Fernsehen

  • 09.08.93

    Ich bin im Begriff, etwas zu tun: Was bedeutet der Begriff in dieser Redewendung?
    Prinzip der Aufklärung: Alles sehen, aber selbst nicht gesehen werden (das Erkenntnissubjekt und der Fernsehzuschauer): sich raushalten (Scham- und Schuldvermeidung). Die Wissenschaft und das Fernsehen sind ihrer eigenen Logik zufolge voyeuristisch und pornographisch zugleich.
    Funktion des blendenden, den Ermittler unsichtbar machenden Lichts (eine Erfindung der Gestapo?): Liegt hier nicht die Wurzel des Scheins in Philosophie und Kunst (der Grund der Ästhetik)? Durch ihre Beziehung zu den transzendentalen Formen der Anschauung (zur transzendentalen Ästhetik) werden die Objekte der Erkenntnis zur Erscheinung: zu einer Totalität des Scheins (Schauspiel, Theater, Film, Fernsehen), die dann von den logischen Gesetzen des Welt- und Naturbegriffs beherrscht wird.
    Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Grund jeder Ästhetik (und ihres gegenständlichen Korrelats: des Mythos)?
    Das Nichtgesehen-Werden-Wollen ist der Ursprung der Privatsphäre und aller Geheimnisbereiche seitdem.
    Adornos Satz „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“ hängt mit dem Rosenzweigschen, daß man sich von der Last nur dann befreit, wenn man sie auf sich nimmt, zusammen. Ungeliebt fühlt sich nur der Schuldige. Die Leugnung der Schuld, die mir von andern nicht vorgeworfen werden kann, weil sie rechtlich nicht zurechenbar ist, wird als „Haß der Welt“ erfahren und führt zwangsläufig in die Paranoia. Bezeichnet nicht das Täuferwort in Joh 129 genau den Grund der Befreiung, der Erlösung?
    Hebr. berit, griech. diatheke, Bund oder Testament: War nicht das Urschisma: die Feindschaft zwischen dem Mitinhaber und dem Erben der Firma, unvermeidbar (und war dies nicht der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehn), und ist nicht an dem Namen des „Alten Testaments“, der eine relationale, nicht eine historische Beziehung bezeichnet, doch festzuhalten? Sind nicht die Juden in der Tat in der Rolle des Bundes, wir dagegen in der des Erben, durch eine Todesgrenze, die den Erbschaftsfall hat eintreten lassen, vom Bund getrennt? Ist eigentlich das „Neue Testament“ schon der „Neue Bund“?
    Das Bekenntnis ist ein Produkt der Anpassung der Umkehr ans Herrendenken, das es ohne Feindbild (die Juden), ohne Verräter (die Ketzer) und ohne Sexismus (den Genuß der Unterwerfung der Frauen und der Heiden) nicht gibt (das Bekenntnis hat die Theologie besoffen gemacht: aber die Betrunkenen merkens nicht mehr).
    Kohl will den nächsten Wahlkampf mit dem Thema „Wirtschaftsstandort Deutschland“ führen. Das Thema wird also sein: der Überlebenskampf der Nation im internationalen Wettbewerb, oder wie es in dem vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit unterzeichneten Aufruf für die Genforschung in der Bundesrepublik hieß: Deutschland muß die Nummer 1 bleiben. Die Schamlosigkeit, mit der weiterhin eine Wirtschaftspolitik gegen eine Welt von Konkurrenten draußen und gegen den „Leistungsmißbrauch“ der Armen im eigenen Land betrieben wird, eine Wirtschaftspolitik, die im wörtlichen Sinne über Leichen geht und draußen die Verhältnisse schafft, gegen deren Rückwirkungen auf das eigene Land die (in der „Verteidigungspolitik“ und im Asylrecht) nötigen Vorkehrungen zu treffen sind, eine Wirtschaftspolitik, deren Botschaft an die Wähler ist: Nur wer stark ist, wer bereit ist, die Ellenbogen einzusetzen, hat Chancen, sich selbst durchzusetzen; eine Wirtschaftspolitik, deren oberster Grundsatz der nationale Egoismus ist (der gleiche, der in diesem Jahrhundert schon zweimal die Welt mit Krieg überzogen hat, nur heute anderer, „ziviler“ (aber vielleicht schon bald nicht mehr nur ziviler) Mittel sich bedient; wer unter die Räder kommt, hat’s auch nicht anders verdient, denn wir leben in einer Welt, in der jeder, sofern er den Gesetzen der Leistungsgesellschaft sich anpaßt, die Möglichkeit hat, sein Glück zu machen. Ist dies nicht das Drachenfutter für jene, für die wir uns dann alle wieder begeistert schämen dürfen? Wird hier nicht das Motto gepredigt: Augen zu und durch?
    (außerdem:
    – Kein Reichtum ohne Produktion von Armut, die wir nach draußen exportieren; aber ist nicht die Aufnahmefähigkeit draußen erschöpft? Gibt es noch eine Alternative zum Reimport der Armut (Kürzung der Sozialleistungen, Hilflosigkeit gegen die wachsende Arbeitslosigkeit, Ansteigen der Obdachlosenzahlen im Innern und der Flüchtlingszahlen draußen), und wie geht’s weiter, wenn auch hier die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist?
    – Der Zwang zur Absicherung der für unseren Reichtum notwendigen Ressourcen (des Rohstoffbedarfs und der für die Belieferung notwendigen Verkehrswege) definiert die Rolle der Bundeswehr neu (Testfall: Somalia)?
    – Wird nicht erstmals – und das in dem Augenblick, in dem die „freie Marktwirtschaft“ (die sich einmal eine Soziale M. nannte) über den Sozialismus gesiegt hat: damit die Mittel, die eigenen Probleme zu begreifen, beseitigt hat – die Politik auf ihren realökonomischen Grund zurückgeführt, und das in voller, nach innen wie nach außen explodierender Brutalität?
    – Ist dieser Nationalismus nicht das genaue Pendant des überall explodierenden Nationalismus (nach dem Zerfall des Ostblocks, der die „Kräfte des Merktes“ endgültig freigesetzt hat, die mit dem Instrumentarium des moralischen Urteils nicht mehr zu beherrschen und vor allem nicht mehr zu begreifen sind), und die EG nur dessen Erfüllungsorgan (wird nicht die EG von Ministerialbürokratien beherrscht, die selber nur noch die Lobby der Wirtschaft sind – das Ende der Politik und ihre Neukonstituierung als Verwaltung als Grund der Entpolitisierung: jetzt kommt es nur darauf an, die Leute zu unterhalten, sie abzulenken, damit sie nicht merken was läuft)? Nicht bewußt und mit Absicht, sondern unter dem Zwang dessen, was die Verwaltung so gerne Sachzwänge nennt, ist sie zum bloßen Vollzugsorgan der Wirtschaft geworden.
    War der moralische Impuls, den der Vietnam-Krieg ausgelöst hat (und mit ihm die 68er Bewegung bis hin zur raf), nicht doch im Kern ein ästhetischer, unpolitischer Impuls (politisch aus der Sicht der Zuschauer); wird es nicht jetzt zum erstenmal ernst: im Angesicht der Tatsache und des Gewichts der wirtschaftlichen Verflechtungen, die heute das Ganze zu einer explosiven Masse zusammenfügt. Die Frage ist: Wann wird die kritische Masse erreicht, die die Explosion auslösen wird, wie lange werden wir die selbstzerstörerischen Kräfte noch eindämmen können?
    Kann es nicht sein, daß der gegenwärtige Weltzustand nur noch auf der Grundlage der Lehre von der Auferstehung zu begreifen ist? Und ist es nicht umgekehrt denkbar, daß die Angst vor dieser Einsicht in den gegenwärtigen Weltzustand der „Religion“, die in diesen Weltzustand bis ins Innerste verstrickt ist, den Boden entzieht?
    Der Grund dafür, daß der Vietnam-Krieg noch aus ästhetischer Distanz kritisiert werden konnte (was der „Betroffenheit“ nicht nur nicht widerspricht, sondern durch sie geradezu bestätigt wird), lag darin, daß die Kritik der Naturwissenschaft (und damit die Kritik des „Naturgrunds von Herrschaft“) noch nicht als Teil der Gesellschaftskritik begriffen war (vgl. hierzu die Absetzbewegung Habermas‘ von der Frankfurter Schule).
    Ästhetische Distanz: das ist das Werk der subjektiven Formen der Anschauung.
    Wer heute mit dem Argument „Ich komme darin nicht mehr vor“ aus der Kirche herausgeht, sollte vielleicht einmal kurz darüber nachdenken, ob er damit nicht einen der letzten Widerstände gegen einen Weltzustand abbaut, in dem dann im allerwörtlichsten Sinne niemand mehr vorkommt (ob nicht die Rache, wie immer, den Falschen trifft).
    DdA: Heute kein Land, in dem man nicht wegen einer falschen/ab-weichenden Meinung um sein Leben fürchten muß (heute überholt: man darf alles sagen, weil es keine Wahrheit mehr gibt).

  • 04.08.93

    Jedes Urteil enthält ein projektives Element und ist in Schuld verstrickt, aber in eine Schuld, in die die Welt selber verstrickt ist: Diese Schuld ist der logische Grund des Weltbegriffs.
    Futur und Futur II sind Reflexionsformen von Imperfekt und Perfekt, davon nur durch die Prämisse einer unter die Vergangenheit subsumierten Zukunft unterschieden (Produkt einer innerzeitlichen Verschiebung: Ursprung des Naturbegriffs und seines sprachlichen Pendants, des Neutrums). Das Plusquamperfekt ist eine sprachlogische Konsequenz dieses grammatischen Eingriffs. Die hebräische Sprache kennt keinen Indikativ, diese verhängnisvolle Mischung von Präsens und Imperativ, das sprachliche Äquivalent dessen, was neudeutsch Sachzwang heißt.
    Der ungeheure sprachlogische Prozeß, in dem sich Futur und Futur II, Plusquamperfekt und Indikativ gebildet haben, auch das Neutrum (und der Welt- und Naturbegriff), hängt zusammen mit der Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung. Dessen Einheitsprinzip ist die Orthogonalität. Aber die Orthogonalität ist zunächst nur ein Strukturelement der Fläche, die selber wiederum dadurch definiert ist, daß sie auf eine und nur eine zu ihr orthogonale Richtung im Raum bezogen ist. Der Raum ist zwangsläufig dreidimensional. Der Preis für die Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: der oben bezeichnete sprachlogische Prozeß (oder die apriori positiv beantwortete Frage: if the future will be like the past).
    Die exkulpatorische Funktion der Ontologie wird erkennbar an dem unter Ontologen so beliebten Begriff des Geschehens, in das sie den Weltprozeß verzaubert. Dem entspricht das Fernsehen, das Politik und Zeitereignisse als Zeitgeschehen dem Konsum präsentiert, aber mit dem systemimmanenten Hinweis: Du bist Zuschauer und hast keine Chance, einzugreifen und die Dinge zu ändern. Mit der Betroffenheit, mit der alle auf die Darbietung des Schlimmsten reagieren (und aus dem die Fernseh-Theologie ihren erbaulichen Honig saugt), wird das moralische Subjekt, das hier ohnehin nicht mehr vorkommt, endgültig ausgelöscht. – Ist die Betroffenheit nicht eine Reflexionskategorie der Kollektivscham?
    Mit der Subsumtion unter die Vergangenheit schneiden wir den Dingen (auch dem Kreuzestod Jesu) die Zukunft ab. Was meint das Wort Name im Bekenntnis des Namens?
    Ist nicht die Beziehung des Begriffs zum Objekt (im Urteil die Beziehung des Prädikats zum Subjekt und in der Realität die des Schicksals zu seinem Substrat) eine genitivische: eine Eigentums- und Herrschaftsbeziehung (und zwar als wechselseitige oder als Reflexionsbeziehung: Grund der Unterscheidung von genitivus subjektivus und objektivus)? Der Eigentümer ist nicht nur Herr über seinen Besitz, sondern er selber wird durch seinen Besitz beherrscht („besessen“). Hier liegt der Ansatz zur Lösung des Problems des Weltbegriffs.
    Zum Antlitz des Hundes: Sind nicht alle Blickbeziehungen Herrschaftsbeziehungen, und ist das nicht der Grund, weshalb Hunde aufs Angeblicktwerden aggressiv reagieren? Der freie Blick ist etwas davon deutlich (nämlich durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion) Unterschiedenes; er schließt die Umkehr mit ein, die Fähigkeit zur Reflexion der Intentionalität. Frei ist nur, wer den Rechtfertigungszwängen und der in den modernen Erkenntnisbegriff mit eingebauten Projektionsautomatik entronnen ist: Notwendigkeit einer Logik des Angesichts (das Gesehenwerden durchs Objekt und das Hören aufs Objekt in das Sprechen übers Objekt mit hereinnehmen)!
    Die Probleme des dritten Buchs im zweiten Teil des Sterns der Erlösung (die Probleme des Rosenzweigschen Erlösungsbegriffs) hängen zusammen mit den Problemen im zweiten Buch des ersten Teils des Stern (mit den Problemen des Weltbegriffs). Hier wird deutlich, was die jüdische Tradition in der Rosenzweigschen Fassung vom Christentum unterscheidet; aber diese Differenz war zwangsläufig, weil sie im Christentum selber bis heute nicht begriffen ist.
    Nicht der Erste Weltkrieg, sondern Getsemane ist das Korrelat des Anfangs des Sterns.
    Stern, S. 37: „Die Natur ist stets die eigene Natur der Götter.“ Darin steckt schon der christologische Naturbegriff.
    S. 153: Der Begriff einer Schöpfung aus Nichts „enthält die Leugnung des Chaos“; er ist ein Instrument der Leugnung und Verdrängung der Vergangenheit, der Diskriminierung der Erinnerung und der Verhinderung von Herrschaftskritik: Vor dem Ursprung des Weltbegriffs war nichts. Wenn doch etwas war, was nicht mehr zu leugnen ist, muß es dem Weltbegriff angeglichen und subsumiert werden (wie im Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit).
    Ebd.: Mit der Urteilsform ist die „Vorstellung“ eines Unvorstellbaren: einer unendlichen Vergangenheit, mitgesetzt.
    Zur Sünde der Welt: „Die Seele ist ihrer Last ledig im Augenblick, wo sie sie ganz auf die Schultern zu nehmen gewagt hat“ (S. 201).
    Ontologie und Umkehr: Das Sein, als allgemeines Possessivverhältnis, ist die Umkehr der Gnade, der Barmherzigkeit; daher seine „verandernde Kraft“ (Instrumentalisierung durch Vergegenständlichung rückt alles, was es ergreift, in ein vergesellschaftetes Possessivverhältnis: Deshalb gibt es ohne Staat keine Welt).
    Das Haus hat nicht nur mit Zweckmäßigkeitsgründen zu tun (Schutz vor den Unbilden der Witterung), sondern ebenso mit der Geschichte der Scham (Schutz der Intimsphäre): Hängen das Sklavenhaus Ägypten und der Name Pharao damit zusammen?
    Was bedeutet es eigentlich, wenn das Paradigma Innen/Außen nicht mehr zu halten ist: das Innere zu Nichts geworden ist?
    Die intersubjektive Welt ist zum gemeinsamen Gefängnis aller geworden: Alle sitzen in Isolationshaft.
    Der Korpuskel-Welle-Dualismus resultiert aus der objektiv unvermeidbaren Alternative, die der Lichtgeschwindigkeit zugrundeliegende „Bewegung“ entweder nur auf eine Richtung des Raumes zu beziehen, oder auf die Zeit, und damit auf die Totalität des Raumes.
    Das Inertialsystem abstrahiert vom Gesehen-Werden, von der Scham, die sich dann gegenständlich als Materie in den niederschlägt (sic, B.H.) (projektive Erkenntnis und Schuld). Scham ist Selbstbewußtsein des Andersseins, logische Konsequenz des Satzes: Das Eine ist das Andere des Anderen.
    Wann wird es gelingen, die Vergangenheit so einzudämmen, daß sie nicht mehr die Zukunft überschwemmt?
    Ist nicht im ersten Satz der Genesis (im „elohistischen“ Schöpfungsbericht, Gen 11) auch die Reihenfolge des Geschaffenen (Himmel und Erde) von Bedeutung? Erst am Anfang des zweiten („jahwistischen“) Schöpfungsberichts (24b), der die Paradiesesgeschichte und die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wird die Folge umgekehrt („Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“). Wird der erste Schöpfungsbericht im Imperfekt, der zweite im Perfekt erzählt? Ist die Reihenfolge des Geschaffenen nicht in der Logik der Sprache begründet (in der perfektivischen Gestalt gewinnt die Erde den Vorrang vor dem imperfekten Himmel)? Deshalb endet der zweite Bericht mit dem Sündenfall und der jahwistischen Urgeschichte (bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel), der erste hingegen mit dem „sehr gut“. Enthält nicht die Geschichte von der Bindung Isaaks (mit dem Engel Elohims am Anfang und dem Engel JHWHs am Ende) den Lösungansatz?
    Zum ersten Satz der Genesis: den Himmel nutzt Gott als Namen für das Firmament, die Erde zur Herbringung der Kreaturen.
    Zum paradiesischen Nahrungsgebot: Nur dem Menschen ist die Frucht verheißen, den Tieren nur das Grün, die Blätter (vgl. das Feigenblatt und die Scham).
    (Gibt es im Hebräischen ein Partizip?)
    Ist nicht majim, das Wasser, ein Plural (wie schamajim, der Himmel), und ist nicht auch der deutsche Begriff Wasser ein Plural von Was (wie Völker von Volk)? Merkwürdig, daß der Ursprung der Philsophie mit der Neutralisierung des Wassers (Thales: Alles ist Wasser, Heraklit: panta rhei, und: niemand steigt zweimal in den gleichen Fluß) beginnt: der unendlich schwere, am Ende vergebliche Versuch das Flüssige dingfest zu machen (in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase mit Hilfe der Theologie: Bedeutung der Trinitätslehre!)?
    Ist Theologie heute nicht doch nur noch in einer bekenntnishaften Form möglich, aber einer, die es wirklich ist: auf die Neutralisierung des Bekenntnisses, die Konfessionalisierung der Theologie, endgültig verzichtet? Dieses Bekenntnis wäre eines im Angesicht Gottes, nicht im Angesicht der Welt (dem Scheffel überm Licht). Durch Objektivierung und Theoretisierung wird der Inhalt der Theologie generell verfehlt.
    Das zum Bekenntnis neutralisierte Symbolon ist das vergrabene Talent.
    (Die Welt ist das Verwesungsprodukt des toten Gottes.)
    Steckt nicht in der projektiven Vorstellung vom „jüdischen Rachegott“ (bei Drewermann, Alt, Christa Mulack u.a.) auch die Angst vor einem Gericht, in dem die Opfer der Vergangenheit, die nur still sind, wenn sie endgültig tot sind, die Richter sein werden? Müßten nicht Kirche und Theologie, Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Politik und Gesellschaft, völlig anders sich darstellen, wenn es auch nur einen gäbe, der wirklich an die Auferstehung glaubte? Hat das Christentum nicht die Theologie (Trinitätslehre und Christologie) auch dazu mißbraucht, sich die Vergangenheit (ihre jüdischen Wurzeln, aber dann auch ihre fatale eigene Rolle in der Geschichte) vom Leibe zu halten? Mit der Gehorsamsforderung wurden die Ohren verstopft, damit niemand das Blut, das zum Himmel schreit, mehr hören konnte. Ist nicht der „christliche Liebesgott“, der in der Vorstellung gründet, daß Gott seinen eigenen Sohn hingeschlachtet habe, „um uns zu retten“, Produkt und Deckbild einer nun wirklich sadistischen Phantasie? Während wir glauben, den „Rachegott“ nicht mehr zu brauchen, haben wir in Wahrheit genau diesen Aspekt längst neutralisiert und instrumentalisiert, indem wir ihn, wenn wir ihn nicht zu Zeiten auch einmal selbst in die Hand genommen haben, an den Staat, an die Institutionen des Rechts: der staatlichen Strafverfolgung und des Strafvollzugs, delegiert haben. Das „Volk“, in dessen Namen Gesetze erlassen, Recht gesprochen und Urteile gefällt werden, ist der anonymisierte Erbe dessen, den das antijudaistische Vorurteil einen „Rachegott“ nennt. Wer sich auch nur ein wenig mit den Zuständen in unseren Knästen (die jeder zu verantworten hat, der dem Volk angehört, in dessen Namen hier die „Strafen vollzogen“ werden) vertraut gemacht hat, weiß, daß zu den realen Gründen des Strafrechts auch, wenn nicht zentral, die Vergesellschaftung der Rachebedürfnisse gehört, während der „alttestamentliche Rachegott“ (das „Mein ist die Rache“ des Gottes, dessen wichtigste Eigenschaft die Barmherzigkeit ist) in seinem realen Kontext auf die Auflösung der Rachebedürfnisse der Opfer abzielt. Übrigens: Im Neuen Testament (im Hebräerbrief, 1030) steht der Satz: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, während im Alten Testament (im Buch Jona, 411) Gott gegen Jona den Verzicht auf die Zerstörung Ninives so begründet: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, und soviel Vieh.“
    Das gedankenlos Bösartige an der antijudaistischen Unterscheidung des „alttestamentlichen Rachegottes“ vom „neutestamentlichen Liebesgott“, das zum Syndrom der verfolgenden Unschuld gehört, wird deutlich, wenn man auch nur einen Augenblick daran denkt, wer – in einem geschichtlichen Kontext, zu dem Auschwitz gehört – hier an wen welches Ansinnen stellt: Der Täter schlägt dem Opfer das einzige Mittel, die Erinnerung an die Leiden zu verarbeiten, aus der Hand. Hier darf nicht mehr aufgearbeitet, hier soll nur noch verdrängt werden.
    Der Beter rächt sich nicht selbst (Zenger, S. 71): Ist das nicht das zentrale Anliegen eines jeden Gebets, das Moment, durch das es mit dem Gottsuchen sich verbindet, und der Wahrheitsgrund des Satzes von Reinhold Schneider? Wäre dieser Satz nicht heute eine der Grundlagen der Rechtskritik: als Kritik eines Instruments der instrumentalisierten Rache?
    Wird mit dem Gerede vom „jüdischen Rachegott“ nicht
    – der zugrundeliegende Text entstellt, seine Wahrnehmung verzerrt, und zugleich
    – ein theologischer Erkenntnisgrund durch Verdrängung neutralisiert?
    Verräterisch die Rede vom Gottesbild im Hinblick auf eine Religion, zu deren zentralen Elementen das Bilderverbot gehört: Zu den objektiven Intentionen des Bilderverbots gehört es, sich die reale Erfahrung nicht durch Bilder verstellen zu lassen. Hierzu gehört auch die biblische Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Der Antijudaismus ist ist ein System von Vorstellungen über die Juden hinter ihrem Rücken, er ist (nach einer auch hierauf zutreffenden Formulierung Adornos über den Antisemitismus) das Gerücht über die Juden, das jede reale Erfahrung mit Juden und mit der jüdischen Tradition scheut, wie der Teufel das Weihwasser.
    Hebr 1030f: Wenn wir vorsätzlich sündigen, gibt es für diese Sünden keine Opfer mehr. – Ist nicht das Opfer die Vergebung?
    In einer Welt, die bis in ihre innersten Strukturen hinein, und ohne daß eine Alternative dazu überhaupt noch sichtbar wäre, durchs Selbsterhaltungsprinzip geprägt und bestimmt ist, braucht man, wie es scheint, einen „Gott der Liebe“; aber gilt nicht hierfür Adornos Satz: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist? Die Sperre vor der Fähigkeit zu lieben liegt in der Struktur dieser Welt.
    Die antikirchlichen Positionen in Kirche und Theologie sind nicht einfach nur falsch und zu verurteilen, sondern haben ihren eigenen Erkenntniswert in einem System, in dem Erkenntnis insgesamt seine projektiven Anteile nicht mehr abwischen kann.
    Den Begriff zum Sprechen bringen: das setzt eine Theorie des Lachens und des Schreckens voraus.
    Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem (der „luftleere Raum“) zerstören den Himmel durch die Zerstörung der „Elemente“ hindurch: die Erde, die Luft (das Pneuma), das Wasser und das Feuer (haschamajim).
    Physik als Kloß im Hals der Theologie: im „luftleeren Raum“ gibt es keine Luft zum Atmen.
    In welcher Beziehung stehen die Juden, Ketzer und Hexen der christlichen Geschichte zu den Barbaren der Griechen (trinitarische Entfaltung des projektiven Erkenntnisbegriffs der Philosophie)?
    Kants Philosophie war Erkenntniskritik, der stringente Nachweis, daß der Erkenntnisbegriff der Philosophie sich auf die Dinge, nicht wie sie an sich selber sind, sondern wie sie uns erscheinen, sich bezieht.
    Bekenntnisse des Jeremias: 1118-21, 121-6, 1510-21, 1714-18, 1818-23, 207-18: prophetischer Ursprung der Reflexion?
    Jeremias, der Prophet des welthistorischen Bruchs?
    – Dreimal verbietet Gott dem Jeremias, für das Volk zu beten; aber Jeremias gebietet dem Volk, für das Wohl der Stadt, in der sie nach der Deportation leben, zu beten.
    – Selbst wenn Mose und Samuel … (Jer 14-15?)
    – „Wer sich den Chaldäern ergibt, wird sein Leben als Beute gewinnen.“ (Jer 282, vgl. dazu den „Ursprung des Weltbegriffs“ und das Jesus-Wort: Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.)
    – Dreimal „Grauen um und um“.
    – Ist der „Feind aus dem Norden“ (Babylon) ein Vorbegriff der Welt?
    – tewel (hebr. für Welt und Natur) nur zweimal im AT, beide Stellen bei Jeremias (?). Sonst „Himmel und Erde“; haolam ist der Bereich der göttlichen Herrschaft, nicht die Welt.
    – Zu Jer 1010-16: außer an dieser Stelle nur noch zwei andere „Schöpfungsberichte“, Ps 104 (der älteste) und Hiob 38ff.
    Erfüllung des Worts: „Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Worts erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 289, vgl. Dt 1821-22, Ez 3333) Ist der Name die Erfüllung, das Eintreffen des Worts?
    Das Wunder gehört zur Prophetie: daß „das Wort sich erfüllt“, zum Namen wird (das Wunder erlischt im Namen).
    Das Absolute ist ein Korrelat der Welt: deshalb ist kein Gied in ihm nicht trunken.
    Zur Bestimmung der Theologie:
    – Aktualität (Prophetie),
    – eingreifende Erkenntnis,
    – apokalyptisch (aber nicht die Endzeit berechnend: dazu zwingt nur die Logik des Weltbegriffs).
    Kommen die Völker Kanaans in der Völkertafel, in den Genealogien der Genesis vor?
    Zur Vorgeschichte der drei Leugnungen Petri gehört ihre Weissagung:
    – Mt 2630 und Mk 1432: Ihr werdet in dieser Nacht (!) an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen.
    – Lk 2231ff: … der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf …, daß der Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke dein Brüder.
    – Joh 1336ff: Wohin ich jetzt gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen …
    Binden und Lösen: Ist nicht durchs Binden das Lösen neutralisiert, unkenntlich gemacht worden: und der Glaube zur Hybris?
    Das Dogma hat die Frage: Wie ist die Thora „heute“ (und d.h. prophetisch) zu verstehen, neutralisiert.
    Das Urschisma: auch eine Frage der Grammatik? Sind physis und kosmos (natura und mundus) grammatisch bedingte Begriffe? (Vgl. Rosenzweig: der „Mittler“ nur für die Heiden, nicht für die Juden).
    Der Weltbegriff fundiert den Egoismus (das Prinzip der Selbsterhaltung), den Sexismus und die Desensibilisierung, die Erfahrungsunfähigkeit.
    Die Welt ist Welt für andere: Schamgenerator. Durch die Identifikation der Kirche mit der Welt (mit dem Aggressor) ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden.
    Hegel: die Neutralisierung der Philosophie zum Absoluten.
    Jeder Machtgewinn wird mit Sprachverlust erkauft.
    Zur Raummetaphorik: Die Neutralisierung von Oben und Unten ist ein Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft: Hat nicht das Bußsakrament das Lösen in kleine Münze umgemünzt (und ist nicht der verdinglichte Glaube ein Stück verinnerlichter Schuldknechtschaft)?
    Das Christentum hat der frühen Christenheit die Last der Umkehr abgenommen, heute blockiert es sie.
    Jona ben Amittai und Jesus kommen aus der gleichen Gegend (Nazareth und Umgebung).

  • 17.07.93

    Ein Beispiel für Gewalt im Fernsehen: Der Erlaß. wonach künftig alle Kommentare vorzensiert werden sollen. Das paßt zur wachsenden Unfähigkeit, zentrale Themen überhaupt noch ernsthaft (und insistent) zu behandeln.
    Das Dogma, die Orthodoxie, ist die Gestalt der Wahrheit in der Welt (unter dem Apriori der Welt). Aber in dem Augenblick, in dem der Weltbegriff selber kollabiert, verliert auch das Dogma seinen Existenzgrund.
    Zu Edna Brocke: Ist es eigentlich richtig, das typologische Schriftverständnis gänzlich zu verwerfen, ist es nicht ein Schlüssel zur Theologie insgesamt; und trifft die Kritik nicht doch nur die kirchliche These, dieses typologische Schriftverständnis sei mit Jesus, mit dem NT, erfüllt (und damit das AT gleichsam abgegolten und erledigt)?
    Ist nicht die Ehe ein Typos der Beziehung zwischen Gott und Israel (und sind nicht „Unzucht“ und „Hurerei“ Begriffe prophetischer Herrschaftskritik und nicht nur der privaten Sexualmoral)?
    Das typologische Schriftverständnis ist ein Sinnesimplikat der Weltkritik; die Vorstellung, die Prophetie sei im NT erfüllt, hat das christologische, opfertheologische Konzept der „Entsühnung der Welt“ zur Grundlage (im Kontext der theologischen Rezeption der Philosophie und ihres projektiven Erkenntnisbegriffs).
    Frage: Ist nicht der Paragraph im StGB, der es der Staatsanwaltschaft in Schwerin heute verwehrt, den Tod von Wolfgang Grams aufzuklären (Nichtfreigabe von Informationen durch GBA und BKA, Verzögerung der Vernehmung der beteiligten Beamten, vollständige Abschottung des V-Mannes) verfassungswidrig: Kann es eigentlich sein, daß Verwaltungsinstanzen, die dann niemand mehr kontrollieren kann, Eingriffsmöglichkeiten in den Prozeß der Strafermittlung haben, indem sie darüber befinden können, welche Informationen (z. B. durch entsprechende Regelung der Aussagegenehmigungen für Beamte) die ermittelnde Behörde überhaupt zugänglich gemacht werden? Ist eigentlich der Verdacht der bewußten und gewollten Strafvereitelung apriori absurd?
    War nicht schon die Kompetenzzuweisung für die Ermittlung im Falle des Todes von Grams (die sachlich von den Ermittlungen des GBA und BKA in der raf-Sache sich nicht trennen lassen) an die Staatsanwaltschaft in Schwerin ein von Anfang an durchsichtiger Verfahrenstrick im Interesse der Strafvereitelung: So konnte man durch Informationsverweigerung die ermittelnde Behörde gleichsam am ausgestreckten Arm verhungern lassen und das Ergebnis vorprogrammieren: dieser Tod wird nicht aufklärbar sein (während die Umstände des Todes des GSG-Beamten schon vor Beginn der Ermittlungen klar waren).
    Der Rücktritt von Seiters: Hat hier nicht der Kapitän nur das sinkende Schiff verlassen; wollte er so nicht doch bloß vermeiden, in den erkennbaren Strudel mit hereingerissen zu werden?
    Ist nicht der Rechtsstaat längst ein willfähriges Instrument in den Händen des Staates, der nie wirklich demokratisiert worden ist?
    Ein schlimmer Verdacht: Lebt der „V-Mann“ überhaupt noch?
    Rührt der Begriff des Klassenkampfes nicht ebenso wie an reale politisch-ökonomische Strukturen auch an einen transzendentallogischen Sachverhalt (Marx hat die Hegelsche Philosophie „vom Kopf auf die Füße gestellt“: die Weltgeschichte als Naturgeschichte enthüllt)? Und liegt hier der Grund, weshalb bis heute die Reflexion der transzendentalen Ästhetik, der Begründung und des Kontextes der kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ und ihrer Bedeutung für den kantischen Erkenntnisbegriff bis heute stagniert, weshalb sie verdrängt und vergessen worden ist? Liegt hier nicht das Problem, dessen Lösung der Philosophie heute aufgegeben ist?
    Der Paraklet ist nicht der Tröster der Einsamen, sondern der Verteidiger der Schwachen, der Unterdrückten und der Verfolgten.
    Rührt die Sündenvergebung nicht an den Grund der Welt (vgl. die „Sünden der Welt“ in Joh 129)? Jede Sündenvergebung, die die Welt läßt wie sie ist, ist blasphemisch.
    Die Logik der Vergöttlichung des Opfers ist ein Teil der Schuld-, Bekenntnis und Herrenlogik. Sie ist heute in den Naturbegriff eingewandert (und hat ihn zum Inbegriff dessen gemacht, was bei den Propheten Unzucht und Hurerei heißt). Bezeichnet nicht der Naturbegriff genau den Knoten, den Alexander bloß durchschlagen hat, und an dessen Lösung nach dem Jesus-Wort die Erfüllung der Verheißungen geknüpft ist?

  • 17.06.93

    Zu Schoeps, S. 271: Ist Auschwitz das Werk der Engel Elohims?
    Es sollte auch in der Kirche endlich zur Kenntnis genommen werden, daß die Kirche in den materiellen Lebensprozeß der Gesellschaft verflochten und nicht darüber erhaben ist (Grundlage dieser Kenntnisnahme ist die Kritik des Weltbegriffs).
    Ist die Trinitätslehre, wie sie zuletzt im neuen Katechismus der Kirche wieder vorgestellt wird, nicht eine logische Konsequenz aus der Lehre von der creatio mundi ex nihilo? Die mit der Trinitätslehre verbundene, biblisch jedoch völlig unbegründete Vorstellung eines „innertrinitarischen Prozesses“ als eines „seligen Lebens Gottes in sich selber“ ist Produkt einer zwangsläufigen (vom affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs nicht abzulösenden) Ästhetisierung der Theologie (Instrumentalisierung der Gottesidee zum „Gottesbild“), und trägt die damit verbundene Vorstellung der seligen Anschauung Gottes (als Teilnahme und Einbeziehung in diesen „innertrinitarischen Prozeß“) nicht voyeurhafte Züge? Liegt hier die früheste Antizipation des Fernsehens und des Sports: des gegenständlichen Korrelats einer von Schuld und Verantwortung befreiten, dafür nur noch identitätssüchtigen Gesellschaft von Zuschauern, von Massen-Voyeuren? Davon sind die Instrumentalisierung der Sprache und das Geschwätz, deren Zusammenhang mit dem Voyeurhaften (der Fixierung an das Aufdecken der Blöße und der Verstrickung in die Knechtsgesinnung) offenkundig ist, nicht mehr trennen.
    Die moderne Astronomie hat uns zu Voyeuren des Kosmos gemacht (Modell der Entpolitisierung der Gesellschaft).
    Tauschprinzip und Inertialsystem: Das erste ist tatsächlich ein aktiv an die Dinge herangetragenes Prinzip, das zweite ein System, das sich hinter dem Rücken dieser Tat bildet (und den Täter in seine Verstrickungen mit einbezieht). Beide sind aufeinander bezogen wie das „Richtet nicht“ und das „damit ihr nicht gerichtet werdet“. Das Tauschprinzip war der verborgene Motor der Naturerkenntnis, in deren Rücken sich (mit Beginn der Zivilisation) der Weltbegriff gebildet hat.
    Hat die Form des Raumes die Trinitätsspekulationen abgelöst (und neutralisiert)? berith und diatheke sind beides Rechtsbegriffe; der eine begründet die Partnerschaft, der andere die Erbschaft. Hiermit hängen die Differenzen der jüdischen und der christlichen Theologie (und die zentrale Bedeutung der Vater-Sohn-Beziehung in der christlichen Theologie) zusammen. Ist die Testamentsbeziehung (und in ihrem Konstext die Vater-Sohn-Theologie) nicht im Weltbegriff begründet, der selber auf den Begriff des Erbes zurückweist? Die Trinitätslehre (deren Funktion dann die mathematische Form des Raumes übernimmt, die Kant als subjektive Form der Anschauung der transzendentalen Logik insgesamt zugrunde legt) konstituiert die Identität der Welt. Hinweis: Die Form des Raumes, das Geld und das Bekenntnis begründen die Subjekt-Objekt-Identität, sie neutralisieren das Herr-Knecht-Verhältnis und machen sie zu logischen Zentren des Objektivationsprozesses: der Feind-, Verräter- und Patriarchats-Logik.
    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion und ihre Einbeziehung in den Begriff der Erkenntnis begründet den Aktualitätsbezug, der jede wirkliche theologische Erkenntnis definiert (und u.a. Adornos Begriff einer „eingreifenden Erkenntnis“ begründet).
    Auch wenn man das Urteil über die Bedeutung der paulinischen Theologie für den Ursprung und die Geschichte der Kirche offenläßt, bleibt doch festzuhalten, daß die dogmatisch verdinglichte Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die aus Paulus herausgelesen worden ist, die wirkliche Erkenntnis und die ungeheure Bedeutung dessen, was hier sich zugetragen hat, eher versperrt.

  • 19.05.93

    Wie man, ohne zu erröten, den Satz niederschreiben kann (Z. 801) „Kein Charisma enthebt der Pflicht, die Hirten der Kirche zu ehren und ihnen zu gehorchen“ ist mir ein Rätsel. Hierzu wäre nur an Mt 1623 („Weiche von mir, Satan“) zu erinnern, aber auch an das Wort „Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen“ und an die Geschichte von den drei Leugnungen.
    Ist nicht die Sprache des Katechismus eine Herrensprache, aber eine, die ihre Autoren selber nicht mehr verstehen, und von der sie auch nicht erwarten, daß andere sie verstehen (sie wünschen es nicht einmal); sie hoffen nur, daß sie auf die Leser Eindruck macht.
    Durch den Begriff des „Prophetenamts“ wird die Prophetie zu einer Sache der Hierarchie und Verwaltung, die, wenn sie eine Beziehung dazu hätte, höchstens als Objekt der Prophetie sich begreifen ließe.
    „Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet?“ (Mt 79f) Aber die Kirche gibt ihren Gläubigen diesen Katechismus!
    Wenn die Kirche der Leib Christi ist, dann der Sprachleib, der sich mit der Fähigkeit der Schuldreflexion bildet. Die Kirche lebt allein aus der Kraft der benennenden Sprache, die sie verschleudert hat.
    Der Akt der Selbstverfluchung ist einer, in dem nicht die Kirche auf sich selbst sich bezieht (das wäre ein Akt, der die Welt nichts angeht), sondern in der Beziehung von Kirche und Welt sich konstituiert: er ist das Produkt der Verstrickung und der Identifikation der Kirche mit der Welt. Die Kirche ist in der Tat das sprachliche Herz der Welt, aber das versteinerte. Es geht nicht um die Rettung der Kirche, sondern um die der Welt. Abgestiegen zur Unterwelt, aber die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.
    Ist nicht das Dogma der Kelch, von dem Er gewünscht und erhofft hatte, er möge an ihm vorübergehen?
    Liegt die Differenz zwischen dem Kelch des Herrn und dem der Dämonen in dem Moment der Reflexion? Der Kelch des Herrn ist der Wein, der zu Blut wird: die Prophetie; er wird zum Kelch der Dämonen durch die Verblendung: durch das fehlende Bewußtsein, daß es der Zornes- und Taumelkelch ist: der Kelch der Dämonen ist die Philosophie (die nur durch das Bewußtsein ihrer selbst zur Prophetie wird).
    Der Weltbegriff ist durch seine Bindung an die Mathematik ein dezisionistischer Begriff (Konsequenzen für die Erkenntnis der Genesis des Nationalismus und der modernen Astronomie).
    Der bestimmte Artikel zerstört die benennende Kraft der Sprache. Er verwandelt jeden Namen in einen Begriff, nachweisbar an der Redewendung „Wir Deutschen“, die korrekt „Wir Deutsche“ lauten müßte, in der gebräuchlichen Fassung aber Ausdruck der Selbstobjektivierung ist, in seiner vollständigen Fassung „Wir, die Deutschen“ heißen müßte und eigentlich der genaueste Ausdruck des pathologischen Selbstverständnisses ist, das in der deutschen Variante der Schicksalsidee und des Volksbegriff sich manifestiert.
    Ist nicht der bestimmte Artikel Ausdruck einer Form der Beziehung zur Objektivität, die als Vorläufer (und Statthalter) des Fernsehens in der Sprache sich begreifen läßt? Wird die Sprache nicht durch die dem bestimmten Artikel zugrundeliegende Sprachlogik in eine Beziehung zur Objektivität gerückt, die den Naturwissenschaften und deren Vulgarisationsformen, insbesondere dem Fernsehen, entspricht? Das heißt: Die Existenz des Fernsehens ist auch ein sprachlicher Sachverhalt: die Leugnung der Wurzel.
    Daß die Nomina im Deutschen großgeschrieben werden, hängt mit der Funktion und dem Stellenwert des bestimmten Artikels in der deutschen Sprache zusammen.
    Bemerkenswert die Beziehung der bestimmten Artikel zu den Personalpronomina: Dem „der, die, das“ liegen offensichtlich die Personalpronomina 3. Pers. sing.: „er, sie, es“ zugrunde. Zugleich sind die bestimmten Artikel im Deutschen die Ausdrucksträger der Deklination, mit charakteristischen Varianten in den genera:
    – Basis ist offensichtlich der allein vollständig durchdeklinierten männliche Artikel (der, des, dem, den),
    – von dem der Artikel des Neutrums abgeleitet ist (mit der Identität von Nominativ und Akkusativ),
    – während im Femininum neben der Identität von Nominativ und Akkusativ zusätzlich die fehlende Unterscheidung von Genitiv und Dativ auffällt, für die dann auch noch der männliche Artikel des Nominativ (der) eintritt.
    Der durchdeklinierte feminine Artikel ist zugleich der für alle geltende Artikel des Plural (ähnlich übrigens wie das Personalpronomen der 3. Pers. plur. identisch ist mit dem der 3. Per. sing. fem.). Gibt es zu der darin sich ausdrückenden Sprachlogik eine Entsprechung in anderen Sprachen?
    Ist nicht das Heideggersche Dasein eine Emanation des bestimmten Artikels (und dieser das letzte stumme Helden-Denkmal der Weltgeschichte der Sprachverwirrung: des Zerfalls der benennenden Kraft der Sprache)?
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch des bestimmten Artikels im Deutschen und der Form der Anrede von erwachsenen Personen durch die 3. Pers. plur. („Sie“)? Sind Großschreibung und Plural Majestatis nicht Stationen in der Geschichte der Herrschaft und des Weltbegriffs?
    Sind Talar und Ornat Feigenblatt oder Tierfell (oder der Strauch, hinter dem Adam sich versteckte)? Aber auf jedenfall etwas, hinter dem die Person sich verbergen kann, mit dem sie ihre Blöße bedeckt.
    Heute besteht die Gefahr, daß die Natur siegt, daß die Vergangenheit die Zukunft verschlingt. Dagegen steht nur das Wort: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.
    Der Katechismus ist ein entsetzlicher Ausdruck der Desensibilisierung, der Unfähigkeit, Erfahrungen zu machen: Dieser Autismus ist ein Produkt des Rechtfertigungszwanges, in den die Kirche mit der Rezeption des Weltbegriffs sich verstrickt hat.
    Johannes Eriugena hat einmal anhand der Geschichte vom Feigenblatt nach dem Sündenfall auf den unterschiedlichen Gebrauch der Schrift hingewiesen: den produktiven, fruchtbringenden im Kontext der Suche nach Gerechtigkeit, der Gottesfurcht und des Gottsuchens, und den, der die Schrift als Feigenblatt mißbraucht, um die eigene Blöße damit zu bedecken: den vom Rechtfertigungszwang determinierten Gebrauch. Ist etwa die Kirche der Feigenbaum, der keine Frucht mehr bringt (Mt 2119ff)?
    Sind nicht die Röcke aus Tierfell, die Gott den ersten Menschen nach dem Sündenfall gab, sowohl ein Mittel zur Bedeckung der Scham als auch Ausdruck der Scham: das Substrat der Herrschaftsgeschichte? Gehört in diesen Zusammenhang auch die Geschichte vom Rock, der ohne Naht war (Joh 1923f), und über den die Soldaten das Los geworfen haben.
    Die Geschichte der Beziehung von Öffentlichkeit und Privatsphäre ist ein Teil der Geschichte der Scham. Die Fixierung der Medien aufs Aufdecken der Blöße hängt zusammen mit dem Satz: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Geht es nicht bei der Verlosung des Rockes um diese Nacktheit (und ihren Zusammenhang mit dem Tod)? Frage: Würden es die Kirche und würden es die Gläubigen ertragen, wenn der Gekreuzigte ohne Lendenschurz dargestellt würde? Hängt nicht das Knechts-und Sklavensymbol der Tradition auch mit dieser Aufdeckung der Blöße zusammen? Ist der Kreuzestod nicht u.a. auch die Antwort auf das Aufdecken der Blöße des andern: die Fähigkeit, mit dem Aufdecken der eigenen Blöße rational umzugehen, die letzte Konsequenz aus der Übernahme der Sünden der Welt. Liegt hier nicht der einzige befreiende Gebrauch des Bekenntnisbegriffs: daß der Schuldzusammenhang zerrissen wird durch das Bekenntnis „ich war’s“.
    Dadurch, daß ich ohne mein eigenes Zutun in den Schuldzusammenhang der Welt, in die ich hineingeboren werde, deren Tradition, deren Sprache und Institutionen ich durch meine Existenz mittrage, verstrickt werde, bin ich Mittäter der Sünde Adams. Das ist die Begründung der Notwendigkeit von Erinnerungsarbeit. Ich kann mich klein machen und die Last der Vergangenheit auf die Erben abwälzen; so haben’s alle getan. Aber bin ich damit entschuldigt?
    Zur Verstrickung der Kirche in den historischen Prozeß und zu den drei Leugnungen: „Amen, Amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!“ (Joh 2118f)
    Die Sexualmoral ist die Unzucht, die sie vorgibt zu verurteilen.
    Zum Katechismus: Hier erkennt die Kirche den Balken im eigenen nur noch als Splitter im Auge des andern (kasuistische Moral).
    Das Feigenblatt und das Hinter dem Rücken als Instrumente eines Schuldverschubsystems.
    Der Gedanke, daß das kreisende Flammenschwert, mit dem der Kerub den Eingang des Paradieses bewacht, das Planetensystem ist, wäre zu ergänzen: Ist der Eingang des Pardieses nicht aus der Sicht der aus dem Paradies Vertriebenen die Pforte der Hölle, in der wir mit der Kirche sind?
    Zu Velikovsky und Heinsohn: Ist die Venuskatastrophe vielleicht ein Stück vergangener Zukunft?
    Erinnerungsarbeit: Theologie als Balanceakt ohne Netz.
    Ist nicht die Form der äußeren Anschauung vor dem Hintergrund der Rosenzweigschen Konstruktion des Angesichts einäugig (das andere Auge ist – wie beim Blick durchs Fernrohr oder über die Zielvorrichtung einer Waffe – durch die Form der „inneren Anschauung“ geschlossen)? Das Anschauen ist das regungslose, empfindungslose, vergegenständlichende und vedinglichende Anschauen; aber es gibt einen anderen, teilnehmenden Blick. Der Raum ist in der Tat als Form der äußeren Anschauung einseitig, während das Licht das Gesehenwerden (und das Bewußtsein, gesehen zu werden) mit einschließt. Das wechselseitige fixierende Anschauen weist auf Stoßmechanik und Konkurrenzverhältnisse zurück.
    Sind nicht der Golfkrieg und danach die Bosnienkatastrophe ein Beweis der Nichtfunktionalität und damit der Überflüssigkeit der militärischen Rüstung? Wenn Generale den Politikern klarmachen, daß der militärische Apparat, den sie beherrschen, für ein Eingreifen in diesen Konflikt nicht geeignet sei, so ist das eine Bankrotterklärung, die wahrscheinlich den Sachverhalt genau widergibt, aus der man aber auch dann die Konsequenzen ziehen sollte. Ist nicht diese Militärmaschine nur noch einsetzbar, wenn man die Auslöschung der Menschheit und das Ende der Geschichte in Kauf nimmt?
    Erfahren die Kinder heute die Erwachsenenwelt als eine gegen sie verschworene Gemeinschaft, die die Gewalt hat, auch in ihrer Gegenwart unreflektiert und unsensibel über sie zu reden, aber nicht mehr die Kraft, ihre Erfahrungen zur Kenntnis zu nehmen und nachzuvollziehen. Hat die Grenze zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt nicht Ähnlichkeit mit der, die das Inertialsystem von der sinnlich erfahrenen Natur trennt?
    Dieser Katechismus ist eine Gebrauchsanweisung für Religionsmanager und -techniker, aber ohne jede Erinnerung an das, was einmal lebendiger Glaube hieß. Er ist nur noch eine Verführung zum Herrendenken, zu der die Kirche heute zu werden droht.
    Die Bekehrung steht im Banne der Herrschaft, aus dem allein die Umkehr herausführt.
    In Eph 39 (Einheitsübersetzung) wird aionos mit Ewigkeit übersetzt (sonst mit Welt!).

  • 09.05.93

    Die mikrologische Arbeit ist der Versuch, den Bann, unter dem der Begriff steht, durch Reflexion aufzulösen: die Sache selbst zum Sprechen zu bringen.
    Ableitung des Konstrukts, wonach es heute nicht mehr auf die Tat, sondern aufs Nicht-erwischt-Werden ankommt, aus der Logik des Begriffs, die darin übereinstimmt mit der Logik der politischen Sprache. Kohl bleibt solange unwiderlegbar, und das Verhängnis ist nicht aufzuhalten, wie es nicht gelingt, die Logik des Begriffs (das darin enthaltene Moment der „List der Vernunft“) zu entschlüsseln. Diese Logik ist ein Ausfluß des trinitarischen Konzepts, die das Konzept der Opfertheologie und das der Schöpfung und Entsühnung der Welt mit einschließt.
    Die vollständige Säkularisation aller theologischen Gehalte setzt die Kritik der falschen Säkularisation, der die christliche Tradition verfallen ist, voraus.
    Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten hat Wurzeln, die durchs Christentum begossen und zum Wachsen angeregt, zum Blühen und Fruchttragen gebracht worden sind, und deren Früchte wir heute genießen. An diesen Früchten wird man es erkennen (vgl. das Gleichnis vom Feigenbaum).
    Der Hund und die subjektiven Formen der Anschauung, oder die Trennung von Sehen und Gesehenwerden: Das Zeitalter des Antichrist wird das Antlitz des Hundes tragen. Die subjektiven Formen der Anschauung als Formen des Angeschautwerdens begreifen: das ist der Schlüssel zum Verständnis der kantischen Philosophie.
    Das Nichts in der Lehre von der creatio mundi ex nihilo wird als ein nihil absolutum vorgestellt, aber das ist nicht denkbar. Dieses Nichts, dieses nihil absolutum war ein Konstrukt zur Begründung einer göttlichen Autorität, die mit Seinem Namen Mißbrauch treibt. Durch dieses nihil absolutum ist die den Herrschenden seit je gefährliche Lehre von den göttlichen Namen destruiert worden. (Liegen nicht überhaupt die Wurzeln des Derridaschen Dekonstruktionskonzepts in der Geschichte der dogmatischen Theologie und in der Konsequenz ihrer blasphemischen Logik?)
    Das Wort vom Binden und Lösen geht nicht nur an Petrus, sondern zugleich auch an die Jünger, an die Gemeinde.
    Eine Leiche im Keller, an der alle ihren Schuldanteil haben, paralysiert heute die Politik.
    Ist nicht der „Wissenschaftsbetrieb“ ein Betrieb im Sonnemannschen Sinne, und der Positivismus eine Berufskrankheit, gegen die sich die Schutzimpfung durch die kritische Theorie nur bedingt als wirksam erwiesen hat?
    Das Hinter dem Rücken und der Weltbegriff als Grund und Inbegriff des leeren Objekts, oder „auf dem Bauche sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen“, oder die dritte Leugnung, oder über den Ursprung des Autismus in Kirche, Wissenschaft und Staat (die Privatisierung von Religion, Wissenschaft und Politik).
    Ist der Autismus nicht ein Produkt der verandernden Kraft des Seins, kommt in ihm nicht die sprachzerstörerische Kraft des Nominalismus auf seinen Begriff?
    Ist die Schlange nicht deshalb das klügste aller Tiere, weil sie das Bewußtsein, von einem Unerkennbaren erkannt zu sein, verinnerlicht hat? Der Preis hierfür war es, (wie an der astronomischen Begründung der modernen Naturwissenschaften nachzuweisen wäre) auf dem Bauche zu kriechen und Staub zu fressen.
    Wissenschaft lebt von der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Produktions- und Kontrollmechanismen und der Leugnung der Spontaneität der Erfahrung.
    Der Samen der Schlange ist der Objektbegriff (das leere Weltenei).
    Die Geschichte der drei Leugnungen ist die Geschichte des historischen Objektivationsprozesses: die Geschichte von Herrschaft, Schuld und Verblendung, die Herstellung jenes Zustandes, den Jeremias als „Schrecken um und um“ beschreibt.
    Zustand der Theologie: die offizielle. lehramtliche Theologie ist die der dritten Leugnung; alle Ausbruchsversuche aber sind bis heute auf Identifikationen mit dem Aggressor hinausgelaufen (bei Metz direkt nachweisbar im ersten Teil seiner Theologie der Welt).
    Wie hängt das Votum für die Armen und die Fremden mit den sieben Werken der Barmherzigkeit zusammen?
    Die Geschichte der Kirche und der Theologie hat Teil am Abstieg zur Hölle (deren „Pforten“ sie nicht überwältigen werden).
    War Kohl nur im Katholizismus möglich?
    Nicht nur das Überzeugen, auch das Widerlegen ist unfruchtbar: Beide gehorchen dem Bekenntnisprinzip und der Bekenntnislogik (ist nicht das Ideologieproblem ein Problem der Bekenntnislogik? Wie verhalten sich Weltanschauung und Ideologie?).
    Im Autismus kommt der Objektbegriff zu sich selber, der Autismus ist eine Form der Isolationshaft (wie die deutsche Staatsmetaphysik). Wie verhält sich der Autismus zur Paranoia und zur Schizophrenie, ist er nicht die Systemeinheit beider (und darin Modell und Produkt des Objektbegriffs)? Rührt daher die besondere Art des autistischen Sprachverlusts (moderne Version der Stummheit des Helden)? Das Kaninchen vor der Schlange, der Anblick der Medusa oder der Schrecken Isaaks.
    Laufen nicht alle, die heute auf Identitätssuche sind, in die Autismusfalle?
    Die transzendentale Logik ist eine Fernsehlogik: Man sieht, aber wird nicht gesehen.
    Drückt nicht die Schlottsche Hypothese (in Adelheid Schlott: Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, München 1989, S. 21f), die die Buchstabenschrift aus der Rezeption der Fremdsprachenschrift anderer (im Falle der Phönizier: Handels-) Völker herleitet, sich aufs genaueste im Namen der „hebräischen“ Schrift aus? (Woher kommen die Namen Griechisch und Latein? Haben die Griechen sich selbst Griechen genannt?)
    Die hebräische Sprache ist eine Objektsprache in dem Sinne, daß sie davon lebt, die Dinge selber zum Sprechen zu bringen.
    Ist nicht die Identität von Sprache und Volk (auf dem Grunde der Idee der Schicksalsgemeinschaft) ein Produkt der modernen Welt (die englische, französische, deutsche Sprache)? Wie drückt sich das in den modernen Sprachen aus? Sind nicht die hebräische, die griechische und die lateinische Sprachen im Kern Kunstsprachen?
    Läßt nicht an der Schlottschen Theorie vom Ursprung der Schrift sich das metaphorische Element der Sprache und der Ursprung seiner Notwendigkeit und seiner Depotenzierung (seines Verfalls) zugleich nachweisen? Das metaphorische Element läuft übers Prädikat und mündet ein im Begriff.
    Die Hegelsche Geschichtsphilosophie führt das kontrafaktische Urteil ad absurdum: in der Idee des Absoluten. Vergleiche hierzu den ungeheuerlichen und blasphemischen Satz, dieses von Hegel umgeformte Schillerzitat, am Ende der Phänomenologie des Geistes:
    aus dem Kelche dieses Geisterreiches
    schäumt ihm seine Unendlichkeit.

  • 05.05.93 (2)

    Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es verbindliche marxistische Analysen deshalb nicht mehr gibt, weil man Angst vor den Konsequenzen, den Ergebnissen, hat.
    Die Methoden-Diskussion: ist das nicht eine Exkulpierungsdiskussion? Sie erinnert an das Verfahren in der ministeriellen Vorstufe der Gesetzgebung, bei der Erstellung des Entwurfs, wo es nicht mehr darauf anzukommen scheint, ob die Vorlage richtig ist, ob sie den gewünschten Erfolg gewährleistet, sondern fast nur noch darauf, ob sie Fehler vermeidet, für die der Referent vielleicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Es gehört in einen Zusammenhang, in dem nicht die Tat sondern das Erwischtwerden den Schuldvorwurf begründet. Methodologische Absicherungen sind Absicherungen in einem Feld, in dem verteidigendes Denken keine Chancen mehr hat; sie sind zu Formen der Identifikation mit dem Aggressor in einem Wissenschaftsbetrieb geworden, in dem jeder Richter des andern ist. Daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, ist ein Satz, der nicht nur in der Justiz gilt; er gehört zu den Prinzipien des Wissenschaftsbetriebs. Wichtiger als die Methodendiskussion, die auf die richtige Anwendung der richtigen Instrumente abzielt, wäre es, die kantische Erkenntniskritik, d.h. die Kritik der Instrumentalisierungsmechanismen im Erkennen, auf den neuesten Stand zu bringen.
    Als Kind war ich einmal fasziniert vom Bild eines Gesichtes, das mich, aus welcher Perspektive ich das Bild auch ansah, jedesmal anblickte. Dieses Angeblicktwerden wird heute insbesondere in den Nachrichtensendungen des Fernsehens ausgebeutet (insbesondere auch von Politikern, die im Fernsehen auftreten). Das verweist auf den Unterschied zwischen dem Radio und dem Fernsehen: Das Radio macht hörig, das Fernsehen totalisiert die Scham.
    Das Inertialsystem markiert die Todesgrenze in den Dingen; aber diese Todesgrenze ist die Schamgrenze.
    Das Keuschheitsgebot bezieht sich auf die Herrschaftsgeschichte; es ist von Adorno auf den einfachsten Nenner gebracht worden: Erstes Gebot der Sexualmoral: Der Ankläger hat immer unrecht.
    Alle drei evangelischen Räte sind Richtschnuren des Handelns, nicht des Urteils. Es gibt keine wahren Urteile, nur richtige oder falsche, die evangelischen Räte aber rühren an die Sphäre der Wahrheit. Die Wahrheit ist keine Qualität des Urteils selber, sondern nur seiner Reflexion: sie schließt das dem Urteil unerreichbare Moment der Versöhnung mit ein. Die Bindung der Wahrheit ans Urteil (Übereinstimmung von Gegenstand und Begriff) hat das achte Gebot umgefälscht ins „Du sollst nicht lügen“. Die Restituierung des achten Gebots ist nur möglich im Kontext der Kritik des Dogmas und der das Dogma beherrschenden Bekenntnislogik: Deshalb kann man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben, als hätte es Auschwitz nicht gegeben. Theologie hinter dem Rücken Gottes lebt von der Vorstellung, man könne ohne Gottesfurcht Theologie treiben (Verwechslung der falschen Befreiung vom Mythos mit der Erlösung; die theologische Rezeption der Philosophie und des Weltbegriffs hat die Idee der Erlösung durch die Unschuldsfalle ersetzt, das parakletische Denken durch die Mechanismen der Selbstexkulpierung: durch die Instrumentalisierung der Umkehr in der Bekenntnislogik, die dann die Natur als Geisel genommen hat: Die Materie ist die Schamgrenze der Dinge, Grund ihrer Beherrschbarkeit).
    Schillers Satz „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ ist das letzte Echo der mittelalterlichen Islamisierung des Christentums, er zieht daraus die Konsequenz.
    Während das Totalitätsprinzip (als Prinzip der Selbstzerstörung) im Faschismus das direkt intendierte Ziel ist, ist es im Sozialismus ein offensichtlich nicht unter Kontrolle zu bringender Nebeneffekt. Der sozialistische Diktator ist Opfer seiner eigenen Paranoia, während der faschistische Diktator die Paranoia aller als Quelle seiner Inspiration und als Resonanzboden seines Charismas ausbeutet. Sozialistische Länder errichten Mausoleen (für ihre Diktatoren als „Opfer“ und Helden der Revolution), Faschisten schänden Gräber.

  • 02.05.93

    In der Figur des „Kongruisten“, in der Beziehung von „Versagen“ und „Selbstsein“, beschreibt Günther Anders (II, S. 157) den gleichen Mechanismus der Verinnerlichung des Opfers, der in der „Dialektik der Aufklärung“, in den „Elementen des Antisemitismus“, als Opfer des Selbst an das Selbst beschrieben wird. Zu ergänzen wäre nur, daß diese Verinnerlichung des Opfers mißverstanden wird, wenn sie nur psychologisch verstanden wird; sie ist ein Moment der Objektivität selber. Das Opfer und seine Leugnung gehören zu den Konstituentien des Gegenstandsbegriffs.
    Die Verinnerlichung des Opfers und die Verdrängung der Umkehr (die Bekenntnislogik) gehören zusammen; und beide sind Teil des Konzepts einer „Entsühnung der Welt“, in dem diese (im Kontext eines magischen Sakramentenverständnisses) unabhängig von der Nachfolge verstanden wird. Die Vorstellung, die Welt sei bereits entsühnt, ist ein Konstituens der Gemeinheitsautomatik.
    Zum Begriff des Drachenfutters gehört der Empörungsgenuß. Und der durchs Fernsehen bezeichnete Entwicklungsstand der Medien belegt die Notwendigkeit des Satzes „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“. Empörungsbereitschaft und Panikbereitschaft hängen zusammen; beide sind verbunden durch das Ohnmachtsgefühl, zu dem es in der Inertialwelt keine Alternative mehr zu geben scheint. Wenn alle Wege des Handelns verstopft sind, bleibt nur Empörung oder Panik, deren Beziehung in die heute endgültig stillgestellte Dialektik von Herr und Knecht, von Subjekt und Objekt gehört.
    Warum sind in der Bibel nur Tiere mit Hörner Opfertiere? (Und woher kommt die Vorstellung, daß dem Mann, dessen Frau es mit einem andern treibt, „Hörner aufgesetzt“ werden?)
    Aufgabe der Philosophie heute: den Gemeinheitskern des Wissenschaftsbetriebs herauspräparieren.
    Durch die Definition von Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand wird die Trunkenheit zum Prinzip erhoben (vgl. Hegels Logik hierzu). Wenn diese Definition stimmen würde, gäbe es in der Tat nur die Alternative Konformismus oder Gewalt.
    Im Islam ist der Engel Gabriel („Mann Gottes“ – gbr/gbrim, Mann/Männer) der Heilige Geist, was sehr gut zur Verkündungsgeschichte beim Lukas paßt. (Ist im Namen Gabriel das br – dessen Beziehung zu Abraham, zum Namen der Hebräer und zum Begriff der Barbaren – ein Bedeutungselement des Namens?)
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ (Mt 1618): d.h. die Vergangenheit wird die Zukunft nicht überwältigen, oder auch: die Natur wird nicht siegen. Aber die Geschichte der drei Leugnungen Petri geht bis zur Selbstverfluchung.
    „Ich werde dir die Schlüssel der Himmel geben; … was du auf Erden lösen wirst, wird auch in den Himmeln gelöst sein.“ (Mt 1619, vgl. auch 1818) Dieser Satz folgt unmittelbar nach dem über die Pforten der Hölle.
    Mt 1016: „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“: Ihr seid vom Herrendenken entbunden. Und „darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Aber verfallt nicht der Paranoia.
    Erinnerungsarbeit: die Einheit von Philosophie und Gebet. Aber in dieser Einheit verändert sich sowohl die Philosophie auch das Beten.
    Die creatio mundi ist die Gründung einer Reinigungsanstalt: der Grund der Fähigkeit, sich trotz der „Sünde der Welt“ und in ihrem Angesicht unschuldig zu fühlen.

  • 29.04.93

    Anders II, Anm. 5 zu S.46: Diejenigen Tiere, die nur konsumieren, also noch nichts aufspeichern (es sei denn am eigenen Leibe), kennen weder Dauer noch Gegenstand noch Eigentum. Die drei bilden ein kategoriales System.
    Das Fernsehen arrondiert zur zweiten Natur durch die logisch geforderte zweite Welt (vgl. Anders II, S. 54). Diese zweite Welt ist eine, in der wir als Objekte den Schein, Subjekt zu sein, frei Haus geliefert bekommen und genießen; dieser Schein ist selber naturwüchsig gewachsen im Nachbarschaftstratsch, der durchs Fernsehen auf die reale Welt ausgedehnt wird.
    Das moralische Subjekt hat keine Erlebnisse, sondern Erfahrungen. Erlebnisse hat nur das ästhetische Subjekt: der Zuschauer. Die Berufserfahrungen verweisen darauf, daß Erfahrungen Praxis voraussetzen, während Erlebnisse nur im Geltungsbereich des Trägheitsprinzips möglich sind. Die Lohnarbeit und das Experiment (der Kapitalismus und die naturwissenschaftliche Aufklärung) vermischen Erlebnis und Erfahrung, begründen den Schein einer moralisch neutralisierten Praxis (und Erfahrung).
    Waren die „Fälschungen“ des Mittelalters nicht schon angelegt in jener Art des Positivismus, die erstmals im Dogma, ausgeführt bei Augustinus (u.a. in dem ad litteram im Titel De genesi ad litteram), erscheint? Die mittelalterlichen Fälschungen gehören in die Vorgeschichte des Nominalismus: In ihnen enthüllt sich der Realismus als Machtinstrument, als experimentelle Nutzung der „verandernden Kraft des Seins“. Die Fälschungen fallen in die gleiche Zeit, in der kirchliche Machtpolitik in Institutionen wie die Lehre vom Fegfeuer, im Zölibat und in der Einführung der Ohrenbeichte (dem Mißbrauch der Lösungsvollmacht der Kirche) sich manifestiert. Aber auch hierfür gilt das „bona fide“ mit dem Johannes Paul II zusammen mit der „Rehabilitierung“ Galileis auch die Inquisition, die ebenfalls in den Kontext der Fälschungsgeschichte hereingehört, freigesprochen hat. Ohne Fälschung waren auch schon das Urschisma (die Ablösung der Kirche vom Judentum) und die Urhäresie (die Gnosis) nicht zu bewältigen. In die Folgegeschichte der Fälschungen gehören das Chronologie-Problem (in der Erd- wie in der Menschheitsgeschichte), insbesondere das altorientalische Sumerer-Problem, aber auch der Antisemitismus (die Grundfälschung überhaupt) und der Faschismus und die Hilflosigkeit gegen ihn, sowie heute eine Struktur von Politik und Öffentlichkeit, die ohne Geheimdienste und ohne aktive Desorientierung der Öffentlichkeit nicht mehr zu funktionieren scheint. FBI und KGB bzw. Stasi und Verfassungschutz sind Produkte unseres Jahrhunderts und Symptome eines Zustands der Welt, der in der christlichen Vorgeschichte (in der Geschichte der Pornokratie, der Fälschungen und der Pornographie) sich herausgebildet hat, und gegen die die bloß moralische Betrachtung („Kriminalgeschichte des Christentums“) ohnmächtig bleibt, durch den in dieser Geschichte erwachsenen Mangel an Reflexionsfähigkeit im Entscheidenden, nämlich im Gegenwartsbezug, in der Fähigkeit zur Selbstverständigung der Gegenwart, gehindert wird, mit ihm den Begriff einer Erkenntnis, die ihrem Anspruch gerecht werden könnte, verdrängt.
    Der Nominalismus hat das realistische Moment in der Begriffsbildung soweit subjektiviert, daß es nicht mehr reflektierbar war.
    Mt 529ff, 188f, Mk 943ff: „Wenn dich deine Hand, den Fuß, dein Auge zum Bösen verführt, so hau sie ab, reiß es aus. Es ist besser …“ Rätselhafter Spruch (hat dieses Auge etwas mit dem Augapfel zu tun, an den rührt, wer Israel angreift?).
    Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, rührt her von der Verblendung gegen die Gegenwart (Subsumtion der Vergangenheit unter die Zukunft). Und ist das „und so viel Vieh“ nicht ein Deckname für Behemot? Auf den Aufruf des Königs hin haben in Ninive außer den Menschen auch die „Tiere: Rinder, Schafe, Ziegen“ Buße getan: Sie sollten „nichts essen, nicht weiden, nicht trinken“.
    Die zukünftige Welt ist vergangen: so ist sie der eigentliche terminus ad quem der Erinnerungsarbeit.

  • 23.04.93

    Anders, S. 143: Die Zweideutigkeit der Medien, bei denen nicht mehr zu unterscheiden ist, was ernst oder unernst („fun“) ist, und ob der Zuschauer als moralisch-politisches Wesen oder als Mußekonsument angesprochen wird, hat ihre Wurzeln im Habitus des Zuschauers selbst (in der Funktion der „subjektiven Formen der Anschauung“). Das Ernste wird unernst, die Information zum Spaß, wenn es in die Exkulpationsmechanismen hineingerät, sie ausbeutet. Wer – als Zuschauer – von der Möglichkeit zu handeln, von eingreifender Praxis, abgeschnitten ist (der Zuschauer kann in das, was er sieht, weder real noch sprachlich, dialogisch, eingreifen, er bleibt in seine Passivität: in seine Impotenz, gebannt), dem bleibt als Reaktion nur das folgenlose Urteil (in dem er sich über die Sache erhaben, moralisch exkulpiert fühlen darf), ihm bleibt das Schuldverschubsystem des Konkretismus und des Personalismus, der Genuß der Empörung, der wie ein Virus, gegen den es kein Mittel mehr gibt, sich ausbreitet. Er darf impotent und inert bleiben, und sich zugleich, da er sich durch Empörung distanziert, unschuldig fühlen. Diesen Fluchtweg beuten heute die Medien aus (Verführung durch Ästhetik). Die Kehrseite der Informationsunterhaltung sind die Hör- und Fernsehspiele, in denen das ungelebte Leben sich in den für es produzierten künstlichen Nachbarschaften („Lindenstraße“) als Voyeur ausleben darf. Hier erscheint der Grund, aus dem die Medien erwachsen und in den sie immer tiefer zu versinken scheinen: der Tratsch, das Geschwätz. Hier braucht kein Propagandeministerium mehr Regie zu führen, Sprachregelungen herauszugeben, das wird durch die synthetischen Urteile apriori der Unterhaltungsindustrie, durch ihre eigene transzendentale Logik, selbsttätig geregelt (Einschaltquote, Auflagenhöhe als Maßstab für Werbeeinnahmen): durch Einbindung der gesamten Sphäre ins Wertgesetz.
    Der „solistischen Massenpanik“ (S. 144) entspricht auf der andern Seite im Falle der realen Untergangsgefahr, das gelassene Zuschauen: Im Golfkrieg wurde in Tel Aviv Nacht für Nacht die Skyline der Stadt im Fernsehen gezeigt; so konnte man die Scud-Raketen anfliegen sehen, deren Opfer man dann selber in Gefahr war zu werden. (Aber ist dieser Unterschied nicht auch einer der Medien: die solistische Massenpanik gehört zum Radio, Zuschauer beim Weltuntergang wird man im Fernsehen.)
    Inertialsystem und Fernsehen: Die Asymmetrie (Neutralisierung der Ethik und Konstituierung des Habitus des Zuschauers) ist in beiden Fällen gleich.
    Ist Ludendorff das Modell der Kohlschen Politik? Sind nicht die Weichen schon gestellt, wonach die Sozialdemokraten die Suppe werden auslöffeln müssen, die hier eingebrockt wird? Und haben die Sozialdemokraten diese Rolle nicht selber längst internalisiert, erwarten sie überhaupt noch etwas anderes für ihre Rolle in der Politik??
    Anders, Anm. zu S. 168: Hinweis, daß „alle heutigen Konterrevolutionen … mit Hilfe derer erkämpft werden, gegen die sie gerichtet sind“. Genauer ist die Funktion von „Solidarpakt“ und „Asylkompromiß“ nicht zu beschreiben.
    Beachte die 1. Anm. zu S. 180 und den dazugehörigen Text, demzufolge in den Naturwissenschaften der Singular noch zum Nichtsein gehört (einmal ist keinmal). Wie hängt diese Bemerkung mit der christlichen Trinitätslehre und der Lehre von der Eucharistie zusammen: Wird hier nicht auch der Kreuzestod durch seine endlose Wiederholung erst real gemacht (aber mit der Folge, daß er so nur als „Gottesmord“, für den ein Schuldiger präsentiert werden muß, real zu machen ist: Ursprung des theologischen „Antijudaismus“)?
    Sind nicht die Banken die Verwalter des Unterirdischen (der Schulden), daher ihre Affinität zum Mythischen (und ist nicht die Bundesbank, oder allgemein die Zentralbanken, ein Erdbebenverhinderungsinstitut – Verhältnis der Zentralbanken zu Geschäftsbanken wie Seismographen zu den Erdbebenzentren)?
    Die Philosophie war das Produkt eines „Erdbebens“ in der mythischen Welt. Sie bedurfte, um sich dann gesellschaftlich zu stabilisieren, der Theologie, des Dogmas, des Bekenntnisses. Für sich genommen, wären die Begriffe Welt und Natur nicht tragfähig gewesen.
    Herrschaft macht blind, und mit der Herrschaft wurde seit Beginn der Aufklärung in Europa auch die Blindheit vergesellschaftet.
    Im Inertialsystem ist die „Schwerkraft“ eine die Dinge von außen (von hinten) angreifende Kraft, die sich auf ihr Substrat, die schwere Masse, ähnlich bezieht wie die Stoßprozesse auf die beteiligten trägen Massen. Ist der Fall ein modifizierter Stoßprozeß, oder der Stoßprozeß ein modifizierter Fall (in der Schwerkraft greift der Feind hinterm Rücken an)?

  • 03.04.93

    „Alle Erscheinungen liegen in einer Natur und müssen darin liegen, weil ohne diese Einheit (sc. die Einheit der Apperzeption) a priori keine Einheit der Erfahrung, mithin auch keine Bestimmung der Gegenstände in derselben möglich wäre“ (S. 212). Der Weltbegriff ist das Apriori der Natur; er bezieht sich ähnlich auf die Natur wie der Mythos (als Inbegriff der Kosmologien) auf die Opferreligion. Spiegeln die Opferreligionen (bis hin zum Christentum) nicht den „dynamischen“ Grund der Kosmologien?
    „Die Schrift ist als eine Macht der Scheidung in die Welt gefahren.“ (Rosenzweig: Jehuda Halevi, S. 211) Ist das kreisende Flammenschwert des Cherubs vorm Paradies (auch) die Schrift? Liegt hier ein versteckter Hinweis auf die Beziehung des Ursprungs der Astronomie zum Ursprung der Schrift?
    Das Inertialsystem ist der Blick von der Seite: Von welcher, und wie sieht’s von der anderen Seite aus?
    Ist das Trockene des dritten Tages der Grund des Weltbegriffs, das sich aus den Wassern des Mythos erhebt, und die eine Stelle, an der sich die Wasser sammeln sollen: die Philosophie?
    Zu Dt 205ff und Lk 1418ff: Wo liegen die Differenzen?
    – Dt 20 bezieht sich auf die Vorbereitung zum Kampf gegen einen überlegenen Feind, Lk 1418 auf die Einladung zum Hochzeitsmahl;
    – der erste und der dritte Punkt stimmen überein: der Kauf eines Ackers und die Heirat.
    – an der zweiten Stelle steht im Dt „einer, der einen Weinberg anlegt und noch nicht die erste Lese gehalten hat“, bei Lk einer, der „fünf Ochsengespanne gekauft (hat) und … auf dem Wege (ist), sie mir genauer anzusehen“;
    – der letzte Punkt aus Dt fehlt bei Lk: Ist unter euch einer, der sich fürchtet und keinen Mut hat? Er trete weg und kehre nach hause zurück.
    Bei Mt (222ff) geht der eine auf seinen Acker, der zweite in in seinen Laden, andere fielen über die Boten her, mißhandelten sie und brachten sie um.
    Das Sehen, überhaupt die sinnlichen Beziehungen zur Außenwelt, sind bei Tieren und Menschen Mittel der Orientierung und Hilfen der Selbsterhaltung. Mit der Organisation der sinnlichen Wahrnehmung ist (bei Tieren und Menschen) das Moment der Selbstbewegung verbunden. Diesen Zusammenhang (von sinnlicher Gegenständlichkeit und Instrumentalisierung) bildet die Arbeit und dann das Inertialsystem ab. Welche Bedeutung hat vor diesem Hintergrund das Fernsehen (generell die technische Reproduzierbarkeit der sinnlichen Welt), das nicht mehr unmittelbar auf die Außenwelt, sondern auf Bilder der Außenwelt sich bezieht? In welcher Beziehung steht die technische Reproduzierbarkeit der Außenwelt zum Bilderverbot?

  • 30.03.93

    Reichtum ist, was alle andern dem Reichen schulden.
    Der Gnadenschatz ist das von der Kirche verwaltete Erbe, daß Jesus durch seinen Tod erworben (oder produziert?) hat.
    Nordafrika und Irland: Die Selbstbegründung des Christentums in der Provinz verdankt sich zunächst handelskapitalistischen (Nordafrika ist kanaanäisch) und dann agrarischen Bedingungen (vermittelt durchs irisch-schottische Mönchswesen). Die Scholastik trägt bereits frühkapitalistische Züge. Sie erweist sich am Ende als zweiter, diesmal regressiver Durchlauf des Mythos.
    Die Rosenzweigsche Todesangst hat insofern etwas mit Getsemane zu tun, als sie, indem sie das All (das Universum) sprengt, sich in den drei Bruchstücken des Alls als Grund des Mythos wiedererkennt (Mensch, Welt, Gott).
    Das Inertialsystem ist die Vergegenständlichung der Hegelschen List.
    Zum Satz von Binden und Lösen gehört die apokalyptische Geschichte vom Millenarium. Das Millenarium selber bezeichnet die Zeit der Bindung. Aber diese Zeit ist auf tausend Jahre begrenzt: Für diese Zeit gilt das Wort vom Weizen und vom Unkraut.
    Liefern die alten Dogmatiken (von Brinktrine oder Diekamp) gleichsam den Stoff für das Volkslied „Es klappern die Mühlen am rauschenden Bach“?
    Ist nicht die gegenwärtige Welt ein Produkt der Instrumentalisierung des Sündenfalls (ein Produkt der Selbstreferenz der Instrumentalisierung)?
    Im Angesicht und Hinter dem Rücken: Muß man nicht heute auch die andere Bedeutung (deren Realsymbol das Fernsehen ist) mit hereinnehmen, daß die neue Unmittelbarkeit, als restlos produzierte und in sich vermittelte, ihre eigenen säkularen Mysterien in sich verbirgt: um sie begreifen zu können, müßte man die Vorgänge hinter dem eigenen Rücken begreifen; deshalb die zwanghafte Neigung zur Paranoia, die das Fernsehen produziert (und in den Projektionsangeboten, die es liefert, zugleich ausbeutet). Dieser Geheimbereich, der in der Stasi der DDR sichtbar geworden ist, ist allgegenwärtig; sein Wachstum kann (wie das der Banken oder das des Militärs) als Maß des Fortschritts angesehen werden. Aber das Fernsehen ist nicht nur der Schein des verlorenen Angesichts, die Ausbeutung und Vermarktung seines Verlusts: es ist eine Station (wenn nicht die letzte) auf der Bahn seines Sturzes, die von den Gesetzen der Scham bestimmt wird („und sie erkannten, daß sie nackt waren“).
    Wäre die Theologie seit Augustinus ohne das Konzept des Fegfeuers überhaupt zu retten gewesen: ohne die Instrumentalisierung und Relativierung der Dämonenfurcht? Das Fegfeuer ist Ausdruck des Katzenjammers nach dem augustinischen Konzept des seligen Lebens (Kater nach der Trunkenheit).
    Merkwürdiger Eindruck: Der Hinweis Teilhard de Chardins, daß alle Tiere Produkte hypertropher Selbstinstrumentalisierung (mit Zentralorganen wie Hörnern, Zähnen, Klauen, Hufen) sind, läßt sich aufs deutlichste demonstrieren an der Mimikri, an der vollständigen Anpassung an die Umwelt (Zeichnung und Farbe der Schmetterlinge, Federkleid der Vögel): an dem Eindruck, daß die Wahrnehmung der Umwelt (die Farben der Äste, Blätter, Blüten) in die Produktion des eigenen Gesehenwerdens mit einfließt. Erinnert das nicht an das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, an die Selbstwahrnehmung im Blick der andern? Gibt es einen Zusammenhang von Selbstinstrumentalisierung und Scham, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung? Aber wer blickt sie an?
    Junge Tiere blicken intelligent, neugierig, aufmerksam; alte Tiere blicken dumm, verschlossen, enttäuscht, depressiv.
    Wie der Benjaminsche Begriff der Aura scheint dieses Phänomen mit der Objektivität des Angesichts zusammenzuhängen, die zerstört, zersprengt wird durch die kantische subjektive Form der Anschauung: den Raum.
    Die allverbreitete Verbrechensfurcht ist die projektive Verarbeitung der eigenen Schuldgefühle, die vom Besitz sich nicht ablösen lassen.

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