Erst durch Historisierung (durch deren musealisierende, verfremdende Wirkung) wird Religion zur Religion: zum Götzendienst.
Historisierung und die ausgrenzende Beziehung zu Fremden (die in den Namen der „Barbaren“ oder „Heiden“ sich ausdrückt) gründen in einer gemeinsamen Logik, die der ethnologische Blick (dessen apriorisches Objekt im Namen der „Wilden“ sich anzeigt) dann radikalisiert.
Ist diese Historisierung nicht der Motor der Dynamik, die die Geschichte der Philosophie beherrscht? Erst als vergangener wird der philosophische Gedanke, der in seinem Ursprung einer unmittelbaren Einsicht sich verdankt, gegenständlich, wird er zum Gegenstand der Reflexion eines andern. Ist es nicht die gleiche Vergegenständlichung, die das Licht zu einer elektromagnetischen Wellenbewegung macht, die mit Lichtgeschwindigkeit sich fortpflanzt? Wird diese Beziehung zu Vergangenem nicht durch den Raum (als Form der Äußerlichkeit) zu einer präsentischen Gewalt (zum indoeurpäischen Präsens), und ist diese Gewalt nicht die Grundlage der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
Feuer und Wasser, die im hebräischen Namen des Himmels eins werden, bezeichnen die beiden Seiten der einen Grenze, die die Zukunft von der Vergangenheit trennt: das Wasser aus der Sicht der Vergangenheit, das Feuer aus der der Zukunft.
Überschätzt Goldhagen nicht doch das Gewicht von „Anschauungen“, die Bedeutung ideologischer Schulung? Der Antisemitismus wird durch die Praxis gelernt, als deren Rechtfertigung er dann dient. Der Antisemitismus kommt gleichsam post festum; es gibt eine vorausgehende Grundentscheidung zur Gemeinheit, die dann des Antisemitismus, an dessen Wahrheit ohnehin niemand glaubt, zur eigenen Entlastung und Rechtfertigung sich bedient. Adressat dieser Entlastung und Rechtfertigung sind die Anderen, ist die Öffentlichkeit, deren Zustimmung das Wissen um die Unwahrheit der Ideologie verdrängen hilft. Die Verdrängung nährt und steigert die Wut, die in den Handlungen der Antisemiten sich entlädt. Und das Vorurteil hilft dann, die letzten Hemmungen zu beseitigen. Damit hängt es zusammen, wenn der Antisemit (wie auch der Sexist) von seinem Objekt nicht mehr loskommt. Es wäre eine interessante Aufgabe zu untersuchen, was es ist, was Angehörige der Polizei so anfällig fürs Vorurteil macht, ob und auf welche Weise diese Anfälligkeit mit ihrem „Auftrag“, mit den Zwängen, in die ihre beruflichen Pflichten und ihre Tätigkeit sie verstricken, zusammenhängt.
Es ist eine gemeinsame Logik, die die kirchliche Folterpraxis im Mittelalter mit der Brutalität und Gemeinheit der Nazis verbindet. Schon die mittelalterlichen Pogrome, Ketzer- und Hexenverfolgungen waren „Säuberungsaktionen“, deren Ziel es war, die Reinheit der Lehre und die Einheit der christlichen Welt wiederherzustellen und zu erhalten. Die Logik, die dem zugrundelag, war die Bekenntnislogik, zu deren Konstituentien seit je das einheitsstiftende Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehörten.
Auf S. 624 (Anm 68) bemerkt Goldhagen, daß hinsichtlich der subjektiven Reaktionen der an den Mordaktionen Beteiligten nur „von ‚Ekel‘ … die Rede sein (kann), nicht aber von ‚Scham’“. Vgl. hierzu Kants urteilslogische Bemerkung zum „Ekel“ in seiner Kritik der Urteilskraft (ist nicht Kants Bemerkung über den Ekel in der Kritik der Urteilskraft eine notwendige Konsequenz aus seinem Begriff der Lust und des Geschmacks?).
Waren die insbesondere bei Aktionen gegen Juden auftretenden Grausamkeiten und Brutalitäten (die spezifische Gemeinheit) nicht Mittel zur Gewöhnung an das Unfaßbare? So machte man die Taten auch für sich selbst, vor dem eigenen Bewußtsein, irreversibel. Das, was man ihnen antat, war der Beweis, daß es zu Recht geschah.
Akten konstituieren das Inertialsystem der gesellschaftlichen Welt; zu ihrer Erstellung und Bearbeitung bedarf es der Verwaltung, deren Handeln an das gleiche Recht gebunden ist, das den Akten praktische Relevanz verleiht.
Die Urteilsmagie gründet im Strafrecht, das das Urteil über die Strafe zu einem Instrument staatlicher Gewalt macht, seine Folgen aber zugleich ins gesellschaftliche Unbewußtsein der Knäste verdrängt (die Gefängnismauern sind Hilfsmittel der gesellschaftlichen Verdrängung), in denen die Gemeinheit herrscht, die kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das Urteil löst den Schrecken nicht auf, es verdrängt und reproduziert ihn.
Entspringt nicht das „Restrisiko“ der Atomkraftwerke, das jederzeit zur Katastrophe sich ausweiten kann, dem gleichen Sicherheitsdenken, das auch dem Strafrecht und dem militärischen Kalkül zugrunde liegt? Zu diesem Sicherheitsdenken gehört seit je das Wegsehen, die selektive Wahrnehmung der Realität, das dem Handeln der Polizeibattaillone im letzten Krieg, auch den Exzessen der Judenverfolgung, zugrunde lag.
Von der Verurteilung der Häresien, die dem Prozeß der Dogmenbildung zugrunde lag, ist nach ihrer vollständigen Säkularisierung die Urteilsmagie zurückgeblieben. Das Urteil ist von der Bekenntnislogik (von den „subjektiven Formen der Anschauung“) nicht abzulösen. Hier liegt die christliche Wurzel des Faschismus sowie jeder Art von Staatsterrorismus. Die Globalisierung des technischen und ökonomischen Instrumentariums der europäischen Zivilisation ist durch die Einforderung der Menschenrechte allein nicht zu humanisieren, notwendig wäre, diesen Prozeß durch Erinnerungsarbeit reflexionsfähig zu machen. Das Medium dieser Erinnerungsarbeit aber ist die Theologie.
Zum „Scheusal Ägypten“: Ist nicht das gesellschaftliche Subjekt, dem das Opfer der Israeliten ein Greuel ist, das „Scheusal“? Und das Wort des Moses: „Den Ägyptern ist ein Greuel, was wir dem Herrn, unserm Gott opfern, wie es der Herr befohlen hat; wenn wir vor den Augen der Ägypter opfern, was ihnen ein Greuel ist, so steinigen sie uns“ (Ex 826), ist das nicht der zentrale, das Verständnis der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos insgesamt eröffnende Satz?
Steckt nicht das methodische Problem des symbolischen Schriftverständnisses im Problem der Beziehung der hebräischen zur griechischen (indoeuropäischen) Sprachlogik: im Problem des Ursprungs und der sprachlogischen Entfaltung des Neutrums? Hier geht es nicht darum, welches die „wahre Sprache“ ist. Vielleicht könnte man den Sachverhalt so umschreiben: Sind nicht die „Symbole“ der Schrift (wie die Schlange, die Dornen und Disteln oder der Kelch) Ausdruck eben jener sprachlogischen Elemente, durch die indoeuropäischen Sprachen von der hebräischen sich unterscheiden (wie das Neutrum, die grammatischen Grundlagen der Vergegenständlichung und Verdinglichung, schließlich die in den indoeuropäischen Formen der Konjugation vorgebildeten „subjektiven Formen der Anschauung“)? Paradigma dieser Symbolik ist der Name der Hebräer selbst: die bis in die Struktur der Sprache hineinreichende Selbstwahrnehmung als Fremde für andere; ein Name, dem im Griechischen der Name der Barbaren (die projektive Vergegenständlichung der Fremden als Grundlage des eigenen „hellenistischen“ Selbstverständnisses) gegenüber steht.
Ist nicht die Herrlichkeit Gottes das Leuchten Seines Angesichts? Und wenn es heißt, daß der Menschensohn „auf den Wolken des Himmels“, „in großer Macht und Herrlichkeit“ wiederkommen wird, hat das nicht etwas mit diesem Leuchten Seines Angesichts zu tun?
Haben nicht die gleichen Dinge, die Paulus ausblendet, während die Evangelien davon berichtetn, auch sprachlogische Bedeutung. Liegt nicht in den Wundergeschichten eine sprachlogische Sprengkraft, die nur dem Fundamentalismus und der selbstzufriedenen Erbaulichkeit verborgen bleibt? Oder auch: Wie verhalten sich die „symbolischen“ Wundergeschichten zu den „typologischen“ Personengeschichten (Maria Magdalen und die sieben unreinen Geister; die gesamte Petrus-Geschichte, vom Messias-Bekenntnis über das „Weiche von mir, Satan“ bis zu den drei Leugnungen; die Petrus/Jakobus/Johannes-Geschichten; die beiden Lazarus-Geschichten)?
Hat die Bitte der Zebedäus-Söhne: „Verleihe uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen dürfen in deiner Herrlichkeit“ (Mk 1037, bei Mt 2020ff ist es die Mutter der Zebedäus-Söhne, die ihn für ihre Söhne fragt) etwas mit dem andern Satz zu tun: „Und mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken“ (1527, vgl. Mt 2738, Lk 2332ff, Joh 1918)?
Ist das Wort Jesu am Kreuz an seine Mutter und an Johannes nicht auch ein Adoptionsakt (wie die Gottessohnschaft bei der Johannes-Taufe und auf dem Berg der Verklärung, oder auch die Saulus-Paulus-Geschichte, der möglicherweise eine Alexander-Saulus-Geschichte vorausgeht)? Ist nicht die Adoption das Modell der „Wiedergeburt“ (die auch das Paulus-Wort, er sei „Römer von Geburt“ anders verständlich machen könnte)?
Ist Joseph von Arimathäa der Adoptivvater des gekreuzigten Jesus?
Was bedeutet es, wenn es heißt, daß Simon von Cyrene „vom Felde“ kam (Mk 1521, Lk 2326, vgl. Mt 2732; nach Joh 1917 trug Jesus sein Kreuz selber)? Ist hier ein Feld im agrarischen Sinne gemeint (das Feld von Bauern oder Hirten), gab es in der Nähe Jerusalems solche Felder? War Simon ein Tagelöhner?
Mit der Rezeption des Weltbegriffs werden auch Theologie und Religion dem Gesetz der Instrumentalisierung unterworfen, das sich dann in der Bekenntnislogik ausdrückt. Ist nicht die Bekenntnislogik die Gewalt, die beide, die Theologie und die Religion, von innen her angreift und aufzehrt (ein Prozeß, den sie im Innern beider gegen beide anstrengt und führt), sie, ohne daß die Betroffenen es merken, in ihr Anderssein transformiert: sie bewußtlos säkularisiert? Notwendig wäre es, diesen Prozeß endlich zu begreifen (durch Erinnerungsarbeit und Reflexion).
Liegt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ nicht an der Schwelle des Umschlags zur Prophetie, auf den Joh 129 sich bezieht: des Auf-sich-Nehmens der Sünde der Welt; ist nicht das Eingedenken der Natur im Subjekt selber schon das „Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt“? Adorno zitiert in diesem Satz die Kritik der Urteilskraft, in der Kant mit dem Begriff einer „Natur im Subjekt“ die ästhetische Produktivkraft des „Genies“ bezeichnet; der Adornosche Satz erinnert zugleich an die Intention Georg Lukacs‘, der erstmals die Kunst anstatt aus der Sicht des Konsumenten aus der des Produzenten zu begreifen unternommen hatte.
Haben die drei Weisen aus dem Morgenland etwas mit den „Zauberern“ in der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu tun?
„… der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis“: Das Erste ist nicht das Bessere. Ist das nicht die biblische Grundlage der Kritik des Ersten (und der Väter)?
Neuer Kannibalismus: Sind wir nicht dabei, im Leib der Sprache die Gebärmutter durch den Bauch zu ersetzen: die Barmherzigkeit durchs Fressen (die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert)?
Das eine verlorene Schaf und die verlorene Drachme (Lk 154ff): Der eine Sünder, über den, wenn er umkehrt, im Himmel mehr Freude sein wird als über 99 Gerechte, sind das der Staat (das verlorene Schaf) und die Kirche (die verlorene Drachme)?
Feindbildlogik
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14.08.1996
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11.8.1996
Ist nicht die Nachkriegsgeneration in der verqueren Situation, daß sie eine Reflexion, die wir versäumt haben, nachholen müßte und es nicht kann, – weil sie den Gegenstand der Reflexion nicht kennt, und – weil wir sie zugleich der Mittel beraubt haben, mit deren Hilfe es vielleicht möglich gewesen wäre? Die Bedeutung von Sätzen hängt nicht nur von der Bedeutung der Worte ab, aus denen sie gebildet sind, sondern ebenso sehr auch von der Situation, zu der die Sätze gehören. Deshalb gibt keine Dogmen, und deshalb gibt es keine in Urteilen ausdrückbare Wahrheit. Zum Angesicht: Der Blick ist ein Teil der Kommunikation. Blick ein Kind an, und achte darauf, wie es zurückblickt: Dieser Blick spricht. (Gibt es nicht Situationen, in denen die Sprache zu einer unzulängnlichen Ausdrucksform wird?) Resurrectio naturae: Die Natur ist kein Objekt der Barmherzigkeit; sie ist kein Subjekt, darin gleicht sie den Toten. Das Eingedenken der Natur im Subjekt gilt dem Toten, das zum Leben zu erwecken wäre (und nicht der „gequälten Natur“). „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“, und „Wer euch angreift, greift meinen Augapfel an“: Sind diese beiden Sätze nicht durch den Antisemitismus, der mit der Vernichtung der Juden dem Angesicht Gottes sich entziehen zu können glaubt, bewiesen? Wenn der Antisemitismus darauf abzielt, den Augapfel Gottes zu vernichten, dann war Auschwitz der Versuch eines absoluten Verbrechens (vgl. Lyotard). Sind nicht die Planeten zu Planeten geworden, als sie sich die Sonne zum Feind machten? Sind die Planeten Feinde der Sonne, ist der Mond der Erde Feind, und wie steht es mit Erde und Sonne, wer kreist hier um wen (wo ist die Sonne still gestanden)? Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Nach Kopernikus war die Erde Feind der Sonne (so hat das heliozentrische System zur Begründung und Legitimierung des Absolutismus beigetragen). Kopernikus war (als Astronom) Monarchist. Müßte die Demokratie nicht wieder davon ausgehen, daß die Sonne um die Erde kreist? Oder müßte sie, wenn sie endlich sich selbst begreift, nicht dieses Feindsystem ingesamt auflösen: die Klassengesellschaft? Steht der Tod der Erstgeburt unterm Zeichen des Saturn, die Finsternis und das Blut unter denen der Sonne und des Mondes? Sind die ägyptischen Plagen die Negative der Sefirot? Feindbindung und Sucht: Wie der Sexist so kommt auch der Antisemit von seinem Feind nicht mehr los. Wer in den Menschen Feindbilder erzeugt, macht sie zu Objekten der Mechanik (des Seitenblicks, der der Kommunikation ausweicht und sich entzieht) und damit beherrschbar. Die sublimste Art der Feindbild-Erzeugung ist es, sie zu anschauenden und urteilenden Wesen zu machen. Deshalb ist die kantische Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflektierenden Urteilen so wichtig. Der Glaube, man könne den Faschismus durch Verurteilung unschädlich machen, hat seine Wurzel in dem ungeheuren Verdrängungsakt, mit dem die Deutschen am Ende des Krieges ihr Wissen von den Verbrechen der Nazis und ihre Beteiligung an ihnen glaubten loswerden zu können. Die Verurteilung als Instrument der Selbstexkulpation gehört zur Bekenntnislogik, die hier erst endgültig von ihren christlichen Ursprüngen sich abgelöst (und sie zugleich instrumentalisiert) hat. So fanden sich Täter und Opfer in der Gemeinschaft der Verurteilenden wieder. Was (im Hinblick auf Filbinger) einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt worden ist, gründet in dieser Verurteilungsstrategie. Aber war diese Problemlösungsstrategie nicht doch nur auf der high-brow-Ebene (vor allem in der Politik und an den Universitäten) anwendbar, während unten der Antisemitismus teils im Anblick von Auschwitz wirklich sich aufgelöst hat, teils allerdings nur in die Potentialität zurückgedrängt wurde (und das insbesondere bei denen, die aktiven Anteil an den Verbrechen, die sie nie als Verbrechen wahrgenommen haben, gehabt hatten, bei denen die Verdrängung ein Teil, mehr noch: die Voraussetzung der Tat war)? Diese Problemlösungsstrategie aber hat die Probleme nicht wirklich gelöst, sondern nur auf die folgenden Generationen verschoben. Ich hätte mir gewünscht, daß dieser Sachverhalt, zumal Birgit Hogefeld ihn selbst angesprochen hat, in dem Bändchen „Versuche, die RAF zu verstehen“ thematisiert worden wäre. Die wütenden Reaktionen auf die Untersuchungen von Daniel Goldhagen sind ein weiteres Indiz für die Unwirksamkeit aller Problemlösungsstrategien, die, auf der Grundlage und unter dem Bann der Bekenntnislogik, sich allein des Instruments der Verurteilung bedienen. Die dritte Leugung oder der verdorrte Feigenbaum: Ist nicht der kollektive Verdrängungsakt am Ende des Krieges in Deutschland durch eine Logik (durch die „pharisäische“ Logik der kollektiven Verurteilung) abgesichert worden, die die Bekenntnislogik von der Theologie getrennt, damit der Theologie endgültig den Boden entzogen und den Nachgeborenen jede Chance genommen hat, an die Sache überhaupt noch heranzukommen (die die Bekenntnislogik zum Instrument der Selbstverfluchung gemacht hat)? Als Heidegger die Angst (zur Unterscheidung von der Furcht) als objektlos definierte, hat er ihrer Reflexion (und damit der Reflexion der Schuld und der Herrschaft, die den Zeitkern der Wahrheit ins Licht rückt) den Weg verstellt. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung Produkt und Instrument der Abstraktion von dieser dreifachen Reflexion? Stammheim oder das Haus des Seins: Die „Fundamentalontologie“ ist die Selbstreflexion der Isolationshaft des Denkens im Hochsicherheitstrakt der subjektiven Formen der Anschauung (die Kritik der reinen Vernunft war der erste Ausbruchsversuch).
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6.8.96
Der Satz, daß Gott ein Gott der Lebenden, nicht der Toten sei, klingt nach in dem anderen: „Laßt die Toten ihre Toten begraben“, der sich auf die Väter bezieht. Welche Väter gibt es in den Evangelien (außer Joseph, Zacharias, Zebedäus u.a. auch den Simon von Cyrene <der das Kreuz getragen hat, und der nur dadurch näher bestimmt wird, daß er der Vater zweier Söhne, des Alexander und des Rufus, ist>, den Jairus, den römischen Offizier)? Der Rassismus ist das auf den Kopf gestellte, ins Biologische gewendete Symbol. Und der Antisemitismus ist der Kern des Rassismus, nicht nur eine seiner Anwendungen. Der Weltbegriff hat einen herrschaftslogischen Kern, der erst in der Geschichte sich gebildet hat. Der teleologische Ursprung der Metaphorik ist vermittelt durch den Primat der Kausalität, die selber unter dem Apriori der Selbsterhaltung steht. Real ist die Sprache der Kausalität und Selbsterhaltung, alles andere ist metaphorisch. Das Realitätsprinzip ist auf die Kausalität eingeschworen, ein Schwur, der sich selbst als Zeugen anruft: Modell der Beziehung der transzendentalen Logik zur transzendentalen Ästhetik. Die subjektiven Formen der Anschauung sind im wörtlichen Sinne Formen der Verschwörung (auf der Basis eines Schwurs, den jeder bei sich selbst schwört, wobei er die Welt zum stummen und falschen, aber unwiderlegbaren Zeugen, zum augenlosen Augenzeugen, macht – Parodie der Beziehung Jesu zum Vater.) Die Metaphorik ist das Residuum des Namens. Gehört nicht zum philosophischen Begriff der Autonomia die Ataraxia, die sich vom Mitleid nicht mehr hinreißen läßt? Aber dieser (bürgerliche) Begriff der Autonomie gründet in der finanziellen Unabhängigkeit, von der die Armen apriori ausgeschlossen sind. Die wahre Einsicht wäre eine, die sich unmittelbar mitteilt und deshalb nicht mehr erfragt zu werden braucht. Die Geschichte der Verklärung auf dem Berge Tabor wäre wahr, wenn sie sich Petrus, Jakobus und Johannes unmittelbar mitgeteilt hätte, wenn diese sie nicht nur gesehen hätten. Die mittelalterliche Eucharistieverehrung und -spekulation hat das Geheimnis des Worts an die Mathematik (das Hören ans Sehen) verraten. „Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich“: Wer das Kreuz auf sich nimmt, hat es nicht mehr vor Augen, kann es nicht mehr vergegenständlichen. Ist dieser Satz nicht die Widerlegung der Opfertheologie? Und sind die Evangelien nicht insgesamt ein Akt des Eingedenkens gegen die paulinische Objektivierung, die die Abstraktion überhaupt erst möglich macht, die dann im Credo sich ausdrückt (in dem das Leben Jesu zum „incarnatus est de Spiritu Sancto, ex Maria Virgine, et homo factus est; crucifixus etiam pro nobis, sub Pontio Pilato passus et sepultus est“ zusammenschnurrt)? Der Bruch zwischen Paulus und den Evangelien, den das Dogma zudeckt, wird thematisiert in der Apokalypse. Hat nicht der Faschismus auch die Sieger in seinen Strudel mit hereingezogen? Hängt das Problem, das um die Begriffe aioon, oder saeculum, aeternitas, sich herumrankt, nicht damit zusammen, daß die Herrschaftsgeschichte zum logischen Zentrum des Weltbegriffs geworden ist? Die Herrschaftsgeschichte hat das Überzeitliche vom Ewigen geschieden. Woher kommen und was bedeuten diese Worte, die die Idee des Ewigen umkreisen? Von der Botschaft der Sterne hat die Kirche nur die Boten, die Engel, zurückbehalten, wobei sie die dämonischen Ursprungs- und Elementarmächte der Einfachheit halber (und zur Legitimation der kirchlichen und weltlichen Hierarchien) mit zu den Engeln gezählt hat. Die Austreibung der sieben unreinen Geister steht noch aus (und ist nicht durch die Ersetzung des Sabbath durch die dies dominca schon erfüllt). Gehört nicht auch der Name des Barabbas zur evangelischen Geschichte der Verwerfung der Väter? Die Idee des Absoluten gründet im Rechtfertigungszwang und endet im Wiederholungszwang (deshalb ist der Staat die sterbliche Gestalt des Absoluten: es gibt keine andere). Das Ganze ist das Unwahre: Die Wege des Irrtums sind die Wege des in sich selbst zurückkehrenden Kreisens. Wenn die Metaphorik teleologischen Ursprungs ist, ist dann nicht das Geld ein metaphorisches Instrument? Oder: Wenn das Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ist dann nicht das Geld die Umkehrung dieses Aktes, nämlich die Subsumtion der Vergangenheit unter eine Zukunft, die selber schon unter die Vergangenheit subsumiert ist? Das Geld ist das Instrument, mit dessen Hilfe das Subjekt (über die subjektive Form der inneren Anschauung) sich an das Ende der Zeitreihe setzt, um durch die Erhebung über die Zeit autonom zu werden. Unter dieser Prämisse wird das Bekenntnis zum flatus vocis, durch seine Trennung vom Namen wird es zur im Unendlichen verhallenden Stimme. Hängt es nicht mit der Verdrängung des Namens und des Angesichts zusammen, wenn der Name der Welt auch als Name für alle Menschen sich verwenden läßt? Der Andere wird zum bestimmten Anderen nur durch den Namen; für sich ist er nur ein Anderer für Andere. Der bestimmte Artikel ist nur der Repräsentant des Namens in der Sprache, während der unbestimmte Artikel das unter den Allgemeinbegriff fallende Objekt bezeichnet (ein Objekt unter vielen: an sich ein Kollektivum). War die Vätertheologie nicht erst möglich, nachdem aus dem Gesalbten, dem Messias Jesus, der Jesus Christus geworden ist, und der Name Christus zum Allgemeinbegriff, der alle Christen unter sich befaßt? War es nicht der Trick der homousia, daß sie den Sohn dem Vater gleichgesetzt hat? Laßt die Toten ihre Toten begraben: Liegt die logische Funktion dieses Tods der Väter nicht in der Beziehung der Väter zum Begriff, in ihrer „zeugenden“ (die Gattung begründenden) Funktion. Ist nicht der Rassismus die logische Konsequenz aus der Väterreligion (und der Antisemitismus sein Kern)? Der Zölibat ist die fundamentalistische Version eines logischen Sachverhalts. Bezeichnet nicht der Unzuchtsbecher, ähnlich wie der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, ein logisches Problem (hat das Wissen mit dem Kelch, und haben Natur und Welt mit Grimm und Zorn zu tun, und liegt hier der Schlüssel zum „Unzuchtsbecher“)? Das Possessivpronomen ist das principium individuationis, und zwar sowohl für den Besitzer und Eigentümer wie für den Besitz und das Eigentum. Auf den beiden Seiten des Schaufensters, durchs Schaufenster getrennt, sind Ware und Käufer nur Exemplare einer Gattung, erst im Kauf (durch die Eigentumsbeziehung) gewinnen sie Individualität, Ununterscheidbarkeit. Erst der Fernsehmoderator, der sich selbst verkauft, gewinnt (als die Ware, zu der er sich macht) Individualität. Wer wissen will, wo der Filmstar der zwanziger Jahre geblieben ist, sollte sich den Fernsehmoderator ansehen (nicht den Darsteller der Fersehserie, der hinter seiner Rolle, die ihn zum Nachbarn aller macht, verschwindet: Derrick ist nicht Tappert, sondern Tappert ist Derrick; auf der Straße würde ich ihn als Derrick „erkennen“). Das Charisma ist eine Qualität, die in der Eigentumslogik gründet. Der Führer war die Verkörperung der sich selbst anpreisenden und verkaufenden Ware; deshalb war er auch die Verkörperung des Antisemitismus. Er war die Verkörperung einer Ware, die ihr Massendasein leugnete: die Uniform als signum individuationis. Er war nur die Matrix, das Modell einer Massenproduktion, mit dem Antisemitismus als Produktionsmittel. Der ungeheure Verdrängungsakt, der mit einem Schlage alle Deutschen von der Schuld befreit hat, hängt damit zusammen: Alle haben ihre Anschauungen (ihr Feindbild) wie ein Hemd gewechselt, ihre Verstrickung wie die Uniform abgelegt. Der Produktionsapparat ist erhalten geblieben, er wurde noch gebraucht.
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22.7.96
Jak 520: Gerettet ist nicht, wer frei von Schuld ist, sondern wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums bekehrt. Mission, Propaganda, Reklame sind die Irrwege der Bekehrung. Bekehrung ist nicht Umkehr: Bekehren kann ich auch mit Gewalt, aber Umkehr kann ich nicht erzwingen.
Ist nicht das Scheitern des real existierenden Sozialismus der Beweis dafür, daß die richtige Gesellschaft sich nicht über die Köpfe der Menschen hinweg (nicht durch „Bekehrung“) errichten läßt? Die wirkliche Umkehr korrespondiert mit der Auferstehung aller.
„Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp in TuK Nr. 20, S. 23): Dieser Satz ist schrecklich. Der Kreuzestod Jesu oder Auschwitz wären demnach nicht „passiert“, wenn nicht davon erzählt worden wäre? Und das namenlose, nie erzählte Grauen in der Geschichte ist nicht gewesen, wenn niemand es erzählt? Ist es nicht vielmehr das Leiden, an dem, was Rosenzweig wie auch Adorno einmal den Vorrang des Objekts genannt haben, sich demonstrieren läßt? Ist es nicht der Sinn des Eingedenkens, des Erinnerns, auch das Nicht-Erzählte, das, was im Dunkeln liegt, noch ans Licht zu bringen? Und korrespondiert nicht das Dunkel der Vergangenheit mit den heutigen Objekten der Verdrängung (liegt hier nicht die geheime Korrespondenz der Gegenwart mit der Vergangenheit, an die Walter Benjamin in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen erinnert)?
Was nicht erzählt wird, ist so, als wäre es nicht passiert; aber dieses „als“ ist ein Äquivalent der Verdrängung. Denn die Spuren auch des nicht erzählten Leidens sind unauslöschbar. Das Erzählen ist wichtig als eine Hilfe des Nicht-Vergessens; nur im Mythos hat es objektkonstituierende Macht. Martin Buber hat die Bücher Josua bis Könige zu den Geschichtsbüchern gezählt und für Mizrajim den Namen Ägypten gewählt. Hängt nicht beides zusammen, hat er hier nicht das hellenistische Erbe (das auch das Christentum verhext) übernommen? Ist nicht die Historisierung dieser Bücher ein Symptom der Historisierung der Prophetie, eigentlich ihrer Leugnung durch Remythisierung?
Ist es nicht ein Unterschied, ob man die drei Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea historisch, oder ob man sie prophetisch begreift (z.B. als Hilfe zum Verständnis von Rostock, Mölln, auch von Auschwitz)?
Paulus war kein Zelot (gegen Jankowski), eher ein Skinhead.
Ist nicht heute die Freudsche Psychosenlehre wichtiger geworden als seine Neurosenlehre (liegen nicht die Fortschritte der Psychoanalyse heute im Bereich der Erforschung der Schizophrenie und des Autismus, auch der Antipsychiatrie)? Und werden hier nicht biblische Motive wie das Gebot, die Eltern zu ehren, oder das der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kinder, auch das, daß nur der seine Seele rettet, der einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, auf ein ganz neue Weise aktuell? Rühren diese Motive nicht genau an diesen Punkt? Nur: das Problem der Psychose ist im Gegensatz zu dem der Neurose psychologisch (subjektintern) nicht mehr darstellbar, es rührt an den Grund des Zustands der Welt (wie in der Theologie der Name Israel oder der corpus Christi mysticum). Ist die Jesus-Geschichte nicht die Innenseite (die Feuerseite) der gleichen Geschichte, deren Außenseite (Wasserseite) im Römischen Imperium und im Caesarismus sich manifestiert? Gründet nicht Adornos Ästhetik (der Begriff wie auch das Werk, das diesen Titel trägt) in Hegels Logik des Scheins?
Die Welt ist alles, was der Fall ist: Bezeichnet nicht dieser Begriff des Falls einen physikalischen, einen gesellschaftlichen und sprachlogischen Sachverhalt? Dieser eine Begriff bezieht sich nicht zufällig (nicht durch bloße Äquivokation) gleichzeitig auf – die Erscheinungen der Gravitation, – die Objekte der Verwaltung: die Fälle, die die Verwaltung bearbeitet, und nicht zuletzt – die casus der Grammatik. Gehören nicht zu dem sprachtheoretischen Konstrukt einer „indoeuropäischen Ursprache“ acht casus (neben den vier kanonischen: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, der Ablativ, der Lokativ, der Instrumentalis und der Vokativ)? Sind nicht die casus, die dann (in den modernen europäischen Sprachen, nach dem griechischen Vorbild, das zusätzlich allerdings noch den Vokativ enthielt) kanonisch geworden sind, die Reflexionsformen des Begriffs im Objekt? War nicht die Einführung des unbestimmten Artikels, die sprachlogisch mit dem Ursprung der Hilfsverben zusammenzuhängen scheint, der entscheidende Schritt zur Kanonbildung der casus? Ist es nicht eine gemeinsame (ihren empirischen Objektbezug begründende) Sprachlogik, die das englische to be mit der Tatsache verknüpft, daß gleichzeitig die Artikel im Englischen geschlechtsneutral sind und nicht dekliniert werden? Sprachlogisch lassen männlich und weiblich nicht mehr sich unterscheiden, Akkusativ und Nominativ nur noch durch ihre Stellung im Satz, während Dativ und Genitiv von außen, durch vorangestellte Präpositionen, bestimmt werden. Wann und in welchem herrschaftsgeschichtlichen (gesamtgesellschaftlichen) Kontext sind die Hilfsverben entstanden? Ist das englische to be ein sprachlogisches Denkmal des Übergangs von der Stammesgesellschaft zur Monarchie (und das deutsche Sein eines des Ursprungs der Reichsgeschichte und des Kaisertums)? Ist das to be (wie auf andere Weise auch das Sein) nicht ein Exorzismus (einer, der die Geister leben läßt, sich aber nicht mehr vor ihnen fürchtet)? Sind die Hilfsverben Beleg einer Entwicklung, die (wie das mittelalterliche Christentum insgesamt) den Mythos übersprungen hat, ihn aber eben deshalb (in Gestalt der Hilfsverben, mit Hilfe der Logik, die sie repräsentieren) in sich reproduziert?
Die kantischen Prolegomena verhalten sich zur Kritik der reinen Vernunft wie Engels zu Marx. Der Nationalsozialismus, der seine „Weltanschauungs“-Kriege im Rußland-Feldzug wie in Auschwitz als Vernichtungs-Kriege geführt hat, hat damit den Begriff der Weltanschauung selber aufgedeckt und unbrauchbar gemacht.
Der Begriff der Weltanschauung ist aus zwei Komponenten zusammengesetzt, die jede für sich auf die Ursprungsgeschichte der gleichen Zivilisation verweisen, die sie in dieser Komposition von innen sprengen. Der Begriff der Weltanschauung macht den apokalyptischen Vorgang unkenntlich, den er bezeichnet.
Die Auseinandersetzung mit dem Staat ist die Auseinandersetzung mit der Quelle der Logik, die auch das eigene Bewußtsein beherrscht. Das Feindbild Staat gewinnt seine Verführungsgewalt aus der Vorstellung, dieser Auseinandersetzung (der Selbstreflexion des falschen Bewußtseins, dessen Quelle in der Tat der Staat ist) sich entziehen zu können. Zugrunde liegt das Versäumnis der Reflexion des Faschismus (der deshalb das „wahre Gesicht des Staates“ ist, weil der Staat keins hat). -
9.7.96
Das liberum arbitrium hängt mit den Freiheitsgraden des Raumes so zusammen wie die Reflexion mit der Abstraktion. Es setzt an die Stelle die Freiheit, die der Reflexion sich verdankt, die Freiheit, die die Abstraktion verspricht; die Beziehung beider ist durchs Opfer vermittelt, auf dessen Geschichte sie zurückweist. Der Preis der Abstraktion ist das Opfer der Vernunft. Die Vorstellung des unendlichen Raumes ist das Produkt des vollendeten Opfers. Der Begriff ist das Opfer des Worts an die Idee des Absoluten. Deshalb hängt die Entdeckung des Begriffs mit der Entdeckung der Orthogonalität, der Winkelgeometrie, zusammen.
Die Vergegenständlichung der Zeit, die die Sprachlogik der indoeuropäischen Sprachen einmal begründete, ist das Prinzip der Abstraktion. Ihr praktischer Grund war die Konstituierung des Eigentums. Hat die Zeitvorstellung zusammen mit dem Zins sich gebildet? Der Atheismus heute gründet in der Unfähigkeit, den Bann der Logik des Eigentums durch Reflexion zu brechen.
Die Vorstellung einer unendlichen Zeit, Produkt ihrer Vergegenständlichung und Reflex der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, ist das subjektive Apriori der gegenständlichen Erkenntnis. Im Bann dieser Erkenntnis gilt, daß ER kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Ist die so rapide sich ausbreitende Furcht vor Einbrechern nicht ein apokalyptisches Zeichen?
Menschenfischer: Das Feindbild ist der Köder, mit dem der Kapitalismus seine Gegner fängt. Über das Feindbild und über die Mechanismen der Empörung (des schnellen Zorns) gerät man in eine subjektive Verfassung, in der man, ohne es zu wissen und auch, wenn man es nicht will, das Geschäft der anderen Seite betreibt. Logischer (und objektiver) Ausdruck dieser „subjektiven Verfassung“ ist der Weltbegriff.
Mit der Beziehung zur Zeit hängt es zusammen, wenn das Weltgericht nicht mit dem Jüngsten Gericht verwechselt werden darf. Wenn es ein Jüngstes Gericht gibt, wird es das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht sein. Gnadenlos ist das Weltgericht durch die Objektivierung der Zeit.
Der Faschismus hatte Recht, wenn er sich auf die indogermanische Tradition berief: Im Faschismus ist das barbarische Potential des Abstraktionsschrittes, dem die Logik der indoeuropäischen Sprachen sich verdankt, explodiert. Das erste Opfer dieser Explosion waren nicht zufällig die Juden, die die andere, verdrängte Tradition verkörperten: der Antisemitismus war der Zündsatz des Faschismus.
Nach dem Holocaust kann man zwar kein Jude mehr werden, notwendig und überfällig aber ist die Rückbesinnung auf ihre Tradition, die die eigene Tradition des Christentums ist, allerdings eines Christentums, das den Hahnenschrei vernommen hat und endlich aus dem Schlaf, in den es seit Getsemane versunken ist, erwacht. Erinnert nicht Reinhold Schneiders Satz „Allein den Betern kann es noch gelingenen …“ an die Aufforderung, die Jesus in Getsemane an die Jünger richtete, als er sie schlafend fand: „Wacht und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallt“?
Zu Getsemane: Wenn die Todesangst Jesu messianische Qualität hat, dann kann sie sich nicht (oder jedenfalls nicht nur) auf den eigenen Tod, sondern muß sich zugleich auf die Herrschaft des Todes in der Welt beziehen. Da aber stellt sich eine wahrhaft ungeheuerliche Beziehung zum Symbol des Kelches her, der genau diese Herrschaft des Todes repräsentiert.
Hat das Christentum nicht seit je die Fleischwerdung des Wortes mit seiner Wiederkunft verwechselt, hat es nicht so getan, als hätten Kreuz und Aufertehung schon das geleistet, was erst die Wiederkunft leisten wird? Eben damit aber ist das Christentum selber der Versuchung der Welt zum Opfer gefallen. – Oder war auch diese Opferfalle noch providentiell, ein Teil des Opfers, das eben nicht schon alles geleistet hat?
Erst wenn die Gestalt der Unsterblichkeits- und Auferstehungshoffnung, die sich aus dem Selbsterhaltungsprinzip herleitet, verbrannt ist, wird die Wahrheit hervortreten. – „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.“
Der Begriff der trägen Masse, der Materie, ist der Reflex des Eigentumsbegriffs in der Natur, mehr noch: Der Eigentumsbegriff konstituiert den Begriff der Natur (Naturschutz ist Eigentumsschutz). Das Dogma reflektiert den logischen Schritt, mit dem die physis in die natura und der kosmos in den mundus transformiert wurde.
Wenn Kant Raum und Zeit als subjektive Formen der Anschauung begriffen hat, so wäre das heute zu ergänzen: Die Subjektivität der subjektiven Formen der Anschauung ist in sich selber gesellschaftlich vermittelt, sie ist eine gesellschaftliche Subjektivität, die Reflexion des Andern im Subjekt. Insoweit, nämlich als gesellschaftliche, sind die subjektiven Formen der Anschauung zugleich auch objektiv.
Der Vergesellschaftungsprozeß ist in der Struktur der Raumvorstellung selber nachvollziehbar. Den drei Abstraktionsschritten, in denen der Raum als subjektive Form der Anschauung sich konstituiert, korrespondieren die drei ökonomischen Abstraktionsschritte, denen Polanyi zufolge die Konstituierung der Eigentumsgesellschaft sich verdankt: die Verwandlung von Grund und Boden, der Arbeit und des Geldes in Waren, in Objekte des Tauschprinzips. Es ist der Begriff des Eigentums, der in diesem Prozeß sich entfaltet, der zugleich die Außenwelt konstituiert, die Äußerlichkeit der Dinge außer uns, deren Formgesetz dann in der Form des Raumes sich entfaltet. Insofern ist die kopernikanische Wende, die die Vorstellung des unendlichen Raumes, der nichts mehr außer sich hat, begründet, das kosmologische Korrelat einer restlos vom Tauschprinzip durchdrungenen Welt.
Es müßte eigentlich nachweisbar sein, daß das Steigen der Grundstückspreise im Nachkriegsdeutschland zusammenhängt mit der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Banken (vgl. den Hinweis auf die ostasiatischen Länder <S. 109f> und insbesondere auf Japan <S. 234> bei Heinsohn/Steiger). Haben sich hier nicht die Banken selber die Grundlage für die Ausweitung ihres Kreditvolumens geschaffen?
Ist der Fall Schneider, wenn er denn wirklich ein Opfer seiner Banken sein sollte, ein Beleg dafür, daß es heute möglich ist, das Erwischtwerden durch die Tat selber auszuschließen (vgl. Lyotards Reflexionen zum „absoluten Verbrechen“)?
Gibt es eigentlich eine spezielle Affinität
– der Banken zum Grundstücksgeschäft,
– der Produktion zum Spekulationsgeschäft und
– des Staates zum Arbeitsmarkt, dem ersten Objekt seiner „Spar“-Maßnahmen?
Sind nicht die Banken, die Wirtschaft und der Staat die „natürlichen“ Repräsentanten dieser spekulativen Formen der Eigentumsbearbeitung? (Zum Zusammenhang mit den drei Abstraktionsschritten, die den Kapitalismus begründen: die Überführung des Grund und Bodens, der Arbeit und des Geldes in veräußerbare, tauschbare Handelsware, vgl. Polyani.)
„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“: Ist der Rosenzweigsche Satz, daß Gott die Welt, nicht die Religion erschaffen hat, eine Folge seiner Staatsphilosophie?
Die Verteidigung des Eigentums, als dessen institutionelle Verkörperung der Staat sich begreift, ist die zentrale Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die mit dem Eigentum eigentlich die universelle Geltung des Tauschprinzips, die „gesellschaftliche Ordnung“, nach innen (wie das Militär das Eigentum selber nach außen) verteidigt und schützt. Ist nicht die Institution des Eigentums der logische Kern des anklagenden („satanischen“) wie auch des verwirrenden („teuflischen“) Prinzips, das seit Babylon in den großen Imperien sich verkörpert, mit deren Ursprung auch die Gestalt und der Name des Anklägers (sh. Hiob) sich gebildet hat? Ist nicht der Teufel wie auch der Satan in den Evangelien der Repräsentant des weltlichen Reiches?
Das Recht stellt bei der Schuldzuweisung (beim „Urteil“) auf das Wissen und die Absicht der Person (des Angeklagten) ab. Vor diesem Hintergrund ist der Links-Terrorismus das absolute Verbrechen, während Auschwitz eine Naturkatastrophe war. Fürs Recht ist die Unterscheidung einfach: Die Linke weiß, was sie tut, die Rechte weiß nicht, was sie tut.
Der Fehler des „realexistierenden Sozialismus“, der heute bei den Umweltschutzgruppen sich zu wiederholen scheint, lag darin, daß er glaubte, die Kritik der Ökonomie von der Kritik der Verwaltung (von der Kritik der Macht, deren technische Organisation der Verwaltung obliegt) trennen zu können, die Verwaltung als eine „neutrales“ Instrument anzusehen. Die Kritik der Verwaltung hätte von dem Satz auszugehen: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Die Verwaltung ist das Schuldverschubsystem des Staatsapparats; und das scheint eine ihre Hauptaufgaben zu sein: sie deckt in der Tat eine Menge Sünden zu und wartet auf einen gnädigen Gott.
Wie hängt die Aufblähung der Verwaltung mit der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Banken zusammen; erinnert die Beziehung beider nicht an die Beziehung von Blähungen und Verdauung, und rührt daher die heute verbreitete Neigung zur analen Metaphorik (vgl. Freuds Bemerkung über die Beziehung des Geldes zur analen Metaphorik: „der Teufel scheißt auf den größten Haufen“)?
Ist nicht die Logik selber das Rattennest der Widersprüche, und die alternative wie insbesondere die Punk-Szene der ebenso hilflose wie selbstzerstörerische Versuch, metaphorisch die Wahrheit der Welt zu verkörpern, sie sichtbar zu machen, die Ratte zu domestizieren, ein unüberhörbarer Aufschrei, in dieser Realsymbolik das Wesen dieser Welt endlich zu begreifen? Anders kommen sie nicht davon los, die Logik dieser Welt symbolisch auszuagieren. Auch die deutsche Wirklichkeit hat ihre Slums, mitten in den Familien, sichtbar auf den Straßen unserer Städte.
Die Geschichte der Verdrängung, die im Weltbegriff sich gründet, hat einen Punkt erreicht, an dem es auch um die Lösung des Problems der Symbollogik geht, an dem es nicht mehr nur um das Verhältnis von Marx und Freud, sondern zugleich um die Beziehung beider zu Einstein geht.
Das Mathematische bei Einstein ist nur ein Hilfsmittel der Kritik des Logischen. Das logische Problem wird kenntlich, wenn man das Inertialsystem als ein Referenzsystem begreift, das in der speziellen Relativitätstheorie als ein selbstreferentielles System sich erweist: Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird eine empirische, meßbare Größe zu einem Strukturelement des gleichen Systems, durch das diese Größe selber überhaupt erst sich definiert.
Ist die Welt die „babylonische Gefangenschaft“?
Besteht nicht die Sünde wider den Heiligen Geist in der Umkehrung der Beziehung von Anklage und Verteidigung, in dem Versuch, diese Beziehung, die ein asymmetrische ist, reversibel zu machen, die dann unweigerlich auf die Verteidung der Herrschaft hinausläuft, und ist das nicht die Verführung des Staates (die, im Falle des absehbaren Erfolgs, die Pforten der Hölle schließen würde)? Hier ist der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, auf den jedoch auch der Satz sich bezieht: Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein (nur wer Himmel und Erde durch den Weltbegriff ersetzt, kann aus diesem Satz die Ohrenbeichte deduzieren). -
1.7.96
Die Nachkriegsverdrängung in Deutschland hat den Prozeß der Verdinglichung vollendet: sie war das Äquivalent der Konstituierung des Inertialsystems. Mit der Nachkriegsverdrängung ist eine Stummheit in die Verhältnisse eingedrungen, die die Sinnlichkeit unvermittelt und direkt gemacht hat, die der Kritik nur den Ausweg der Gewalt gelassen hat und der Schuld nur den der Projektion. Ist nicht die raf, an der diese Strukturen sich studieren lassen, das getreue Spiegelbild des Staates, den sie bekämpft?
Mit der Fixierung aufs Feindbild transportieren wir den Staat in den Hinterkopf, machen wir uns zu Marionetten des Staates. Der Einzige, der dem sich hat entziehen können, ist dafür gekreuzigt worden, und sein Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist das Motto für die Befreiung des Sünders vom Weg des Irrtums (für die Kritik der Astronomie). Der eine Sünder, der sich bekehrt, über den mehr Freude im Himmel herrscht als über die 99 Gerechten: das ist der Staat.
Das Schlimme ist, daß man heute selber als Opfer, als „Betroffener“, sich präsentieren muß, wenn man an die Leiden der Anderen erinnern will. Jeder, der für andere sich einsetzt, muß den Verdacht ausräumen, er tue es aus Eigeninteresse. Warum soll man sich dann nicht auch auf dieses Eigeninteresse, daß man in einer Welt nicht leben möchte, in der man für andere nicht mehr sich ensetzen darf, berufen? Heute muß die einfachste Sensibilität noch begründet werden. Damit ist man in der Täter-Opfer-Falle drin, die den Tätern den Weg frei macht, sie unangreifbar macht.
Ist nicht das Meßopfer, die „Wandlung“, die Transsubstantiation, das Deckbild eines anderen Vorgangs: der noch ausstehenden Realisierung?
Gerät nicht die katholische Tradition zur Zeit auf eine Entwicklungsstufe, auf der sie nur durch Realisierung noch zu retten ist?
Daß Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern befreit wird, wird an der gleichen Stelle erwähnt, an der berichtet wird, daß sie die erste war, der der Auferstandene erschienen ist (Mk 169, vgl. hierzu Joh 2011-18, insbesondere v. 14 u.16). Nur bei Lk wird das Ausfahren der sieben Geister schon bei der ersten Nennung der Frauen aus Galiläa erwähnt (Lk 82).
Die Geschichten mit den sieben unreinen Geistern gehören zu den sich wechselseitig erhellenden Geschichten in der Schrift, ähnlich wie die Geschichten über Lazarus. Gehört dazu nicht auch der Jonas ben Amittai, Jair (und Jairus)?
Die Wertethik hat versucht, die Ethik auf die „Gefühle von Lust und Unlust“ zu gründen. Aber gründen nicht die Gefühle von Lust und Unlust selber in der Urteilsform, und käme es nicht darauf an, diese Beziehung aufzuhellen?
Die christliche Gestalt der Unsterblichkeitslehre, die Lehre vom individuellen Seelenheil, der katholische Mythos von Himmel, Fegfeuer und Hölle, hat durch Hypostasierung der Urteilslust die Wahrheit (in der Form des Dogmas) ans Urteil gebunden und das Urteil selber (ähnlich wie der Weltbegriff die Herrschaft) der Kritik entzogen.
Andersens Märchen von „des Kaisers neuen Kleidern“ wäre kein Märchen, wenn der Kaiser ein König wäre.
Zu den im Kontext der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht mehr rekonstruierbaren Sinnesqualitäten gehören die Farben, das Licht, Wärme und Kälte, Geschmack und Geruch, der Klang, nicht zuletzt das Wort, die Sprache. Ist diese Abstraktion nicht ein verständlicher Vorgang, der sich erklären läßt aus dem Gesetz der „Veranderung“: Ich kann nicht mit den Augen des Andern sehen, mit seinem Gefühl fühlen, mit seinen Ohren Hören, mit seiner Zunge schmecken, mit seiner Nase riechen. Genau das ist aber der Effekt der subjektiven Formen der Anschauung wie auch des Weltbegriffs, daß jeder – ebenso wie er Rechts und Links nicht mehr unterscheiden kann – sich als Anderer für andere erfährt, dann aber mit seinen Augen nicht mehr sehen, mit seinen Ohren nicht mehr hören … kann.
Die Aufgabe, die der Philosophie heute gestellt ist, ist aber nicht die Rekonstruktion der sinnlichen Erfahrung, sondern die Rekonstruktion des Ursprungs der naturwissenschaftlichen Erkenntnis: Erinnerungsarbeit.
Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die List, mit der der Verstand gegen die Dinge sich durchsetzt. Das Angesicht ist die Realität des durchs Prinzip der Reversibilität Verdrängten: die Widerlegung der Vorstellung eines unendlichen Raumes, gegen die das Angesicht eine andere Unendlichkeit repräsentiert: den Blick des Andern.
Die Schamfalle: Der Angeschaute senkt den Blick, der Anschauende ist frech.
– Die Plagen an dem erkennen, wie sie hervorgerufen werden, was sie wem tun,
. das Blut,
. die Frösche,
. die Mücken,
. das Geziefer,
. die Pest,
. die Beulen und Geschwüre,
. der Hagel,
. die Heuschrecken,
. die Finsternis.
– Welche Plagen werden angekündigt, wie werden sie herbeigerufen?
– Bei welchen Plagen sagt der Herr „Laß mein Volk ziehen, daß es mir diene“?
– Und wie verhält es sich mit dem Opfer, das nach drei Tagen in der Wüste dargebracht werden sollte: Wann wird es wirklich dargebracht, was wird geopfert (das „Scheusal Ägyptens“)? Vgl. die Stelle in der Johannes-Apokalypse, das Sodom, Ägypten und Golgatha zusammenbringt?
Heinsohn/Steiger: Eigentum etc. (Hamburg, 1996).
. Wird hier nicht die Ökonomie in eine Engführung gebracht, aus der sie nicht mehr herauskommt?
. Erneut Berufung auf „kosmische Katastrophen“, kann sich gesellschaftliche Naturkatastrophen (trotz Auschwitz, für das er eine Spezialtheorie braucht) nicht vorstellen (vgl. S. 34)?
. Kennt Hegels Rechtsphilosophie nicht: Staat als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern (gemeinsamer Ursprung des Staats, des Welt- und des Naturbegriffs). -
20.3.96
Auch das Lachen hat Anteil an der Verurteilung und Diskriminierung, und im Lachen steckt ein magisches Erbe.
Das Lachen ist ein Instrument der Vergesellschaftung: Es macht die, die ins Lachen einstimmen, zu Komplizen (und die, die nicht einstimmen, zu Verrätern).
Das Dogma und die ihm zugrunde liegende Vorstellung, die Wahrheit sei in Urteilen faßbar, verdrängt den dämonischen Charakter des Urteils, es verdrängt den Verdrängungsprozeß selber, dem das Urteil sich verdankt. Diese Verdrängung erscheint dann in den Außenbeziehungen der Bekenntnislogik, in der automatischen Konstitution des Feindbildes, im Verrätersyndrom und in der Frauenfeindschaft.
Verweist nicht der Hegelsche Satz, daß das Wahre der bacchantische Taumel ist, in dem kein Glied nicht trunken ist, darauf, daß in der Logik des Dings das planetarische System sich widerspiegelt? War vielleicht die Astrologie der Versuch, die Momente des Dings, seine „Eigenschaften“, in der Sternenwelt zu begreifen? War die Astrologie der Chaldäer eine Vorstufe der Hegelschen Logik?
Hat die Neigung zur Astrologie wie auch die zur Religion heute etwas mit dem unendlichen Exkulpationsbedürfnis zu tun, das man versucht, über die Externalisierung von Schuld zu befriedigen?
Kann es sein, daß im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit eine Eigenschaft des Raumes sich ausdrückt, die in anderer Konstellation im Gravitationsgesetz sich manifestiert?
Muß man im sogenannten „Neuen Testament“ nicht jeden Text so verstehen, als wäre er der Schlüsseltext fürs Ganze?
War der Stier in der alten Welt das Symbol der äußeren imperialen Macht, und verliert der Stier in dem Augenblick seine symbolische Kraft, in dem die imperiale Macht (Babylon) politisch sich durchsetzt und zur alles durchdringenden Substanz der Wirklichkeit wird: zusammen mit dem Weltbegriff? Was wurde auf dem Marsfeld geopfert (vgl. Benveniste)? Abel brachte von den Erstlingen der Schafe und von ihrem Fett ein Opfer dar.
Daß das Joch nicht mehr mit der Last verwechselt werden soll, daß das Wort vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, unters Nachfolgegebot fällt, daß es dem Christen schlicht unerlaubt ist, die eigene Last andern als Joch aufzuerlegen, das rückt die Beziehung von Moral und Theologie in ein neues Licht. Es entzieht dem moralischen Urteil den Boden. – Hängt das Stiersymbol mit der Ursprungsgeschichte der Urteilslogik zusammen? Ist die transzendentale Ästhetik der Kelch und die transzendentale Logik der Stier?
Ist nicht das Futur II, die „zukünftige Vergangenheit“ die verurteilte (die „ausgelachte“) Zukunft? „Was wird schon gewesen sein?“ Drückt nicht der Kohelet „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ genau das Gleiche aus? -
3.3.96
Zum Brief von Antje Vollmer/Felix Ensslin: Der Verzweiflung die Mahnung auf den Weg mitzugeben „Verhärtet euch nicht“ ist zynisch (insbesondere wenn die Vermutung zutrifft, daß die hier Angeklagte zu denen gehört, die in der RAF zur Auflösung der Verhärtung beigetragen hat, und wenn die Befürchtung begründet ist, daß sie allein wegen ihrer Weigerung, sich als Kronzeugin zur Verfügung zu stellen, verurteilt werden sollte).
Dieser Prozeß ist nun wirklich alles andere als ein Dialog (Erklärungen der Angeklagten werden nicht zur Kenntnis genommen, bewußt und gezielt fehlinterpretiert, Fragen der Verteidigung an Zeugen und Beweis-Anträge, die darauf abzielen, die Vorgänge in Bad Kleinen (die Grundlage der Anklage sind) aufzuklären, werden unterbunden, abgelehnt. Der Eindruck, daß die Angeklagte als Feind und nicht als Angeklagte wahrgenommen wird, gründet u.a. in der offenkundigen Unterbindung jedes dialogischen Elements in der gesamten Verfahrensführung durch das das Verfahren beherrschende Gericht, das es nicht mehr für nötig hält, den Eindruck, Herr des Verfahrens sei die Bundesanwaltschaft, zu vermeiden.
(Das poker-face der „Persönlichkeit“, die „über der Sache“ steht, weil sie sich nie in die Sache eingelassen hat.)
Paßt hierzu nicht das Wort aus dem Lukas-Evangelium von der Bekehrung der Väter zu ihren Kindern?
Zum Begriff der Sünde: Die Abstraktion vom Gegenblick, die zu den Konstituentien der subjektiven Formen der Anschauung gehört, kehrt als subjektloser Blick der Welt wieder. Dieser subjektlose Blick der Welt ist es, der den Raum nach allen Seiten ins Unendliche öffnet (das kopernikanische System begründet).
Das Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ ist die theologische Verführung zum Konformismus. Es ist zugleich Teil der Gottesfurcht-Vermeidungs-Strategie, die die Theologie hinter dem Rücken Gottes begründet, und die Begründung des Schuld-Verschub-Systems, das im Christentum immer wieder mit der Sündenvergebung verwechselt worden ist.
Zwei Dinge, die schwer auseinander zu halten sind: die persönliche und die moralische Verletzlichkeit.
Ich wünschte mir eine Theologie wie auch einen politischen Diskurs, die endlich aus den Rechtfertigungszwängen sich befreien.
Subjektlosigkeit ist Herzlosigkeit. Deshalb gründet die Autonomie in der Barmherzigkeit.
Anmerkung zur Bekenntnislogik: Es gibt kein Bekenntnis ohne Feindbild, ohne Ketzerverfolgung und ohne Frauenfeindschaft. Das Bekenntnis ist ein Rechtsbegriff; hängt es nicht damit zusammen, wenn Juden an sich schuldig waren, während für Ketzer und für Hexen das Prinzip der Beweisumkehr galt: ihnen brauchte die Schuld nicht nachgewiesen zu werden, sie mußten, wenn sie in Verdacht geraten waren, ihre Unschuld beweisen (nach der gleichen Logik war das Gegenstück zum Confessor die Virgo; und deshalb ließ der Name der Büßerin für Maria Magdalena den Umkehrschluß zu: Sie muß es wohl schlimm getrieben haben).
Wie hängt diese Konstellation (Feind, Ketzer, Hexen und deren Beziehung zur Beweislogik) mit der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere mit der Selbstbegründung der Form des Raumes, zusammen (das Objekt ist das neutralisierte Feindbild, Repräsentant des an sich Schuldigen)?
Was bedeutet es eigentlich, wenn niemand mehr etwas dabei findet, daß im Bereich des § 129a die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten (durch entsprechende Gestaltung der Haftbedingungen, durch restriktive Besuchsregelungen, durch Überwachung der Post und durch Behinderung des Verkehrs mit den Verteidigern) weitestgehend eingeschränkt werden, während gleichzeitig den Ermittlungs- und Anklagebehörden ein Riesenapparat, den niemand mehr kontrolliert, und dessen Arbeit selbst im Strafprozeß, in dem die Ergebnisse dieser Arbeit ins Beweisverfahren mit einfließen, gegen den Einblick der Verteidigung durchs Gericht abgeschirmt wird, zur Verfügung steht? Geführt werden diese Prozesse von „Staatsschutz“-Senaten, also von politischen Gerichten, zu deren Aufgabe es dann aber zugleich gehört, ihre eigene Grundlage zu verleugnen. Es gehört zu den praktischen Prämissen des Verfahrens, daß die subjektive Dimension der angeklagten Handlungen (z.B. die wirklichen Ziele und Motive der Angeklagten) strikt ausgeblendet bleibt. So gerät das Verfahren unterm Zwang seiner eigenen Voraussetzungen in eine Engführung der Sachverhaltsermittlung, der Beweiserhebung und der Gesetzesanwendung, die nur noch die reine Objektbeziehung zur Angeklagten zuläßt (sie nicht durch die „Gesinnung“ der Richter, sondern durch die eigene Logik des Verfahrens, zum „Feind“ macht), ein gerechtes Urteil aber von vornherein ausschließt. Oder, um die Sprache von Frau Dr. Vollmer aufzunehmen: Ist es nicht diese „Logik des Verfahrens“, die zu den Verhärtungen beiträgt, die den Dialog so unendlich erschweren, wenn nicht ausschließen? Bekommt der Hinweis auf die Notwendigkeit des Dialogs angesichts dieses Verfahrens nicht einen zynischen Klang? -
21.2.96
Zur logischen Konstitution der gegenwärtigen Physik gehören
– die Universalisierung des Begriffs des Proletariats (der nicht durch die Armut, sondern durch die lohnabhängige Arbeit sich definiert) und
– der Zerfall der Staatssouveränität.
Der Begriff und die Vorstellung der anorganischen Materie (die Vorstellung des mechanischen Objekts, aber auch der Begriff der Ware) gründen in der verdinglichenden Gewalt des einheitlichen Zentrums des Objekts, sie sind Produkte der transzendentalen Ästhetik und ihrer drei Aprioris: der subjektiven Formen der Anschauung, des Geldes und der Bekenntnislogik, letztlich der Subsumtion unter die Vergangenheit. Ist nicht jeder Organismus ein System von Zentren (und verweist nicht die insbesondere durch die Form des Raumes vermittelte Vorstellung des einheitlichen Zentrums, des Gravitationszentrums des Körpers als räumlichen Punkts, die die Vorstellung der anorganischen Materie begründet, auf die Beelzebub-Geschichte: das Reich Beelzebubs zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins ist)?
Gehört die Beelzebub-Geschichte zur Geschichte von den sieben unreinen Geistern: Zuvor ging der eine unreine Geist „in die Wüste“, dort traf er die sieben anderen unreinen Geister, mit denen er in des „leere, gereinigte und geschmückte“ Haus zurückkehrte.
Das „Unum et verum convertuntur“ wurde allein durch die Sakramentenlehre gerettet. Es hat dann allerdings die Sakramente in den Orkus mit hereingezogen.
Manifestieren sich die verdrängten und unterdrückten Unterschiede der Identitätszentren (Adornos „Nichtidentisches“) nicht in den Unterschieden der Aggressionsabfuhr (in den Unterschieden der Identitätszentren der Bekenntnislogik, deren Feindbild- und Verräterlogik sich auf diesem Wege differenziert)?
Die politische Urgeschichte der Ökonomie (der Ursprung des Handels im „Fernhandel“: im Raub, in der Ausplünderung und in der Eroberung und Aneignung fremder Länder) liegt vor der Begründung des Tauschprinzips.
Der Satz aus den Feuerbach-Thesen, daß die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert haben, und es käme darauf an, sie zu verändern, richtet sich bereits gegen Definitionsmacht des Tauschprinzips (und des Trägheitsgesetzes). Wer nur über die Dinge urteilt, bleibt in den Verstrickungen der Interpretation (des Indikativs, der Bekenntnislogik). Er glaubt an die magische Kraft der Verurteilung.
Gibt es nicht schon eine Reihe von Fällen, an denen sich belegen läßt, daß heute Siege katastrophischer (weil selbstzerstörerischer) sind als Niederlagen (der Ausgang des Zweiten Weltkrieges, der Vietnam-Krieg, und jetzt die Implosion Jugoslawiens)? Welche Folgen wird der „Sieg der freien Marktwirtschaft“ haben?
Ende des Mythos: Siege haben die Kraft eingebüßt, ein neues Recht zu begründen. Erst jetzt erweist sich, daß das Christentum keine Siegerreligion ist. -
25.1.96
Die subjektiven Formen der Anschauung, der Raum, das Geld und die Bekenntnislogik, sind als Instrumente der Vergegenständlichung und Instrumentalisierung zugleich Instrumente der Verurteilung. Deshalb gehört zur Bekenntnislogik sowohl das Feindbild als auch die Opfertheologie. Der logische Grund dieser Konstellation läßt sich erkennen an der Trennung der Idee der Glückseligkeit von der der Solidarität, an die erstmals Kants Idee der Menschheit in uns, die die Philosophie von ihrer Stummheit befreit, wieder erinnert.
Zu Erde und Land gibt es noch die dritte Kategorie: den Acker.
– Den Acker muß Adam, der von ihm genommen ist, bearbeiten; der Acker trägt die Dornen und Disteln. Es gibt den Blutacker.
– Das Land ist das Land, das Gott Israel verheißen hat, in dem Milch und Honig fließt; allgemein die Länder, in denen die Völker wohnen (das Land Kanaan, das Land der Philister, das Land Mizrajim); es gibt die Götter des Landes (aber den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat). Das Land ist das Land der Väter; seit wann gibt es das Vaterland?
– Die Erde war im Anfang wüst und leer, und Finsternis über dem Abgrund und der Geist über den Wassern. Das Trockene, das sichtbar wurde, als das Wasser an einem Ort sich versammelte, nannte Gott Erde (und die Feste, die die Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb scheidet, nannte er Himmel). Die Erde ist der Schemel Seiner Füße, der Himmel Sein Thron; Gott hat die Erde gegründet, den Himmel aufgespannt. Zur Erde heißt es: macht sie euch untertan (wird zwischen Besitz, Eigentum und Herrschaft unterschieden?).
Wie steht das Haus zum Land, zum Acker, zur Erde?
Das Paradies war ein Garten, in den Gott den Menschen setzte und in dem er „Bäume aus der Erde wachsen ließ, lieblich anzusehen“. Ist nicht auch der Weinberg ein Weingarten, der Ölberg ein Ölgarten (Getsemane ist aramäisch und heißt Ölkelter, die Weinkelter ist ein apokalyptisches Symbol)?
Der Habermassche Medienbegriff (den er auf das Geld und die Macht, auf die Ökonomie und die staatliche Verwaltung bezieht) greift zu kurz: Korrelate des Geldes sind der Raum und die Bekenntnislogik, alle drei sind Instrumentalisierungen der Herrschaftslogik (oder auch Differenzierungen der kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“). Alle drei sind Logiken der Vergegenständlichung, sie sind im Objektivationsprozeß, dessen Geschichte sie beherrschen und begleiten, nicht selber sichtbar; sie konstituieren und entfalten sich im Rücken des Objektivationsprozesses, sie liegen sich selbst im blinden Fleck, sind nur in ihrer gegenständlichen Anwendung erkennbar. Daß die kantische Erkenntniskritik zugleich zum Kern der Gesellschaftskritik geworden ist, hängt mit den Beziehungen dieser drei „Medien“ zusammen. -
20.1.96
Die Formalisierung der Logik ist der Versuch, auch die Logik noch zum Gegenstand der transzendentalen Logik zu machen und logische Zusammenhänge durch (subjektunabhängige) Kausalzusammenhänge zu ersetzen (bezieht sich hierauf die habermassche Kritik der „Bewußtseinsphilosophie“?). So wird die transzendentale Logik zu einer Naturkraft, die als gegeben hinzunehmen ist, wobei die Kausalität abgespalten und aus einem erkenntnisbegründenden logischen in einen objektiven empirischen Sachverhalt transformiert wird (so auch Habermas, Bd. 2, S. 2??). Dem entspricht die Gegenprojektion (S. 234), die mythisches Denken reproduziert, indem sie die mythische Naturmetaphorik durch eine technologische (informationstheoretische) Metaphorik ersetzt, informationstheoretische Kategorien zur Darstellung stammesgesellschaftlicher Strukturen verwendet. Anstatt gesellschaftliche Verhältnisse in Naturkategorien zu begreifen, werden technologische Kategorien, die im Zusammenhang der Instrumentalisierung von Naturverhältnissen gewonnen worden sind, zur Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse herangezogen.
Merkwürdige Umkehrung: Habermas‘ „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ macht funktionalistische (technologische) Kategorien zum Modell von Rationalität. Die Kategorien, durch die hindurch man die Dinge sieht, werden selbst nicht mehr gesehen, sie werden in den blinden Fleck gerückt.
Das Beweisproblem ist mit der Mathematik (und mit dem Weltbegriff) entstanden, es hat sich entfaltet im Ursprung und in der Ausgestaltung des Rechts (Zeugenregelung).
Unterm Primat des Seitenblicks (des Blicks „von außen“) wird das Angesicht zum Objekt, das nur noch gesehen wird, selber aber nicht mehr sieht. Die Hereinnahme des Seitenblicks (des Blicks des andern, des Zeugen) in das eigene Sehen begründet die subjektiven Formen der Anschauung, das Instrument der Selbstbegründung der intentio recta. Die subjektiven Formen der Anschauen und die intentio recta sind ein Produkt der Vergesellschaftung des Sehens.
Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Entfaltung der Mathematik sich entfaltet haben, sind die Grundlage des mathematischen Beweises, des redundanten, sich selbst begründenden Beweises. Das Grundproblem der Mathematik und der subjektiven Formen der Anschauung ist die Orthogonalität, die Form der Beziehungen der Dimensionen im Raum, die als getrennte Dimensionen durch ihre orthogonalen Beziehungen hindurch sich konstituieren. Ist die Orthogonalität das Instrument der Veranderung, Produkt der Hereinnahme des objektivierenden Seitenblicks?
Der Abstraktionsprozeß, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich herausgebildet haben, wurzelt in der Bekenntnislogik; sie sind das Produkt der Neutralisierung der Bekenntnislogik, der Objektivierung der Verdrängung (Feigenblatt, Umkehrung des Schuldbekenntnisses, Verdrängung der Schuld, Konstituierung des Weltbegriffs). Im Kern der subjektiven Formen der Anschauung steckt die Opfertheologie (Joh 129; die „Entsühnung der Welt“, Teil der Neutralisierung der Reflexion von Herrschaft, gehört zu den Bedingungen der Selbstbegründung des Weltbegriffs).
Habermas hat in den Abgrund geschaut und ist zurückgeschreckt; die Entwicklung seiner Philosophie beschreibt eine Bahn, die als Fluchtbahn vor diesem Abgrund sich bestimmen läßt. Wobei er vergißt, daß es genau diese Flucht vor dem Abgrund ist, die in den Abgrund hineinführt.
Der ungeheuerliche Gedanke Levinas‘, daß das Problem der unendlichen Ausdehnung des Raumes sich im Angesicht des andern löst, ist vorgebildet in der Gesamtkonstruktion des Stern der Erlösung, die nichts anderes ist als die Entfaltung und Durchführung dieses Gedankens.
Kopernikus hat das Wasser und das Feuer im Namen des Himmels, realsymbolischer Inbegriff der Fragepronomina Was und Wer, durch die Beantwortung der Frage nach dem Wie ersetzt. Das heliozentrische System ist der Inbegriff (die erscheinende Totalität) des kontrafaktischen Urteils (der Antwort auf das Wie), das den Himmel erinnerungslos zum Verschwinden gebracht hat.
Was hat die Naturwissenschaft (das kontrafaktische Urteil als Totalität) mit dem Unzuchtsbecher zu tun? Liegt diese Frage nicht schon der Kritik der reinen Vernunft zugrunde (in der im Begriff der Erscheinung die Totalisierung der Frage nach dem Wie und im Ausschluß der Erkenntnis der Dinge an sich der Ausschluß der Frage nach dem Was und Wer sich manifestiert)?
Der Satz Roman Herzogs „Wir wollen das Entsetzen nicht konservieren“ distanziert sich von allen, denen die Schrecken des Faschismus in die Glieder gefahren sind, die das Entsetzen nicht loswerden. Und er macht gemeinsame Sache mit allen, die dieses Entsetzen nie erfahren haben und glauben, es durch Verurteilung des Geschehenen sich vom Leibe halten zu können. Er konserviert die universale Verdrängung, die die falsche Normalität nach dem Kriege ermöglichte. So steht er in der präsidialen Tradition des Begriffs der Kollektivscham. Seit Theodor Heuss diesen Begriff unters Volk brachte, haben die Deutschen gelernt, sich im Blick der andern zu sehen, sind sie von der Frage, was die andern über sie wohl denken mögen, nicht mehr losgekommen. – Welche neue Wendung drückt sich in dem Satz Roman Herzogs aus (der auf die exkulpierende Kraft der Verurteilung, auf das Abwerfen der Scham, auf die neue „Unverkrampftheit“, abzuzielen scheint)?
Wer die „Konservierung des Entsetzens“ (um die es nicht geht, der Ausdruck denunziert nur die Erinnerung) vermeiden will, konserviert das Entsetzen vor dem Entsetzen: die verdrängte Schuldreflexion, die dabei ist, in eine neue Qualität der Wut umzuschlagen.
Die Übertragung der transzendentalen Logik aus dem Medium der Naturerkenntnis in das des Rechts läßt sie nicht unverändert. Die Apriorisierung des Objektbegriffs macht den Angeklagten zum Feind; die transzendentale Ästhetik wird zurückübersetzt in die Bekenntnislogik (der das Feindbild sich verdankt); die synthetischen Urteile apriori werden singularisiert und zurückgeführt auf die reine Verurteilung, ein reines Subsumtionsurteil: unendlich schuldig (die Schwere der Schuld wird unermeßlich). Der Grund der Singularisierung des synthetischen Urteils apriori liegt in der Einheit von Projektion und Schuldverschiebung, die die Apriorisierung des Objekts im Feindbild erst ermöglicht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten hat ihr Maß am Gewicht der verdrängten (im Urteil durch Projektion nach außen abgeleiteten) Schuld des Staats, die ihr eigenes Maß an dem sich kontrahierenden Gewaltmonopol des Staates hat. -
18.1.96
Die psychotisierende Wirkung der Empörung genauer bestimmen. Die Verhaltenssicherheit, die man glaubt, durch Empörung (und Verurteilung) zu gewinnen, ist zu teuer erkauft (oder: die Adaptation der Bekenntnislogik ist zu teuer erkauft). Der Antisemitismus gehorcht paradigmatisch der Logik der Empörung: er ist die Verkörperung seiner Umformung und Perfektionierung zur transzendentalen Empörungs-Logik.
Die Bekenntnislogik ist das Ferment der Komplizenschaft. Durchs Dogma hat die Kirche sich auf die Seite derer gestellt, die den Kreuzestod zu verantworten haben: auf die Seite der Täter. Die Bekenntnislogik ersetzt die Umkehr durch die Logik der Verurteilung; die Verurteilung aber ist das Alibi für die Komplizenschaft, die sie zwischen dem Urteil und der Tat, die sie verurteilt, herstellt. So ist das Christentum herrschaftsfähig geworden.
Die logische Struktur der Verurteilung gründet in der Bekenntnislogik, in der gleichen Konstellation, zu der auch das Feindbild und die Frauenfeindschaft gehört, sie gehört zugleich zu den teleologischen Grundlagen des Urteils: sie schirmt den Begriff gegen die Empörung des Objekts ab, das in dieser Konstellation zum verdinglichten Objekt wird. Das Objekt (das Ding) ist das Produkt einer reaktiven Empörung: der ohnmächtigen prophylaktischen Abwehr der Empörung, durch die der Begriff über das Objekt sich erhebt, es unter sich subsumiert. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, ist darin begründet. Die Verurteilung ist die Verurteilung des Objekts zum Objekt.
Die Bekenntnislogik hat die Religion von ihrem politisch-ökonomischen Grund abgespalten und zu einem Herrschaftsinstrument gemacht.
Wodurch unterscheidet sich der jüdische vom griechischen Tempel? Und in welcher Beziehung steht der nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft wieder aufgebaute Tempel zum Tempel Salomos? Ist der salomonische Tempel historisch oder prophetisch (vgl. den ezechielischen mit dem salomonischen Tempel)?
Geschichte: Wie verhält sich die Frage: Wie es denn wirklich gewesen ist, zu den Fragen nach dem Was und dem Wer? Die kontrafaktischen Urteile beziehen sich nur aufs Wie (auf den durch die Logik des vergleichenden, moralischen Urteils definierten Erfahrungsbereich). Hängen nicht das Wer und das Was mit den Namen des Wassers und des Feuers im Namen des Himmel zusammen?
Wie hängen die Fragepronomina Wer, Wie und Was mit den bestimmten Artikeln, mit der, die und das (und insbesondere das Wie, das eigentlich ein Vergleichspartikel ist, mit dem femininen Artikel die) zusammen? Was hat das kontrafaktische Urteil (die kontrafaktische Vergleichbarkeit des Einmaligen) mit dem Weiblichen zu tun?
Beim Ding zielt das Wie auf die Eigenschaften, auf das, was es mit anderen Dingen gemeinsam hat.
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