Theologie im Angesicht Gottes ist die Lösung des Problems der Verbindung von Theologie und Gebet: der Versuch, die Welt so zu begreifen, wie sie im Licht Seines Angesichts erscheint. Das Licht in dem Satz „Ihr seid das Licht der Welt“ hat seine Quelle im Leuchten Seines Angesichts. Die Kritik des Anthropomorphismus ist der Weg der falschen Befreiung vom Mythos (der „Weg des Irrtums“). Hilfsmittel dieser falschen Befreiung (und Quellpunkte des Irrtums) sind die Totalitätsbegriffe (Wissen, Welt und Natur), mit denen das Subjekt gegen die Gotteserkenntnis sich abschirmt. Erinnerungsarbeit geht davon aus, daß die vorwissenschaftlichen „Weltbilder“, der Mythos wie auch die Astrologie, keine Lösungen sind, wohl aber Erinnerungen an ein Problem, das wir verdrängt haben, und dessen Verdrängung unser Bewußtsein verhext. Wenn heute keiner mehr an die Auferstehung glaubt, dann hängt das mit Auschwitz zusammen. Sehen Verwaltungen ihre Klientel nicht als ein Stück anorganischer Materie, als ein lästiges Anhängsel der Gesetze und Verordnungen, die die „Lebenswelt“ der Verwaltungen definieren? Der real existierende Sozialismus ist nicht zuletzt daran gescheitert, daß er glaubte, Gerechtigkeit mit Hilfe der Verwaltung durchsetzen zu können (diesem Aberglauben sind alle verfallen, die glauben, daß die Dinge besser werden, wenn nur die „richtigen Leute“ an die Macht kommen: an die Macht, das heißt über das Instrument der Verwaltung verfügen zu können, während in Wahrheit die alte Scheiße mit den Verwaltungen sich reproduziert). Zur Aufklärung und Sensibilisierung, denen die Startbahn-Katastrophe gemeinsam mit allen mit Polizeigewalt durchgesetzten Großprojekten den Boden unter den Füßen weggezogen hat, gibt es keine Alternative. Der Verwaltungsblick ist begrenzt durch die verwaltungsinternen „subjektiven Formen der Anschauung“: die Logik der selbstgesetzten Regelungen und Zwänge des Verwaltungshandelns. Der Sozialhilfeempfänger ist dann nur ein Anwendungsfall der Sozialgesetze. (Die Wittgensteinsche „Welt“ gleicht der Welt der Verwaltung: sie „ist alles, was der Fall ist“.) Hängt nicht das Problem der Beziehung von Kapitalismus und Faschismus mit dem der Funktion der Verwaltung im Kapitalismus zusammen? Horkheimers Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen darf, wird heute wahr, wenn man es umdreht: Wer vom Kapitalismus redet, darf vom Faschismus nicht schweigen. Der Faschismus (das Tier aus dem Meere) war eine naturwüchsige und zugleich hybride Form des Verwaltungsdenkens (von hierarchisch organisierter Verantwortungslosigkeit, blindem Gehorsam, Intrige, Zynismus, Empfindlichkeit und Gemeinheit). Er hat die Voraussetzungen geschaffen für eine Welt, in der die von ökonomischen Zwängen determinierte Verwaltung am Ende die Politik abschafft und ersetzt und die Staaten zu Kolonien der alles beherrschenden Ökonomie (des Tieres vom Lande) werden. Ist nicht das Bild der sieben unreinen Geister das biblische Symbol der Verwaltung (und war nicht die Astrologie, die ihr Zentrum im „chaldäischen“ Babylon hatte, eine idolatrische Vorform des Verwaltungsdenkens)? Sind nicht die imperialen Strukturen der Verwaltung über kirchliche Institutionen tradiert worden, insbesondere über das Amt des episkopus (des „Aufsehers“)? Die Verwaltung ist das politische Pendant der subjektiven Formen der Anschauung (der Abstraktion vom Blick des andern): Die kirchliche Verwaltungsorganisation war der gesellschaftliche Grund der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Mit der Polizei wurde die vorher nur nach außen gewandte Gewalt des Militärs (die Gewalt der Eroberung und Beherrschung fremder Völker, der Unterwerfung anderer Staaten) nach innen gekehrt. Sind nicht Polizei, Steuerpflicht und Finanzwesen gemeinsamen Ursprungs, und sind sie nicht im kirchlichen Bereich ausgebildet worden (vgl. insbesondere die religions- und herrschaftsgeschichtliche Bedeutung der Inquisition)? Die Kolonisierung des Staates durch die Globalisierung der Ökonomie verändert auch die innere Struktur der privaten Welt: Sie ist das Modell (und das Pendant) der „Kolonisierung der Lebenswelt“, des privaten Bereichs, zu deren Ursprungsgeschichte die Geschichte der Privatisierung der Sexualmoral gehört. Die Medienwelt heute ist die institutionalisierte Leugnung des Namens, eine Einrichtung zur Fütterung des Drachens: Die Einübung des Auf-dem-Bauche-Kriechens und des Staubfressens. Erscheint der Name der Kirche, der ekklesia, nur in der Apokalypse im Plural (in den sieben „ekklesiai“ in Asien)? Zur Verhärtung des Herzens Pharaos: – Bei welchen Plagen treten die Zauberer und Wahrsager Ägyptens auf, wann werden sie in die Plagen mit hereingezogen, wann verschwinden sie? – Wann weist Moses den Pharao darauf hin, daß am dritten Tag in der Wüste das „Scheusal Ägyptens“ geopfert werden soll, und wann ist es wirklich geopfert worden? – Bei welchen Verstockungen ist Gott (JHWH) der Urheber, bei welchen der Pharao, und bei welchen Plagen „bleibt“ das Herz des Pharao verstockt (wie lauten die entsprechenden Übersetzungen von Buber oder Zunz)? Die Prophetie hat einen Aktualitätskern. Im Ernst (zumal im Anblick der fortschreitenden Vergesellschaftung von Herrschaft) gibt es eigentlich nur zwei Haltungen zur Prophetie: Entweder man ist selber Prophet, oder man ist Objekt der Prophetie. Die Historisierung der Prophetie, ihre Neutralisierung durch Objektivierung ist eigentlich unerlaubt, aber ist sie nicht gleichwohl unvermeidbar und notwendig? Und das ist das Modell der Gegenwart, des Aktualitätskerns heute, Grund des Adorno-Worts: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Das Leben, in das wir heute verstrickt sind, ist eigentlich unerlaubt; und die Tatsache, daß es dazu keine Alternative gibt, rechtfertigt es nicht. Notwendig ist seine Reflexion, auch wenn sich keine „praktischen Konsequenzen“ daraus ableiten lassen: Liegt hier nicht der Wahrheitskern dessen, was einmal Gottesfurcht hieß?
Faschismus
-
22.5.96
Die Verwüstung, die der Faschismus im Bekenntnisbereich angerichtet hat, vollendet die Ökonomie heute in der Realität.
Der Faschismus hat die Feste zerstört, allen voran Weihnachten: Er hat aus dem Fest des Schenkens das Fest der unerfüllten Wünsche und Erwartungen gemacht, und in diese Lücke konnte dann machtvoll und unverschämt über das zur Reklame verkommene Fest das Weihnachtsgeschäft eindringen (konnte die Ökonomie ihr Werk der Verwüstung vollbringen).
Mauerbau und „Asylkompromiß“, Beispiel einer asymmetrischen Reflexion: Eine realsozialistische Planwirtschaft und ein freier Warenmarkt sind nur möglich, wenn der freie Personenverkehr unterbunden wird.
Mit Hilfe der „terms of trade“ und der Schuldendienste rauben wir die Dritte Welt aus und sperren die Beraubten in die zum KZ der Metropolen umfunktionierten „Entwicklungsländer“ ein.
„Wenn die Götter schweigen“: Sind nicht stumme Kommandos (Kommandos, die über die instrumentalisierte Selbsterhaltung sich die Gewalt des Eigeninteresses geben) wirksamer und unwiderstehlicher als verbalisierte, denen man noch widersprechen kann (Aufgabe der Folter ist es, politische Kommandos durch Bindung ans Selbsterhaltungsprinzip von der Last der Sprache und des Widerspruchs zu befreien; Reklame ist das marktwirtschaftliche Äquivalent der Folter; ihre Opfer sind die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Armen)? Was heute stumm und mit eingebauter Exkulpationsautomatik abläuft, wäre anhand seiner Folgen am Faschismus zu studieren.
Existenzdenken: Für das am Prinzip der Selbsterhaltung geschulte Bewußtsein sind die Armen (die Verlierer) apriori schuldig und nur die Reichen (die Sieger) gerechtfertigt. (Dazu Jak 51: „Nun zu euch, ihr Reichen: Heult, schreit über das Elend, das auf euch zukommt.“) -
1.5.96
Kriege haben nach dem Ende des Nationalsozialismus ihre ökonomische raison d’etre verloren. Kriege können heute nur noch als irrationale „heidnische“ Religionskriege geführt werden.
Die Logik der Vorstellung vom „goldenen Zeitalter“ ist die Logik des Geldes (des „Goldes“), die den Schöpfungsrhythmus umkehrt, das „Gute“ (die Rettung) ideologisch an den Anfang setzt und die Katastrophe ans Ende.
Der Begriff des Testaments bezeichnet im Ursprung die Besiegelung des Kaufvertrags, der von beiden Seiten zu testieren ist. Zum Testament, und d.h. autoritär, wird er, wenn an die Stelle gleichberechtigter Parteien die einseitige Erbschaftsbeziehung tritt. Dieses Testament bedarf nur noch der Unterschrift des Erblassers, die dann mit seinem Tode wirksam wird. Das Testament gehört zur Vater-Sohn-Beziehung, die autoritär, nicht partnerschaftlich ist.
Ist nicht die trinitarische Vater-Sohn-Beziehung, in der die Mutter nicht vorkommt, eine Adoptivbeziehung, und ist nicht die „Zeugung“ eine Adoption? Wie hängt das mit der welthistorischen Wendung im Naturbegriff, der im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist, zusammen (und mit dem Ursprung des Begriffs der „Materie“, der an die mater, die Mutter erinnert, während die griechische hyle eher an die pharaonische „Verstockung“ gemahnt)?
Fällt der Schwur rechtsgeschichtlich in die Ursprungsgeschichte der Blutrache? Und hat der Schwur etwas mit dem Siegel (oder der Siegel mit dem Schwur) zu tun (vgl. die Geschichte des Brunnens Beescheba und die Bedeutung seines Namens)?
Gehören die beiden Elemente des Strafrechts, wonach nicht der Mord, sondern der Mörder bestraft wird, während Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (die Personalisierung und die moralische Grenze der Beweislogik), zusammen, sind sie nicht für die Konstruktion und die Funktion des Strafrechts konstitutiv?
Ist die Kritik des „altorientalischen Rachegotts“ nicht ein Indiz dafür, daß die Kritiker auf die Befriedigung des eigenen Rachetriebs nicht verzichten wollen? Der Rachetrieb ist ontologisch fundiert: Er hängt mit der die Ontologie fundierenden Weigerung, den Begriff des Eigentums (oder im „Sein“ den Zusammenhang des Infinitivs mit dem gleichnamigen Possessivpronomen) zu reflektieren, zusammen.
Hat der Ort Kana in Galiläa (der Ort der „Hochzeit zu Kana“, der Ort, von dem Heilung des Sohns des königlichen Beamten ausgeht, und der Ort, aus dem Nathanael, ein „wahrer Israelit“, kommt) etwas mit dem Begriff Kana (Eifer, auch mit Simon Kananaeus, und dieser mit Nathanael) zu tun? Verweist dieser Ort auf die Beziehung Jesu zu den Zeloten? – Was hat die Bezeichnung Nazoräer mit Nazareth zu tun; und was hat es mit Iskariot auf sich?
„Standort Deutschland“: Die Getreidespekulation, Grundlage des Romans von Frank Norris und der Begründung landwirtschaftlicher Marktordnungen, war eine Zeitspekulation, ihr Kern war das Warentermingeschäft, die Terminspekulation. Sind nicht die Geldspekulationen heute vor allem Währungsspekulationen, die in den unterschiedlichen Inflationsraten der nationalen Währungen und in den daraus resultierenden Währungsgefällen gründen: letztlich in den divergierenden Handelsbilanzen, in den Mechanismen der nationalen Konkurrenz, die den Kolonialismus abgelöst und weit effektiver ersetzt haben? Rühren nicht die Probleme der Agrarmarktordnungen, ihr ökonomisches Umkippen, aus diesem Sachverhalt: aus dem Eindringen der Geldspekulation in die Getreidespekulation, die dann im Rahmen einer Marktorganisation nicht mehr aufzufangen war; und läßt sich der Zeitpunkt dieses Umkippens nicht genau bestimmen, ebenso wie seine politischen Folgen
– das Scheitern der „Entwicklungspolitik“,
– die Explosion des Bankengeschäfts und die Schuldenkrise der Dritten Welt,
– das roll back des Neoliberalismus (der „Marktwirtschaft“),
– die fortschreitende Ersetzung der Politik durch Verwaltung, in der die Gewalt der entfesselten Ökonomie (national und international) sich ausdrückt,
– der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten,
– der Abbau des „Sozialstaats“,
– das Flüchtlingsproblem und seine gnadenlose Regulierung.
Zur Geldspekulation scheint es keine den (anfänglich durchaus wirksamen) Regelungen der Agrarmarktordnung entsprechenden Lösungen zu geben? Wodurch unterscheidet sich die Geldspekulation von der Getreidespekulation, aus der sie hervorgegangen ist?
Verweist nicht das Problem der Geldspekulation, das an seinen ökonomischen Folgen zu messen ist, zurück auf die „außenpolitische“ Ursprungsgeschichte der politischen Ökonomie: auf den Zusammenhang von Raub, Handel und Krieg; Ursprung des Staates: Ursprung der Warenform im Fernhandel (Außenhandel, Krieg und Eroberung, Beute, Tribut, Kriegsgefangene, Deportation und Sklavenwirtschaft, Schatzgeld und Zirkulationsgeld; Privateigentum, Tausch und Schuldknechtschaft; pax romana: Recht als Sicherung des Privateigentums. -
25.4.96
Dritte Person: Wer die „zwischenmenschlichen Beziehungen“ privatisiert, sie auf Beziehungen zwischen erster und zweiter Person reduziert (auf das Schema der „Begegnung“), macht Gott zur dritten Person, zu einem, über den man reden kann. Er macht die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. In dieser Konstellation sind die Menschen zwar „nett zueinander“, das aber nur, weil sie entschlossen die Folgen dieses Nettseins nicht mehr wahrnehmen. – Vgl. hierzu Walter Bindemann „… Gutes tun und leihen …“ (in Füssel, Segbers „… so lernen die Völker des Gerechtigkeit“, S. 259ff): Anstatt aus den Texten über das Leihen und Zinsnehmen die Verhältnisse, aus denen sie stammen, herauszulesen, werden sie unmittelbar auf die Gegenwart, auf die sie nicht passen, angewandt. Vergessen wird, daß zwischen den biblischen Texten und uns zweitausend Jahre Christentum liegen.
Macht nicht Walter Bindewald die Feindesliebe zu einer Gesinnungsfrage, weil er das Strukturproblem (das gesellschaftliche Problem), das in diesem Gebot steckt, und auf das dieses Gebot die Antwort ist, nicht sieht?
Der Glaube an die magische Macht der Verurteilung, der dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrunde liegt, ist ein Teil der Bekenntnislogik (des Feigenblatt-Syndroms). Er verhindert heute das Begreifen dessen, was unterm Nationalsozialismus in Deutschland geschehen ist, und versperrt so den einzigen Weg, auf dem die Wiederholung des Grauens sich ausschließen läßt. – Die Diskriminierung des „Negativismus“ der kritischen Theorie steht unter dem Bann einer säkularisierten Bekenntnislogik; deshalb brauchte Habermas seinen „Verfassungspatriotismus“: um dem Bekenntnis einen Inhalt, der Bekenntnislogik ein Objekt zu geben.
Am Modell eines Naturschutzes, der heute der Verwaltung übertragen wird, lassen sich das Konstrukt und die Folgen der Ideologisierung des Unschuldstriebs demonstrieren: Die Wachteln, die Libellen und der Enzian werden ideologisiert, um den Allmachtsphantasien der Verwaltung das Alibi und den nötigen Freiraum zu verschaffen.
Mit dem Schwur wurden in der altorientalischen Welt Verträge besiegelt; deshalb waren die Tempel der Ort, an dem Verträge abgeschlossen wurden: im Angesicht der Götter, die als Zeugen angerufen wurden. Der Schwur besiegelte die wechselseitige Selbstbindung zweier Partner (war die hierbei zwangsläufige Instrumentalisierung der Götter nicht das Objekt des prophetischen Vorwurfs der Idolatrie und der Hurerei?). Mit der Anrufung des Gottes wurde sein Gericht auf den herabgerufen, der den Vertrag verletzte. Der Staat hat dieses Instrument der Sanktionierung der Vertragsverletzung in der Ausbildung des Rechts dann rationalisiert und selber instrumentalisiert.
Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik konstituieren die private Welt. Ist nicht das Private der Spiegel des nationalistisch gewendeten Politischen? -
19.4.96
Heißt alles verstehen wirklich alles verzeihen? Käme es nicht darauf an, auch das, was nicht verziehen werden kann, noch zu verstehen? Erst diese Maxime macht der Gemeinheit ein Ende.
Was nicht vergeben werden kann, ist in der Schrift präzise bezeichnet: Die Sünde wider den Heiligen Geist.
Faschistisch wird der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ in der Selbstanwendung; er ist einer der Gründe für des pathologische gute Gewissen: Insbesondere alte Nazis haben unendlich viel Verständnis für sich selbst. Hängt hiermit nicht die Beziehung der Fundamentalontologie zum pathologisch guten Gewissen, die in die Fundamentalontologie eingebaute Exkulpationsautomatik, hiermit zusammen?
Die Empörung verurteilt und blendet zugleich jedes Verständnis für das, worüber ich mich empöre, aus: Die Empörung gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs, durch den hindurch ihre Logik sich reproduziert. Wird hier nicht die Beziehung des Objektbegriffs zur Opfertheologie, aus der er hervorgegangen ist, erkennbar?
Die Entsühnung der Welt entsühnt zu viel und zu früh (die wirklich entsühnte Welt wäre die zukünftige Welt).
Der Kreuzestod war beides: Die Kritik und der Verstärker des Weltbegriffs.
Der Empörte „weiß nicht, was er tut“; er gehört zu denen, die Jesus gekreuzigt haben.
Jonas im Bauch des Fisches: Man kann die Philosophie und die Herrschaftsstrukturen, die in ihnen sich widerspiegeln, nicht in dem Sinne „widerlegen“, als wären sie damit entkräftet und ohne Bedeutung; man steckt mitten drin und kann allein durch Reflexion darüber sich selbst Rechenschaft geben, ihrem Bann sich entziehen. Deshalb hilft das Verurteilen nicht, im Gegenteil: es weckt und nährt die magischen Kräfte, die den Urteilenden in den Bann seines Objekts ziehen.
Sartres Satz: Die Hölle, das sind die Anderen, bedarf nur einer einer kleinen Wendung, um ihn der Wahrheit zuzuführen: Die Hölle, das sind wir für die Anderen.
Wider das eindeutige Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ hat das Christentum die Verurteilungsautomatik als Exkulpationsautomatik mißverstanden und mißbraucht. Der Begriff der „Entsühnung der Welt“ bezeichnet genau diesen Punkt des Mißbrauchs.
Es gibt nicht zwei, sondern drei Bekenntnisbegriffe: Das Schuldbekenntnis (vor dem Opfer der Tat und vor Gott), das Glaubensbekenntnis (vor der Gemeinde), aber auch das Bekenntnis der Solidarität mit dem Opfer vor dem Verfolger (Cohens Bekenntnis: Ich bin Jude).
Gibt es nicht einen Zusammenhang von „Saul unter den Propheten“ mit Paulus als „Hebräer unter Hebräern“? Zitiert nicht das Neue Testament in den Namen fortwährend das Alte, dessen Elemente es in neue Konstellationen rückt? Diese „Verrückung“ ist vorgezeichnet durch den Ursprung und die logische Gewalt des Weltbegriffs.
Das telos der Beweislogik ist die Verurteilung (der Bestand des Objekts).
Beim Namen werde ich gerufen, unter den Begriff werde ich subsumiert (unterm Begriff erscheint meine „Natur“). Der Name ist das Element der Auferstehung, der Begriff ist der Kern und der Ursprung der Bekenntnislogik, des Konfessionalismus (er konstituiert die stumme Gemeinde).
68 ist 4 x 17, 69 ist 3 x 23, 72 ist 2 x 36.
– 17 ist die Grundzahl der Anzahl Fische, die die Jünger gefangen hatten,
– 23 ist die Grundzahl der Zahl der beim Schiffbruch vor Malta Geretteten, und
– 36 ist die Grundzahl der Zahl des Tieres, die die Zahl des Namens eines Menschen ist.
Kann es sein, daß der Satz vom Binden und Lösen auf die Beziehung des Innen-Außen-Paradigmas zum Im Angesicht-Hinter dem Rücken-Paradigma sich bezieht (Beziehung der Kirche zu Israel und zu den Heiden)?
Ihr seid das Licht der Welt: Ich meine, es ist zu wenig, wenn wir nur im Binnenraum der Gemeinde das Licht anzünden. Das Licht wird erst dann zum Licht, wenn es die Welt hell macht (wenn wir an die Stelle der Bekehrung die Umkehr setzen).
Drückt nicht in der merkwürdigen Wahrnehmung, daß „moderne“ Kirchen die Innnenwand wie eine Außenwand behandeln (durch Verwendung von unverputzten Ziegel oder Grobputz), ein entscheidender „kirchenhistorischer“ Sachverhalt sich aus: die Hereinnahme der Außenwelt in den Innenraum der Kirche. Machen wir nicht die Außenwelt zur Innenwelt; ziehen wir die Differenz zwischen Außen und Innen damit nicht ein, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen? (Für die Nachkriegsgeneration gibt es keine Kirche mehr.)
Theologie im Angesicht Gottes, das wäre eine Theologie, die das Gebet als „Methode“ begreift (und damit erstmals das Gebet begreift).
Urhäresie: Hat nicht die Gnosis zu einem heute noch offenen Problem nur die falsche Lösung präsentiert? Dann aber wäre daran zu erinnern, daß die Verurteilung der falschen Lösung, auch wenn sie wahr ist, noch nicht die wirkliche Lösung garantiert. -
15.4.96
Als Urteilsmoral hat die christliche Sexualmoral die Gottesfurcht durch das schlechte Gewissen ersetzt, das die Menschen beherrschbar macht.
Die Bekenntnislogik ist die Logik der Objektivierung und Instrumentalisierung der Wahrheit. Deshalb gibt es kein Bekenntnis ohne Opfertheologie. Und der Götzendienst war bereits eine experimentelle Vorform der Bekenntnislogik.
Die Lohnarbeit war der Beginn eines Prozesses, der darauf abzielt, am Ende auch die Zirkulation in die Produktion mit einzubeziehen, (durch Marktanalyse und Reklame beherrschbar zu machen). Die Globalisierung des „freien Marktes“ hat die Logik des Kapitals (ähnlich wie die Staatsschutzjustiz die Logik des Rechts) zur transzendentalen Logik (zu einem Instrument der Konstruktion von synthetischen Urteilen apriori) gemacht.
Ist nicht das Wort über den Handel und an die Reichen (Latifundienbesitzer) bei Jakobus an Griechenland und an Rom adressiert?
Die Blinden und die Lahmen: Läßt sich diese Konstellation nicht an der Beziehung zum Faschismus demonstrieren? Werden nicht die, die den Faschismus durch Verurteilung (aus der Sicht der Nachgeborenen) bannen wollen, blind, und die, die ihn von innen (aus der Sicht seiner Opfer) begreifen wollen, lahm?
Die Menschen leben nicht (wie die Tiere) in der Natur, sondern in der Welt. Die Welten der Tiere, sind allesamt Teil der Natur (die Natur ist der Inbegriff aller Objekte von Urteilen: das Tier ist ein lebendiges Objekt eines Urteils).
Zum Symbol des Kreuzes: In der Mathematik sind wir die Opfer einer Logik, die uns beherrscht; die Beweislogik ist die Logik dieser Herrschaft, einer Logik, deren Ursprung wir nicht kennen, und an deren Ursprung wir nicht heranreichen.
Wenn der Staat die Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern ist, dann, so scheint mit, verweist das auch auf den Ursprung der Mathematik (des „Bogens in den Wolken“?).
Ist der Bogen in den Wolken das hebräische Gegenstück zum griechischen Gnomon?
War nicht die Darstellung der Praxis der Getreide-Spekulation und ihrer Folgen bei Frank Norris (in dem Roman, der Bert Brecht zum Marxisten gemacht hat), noch harmlos gegenüber der Funktion und Bedeutung, die die Spekulation (als reine Geldspekulation) heute gewinnt? Die Hypothese wäre zu prüfen, ob nicht das Geld-Spekulationsgeschäft, das nicht nur (wenn auch vor allem) Banken betreiben, mit der Explosion der Armut, die ganzen Bevölkerungen die Existenzgrundlage entzieht, zusammenhängt, und das nicht nur symbolisch, sondern real. -
5.4.96
„Post haec accepit de substantia sua et discessit ad mare …“ Diesen Satz aus der lateinischen Quelle des altfranzösischen Alexius-Liedes übersetzt Erich Auerbach wie folgt: „Darauf nahm er etwas von seinem Vermögen und begab sich zum Meere …“ (Mimesis, S. 114). Enthält die Übersetzung von substantia mit Vermögen nicht den Schlüssel zum materialistischen Verständnis der Philosophie? War der Begriff der Transsubstantiation vielleicht ein hilfloser Versuch, das Tauschprinzip zu verstehen? Und wenn Hegels Philosophie mit dem Programm antritt, „die Substanz als Subjekt“ zu begreifen, war das nicht schon ein verschlüsselter Ausdruck der Marxschen These, daß die den historischen Prozeß bewegenden Kräfte die ökonomischen sind?
Hinweis auf den logischen Grund der Opfertheologie: Die Konstituierung der Raumvorstellung zieht die Vorstellung nach sich, daß die Materie von außen in den Raum hineinkommt. In der gleichen Bewegung konstituiert sich die Materie als „träge Masse“; sie stößt ihre sinnlichen Qualitäten von sich ab, die danach auch gleichsam nur von außen in sie hereinkommen, wobei als dieses Außen der Materie, das im Raum keinen Halt findet, nur das Subjekt noch übrigbleibt. Die naturwissenschaftliche Aufklärung hat dem Begriff des Opfers den Grund entzogen, ohne ihn wirklich aufzulösen. Barmherzigkeit, nicht Opfer: Die Naturwissenschaften haben nicht nur dem Opfer, sondern auch der Idee der Barmherzigkeit den Grund entzogen; sie haben, indem sie das Opfer durch seine Universalisierung gegenstandslos (und zu einer bloßen Manifestation von Gewalt) gemacht haben, die Barmherzigkeit blind gemacht („Ihr laßt die Armen schuldig werden“).
„Sie (die Ereignisse und Figuren des Alten Testaments, H.H.) haben keine Wirklichkeit mehr, sondern nur noch Bedeutung“ (Mimesis, S. 113): Diese Bemerkung Erich Auerbachs über die frühchristliche Verarbeitung der Vorvergangenheit des Christentums verweist auf den (opfertheologischen) Ursprung dessen, was seitdem Bedeutung heißt. Bedeutung hat eine Sache nicht an sich, sondern nur für etwas; der Begriff der Bedeutung schließt die Funktionalisierung schon mit ein, von der gewaltsam abstrahieren muß, wer versucht, so etwas wie eine „objektive Bedeutung“ einer Sache, eines Begriffs, dingfest zu machen.
Der Sinn erinnert an die Sinnlichkeit, die Passivität der Wahrnehmung, die Bedeutung ans Deuten, sie enthält ein aktives, deiktisches Moment. (Hat diese Unterscheidung etwas mit mit den Zeichen an Kopf und Hand in der Apokalypse zu tun?)
Die Definition der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand bannt das Proletariat auf die Objektseite der Welt, und mit der Proletarisierung aller (mit der Verwüstung der Welt durch die Ökonomie) die Menschheit.
Im 7. Kapitel der Johannes-Apokalypse werden die Stämme Israels aufgeführt, aber mit folgenden Abweichungen: Während der Stamm Dan fehlt, wird der Stamm Manasse genannt, obwohl auch der Stamm Joseph (zu dem er gehört), mit aufgeführt wird, während Ephraim (der andere Halbstamm Joseph) wiederum fehlt. Hat das etwas mit der Rolle dieser Stämme im Buch der Richter zu tun?
Der Drache hat die Kronen auf seinen sieben Häuptern (Apk 123), das Tier aus dem Meere hat die Kronen auf seinen zehn Hörnern und auf seinen Köpfen gotteslästerliche Namen (131). Ist das nicht ein ungeheurer Hinweis?
Ist nicht der Hebräer-Brief, in dem übrigens die einzige Stelle sich findet, an der das „Neue Testament“ definiert wird, der Beweis dafür, daß das Christentum Israel nicht beerbt hat? Das Christentum ist ein Hebräertum, das sich fälschlich für Israel gehalten hat. Diese Verwechslung war tödlich.
In Bubers Bibel-Übersetzung gibt es den Begriff der „Weltzeit“. Den gleichen Begriff haben die Christen immer mit Ewigkeit übersetzt. Ist nicht die Bubersche Übersetzung in diesem Falle besser?
Sind nicht die theologischen Konstruktionen, die die Seligkeit als „selige Anschauung Gottes“ und als „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“ definieren, exakte Darstellungen der Hölle?
Der Satz, daß der Schrecken des Faschismus durch Verurteilung sich nicht bannen läßt, gilt auch für die Kirche.
Das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ gewinnt heute, angesichts der entfalteten Naturwissenschaften, auch kosmologische Bedeutung.
Himmel und Erde sind Manifestationen eines vorweltlichen Urteils; darauf bezieht sich der biblische Schöpfungsbegriff, das bara. Deshalb sind die großen Seetiere wie auch die Menschen erschaffen. Die Erschaffung des Menschen war dreifach: in seinem Bilde (im Angesicht Gottes), im Bilde Gottes (im Bilde seiner Attribute) und als Mann und Weib.
Wider die Harmonie und die Geborgenheit: Das Sich-Reiben ist auch eine Methode der Erzeugung des Feuers. Hat das etwas mit dem Satz „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“ (Lk 1249) zu tun?
Ist Helmut Kohl, der sich immer auf das Urteil der Geshichte beruft, nicht selber der Protagonist der Revision des geschichtlichen Urteils über den Faschismus, der real-ironischen Realisierung des faschistischen Ziels der Weltherrschaft mit den „rationalen“ Mitteln der Ökonomie. Dazu paßt der Slogan der „Versöhnung über den Gräbern“, in denen endlich Täter und Opfer vereint sind.
Ist nicht Antje Vollmer die feminine Version Kinkels bei den Grünen?
Im Buch Esther gibt es die Stelle, daß ein Erlaß des Königs „an die Gaue (Provinzen) in ihrer Schrift, an die Völker in ihrer Sprache und an die Juden in ihrer Schrift und in ihrer Sprache“ ergeht. Die Gaue (Provinzen) sind Verwaltungseinheiten, und die haben die Schrift als Grundlage, während die Völker durch ihre Sprachen sich definieren.
Das „Quidquid non est in actis, non es in mundo“ verweist auf den genetischen Zusammenhang von Schrift und Welt. Die Welt wurde nicht durchs Wort, sondern durch die Schrift erschaffen. -
3.4.96
Das Fernsehen ist die ironische Erfüllung der Idee der seligen Anschauung Gottes.
Eine Theologie im Angesicht Gottes läßt sich nur noch aus dem imperativischen Charakter der Attribute Gottes begründen. Wenn die Theologie aufhört, sich als Theologie hinter dem Rücken Gottes zu begreifen, wird das Geschwätz aufhören: die Intrige, das Reden über andere hinter ihrem Rücken.
Das aber wäre auch das Ende einer Theologie, die die Schrift nur noch projektiv, mit Hilfe der Logik des Schuldverschubsystems, verarbeitet. Das projektive Moment, die Logik des Schuldverschubsystems, steckt als ein konstitutives Moment im Begriff der Realität heute, die nur noch unter Zu-Hilfe-Nahme der Theologie (als Reflexion und Kritik des Schuldverschubsystems) noch zu durchdringen ist.
Widerlegung des Begriffs der „objektlosen Angst“: Die Fähigkeit, die Angst zu reflektieren, hängt zusammen mit der Fähigkeit, die Schuld zu reflektieren. Rosenzweigs Anfang mit der Todesfurcht steht in logischem Zusammenhang mit dem Satz, daß nur, wer die Last auf sich nimmt, sich von ihr befreit.
Zu den Dingen, die der raf vorzuwerfen sind, gehört nicht zuletzt, daß sie sich bewußtlos zum Agenten des Staatsterrorismus, den sie zu bekämpfen glaubte, hat machen lassen (die Herrschenden kennen keine Solidarität und keine Trauer: der Tod Schleyers hat nur eine attraktive Stelle freigemacht).
Die Vorstellung einer Natur, die die Menschheit überleben wird, ist ein Spiegelbild des Kapitalismus.
Als Schelling die Weltalter schrieb, hatte – so darf vermutet werden – das Verb „ahnden“ sicher schon die gleiche strafrechtliche Bedeutung, die es auch heute noch hat. Daß „die Zukunft geahndet“ wird, wie es im ersten Satz der Weltalter heißt, ist aber nicht nur die Folge einer Verwechslung des Ahndens mit dem Ahnen, sondern gehorcht einer bewußtlosen Logik, die ihren Grund in der Fichteschen Identifizierung der Philosophie mit der Wissenschaft hat. Die geahndete Zukunft ist die durch Subsumtion unter die Vergangenheit, unter den Begriff und die Logik des Wissens, verurteilte Zukunft, eine Zukunft, die die Zeche zu zahlen haben wird.
Ist nicht das Horkheimer-Wort: Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen, heute (nach Auschwitz) zu radikalisieren: Wer die Auferstehung leugnet, sollte von der Utopie schweigen?
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Herrschaft über den Himmel (der dadurch vermittelten Vergesellschaftung von Herrschaft: die antike Astronomie hat dazu beigetragen, Herrschaft zu begründen, die kopernikanische Wende, der himmlische Reflex des Ursprungs des Kapitalismus, hat sie vergesellschaftet).
Wenn Name und Begriff durch ihre Beziehung zur Schuld sich unterscheiden, worauf beziehen sich dann das „Bekenntnis des Namens“ und die „Heiligung des Gottesnamens“?
Ist die Samson-Geschichte im Buch der Richter nicht auch eine prophylaktische Ironisierung der Jesus-Geschichte (vgl. z.B. die „Verkündigung“ der Geburt an die Mutter, die Rolle des Vaters und den „Opfertod“ am Ende)? Wird nicht das Moment der Ironie im Buch der Richter überhaupt erst erkennbar im Kontext der Reflexion und Kritik von Herrschaft, mit der Heraustreten aus dem autoritären Bann (der u.a. unser Bibel-Verständnis ans nationalistische Apriori, das aber heißt: an den Historismus, bindet und den Blick auf das, was im Ernst Offenbarung heißen darf, verstellt)?
Zu den letzten Kapitel des Buchs der Richter vergleiche die anderen biblischen Stellen zu Pinchas, Sohn des Eleazar, und zu Jabesch-Gilead.
Beerscheba: Was haben der Schwur und die („heilige“) Zahl sieben mit einander zu tun? Vgl. hierzu Lillian R. Klein, S. 186 (shaba: to swear; to seven oneself, or bind oneself by seven things, Brown-Driver-Briggs-Gesenius: Hebrew/Aramaic Lexicon, 1979, p. 989).
Die Justiz fördert den Rachetrieb und verhindert die Schuldreflexion. Deshalb bedarf das Recht des Schwurs. -
27.3.96
Beitrag zur Rosenzweig-Kritik: Als Tage des Eingedenkens sind Feiertage Tage der im Bilde der Geschichte als Natur erinnerten Utopie. Weihnachten ist zum Fest des Selbstmitleids geworden, seit die inertiale Gewalt des Tauschprinzips den Fluß der Zeit begradigt, die Staustufen des Eingedenkens beseitigt hat. Seitdem gibt es keine Zukunft mehr.
Sind nicht die weibliche Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt die letzten Staustufen gegen den ungehinderten Fluß der Zeit?
Der Staat entwickelt aus zwei Gründen einen eigenen Selbsterhaltungstrieb: der eine gründet in seiner Beziehung zu anderen Staaten, zur Völkerwelt (das Tier aus dem Meere, der Faschismus), der andere bezieht sich auf die Grundlagen der materiellen Selbsterhaltung seiner Institutionen, auf die Ökonomie (das Tier vom Lande; Stichworte: Währungsstabilität, „Standort Deutschland“). Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden bezeichnet aufs genaueste den Widerstand gegen das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande. -
25.3.96
In der Natur, die alles richtig macht, weil sie blind ihren Gesetzen gehorcht, erkennt sich die Verwaltung wieder.
Die Kritik der Astrologie wird konkret erst als Kritik der Verwaltung.
Das Verhältnis der Spaziergänger zur Natur ist ein anderes als das der Radfahrer. Sind die Naturschützer Radfahrer?
Zum Namen der „hebräischen“ Schrift: Die phonetische Schrift gründet in der Beziehung der Sprache zu anderen Sprachen, in der Materialisierung der Sprache durch Rückführung auf den gemeinsamen Lautbestand. Die erste Gestalt einer phonetischen Schrift, die phönizische, war die Schrift eines Handelsvolkes (in einer Zeit, in der Handel Fernhandel war), eine Schrift, die erfunden wurde, um die Aussprache von Wörtern anderer Sprachen festhalten und wiedergeben zu können. Aus der phönizischen Schrift ist sowohl die hebräische als auch die griechische Schrift hervorgegangen. Die phonetische Schrift verfremdet jede Sprache, indem sie sie in das Licht anderer (fremder) Sprachen rückt. Sind die Begriffe Hebräer und Barbaren, die auf diese Fremdheit sich beziehen, Produkte der phonetischen Schrift (der Logik der Schrift)?
Im Buch Esther wird der Erlaß des Königs an alle Gaue in ihrer Schrift, an alle Völker in ihren Sprachen, nur an die Juden in ihrer Schrift und in ihrer Sprache versandt (89).
Zur Unterscheidung von Katze und Hund: „Hunde sind gehorsam, Katzen nicht“. Die Katze war ein Symbol Ägyptens, der Hund ein Symbol Babylons; Ägypten war das Sklavenhaus, Babylon eine Tempel- („freie Markt“-) Wirtschaft. (Fressen Hunden Fische?)
War der Bann, das Verbot zu plündern, antibabylonisch? Oder anders: War die Erlaubnis zu plündern ein Mittel zur Erzeugung und Stabilisierung der Kampfbereitschaft (der „Moral“ der Truppe, wie man das vermutlich heute noch nennt) des babylonischen Militärs, und haben erst die Römer den „Gehorsam“ erfunden?
Unzuchtsbecher: Wenn der Faschismus etwas mit verdrängter Homosexualität zu tun hat, was drückt dann in der gegenwärtigen lesbischen Bewegung sich aus? Wäre nicht eine politisch-ökonomische Reflexion der Schwulen- und Lesbenbewegung, die beide gegen das sexualmoralische (Vor-)Urteil in Schutz nimmt, an der Zeit? -
24.3.96
Das Keuschheitsgebot zielt auf die Abwehr der Gewalt, nicht der Lust. Darin liegt seine politische Bedeutung. Vergewaltigung ist kein Sexualdelikt, sondern ein Gewaltverbrechen: Sie macht die Frau zum Objekt und zielt auf den Selbstgenuß der terrorisierenden Gewalt (der Ursprung des Terrors liegt im Vergewaltigungstrieb). Ist in dieser Konstellation die Lösung des Problems des apokalyptischen „Unzuchtsbechers“ zu suchen: als Symbol der politischen Verführung nicht mehr nur zur Trunkenheit (Taumelbecher), sondern zur Gewaltlust, zum Faschismus?
Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: Die Schriften des Neuen Testaments unterscheiden sich von denen des Alten nicht zuletzt durch ihren Adressaten. Die an die Gemeinden (die „ecclesiae“) gerichteten Briefe, die Reden Jesu an das Volk, seine „Wunder“ (die Heilung der Kranken, Frauen, Behinderten, die Erweckung der Toten, die Speisungen der Menge), die Aussendung der Jünger und dann der Apostel; die Adressaten sind das Volk, nicht die Herrschenden: nicht die politischen und religiösen Repräsentanten, die nur noch Reagierende, nicht mehr Handelnde sind („sie wissen nicht, was sie tun“) und allesamt als Mitglieder einer Verschwörung gegen das Volk (und gegen ihn) sich erweisen. Ecclesia, der Name der Kirche, erinnert an die Tradition der Versammlung im Tor, an das kollektive Subjekt der städtischen Demokratie. -
22.3.96
Genealogie: Die Bekenntnislogik ist die Tochter des Tauschprinzips und die Mutter des Trägheitsgesetzes. Sie ist das Bindeglied zwischen der Geldwirtschaft und den mathematischen Naturwissenschaften.
Die Bekenntnislogik (vom Götzendienst über das trinitarischen Dogma bis zum Faschismus) ist das Laboratorium des Weltbegriffs.
Das Inertialsystem ist die instrumentalisierte Schicksalsidee (die instrumentalisierte Logik des Mythos). Die Schicksalsidee (und der Mythos) aber war der Preis für die Bildung des Neutrum und den Ursprung der indoeuropäischen Sprachen.
Der Islam, der das Schicksal monotheisiert hat, hat den Ausweg aus dem Mythos vesperrt.
Jeshajahu Leibowitz: Die Geschichte ist die Geschichte des Wahnsinns, des Verbrechens und des Unglücks. Und sie ist zugleich die Geschichte des Kampfes dagegen. Verweist nicht der Wahnsinn auf die Bekenntnislogik, das Verbrechen auf die Geldwirtschaft und das Unglück auf den Ursprung des Naturbegriffs? Wer die Geschichte auf Wahnsinn und Verbrechen reduziert, ist paranoid. Nur die Erinnerung ans Unglück bewahrt vor der Paranoia, vor der auch die Kapitalismus-Kritik nicht gefeit ist. Dem Faschismus ist es vorbehalten geblieben, auch das Unglück noch in die eigenen Regie zu nehmen, die Naturkatastrophe zu inszenieren.
Was die Reflexion von Auschwitz und den „christlich-jüdischen Dialog“ so unendlich belastet und fast unmöglich macht, ist das Erbe einer Logik, die zuerst in der Christologie sich manifestiert hat: die Logik der Vergöttlichung des Opfers, die ein Teil der Urteilslogik ist. Der Faschismus aber war eine Explosion der Gemeinheit; und diese Explosion ist nicht beendet, sie geht weiter. Damit hängt es zusammen, wenn der Schrecken und der Bann des Faschismus nicht durch Verurteilung aufzulösen ist, sondern allein durch Reflexion der Logik der Gemeinheit, die innerhalb der Urteilslogik nicht zu leisten ist, weil sie die Reflexion der Urteilslogik (die Kritik der in der Urteilslogik begründeten Totalitätsbegriffe, der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt) voraussetzt.
Ist nicht der Begriff der Bekenntnislogik ein Versuch, dem Problem der Gemeinheit auf die Spur zu kommen? Die Bekenntnislogik, die in der Schuldumkehr gründet, verdankt sich der Weiterbildung und Entfaltung des projektiven Moments im philosophischen Erkenntnisbegriff. Das Glaubensbekenntnis ist ein umgekehrtes Schuldbekenntnis: Bekannt (und damit zugleich festgeschrieben und fixiert) wird die Schuld des Objekts, die „Schuld der Welt“, die der Erlöser im Opfertod am Kreuz „hinweggenommen“ und gesühnt haben soll. Der christliche Erlösungsbegriff, die Idee der „Entsühnung der Welt“, war die konsequenteste Entfaltung der Bekenntnislogik; ihr wirkliches Ergebnis aber war die Freistellung des Weltbegriffs, die Legitimierung von Herrschaft, die Diskriminierung der Kritik. Die die Bekenntnislogik konstituierende Opfertheologie ist im Faschismus nochmals explodiert: Das war die Explosion der Gemeinheit. Ist die Bekenntnislogik der „Greuel am heiligen Ort“? Und ist das in die Bekenntnislogik verstrickte Christentum nicht die Bestätigung des Satzes, daß vor Gott tausend Jahre wie ein Tag sind: der Tag des Schreckens (mit der Bekenntnislogik als Mittel der moralischen Anästhesie), der Tag JHWHs (die Zeitdilatation der Bekenntnislogik: das Binden, zu dem das Lösen noch aussteht)? Nicht zufällig wollten die Nazis ein „Tausendjähriges Reich“ errichten. Hier findet das Bild vom Dogma als der Schockgefrierung einer Tradition, die nur so zweitausend Jahre Christentum überleben konnte, seine Begründung.
Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine anarchische Theologie.
Gibt es nicht eine merkwürdige Beziehung der Schlange zum Kelch (des Neutrums zu den subjektiven Formen der Anschauung, zum Raum)? Und gibt es nicht eine symbolische Verknüpfung beider (etwa in der Gnosis)?
Die Linguistik läßt sich als Versuch begreifen, auch die Sprache noch zu neutralisieren. Sie macht die Sprache selber zu Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt: Indem sie die Sprache (im Kontext des Begriffs der Kommunikation) auf ihre Mitteilungsfunktion reduziert und fixiert, verdrängt und zerstört sie ihre erkennende Kraft, läßt sie sie (wie die BILD-Zeitung in ihren Texten, die mit den Mitteln der Linguistik nicht mehr sich würden kritisieren lassen) zusammenschnurren zu „propositionalen Sätzen“. Die Sprache, die zum Gegenstand der Linguistik geworden ist, verhält sich nur äußerlich zur Sache, sie bewegt sich nicht mehr in der Sache, beide werden dinglich getrennt. Eine Sprache aber, die in die Sache nicht mehr eingreift, der die Welt zur Dingwelt wird, an der die Sprache abprallt, bewegt nur noch die Vorstellungen ihrer Adressaten: sie wird zu einem Instrument der Manipulation.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie