz seiner Theorie aus: Er braucht die Geschichte als Mittel zur Erkenntnis der Logik der Ökonomie, er muß sie abwehren, weil sie diese Logik zugleich zum Sprechen zu bringen droht.
    Besitz ist eine Gebrauchskategorie, Eigentum eine Geldkategorie (vgl. Heideggers Unterscheidung des Zuhandenen vom Vorhandenen). Hat nicht Polyani den Ursprung der Eigentumsgesellschaft sehr viel genauer beschrieben, nämlich anhand der Übertragung der Wareneigenschaften auf Grund und Boden (Eigentum), auf die Arbeit (Lohnarbeit) und aufs Geld (Banken)? Heinsohn selber verweist darauf, daß die Lohnarbeit erst in der modernen Entwicklung hinzukommt; verweist das nicht auf eine qualitative Differenz auch beim „Eigentum“ und beim Geld (doppelte Buchführung)?
    Der philosophische Reflex des Eigentumsbegriffs ist der Begriff der Substanz (der mit dem Begriff des Substantivs das Verständnis der Grammatik und der Sprache verändert hat, der das Nomen gelöscht und die Sprache zu einem Mittel der Information gemacht hat).
    Das Substantiv ist eine Fortbildung des Begriffs der Substanz. Drückt nicht im Begriff des Substantivs eine qualitative Veränderung im Eigentumsbegriff sich aus?
    Der Konkretismus Heinsohns manifestiert sich nicht nur in der Theorie der Venus-Katastrophe (in der Ersetzung der gesellschaftlichen Naturkatastrophe durch eine reale kosmische Katastrophe), sondern auch in seinem Eigentumsbegriff, der ihm zu einem festen Grundlagenbegriff wird, und an dem er den historischen Prozeß, dem er entspringt und in dem er sich verändert, nicht wahrnimmt. Die Trennung von Eigentum und Besitz manifestiert sich in den Änderungen der ökonomischen Gesellschaftformen, in der Übertragung der Geschäftsführung an ein Management und im Ursprung und in der Entfaltung und Ausdifferenzierung der Verwaltung (die die Besitzfunktionen des Eigentums realisiert). Aber ist nicht das Eigentum unabhängig vom Besitz (vom Gebrauch, der es qualifiziert) eine leere Abstraktion? Wie das Eigentum im ökonomischen Prozeß sich verändert, kann man heute von jedem Landwirt (noch krasser freilich an den Vorgängen in der Dritten Welt, die jetzt langsam anfängt zu begreifen, was ihr geschieht) erfahren.
    Durch seinen Eigentumsbegriff wird dieses Buch zum Kompendium einer Hausbesitzer-Ideologie.
    Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war notwendig, weil der genetische Zusammenhang des Eigentumsbegriffs mit dem Begriff und der Praxis der Gewalt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Gehört nicht der Eroberungskrieg (wie am modernen Kolonialismus drastisch sich zeigen läßt) zur Ursprungsgeschichte des Eigentums (die Ureinwohner der kolonialisierten Länder „kennen keine Schrift, kein Geld, sind nackt“; sie sind deshalb nicht fähig, über ihren Besitz wie über Eigentum zu verfügen; als „Wilde“ sind sie apriorische Objekte von Gewalt)?
    War die Kosntituierung des Eigentums das Ergebnis einer Revolution von innen (bei den Griechen als Revolution gegen den mykenischen Feudalismus), oder war sie das Ergebnis einer Eroberung von außen, durch umherstreifende Brüder- und Männerhorden (Rom, die Hapiru, die „Hebräer“)? Unterscheidet sich darin nicht das Eigentums-Buch vom Patriarchats-Buch Heinsohns?
    Irgendjemand hat einmal die Tempel als Säkularisations-Instrumente beschrieben (Entzauberung der Welt durch Konzentration des Heiligen im Tempel). Eine ähnliche Funktion scheinen die christlichen Kirchen, Kathedralen und Dome im Mittelalter gehabt zu haben. Als Säkularisations-Instrument hat der Tempel die Welt eigentumsfähig und damit zur Welt gemacht; deshalb gehören zur Tempelwirtschaft die Kosmogonien.
    Waren der Islam das Persien, Frankreich und England hingegen das Griechenland des Mittelalters? Dann war Deutschland das Rom.
    Adorno hat mich in die Lage versetzt, mein Faschismus-Trauma zu bearbeiten; anders wäre ich das Opfer dieses Traumas geworden.
    Heinsohn: der Drewermann der Nationalökonomie?
    Die Orthogonalität ist das Abstraktionsgesetz der Erkenntnis, sie ist zugleich das Formprinzip des Urteils. Durch die Orthogonalität werden die Richtungen des Raumes getrennt und unterschieden und zugleich zueinander in Beziehung gesetzt; das gleiche Formgesetz gilt für die Beziehung von Raum und Zeit und dann auch für die Beziehung von Raum und Zeit zur Materie. Die Orthogonalität (die Entdeckung der Winkelgeometrie durch die Griechen) ist das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt. Wie hängt die Entdeckung der Orthogonalität mit dem Ursprung des Eigentumsbegriffs, mit der Unterscheidung von Eigentum und Besitz und mit dem Ursprung des Staates zusammen?
    Im Buch Josue wird das Land Kanaan durchs Los auf die Stämme Israels verteilt. Wann und auf welche Weise erfolgte die individuelle Eigentumsbegründung (zusammen mit der Begründung weiblicher Erbrechte)? In der Bibel wird vom Kauf eines Grundstücks nur im Hinblick auf kanaanitisches Eigentum (bei Abrahams Kauf des Grundstücks für das Grab Saras und bei Davids Kauf der Tenne Araunas) berichtet.
    Sind die Probleme, vor die die Philosophie in jeder Epoche neu sich gestellt sieht, die logischen Probleme des Eigentums; und ist die Philosophie deshalb der Reflex der Herrschaftsgeschichte?
    Das Armutsgebot, das wir heute ganzen Erdteilen aufzwingen, der Export der Armut in die Dritte Welt: Die Eigentumslosigkeit schlägt die Eigentumslosen zur bloßen Natur, macht sie zu einer brachliegenden Ressource, für die es keine Verwendungsmöglichkeiten mehr gibt: zu herrenlosem Gut.
    Nachdem die Aufklärung, und ihrer Folge Kant und der deutsche Idealismus, der Natur schöpferische Kräfte angedichtet hat, hat da nicht Marx, als er glaubte, im Proletariat das Subjekt der Revolution zu erkennen, daraus nur die Konsequenz gezogen (das Proletariat: die Verkörperung er resurrectio naturae)?
    Werden heute nicht alle Siege zu Pyrrhus-Siegen?
    Ist nicht jede Personalisierung ein Indiz mangelnder Autonomie? Zitiert nicht jede Personalisierung (und jeder Konkretismus) die kollektive Absicherung einer Projektion?
    Hängt nicht die mittelalterliche Fälschungsgeschichte mit den übermächtigen Legitimationsbedürfnissen, die die Begründung der Eigentumsgesellschaft wachgerufen hat, zusammen?

  • 27.6.96

    Die Gnadenlehre ist das theologische Pendant der Mechanik, ihr Orientierungspunkt, das individuelle Seelenheil, das Korrelat des Trägheitsprinzips; abgeschnitten – und zwar durch die innere Logik des Weltbegriffs selber – wird die Beziehung des Seelenheils zur Praxis, zum Zustand der Welt im Ganzen. Die Frage, ob und wie die Idee des seligen Lebens denkbar ist, wenn sie von der Reflexion auf den Zustand der Welt getrennt wird, wird verdrängt. Die Frage ist nicht: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, sondern: Wie erhalte ich die Gnade, befreit zu werden zum befreienden Handeln. Es gibt keine Hoffnung für mich ohne Hoffnung für die Hoffnungslosen. Darauf ist der letzte Satz des Jakobus-Briefs und das Wort von der Freude im Himmel über die Bekehrung des einen Sünders zu beziehen. Der „Weg des Irrtums“ ist der Weltbegriff; auf ihn (und auf die Geschichte vom gordischen Knoten?) bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen. Wird das Ganze nicht durch Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, in einen apokalyptischen Zusammenhang gerückt? Hat nicht das Wort vom Binden und Lösen, in dem Erde und Himmel zitiert werden, etwas mit dem Satz: Der Himmel ist Sein Thron, die Erde der Schemel Seiner Füße, zu tun? Adorno hat mit dem Programm der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ nicht Benjamins Konzept, sondern sein eigenes beschrieben. Walter Benjamin hat sein Konzept in seinem „theologisch-politischen Fragment“ beschrieben: „Die Ordnung des Profanen hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks. Die Beziehung dieser Ordnung auf das Messianische ist eines der wesentlichen Lehrstücke der Geschichtsphilosophie. Und zwar ist von ihr aus eine mystische Geschichtsauffassung bedingt, deren Problem in einem Bilde sich darlegen läßt. Wenn eine Pfeilrichtung das Ziel, in welchem die Dynamik des Profanen wirkt, bezeichnet, eine andere die Richtung der messianischen Intensität, so strebt freilich das Glückssuchen der freien Menschheit von jener messianischen Richtung fort, aber wie eine Kraft durch ihren Weg eine andere auf entgegengesetzt gerichtetem Wege zu befördern vermag, so auch die profane Ordnung des Profanen das Kommen des messianischen Reiches.“ (Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, es 103, 1965, S. 95f) Kritik des Weltbegriffs heißt für die Kirchen u.a. Entkonfessionalisierung (eine Bekennende Kirche wäre eine entkonfessionalisierte Kirche: Der Faschismus, der Antisemitismus, der Sexismus, nicht zuletzt auch die ihnen zugrundeliegende verwüstende Gewalt der Ökonomie, der Kapitalismus, diese Dinge sind Verkörperungen eines status confessionis, an den das Formelbekenntnis nicht mehr heranreicht; Dialektik der Beziehung von Orthodoxie und Häresie?)

  • 21.6.96

    Die Verurteilung des Faschismus löst den Schrecken nicht auf, im Gegenteil: sie verdrängt und konserviert ihn. Die Verurteilung des Faschismus ist das Medium seiner Reproduktion und Fortpflanzung. Die Verblendung des Faschismus ist die Verblendung des Richtens (der Verhärtung des Herzens). Es gibt kein Richten ohne Projektion. Karl Thieme hat die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern als Typos der Geschichte des Urschismas, der Beziehung des Christentums zur eigenen jüdischen Tradition verstanden. Was hat es dann mit Manasse und Ephraim auf sich (und welche Bewandnis hat es mit dem Namen Ephraim in der Prophetie)?

  • 29.5.96

    In welcher Beziehung stehen Skulptur und Bild zum Raum? Die Skulptur steht im Raum, dessen dämonische Gewalt, vor der der Tempel sie nur scheinbar abschirmt, in ihm sich reflektiert; sie hat den Raum außer sich, wird dadurch selber zum räumlichen Objekt. Das Bild öffnet die Grenze des Raumes, der als subjektive Form der Anschauung durch den Betrachter verinnerlicht wird, während er zugleich in der perspektivischen Organisation des Bildes sich reproduziert.
    Aufklärung ist Feindaufklärung.
    In der Kabbala und im Märchen gibt es Könige, aber keinen (weltkonstituierenden und -beherrschenden) Kaiser. Von der Kabbala unterscheidet sich das Märchen durch die Gestalt des Prinzen, die in der Kabbala nicht vorkommt. Woher kommt der Name des Prinzen, hat er etwas mit dem christlichen Rezeption (und Umformung) des Märchens (und mit dem Gestalt des Erstgeborenen) zu tun? Weist der Prinz nicht deutliche messianische Züge auf?
    Der Habermassche „Verfassungspatriotismus“ – ein Wort, das in einer Zeit geprägt wurde, als die Verfassung bereits demontiert wurde – war ein Stück Zwangskomplizenschaft, die (ähnlich wie der Angriff der raf auf den Staat, nur von der anderen Seite her) die kritische Theorie zum Verstummen gebracht hat. – Kein Zufall, daß die 68er Bewegung das Problem des falschen Bewußtseins verdrängt hat. Damit aber war der Schlüssel zur kritischen Theorie des Faschismus verloren; der „Kampf gegen den Faschismus“ sah sich auf Mittel, die selber dem Arsenal des Faschismus entstammten, verwiesen: Es gab für ihn keine anderen mehr.
    Die 68er Bewegung steht unter dem Bann eines Provokationszwangs, der, indem er gegen die „Autoritäten“, vorab gegen die eigenen Eltern, sich richtet, vor den unerfüllbaren Forderungen des Über-Ichs kapituliert, damit aber der Ich-Bildung den Boden entzieht.
    Die Verwerfung der Barmherzigkeit (des Gedankens, daß es ein reines Draußen nicht gibt) führt direkt in die Paranoia (in die Zwänge der Logik der verfolgenden Unschuld).
    Zum Ursprung des Römischen Rechts: War nicht das erste Handels- und Privatrecht Kriegsrecht (Produkt der inneren Organisation des Imperialismus)?

  • 26.5.96

    Zum Gesicht gehören zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher und ein Mund: Warum sind die aufnehmenden, empfangenden Sinnesorgane doppelt, das aktive (der sprechende Mund) hingegen nur einfach?
    Sind nicht auch die ersten Manifestationen der Schöpfung doppelt: das Tohu und das Bohu, die Finsternis und der Abgrund, der Geist Gottes und die Wasser?
    Sch’ma Jisrael: Angesprochen ist nicht der einzelne Israelit, sondern Israel (im einzelnen Israeliten Israel?).
    Die Welt: das subjektlose Kollektivsubjekt, die subjektlose Gemeinschaft aller. Der Raum, das Geld und die Bekenntnislogik sind die Elemente der versteinerten Gattung (des versteinerten Herzens).
    Die Eucharistie: Das Brot, das zum Wort wird, ist das gebrochene und mit den Armen geteilte Brot. Vergleiche die Geschichte in der Apostelgeschichte, die der Einsetzung der sieben Diakone vorausgeht, mit der Stelle in 1 Kor, die mit dem Hinweis endet, daß, wer das Brot und den Kelch unwürdig genießt, sich das Gericht ißt und trinkt.
    Die Pforten der Hölle, das ist das Tor des Nordens (der Linken), das Tor aber ist der Ort der Versammlung, der ekklesia, der Kirche.
    Die Urteilsmagie schirmt das Vorurteil gegen die Reflexion ab. Es ist kein Zufall, daß zu den Topoi des Antijudaismus der Hostienfrevel (die Phantasmagorie der Verletzung der Urteilsmagie) gehört.
    Heute darf die Standesehre bestimter Berufe (Ärzte, Soldaten, Polizei) nicht angegriffen, dürfen Staatssymbole nicht verunglimpft werden.
    (Die theologischen Wurzeln der raf:) Im Zentrum der thomistischen Theologie steht die Eucharistieverehrung, in dem der Hegelschen Philosophie der Dingbegriff. Das sensuum defectui aus dem Tantum ergo hat im Inertialsystem (der säkularisierten Gestalt der Orthodoxie, der verdinglichten Bekenntnislogik und der instrumentalisierten Urteilsmagie) sich vollendet.
    Nur wer begreift, daß die Urteilsmagie dem Faschismus nicht nur nichts anhaben kann, sondern im Gegenteil ihn reproduziert, daß alles verstehen nicht alles verzeihen heißt, daß das Verstehen und Verzeihen (ebenso wie das Studium und die Berufsausbildung) vielmehr endlich zu entkoppeln sind, die Vernunft aus den Verstrickungen des Rechtfertigungszwangs zu lösen ist, wird fähig, die Gegenwart zu begreifen.
    Allein die Sprache macht die Welt erfahrbar. Lassen die Kräfte sich bestimmen, die die Sprache (und mit ihr die Erfahrungsfähigkeit) zerstören? (das Urteil, die Mathematik, die intentio recta, die subjektiven Formen der Anschauung <die Unfähigkeit, das Hintere vom Vorderen, Rechts und Links, und das Obere vom Unteren zu unterscheiden>, die Medien, der Positivismus, das Schuldverschubsystem, das Gerede, die Reklame)
    Ohne Sprache gibt es keine Wahrnehmung des Leidens, keine Schulderfahrung (werden Unglück und Verbrechen zu objektiven, wertfreien Vorgängen), lassen Tun und Leiden, Aktiv und Passiv, Täter und Opfer, Ursache und Wirkung, nicht mehr sich unterscheiden (die transzendentale Logik zieht ihre logische Kraft aus der Sprache, ihre „Apriorität“ aus den subjektiven Formen der Anschauung: aus der Neutralisierung des Leidens und der Schuld).

  • 25.5.96

    Hängt die Unterscheidung von Wut und Zorn, die so nur im Deutschen möglich ist, sprachlogisch mit der Bildung der Begriffe Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Seligkeit, Dreistigkeit u.ä. zusammen? Keine Sprache steht so im Bann der Herrschaft wie die deutsche, in der es möglich war, aus der Verurteilung des Faschismus den Schleier zu weben, hinter dem der neue, recycelte Faschismus sich bildet. Aber heißt das nicht auch, daß die Entschlüsselung der Logik der Herrschaft über die Reflexion der Ursprungsgeschichte und der Logik der deutschen Sprache möglich sein müßte?
    Gilt das Wort vom imperativen Charakter der Attribute Gottes auch vom göttlichen Zorn und Grimm? Ist der Grimm nicht ein nach innen gewendeter Zorn? Der Zorn treibt die Röte ins Gesicht, während der Grimm das Antlitz entstellt (das Gesicht des Ergrimmten verfällt).
    Ist das Inertialsystem (als Kelch des göttlichen Grimms) das entstellte Angesicht Gottes?
    Theologie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit: Wenn Gott den Himmel aufspannt, dann ist das Inertialsystem ein Produkt der Hybris, die dem Wahn verfallen ist, dieses Aufspannen ließe sich als Akt der Subjektivität reproduzieren.
    Die Utopie der Öffentlichkeit entspricht einer Welt, in der der Geist die Erde erfüllt, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
    Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, scheint heute aus der Sphäre des Öffentlichen und Politischen in die Sphäre des Privaten einzudringen und auf die Strukturen der unmittelbaren persönlichen Beziehungen sich auszubreiten. Hier aber wird die Paranoia an sich selbst unerkennbar, weil alle unter ihrem Bann stehen: Bewußtsein selber wird zum blinden Fleck (ein schwarzes Loch, das durch Unterhaltungsindustrie, durch „virtual reality“, zu füllen ist). Diese Paranoia ist nur noch an ihren Folgen erfahrbar.
    Beginnt nicht der Satz „Leistung muß sich wieder lohnen“ in der letztmals gewendeten F.D.P. in Figuren wie Gerhard, Solms, Rexrodt und Kinkel sich mit entlarvender Deutlichkeit zu enthüllen, nackt sich zu manifestieren? Das Wort appelliert an den Selbsterhaltungsinstinkt in einer paranoisierten Welt. Was sie unter Leistung versteht, hat die Partei selber in einem Augenblick der Wahrheit, als sich selbst als „Partei der Besserverdienenden“ definierte, aufs deutlichste zum Ausdruck gebracht.
    Der Zusammenhang der Quantenmechanik und der Mikrophysik mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt sich an der zeitlichen Struktur, die durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in die räumliche Ausdehnung hineingebracht wird, demonstrieren: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat das räumliche Nebeneinander mit einem zeitlichen Nacheinander verschmolzen. Resultiert die Mikrostruktur der Materie aus der Anwendung der mathematischen Strukturen des Inertialsystems auf Objekte, denen diese Strukturen in einem noch aufzuschlüsselnden Sinne „äußerlich“ sind?

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