Das gesellschaftliche Korrelat des Objektbegriffs ist das Feindbild. Deshalb ist die Kritik der Verdinglichung (die Kritik der transzendentalen Ästhetik) die genaueste Konsequenz aus dem Gebot der Feindesliebe. Der Indikativ aber ist die Objektsprache, er steht unter dem Bann der transzendentalen Ästhetik.
Opfertheologie, Verdinglichung und Verdrängung: Die Opfertheologie instrumentalisiert das Leiden, sie entbindet von der Pflicht zu helfen, indem sie dem Leiden einen Sinn gibt, sie begründet den Glauben (an die magische Kraft des Opfers und an eine jenseitige Vergeltung) und immunisiert die Gläubigen gegen die Wahrnehmung des Leidens der anderen, sie verstopft die Ohren gegen den Schrei der Opfer. Die Empfindung, deren Gegenstand das eigene Leiden ist, wird von der Sensibilität für das Leiden anderer getrennt; die Spur dieser Empfindung ist das Ich, die Subjektivität, das Bewußtsein: die Person. Empfindung und Sensibilität werden zulasten der verdrängten Sensibilität durch den hier entspringenden Weltbegriff (als Bewußtsein und Unbewußtes, Ich und Es) getrennt. Die Opfertheologie ist das Instrument des strengen Gerichts, für sie gilt der Satz: Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit.
Die doppelte Bedeutung des Wortes Gericht beruht nicht bloß auf einer Äquivokation, die getrennten Bedeutungen verweisen vielmehr auf einen gemeinsamen, mit dem Ursprung des Weltbegriffs zusammenhängenden Ursprung (Zusammenhang mit Sein, Sinn, Zeugung).
Frohe Botschaft und Gute Nachricht: Botschaft und Nachricht unterscheiden sich wie Gebot und Gericht. Zum Gebot gehört der Bote (der Engel), die Nachricht bezieht sich auf den Empfänger wie das richtende Urteil auf den Angeklagten. Sind heute nicht alle Zuschauer, die tagtäglich dem Schauprozeß beiwohnen, in dem sie Angeklagte sind und gerichtet werden, nur daß sie’s nicht merken? Die „Gute Nachricht“ ist die milde Lüge, die sie über das wahre Urteil (das synthetische Urteil apriori, das, indem es über andere gefällt wird, über den Richtenden selber ergeht) hinwegtäuscht (Beitrag zur Genesis und Logik des Erbaulichen).
Die subjektiven Formen der Anschauung sind die synthetischen Urteile apriori, die, indem sie über andere gefällt werden, über die Urteilenden selber ergehen. Deshalb sind sie die apriorischen Objekte der Antinomien der reinen Vernunft: Verkörperungen der Grenzen der Beweislogik. Die subjektiven Formen der Anschauung begründen und neutralisieren die Asymmetrie zwischen mir und dem Anderen.
Feindbildlogik
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19.9.1995
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13.9.1995
Der Objektivationsprozeß spielt sich nicht allein „draußen“ (außerhalb des Bewußtseins) ab, er begreift vielmehr das objektivierende Subjekt selber mit ein. Die subjektiven Formen der Anschauung (das Instrument der Objektivierung) trennen nicht nur Subjekt und Welt, sondern verweltlichen auch das Subjekt. Die transzendentale Ästhetik affiziert Welt und Subjekt zugleich. Die Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung gründet in dem Schein, daß das Bewußtsein, wenn es sich auf objektive Sachverhalte bezieht, von der Selbstreflexion (und d.h. von der Schuldreflexion) glaubt absehen zu können.
Die subjektiven Formen der Anschauung: ein Instrument der Angstverstärkung durch Angstvermeidung und umgekehrt.
– Erinnerung an einen Traum, den ich vor vierzig Jahren hatte, in dem ich die Lösung des Problems der Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Mikrophysik (zu den Naturkonstanten der Mikrophysik und zum Korpuskel-Welle-Dualismus) gefunden, dann aber beim Erwachen wieder vergessen hatte.
Im Hogefeld-Prozeß ist ein gerechtes Urteil schon deshalb nicht zu erwarten, weil das ganze Verfahren unter dem Bann des Feindbildes steht. Aber hat dieses Feindbild-Konstrukt nicht seine Wurzeln im Strafrecht: im Falle des Mordes wird nicht die Tat sondern der Täter bestraft. Mord ist nicht nur ein Tat-, sondern (als Täter-) zugleich ein Gesinnungsdelikt (zu den Tatbestandsmerkmalen gehören „niedrige Beweggründe“). -
8.9.1995
Anblick und Angesicht: Die subjektiven Formen der Anschauung trennen den Anblick vom Angesicht (das Sehen vom Hören), fundieren und fixieren die intentio recta, verdrängen jede Erinnerung an eine Alternative dazu. Das Angesicht (Verkörperung des Gegenblicks und Widerpart des Anblicks) bezeichnet einen sprachlichen Sachverhalt. Es wird repräsentiert sowohl vom Angesicht Gottes als auch vom Angesicht der Kinder. „Wissende“ Kinder (Kinder ohne Angesicht) sind Kinder, deren Vertrauen in die Welt enttäuscht wurde (Schule in der verwalteten Welt drohen zu Produktionsstätten „wissender“ Kinder zu werden; im Angesicht der Kinder leben heißt, die Welt so hell machen, daß Kinder in ihr nicht mehr endgültig enttäuscht werden können. Kinder weinen, bevor sie sprechen (Kindern das Weinen verbieten heißt, sie am Sprechenlernen hindern; Jungen dürfen nicht weinen: mit der Erinnerung ans Weinen wird der Sprachgrund, die erkennende Kraft des Namens, gelöscht, hier entspringt das Lachen, Produkt der verdrängten Erinnerung an das Angesicht im Lächeln des Kindes); Erwachsene lachen, wenn sie aufhören zu sprechen: durchs Lachen (durchs schallende Gelächter) schaffen sie eine Gemeinschaft von Stummen, die eine Bekenntnisgemeinschaft ist; Lachen ist die Ursprungsgestalt der Bekenntnislogik, ihr genauester Ausdruck (mit Feindbild, Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft). Jedes Bekenntnis (und das drückt in dem durch seine Beziehung zum Bekenntnis definierten Begriff des Glaubens sich aus) ist ein Auslachen dessen, was es als seinen Inhalt ausgibt (sh. den Streit um das Kruzifixurteil, in dem alle Heuchler sich zusammenfinden). In der Konsequenz seiner eigenen Logik ist der Glaube blasphemisch.
Die indoeuropäischen Sprachen haben das Lachen (und damit die Bekenntnislogik) zum Grund ihrer sprachlogischen Organisation gemacht (das Substantiv ist das ausgelachte Nomen – der bestimmte Artikel im Hebräischen mit dem sprchlichen Ausdruck des Lachens identisch -, die letzte Konsequenz aus dem Neutrum, an dessen Ursprung und Geschichte die der indoeuropäischen Sprachen sich erkennen läßt; das symbolische Korrelat des Neutrum in der Schrift ist die Schlange). So sind die indoeuropäischen Sprachen zu Herren-, zu Männer- und zu Weltsprachen geworden. – Was heißt im Anblick dieser Sprachlogik „Heiligung des Gottesnamens“?
Die Bildung des Neutrum gründet in der Vergegenständlichung der Vergangenheit (in der Bildung der grammatischen Vergangenheitsform, die dann die Bildung der Futur- und Präsensformen nach sich zieht: in der Vorstellung des Zeitkontinuums). Hier – durch die reflexive Gewalt des Gerichts über die Vergangenheit, die die Richtenden unter das Gericht der Vergangenheit stellt – entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens der Objektbegriff (und in seiner Folge das Substantiv, als Form der Vergewaltigung des ausgelachten Namens).
Hören und Sehen: Die Beziehung von Wasser und Feuer im Namen des Himmels gründet in der sprachlogischen Beziehung des Namens zur Vergangenheit. Durch die Subsumtion der Dinge unter die Vergangenheit, durch die sie zu Objekten des Wissens werden, wird die erkennende Kraft des Namens (das „Feuer des Himmels“) gelöscht. Wer den Himmel offen sieht, sieht in einen Raum, der erst mit der Sprengung der Formen der Anschauung sich öffnet: in einen Raum, dessen Form in der Kraft des Namens sich bildet und öffnet.
Hören (nicht Gehorsam), Armut und Keuschheit: Die erkennende Kraft des Namens wird durch die subjektiven Formen der Anschauung, durch die Eigentumslogik (die als dessen innerstes Prinzip den Staat begründet und beherrscht) und durch die Bekenntnislogik (die die Idolatrie, die Religionen, begründet) gelöscht.
Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß „die Distanz zum Objekt … vermittelt (ist) durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, wäre dahin zu ergänzen, daß diese Distanz seit ihrem Ursprung in bestimmbaren Institutionen sich verkörpert, selber dingliche Form annimt: im Tempel, im Geld und in der Schrift. Alle drei Institutionen haben einen gemeinsamen Ursprung und erzeugen selber ihren gemeinsamen Grund: den Staat.
– Der Tempel, die Konzentration des Göttlichen an einem Ort, war auch ein Mittel des Kampfes gegen die Magie, ein Instrument der Entzauberung der Welt (die in dieser Entzauberung als gegenständliche Welt sich konstituiert);
– das Geld, das im Kontext der Schuldknechtschaft und nicht im Tausch entspringt (wie auch das Inertialsystem zwar in der Analyse der Stoßprozesse sich bewährt, aber ohne die Ordnung des heliozentrischen Systems, das im Gravitationsgesetz seine Begründung findet, nicht sich herausgebildet hätte) war das erste Instrument, das Herrschaftsbeziehungen in sachliche, gegenständliche, selber wieder beherrschbare Beziehungen von Dingen („Waren“) transformiert;
– und die Schrift, die die Sprache über das Hören, über ihren affektiven und dialogischen Ursprung hinaustreibt, ihre objektivierende Gewalt (und die dieser Gewalt fundierende, sie unterstützende sprachlogische Struktur: die durchgebildete Grammatik) begründet, hervorbringt und stabilisiert, eröffnet damit den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß. -
11.8.1995
Zur Kritik der platonischen Idee des Guten: Ist diese Idee nicht durch ihre Beziehung zur Subjektivität (das Gute ist immer ein Gutes für jemanden) zu unterscheiden von der prophetischen Utopie: Wenn Friede und Gerechtigkeit sich küssen. Der Baum der Erkenntnis ist der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Mit der Idee des Guten ist nur der Nationalismus zu begründen, der Staat.
Das Gute ist schon in der Genesis aufs Sehen bezogen (und Gott sah, daß es gut war): Dazu gehört dann das spätere „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“.
Worauf bezieht sich der Name im „Geheiligt werde Dein Name“? Es ist der im Vaterunser (wie im gesamten Neuen Testament) nicht genannte Name des Vaters, nicht der Vatername.
Der „Weltuntergang“ der Apokalypse bezeichnet die Welt als Untergang, das katastrophische Moment in der Ursprungs- und Entfaltungsgeschichte des Weltbegriffs, nicht den „Untergang“ einer bestehenden Welt. Das ist schon die (angsterzeugende statt -verarbeitende) Fehlinterpretation der Apokalypse durch die Herrschaftsreligion, Produkt der projektiven Verarbeitung der Apokalypse. Die Konstituierung des Weltbegriffs ist der Weltuntergang. Und die Welt, die alles ist, was der Fall ist, ist das Bild des vollendeten Weltuntergangs.
Der Weltbegriff und die Feigenblattsprache der Theologie.
Die Botschaft der Welt oder der Ursprung der Bekenntnislogik: Man darf kein Verlierer sein, und: Mit Verlierern darf man kein Mitleid haben. Das aber heißt: Auch mit sich selbst darf ein Verlierer (und das sind eigentlich alle) kein Mitleid haben. Wer schon kein Gewinner ist, sollte sich wenigstens in den Gewinner einfühlen, mit ihm sich identifizieren. Damit aber sind das Feindbild (der Antijudaismus), das Verrätersyndrom (die Ketzerverfolgung) und die Frauenverachtung (die Hexenverfolgung) vorprogrammiert. Wer die Katastrophe, selbst ein Verlierer zu sein, verdrängt, macht sie damit erst zur Katastrophe. Und der Barmherzige, der in die Verlierer sich einfühlt, wird stellvertretend selber als Verlierer verfolgt. Als „heile Welt“ gilt eine Welt, in der nichts mehr an das Verdrängte erinnert.
Politische Ökonomie: Der Exodus aus dem Sklavenhaus Ägypten gehört zur Vorgeschichte des Königtums, des Hauses Israel und Juda, die babylonische Gefangenschaft, die Etablierung der Weltreiche, zur Ursprungsgeschichte der „jüdischen Religion“: der Prophetie, des Weltbegriffs, der Geldwirtschaft und des Staates.
Nach Polanyi liegt der Ursprung des Handels im Außenhandel, im Naturverhältnis der Völker untereinander. Durch den Handel dringt eine Konstellation, die ihre Wurzeln in den Außenbeziehungen der Völker, in der „Außenpolitik“, hat, ins Innere der Staaten ein: die Konstellation von Sklaventum, Schuldknechtschaft, Tempelwirtschaft und Geldwirtschaft (Anfänge der Subsumtion des Geldes, von Grund und Boden und der Menschen unters Tauschprinzip). Wird heute – mit in der globalen Schuldenkrise – nicht die Armut in die gleiche Bewegung (in den gleichen Strudel) hereingezogen? Und ist diese politisch-ökonomische Geschichte nicht zugleich der Grund der Bewußtseinsgeschichte, und sind beide nicht durch die Sprache und durch deren Beziehung zum Gottesnamen mit einander verbunden?
Die Unendlichkeit ist das Resultat der Division durch Null. Die Division durch Null, die Null als Nenner, ist das logische Prinzip des Raumes, der Beziehung der Dimensionen des Raumes (der Orthogonalität). Haben die Nichtse im Stern der Erlösung etwas mit diesen Nullen zu tun?
Ist das N-ich-ts, das isolierte, aus der dialogischen Beziehung der Sprache und des Sehens herausgelöste Ich (worauf beziehen sich das Präfix N und das Suffix ts, das pluralisierte deiktische t)? -
3.8.1995
Es gibt eine Tradition der Wut, die über die Feindbilder der Fremdheit sich fortpflanzt (über Juden, Zigeuner, Heimatvertriebene, Kommunisten, Ausländer, Asylanten). Wie sehr diese Wut schon den großen abendländischen Traditionen immanent ist, mag man an den Namen der Barbaren, der Juden, der Heiden, der Ketzer, der Wilden erkennen. Aus der politisch-gesellschaftlichen Verinnerlichung dieser ursprünglich nach außen (gegen Fremde) gerichteten Tradition stammen das Strafrecht und die Knäste, die dem Rachetrieb eine gesellschaftliche Form und Legitimation geben. Die Geschichte der politisch-gesellschaftlichen Verinnerlichung der Wut ist die Ursprungsgeschichte des Staates, ihre biblischen Realsymbole sind nach Sodom, Jericho und Gibea insbesondere Ägypten und Babylon.
Was ist es, was die Gläubigen so wütend macht, so leicht in Rage versetzt?
Feind-Wahlverwandtschaften: Es gibt kein Feindbild ohne projektiven Anteil, ohne Wahl.
Verwaltete Welt: Seit dem nationalsozialistischen Programm der „Endlösung der Judenfrage“ gleichen Verwaltungsmaßnahmen immer häufiger paranoiden Präventivschlägen (gegen die chaotischen Massen der durch Verwaltung zu Betreuenden: der Schüler, der Fürsorgeempfänger, der Gläubigen, der Arbeitslosen, der Kranken, der Steuerzahler, der Asylanten, der Spaziergänger).
Die Geschichte vom Sündenfall auf die Ursprungsgeschichte des Dogmas beziehen: mit dem Hellenismus als Schlange, der Kirche als Eva, dem Kaiser als Adam und dem Dogma (und dem Sakrament) als der (verbotenen) Frucht vom Baum der Erkenntnis. – Für Augustinus war das Symbolum noch ein Sakrament. Erst die Scholastik hat das Dogma vom Sakrament getrennt: So ist sie zur Ursprungsgeschichte der Aufklärung geworden.
…, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris: Das Sündenvergeben ist ein Teil des parakletischen, des verteidigenden Denkens. Hier ist der Punkt, an dem der Anspruch der jesuanischen Botschaft über Ezechiel hinausgeht. Das Amt des Ezechiel war das des warnenden Propheten. Nachdem die Warnung (vor einer Zukunft) zum Urteil (über etwas Vergangenes) verdinglicht war, mußte die neue Gestalt der Prophetie parakletisch sein (durch Erinnerung vermittelt).
Die Beichte hat durch die sakramental verdinglichte Rollenverteilung das Sündenvergeben vom Tun (von der Versöhnung) getrennt, es zum konsumistischen Akt remythisiert. -
20.6.1995
Der Herr Prof. Dr. Thomas Feuerstein hätte die Fragen in seinem Leserbrief in der FR vom 19.06.95, bevor er sie stellte, nur einmal kurz auf Auschwitz anwenden sollen; vielleicht hätte er dann die Infamie bemerkt, die in Fragen, wie: „Wer leidet zu Recht, wer zu Unrecht? Wer erinnert mit welcher Absicht?“ steckt. Gibt es nicht eine Realität des Leidens, in deren Anblick das „Verständigungsapriori“ zynisch wird?
Prinzipieller Ideologieverdacht: Ist das nicht eine Definition des Zynismus (und ist nicht der Zynismus die Sensibilität des Paranoikers)? Dazu gehört die aus der Logik des Marktes abgeleitete Vorstellung, von Betrügern umgeben zu sein: der Bettler mit dem Mercedes, die Arbeitslosen, die bloß nicht arbeiten wollen, die Asylanten, die nur an unserem schwer erarbeiteten Wohlstand teilhaben wollen, während Organisationen wie amnesty international, pro asyl, medico internationational nur darauf aus sind, die „Autorität der Leidenden“ zu vermarkten. Der prinzipielle Ideologieverdacht gehorcht einer Logik, die ihrer eigenen Schwerkraft nach dahin tendiert, die Realität des Leidens überhaupt zu leugnen, damit aber – und insofern gehört die memoria passionis zu den Grundlagen der Theologie – die Objektivität der Wahrheit.
Mit dem bundesanwaltschaftlichen Konstrukt „anschlagsrelevanter Themen“ gewinnen Zynismus und Paranoia Rechtsqualität: Hier wird die Wahrnehmung des Leidens und der öffentliche Hinweis darauf unter strafrechtliche Normen subsumiert, der Ideologieverdacht zum Kriminalitätsverdacht erweitert, die „Autorität des Leidens“ unter Terrorismusverdacht gestellt. (Es gehört zu den „Leistungen“ der raf, diese Logik gefördert zu haben.)
In welcher Beziehung stehen die drei Versuchungen Jesu zur Verführung durch die Bekenntnislogik (Feindbild, Verrätersyndrom, Frauenfeindschaft)?
Licht, Schatten und Finsternis gibt es nur fürs Auge. Die Qualität von Licht, Schatten oder Finsternis ist physikalisch nicht einsichtig zu machen, die Physik befaßt sich nur mit den Techniken ihrer Erzeugung. -
7.6.1995
„Was dir auch begegnet, es war dir von Ewigkeit her vorbestimmt …“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, X, 5). Dieser Satz konvergiert mit dem berüchtigten Hegelschen Satz „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ (Vorrede zur Rechtsphilosophie), von dem er (inhaltlich) nur durch zwei Momente unterscheidet: durch die persönliche Ansprache des Lesers, durch das Du („Was dir auch begegnet“), und durch die Bezugnahme auf die Ewigkeit, deren Begriff hier freilich von dem des „Überzeitlichen“ sich nicht abzuheben scheint, was den Satz in die gleiche Schicksalslogik bannt, die auch den Hegelschen Satz durchherrscht. Erst der Sprachsinn der Ewigkeit, der von dem des Überzeitlichen dadurch sich unterscheidet, daß er jede Vergangenheit von sich ausschließt, der dann allerdings auch die Ersetzung des Präteritums (war) durch das Präsens (ist) erforderlich macht, vermag dem Satz einen nachvollziehbaren Sinn zu geben, dessen genaue Formulierung so lauten könnte: „was dir auch begegnet, seiner Wahrheit wirst du nur im Lichte des Ewigen (im Lichte des göttlichen Angesichts) inne“. – Hat nicht das kontrafaktische Urteil (ein Instrument des Schuldverschubsystems) genau die Funktion, die Gegenwart von der Last der Ethik zu befreien?
Wer die Last der Schuld auf sich nimmt, befreit sich von ihr; wer sie verdrängt, befreit sich von der Last der Ethik.
Zivilisationsbruch: Auschwitz hat den Planeten aus seiner Bahn geworfen; er ist zu einem Kometen geworden, der nur ihm Augenblick noch einer stabilen Planetenbahn ähnlich sieht.
Auschwitz hat die Theodizee widerlegt (sie als ein Scheinproblem erwiesen, mehr noch: als das Harakiri der Theologie). Die Theologie (oder die Existenz Gottes) wird durch Auschwitz weder bewiesen noch widerlegt. Die Vorstellung, daß das Gute an seinem weltlichen Erfolg erkannt werden kann und das Böse am Mißerfolg als Ausdruck der Strafe, die es unweigerlich nach sich zieht, ist blasphemisch, sie instrumentalisiert die Religion, macht sie zur Religion für andere, sie entzieht der Religion ihren einzigen Grund, den ethischen. Insbesondere für die, die in der Tradition der Täter stehen, für Christen und für Deutsche, müßte der Gedanken, daß Gott sich für Auschwitz rechtfertigen müsse, schon im Ansatz sich von selbst verbieten.
Marc Aurel spricht von der „Mutter Natur“ und von der „Welt, die dich zeugt“ (X, 7 und XII, 1).
Gott hat die Welt aus Nichts erschaffen, warum nicht die Natur?
Allwissend: Beispiel dafür, daß schon ein einzelner Begriff sich selbst widersprechend sein kann.
Wenn es Leben auf andern Sternen gibt, dann braucht man es auf dieser Erde nicht zu achten.
Inversion: Das Feindbild gehört zur Bekenntnislogik, weil es das Schuldverschubsystem begründet. Das „Glaubensbekenntnis“ ist die Umkehrung des Schuldbekenntnisses; es löst sich auf, wenn ich die Sünde der Welt auf mich nehme (wenn ich des Schuldverschubsystems, der Projektion, nicht mehr bedarf.
Nekrophilie: Nach der Apokalypse gibt es am Ende eine Zeit, in der die Menschen den Tod suchen, ihn aber nicht finden werden. -
10.5.1995
Actus purus oder die raf und die Logik der Schrift: Müßte nicht die raf, wenn sie konsequent wäre, die Akten zu Objekten ihrer Aktionen machen und nicht die, die sie nur bearbeiten, von ihnen abhängig sind und in ihnen den Grund ihrer Existenz finden? Eine Revolution, die nur auf den Austausch von Charakermasken hinausläuft, ist keine.
Quod non est in actis, non est in mundo: In den Akten legen die Herrschenden den Grund der Welt, über die sie herrschen.
Zu Joh 203ff: Fällt nicht die Entwicklung der Vorstellung des Raumes unter den Text aus dem Symbolum: „gekreuzigt, gestorben und begraben“? Und ist nicht die Natur das (am Ende leere) Grab und die Welt der Stein vor diesem Grab?
Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: sy ei Petros kai epi tautä tä petra oikodomäso moy tän ekklesian. Was drückt sich sprachlogisch in dem „tu es Petrus“ aus? Welche seiner Jünger spricht Jesus auf diese Weise „persönlich“ an? Ist das Du bist nicht ein Echo des Ich bin’s? Bei der Bekehrung des Saulus vor Damaskus spricht ihn die Erscheinung mit „Saulus, Saulus“ an; den Namen Paulus erhält Saulus erst anläßlich des Besuchs bei dem Statthalter Sergius Paulus auf Cypern: Der neue Name wird ihm nicht von Jesus verliehen (wie der Name Petrus dem Simon), sondern mit der lakonischen Bemerkung eingeführt „Saulus, der auch Paulus heißt“ (Apg 139).
Aufmerksamkeit (das natürliche Gebet der Seele) ist die in eine Wahrnehmung mit hereingenommene (und sie verändernde) Reflexion auf den Andern. Mit der Reflexion auf die Empfindung wird die Aufmerksamkeit (das Gebet) aus der Wahrnehmung ausgetrieben.
Steckt nicht in der Erinnerungsarbeit der Keim der Befreiung des Vergangenen, und läßt sich nicht aus diesem Konzept der Erinnerungsarbeit der Grund entnehmen, sich mit den Erfahrungen (nicht mit den Taten) der raf ernsthaft zu befassen (und die Zwangslogik, die ebenso wie die Taten und die Erfahrungen der raf dann auch den Staat und die raf – über das Feindbild beider – aneinander fesselt, endlich zu sprengen)? -
19.4.1995
Nicht der leere Raum, sondern der Begriff der trägen Masse bezeichnet den horror vacui aufs genaueste: nämlich an seinem Objekt. Produziert nicht die neoliberale Wirtschaftspolitik heute das ökonomische Äquivalent des horror vacui? Bei Jeremias erscheint dieser Sachverhalt in dem prophetischen Wort vom „Grauen um und um“ und im Bilde von „Schwert, Hunger und Pest“. Die moderne Geschichte beginnt mit der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip: mit der Produktion der Armut, die man dann ausbeuten kann; sie endet mit dem Entzug der vergesellschafteten Arbeit: mit der Überproduktion von Armut in einer Welt, in der es unmittelbare Verwertungsmöglichkeiten hierfür nicht mehr gibt. Heute verzehren bereits alle, die noch überleben, die Häuser der Armen, die keine Chance mehr haben.
Das Angesicht Gottes ist kein Gegenstand der Anschauung; und in Seinem Licht die Dinge sehen, heißt: die Dinge im Licht der Sprache sehen. „Laß leuchten, Herr, Dein Angesicht“: Dieses Leuchten ist das Wort. Der Sündenfall der christlichen Theologie war es, als die Kirche glaubte, das Angesicht Gottes zu einem Gegenstand der Anschauung machen zu können, als sie die Schamgrenze, die das Anschauen von der Wahrheit trennt, glaubten überspringen zu können. So ist die Religion zu einem Herrschaftsinstrument geworden. Und das war der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen. Dieser Kelch war in der Tat der Grund seines Todes.
Nach Auschwitz: Hat nicht, wer Auschwitz überlebt hat, den Weltuntergang überlebt? Auschwitz ist das Opfer, das nicht mehr sich instrumentalisieren läßt, sondern nur noch nach Barnmherzigkeit schreit.
Im Hogefeld-Prozeß die transzendentale Logik studieren: die Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori. Grundlage ist die selbstlegitimierende und -rechtfertigende Gewalt einer transzendentalen Vorurteils-Ästhetik (die in der Beziehung von Staat und Anschauung, in der Logik der Weltanschauung, gründet), zu der die Antinomien, auf die sie hinausläuft, längst verdrängt worden sind.
Die raf-Prozesse beweisen insgesamt, daß die Selbstrechtfertigung des Staates nur im Kontext eines Feindbildes möglich, der den Vernichtungstrieb, der zur Konstruktion des Staates gehört, legitimiert.
Enthält nicht auch das Konzept der subjektiven Formen der Anschauung (mit dem Objektbegriff, zu dessen Konstituentien sie gehören) das verdrängte Feindbild, die verdrängte Paranoia und die verdrängte Frauenfeindschaft?
Zum Begriff der Materie oder das steinerne Herz der Welt: Der Massenbegriff bezeichnet zwei scheinbar getrennte Sachverhalte:
– die physikalische „träge Masse“ (in der alle Unterschiede, die der verschiedenen Materien und die ihrer sinnlichen Qualitäten, verschwinden) als auch
– die gesellschaftliche Form des Kollektivs, in der die Individualität verschwindet, sich auflöst, und Kollektivität, das Anderssein aller, den Schein des Substantiellen gewinnt.
Die Masse ist eine Erscheinung im Bannkreis von Herrschaft: In der Masse wird das Substrat, ohne das es Herrschaft nicht gibt, das Objekt von Herrschaft, zu einer Gewalt, die dem Herrn seine Selbständigkeit raubt, ihn zu einer Funktion ihrer selbst macht. Masse ist das Sich-auf-sich-selbst-Beziehen des Objekts von Herrschaft, die gegen den Herrn ihre Trägheit geltend macht, ihn so in den Bann ihrer Trägheit zieht, als Herr des Herrn sich etabliert. Im Begriff der Masse wird „mit Rind und Esel zusammen“ gepflügt (Dt 2210): wird die Differenz von Joch und Last verwischt. Keiner weiß mehr, daß die Last, unter der er stöhnt, dem gleichen Joch sich verdankt, das alle allen auferlegen. Logische Äquivalente dieses Jochs sind
– eine Moral, die nur noch als Maßstab des Urteils über andere, jedoch nicht mehr als Gebot: als Richtschnur des eigenen Handelns, begriffen wird, und
– eine Form des Bekenntnisses, die seinen Inhalt neutralisiert (ihn austauschbar macht), das Bekenntnis selbst jedoch instrumentalisiert, mit der Folge, daß niemand auf den Gebrauch seiner Funktion, als Bekenntnis für andere ein Instrument der Herrschaft und Kontrolle über alle anderen zu sein, mehr verzichten kann.
Der Kern des Massenbegriffs ist der einer ethischen Verblendung: der Schein der Unschuld als objektiver Grund des universalen Schuldzusammenhangs. Im Begriff der Masse erfüllt und vollendet sich das Schuldverschubsystem.
Das Sehen führt in das stumme Innere der Gattung; auch Tiere urteilen, wenn sie ihrem Selbsterhaltungstrieb folgen. -
9.4.1995
Nehmen die Kerubim in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte und in der Vision des Ezechiel die Stelle ein, die im Schöpfungsbericht die Feste des Himmels einnimmt? (Der Herr der Heerscharen ist der, der auf den Kerubim thront; aber: der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße.)
Bei Ezechiel kommt der Name des Himmels nur als Äquivalent der göttlichen Gesichte und als Attribut der Vögel und der Sterne vor (und nicht als der Thron). – Und in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte? Hat die Schlange etwas mit der Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern scheidet, und mit den großen Seetieren zu tun (am Ort der Scheidung, am Eingang des Paradieses, lagern die Kerubim)?
Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt: Ist das das Buch, das der Apokalyptiker ißt, und es ist „im Munde süß, im Magen bitter“? Im Munde süß: Ist das nicht die sapientia?
Haftet nicht an der Lehre von den vier Elementen (und den vier humores) der Mangel, daß das Bittere und das Süße darin nicht vorkommt (nur die äußeren, quasi physikalischen Qualitäten: trocken und feucht, warm und kalt)?
Grimm und Zorn sind durch ihre Richtungsdifferenz zu unterscheiden: Was als Zorn nach außen sich kehrt, geht als Grimm nach innen.
Die Beziehung des Kelches zu den subjektiven Formen der Anschauung gründet in der beiden gemeinsamen Abstraktion von der Gottesfurcht.
Haben die Verben erschaffen, creare und ktizein (hebr. bara) außer ihrer gemeinsamen Bedeutung auch gemeinsame Konnotationen?
Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit – endlich lesen? Reflektiert nicht der Begriff der Öffentlichkeit die Herrschaft des männlichen Blicks (den objektivierenden Bann des Weltbegriffs), und sein „Strukturwandel“ die Geschichte dieses männlichen Blicks? Gründet der habermassche Begriff der Kommunikation, des Diskurses, sein Begriff der Objektivität als Intersubjektivität, nicht in dieser Konstellation, auch seine Weigerung, Natur in die Reflexion mit aufzunehmen? Zugrunde liegt die Neutralisierung der dialogischen Struktur der sprachlich fundierten Objektivität, die Leugnung des Lichts (oder die Leugnung der Scham, der Wurzel der asymmetrischen Struktur des Begriffs der Objektivität, auch der „Öffentlichkeit“: die Scham ist zusammen mit ihrem objektivitätsbegründenden Pendant, dem Weltbegriff, der Grund der Asymmetrie zwischen mir und dem Andern).
Kritik des Absoluten: Das Eine ist nicht nur das Andere des Anderen. Die Beziehung des Einen zu seinem Anderssein (zu seinem Sein-für-Andere) ist asymmetrisch: Die Scham bezeichnet die Grenze. Die Idee des Absoluten leugnet diese Schamgrenze; sie begründet den Objektbegriff und eröffnet das Reich der Gemeinheit.
Urbild der Gemeinschaft ist die Schicksalsgemeinschaft: die Volksgemeinschaft. Zu den Gründen jeder Gemeinschaft gehört die Bekenntnislogik; wie diese ist die Gemeinschaft ein Produkt der Vergesellschaftung, kein Ausweg daraus. Die Gemeinschaft transformiert die Asymmetrie der Scham ins Kollektiv: Der schambegründende (und so die Gemeinschaft „zusammenschweißende“) Außenblick wird dingfest im Feindbild (dem stärksten Kitt jeder Gemeinschaftsbildung).
Die raf hatte diese ungeheure Bedeutung, dem Feind im Innern der Gemeinschaft ein Symbol zu geben. In dieser neuen Konstellation, die die Nachkriegsära kennzeichnet, gehört zur Gemeinschaft als Gegenbild die Bande (Produkt der Externalisierung der Familienbande). – Gehört nicht auch Stammheim zu den Metastasen von Auschwitz (und ist das, was hier geschehen ist, deshalb so schwer aufzuarbeiten)? Fast macht es schon keinen Unterschied mehr, ob die Tode von Stammheim auf Mord oder Selbstmord zurückzuführen sind: Auch der Selbstmord wäre nur als induzierter Selbstmord in einem ungeheuren vorurteils-logischen Konstrukt, das längst beide Seiten ergriffen hatte, zu begreifen. Das dämonische Zwielicht und die dämonische Zweideutigkeit, die diese Ereignisse kennzeichnen (und die es so schwer machen, Taten der raf und das Handeln der Geheimdienst des Staates auseinander zu halten), beherrschen die ganze Nachgeschichte über die Startbahn-Morde bis hin zu Bad Kleinen (über Ingo Herbst zu Steinmetz). Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, läßt sich an der Geschichte des linken Terrorismus in Deutschland wie an einem Laborfall studieren.
Umkehrung der transzendentalen Logik: Hat nicht die Bundesanwaltschaft die selffulfilling prophecy (oder auch das double bind) längst zu einem technischen Instrument der Erkenntnisgewinnung (der „Ermittlung“) und der technischen Beherrschung der Strafverfahren gemacht (und das Urteil am Ende zu einem synthetischen Urteil apriori)?
Was bedeutet es, wenn in der speziellen Relativitätstheorie ein empirisches Moment zu einem apriorischen des Systems geworden ist? In welche Beziehung werden die Kategorien Ding und Ereignis gerückt (Tatsache: der Begriff ist im 18. Jhdt aus dem engl. matter of fact, dieser aus dem lat. res facti entstanden)?
Beziehung der „Sünde der Welt“ zu den „subjektiven Formen der Anschauung“ (Kritik der Form des Raumes): Den Begriff der Sünde aus dem autoritären Kontext (aus dem Blick des Herrn) herauslösen. -
8.4.1995
Waren die Tempel nicht schon in ihrem Ursprung Währungszentralen (Zentralbanken), und damit Institute des Mythos ebenso wie der Aufklärung, oder genauer: der Einheit von Mythos und Aufklärung?
Barmherzigkeit, nicht Opfer. Dieser Satz ist der genaueste Ausdruck des Bewußtseins, daß die Opfer das nicht leisten konnten, was sie der Intention nach leisten sollten: die Schuld aufzuheben, deren Zentrum die Tempel selber waren. (Nach welchen Kriterien wurden die Opfertiere bestimmt; welche Bedeutung hatte die Auslösung der Erstgeburt?)
Skylla und Charybdis: Wenn die EU als Währungsunion sich konstituiert, wird sie zum Schwarzen Loch, das das All in sich aufsaugt; wenn es ihr jedoch nicht gelingt, werden sich die destruktiven Kräfte nach innen wenden, wird sie zum Zentrum eines Urknalls.
Bezieht sich nicht das Anschauen seit der aristotelischen theoria auf den männlichen, den urteilenden Blick (und hat nicht Fichte das reine Sein als das reine Anschauen begriffen)?
Das kantische Konzept vom ewigen Frieden enthält einen Fehler, der innerhalb der kantischen Philosophie nicht zu beheben ist. Dieser Fehler ist vergleichbar mit dem in den Prämissen der Kant-Laplaceschen Kosmologie. In beiden Fällen wird das bürgerliche Prinzip der Selbsterhaltung (des Selbstinteresses) zugrunde gelegt, dessen Logik sowohl das politische Konzept als auch den Naturbegriff beherrscht, in dem sie durch die transzendentale Ästhetik, durch die subjektiven Formen der Anschauung repräsentiert wird. Raum und Zeit rücken die gesamte Natur in das Licht der Selbsterhaltung, während es erst beginnt interessant zu werden, wenn man fragt, wovon abstrahiert werden muß, um diesen Blick zu etablieren. Eine (in der Gesellschaft wie in der Natur) auf Verfassung und Gesetz gründende Form der Herrschaft hat Herrschaft nicht überwunden, sondern nur ins Unkenntliche (in den blinden Fleck der Subjektivität) verschoben.
Die der kantischen Philosophie zugrunde liegende Verknüpfung von Selbsterhaltung und Autonomie ist insofern bloßer Schein, als unterm Gesetz des Kapitalismus auch die Selbsterhaltung (durch das Instrument der Lohnarbeit) noch instrumentalisiert worden ist und Autonomie im kantischen Sinne nicht mehr mit einschließt. Übriggeblieben sind von der Autonomie nur noch die Geldwertstabilität und die Sicherung des Standorts Deutschland, die materiellen Grundlagen des Nationalismus.
Wo liegt das Natur-Äquivalent der Produktivitätssteigerung (der Steigerung der Ausbeutung und Intensivierung der Zwänge), ohne die die Geldwertstabilität nicht zu haben ist? (Welche Bedeutung hat die Gravitationstheorie für die Mechanik? Was verbirgt sich hinter den Erhaltungssätzen der Physik?)
Waren nicht die Tempel Instrumente zur Etablierung des Tauschprinzips?
Wäre der naturwissenschaftliche Erkenntnisprozeß nicht so weit vorzutreiben, daß er wieder in sinnliche Erfahrung umschlägt: so daß er erneut die Fähigkeit freisetzt, die Zeichen des Himmels zu erkennen? (Vgl. den Zusammenhang der Wolken des Himmels mit den Vögeln des Himmels, den Sternen des Himmels und den Himmelsheeren. Der Turm von Babel sollte bis an den Himmel reichen.)
Zur Vision des Ezechiel gehören neben dem Antlitz des Menschen das des Stiers, des Löwen und des Adlers. Hiervon war nur der Stier ein Opfertier, sein Korrelat war der Löwe (zum Bilde des Tierfriedens gehört der Löwe mit dem Rind). Woher stammt das Motiv, das Josef Pieper einmal über eine Sammlung von Thomas-Sätzen gesetzt hatte: Das Auge des Adlers?
Das noachidische Nahrungsgebot unterscheidet sich vom adamitischen auch dadurch, daß die Tiere (zusammen mit dem Institut des Opfers?) von Adressaten zu Objekten des Nahrungsgebots geworden sind; die Erinnerung daran, daß sie einmal zu den Adressaten gehörten, erscheint nur noch im Verbot des Blutgenusses (das in der frühen Kirche noch erinnert wird, zusammen mit dem Verbot, Opferfleisch oder Fleisch von Ersticktem zu essen). Wann und von wem wurde die vom Apostelkonzil in Jerusalem für die Heiden getroffene Regelung durchbrochen oder aufgehoben?
Das ungeheure Bild, daß Nebukadnezar am Ende wie ein Tier wird und Gras frißt wie ein Rind, d.h. daß er nicht mehr die Früchte genießt. Hat das nicht mit der Säkularisationsgeschichte, mit der Geschichte der Verweltlichung der Welt, mit dem historischen Objektivationsprozeß, zu tun? Das Rind symbolisiert das Joch, das im Weltbegriff universal wird.
Das Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen, bezieht sich auch auf die paradigmatische Herrschaftssituation, auf das Verhältnis von Hinter dem Rücken und vollendeten Tatsachen. Diese vollendeten Tatsachen sind das Joch, das andern auferlegt wird, durchsichtig zu machen nur, wenn man dieses Joch als Sünde der Welt (als Last) auf sich nimmt, sich selbst als ihren Urheber begreift. Bezieht sich hierauf das Verhältnis der „Welt, die euch haßt“ zum Parakleten, der euch alles sagen wird? Vgl. die Konstellation Rind/Esel und die sie ergänzende Esel/Lamm: Erst im Lamm (das für die Erstgeburt des Esels eintritt und dann würdig ist, die sieben Siegel zu lösen) wird die Stummheit sprachfähig. Ist nicht Joh 129 die Grundlage sowohl des johanneischen Logos als auch des Parakleten?
Die Vergöttlichung Jesu, das homousia, hat der Nachfolge den Boden entzogen. Nach Hermann Cohen sind die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern Attribute des Handelns. Unter diesem Motto steht der Titel Gottessohn.
Die ganze Schrift ist Prophetie: Prophetie in symbolischem Gewande. Das Symbolische ist hierbei nur ein anderer Ausdruck dafür, daß der Indikativ der biblischen Texte (das Gegenständliche, Historische) zugleich ein Imperativ ist, dessen Erfüllung noch aussteht. Hieraus ergibt sich zwanglos die Bedeutung von Jer 3134, daß unter dem neuen Bund keiner mehr den andern belehren wird, da alle Gott erkennen. Voraussetzung wäre, daß die Gotteserkenntnis von jeder Apolegetik, von allen Rechtfertigungszwängen sich befreit hat (die Arglosigkeit der Tauben).
Dogma und Inertialsystem: Schulen sind generell der Verführung durch die Bekenntnislogik ausgesetzt. Das gründet darin, daß der originäre Erkenntnisprozeß selber nicht vermittelbar, nicht übertragbar ist. Das gilt insbesondere auch schon für den Erkenntnisfortschritt der Naturwissenschaften (der insoweit mit dem Dogmenbildungsprozeß vergleichbar ist). Der Lichtpunkt in der Entdeckung einer neuen Erkenntnis wird mit seiner mathematischen Formulierung in das Feuer zurückgenommen und hinterläßt die Asche des Ergebnisses, das dann (wie eine Ansteckung) übertragbar ist. Mit dem Dogma, mit der Formel, scheidet sich die Asche vom Licht: Der Objektbegriff ist der Inbegriff dieser Asche (und seine historische Wurzel: die Opfertheologie, das Feuer).
Die Antinomien der reinen Vernunft bezeichnen genau den Punkt, an dem die Herkunft der Asche aus dem Feuer erkennbar wird (Hegel hat auch dieses Feuer noch instrumentalisiert). – Memento homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris.
Vision: Hat nicht das Gesicht etwas mit dem Angesicht zu tun? Wenn Friede und Gerechtigkeit sich küssen, dann wird das Angesicht zum Gegenstand des Gesichts, dann wird das Angesicht leuchten über uns.
Das Wissen, das auch aus dem Sehen hervorgeht, terminiert in den subjektiven Formen der Anschauung; das Gesicht (die Vision) terminiert im Angesicht.
Erinnerungsarbeit, die Errettung der vergangenen Zukunft oder das sprachliche Wesen der Dinge.
Negative Trinitätslehre:
– Der Antisemitismus (das Feindbild-orientierte Denken) leugnet den Vater,
– die Ketzerfeindschaft (die Paranoia, der Verfolgungswahn) leugnet den Sohn,
– der Hexenwahn (die Frauenfeindschaft) leugnet den Heiligen Geist; aber nur von der Sünde wider den Heiligen Geist heißt es, daß sie weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird.
Die negative Trinitätslehre ist der einzige Schutz gegen die Verführung durch projektives Denken und seine Logik, die Bekenntnislogik. -
20.2.1995
Gilt nicht der Satz „die Tora, das ist die Braut“ (Bahir, S. 151) auch für die Hochzeitsstellen im NT (von der Hochzeit zu Kana bis zum letzten Abendmahl)?
Wie verhalten sich arbiter (Augenzeuge, Schiedsrichter) und arbitrium (Schiedsspruch) zum liberum arbitrium (zur Willensfreiheit)? Der Schiedsrichter setzt auf die (freiwillige) Zustimmung der Kontrahenten, während der Richter aufgrund seiner Amtsautorität auch gegen den Willen der Beteiligten entscheidet, den Willen unter den Zwang des Staates setzt.
Wie hängt das liberum arbitrium mit den drei „Freiheitsgraden“ des Raumes zusammen (und die Orthogonalität mit der Orthodoxie)? Gibt es eine Beziehung zu den drei Leugnungen? Von den sechs Richtungen des Raumes sind jeweils drei die Negationen ihrer Gegenrichtungen: Der Westen ist (wie im Französischen) der Nicht-Osten, der Norden der Nicht-Süden, das Unten das Nicht-Oben.
Hat das Suffix -tum in Reichtum (Heidentum, Deutschtum, Judentum) etwas mit der Umkehrung des Mut (Armut, Demut, aber auch Hochmut, der vor dem Fall kommt) zu tun?.
Sind die indoeuropäischen Formen der Konjugation Negationen der semitischen Konjugationsformen (Produkt eines Systems von Spiegelungen am Neutrum)? Ist die „hebräische“ Sprache in diesem Kontext, vor diesem Hintergrund, zur Sprache „der Fremden im Lande“ geworden, zur Sprache der „Hebräer“? Ist dieses negative Konstrukt insbesondere in der griechischen Sprache affirmativ geworden, und bedarf diese Sprache deshalb des projektiven Begriffs der Barbaren (ebenso wie der Begriffe Natur und Materie) als Mittel der Abfuhr, der projektiven Verarbeitung des Schuldzusammenhangs, in dem sie sich konstituiert? Läßt die Logik der indoeuropäischen Grammatiken als Kern eines (mit dem Weltbegriff im Zentrum) sich fortentwickelnden Schuldverschubsystems begreifen, dessen letztes Produkt das Inertialsystem ist?
Ist die Identifikation des johanneischen mit dem philosophischen Logos nicht dessen Leugnung: die Leugnung des Lammes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt und stumm zur Schlachtbank geführt wird?
Fällt das Bekennen (als homologein) nicht in die Bitte des Herrengebets: Geheiligt werde Dein Name? Dieser Konjunktiv Passiv (geheiligt werden möge …) wartet auf den, der ihn ins Aktiv übersetzt: auf den, der es tut. Wer aber ist als Subjekt dieses Satzes gemeint, wenn nicht wir?
Wenn Drewermann (in seinen „Strukturen des Bösen“) den ruach mit einem Furz vergleicht, verwechselt er dann nicht die Nuß mit einer Zwiebel, bei der der Kern sich immer wieder als Schale erweist, die den, der den Kern sucht, weinen macht und in der Tat nur Winde erzeugt?
Der Ring um das Senfkorn (Bahir, S. 130): Ist das nicht der Weltbegriff, die harte Schale, die den Kern verbirgt? Im Weltbegriff wird dieser Ring zur Totalität, zum kantischen Reich der Erscheinungen, das die Dinge, wie sie an sich sind, ins Unerkennbare rückt. Auch Hegels Logik ist eine Logik der Erscheinungen (ihre erste Fassung ist eine „Phänomenologie“ des Geistes). So verfällt sie selber dem Gericht, das in ihr sich verkörpert, und das im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht in sich zerfällt.
In ihrer spekulativen Gestalt, die bewußtlos der Bekenntnislogik gehorcht, ist die Trinitätslehre Schale, nicht Kern (hinterm Rücken, nicht im Angesicht). Sie ist verstrickt in die Geschichte der drei Leugnungen, deren dritte die Leugnung des Heiligen Geistes ist. Nicht zufällig erweist sich die „negative Trinitätslehre“ (Antisemitismus als Leugnung des Vaters, Ketzerfeindschaft als Leugnung des Sohnes, Hexenverfolgung und Frauenfeindschaft als Leugnung des Heiligen Geistes) als Kern der Kritik der Bekenntnislogik, zu deren Konstituentien das Feindbild, das Verrätersyndrom und die Frauenverachtung gehört.
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