Die Scham ist ein Instrument der Externalisierung der Schuld: Der Sich-Schämende stiehlt sich fort aus dem Blick der Urteilenden, aus dem Gesichtsfeld der Sprache der Andern, er verbirgt sich „unter den Bäumen“. Die Verurteilung des Andern, die in ihm die Scham hervorruft, ist selber eine Äußerung der Scham: Die Kollektivscham war der Anfang der kollektiven Verurteilung des Faschismus, die die Voraussetzung für seine Reproduktion geschaffen hat. Der Begriff der Kollektivscham hat die Faschismus-Kritik ins Herrendenken zurückgeführt (ähnlich wie die Kopenhagener Schule das erkenntniskritische Potential der Einstein’schen Theorie in ein neues Konstrukt der Naturbeherrschung).
Scham ist der Quellpunkt des Inertialsystems, der Geldwirtschaft und der Bekenntnislogik. Die Scham versucht, das Innere, in das nur Gott sieht, unsichtbar zu machen (ist das Präfix be- die schamerzeugende Gewalt in der Sprache?).
Scham ist der Versuch, sich dem Blick der Sprache (der erkennenden Kraft des Namens) zu entziehen: Die Scham bezeichnet den blinden Fleck der Sprache, der sie zu einem Instrument der Information und Kommunikation macht. Die Scham bezeichnet die (durch den Begriff produzierte) Grenze des Objekts zum Begriff: Sie ist der Statthalter des Begriffs im Objekt.
Die „heile Welt“ ist eine Emanation der Scham, der Versuch, sich komfortabel im Objektsein einzurichten: sie ist der Innenraum des in den Abgrund rasenden Zuges. Die Lokomotive, die diesen Zug vorwärtstreibt, wird angetrieben durch den Verurteilungsmechanismus, der der Erinnerung den Weg verstellt (die Feindbildlogik). Die Schiene, auf der dieser Zug sich bewegt, ist die Zeitschiene (das „Überzeitliche“, die Vorstellung des Zeitkontinuums). Der Abgrund, auf den er sich zubewegt, ist die Vergangenheit, vor der er flieht, und die in dieser Flucht als vor ihm sich öffnender Abgrund sich reproduziert (horror vacui: Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; Natur ist die in die Vergangenheit projizierte Schöpfung).
Daß die Kommunikationstheorie ihre wichtigsten Ergebnisse in der Schizophrenieforschung gewonnen hat, hätte eigentlich vor ihrem affirmativen Gebrauch, den Luhmann und Habermas glaubten begründen zu können, warnen müssen.
Habermas: Second-Hand-Philosophie.
Feindbildlogik
-
31.12.1996
-
29.12.1996
Feindbilder rutschen in die Vorurteilslogik hinein, wenn sie aufhören, reflexionsfähig zu sein. Aber ist nicht das: die Kriminalisierung der Reflexion, das eigentliche Ziel der RAF-Prozesse? Zumindest unternehmen sie alles, um diesen Eindruck zu erwecken.
Der Grundtext der Apokalypse ist der Schöpfungsbericht (es gibt zwei Schöpfungsberichte: der erste, das Sechs-Tage-Werk, bezieht sich auf die geschaffenen Dinge, der zweite, die Geschichte vom Paradies und vom Sündenfall, auf die Sprache, den Anfang und Grund der Offenbarung).
Heute machen die Menschen ihre Empfindungen (und damit auch ihre Rechtfertigungszwänge) zur Grundlage ihres Selbstverständnisses, das so zur Weltanschauung wird. Seit es keine Theologie mehr gibt, gibt es für sie kein Maß mehr, an dem sie ihre Empfindungen noch messen könnten. -
27.12.1996
Haben die Cherubim (in der Sündenfall-Geschichte, in der Ezechiel-Vision und in der Johannes-Offenbarung, auch der Gottesname „der auf den Cherubim thront“ sowie die Formel „der Himmel ist sein Thron“) etwas mit dem Saturn und seiner Stellung im Planetensystem zu tun? Ist das Planetensystem die Merkaba (wie verhalten sich die Cherubim zu den Ofanim)? Entsprechen den vier apokalyptischen Reitern die Planeten Jupiter, Mars, Venus und Merkur, während Sonne und Mond direkt als apokalyptische Objekte genannt werden?
Wenn der göttliche Zorn die Kehrseite seiner Liebe ist, dann ist die göttliche Rache die Kehrseite seiner Barmherzigkeit.
Die Feindbildlogik ist nur ein Moment in der Logik insgesamt, sie ist nicht ihr Grund. Sie erzeugt den blinden Fleck der Logik.
Die Feindbildlogik ist das Verbindungsglied zwischen der Schlange/dem Drachen und den beiden apokalyptischen Tieren.
Seitenblick: Kopernikus hat, als er die Sonne ins Zentrum rückte, die Erde zum Planeten gemacht, sie insgesamt auf den Irrweg geschickt.
Ist der Saturn der fahrende Zug (Repräsentant des speziellen Relativitätsprinzips), die Sonne der fallende Fahrstuhl (Repräsentant des allgemeinen Relativitätsprinzips) und die Erde der Plancksche Hohlraum (der Ort des Feuers)?
Der Zug, der auf den Abgrund zurast, ist ein Bild der Natur und der Ökonomie zugleich. Ist er nicht auch ein Bild der Bekenntnislogik: das der Hölle (nur die Hölle läßt sich aus der Bekenntnislogik begründen, nicht der Himmel)?
Läßt die Gnosis aus der Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik sich ableiten, aus der Versuchung, die Bekenntnislogik von ihrer Wurzel: der Opfertheologie, zu trennen, die Opfertheologie durch Externalisierung aus der Bekenntnislogik zu eliminieren? Gehört die Gnosis nicht zu den zwangslogischen Folgen des Urschismas?
Wirre Logik: Gehören zu diesem Stichwort nicht – ähnlich wie der „offene Brief“ der JU an den Bischof von Limburg – auch die Reaktion der FR auf Daniel Jonah Goldhagen, ihre Berichterstattung über den Hogefeldprozeß (und die redaktionellen Kommentare und Bemerkungen dazu) und heute die Reportage über den Weihnachts-Selbstmord der 49-jährigen Frau in Sindlingen (der dämonisierende Gebrauch von Begriffen wie „Ungerechtigkeit“ und „Perfidie“ zur Beschreibung und Charakterisierung zufälliger Umstände, die durch diesen Sprachgebrauch in das Licht einer hinterhältigen, heimtückischen „Vorsehung“ gerückt werden: ins Licht der Paranoia)?
Das Verschwinden der Verwandtschaftsbezeichnungen und der formellen Anrede nach dem Kriege täuscht eine allgemeine Verbrüderung vor, die es nicht gibt. Ist es nicht eher Ausdruck der Antizipation eines Zustandes, in dem die Herrschaftsstrukturen sich so verhärten und versteinern, daß sie in Abhängigkeit von der schwindenden ökonomischen Durchlässigkeit inzwischen die sprachliche Kommunikation generell ausschließen? Die politischen „Sparprogramme“ ziehen hieraus nur die Konsequenzen: Im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“ testen sie die Grenzen der moralischen Enthemmung und der sozialen Blindheit der Herrschenden und Besitzenden und zugleich die Grenzen der Zumutbarkeit bei denen, die unten sind und sich nicht wehren können. Mit den Zahlen der Obdachlosen, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen wächst die Zustimmung zum System bei denen, die in diesen Zahlen das Spiegelbild ihres Wohlstands erkennen. In Wirklichkeit erzeugt die allgemeine Verbrüderung zwei feindliche Brüdermassen (die Gleichnamigkeit der Ungleichnamigen) und in ihnen einen Zustand, der dem kritischen Punkt der Selbstentzündung rapide sich annähert.
Die subjektiven Formen der Anschauung: Instrumente der Verstockung des Herzens, der moralischen Enthemmung und der sozialen Blindheit.
Wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, ist er dann nicht der einzige Spiegel, in dem Gott sich erkennen läßt? Vor dem Urteil über das Handeln eines Menschen steht die Frage, ob ich, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, anders hätte handeln können. Nur über das Verständnis des Andern, Voraussetzung jeder Selbstreflexion, ist die eigene Blindheit aufzulösen. -
23.12.1996
Ist der „Seitenblick“ der Sturz vom Tempel, und wird das telos dieses Sturzes nicht aufs genaueste beschrieben in dem fahrenden Zug, dem frei fallenden Fahrstuhl und in dem Planckschen Hohlraum? Verweist der Sturz von der Zinne des Tempels auf den Bann des Objektbegriffs?
Haben die drei Versuchungen Jesu etwas mit den drei Leugnungen Petri zu tun? Haben nicht die Kirchenväter Steine in Brot zu verwandeln versucht, ist nicht die Scholastik der Verführung der Weltherrschaft erlegen, und hat nicht die Aufklärung sich von der Zinne des Tempels gestürzt? Und sind die beiden letzten Leugnungen/Versuchungen nicht austauschbar (war nicht der scholastische Universalismus schon der Sturz von der Zinne des Tempels, und hat nicht die Aufklärung den Grund für eine neue Gestalt der Weltherrschaft gelegt?
Die Naturwissenschaften beantworten nur die Frage nach dem Wie, nicht die Frage nach dem Was.
Hegel, Hölderlin und Schelling haben sich mit der Parole „Reich Gottes“ in Tübingen getrennt. Sie haben vergessen, daß das Reich Gottes auch das Himmelreich ist.
Ist das Planetensystem (das System der Wege des Irrtums) die Ursprungsgestalt des Inertialsystems?
Gibt es einen Zusammenhang der Geschichte der mittelalterlichen Engellehre (der Lehre von den Engelhierarchien) mit der Geschichte der Fälschungen im Mittelalter, sind nicht beide schon durch den Namen des Pseudodionysius mit einander verknüpft?
Die Einstein’schen Relativitätstheorien sind Konstrukte, die die Naturwissenschaften im Kern angreifen: die spezielle Relativitätstheorie das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum, und damit den Raum selber, und die allgemeine Relativitätstheorie die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, und damit die den Naturwissenschaften zugrunde liegende Zeitvorstellung?
Zielt nicht der Unschuldstrieb auf die Leugnung des Jüngsten Gerichts? Jedoch: Nicht die Unschuld, sondern die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Unschuldstrieb mobilisiert die Rechtfertigungszwänge, die zu den beschleunigenden Kräften des fallenden Fahrstuhls gehören, während die Barmherzigkeit den Schleier des Verblendungszusammenhangs, dem der Unschuldstrieb verfallen ist, zerreißt. Die Barmherzigkeit ist der Anfang der Erfüllung des Wortes „Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae“.
Was heißt das: Stephanus sah den Himmel offen, während Paulus, der in den dritten Himmel entrückt war, Kenntnis von den Elementarmächten hatte?
Von den sieben Hellenisten werden drei später noch in den Schriften genannt: Stephanus, der gesteinigt wurde, und Philippus, der den äthiopischen Kämmerer taufte und später vier prophetische Töchter hatte, in der Apostelgeschichte, und am Ende Nikolaos in der Apokalypse.
Die Welt ist alles, was der Fall ist: Die Geldwirtschaft rückt die subjektiven Zwecke in ein Kausalitätssystem: Deshalb gibt es für die moderne Aufklärung keine Zweckursachen mehr. In diesem Kontext gibt es zur Gravitation keine Alternative, ist die Vergangenheit nur noch vergangen.
Die kopernikanische Theorie wird mir immer unheimlicher und Kant, der erste Ansatz der Reflexion dieser Theorie, immer wichtiger.
Der Gott der Hebräer, ist das nicht der Gott der Fremden, den die Ausländerfeindschaft nicht mehr erträgt?
Das ist meine Utopie:
– Wenn der Geist die Erde erfüllt, wie die Wasser den Meeresboden bedecken,
– wenn keiner mehr den andern belehrt, weil alle Gott erkennen,
– wenn das steinerne Herz durch das fleischerne ersetzt wird,
– wenn die Greise Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen und über die Knechte und Mägde Sein Geist ausgegossen wird, und
– wenn am Ende die Herzen der Väter zu ihren Kindern bekehrt werden.
Die großen Seeungeheuer (die die Schlange im ersten Schöpfungsbericht repräsentieren) symbolisieren das Neutrum: Ist der Fisch, in dessen Bauch Jonas saß, und ist der andere Fisch, den Raphael und Tobias im Tigris gefangen haben, dieses Neutrum? – Ist das Christentum der Jonas im Bauch des großen Fisches, und ist das Dogma der Bauch des großen Fisches?
Ist das Neutrum aus dem Perfekt entstanden, hat es mit ihm eine gemeinsame Wurzel: Gründet das Neutrum in der (staatlichen) Expropriation des Handelns, der Transformation des Handelns in ein objektives, subjektloses, allein am Zeitablauf sich orientierendes „Sein“ und „Geschehen“, in Natur? Der Transformator ist der Mythos, in seinem Kern die Schicksalsidee.
Zum Begriff des Zuschauers: Sehen ist ein kollektiver Akt, ein Gattungsakt. Wenn ich sehe, sehe ich mit den Augen der Andern, deren Gemeinschaft ich mich zurechne. Deshalb ist Sehen Urteilen (identitäts- und gemeinschaftsstiftend wie das Feindbild). -
21.12.1996
Zur Feindbildlogik gehört nicht nur die Enthemmung der Moral, die mit dem Verhalten des Feindes begründet wird, die Wahrnehmung und Legitimierung des Bösen, das in einem selber steckt, am Feind, an dem es zugleich zu bestrafen ist: Der Kampf gegen den Feind ist Teil eines Mechanismus, der mich dem Feind gleich macht. Dafür ist der Feind zu verurteilen und zu bestrafen: So wird meine Bosheit legitimiert und durch die Bestrafung des Feinds zugleich entsühnt (der Judenmord war ein hygienischer Akt). Der Heldentod, zu dem das Martyrium am Ende verkommen ist, legitimiert sich selbst: Die Erinnerung wäre nicht zu ertragen, wenn das umsonst gewesen wäre.
Der Satz „Soldaten sind Mörder“ ist noch zu harmlos: Sie sind es mit gutem Gewissen, und um das zu schützen, wird dieser Satz unter Strafe gestellt. Das Problem ist nicht die Tat, die nicht rückgängig zu machen ist, sondern das gute Gewissen, mit dem sie verknüpft ist: Es fügt zur Tat den Wiederholungszwang hinzu.
Heute tun alle ihr Pflicht, aber keiner weiß mehr, was er tut: Ist das nicht der Grund des subjektlosen Lebens?
Nicht das Opfer Kains, sondern das Abels war dem Herrn wohlgefällig. Welches ist das Opfer Kains, und welches ist das Abels? Hat die RAF das Opfer Kains gebracht?
Verbirgt sich hinter den „klaren Positionen“ und den „klaren Fronten“ nicht immer ein Stück Gemeinheit, der Versuch, sich der Solidarität der Andern als eines Instruments, als einer moralischen Zwangssolidarität zu bedienen: einer Solidarität durch Komplizenschaft?
In einem Essay über Ingeborg Bachmann (in Lettre 35, IV/96) erwähnt Dorothea Dieckmann den Angriff einiger Studentinnen auf Adorno, der übrigens nach meiner Erinnerung in einer Vorlesung und nicht im Seminarraum des Instituts stattfand; und Adorno hatte nicht bei diesem Angriff der Studentinnen, sondern schon vorher, anläßlich der Besetzung des Instituts durch Studenten, die Polizei gerufen. Das aber rückt den Vorgang in eine Perspektive, die den daran anschließenden Bemerkungen der Autorin die Grundlage entzieht. Aber wie auch immer: Den Satz „Welche Geste obszöner ist, diese (nämlich Adornos Ruf nach der Polizei, H.H.) oder die der Studentinnen, ist nicht auszumachen – wohl aber, welche intelligenter ist. Die Angreiferinnen haben, wenn auch unfreiwillig, den restriktiven Verteidiger des Besonderen in der Kunst an der ‚richtigen‘, eben der Schwachstelle getroffen“ (Hervorhebung von mir), kann ich nur verstehen, wenn ich den Grad der Intelligenz an dem der Gemeinheit, die den Andern „an der ‚richtigen‘, eben an der Schwachstelle“ trifft, messe. Und hier war Adorno nun wirklich leicht zu übertreffen. Gibt dieser Satz nicht den erschreckend falschen Ansatz des ganzen Essays preis, der auch bei Ingeborg Bachmann Leiden in eben das Feuilleton transformiert, unter dem Ingeborg Bachmann, die sich nicht mehr wehren kann, gelitten hat? Es gibt heute eine Verzweiflung, die verraten und geschändet wird, wenn man sie in die Nähe des Martyriums rückt. Die Märtyrertradition war einmal der Anfang der Heldenverehrung. Leiden ist kein Wahrheitsbeweis.
Der Kampf gegen die „Weltordnung“, das ist so, wie wenn man einen Kampf gegen die transzendentale Logik führen wollte, die am Ende als der Grund jeder „Weltordnung“ sich erweist. Dieser Kampf wird, wenn er die Reflexion verwirft, zwangsläufig zum Gespensterkampf.
Die Kollektivscham war die Schiene, über die der Mechanismus installiert worden ist, durch den der Faschismus sich rekonstruieren konnte. Die größte Gefahr für den Faschismus war die Selbstreflexion, die durch die Kollektivscham gebannt und in die Logik der Verurteilung umgeleitet worden ist. Der Verhinderung dieser Selbstreflexion dienen u.a. die Verwirrung der Kritik, die die Selbstreflexion unter Rechtfertigungszwänge setzt, gegen die sie nur als erwachsene, über die Fähigkeit der Reflexion im Andern, sich zu behaupten vermag. Genau das aber verhindert die Scham, die die sich Schämenden infantilisiert.
Sind nicht durch diese Logik inzwischen die Hardliner der RAF zu Sympathisanten und Unterstützern der BAW geworden? Heute ist jede Front eine verkehrte Front.
Es vielleicht doch einmal sinnvoll und notwendig, die Geschichte der Naturwissenschaften als eine Geschichte des Frontbegriffs zu beschreiben. An ihr wäre zu zeigen, daß heute jede Front eine verkehrte Front ist. Die Fronten der Naturwissenschaften heute: Mikrophysik, Weltraumforschung, Genforschung?
Augenlust: Die „nackten Tatsachen“ sind das Alibi der Gemeinheit. Sie bedürfen der Feigenblätter, aber Gott hat ihnen einen Rock aus Fellen gemacht. Wäre es nicht unsere Sache, ihnen das Kleid zu fertigen? Das Wort von der Bedeckung der Sünden bezieht sich auf die nackten Tatsachen. Die Nackten bekleiden, das gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Die nackten Tatsachen korrespondieren dem Begriff der rohen, unbearbeiteten Natur und dem Namen der Wilden. Die nackten Tatsachen korrespondieren der Urteils- und Empörungslust: der Augenlust. Es war Ham, der die Brüder auf die Blöße des Vaters hinwies, und es waren Sem und Japhet, die die Blöße bedeckten. – Die Medien vermarkten die Urteils- und Empörungslust, sie bannen ihre Konsumenten in die Augenlust des Zuschauers.
Fleischeslust: Die Entdeckung und Unterwerfung Amerikas hat den Zusammenhang der Bekehrungs- mit der Mordlust erstmals vor Augen gestellt. Diese Logik ist am Ende im Holocaust explodiert (synthetisches Urteil apriori: in der „Unbekehrbarkeit“ der Juden, die der Rassismus nur begründen sollte, während in ihr in Wahrheit nur die eigene Unbelehrbarkeit der Antisemiten sich widerspiegelte, war die „Endlösung der Judenfrage“, der Genocid, bereits vorentschieden).
Hoffahrt des Lebens: Die Anschauung, die vom Gegenblick abstrahiert (und so sich selbst blind macht), macht das Objekt zur Folie der Projektion, des Begriffs.
Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Barmherzigkeit, nicht schon die Solidarität.
Es gibt zwei Begriffe des Verstehens, die deutlich unterschieden sind: Das Verstehen, das vor dem Holocaust versagt, ist eines, das auf die Ethik als prima philosophia sich gründet; dagegen wird der Holocaust verständlich, ja ableitbar, im Kontext der Ontologie als prima philosophia. Diese Unterscheidung korrespondiert der kantischen Unterscheidung des reflektierenden und bestimmenden Urteils.
Ist die Justiz die Verkörperung des nachtragenden Prinzips? Der Beruf des Staatsanwalts schließt jeden Gedanken an eine Vergebung der Schuld aus. Ein Staatsanwalt würde seine Pflicht verletzen, wenn er eine ermittelte Verletzung des Gesetzes nicht einem Verfahren zuleiten würde, das darauf abzielt, die im Gesetz für diese Verletzung vorgesehenen Folgen eintreten zu lassen. Der Staatsanwalt ist der Anwalt eines Staates, der – wie der Rachetrieb, aus dem er sich speist – nicht vergißt, weil er der Erinnerung nicht fähig ist. Dem Nicht-Vergessen entspricht eine Verdrängung, dessen institutionelle Verkörperung der Knast ist. Das Strafrecht ist eine Verdrängungsmaschine. -
19.12.1996
Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
– „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
– Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
. „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
. 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
. „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
. „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
. Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
. „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
. Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
. „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
– Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden. -
16.12.1996
„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
(Hierzu:
– Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
– Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
– Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
– das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
– das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
– die Astronomie und der Name des Himmels.)
Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze. -
15.12.1996
Verhalten sich nicht das Sklavenhaus und der Eisenschmelzofen wie Raum und Hohlraum?
Heldenverehrung ist säkularisierte Opfertheologie. Gibt es nicht eine Beziehung des Begriffs „Verrat der eigenen Geschichte“ zur postfaschistischen Heldenverehrung, über die nachträglich der Krieg, der nicht zu rechtfertigen war, noch gerechtfertigt werden sollte? Der „Heldentod“ – so wird suggeriert – kann doch nicht umsonst gewesen sein!
Wer glaubt, sein Verhältnis zur Außenwelt über die Feindbildlogik klären zu können, gleicht sich damit eben dieser durchs Feindbild determinierten Außenwelt an. Der Betonwelt entsprechen die Hardliner.
Verzeihen kann ich nur, was mir angetan wurde, nicht, was andern angetan worden ist. Darin gründet die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen. Der Sündenfall der Kirche war es, als sie (über das mißverstandene Wort vom Binden und Lösen) sich zum Stellvertreter aller Opfer erklärte, diese damit ihres Rechts auf Vergebung beraubte (sie zu enteignen und auszubeuten). So hat sie der Staatsgewalt (die den freigesetzten objektlosen Rachetrieb sich aneignete und rechtsstaatlich kanalisierte) den Weg freigemacht. – „Und die letzten Dinge werden ärger sein als die ersten.“
Unsre Beziehung zur Vergangenheit ist durchsetzt von Verurteilungsmechanismen, deren eigentliche Aufgabe darin zu bestehen scheint, die Vergangenheit den Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen, damit aber die Selbstreflexion, die ohne Erinnerung (ohne die Reflexion der Fremdheit des Vergangenen) nicht möglich ist, zu unterbinden. Deshalb rückt uns heute die „Sünde Adams“ auf den Leib.
Ist nicht die Ezechiel-Stelle über Noah, Daniel und Hiob ein Hinweis auf die Konstellation, in der insbesondere die Bücher Daniel und Hiob (die später sind als die Prophetie Ezechiels) überhaupt erst verständlich werden? Hängt die Konstellation dieser drei Namen nicht mit dem Problem der Geschichte der Völkerwelt zusammen, die mit der Völkertafel nach der Sintflut beginnt und in Gestalten wie Nebukadnezar und Hiob endet?
Der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ ist der Zeugungsakt, über den der innere Schweinehund sich fortpflanzt. Der Name des „Schweinehunds“ gehört zur Feindbildlogik (das Schwein wälzt sich im Schmutz, der Hund kopuliert öffentlich). Im Namen des Schweinehunds vermischen sich Vorstellungen aus den sexuellen und politischen Tabubereichen mit solchen der Arbeitsmoral (der Pflichtvergessenheit, der Trägheit).
Tritt nicht die Armbanduhr (die einem sagt, ob man hungrig oder müde ist) an die Stelle der Selbstregulierung des vegetativen Systems? Über die Zeit sind wir in den Apparat, der uns beherrscht und unterhält, eingebunden. -
13.12.1996
Sensibilität ist das Wahrnehmungsorgan der Barmherzigkeit, Empfindlichkeit das des strengen Gerichts.
Den Kosmos im Licht der Barmherzigkeit erkennen heißt, ihn – anstatt ihn aus der Sicht der Sonne zu sehen – aus der Sicht des Saturn zu begreifen. Ebenso wie es zwei deutlich unterschiedene Begriffe der Reinheit gibt (chemisch reines Wasser, reiner Wein), gibt es auch unterschiedene Begriffe der Ruhe: den relativistischen Begriff der Ruhe (der „Ruhe“ in einem fahrenden Zug oder dem fallenden Fahrstuhl) und den der Sabbatruhe, der erfüllten Ruhe. – Hat nicht Augustinus schon die Sabbatruhe mit der andern, der Ruhe der Trägheit, verwechselt?
Wird nicht allzuleicht die Melancholie mit dem Phlegma verwechselt (und der Sanguiniker mit dem Choleriker)?
Die Gnosis hat als Urhäresie zum Ursprung der Bekenntnislogik einen entscheidenden Beitrag geleistet: nämlich als Feind der „Orthodoxie“ und als ihr Modell zugleich. Neben dem Feindbild und der Ausgrenzung der Verräter aber gehört zur Bekenntnislogik das Moment der Frauenfeindschaft. Ist nicht bis heute die Gnosis, wenn man von der einen Elena Pagels absieht, ausschließlich aus männlicher Sicht gesehen und beschrieben worden, einer Sicht, die insoweit begründet und berechtigt ist, als die Gnosis, mit der das Christentum sich auseinandergesetzt hat, bereits eine von Männern in Regie genommene Gnosis war. Hat nicht Elena Pagels erstmals auf eine Tendenz innerhalb der gnostischen Bewegung hingewiesen, die bisher nur unterdrückt und verdrängt worden ist? Kann es sein, daß die neue Heiligengestalt der virgo, die zusammen mit dem (männlichen) confessor die ursprüngliche Heiligengestalt des Märtyrers abgelöst hat, ein antignostischer Typos war. Haben die Märtyrinnen, die sich geweigert haben, dem Ehebefehl ihrer Väter zu folgen, das nicht aus anderen als sexualmoralischen Gründen getan? Gehört nicht diese Verschiebung von der christlichen Befreiung der Frauen aus der potestas patri in die den männlichen Blick widerspiegelnde und ihn verinnerlichende Zwangslogik der Sexualmoral zu den Folgen der antignostischen Bewegung (die nicht auf das Christentum beschränkt war)? War nicht die Verwerfung der Gnosis überhaupt konstitutiv für die Ursprungsgeschichte der Sexualmoral und des Herrendenkens in den „Weltreligionen“?
Gleitet nicht der Historismus heute in eine Konstellation ab, in der von der Geschichte nur noch die Verwerfung der Vergangenheit bleibt? „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“: Die Leugnung der Auferstehung, die dem Historismus zugrunde liegt, ist das Gericht der Welt über die Welt.
Hat die Sünde wider den Heiligen Geist (die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird) etwas mit den Zeitbestimmungen der apokalyptischen Tiere zu tun?
In der Apokalypse gibt es drei Reflexionsgestalten der Zeit:
– Gott ist der, „der ist, der war und der kommt“,
– er ist „das A und das O, ist der Anfang und das Ende“,
– das Tier aber „war und ist nicht und wird heraufkommen aus der Unterwelt und geht ins Verderben“.
Zu der Zusammenstellung „Stämme, Völker, Sprachen und Nationen“:
– im Buch Daniel fehlen die Stämme (im Buch Esther werden die Sprachen den Völkern, die Schrift hingegen den Juden zugeordnet),
– die Begriffe erscheinen erstmals in den Stammbäumen der Söhne Noes (die Namen der Söhne der Söhne Noes sind die Namen der Sprachen),
– sie weisen zurück auf den Turmbau zu Babel, auf die Verwirrung der Sprache (und auf die Völkertafel und die siebzig Völker).
Hat die Völkertafel (die Zahl siebzig) etwas mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern des Drachen und des Tieres aus dem Meere zu tun?
Haben der Drache und die apokalyptischen Tiere etwas mit der Beziehung des Neutrum zum Ursprung des Natur- und des Weltbegriffs zu tun?
Der Satz, daß die Sünde wider den Heiligen Geist weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird, enthält keine Drohung, die an eine bestimmte Tat geknüpft wird, sondern beschreibt die innere Logik dieser Tat selber. Ist diese Sünde die des einen Sünders, über dessen Bekehrung große Freude im Himmel herrscht, und ist dieser Sünder der, an dessen Bekehrung die Verheißung der Rettung der eigenen Seele gebunden ist?
Kann es sein, daß die Gematria nur auf die hebräische Schrift anwendbar ist, daß das Problem der symbolischen Zahlenbedeutungen im Kontext der griechischen Sprache auf einer anderen Ebene liegt? Die Zahlensymbolik des Neuen Testamentes läge dann auf dieser Ebene.
Summenzahlen: 10, 36, 153, 276, 666.
Träume sind die nächtlichen Schatten des Herrendenkens. Und es gibt Träume, die man beim Erwachen vergißt. Käme es nicht heute darauf an, diese Träume zu rekonstruieren und dann zu deuten? -
11.12.1996
Wenn der Satz stimmt, daß der Klügere nachgibt, sind dann nicht die Richter die Dummen?
Wenn die Attribute Gottes im Imperativ stehen, dann ist der Satz, daß etwas „nicht geht“ (weil es unmöglich ist), als Ausrede nicht mehr brauchbar: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Ist nicht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die erste Philosophie die Ethik ist?
Es gehört zu den Aprioris der RAF-Prozesse, daß die Lücken der Beweislogik zu Lasten der Angeklagten ausgenutzt werden.
Barmherzigkeit und Erkenntnis: Nicht die (passive) Hoffnung, sondern die (aktive) Barmherzigkeit löst die Probleme der Beweislogik.
Heute ist die Konstruktion des Lebens selber herzzerreißend. Der Zustand der Welt nimmt alle in Geiselhaft.
Hat nicht Heidegger die Hegel’sche Idee des Absoluten auf die kürzeste Formel gebracht: auf das „Vorlaufen in den Tod“? Nur: Hegel war noch verzweifelt über das Resultat seiner Philosophie, er wußte sich „von Gott verdammt, ein Philosoph zu sein“; Heidegger hingegen ist ein begeisterter Sympathisant des Seins.
Der Bann, unter dem die Natur steht, der Bann des Naturbegriffs selber, hat seine Wurzel in dem gesellschaftlichen Primat der Selbsterhaltung; er hat mit der Instrumentalisierung der Vernunft einen gemeinsamen Ursprung. Gegen diese Instrumentalisierung der Vernunft stehen die drei evangelischen Räte (die von der Kirche durch Instrumentalisierung nochmals verraten worden sind).
Zu den Einsichten, die der Sprachreflexion sich verdanken, gehört, daß Gott nicht stumm ist. Das Wort Gottes drückt aufs deutlichste in dem imperativischen Charakter der göttlichen Attribute sich aus.
Wenn wir den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft wirklich begreifen würden, würde es uns dann nicht „wie Schuppen von den Augen fallen“? Stammt das Wort, daß einem etwas wie Schuppen von den Augen fällt, nicht aus dem Buch Tobit? Die Salbe, mit deren Hilfe die Schuppen von den Augen des Tobit lösten, wurde aus der Galle des Fisches gewonnen, den Tobias und Rafael, als der Fisch den Tobias verschlingen wollte, aus dem Fluß Tigris gefangen hatten.
Als Jesus zur Samariterin vom Quell des lebendigen Wassers sprach, hat er da nicht Jesaias zitiert?
Zum Zug, der in den Abgrund rast: Die Schienen dieses Zuges sind die subjektiven Formen der Anschauung (und mit ihnen das Geld und die Bekenntnislogik). Jürgen Habermas hat, als er den kritischen Naturbegriff der kantischen Tradition verwarf und die Natur aus dem Bereich der Reflexion ausschied, dazu beigetragen, den Zug auf diese Schiene zu setzen. Damit hat er dem reflektierenden Urteil die Erkenntniskraft abgesprochen.
Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae. Dieser Geist, der das Antlitz der Erde erneuern wird, ist der Geist der Barmherzigkeit, der Geist, der über das Gericht triumphiert, in dessen Bann das Antlitz der Erde steht, dessen Bann dieses Antlitz entstellt. – Ist nicht das kopernikanische System (als Säkularisationsprodukt des Pantheons) das entstellte Antlitz der Erde?
Haben nicht die subjektiven Formen der Anschauung Kants etwas mit den paulinischen Elementargeistern zu tun?
Im Feindbild-Clinch betreibt jede Seite, auch wenn keine es weiß, das Geschäft des Feindes. Und die Staatsschutzsenate sind nur noch Institute des Feindbild-Clinchs. Der Satz Jutta Ditfurths, daß der Staat seine Terroristen braucht, ist heute dahin zu ergänzen, daß ebenso die Terroristen, nachdem sie aus ihren Rechtfertigungszwängen nicht mehr sich lösen können, den Staat brauchen. Für den Zug, der in den Abgrund rast, war die RAF ein Energie-Lieferant.
Wenn die Begriffe der Pflicht und der Verantwortung den Gesetzen der Selbsterhaltung untergordnet werden, dann weiß keiner mehr, was er tut. Die Vorstellung, daß der Markt es schon richten werde, ist gemeingefährlich und am Ende selbstmörderisch.
Heute wird die Religion von denen verraten, die in ihr Trost suchen.
Die Frage nach falsch oder richtig, die heute im Allgemeinen mit der Frage nach der Wahrheit verwechselt wird, wird grundsätzlich im Nachhinein (nicht beantwortet, sondern) entschieden: sie gilt (wie der Begriff des Wissens) nur für Vergangenes, und für Zukünftiges nur in dem Maße, in dem seine Vergangenheit sich antizipieren läßt. Es ist dieser Begriff des Richtigen, der Begriffen wie Orthodoxie, Orthogonalität ihre Schlüssigkeit und ihre objektive Bedeutung verleiht. Der Begriff des Richtigen ersetzt das Was durch das Wie; das Referenzsystem, auf das er sich bezieht, ist das Inertialsystem (der Inbegriff des Richtigen). Im Kontext des Richtigen lassen sich Rechts und Links nicht mehr unterscheiden. Hat hiermit das „Sitzen zur Rechten des Vaters“ (die Rechte ist die Seite der Barmherzigkeit, die Seite des Heiligen Geistes, die der Begriff des Richtigen ins Gegenstandslose verflüchtigt) etwas zu tun? -
10.12.1996
Gemeinde, Behörde, ahnden: Was bedeutet und welche sprachlogische Funktion hat das Suffix -de?
Herrlichkeit, Persönlichkeit: Was drückt in dem doppelten Suffix -lichkeit sich aus?
Dirk Baecker, S. 98: Wenn Unternehmen, anstatt die Dienste der Banken in Anspruch zu nehmen, „auf direkte Kreditmärkte ausweichen“, wird das Geschehen für die Banken intransparent, verlieren sie die „Aufsicht“, die sie kraft ihrer Marktfunktion innehaben. Hat diese „Aufsicht“ funktionslogisch etwas mit dem Titel und der Aufgabe des episkopos zu tun?
Zur Rezension von Titeln zum Thema RAF (von Norbert Seitz) in der FR von heute: das „gigantische Integrationsbemühen zur Dressur von inneren Schweinehunden“ erinnert an den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ in der Nazizeit, der die deutsche Bevölkerung durch Befreiung vom Gewissen, durch moralische Enthemmung in die nationale Gemeinschaft integrieren sollte, in eine „Schicksalsgemeinschaft“, in der jeder seine Pflicht tut und keiner mehr weiß, was er tut; dieser Kampf hat die Menschen auf die „großen nationalen Aufgaben“ vorbereitet, er hat sie für den Krieg und die Endlösung der Judenfrage verfügbar gemacht. Eines der wichtigsten Instrumente dieses Kampfes war in der Tat der Antisemitismus, die Feindbildpflege, die seit je ein Mittel der moralischen Enthemmung gewesen ist. Zählt Norbert Seitz auch die RAF-Prozesse zu den Dressurmitteln, die man um der „gigantischen Integrationsbemühen“ willen hinnehmen muß? Und läßt diese „Dressur“, zu der die Feindbildpflege gehört, noch von den wahrhaft apokalyptischen Mechanismen des Feindbild-Clinchs, der wechselseitigen Angleichung der Feinde, wie sie heute auf beiden Seiten der „Front“ immer deutlicher sich abzeichnet, sich ablösen? Ist es nicht die „Dressur von inneren Schweinehunden“, die am Ende die Schweinehunde züchtet? Schweinehunde gehören zu einer Tiergattung, die jedenfalls nicht dressurfähig ist.
Ein ganzes Volk zieht sich in den Winkel (in die Ecke der Scham) zurück in der Hoffnung, daß das Unwetter, das es selbst verursacht hat, vorüberzieht.
Es gibt eine Freiheit von Scham, die weder unverschämt, noch schamlos ist. Gibt es zu diesem Satz nicht auch eine astronomische Anwendung?
Nach dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ ist die Person eigentlich nur noch juristisch faßbar: als eine, die zur Verantwortung gezogen werden kann. Ist die Person nackt und unverschämt, und das Subjekt schamlos? Das Subjekt ist der blinde Fleck der Sensibilität, die Person ist empfindlich (im Sinne des grammatischen, nicht des biologischen Geschlechts sind Männer Subjekte, Frauen Personen; der Anschauende ist nackt und unverschämt, das der Anschauung sich darbietende Objekt ist schamlos).
Die Persönlichkeit gründet im Ansehen einer Person (die im Licht der Gerechtigkeit niemals Grundlage des Urteils sein darf), mit der doppelten Konsequenz: daß nämlich die Persönlichkeit mit dem Anspruch auftritt, dem Recht enthoben zu sein, wie umgekehrt im Kontext eines gerechten Prozesses die Persönlichkeit gegenstandslos ist.
Herrlichkeit ist der Inbegriff des Ansehens des Herrn. kabod, der hebräische Name der Herrlichkeit, verweist auf das Gewicht: Auch die Persönlichkeit kann ihr „Gewicht in die Waagschale werfen“. (Der Ort der Zärtlichkeit ist der Blick. Verbindlichkeiten sind öffentlich geltend zu machen.)
Wollte man den Begriff der „niedrigen Gesinnung“, die den Mörder charakterisiert, definieren, seinen Anwendungsbereich beschreiben, käme man zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Niedrige Beweggründe sind im einzelnen bestimmbar und es gibt nur eine begrenzte Anzahl, sie sind abzählbar: Es sind
– politische,
– religiöse,
– sexuelle und
– aus einem Eigentumsstreit ableitbare
Beweggründe. Verweist diese Aufzählung nicht auf die Astrologie, auf die den vier „Himmelsrichtungen“ zugeordneten Planeten, und kann es sein, daß die Astrologie einmal als ein Konstrukt zur Rechtfertigung des staatsbegründenden Mords sich erweisen wird? Worauf bezieht sich dann das christlich-mythische Sohnesopfer und der freudsche Gegenmythos: der Vatermord? Sind nicht die Planeten insgesamt Verkörperungen der Gewalt (zu denen auch die paulinischen Elementarmächte und ihre Entfaltung in den mittelalterlichen Engelhierarchien zu gehören scheinen)?
Voyeur: Aus dem sprachlogischen Sinn des Begriffs der Tatsache (vgl. Dirk Baecker, S. 109) läßt sich ableiten, weshalb Tatsachen nackt sind: Der Begriff der Tatsache verhält sich zur Welt wie das Opfer zum Verfolger, wie das Entblößte zum Unverschämten (zum Begriff der Tatsache gehört der der Beobachtung).
Theologie im Angesicht Gottes: Das ist auch der Ausbruch aus dem Gefängnis der Mathematik (aus der Stummheit der subjektiven Formen der Anschauung). -
3.12.1996
Ist die Feindbildlogik nicht schon durch die täterbezogene Regelung des Mordes im Strafrecht verankert? Welche Bedeutung hat es, daß nur hier die „Gesinnung“ als ein Tatbestandsmerkmal erscheint?
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland: Sind die strafrechtlichen Bestimmungen über den Mord der Kern der deutschen Staatsmetaphysik (und ist das Substantiv das grammatische Korrelat des Worts von Paul Celan)?
Nach der Schrift unterliegt schon die Tötung eines Menschen, nicht erst der Mord dem göttlichen Verbot. Für den Fall der versehentlichen Tötung eines Menschen gab es die Einrichtung der Asylstädte. Während die Tötung eines Menschen der Rache der Angehörigen des Getöteten überlassen blieb, setzt der Tatbestand des Mordes den Staat voraus; das Gewaltmonopol des Staates ist eigentlich das Produkt der Akkumulation und Monopolisierung der Rache durch den Staat. Der Satz: „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, ist gegen das Gewaltmonopol des Staates gerichtet.
Die Todesstrafe wird nach der Schrift vom Staat weder verhängt noch vollstreckt. Die in der Schrift vorgesehene Form der Todesstrafe ist die Steinigung, die von der Gemeinschaft vollzogen wird. Die erste durch den Staat vollstreckte Todesstrafe war die an dem pharaonischen Oberbäcker in der Josephsgeschichte, der gehängt wurde.
Ist das Opfer des Abel nicht ebenso anachronistisch wie die Tierfelle, die Gott den ersten Menschen nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies gibt, um ihre Blöße zu bedecken? Das erste Nahrungsgebot, das auch das Essen von Tieren erlaubt, ist das noachidische. Es ist ein Teil des noachidischen Bundes, zu dem auch die Zusage gehört, daß es eine Sintflut nicht mehr geben wird, und das Zeichen des Bogens in den Wolken.
Im Zentrum des Erkenntnistriebs ruht der Wunsch, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Das Ziel dieses Wunsches aber schließt auch den Zustand der Welt mit ein: Ich komme mit mir selbst ins Reine nur in einer Welt, in der es keine Not, keine Verfolgung, keine Gewalt mehr gibt, in der mit einem Wort Gerechtigkeit und Friede sich küssen (die gegenwärtige Gestalt der Beziehung von Gerechtigkeit und Frieden ist die der Unzucht).
Der Erkenntnistrieb bedarf der Sprache, er ist die erste Frucht der Liebe, mit der Gott die Seele weckt. Der Dank, mit dem die Seele auf diese Liebe antwortet, ist die Übung und Entfaltung ihrer prophetischen, messianischen, parakletischen Kraft: sind die Werke der Barmherzigkeit, die über das Gericht triumphiert.
Hat nicht die Trennung des Anschauens von der Sprache, der Untergang der Prophetie und die Gestalt des falschen Propheten, etwas mit der Geschichte des Himmels zu tun? Ist der Himmel dem offen, der in der Sprache „sieht“, und steckt in diesem Sehen die Erkenntniskraft des Namens? Haben die Funktion und die Bedeutung der Zahl 666, die „Verhärtung des Herzens“ Pharaos, aber auch der Traum des Nebukadnezar, etwas hiermit zu tun?
Durch die Trennung des Anschauens von der Sprache, durch die Vergegenständlichung der Welt, schrumpft die Sprache auf ihre instrumentellen Funktionen, auf Begriff, Information und Mitteilung, zusammen, verliert sie ihre kritische Kraft, die in der Logik des Namens gründet. Das wissenschaftliche Korrelat dieser Trennung ist die Linguistik: die Trennung der Sprache von der Sprache; ihr ökonomischer Motor ist der Markt, der in den Zwängen der Privatisierung, der Entpolitisierung der Herrschaft durch Verwaltung: der Herrschaft der Dingwelt und des versteinerten Herzens sich entfaltet und manifestiert. Der moralische Imperativ, der im Namen Gottes, in der noch ausstehenden Einheit der göttlichen Attribute gründet, ist in die Trägheits- und Sachzwänge der subjektlosen Dingwelt eingewandert. Dem korrespondiert die Utopie einer Welt, in der alle ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut.
Sind nicht die Parlamente längst zu Akklamationseinrichtungen der Verwaltungen und die Regierungen zu „willigen Vollstreckern“ der Marktgesetze geworden? Und bezieht sich nicht darauf das Wort von der „funktionierenden Demokratie“?
Veweist nicht der letzte Satz im Buch Jona, der auf die Fähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, sich bezieht, auf den Prozeß der Ablösung der Anschauung von der Sprache? Diese Beziehung zur Trennung von Anschauung und Sprache ist es, die die Einbeziehung des Königs und der Tiere in die Buße des Volkes erforderlich macht. Auch die Tiere müssen fasten: Das Drachenfutter ist ihnen zu verweigern (wenn die Schlange vom Staub lebt, dann muß Adam aufhören, zu Staub zu werden).
Die Sünde wider den Heiligen Geist ist die Sünde der Verhärtung des Herzens.
Ist nicht der denunziatorische „offene Brief“ der JU an den Bischof von Limburg das Gegenstück zum Begriff des „Selbstbezichtigungsschreibens“?
Wenn Heumann ein Wadenbeißer war, dann sind die Urheber des Angriffs auf Hubertus Janssen Pitbulls, Kampfhunde. Wadenbeißer greifen von hinten an, Kampfhunde frontal.
Im Inertialsystem des Rechts vertreten das Racheprinzip und die Feindbildlogik die transzendentale Ästhetik: die subjektiven Formen der Anschauung.
Das Trägheitsgesetz des Strafrechts läßt an dem Satz sich demonstrieren, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (dieser Satz repräsentiert zusammen mit den strafrechtlichen Bestimmungen über den Mord das Gesetz der Feindbildlogik im Recht).
„Mein ist die Rache, spricht der Herr“: Wenn Mizrajim der Eisenschmelzofen ist, dann ist der Gottesname, den der Pharao nicht kannte, das Feuer, das Rache in Barmherzigkeit umwandelt.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie