Faschismus

  • 18.3.96

    Die Vorstellung, daß die Dinge von außen in den Raum hineinkommen, gründet in der Form des Raumes selbst: er ist die Form der Äußerlichkeit; im Raum beziehen sich die Dinge nur äußerlich auf sich selbst. Das Inertialsystem ist das Formgesetz dieses Sich-auf-sich-selbst-als-ein-Anderes-Beziehens. Ist diese Äußerlichkeit nicht zugleich eine politische, steckt darin nicht die Urgeschichte der Warenform, an den Ursprung des Handels in Raub und Krieg? Der erste Handel ist Außenhandel, Fernhandel; die ersten Waren waren die gefangenen und erbeuteten Sklaven und Frauen. Ist nicht der Raum das Instrument, das die Dinge sowohl technisch als auch ökonomisch beherrschbar macht?
    Rauben, Stehlen, Morden gehören zu den Gründungsakten des Staates (als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern). Das Geld ist der domestizierte Eroberungskrieg. Beschreibt und definiert das Strafrecht nicht genau jene Aktivitäten als Verbrechen, die einmal den Staat begründeten? Ist nicht die Bekenntnislogik das Produkt der ohnmächtigen und hilflosen Anpassung der Religion an die Logik des Staates? Der Staat bedarf deshalb des Schutzes vor der Verunglimpfung seiner Symbole, weil anders in diesen Symbolen die systematische Demütigung der Bürger durch den Staat zu leicht erkennbar wäre. Im Nationalismus vergessen die Bürger, wer sie sind.
    Knäste sind exterritoriale, rechtsfreie Zonen im Innern der Staaten (Brutstätten der Gemeinheit, die selber kein strafrechtlicher Tatbestand ist). Gefangene sind vogelfrei.
    Die bloße Verurteilung des Faschismus wirkt wie jede Verurteilung: sie begründet und legitimiert die Verdrängung, die Nicht-Wahrnehmung dessen, was man verurteilt, und damit seine Wiederkehr. Die Verurteilung des Faschismus macht blind für die Wahrnehmung des wirklichen Faschismus.
    Alle Dinge sind Ausländer (darin ist ihre Fähigkeit begründet, Eigentum zu werden).
    Bei Ferdinand Ebner gibt es den Begriff des Rads der Generationen; zitiert er hier das „Rad des Lebens“ im Jakobus-Brief? Bezeichnet dieses Rad des Lebens den Generationenwechsel, daß Eltern Kinder haben und Kinder zu Eltern werden? In welcher Beziehung steht die Welt zu diesem Rad des Lebens: ist die „Welt“, die die Eltern an ihre Kinder vererben, wirklich gleich bleibend? Johannes (der Täufer) sollte die Herzen der Väter zu ihren Kindern bekehren (Lk 116).
    Gibt es einen inneren Zusammenhang innerhalb der nachpaulinischen Briefe (von Jakobus, über Petrus und Johannes zu Judas); und ist der Hebräerbrief die Feuerwand, die beide Gruppen von einander trennt? Sind nicht alle nachpaulinischen Briefe apokalyptische Briefe, Briefe, die sich nicht im Bestehenden einrichten? – Was haben Jakobus und Judas mit einander zu tun, und was 2 Pt mit dem Judasbrief?
    Wie verhalten sich die Begriffe „Neues Testament“ (nur im Hebräerbrief?) und „Evangelium“ zueinander und zum Begriff des Bundes (Evangelium: „eine Literaturgattung, die im Zusammenhang mit dem jüdischen Krieg entstanden ist“, TuK Nr. 67, S. 3; vgl. auch die Aufschlüsselung des Begriffs, seine Aufteilung auf die Schriften des NT, ebd., S. 22)? Ist der Schlüsselbegriff der vom „Blut des Bundes“ (Mt 2628, Mk 1424, Hebr 920, 1029, vgl. Ex 248) bzw. vom „neuen Bund in meinem Blut“ (Lk 2229, 1 Kor 1125). – Kann es sein, daß die Beziehung von Kelch, Blut und Bund, zusammen mit dem rätselhaften Wort, daß er vom Gewächs dieses Weinstocks erst im Reiche seine Vaters trinken wird, verständlich wird vor dem Hintergrund der Lehre von der Wiederkunft: Das Christentum als offene Wunde, die erst mit seiner Wiederkunft sich schließen und heilen wird? Und gilt das Testament, das „den Tod des Erblassers voraussetzt“, mit seiner Auferstehung jedoch eigentlich schon hinfällig geworden ist, nur für diese leere Zwischenzeit des „Christentums“?

  • 26.2.96

    Bange machen gilt nicht: Wer die Aufsätze Horkheimers in dem Bändchen „Autoritärer Staat“ (Schwarze Reihe Nr. 3, Verlag de Munter, Amsterdam 1968) liest, weiß, weshalb Horkheimer nach dem Krieg kein Buch mehr geschrieben hat. Die Texte sind von einer Panik durchsetzt, die den Grund seines Denkens offenlegt: sich auch in der äußersten Katastrophe von Angst nicht dumm machen zu lassen.
    Sind nicht das Plancksche Wirkungsquantum, die „Quantensprünge“ und die Elektronenbahnen im Atommodell Konsequenzen des Entropiegesetzes?
    Wichtig wäre die genaue Analyse des Planckschen Strahlungsgesetzes: Hier ist die Beziehung von elektromagnetischer Strahlung und thermischer Bewegung – mit dem Planckschen Wirkungsquantum als vermittelndem mathematischen Glied – exakt definiert.
    An der Hegelschen Philosophie ist nicht der „Idealismus“ falsch, sondern das, was sich dahinter verbirgt: die Parteinahme für die Herrschenden, für die Sieger, und das Hegelsche Weltgericht als der Inbegriff dieser Parteinahme. Falsch ist m.a.W. die Ästhetisierung des Gedankens, der der Idealismus sich verdankt (der ästhetische Grund der Hegelschen Logik).
    Jakobsleiter: Als die Theologie mit Gott sich auseinandersetzte, hat sich hinter ihrem Rücken etwas gebildet, dessen Opfer sie dann geworden ist: die Bekenntnislogik. Ist es nicht die Bekenntnislogik, die die Kirche hinkend macht (die sie am Ende lahm und blind macht)?
    Die Erfindung der Tiefenzeit war ein Entlastungskonstrukt: Was soweit in der Vergangenheit zurückliegt, ist nicht mehr erinnerungsfähig, nur noch objektivierbar.
    Wenn die unter Physikern verbreitete Kritik des Kausalitätsprinzips stimmen würde, wäre es noch auf eine ganz andere Weise unverantwortlich, Atomkraftwerke zu bauen: Die Atomphysiker wüßten als Techniker und Ingenieure und nicht mehr, was sie tun. Aber darum ging es in der Frage des Kausalitätsprinzips auch gar nicht. Mit der Kritik der Kausalität war nicht der physikalische, sondern ein gesellschaftlicher und moralischer Sachverhalt gemeint: Vernebelt werden sollte der gesellschaftliche und moralische Zusammenhang, in dem die industrielle und militärische Nutzung der Atomphysik steht, und die eigene Mitarbeit an diesen Projekten; diese Kausalzusammenhänge, die in Wahrheit Herrschafts- und Schuldzusammenhänge sind, sollten im Dunkeln bleiben.
    War nicht der Faschismus selber schon, wie leicht an Gestalten wie Spengler, Klages u.a. sich demonstrieren ließe, ein Objekt der Panik, die er glaubte nur durch Projektion von sich fernhalten zu können? Der Preis war die Paranoia. Der Schrecken des Faschismus ist nicht durch Verurteilung, sondern nur durch Reflexion zu bannen. Den Faschismus durch Verurteilung zu bekämpfen heißt, den Teufel mit Beelzebub austreiben.
    Erhaltungssatz: Die Beziehung der Theologie hinter dem Rücken Gottes zur Theologie im Angesicht Gottes ist eine der Umkehr, aber nicht in dem Sinne, als könne man sich von der einen ab- und der anderen zuwenden; sondern diese Umkehr gleicht eher dem Wenden eines Handschuhs (wobei der theologische der linke, der auf rechts zu wenden wäre, und der politische der rechte, der auf links zu wenden wäre, ist). Diese Umkehr müßte heute die Naturwissenschaften mit einbeziehen, hier liegt ihr schwierigster Teil. Der Handschuh aber wäre nicht zu verwerfen, ohne ihn hätte die Umkehr kein Objekt und kein Ziel; er bleibt erhalten.
    Haben Einsicht und Verstand in Off 1318 etwas mit Schlange und Taube in Mt 1016 zu tun; ist der Verstand „klug wie die Schlangen“ und die Einsicht „arglos wie die Tauben“?

  • 22.2.96

    „Ist das Ihne Ihren Hund?“: An der Deklination des Personalpronomens (am Dativ und Genitiv 3. Pers. plural) läßt sich ablesen, daß der grammatische Adressat (der Dativ) aufs maskuline und der objektivierende Genitiv aufs feminine Geschlecht zurückgreift.
    „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen!“ Wer ist gemeint mit dem Du: benennt Jesus sich selbst (als Adressaten des göttlichen Gebots), oder den Teufel, und damit dann aber sich selbst als den Herrn, seinen Gott (den Gott für den Teufel), den man nicht versuchen soll? Geht es um die Versuchung Jesu durch den Teufel, oder um die Versuchung Gottes durch Jesus? Hintergrund ist die Aufforderung des Teufels, Jesus solle sich von der Zinne des Tempels stürzen (Mt 45ff).
    Jeder Indikativ ist ein (verdeckter oder offener) Imperativ. Jede Feststellung enthält einer Handlungsanweisung (sei es als „normative Kraft des Faktischen“ oder als Feststellung von materiellen Bedingungen, auf die das Handeln zu beziehen wäre). Die Trennung von Indikativ und Imperativ (Natur und Welt) erzeugt eine Sprache, in der Theologie nicht mehr möglich ist. Es ist die Sprache des Zuschauers, die die Erkenntnis zum Wissen depersonalisiert; sie steht unter dem Bann des Neutrums. Was mit hereinspielt, ist ein zeitliches Moment (das gleiche, das die indoeuropäische Sprachlogik konstituiert): die Trennung der Vergangenheit von der Gegenwart unterm Prinzip der Selbsterhaltung. Jedes Urteil, insbesondere jede Verurteilung, begründet die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart, indem es das Vergangene verdrängt. Hier liegt die Differenz zwischen der geisteswissenschaftlichen „Einfühlung“, die immer in die Herrschenden, die Sieger, sich einfühlt, und der Erinnerungsarbeit, die die Sache der Beherrschten, der Besiegten, zu ihrer eigenen macht.
    Sind wirklich „nicht-intendierte Folgen dem philosophischen Lehrer sowenig wie irgend einem anderen Autor, wie man sagt: subjektiv zuzurechnen“? (Habermas: Philosophisch-politische Profile, erweiterte Ausgabe, Frankfurt ’87, S. 19) Und was meint Habermas, wenn er anmerkt, daß „inzwischen …, ironischerweise vorbereitet durch sozialstrukturelle Umwälzungen, unterm Naziregime, die Bundesrepublik während der Rekonstruktionsperiode die Ungleichzeitigkeiten ihrer Entwicklung wettgemacht (hat) … Man hat immer noch eine magische Furcht es auszusprechen: wir leben heute in einem der sechs oder sieben liberalsten Staaten …“ (ebd. S. 24)? Diese Sätze stehen in einem Zusammenhang, der den Schluß nahezulegen scheint, die Philosophie müsse vielleicht doch endlich aus der „Fixierung an das zeitgeschichtliche Phänomen des Faschismus“ (S. 18) heraustreten.
    Das Konzept des „herrschaftsfreien Diskurses“ und des „zwanglosen Zwangs des Arguments“ lebt von der Prämisse, daß die Wahrheit „beweisbar“, daß „Intersubjektivität“ ein Konstituens der Idee der Wahrheit sei. Unterm Bann des Positivismus aber laßt sich die Wahrheit einer Erkenntnis (eines „propositionalen Satzes“) von der Instrumentalisierung des Erkannten nicht mehr unterscheiden. Damit hängen die Probleme der Beweislogik (ein zentrales Motiv der Kritik der reinen Vernunft), die Habermas bloß verdrängt, zusammen. Ausdruck dieser Probleme ist u.a. der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist: Der Grund liegt darin, daß sie nicht beweisbar ist. In diesen Zusammenhang gehören die Fälle von Kameraderie bei Übergriffen durch die Polizei, die Erfahrung, daß, wer Opfer eines Übergriffs geworden ist, aber keine Zeugen hat, im Falle einer Anzeige mit einer Gegenanzeige rechnen muß. Die Logik dieses Verfahrens läßt als Instrumentalisierung der Logik, die Kant unter dem Titel „Antinomie der reinen Vernunft“ analysiert hat, sich begreifen. Auf der alleinigen Grundlage der Beweislogik lassen ungerechte Urteile in der Justiz und falsche Urteile in der Wissenschaft, wenn man die „privilegierte Erkenntnis“ des „eingebildeten Zeugen“ ausschließt, sich nicht vermeiden.
    Die Historismus, die Objektivierung der Geschichte, rückt das Vergangene in eine Position, in der man unbehelligt vom Einspruch derer, die tot sind, darüber reden kann; das aber mit der Folge, daß man selber zum Opfer seinen eigenen Urteile wird. Ist das der Hintergrund der Übersetzung des Namens der Theologie mit der „Rede von Gott“?
    Astrologie und Mythos sind das falsche Bewußtsein eines Problems, das mit Astrologie und Mythos selbst mit verdrängt worden ist. Hierauf bezieht sich der Satz, es komme darauf an, den Knoten, den Alexander durchschlagen hat, endlich zu lösen.

  • 20.2.96

    Verrottung des Staates: Der deutsche Staat hat den Sieg als Basis. Deshalb konnte er den Versailler Friedensvertrag nicht ertragen, und deshalb hat es nach dem Zweiten Weltkrieg einen Friedensvertrag überhaupt nicht mehr gegeben, dafür das Wirtschaftswunder, das die faschistische Weltherrschaft auch nach der militärischen Niederlage als ökonomische noch als reales Ziel vor Augen hatte, während auf der Seite der Sieger die westlichen Mächte den Sieg mit dem Verlust der Kolonien bezahlen mußten, die östliche Siegermacht mit dem Zerfall der Herrschaftsinstitutionen. Der Zerfall sowohl des Kolonialsystems als auch der Sowjetmacht verdankt sich der gleichen Ursache:
    – Die unmittelbare Kolonialherrschaft wurde überflüssig, als nach der Globalisierung des Marktes sich herausstellte, daß die ökonomischen Zwänge (die „Sachzwänge“) das Gleiche, ohne die Hilfe unmittelbarer politischer Herrschaft, nur noch sehr viel effektiver, zu leisten vermochten.
    – Die Grundlage der Sowjetmacht: das Konzept eines Sozialismus in einem Lande, seiner nationalistisch eingeschränkten Realisierung, zerfiel zwangsläufig mit dem Zerfall der nationalen Souveränität in der politischen Explosion des Faschismus; sie zerfiel zwangsläufig an der blinden Gewalt der Ökonomie (der anorganischen Gestalt politischer Macht).
    Was bedeutet das im Hinblick auf die Prozesse der inneren Verrottung der Staaten (Neoliberalismus, Sieg der Verwaltung über die Politik und Angleichung des Rechts an die Verwaltung: positivistisches Rechtsverständnis).
    Ein Vertreter der BAW im Hogefeld-Prozeß, der die Kategorien „möglich“ und „nicht auszuschließen“ (die affirmative Möglichkeit und die doppelte Negation in dem Ausdruck „nicht auszuschließen“) nicht unterscheiden kann, hält gleichwohl eine Beweisantrag der Verteidigung für nicht zulässig, weil er auf den Nachweis einer „negativen Sachbehauptung“ abzielt: Mit dieser Logik werden die Behauptungen der Anklage einfach unwiderlegbar, und auf dieser Basis wäre in der Nazizeit auch ein Antrag abzulehnen gewesen, der den Nachweis hätte erbringen sollen, daß Juden „keine Angehörige einer minderwertigen Rasse“ sind.
    Als sich auf sich selbst beziehende Subsumtionslogik ist der Raum die Form der Äußerlichkeit und das Instrument der Konstituierung des Objekts, seiner Apriorisierung (vgl. die Bedeutung und Funktion der Orthogonalität).

  • 19.2.96

    Der Verdacht drängt sich immer mehr auf, daß im Bereich der Staatsschutz-Verfahren Leute, die in der Lage wären, zur Aufklärung kritischer Sachverhalte beizutragen (wie z.B. Klaus Steinmetz oder Frau Andrawes), vorsorglich unter Anklage gestellt werden, um
    – entweder ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, von ihrem mit der Anklage gegebenen Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen zu können,
    – oder aber der BAW ein Druck- und Erpressungsinstrument gegen sie an die Hand zu geben: Wenn Du aussagst, wirst Du die Folgen zu spüren bekommen.
    Synthetische Urteile apriori oder der Unzuchtsbecher: Das normale Verfahren, zu einer Entscheidung zu kommen, ist es, einen Sachverhalt so genau zu analysieren, daß die Entscheidung aus der Analyse der Sache selbst sich ergibt. Ist nicht das Verwaltungsverfahren (und in Analogie dazu das Beweiserhebungsverfahren in Staatsschutzprozessen) heute in der Regel umgekehrt: Die Entscheidung ist vorgegeben, an die Stelle der Sachverhaltsermittlung aber tritt die nachträgliche Rechtfertigung (Begründung) der vorgegebenen Entscheidung (des Urteils)? Ankläger und Richter in Staatsschutzverfahren aber scheinen ihre Aufgabe nicht nur darin zu sehen, ein vorgegebenes Urteil (ein Vorurteil) nachträglich zu rechtfertigen, sondern dieser nachträglichen Rechtfertigung den Schein einer vorurteilslosen Sachverhaltsermittlung und -feststellung zu geben.
    Urteile in RAF-Prozessen sind keine bloßen Urteile mehr, sondern selber bereits Strafen: Sie zielen auf Existenz-Vernichtung.
    Im Strafrecht hat die Strafe die gleiche synthetisierende und apriorisierende Funktion, die in der transzendentalen Logik am Objektbegriff und am Kausalitätsprinzip (den Problemen David Humes) sich festmachen lassen. Die Schuld, die das Gericht (als transzendentales Rechtssubjekt) im Urteil feststellt, ist die Schuld, zu der es den Angeklagten verurteilt.
    Der Faschismus ist die Explosion jener Logik, deren Grundlage die Todesstrafe ist.

  • 13.2.96

    Der Schrecken des Faschismus ist durch Verurteilung nicht zu bannen.

  • 12.2.96

    Die Logik des Hinter dem Rücken ist eine Logik mit eingebauter Gemeinheitsautomatik. So wird auch die Theologie vom Bann erst befreit sein, wenn sie als Theologie im Angesicht Gottes sich erneuert.
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist ein Herrschaftsinstrument (sie steht unter dem Bann des Weltbegriffs); sie ist die Brutstätte der Bekenntnislogik.
    Enthält nicht die Beelzebub-Geschichte einen deutlichen Hinweis darauf, daß, wer immer die Einheit und Geschlossenheit zum Prinzip erhebt, das Reich des Beelzebub fördert? – Vgl. dazu Jer 3134: „Da wird keiner mehr den andern, keiner seinen Bruder belehren …“ Die Einheit der Gotteserkenntnis ist nicht die Einheit des Bekenntnisses. Ein Bekenntnis, zu dem man sich bekehrt, ist das Bekenntnis zu einer Schicksalsgemeinschaft, ein Instrument der Komplizenschaft. Jede Bekenntnisgemeinschaft (auch die kirchliche) trägt völkische Züge.
    Der Staat ist ein Produkt der Instrumentalisierung des Schicksals.
    Einer der verhängnisvollsten Übersetzungsfehler war die Übersetzung des Begriffs Völker mit dem Namen der Heiden. Seiner Sprachlogik zufolge entspricht dieser Name eher dem der Barbaren: Christen verhalten sich zu Heiden wie Hellenen zu Barbaren. Waren nicht die Muslime die ersten „Heiden“ (vgl. den Titel „Summa contra gentiles“)? Und war nicht mit dem Namen der Heiden die projektive Verschärfung im Namen der Wilden mitgesetzt (der Name der Wilden hat sich im Kontext der Konfessionalisierung des Christentums, mit der es die Abgrenzung nach außen ins eigen Innere mit aufgenommen hat, herausgebildet)?
    Ist nicht das Christentum über die Projektionsfolien der Heiden und dann der Wilden selber zu dem geworden, wovon es glaubte sich absetzen und distanzieren zu müssen?
    Wenn in der Essay-Sammlung „Vierzig Jahre Flaschenpost“ die Inszenierung des Weltuntergangs durch die Nazis Weltpolitik genannt wird (in dem Beitrag von Martin Seel?), wird der Faschismus durch Neutralisierung, die in der Konsequenz seiner Verurteilung liegt, verharmlost. Dazu paßt der Satz: „Gäbe es kein richtiges Leben im falschen, wäre das falsche nicht falsch“ (S. 37): Dann wäre die Hölle keine Hölle mehr. Einen Spiegel widerlegt man nicht, wenn man ihn zerschlägt, weil man sein eigenes Bild nicht erträgt.
    Der Versuch, die projektiven Moment im Objektivierungs- und Erkenntnisprozeß zu entwirren, mag schwierig sein, aber es gibt keine Alternative.
    Das ungeheuerliche Zitat aus der Odyssee:
    Da der edle Odysseus die Freier jetzo bestraft hat,
    Werde das Bündnis erneuert, er bleib‘ in Ithaka König;
    Und wir wollen dem Volke der Sühn‘ und Brüder Ermordung
    Aus dem Gedächtnis vertilgen; und beide lieben einander
    Künftig wie vor, und Fried‘ und Reichtum blühen im Lande.
    (24, 481-483; Zitat S. 69)
    ruft Konnotationen wach, die eher die Interpretation der Dialektik der Aufklärung bestätigen als den Text von Helga Geyer-Ryan und Helmut Lethen. Blühen nicht auch nach der „Strafaktion“ der Nazis „Fried‘ und Reichtum … im Lande“, nachdem „dem Volke der Söhn‘ und Brüder Ermordung aus dem Gedächtnis getilgt“ wurden? Man muß wohl wirklich einmal das Erschrecken in sich verspürt haben bei der Erinnerung, daß man in der Zeit der „Endlösung“ in der Kirche das Lied mitgesungen hat: „Hilf uns hie kämpfen, die Feinde dämpfen, Sankt Michael“.
    Wenn Horkheimer und Adorno auf die „schwarzen Schriftsteller“ rekurrieren, auf Nietzsche und de Sade, dann kann man dem nicht entgegenhalten: Ja, aber was hatten die für Anschauungen! So schnappt wieder einmal nur die Verurteilungsfalle (die der Begriff der Anschauung insgesamt bezeichnet) zu, in der jedesmal der, der glaubt, sich ihrer bedienen zu können, selber mitgefangen wird.
    Erweckt nicht der Aufsatz über das Verhältnis Horkheimers und Adornos zu Nietzsche den Eindruck, als wollte hier einer nachträglich die Erkenntnis Adornos belegen, daß heute alle nur noch heraushören, wofür oder wogegen einer ist?
    Die Opfertheologie hat uns zu Konsumenten des Kreuzestodes gemacht, zu theologischen Kannibalen. Der Bann wird erst gelöst sein, wenn die Eucharistie entsakralisiert und zu dem wird, als was sie vielleicht einmal gemeint war: zum Brotbrechen und zum Teilen des gebrochenen Brotes mit den Armen; nur durch Entsakralisierung wird die Eucharistie auf eine neue und andere Weise geheiligt (wäre nicht auf diesen Hintergrund – zugleich als Hinweis auf die Differenz von Essen und Trinken, Brot und Wein <Schrift und Wort> – auch Mt 2629 zu beziehen?).
    Wenn die Lichtgeschwindigkeit sich auf eine Bewegung bezieht, die nicht mehr mechanisch, sondern nur noch teleologisch (durch ihre Beziehung auf das Ende, nicht auf den Anfang der Bewegungsrichtung) sich verstehen läßt, so berührt das zugleich die Frage der Konstituierung der mikrophysikalischen Objekte, die dann keine mechanischen Objekte mehr sind.
    Sind nicht die physikalischen Aggregatzustände (gasförmig, flüssig, fest) Stufen der Konstituierung des mechanischen Objekts, und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die „Thermodynamik“, die Wärme, das Feuer und das Licht?
    Es gibt zwei Aspekte des Rechts, die sich deutlich unterscheiden lassen: den ökonomischen, der auf die Sicherheit des Eigentums und die Verbindlichkeit von Verträgen abzielt, und den politischen, dessen Hauptziel die Konstituierung und Sicherung der Staatsgewalt ist. Ist nicht die unterschiedliche Ausgestaltung der Funktion der Anklage in den westlichen Ländern ein Indiz dafür, welches der beiden Momente als vorrangig angesehen wird? Den „öffentlichen Ankläger“ scheint es vor allem in den Staaten zu geben, deren Hauptziel die Eigentumssicherung ist, während die Institutionalisierung der Aufgabe des „Staatsanwalts“ in dem Ziel der Verteidigung des Staates begründet zu sein scheint. Dann aber sind Staatsschutzsenate bloße Verdoppelungen der Staatsanwaltschaft, hier ist der Richter vom Änklager nicht mehr zu unterscheiden – wie unter dem Bann der gleichen Logik dann auch der Verteidiger vom Angeklagten nicht mehr zu unterscheiden ist; beide werden vom Gericht als Feinde wahrgenommen.
    Die Logik der Staatsschutzprozesse ist die des kurzen Prozesses; deshalb dauern sie so lange.

  • 11.2.96

    Kants Kritik des apagogischen Beweises ist ein Versuch, die Gemeinheitslücke zu schließen. Diese Lücke ist heute zum offenen Scheunentor, zum Schlund, zum Abgrund geworden.
    „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“: Ist das nicht das Lied der Bekenntnislogik? Kommen in der Schrift Fahnen vor, und seit wann gibt es Fahnen (lt. Meyers Taschenlexikon, Bd. 6, S. 315, „als Kampf- und Siegeszeichen und als Herrschaftssymbol schon den altorientalischen Völkern, den Römern, Germanen und Arabern bekannt“)? Sind Fahnen nicht Einheitssymbole, und gehört dazu nicht der Satz, daß die Wasser am Ort Eins sich sammeln, und neutestamentliche Beelzebub-Geschichte, wonach die Einheit ein Indiz des Reichs des Beelzebub ist (das „zerfällt, wenn es mit sich uneins wird“, während das Himmelreich verschiedene Wohnungen in sich enthält)?
    Der Topos „zur Rechten Gottes/des Vaters“: Wer sitzt wem zur Rechten? Sind die Formulierungen gleichlautend, welche Unterschiede gibt es, in welchen Konstellationen?
    „Meine Rechte möge verdorren, wenn ich Dein vergesse, Jerusalem“ (Ps 1375): Ist die Kirche die verdorrte Rechte (Barmherzigkeit, Feigenbaum?), und der Staat der einarmige Bandit (der linkshändige Benjaminite)?
    Rätselhafter Hebräerbrief, seine ungeheuerliche ambivalente Symbolik: Hat er nicht das Christentum durch Rejudaisierung antijudaistisch gemacht? Hier taucht zum erstenmal der Begriff des (alten und neuen) Testaments auf, der den des Bundes ersetzt; und das mit dem Hinweis, daß ein Testament Rechtskraft erst mit dem Tod des Erblassers erlangt (und daß das alte mit dem neuen „veraltet“ ist). Heißt das nicht in letzter Konsequenz, daß Israel am Kreuz gestorben ist? Ist nicht der Hebräerbrief, und sind nicht in seinem Licht erst die Paulus-Briefe die Grundlage der Väter-Theologie (und trennt nicht der Hebräerbrief die Paulus-Briefe von den Pastoralbriefen)? Das Neue Testament ist nicht der neue Bund.
    Ist nicht der Hebräerbrief das Paradigma der Verinnerlichung des Opfers, und ist er nicht das Paradigma der Ursprungsgeschichte des Symbolons?
    Gehört nicht der Hebräerbrief zum Verständnis der Wendung „zur Rechten“ (hier heißt es „zur Rechten der Majestät <megalosyne>“)? Aber ändert sich nicht der Sinn des Hebräerbriefes, und mit ihm der Sinn der gesamten christlichen Theologie, im Lichte des Rosenzweigschen Satzes, wonach Gott „nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen“ hat.


  • 5.2.96

    Wenn Recht „im Namen des Volkes“ gesprochen wird, so verweist das auf die Definition des Volkes als einer Schicksalsgemeinschaft. Hat diese Konstellation in der germanischen Institution des Thing ihren Ursprung (vgl. auch den Zusammenhang mit der Versammlung am Tor, mit dem Kohelet, der Ursprungsgeschichte des Begriffs der Kirche)? Gehört zur Ursprungsgeschichte des Rechts nicht auch das Institut des vom Volk gewählten, dann genealogisch sich „fortpflanzenden“ Königs? Setzt das durch Zeugung sich fortpflanzende Erbrecht des Herrschens nicht an die Stelle des Volks die Gattung (und die Diskriminierung der Sexualität)? In welcher Beziehung steht diese Geschichte zur Ursprungsgeschichte des Dings, des Objektbegriffs, der transzendentalen Logik?
    Das Ding: Heißt das nicht auch, daß das Gerichtete der Richter sein wird (ist die Robe des Richters ein Schutz gegen das Wiedererkanntwerden durch das im Angeklagten präsente Jüngste Gericht)?
    Die Verurteilung der Nazis führt mitten in den faschistischen Bann (in den Schuldzusammenhang, in dem der Faschismus gründet) hinein, ebenso der Hinweis auf das Urteil der Nachwelt (das „Urteil der Geschichte“ oder der Satz: „Meine Kinder sollen mir nicht einmal vorwerfen können, …“). Aus dem Bann heraus führt einzig das Bewußtsein, daß die Opfer unsere Richter sein werden: die Reflexion der Sünde, nicht der Schuld.

  • 20.1.96

    Die Formalisierung der Logik ist der Versuch, auch die Logik noch zum Gegenstand der transzendentalen Logik zu machen und logische Zusammenhänge durch (subjektunabhängige) Kausalzusammenhänge zu ersetzen (bezieht sich hierauf die habermassche Kritik der „Bewußtseinsphilosophie“?). So wird die transzendentale Logik zu einer Naturkraft, die als gegeben hinzunehmen ist, wobei die Kausalität abgespalten und aus einem erkenntnisbegründenden logischen in einen objektiven empirischen Sachverhalt transformiert wird (so auch Habermas, Bd. 2, S. 2??). Dem entspricht die Gegenprojektion (S. 234), die mythisches Denken reproduziert, indem sie die mythische Naturmetaphorik durch eine technologische (informationstheoretische) Metaphorik ersetzt, informationstheoretische Kategorien zur Darstellung stammesgesellschaftlicher Strukturen verwendet. Anstatt gesellschaftliche Verhältnisse in Naturkategorien zu begreifen, werden technologische Kategorien, die im Zusammenhang der Instrumentalisierung von Naturverhältnissen gewonnen worden sind, zur Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse herangezogen.
    Merkwürdige Umkehrung: Habermas‘ „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ macht funktionalistische (technologische) Kategorien zum Modell von Rationalität. Die Kategorien, durch die hindurch man die Dinge sieht, werden selbst nicht mehr gesehen, sie werden in den blinden Fleck gerückt.
    Das Beweisproblem ist mit der Mathematik (und mit dem Weltbegriff) entstanden, es hat sich entfaltet im Ursprung und in der Ausgestaltung des Rechts (Zeugenregelung).
    Unterm Primat des Seitenblicks (des Blicks „von außen“) wird das Angesicht zum Objekt, das nur noch gesehen wird, selber aber nicht mehr sieht. Die Hereinnahme des Seitenblicks (des Blicks des andern, des Zeugen) in das eigene Sehen begründet die subjektiven Formen der Anschauung, das Instrument der Selbstbegründung der intentio recta. Die subjektiven Formen der Anschauen und die intentio recta sind ein Produkt der Vergesellschaftung des Sehens.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Entfaltung der Mathematik sich entfaltet haben, sind die Grundlage des mathematischen Beweises, des redundanten, sich selbst begründenden Beweises. Das Grundproblem der Mathematik und der subjektiven Formen der Anschauung ist die Orthogonalität, die Form der Beziehungen der Dimensionen im Raum, die als getrennte Dimensionen durch ihre orthogonalen Beziehungen hindurch sich konstituieren. Ist die Orthogonalität das Instrument der Veranderung, Produkt der Hereinnahme des objektivierenden Seitenblicks?
    Der Abstraktionsprozeß, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich herausgebildet haben, wurzelt in der Bekenntnislogik; sie sind das Produkt der Neutralisierung der Bekenntnislogik, der Objektivierung der Verdrängung (Feigenblatt, Umkehrung des Schuldbekenntnisses, Verdrängung der Schuld, Konstituierung des Weltbegriffs). Im Kern der subjektiven Formen der Anschauung steckt die Opfertheologie (Joh 129; die „Entsühnung der Welt“, Teil der Neutralisierung der Reflexion von Herrschaft, gehört zu den Bedingungen der Selbstbegründung des Weltbegriffs).
    Habermas hat in den Abgrund geschaut und ist zurückgeschreckt; die Entwicklung seiner Philosophie beschreibt eine Bahn, die als Fluchtbahn vor diesem Abgrund sich bestimmen läßt. Wobei er vergißt, daß es genau diese Flucht vor dem Abgrund ist, die in den Abgrund hineinführt.
    Der ungeheuerliche Gedanke Levinas‘, daß das Problem der unendlichen Ausdehnung des Raumes sich im Angesicht des andern löst, ist vorgebildet in der Gesamtkonstruktion des Stern der Erlösung, die nichts anderes ist als die Entfaltung und Durchführung dieses Gedankens.
    Kopernikus hat das Wasser und das Feuer im Namen des Himmels, realsymbolischer Inbegriff der Fragepronomina Was und Wer, durch die Beantwortung der Frage nach dem Wie ersetzt. Das heliozentrische System ist der Inbegriff (die erscheinende Totalität) des kontrafaktischen Urteils (der Antwort auf das Wie), das den Himmel erinnerungslos zum Verschwinden gebracht hat.
    Was hat die Naturwissenschaft (das kontrafaktische Urteil als Totalität) mit dem Unzuchtsbecher zu tun? Liegt diese Frage nicht schon der Kritik der reinen Vernunft zugrunde (in der im Begriff der Erscheinung die Totalisierung der Frage nach dem Wie und im Ausschluß der Erkenntnis der Dinge an sich der Ausschluß der Frage nach dem Was und Wer sich manifestiert)?
    Der Satz Roman Herzogs „Wir wollen das Entsetzen nicht konservieren“ distanziert sich von allen, denen die Schrecken des Faschismus in die Glieder gefahren sind, die das Entsetzen nicht loswerden. Und er macht gemeinsame Sache mit allen, die dieses Entsetzen nie erfahren haben und glauben, es durch Verurteilung des Geschehenen sich vom Leibe halten zu können. Er konserviert die universale Verdrängung, die die falsche Normalität nach dem Kriege ermöglichte. So steht er in der präsidialen Tradition des Begriffs der Kollektivscham. Seit Theodor Heuss diesen Begriff unters Volk brachte, haben die Deutschen gelernt, sich im Blick der andern zu sehen, sind sie von der Frage, was die andern über sie wohl denken mögen, nicht mehr losgekommen. – Welche neue Wendung drückt sich in dem Satz Roman Herzogs aus (der auf die exkulpierende Kraft der Verurteilung, auf das Abwerfen der Scham, auf die neue „Unverkrampftheit“, abzuzielen scheint)?
    Wer die „Konservierung des Entsetzens“ (um die es nicht geht, der Ausdruck denunziert nur die Erinnerung) vermeiden will, konserviert das Entsetzen vor dem Entsetzen: die verdrängte Schuldreflexion, die dabei ist, in eine neue Qualität der Wut umzuschlagen.
    Die Übertragung der transzendentalen Logik aus dem Medium der Naturerkenntnis in das des Rechts läßt sie nicht unverändert. Die Apriorisierung des Objektbegriffs macht den Angeklagten zum Feind; die transzendentale Ästhetik wird zurückübersetzt in die Bekenntnislogik (der das Feindbild sich verdankt); die synthetischen Urteile apriori werden singularisiert und zurückgeführt auf die reine Verurteilung, ein reines Subsumtionsurteil: unendlich schuldig (die Schwere der Schuld wird unermeßlich). Der Grund der Singularisierung des synthetischen Urteils apriori liegt in der Einheit von Projektion und Schuldverschiebung, die die Apriorisierung des Objekts im Feindbild erst ermöglicht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten hat ihr Maß am Gewicht der verdrängten (im Urteil durch Projektion nach außen abgeleiteten) Schuld des Staats, die ihr eigenes Maß an dem sich kontrahierenden Gewaltmonopol des Staates hat.

  • 19.1.96

    „Kommunikatives Handeln“: Zum Gewaltmonopol des Staates gehört das Informationsmonopol der staatlichen Verwaltung, das durch Geheimhaltungsregelungen abgesichert wird.
    Das juristische Verfahren (insbesondere im Licht der Rollenverteilung im Strafrechtsprozeß) ist der manifeste Beweis, daß ein herrschaftsfreier Diskurs nur im Rahmen eines durch Zwangsregelungen und Gewalt abgesicherten Verfahrens möglich ist. Der Knast gehört zu den logischen Fundamenten des Strafrechts.
    Zerstört nicht das Kronzeugen-Gesetz, unabhängig von der Frage, ob es nicht verfassungswidrig ist, den moralischen Grund der Rechtsordnung, wenn es wirklich den Gebrauch, den die BAW jetzt davon zu machen scheint, legalisiert (legitimieren kann es ihn nicht)? Durch Erpressung erzwungene Zeugenaussagen, deren Wahrheit mit Grund in Zweifel gezogen werden kann, sind juristisch unbrauchbar; die Urteile, die darauf gründen, werden in den Strudel dieser Zweifel mit hereingezogen; sie begründen keinen Rechtsfrieden, sondern zerstören dessen Grundlagen, indem sie diese Urteile zu Waffen des politischen Kampfes machen (die BAW hält es nicht für nötig, Vorwürfe über zutiefst unsittlichen Anträge an Birgit Hogefeld und Monika Haas zu entkräften, im Prozeß gegen Monika Haas ist die Erpressung der Aussage der einzigen Belastungszeugin offenkundig).
    Der ästhetische Raum ist ein Vergangenheitsraum; das hat die Bühne im Theater mit dem Raum des Inertialsystems gemeinsam. Es ist der gleiche Raum, der im Rücken des historischen Objektivationsprozesses sich bildet (als subjektive Form der inneren Anschauung), der das Einmalige vergleichbar macht und das Medium und die Grundlage des kontrafaktischen Urteils ist.
    Gehört nicht das kontrafaktische Urteil zu den logischen Implikationen des Inertialsystems?
    Der prophetische Charakter jener Bücher, die das Christentum dann als Geschichtsbücher mißverstanden hat (von Josue bis 2 Könige), gründet in einer Form der Darstellung, die das kontrafaktische (und mit ihm das moralische) Urteil schon im Ansatz ausschließt. Angesichts dieser Texte verbietet sich die Vorstellung, die Ereignisse hätten auch anders verlaufen können. Nur in ihrer wörtlichen Gestalt sind sie ein Teil der Prophetie, der Lehre.
    War nicht die Verführung durch die Schlange im Paradies eine Verführung zum kontrafaktischen Urteil (als Grundlage der „Erkenntnis des Guten und Bösen“)?
    Christentum: die Systematisierung des Fluchtwegs aus der Gottesfurcht.
    Das Wunder ist das Wunder der Erfüllung des prophetischen Worts; die Erfüllung der Schrift ist kein Wunder, sondern das bittere Ergebnis der Logik der Schrift (das kontrafaktische Urteil entspringt mit der Logik der Schrift).
    Der Weltbegriff ist das Instrument des Urteils über die Vergangenheit; der Säkularisationsprozeß, der eins ist mit dem Prozeß der Objektivation, hat sein Maß am Fortschritt dieses Urteils. Nur im Bann des Weltbegriffs (des mathematischen Totalitätsbegriff nach Kant) erscheint die Vergangenheit in ruhender Gegenständlichkeit.
    Der Logik des Weltbegriffs ist die Logik der Selbstbegründung des Antisemitismus. (Metaphysischer Hintergrund der Kronzeugenregelung, der Instrumentalisierung des falschen Zeugnisses: das Urschisma, die erpreßte Ablösung des Christentums von der jüdischen Tradition, war der Eintrittspreis für die Anpassung an die Welt. Das Kronzeugengesetz, wenn es zur Erpressung von Zeugenaussagen benutzt wird, rührt an den moralischen Grund des Staates.)
    Die Selbsterhaltung hat nach dem Krieg die Anpassung an den Irrsinn des Bestehenden erzwungen. Ob es möglich ist, diese Anpassung unbeschädigt zu überstehen, ist die Frage; aber gab es eine Alternative?
    Der Rassismus ist keine Weltanschauung, sondern ein Mittel, der Erkenntnis der Logik des Systems, mit dessen Hilfe diese Gesellschaft ihre materielle Reproduktion betreibt, sich zu entziehen. Der Rassismus ist die Widerlegung des Satzes: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Er ist die Verkörperung des Nichtwissens, das heiß macht.
    Sind nicht die drei Welten in der Kommunikationstheorie von Habermas Verdinglichungen der zusammengehörenden Momente: Selbsterhaltung, Objektivation und Instrumentalisierung?
    „Eine solche Autonomisierung (sc. durch den verständigungsorientierten Diskurs) kann nur in dem Maße eintreten, wie sich die Zwänge der materiellen Reproduktion nicht mehr hinter der Maske eines rational undurchdringlichen normativen Grundeinverständnisses, also hinter der Autorität des Heiligen verbergen.“ (Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, S. 219) Das „also“, mit dem Habermas die „Autorität des Heiligen“ mit einem „rational undurchdringlichen normativen Grundeinverständnis“ identifiziert, ist faschistisch. Wer die Idee des Heiligen – in einer sehr deutschen Tradition – undifferenziert als irrational denunziert, wer das darin verborgene herrschaftskritische Moment nur verwirft, hat nichts von der Theologie begriffen, er hat offensichtlich die Theologie immer nur im Kontext der faschistischen Ausbeutung ihrer herrschaftsgeschichtlichen Deformationen erfahren (bezeichnend für diesen Zusammenhang der Webersche Begriff des „Charisma“, der die Propheten Israels und Hitler unter einem Begriff vereinigt, aber auch die habermassche Subsumtion der jüdischen und der christlichen Tradition unter dem Stichwort Weltbeherrschung). Das unsägliche quid pro quo des zeitgenösseischen Atheismus: Das Urteil über den Faschismus trifft die theologische Tradition gleich mit: So wird die Faschismus-Kritik zum Vollstrecker des Faschismus.

  • 15.1.96

    Habermas‘ Begriff des kommunikativen Handelns steht unter einem Objektivitätsdruck, der das Handeln gleichsam apriori in institutionelles Handeln verwandelt. Nicht zufällig entspricht die Aufteilung in objektive, soziale und subjektive Welt der Beziehung von Ökonomie, Verwaltung und Kultur. Ist nicht der Begriff des kommunikativen Handelns eine Weiterbildung des Begriffs der Öffentlichkeit, deren Strukturwandel einmal Thema der Habermasschen Habilitationsarbeit war (und bei dem auch schon ein verdinglichter Realitätsblock als Korrelat der Information vom Raisonnement, dem Bereich der subjektiven Meinung, deutlich unterschieden wurde)?
    Durch den Begriff der objektiven Welt (und seine Unterscheidung von der sozialen und der subjektiven Welt) ist die Logik des „kommunikativen Handelns“ schon vorentschieden. Bezeichnend, daß
    – eine Theorie des Geschwätzes (die auch eine Gestalt des kommunikativen Handelns ist) ebenso fehlt wie eine Diskussion des Vorurteils (z.B. der Studie über den autoritären Charakter),
    – das Problem der Objektivität (der Sprachlogik des Indikativs) unreflektiert bleibt (daß die Objektivität im Kontext des zweckrationalen Handelns sich auskristallisiert, wird bemerkt, aber die Konsequenzen bleiben unreflektiert),
    – das Problem des „falschen Bewußtseins“ ebensowenig angesprochen wird wie das der Rationalisierung (deren Begriff durch Übertragung auf den Bereich der Rationalität, so als wäre diese ein Produkt von Rationalisierung, verwischt wird).
    Welche Bedeutung hat eigentlich die Horkheimersche Bemerkung, wonach der Antisemit unbelehrbar ist, für die Konsistenz einer Theorie des kommunikativen Handelns?
    Herrschaftsfreier Diskurs: Diskurs der Herrschenden, nachdem die Beherrschten endgültig stumm geworden sind.
    Der Objektivitätsdruck ist Ausdruck des Rechtfertigungszwangs, unter dem die Theorie des kommunikativen Handelns steht, so wie der historische Objektivationsprozeß als Teil des Prozesses der gesellschaftlichen Schuldverarbeitung (als Teil der Herrschaftsgeschichte) zu bestimmen wäre.
    Eine Theorie des kommunikativen Handelns, die etwas taugt, müßte in der Lage sein, den Faschismus oder den Fundamentalismus (den Holocaust oder den jugoslawischen Bürgerkrieg) zu erklären. Faschismus und Fundamentalismus sind nicht nur „Beispiele“ kommunikativen Handelns, sondern Knotenpunkte, an denen die Logik des kommunikativen Handelns sich demonstrieren ließe.
    Grundlage der Konstruktion des kommunikativen Handelns ist ein kastrierter Begriff der Erkenntnis (deren Repräsentant ist das propositionale Urteil, das auf die Sache nur noch äußerlich sich bezieht).
    Dem Judentum und dem Christentum hat Habermas den Trieb zur Weltbeherrschung attestiert, während der Islam unerwähnt bleibt. Im Gegensatz zum Islam ist beim Judentum die Unterstellung eines Weltbeherrschungstriebs in jedem Falle unbegründet, sie erinnert nicht zufällig an die antisemitische Tradition.
    Die Mordlust (die in einer logischen Beziehung zum Weltbeherrschungstrieb steht) ist ein Produkt der Bekenntnislogik, die im Christentum ausgebildet wurde: Sie ist ein Produkt der Externalisierung der Bekenntnislogik, insbesondere der Opfertheologie, die den Kern der Bekenntnislogik bildet. Skinheads sind die letzten Confessores.
    Der Markt und das Tauschprinzip definieren die der organischen Natur aller selbsterhaltenden Institutionen zugrunde liegende anorganische Natur. Bezeichnet in der Entwicklung dieser organischen Naturen die Magie die pflanzliche, der Mythos die animalische Stufe?
    Die Frage, ob die Geschichte sich begreifen läßt, die Wolfgang Pohrt im Zusammenhang seiner Kapitalismuskritik stellt, ist nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Es ist beides darin: Post festum läßt sich die Geschichte begreifen, ist der ungeheure Zwang nachvollziehbar, unter dem der historische Prozeß abläuft. Es gibt keinen affirmativen Begriff der Geschichte, die vielmehr nur als das gnadenlose Weltgericht sich begreifen läßt. Das hebt die gleichzeitige Unbegreiflichkeit der Geschichte nicht auf, die vielmehr das Wesentliche an ihr bezeichnet: Diese Unbegreiflichkeit ist a) der Schutz vor der Verurteilung des Vergangenen, sie entzieht b) jeder Vorstellung, die mit der Gegenwart ihren Frieden schließen möchte, den Boden, Sie hebt das Einverständnis mit der Gegenwart auf und sensibiliert die Erkenntnis. Jede Empörung weist auf diese Sensibilisierung zurück, verrät sie aber zugleich an die Logik des Urteils. Jede Empörung ist ein Instrument der Abwehr, damit aber ein Beweis für die Existenz des Abgewehrten, dessen Inhalt nur dann sich erschließt, wenn man dem Trieb, sich zu empören, nicht nachgibt.
    Standesehre: Der Trieb, sich zu empören, ist insbesondere bei Bekenntnisgruppen verbreitet (wobei auch Standesorganisationen dazu neigen, wie Bekenntnisgruppen zu reagieren).
    Die subjektiven Formen der Anschauung gründen in der Tradition der Bekenntnislogik: In ihnen vollendet sich die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.
    Die Schicksalsidee ist das logische Korrelat des Rechtfertigungszwangs, der Begriff seine erste Verkörperung und das Objekt das telos des Schuldverschubsystems (der Dingbegriff gründet in der Eucharistieverehrung des Mittelalters: im Anblick des die Bekenntnisgemeinschaft begründenden Symbols des entsühnenden Opfers).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie