Feindbildlogik

  • 24.04.91

    „Ich halte Hypnose für die oberste Stufe der Überzeugung“ (Jeshajahu Leibowitz: Gespräche über Gott und die Welt, S. 178): „Überzeugt“ wird der Richter durch die glaubwürdige Aussage von Zeugen, während der Angeklagte bekennt. Die Überzeugung ersetzt das fehlende Bekenntnis. Beide sind (im forensischen Gebrauch) sinnvoll nur im Hinblick auf das richtende Urteil. Wirksamer als die Überzeugung ist aber in jedem Falle das Bekenntnis; deshalb die Ausbreitung der Folter in der Welt nach Auschwitz. Allerdings beeinträchtigt die Folter die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses: die fehlende Glaubwürdigkeit wird ersetzt durch die Gewalt; das Opfer (das Objekt) ist in jedem Falle schuldig (wie in der Physik und im Hexenprozeß).
    Intersubjektivität ist die vollendete Form der Überzeugung: Hier wird die Gesellschaft insgesamt (ohne Ausnahme) zum Zeugen. Hergestellt wird die Intersubjektivität durch Mathematik (die kantischen Formen der Anschauung), durchs Tauschprinzip oder durchs Zwangsbekenntnis (in der Religion durchs Dogma, im Staat durchs Feindbild). Ist Intersubjektivität ohne (reale oder potentielle) Folter herstellbar?
    Zur trinitarischen „Zeugung“: Meint das „Heute habe ich Dich gezeugt“ nicht eigentlich das „Bezeugen“?
    Die Gefahr bei Marquardt ist die der Theologisierung Israels (vgl. „Verwegenheiten“, S. 160f, 169ff und 183ff). Eine Israel-Theologie, die nicht vermag, Auschwitz und die Palästinenser mit einzubeziehen, grenzt an Blasphemie, erinnert an eine Bewältigung der Vergangenheit, die den Antisemitismus bloß umkehrt, aber seine Prämissen konserviert: an einen Exkulpierungsversuch, der dem Wiederholungszwang verfällt. Das grenzt an theologischen Kolonialismus. Hier ist der Satz von Leibowitz vielleicht nicht unwichtig: „Der Glaube, der darauf gegründet ist, daß ich über Gott Bescheid wüßte, ist Götzendienst.“ (S. 124) Das Bilderverbot gilt nicht nur in der Anwendung auf Gott.

  • 28.02.91

    Als „persönliche“ Beichte, als Beichte „persönlicher“ Schuld (Folge ihrer Ritualisierung), ist die Beichte Herrenbeichte: eine reine Entlastungsveranstaltung (Einübung des autoritären Charakters). Das Schuldbekenntnis vor dem Priester macht diesen zum Repräsentanten aller, gegen die man schuldig geworden ist: es rückt zugleich die real Verletzten, die Armen und die Fremden, aus dem Blickfeld (das Identifikationsangebot der Kirche enthebt die Gläubigen von der Last der Identifikation mit den Armen und den Fremden: von der Gottesfurcht). Jede Personalisierung der Schuld ist Teil des Schuldstreits, der nur durch Unterwerfung (im Ernstfall durch Krieg: durch Vernichtung des „Feindes“) und gleichzeitige Leugnung und Verdrängung befriedet werden kann: Grund der Aggressivität (explosive Mischung von Unterwerfung, Exkulpierung, Notwendigkeit eines Feindbildes, Aggressivität: Wut; unschuldig ist und macht nur die Gewalt -Bölls Sakrament des Büffels).
    Zusammenhang von Erkennen (=Schulderkenntnisse, Anklagefunktion der Erkenntnisse) und Bekennen bei polizeilichen, strafrechtlichen Ermittlungen; Erkennen und Beischlaf (biblischer Gebrauch des Erkenntnisbegriffs; obszöner Grundzug des staatsanwaltlichen und des wissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs?); Bekenntnis Grund der Privatisierung, Entpolitisierung der christlichen Sexualmoral?
    „Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“: Das ist nicht das Verbot zu lügen, sondern das Verbot, hinter dem Rücken des Nächsten anders über ihn zu reden als in seiner Gegenwart. (zu KuJ, S. 105)
    Daß die ersten Menschen das Tierfell anstelle der Efeublätter von Gott erhalten, hat möglicherweise mit dem Nahrungsgebot (mit der Frage Vegetarianismus oder Schlachten der Tiere) zu tun, ebenso das Tieropfer des Abel?
    Rosenzweigs Bemerkung zur „Weltgeschichte im Wörterbuch“, die sich auf die Differenz zwischen dem hebräischen und dem griechischen Wort für Buße, Umkehr bezieht, läßt sich ebenso anwenden auf die Wort- (oder Begriffs-?) Geschichte von Symbolum, Confessio, Bekenntnis (gibt es dazu ein hebräisches Äquivalent?). Darin steckt der theologische Kern der philosophiehistorischen Auseinandersetzung zwischen Realismus und Nominalismus (die Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften, der kantischen Vernunftkritik und der hegelschen Dialektik) und der Beziehung der Dogmengeschichte zur Herrschaftsgeschichte, insbesondere zur Geschichte der Naturbeherrschung, im Christentum. Der Bekenntnisbegriff ist ein Reflex des Weltbegriffs und begründet, konstituiert die Ursprungsbedingungen des Naturbegriffs; er ist (gemeinsam mit der Form der räumlichen Anschauung) der Angelpunkt zwischen Welt- und Naturbegriff.
    Hegels Reflexionsbegriffe beschreiben aufs genaueste die Kraft der Begriffe, das Ungleichnamige gleichnamig zu machen.

  • 23.02.91

    Transzendentale Bekenntnis-Logik: Das instrumentalisierte Bekenntnis (Bindung durch Komplizenschaft) resultiert aus der Umkehrung der Idee der Versöhnung und gehorcht der Kriegs-Logik (Telos und Ernstfall des Herrendenkens) und stabilisiert sie: es ist ein Bekenntnis gegen einen Feind; die identitätstiftende Funktion des Feindbildes hängt mit der ausgrenzenden Funktion des Bekenntnissyndroms zusammen (von der Abspaltung der Häresien bis zur Verfolgung derer, die mit dem Feind sympathisieren). Das Feindbild hat hierbei Sündenbockfunktion: Es stabilisiert die erforderliche Verdrängung, indem sie das Verdrängte nach außen projiziert und durch den eingebauten Wut-Mechanismus unkenntlich macht. Die Bekenntnis-Logik konstituiert das transzendentale Subjekt und den Idealismus (auch den, der sich materialistisch nennt: erkennbar an der häresienstiftenden Kraft des Marxismus); sie ist deshalb so schwer kritisierbar, weil sie in die Struktur des Ich mit eingebaut ist (das Realitätsprinzips gehorcht der Logik der Empörung).
    Die Bekenntnis-Logik verletzt das Gebot der Feindesliebe.
    Wo steckt das Bekenntnis in der „Kritik der reinen Vernunft“?
    Wer der Bekenntnis-Logik sich unterwirft, wird unbelehrbar (ist potentiell Antisemit). Zusammenhang mit der Säkularisations-Geschichte.
    Das „Freilegen der Zukunft“ (Metz in „Welches Christentum hat Zukunft?“, S. 70): nur durch Erinnerungsarbeit, durch Abarbeiten der Last der Vergangenheit (Erkenntnis nicht neutral; es gibt eingreifende Erkenntnis; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das Prinzip der naturwissenschaftlichen Aufklärung -nichts ist wirklich vergangen: gegen den historischen Kolonialismus), durch Gottesfurcht und Theologie im Angesicht Gottes. Ewigkeit kein Gegensatz zur Zukunft (Übergewicht der Zukunft in der Idee des Ewigen, die die Vergangenheit von sich ausschließt: Verhält sich zum Erkenntnisbegriff der Naturwissenschaften wie deren Umkehrung). – Zwei Kriterien für jede Theologie heute: Auschwitz und die Naturwissenschaften (der Säkularisierungsprozeß; Beispiel: Dornen und Disteln; anklagendes, richtendes Denken; DdA: Distanz zum Objekt); Wiedergewinnung des Begriffs des Heiligen Geistes (parakletisches: tröstendes und verteidigendes Denken, Votum für die Armen, feministische Theologie am nächsten); Auferstehung statt Unsterblichkeit (Name statt Begriff; Kritik und Rettung der Philosophie; Differenz im Begriff der politischen Theologie: Carl Schmitts Bekenntnistheologie). Zentrale Bedeutung des Bekenntnisbegriffs (Dogmenentwicklung, Parusie-Enttäuschung, Anpassung an die Welt; Christentum als Staatsreligion; Staat als säkularisiertes Christentum; Beziehung zum Erkenntnisbegriff, zur Autonomie des Subjekts; Verdrängungsleistung; Ödipuskomplex und Zivilisation; Weltbegriff und Häresie; Feinddenken, Herrendenken; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang); nicht ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen (Kritik des Fundamentalismus: falsche Identität von Gottesfurcht und Theologie hinter dem Rücken Gottes; steht unter dem Bann der Aufklärung, gegen die er zu kämpfen glaubt)

  • 10.02.91

    Der christliche Begriff der Bekehrung leugnet die Umkehr: Bekehrung bezeichnet die Ersetzung der einen Religion (oder der Nichtreligion) durch eine andere, des einen Bekenntnisses durch ein anderes. Die frühere Gestalt des Bewußtseins wird hierbei nur verdrängt, nicht aufgearbeitet: sie gilt nicht mehr, und dem Bekehrten wird untersagt, im Vergangenen die Ursprünge seines Selbstbewußtseins zu erkennen, von der Vergangenheit durch Erinnerungsarbeit sich real und wirksam zu befreien. Wenn heute in der gesamten Dritten Welt die Neigung zu Terror und Unterdrückung fast nicht mehr einzudämmen ist, dann hängt das mit dieser Erfahrung des Christentums, der christlichen Mission, der Bekehrung durch Unterwerfung zum Zwecke der Ausbeutung, die dann nicht mehr beim Namen genannt darf, wesentlich zusammen. Die Christen glauben nicht mehr an die Hölle, seit sie sie draußen mit Erfolg und – wie es scheint – unumkehrbar angerichtet haben, und der Kampf gegen die Todesstrafe begann, als das Risiko für die „Zivilisierten“ nach dem Einbruch des Faschismus zu hoch wurde. Was heute Zivilisation heißt (und sich besser dünkt als die Welt außerhalb) ist selbst die Hölle, die sie nach draußen verschiebt und zugleich verdrängt. Deshalb ist diese Zivilisation angewiesen auf die ständige Verbesserung und Erweiterung der Rüstung und die Stabilisierung des Rechtfertigungs- und Verdrängungsapparates durch wirksame Feindbilder; beide Ziele absorbieren mittlerweile fast vollständig die intellektuellen Innovationskräfte, während der reale Reproduktionsbereich sich von den Abfällen der Waffenforschung, der Vernichtungsproduktion, nährt.
    Es ist angerichtet, Stufen des Gerichts:
    – der gedeckte Tisch – das vegetarische Paradies;
    – Not, Arbeit, Gewalt und hierarchisch organisierte Herrschaft -Totem und Tabu, Tiernahrung und Tieropfer;
    – Sieg über die Natur und die überwundene Vergangenheit: Klassengesellschaft, Kolonialismus und Dritte Welt, Museen, Zoologische Gärten – Kasernen, Gefängnisse, Kliniken, Irrenhäuser und Schlachthäuser.

  • 19.01.91

    Öffentlichkeit und Instrumentalisierung: Die Medien sind an einen Wahrheitsbegriff gebunden, der sich am Tatsachenbegriff orientiert; sie liefern nicht nur Material zur Urteilsbildung (d.h. Material für eine parteiische Sicht der Dinge), sondern formieren die Realität derart, daß eine andere als parteiische, urteilsbezogene Sicht der Dinge nicht mehr möglich ist. Das VIP-Prinzip ist den Medien nicht äußerlich. Letztlich läuft es darauf hinaus zu erkennen, wofür oder wogegen eine Meldung spricht, für welche Seite sie sich im Meinungskampf verwerten läßt; Meinungen aber sind an Personen (reale oder institutionelle, nach Scheler Gesamtpersonen) gebunden; die Personalisierung ist eine logische Konsequenz der Instrumentalisierung. Grundlage und inneres Gesetz der Öffentlichkeit ist das Freund-Feind-Denken, das insbesondere in Krisenzeiten (Ausnahmezustand) hervortritt (Zusammenhang von „Geschlossenheit“ und „Feindbild“). Öffentlichkeit ist zugleich die Voraussetzung und der Nährboden für die Wirksamkeit der Vorurteilsmechanismen; der Antisemitismus erweist sich hierbei als das Paradigma aller Vorurteile.
    Der Personbegriff leugnet das Göttliche, die beiden innerweltlichen Hypostasen der Gottesidee: den Armen, Fremden (im Anderen) und den Helfenden, den Verteidiger (in mir): das Gericht über die Welt (das Gericht über das Weltgericht, das der Arme für die Welt – und für mich – repräsentiert) und das Erbarmen. Der Personbegriff bezeichnet das apriorische Subjekt-Objekt der Welt, des Weltgerichts. Allah ist vor allem Person, die durch Schmeichelei und Unterwerfung vor der Paranoia geschützt werden soll, in die sie dadurch gerade hineingetrieben wird (nominalistischer Gottesbegriff Folge der Rezeption des islamischen Philosophie- und Wissenschaftsbegriffs, wie vorher der realistische eine Folge der Rezeption der griechischen Philosophie; beide vermittelt durch jüdische Verarbeitung: Philo und Maimonides).
    Wahrheit ist eine Kategorie der Praxis, nicht der Theorie:
    – Die reine Theorie, nämlich das Bild, ist das kurzgeschlossene Urteil, eigentlich das Todesurteil (Begründung des Bilderverbots, geschichtsphilosophischer Stellenwert des Porträts, Bedeutung der Gottes-, Welt- und Menschenbilder, Funktion des Fernsehens).
    – Aber die theoretische Kraft der (verändernden, umwälzenden) Praxis ist erst wiederzugewinnen, nachdem die praktische Dechiffrierung der Theorie gelungen ist. Wer an der Vorstellung einer Revolution festhält, ohne gleichzeitig die einer von der Praxis getrennten (unaufgeklärten) Theorie zu kritisieren, verrät beide.
    Theologisches Denken ist Denken mit den Ohren: Hier liegt die Gefahr der Verwechslung mit der Hörigkeit. Theologie ist jedoch hörendes, nicht höriges Denken.
    Mt. 1016: (Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe, deshalb) seid klug wie die Schlangen (der Drache) und sanft wie die Tauben (der Heilige Geist): Erlösung des Chaos-Drachen durch den über den Wassern schwebenden (das Weltei ausbrütenden) Geist? Beziehung zur Schöpfungslehre?

  • 12./13.05.90

    „Überzeugen ist unfruchtbar“: und zwar aus sprachlichen Gründen. Zusammenhang mit Rechtfertigung (Ich-Stütze in der vom Schuldzusammenhang bestimmten Gesellschaft, wird vom Adressaten als Angriff, als Schuldvorwurf erfahren) und mit dem Rechtsurteil (das seine Überzeugungskraft aus dem Gewaltmonopol des Staates, das ihm zugrundeliegt, gewinnt; Grund der Remythisierung). Folgen für die Konstruktion einer Lehre, die keine Dogmen und keine Sprechblasen produziert und nicht an den demütigenden Bekenntniszwang gebunden ist: die Lehre einer entkonfessionalisierten Politik und Religion.

    „Nie wieder Deutschland“: Bezeichnend die Medienreaktion; falsche Teilnehmerzahlen, verwischende und falsche Angaben über die „gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei“. Apriorisches Feindbild der Polizei, die offensichtlich (nach entsprechender Vorbereitung in den Medien vor der Demo und Realisierung des eigenen strategischen Konzepts während der Demo) ihren Fernsehauftritt gesucht (und am Ende auf dem Römerberg auch herbeigeführt) hat. Die Politik hat die Bearbeitung ihrer eigenen Widersprüche der Polizei übertragen: Das ist genau der Ursprung des Polizeistaats. der nachträglich das „Nie wieder Deutschland“ begründet und rechtfertigt, wie unangemessen, unausgegoren und unreif die Beiträge der Initiatoren der Demo dann auch immer waren.

    Esther und Judith prophetische Bücher (aber antiimperialistische)? Kritik und Ergänzung der – patriarchalischen – apokalyptischen Tradition (nach dem Einbruch des babylonisch-römischen Imperialismus und dem Ende jüdischer Nationalpolitik, jüdischer Königsgeschichte)? – Bedeutung feministischer Theologie (Magdalena und Messias-Salbung)?

    Die Siebener-Perioden binden die Apokalypse an die Schöpfung? Was würde eine Synopse der 7er-Perioden bringen (Gemeinden, Engel, Posaunen, Plagen, Schalen des Zorns, Siegel)?

    Der moderne Nationalismus (insbesondere der deutsche) ist der demokratisierte alte (römische) Kaiserkult. Der nationalsozialistische Arier-Rassismus (und die Ausländerfeindschaft von heute) bringen das auf den zeitgenössischen Begriff; Grundlage und zwangslogischer Kontext ist das pathologisch gute Gewissen (in dem das falsche Bewußtsein zu sich selbst gebracht, auf seinen eigenen Grund zurückgeführt wird), Reflex der realen Komplizenschaft. Sartre hat die Person des Antisemiten genau gezeichnet. Vgl. auch W.B.: Der Kleinbürger ist Teufel und arme Seele zugleich (d.h. er ist Teufel als arme Seele, durch Selbstmitleid).

    „Die radikale Linke“: Genügt eigentlich noch der Nachweis der Notwendigkeit linker Politik (Rosa Luxemburgs Theorie der Selbstzerstörung des Kapitalismus durch den zwangsläufig, aus seiner eigenen Entwicklungstendenz folgenden Imperialismus), wäre nicht zumindest ebenso wichtig die Reflexion auf die Notwendigkeit des Scheiterns des real existierenden Sozialismus (die nicht nur Folge der Unzulänglichkeit von Personen ist, sondern vor allem der Unvereinbarkeit von Sozialismus und Herrschaftssystem)?

  • 11.05.89

    Was mir Angst macht:

    – Ich habe den Krieg erlebt; und ich bin Zeitgenosse der schlimmsten Barbarei, des maschinellen Judenmords, der auch in meinem Namen begangen wurde. Spuren, mehr noch, die direkte Erbschaft dieser Barbarei sind zweifellos heute präsent. Den Schwur „das darf nie wieder sein“ habe ich wörtlich geleistet, als die Bundesrepublik sich der „westlichen Verteidigungsgemeinschaft“ anschloß: als die verfluchten Waffen und das zugehörige geistige und organisatorische Instrumentarium wieder rehabilitiert wurden. – Ich habe Angst, daß das, was heute als Revolution auftritt, die Voraussetzungen und die Folgen der Barbarei nicht begriffen hat, und deshalb ungewollt, aus Unkenntnis selber zum Wiedererstehen der Barbarei beiträgt; und die ist alles andere als harmlos.

    – „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Dieser Satz wird bestätigt durch das, was Horkheimer und Adorno die „Dialektik der Aufklärung“ nannten (und in diesem Werk präzisieren, thematisch durchführen). Die Geschichte der Naturerkenntnis (und ihr Resultat, das Bild der Welt, zu dem wir keine Alternative haben), ist die Geschichte eines Prozesses (auch im juristischen Sinne) gegen die Natur. Der naturwissenschaftliche Erkenntnisbegriff gleicht nicht zufällig dem staatsanwaltlichen und juristischen: er versetzt die Natur in den Anklagezustand und läßt sie als gerichtete zurück. Nur daß in diesen Prozeß die Geschichte der Gesellschaft verflochten ist: Die Geschichte der fortschreitenden Naturbeherrschung ist ein Teil der Geschichte der fortschreitenden Etablierung von Herrschaftsmechanismen und -institutionen in der Gesellschaft, die dann wiederum zu ihrer Absicherung der Eskalierung der Gewalt und der Institutionen, die sie repräsentieren (Militär, Polizei, Justiz), bedürfen. Das Gericht über die Natur schlägt auf die Menschheit zurück. – Ich habe Angst, daß unreflektierte Gewalt gegen Repräsentanten des Systems nur die Gewalt des Systems stärkt, aber nichts ändert.

    – Die Fixierung auf ein Feindbild (und ihre Folge: die Identifikation mit dem Aggressor).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie