Die Gottesfurcht ließe sich definieren als die Rücknahme des projektiven Denkens (als Produkt der Metanoia), so wie umgekehrt der projektive Erkenntnisbegriff aus der Strategie der Gottesfurcht-Vermeidung sich ableiten läßt (das Neutrum als Kern eines Schuldverschubsystems).
Der Weltbegriff ist der Inbegriff und der Versuch der Selbstlegitimation des projektiven Denkens.
Logik und Funktion des Substantivs wären anhand der Logik und Funktion des idealistischen Ich zu demonstrieren.
Zur Unterscheidung des Anderen vom Fremden: Das Andere ist das, was Fichte das Nicht-Ich genannt hat, eine systemimmanente, logisch aufs Ich bezogene und zugleich den Weltbegriff fundierende Bestimmung. Während der Andere ichfremd ist, bezeichnet der Name des Fremden ein der eigenen Welt Fremdes, etwas Gattungsfremdes: Hier liegt der Grund, weshalb Xenophobie nur rassistisch sich begründen läßt.
Sind Sodom, Jericho und Gibea nicht auch Decknamen des Hellenismus (und die Fremden in diesen Städten für deren Bewohner „Barbaren“)? Sodomitisch ist die Xenophobie, deren Beziehung zum biblischen Begriff der Unzucht aus den biblischen Texten sich entnehmen läßt.
Die Sexualmoral und das Tier: Indem die Sexualmoral der bloßen Tabuisierung zuarbeitet, die Reflexion verhindert, enthumanisiert sie die von ihr beherrschte Gesellschaft. Die Sexualmoral entzieht den Bereich der Gattung der Reflexion: Sie ist sie im Kern rassistisch.
Tiere sind Verkörperungen erstarrter, verdinglichter Projektionsmechanismen; deshalb sind sie erfahrungsunfähig.
Die Forderung, das projektive Denken zurückzunehmen, das betrifft insbesondere den Gebrauch, den die Theologie von der Schrift macht. Die „Unheilsprophetie“ und die Schreckensbilder der Apokalypsen sind nicht auf andere anwendbar: sie sind Konkretisierungen der Gottesfurcht. Man könnte auch sagen: Nur die göttlichen Verheißungen gelten für alle, die göttlichen Gebote gelten nur für mich.
Die Rücknahme der projektiven Verarbeitung der Apokalypse (die nur so als Quelle der Angst, als Herrschaftsmittel, sich ausbeuten läßt) hat insbesondere zur Folge, daß der Glaube in den apokalyptischen Bildern und Symbolen nicht in der Opferrolle, sondern in der des Täters sich reflektiert.
Ist nicht durch das Sabbath-Gebot für die jüdische Tradition die Astrologie ab ovo zeitlich, und nicht räumlich begriffen worden? Und gewinnt hier nicht die Begründung des Sabbath-Gebots durch ihre Beziehung sowohl auf das Sechs-Tage-Werk als auch auf den Exodus ihre enscheidende Bedeutung?
War Paulus nicht in der Tat der Völker-Apostel (und der Begleiter des Petrus, mit dessen Gedächtnis sein Gedächtnis zusammen gefeiert wird)? Und ist er dadurch nicht zum „Erfinder“ des Christentums geworden und zum Urheber der ersten der drei Leugnungen (das Modell des „falschen Propheten“, der „zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache“)? So wurde er zwar in den dritten Himmel entrückt, aber der Himmel stand ihm nicht offen (zuletzt dem Stephanus). Gehören die Dämonen-Geschichten der Evangelien (sowie die merkwürdige sachliche Affinität des Petrus zu den Dämonen) in diesen Kontext?
Ist nicht die Übersetzung der Schrift ins Erbauliche insgesamt das Produkt ihrer projektiven Verarbeitung? Alle negativen Bilder werden auf andere bezogen und so für die Gottesfurcht unschädlich gemacht, neutralisiert.
Die drei Versuchungen, das waren:
– die Versuchung, Steine zu Brot zu machen,
– die Versuchung, sich (von der Zinne des Tempels) hinabzustürzen, und
– die Herrschaftsversuchung.
Sind sie nicht alle auf die Kirche, die ihnen verfallen ist, zu beziehen? Was waren die Antworten Jesu auf die Versuchungen? Der Hinweis, daß
– „der Mensch … nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“, lebt;
– „du … den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ und
– ihn „anbeten und ihm allein dienen“ sollst.
Sind das nicht allesamt Mahnungen an die Kirche?
Fichte
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17.1.1995
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3.7.1994
Das Gebet ist die Antwort auf die Einsicht, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
Die jüdische-christliche Tradition unterscheidet sich vom gegenwärtigen Utopiebegriff dadurch, daß sie die Vergangenheit (die Natur) in die Utopie mit hereinnimmt.
Wenn das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht ist, heißt das nicht auch: Hegels Geschichtsphilosophie gegen den Strich bürsten?
– Der evangelische Rat des Hörens ist der Ausgangspunkt einer Kritik der Logik der Schrift,
– die Armutsforderung liegt der Kritik des Geldes (des Kapitalismus) zugrunde,
– das Keuschheitsgebot der Herrschaftskritik.
Der dem Begriff der Keuschheit korrespondierende Begriff der Unschuld ist immer als natürliche Unschuld, als Unschuld vor der Sünde, verstanden worden. Aber diese Unschuld hat es nie gegeben. Muß dann nicht auch die Keuschheitsforderung auf das Werk der Versöhnung bezogen werden?
Unschuld und Glück sind korrespondierende Begriffe. Beide sind nicht am Anfang, sie sind nicht etwas zu Bewahrendes; sie sind Ziel, nicht Ursprung (Unschuld ist zu gewinnen durch Sündenvergebung).
Ist nicht die Opferfalle eine Unschuldsfalle: Wer reines Opfer ist, für den ist der Täter, der Schuldige, erkennbar.
Das Wahrnehmungsorgan der Sensibilität ist die Sprache (das Hören).
Der Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, beweist schlagend die Asymmetrie von Ethik und Recht. Er ist insofern der Beginn einer Gottesbeweises, als er gegen die Hypostasierung des Rechts die Ethik als prima philosophia zu begründen vermag (die Ontologie schützt die Gemeinheit).
Die Universität ist die Tathandlung, die Fichtes Wissenschaftslehre begründet.
Die Sprache konstituiert die Welt; weshalb sprengt dann die Todesangst das All? Ist das Neutrum (und sind die ihm korrespondierenden grammatischen Strukturen) das Produkt der Verdrängung der Todesangst?
Was bedeutet es eigentlich, daß in den semitischen Sprachen auch die zweite Person schon (oder noch) geschlechtsbezogen (männlich oder weiblich) ist? Hinweis: Ein Neutrum wäre in der zweiten Person nicht denkbar; und die Verschiebung der Geschlechtsabhängigkeit in die dritte Person verändert die Beziehung zur Sexualität insgesamt.
Während es die Aufgabe der Geschichtsschreibung zu sein scheint, die Vergangenheit stillzustellen (so daß sie die Gegenwart nicht mehr beunruhigt oder belastet), hatte die jüdische Geschichtserinnerung die irritierende Eigenschaft, die vergangenen Sünden zu erinnern (bis hin zur Sünde Adams, zur „Sünde der Welt“). Hier gründet die verhängnisvolle Wirkung, die der christlichen Erlösungslehre sich verdankt: Durch eine geringfügige Verschiebung (durch Herausnahme der Übernahme der Sünde der Welt aus dem Nachfolgegebot, mit der Konsequenz der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu) hat sie der Erinnerung, dem Eingedenken, den Weg verstellt.
Nicht zufällig hat die Aufklärung (bis hin zu Hegel) den Sündenfall als Akt der Befreiung verstanden.
Der Hinweis im neuen Weltkatechismus, daß „Himmel und Erde“ ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, leugnet den Sündenfall und bringt in die Theologie einen Widerspruch hinein, der in ihr nicht mehr zu lösen ist: der die Wahrheit, und mit ihr die Menschen, aus der Theologie heraustreibt (abtreibt). Hier gründet das projektive Moment in der kirchlichen Stellung zur Abtreibungsdebatte. Aber wird mit den Frauen nicht die einzige in der Schrift bezeichnete Instanz, die die Feindschaft gegen die Schlange repräsentiert, aus der Kirche herausgetrieben?
Paulus hat nicht „die Gemeinde“ (die Kirche) verfolgt, sondern er war verantwortlich für einen Mord: die Steinigung des Stephanus. Bei seinem ersten Besuch in Jerusalem waren es die „Hellenisten“ (nicht die Juden), deren Angriffen er ausgesetzt war, und während er nach dem Galaterbrief nur Kephas (und den Herrenbruder Jakobus) getroffen hat, ist er nach der Apostelgeschichte „bei den Jüngern“ aus- und eingegangen. Salus/Paulus hat den Zebedäussohn Jakobus offensichtlich nicht mehr getroffen (die Hinrichtung des Jakobus war später als die Verfolgungen des Saulus, aber vor dem ersten Besuch des Saulus in Jerusalem).
Der erste „Bischof“ in Jerusalem war der „Herrenbruder“ Jakobus (der zum „Apostel“ als nachträglicher „Zeuge“ der Auferstehung geworden ist, vgl. 1 Kor 157).
Verfolgungen in Jerusalem:
– durch Hohepriester/Sadduzäer: die Apostel (Apg 517ff),
– durch „einige aus der Synagoge, welche die der Libertiner und Cyrenäer und Alexandriner genannt wird“ und Saulus: Stephanus und die „Gemeinde“, die „Hellenisten“ (Apg 69ff),
– Herodes: Hinrichtigung des Johannes-Bruders Jakobus (einer der Zebedäus-Söhne) und Gefangennahme des Petrus (Apg 121ff). -
19.09.93
Sind die drei Gegenstände, in die bei Rosenzweig das All zerspringt (Mensch Gott Welt), nicht in den drei Totalitätsbegriffen Kants (Wissen Natur Welt) vorgebildet, die die Grundlage für die drei Gestalten des deutschen Idealismus (Fichte Schelling Hegel) bildeten, über deren innere Beziehungen aber seit Kant niemand mehr nachgedacht hat?
Macht nicht die Rosenzweigsche Sprachreflexion Halt vor dem Genus-Problem (Ursprung des Neutrum) und vor der grammatischen Logik der Konjugation und des Gebrauchs der Hilfsverben (Futur, Änderung der Bedeutung und Funktion des Perfekt, Futur II und Plusquamperfekt)?
Im Lateinischen endet der Akk. sing. mit -m, im Griechischen (und im Deutschen) mit -n (im Deutschen rutscht das -m in den Dativ). Hängt das mit der Geschichte des Eigentumsbegriffs und seiner Stellung zum Staat zusammen?
Der Weltbegriff entspringt aus der Neutralisierung des Vater-Sohn-Konflikts; deshalb steht der Kreuzestod für den Zustand, nicht für die Entsühnung der Welt. Der Kreuzestod ist die offene Wunde der Welt. Wie hängen die subjektiven Formen der Anschauung damit zusammen?
Naturphilosophischer Aspekt der vaterlosen Gesellschaft: Mit den Himmeln wurde der Vater abgeschafft (pater noster, qui es in coelis).
Die Welt ist der zur absoluten Konfrontation stillgestellte Geschlechter-, Generationen- und Geschwister-Konflikt.
Grundlage der Bildung des Weltbegriffs ist die Bildung des Neutrum (eine indogermanische Bildung, die wahrscheinlich aus dem Akkusativ entsprungen ist: vgl. die Beziehung von Satan und Schlange).
Zur Theorie des Lachens: Muß man nicht auch hier zwischen einem satanischen, teuflischen, und dämonischen Lachen unterscheiden (zu welchem gehört das zynische Lachen)?
Durch die theologische Rezeption des Weltbegriffs wurde Herrschaftskritik zur Sexualmoral und die Umkehr zur Gesinnung, zum Bekenntnis instrumentalisiert (und zugleich spiritualisiert und depotenziert).
Die Welt und die Zerstörung des Angesichts (Geschichte der Scham und der Privatsphäre, der Skulptur und des Portraits): Nach dem Sündenfall verbargen sich Adam und Eva vor dem Angesicht Gottes unter den Bäumen des Gartens. -
21.04.93
Nach Günther Anders haben Nacktheit und „das Gesicht verlieren“ etwas gemeinsam: Wenn Gesichter nackt werden, verwandeln sie sich in einen bloßen „Körperteil …, dessen nacktes und unkontrolliertes Aussehen das von Schulter oder Gesäß an Ebenbildlichkeit um nichts mehr übertrifft“ (S. 86).
Sind Fälschungen (z.B. im Mittelalter) nicht Begleitphänomene der Instrumentalisierung: Hier kommt es nicht mehr darauf an, ob es stimmt, was behauptet wird, sondern primär darauf, welchen Zwecken es dient. Der Nominalismus sanktioniert die Bindung der Wahrheit an Zwecke. Das Tabu, auch Produkt einer „Fälschung“, ist eine gesellschaftlich instrumentalisierte Schamgrenze: Wie hängen die Fälschungen im Mittelalter mit den „religiösen Bewegungen“ des Mittelalters zusammen? M.a.W. handelt es sich überhaupt um „Fälschungen“, können es nicht auch Begleitphänomene kollektiver, herrschaftsgeschichtlicher Verdrängungen, wie die nachfolgende Geschichte der Hexenverfolgungen und des Antisemitismus, sein? Waren in der Ursprungsgeschichte des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ die Legitimationsbedürfnisse anders zu befriedigen? Welche Legitimationsbedürfnisse werden heute z.B. durch das Konzept der „Tiefenzeit“ befriedigt? Muß man nicht den moralischen Ton aus dem Begriff der Fälschung herausnehmen?
Die Verwandlung der Anschauungs- in die analytische Geometrie ist der Beginn der Totalisierung und Vergesellschaftung von Herrschaft.
Zur Geschichte des Ursprungs der Raumvorstellung, Raum und Scham: Die Raumvorstellung entspringt mit dem „und da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, m.a.W. sie ist ohne Scham nicht zu haben. Jeglicher Mythos beruht auf der Unfähigkeit zur Reflexion der Scham, auf der Verdrängung der Scham.
Die kausale Verknüpfung von Sünde und Schuld ist auch ein Mittel der Exkulpierung durch Verdrängung, insbesondere wenn in die Definition der Sünde die Vorstellung mit hereingenommen wird, man könne sich durch Nichthandeln von der Sünde freihalten.
Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae: Dieser Geist konstituiert sich in der Kritik des kopernikanischen Systems. Denn erst das kopernikanische System hat das Antlitz der Erde zerstört und jede Erinnerung daran verdrängt. Das Angesicht und die Umkehr haben nicht nur subjektive, sondern auch objektive Bedeutung; die Richtungen im Raum (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) sind nicht nur auf den menschlichen Leib bezogen, sondern haben mit den Himmelsrichtungen, dem Himmel und der Scheol zu tun.
Das Licht ist das erste durchs Wort Erschaffene: Die Finsternis über dem Abgrund bezieht sich auf den Abgrund der Sprache, in dem die Sprache sich nicht wiederfindet, und die Finsternis drückt genau diese Ohnmacht der Sprache aus, die erst mit der Erschaffung des Lichts aufgehoben wird: Auch die Finsternis bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zum Licht.
Die subjektiven Anschauungen bei Kant sind Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden, etwas, wohinter das Subjekt sich vor den Dingen versteckt. Und es ist genau diese Abstraktion, die als Begriff der Welt dann sich konstituiert. In der Welt darf man alles, sich nur nicht erwischen lassen.
Franz Rosenzweig spricht einmal von der verandernden Kraft des Seins: das Produkt dieser verandernden Kraft des Seins ist die Welt.
Das Objekt verhält sich zu den Formen der Anschauung wie das Subjekt zum Prädikat im Urteil. Über die Formen der Anschauung wird das Prädikat zum Begriff subjektiviert, wird die Subjektivität in die Objektivität so tief eingesenkt, daß sie fast nicht mehr davon zu unterscheiden ist.
Ist nicht die Vereinigungsmystik der Unzuchtsaspekt dieser Vermischung von Subjektivität und Objektivität, mit verschiedenen Phasen und Aspekten dieser Unzuchtsgeschichte (Ursprung des Patriarchats: Materiebegriff, griechische Päderastie: noesis noeseos, Rousseaus Inzest: Zurück zur Natur, faschistische Homosexualität: Judenmord, postmoderne Abstreibungsdebatte: Ende der Theologie – Entschlüsselung des evangelischen Rates der Keuschheit)? Die Raumschlinge wird immer enger (die ungeheure metaphorische Bedeutung der Stammheimer Selbstmorddiskussion und der Isolationshaft im Kontext des Problems der Instrumentalisierung des Opfers).
Ist nicht die Schrift nur verständlich, wenn die Ontologie als prima philosophia ersetzt wird durch die Ethik? Wenn Emanuel Levinas die Ethik als prima philosophia gleichsam als kantische verdammte Pflicht und Schuldigkeit faßt, als Geiselhaft im Angesicht des andern, so steht er noch unterm Bann des postmodernen Primats des Andern. Die Unterscheidung zwischen dem Andern und dem Fremden läßt in der „Geiselhaft“ das Moment der Befreiung aufleuchten. Die französische Postmoderne erinnert nicht zufällig (schon seit Sartre) an Fichte: Das/der Andere ist das Fichtesche Nicht-Ich, es bleibt im System; erst der Name des Fremden sprengt das System.
Sodom, Jericho und Gibea genau vergleichen: Wer sind die Fremden, wer die Aufnehmenden (wer wird gerettet?), wer die Gewalttätigen (nur in Jericho ist es der König?); welche Rolle spielen die Frauen in diesen Geschichten? Wie enden die Geschichten? Beziehungen zum Stammbaum Jesu (Rahab und Ruth, auch Bethlehem)?
Hat das Relativitätsprinzip genetisch etwas mit der Entdeckung der Perspektive in der Malerei zu tun, auch mit der Entdeckung des Porträts (nach dem Modell der Totenmaske)? Hinterm Porträt tauchte dann schon bald der Totenkopf auf, eine Entdeckung des Barock, aber seine Vorgeschichte liegt im Reliquienkult. Das Porträt war ein Symbol des aufsteigenden Bürgertums, der Totenkopf das des Absolutismus.
Bemerkungen zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Zusammenhang der Struktur des Inertialsystems mit der der indogermanischen Sprachen. Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird ein empirisches Moment zu einem Strukturelement des Systems. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn man das strukturelle Moment in der Sache festhalten könnte, aber das empirische Moment daran, der Wert der Lichtgeschwindigkeit, variabel wäre? Wäre es nicht denkbar, daß dieser Wert gekoppelt ist mit der Gravitationskonstanten (oder der Gravitationsbeschleunigung)?
Erinnern nicht die metaphorischen Elemente der Sprache an die „Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung“? Ist nicht das Licht (auch die Schwere, das Spitze, das Stumpfe) ein sprachlicher Sachverhalt, bevor er ein empirischer ist?
Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt (Kritik des Dogmas und Metaphorik).
Wie kann man gegen die Abtreibung, aber gleichzeitig für die Genforschung sein? -
25.10.92
Zu Metz (S. 113): Der Begriff der „Information“ sollte etwas kritischer gesehen werden (vgl. auch den Exkurs 3; auch den Begriff der „Tatsache“, sowie die Fichtesche und Goethesche „Tat“). In gleichem Zusammenhang ein Hinweis auf die Gefahr, daß die Kirche zum steinernen Herzen der Welt wird, und diese Gefahr (und ihre Begründung) ist ins Auge zu fassen.
S. 120: Überredung und Überzeugung; dazu Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar.
Die Aufklärung – und das reicht über Kant bis hinein in die Hegelsche Philosophie – hat den Sündenfall, das Essen vom Baum der Erkenntnis, als Symbol ihres eigenen Ursprungs angesehen. Daraus hat Wittgenstein das Resume gezogen: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Frucht vom Baum der Erkenntnis).
Daß die Verweltlichung der Welt sich christlichen Ursprüngen verdankt, ist wahr. Aber daraus lassen sich keine apologetischen Folgerungen ableiten, sondern im Gegenteil: Mit der Einsicht in diesen Zusammenhang verfällt die Möglichkeit der Apologetik insgesamt.
Woher kommt der Name der Hellenen, und woher der der Griechen; kommen im NT nur die Griechen, oder auch die Hellenen vor?
Ist Saulus, der Benjaminite, der Wolf, der als Paulus das Schafsfell übergezogen hat? Hat dieses Schafsfell etwas mit dem „goldenen Vlies“ (das goldene Fell des Widders, den Phrixos in Kolchis dem Zeus opferte, Objekt der Argonautenfahrt) zu tun, und sind beide nicht gleichsam nur Steigerungen des Feigenblattes?
Die Elektrodynamik sagt mehr über das Inertialsystem als über das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages.
Ist die Trinitätslehre ein später Reflex der Feste zwischen den Wassern, die Gott am zweiten Tage gemacht und dann schamajim genannt hat, ein Amalgam von Feuer und Wasser (von jüdischer und griechischer Tradition: zu dem Zecke, die griechische Tradition aufzuzehren, um das Feuer vom Himmel zu holen, von dem er „wollte, es brennte schon“)?
Nach Ranke-Graves ist das Volk Gog (Ez 38 und 49) identisch mit den Gargarensern (Griechische Mythologie, S. 456), die als Nachbarn der Amazonen deren männlicher Partnerstamm waren (S. 452). Sind die Amazonen Magog? -
20.10.92
Der Weltbegriff, mit dem wir es heute zu tun haben, unterscheidet sich vom antiken durch den Systemcharakter, durch das Moment der Selbstbegründung: durch den transzendentallogischen Objektbegriff und durch die Selbstbegründung des Warencharakters der Dinge nach der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, oder durch die Beziehung beider zur Urteilsform. Der moderne Weltbegriff ist Ausdruck des Sieg der Subjektivität.
Wichtiger noch als die Säkularisierung der Theologie, scheint mir, ist die Säkularisierung der Teufelsvorstellungen, die Aufdeckung des fundamentum in re der Namen Satan, Diabolus und Daimon.
Was ist das: „Ereignis des Christentums“, „Christusereignis“? Ereignis ist das Korrelat des Erlebnisses, es tritt ohne unser Zutun ein, ist wie das Erlebnis isoliert, aber damit fähig, in ein Possessivverhältnis einzutreten: ein Ereignis kann ich mir als irrationales Erlebnis zu eigen machen, ähnlich wie heute die Deutschen ihren Urlaub (deshalb Er-„eignis“? – Vgl. auch die anderen Possessivableitungen: Eigentlichkeit, Meinung, Allgemeines, Gemeinheit, das „Sein“?), Zusammenhang mit dem Schicksalsbegriff. (Vgl Metz, S. 63)
Metz, S. 64: Was ist eine „Glaubenserfahrung“; setzt sie nicht die Idee einer Glaubenswelt voraus, und welche Folgen hat das (es ist eine contradictio in adjecto, die allerdings genau zum Christusereignis paßt)?
S. 68: Die Vorstellung, daß ein „alles verfügende(r), alles vorsehende(r) Gott“ auf „den Menschen“ „zukommt“, ist nach Auschwitz eigentlich nicht mehr erträglich. Das ist schlechter Jargon der Eigentlichkeit. Was auf uns zukommt, dürfte etwas ganz anderes sein.
FR von heute: Der evangelische Landesbischof von Bayern, Herr Hanselmann, weist zu Drewermann darauf hin, daß die Erlösung an die Gottessohnschaft Jesu gebunden sei (d.h. wer diese in Frage stelle, leugne jene). Aber ist diese Erlösung nicht eine, die voraussetzt, daß Ihm (durch mythische Vergöttlichung) die ganze Schuld aufgebürdet wird: ist sie damit nicht doch zu teuer erkauft? Und wissen nicht imgrunde alle, auch Hanselmann, daß dieses Konzept die Erlösung ad calendas graecas hinausschiebt, d.h. die Garantie enthält, es werde schon nicht eintreten?
Der christliche Schöpfungsbegriff, den Metz unreflektiert übernimmt, ist insoweit auch ein philosophischer (kein theologischer), als er durch seine Beziehung auf den Weltbegriff (die in der Institution des Privateigentums gründet) innerhalb dieser philosophischen Possessiv- und Allgemeinheitsordnung bleibt. Durch den Trick der Idee einer creatio ex nihilo glaubte die christliche Theologie über die griechische Philosophie (und deren Leugnung der Schöpfungsidee) hinauszukommen, hat damit jedoch das Problem in einer Weise verschärft, daß die Gemeinheit seitdem sehr tief in der Theologie angesiedelt und nicht mehr daraus zu entfernen ist. Hier liegt der Grund jener seitdem (über das Dogma bis in die Ursprünge und die Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung) sich durchsetzenden Objektivierungstendenz, die heute die theologische Tradition aufzuzehren droht. Durch die Lehre von creatio mundi ex nihilo ist die Leugnung der Schöpfungsidee in den Schöpfungsbegriff mit hereingenommen worden. Und der Preis ist jene Opfertheologie, auf die der bayerische Landesbischof Hanselmann sich bezieht, wenn er gegen Drewermann (der anders zu kritisieren wäre) bemerkt, daß es ohne die Gottessohnschaft Jesu keine Erlösung gebe.
Das Dogma wird wahr, wenn es gelingt, es aus der objektivierenden Einstellung herauszunehmen und unters Gesetz der Nachfolge zu bringen. Aber das hätte die siebenundsiebzigfache Umkehr zur Folge, und danach sähe alles ganz anders aus.
Drewermann wäre nur vorzuwerfen, daß sein Form der Adaptation der Theologie das Nachfolgegebot zu umgehen trachtet, damit aber in den Kontext der Gottesfurcht-Vermeidungs-Strategien hineingerät. Und genau das ist sein kirchliches Erbe. Seine Theologie ist eine um die Welt gekürzte Theologie, und deshalb Tiefenpsychologie.
Ist die kirchliche Theologie nicht der Rückschritt von dem Fell, das Gott den Menschen nach dem Sündenfall gegeben hat, damit sie ihre Scham verdecken, zu den Feigenblättern?
Zum Mannesalter, auf das Karl Thieme einmal hingewiesen hat: Es sieht so aus, als ob die Theologie heute um keinen Preis erwachsen werden möchte.
Wie tief verwirrt muß Otto Schily sein, wenn er den Tod von Petra Kelly und Gert Bastian glaubt dazu nutzen zu können, den Grünen eins auszuwischen (und das noch vor Klärung der Todesursache).
Der erste, der die Schulphilosophie zur Weltphilosophie gemacht hat, Immanuel Kant (der mit Vornamen nicht nur so hieß), hat damit gleichzeitig das Motiv der Sünde der Welt, die die Philosophie seitdem mit zu übernehmen hat, kenntlich gemacht. Aber darüber sind seine Nachfolger hinweggegangen. War Kant nicht der erste Christ?
Ausgangspunkt der falschen Transzendenz nach Kant (im Begriff des Absoluten, der kein Gottesname ist) war die Fichtesche Absolutierung des Wissens.
Erinnerungsarbeit heute ist der Versuch der Aufarbeitung der Ursprungs- und Entwicklungsgeschichte des blinden Flecks, der uns alle – die Theologen eingeschlossen – zu Atheisten macht. Diese Geschichte ist beschrieben in der von den drei Verleugnungen Petri. Und in dieser Geschichte ist der Name des Petrus (Kephas) begründet. (Bezieht sich darauf nicht auch die Frage Maria Magdalenas und der Frauen, als sie zum Grabe eilen: Wer wird uns den Stein fortwälzen? Ist Petrus der Stein, der das Grab verschließt? Jedoch der Stein vorm Grab heißt lithos, nicht kephas. Haben die drei Tage im Grab etwas mit den drei Leugnungen Petri zu tun?)
Welcher hebräische Ausdruck steht am Ende des Jonas-Buchs, in dem: „und so viel Vieh“, für den Namen Vieh? Unter den Haustieren sind nur zwei Raubtiere: die (ägyptische) Katze und der (babylonische) Hund. Die übrigen Haustiere sind Behemoth: grasfressendes Vieh. Wenn auch das grasfressende Vieh am Ende des Buches Jona Behemoth ist, steht das dann nicht in Beziehung zum grasfessenden Nebukadnezzar im Buch Daniel? Und sind nicht eigentlich die Herren auch Behemoth, tendentielle Haustiere?
Die Hebräer waren in Ägypten geächtete Kleinviehnomaden (Schafhirten); die Austreibung der Dämonen verweist sie auf die Schweineherde, die bei den Juden geächtet war. Die Christen sind Schweinefleisch- und Blutwurstfresser: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe.“
Die Schuldvergebung im NT ergibt nur Sinn im Kontext der Übernahme der Sünde der Welt , in die die Schuld aller mit eigneschlossen ist.
Zur Unterscheidung von Sünde und Schuld vergleiche Ps 10914 (über die Schuld der Väter und die Sünde der Mutter).
In Ps 1142 werden das Heiligtum und das Reich auf Juda und Israel verteilt; vgl. dazu die Bemerkungen von Gordian Marshall und Michael Hilton zu Jude und Israelit. Sind die Juden vielleicht tatsächlich durch Auschwitz wieder zu Israel geworden? Jesus kommt wie David aus dem Stamme Juda (der Antijudaismus und der daraus hervorgegangene Antisemitismus tragen projektive Züge: wir sind die Juden, die wir in den anderen verfolgen).
Die Ödipus-Geschichte bezeichnet nicht nur einen individualpsychologischen, sondern zugleich einen welthistorischen Sachverhalt: die Geschichte der Ich-Bildung, des Ursprungs des Realitätsprinzips und des Weltbegriffs. Hier wird es deutlich: der Weltbegriff ist Erbe und Produkt des Mythos; er nimmt in der christlichen Tradition die gleiche Stelle ein wie in der jüdischen Tradition die Idolatrie, der Sternen- und Opferdienst. Auch der Mythos verdankt der Verdinglichung der benennenden Kraft der Sprache: hier wurden Metaphern zu Götzen. Und diese Götzen wurden überflüssig, nachdem die Metaphern irrational geworden sind und das Prinzip der Verdinglichung rein sich durchsetzte durch den Weltbegriff (gleichzeitig mit der Absicherung des Privateigentums durch das Institut des Rechts).
Die Ursünde der Theologie war es, diesen Weltbegriff im Banne des Weltbegriffs und unter Umgehung des Nachfolgegebots, der Forderung, die Sünde der Welt zu übernehmen, naiv gegenständlich übernommen hat. Sie ist damit in Probleme hineingekommen, die sie nicht mehr hat lösen können. Die Geschichte der Häresien ist die Geschichte des beginnenden Bewußtseins dieser Probleme, die dann aber durch die Verurteilung der Häresien (im Prozeß der Dogmenbildung) nur verdrängt, nicht gelöst worden sind. Die Dogmen sind die Narben dieses traumatischen Prozesses. Zentral (und paradigmatisch) für die theologische Erinnerungsarbeit wäre die Aufarbeitung des Anfangs und des Endes der Geschichte der Häresien, nämlich
– des Gnosis-Problems: des aufkommenden Bewußtseins, daß die Lehre von der Erschaffung der „Welt“ falsch ist (die Welt ist in der Tat nicht von Gott, sondern vom Demiurgen: vom Staat erschaffen; vgl. den Zusammenhang des Absoluten mit der Lehre vom Staat im Hegelschen System), und
– der Reformation, mit dessen Entstehung die Kirche ihre häresienbildende Kraft verloren hat, durch Abschluß der Weltanpassung der Theologie (Bekenntnisbegriff und Rechtfertigungslehre).
In diesem Zusammenhang erweist sich die Bemerkung Hanselmanns als Beleg dafür, daß die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst hat.
Die Theologie verkörpert eine Gestalt der Erkenntnis, die das Intimste und das Öffentlichste zugleich umfaßt: das hängt mit ihrer Stellung zur Welt zusammen. Aber es macht den Schritt ins Öffentliche so schwer, wenn man das Intimste, an dem die Wahrheit hängt, nicht verraten will. Der Begriff der Öffentlichkeit ist selber ein Aspekt des Weltbegriffs: erst seit der Konstituierung des Weltbegriffs gibt es Öffentlichkeit. Und die Geschichte der Öffentlichkeit hat teil an der Geschichte des Weltbegriffs und an der Geschichte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, den der Weltbegriff bezeichnet.
Die Geschichte der Theologie steht unter dem logischen Zwang, den der Weltbegriff auf sie ausübte. Welt und Natur sind keine Objektbegriffe, sondern transzendentallogische Totalitätsbegriffe, Begriffe, die den mundus intelligibilis so vorstrukturieren, daß die zentrale Kategorie der theologischen Erkenntnis, die der Umkehr, neutralisieren.
Zur Kritik der transzendentalen Logik: Indem das Subjekt sich über das Objekt zu erheben vermeint (theologisch: sich „empört“), fällt es selber darunter. Hier liegt der Zusammenhang von Empörung und Fall, und die Begründung des Satzes: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Der damit zusammenhängende Satz: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, bezeichnet zugleich den Grund dessen, was bei Hegel Weltgericht heißt, und eher als Abkömmling des mythischen Schicksals (das als verinnerlichtes im Begriff überlebt) sich begreifen läßt, denn als anderer Name fürs Jüngstes Gericht, mit dem es immer verwechselt wurde: Das Jüngste Gericht wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
Jede Empörung ist ein Aufdecken der Blöße. Bei dem Satz des Täufers: „Ecce agnus dei, qui tollit peccata mundi“, ist daran zu erinnern, daß Er uns wie Schafe unter die Wölfe geschickt hat; d.h. wir selbst unter dem Namen des Schafes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt.
Der Hegelsche Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Entstehung des Pöbels zu steuern (Rechtsphilosophie), bezeichnet genau die Grenze seiner Philosophie. Dagegen setzt die Prophetie das Votum für die Armen und die Fremden (die „Barbaren“, die bei Hegel unter dem Begriff des Pöbels erscheinen).
Jericho und Sodom als Symbole der Fremdenfeindlichkeit: Beide werden zerstört. Aber was bedeutet es, daß Rahab eine Hure ist, und Lot als Ersatz seine Töchter anbietet (die gleichen Töchter, die ihn später trunken machen, um nicht ohne Kinder zu bleiben, und sei es um den Preis des Inzests). Beide: Rahab und (über die Moabiterin Rut) eine der Töchter Lots (und damit auch Lots Weib, die im Angesicht der Katastrophe zur Salzsäule erstarrt) gehören zum Stammbaum Jesu. -
12.08.92
Es gibt keinen euklidischen Raum, es gibt nur euklidische Flächen (im orthogonalen Raum). Und die sogenannten nichteuklidischen Räume sind eigentlich Systeme nichteuklidischer Flächen im orthogonalen Bezugsraum.
Was passiert eigentlich sprachlich, wenn der Psalmensatz „… heute habe ich dich gezeugt“ mit Hilfe der Beweislogik auf das trinitarische Dogma von der Zeugung des Sohnes durch den Vater bezogen wird?
Der Rensch’sche Determinismus, sein Begriff der Willensfreiheit und der Freiheit überhaupt, hängt damit zusammen, daß er sein Naturgesetz-Konzept als Exkulpationsmittel mißbraucht. Er ist so unfähig, Freiheit in Beziehung zur Schuld zu begreifen, sondern nur in Beziehung zum Kausalgesetz; und da ist die Freiheit in der Tat das Wunder in der Erscheinungswelt, das er leugnen muß. So wird die Ethik für ihn gegenstandslos. (Vgl. u.a. S. 203)
Die Begriffe Wissenschaft, Natur und Welt bilden ein System, in dem keiner der Begriffe ohne den anderen besteht. Es ist das Verdienst der transzendentalen Logik Kants, das erstmals ins Bewußtsein gehoben zu haben. So wird nicht zufällig die nachfolgende Geschichte des deutschen Idealismus, die Abfolge der Systeme in ihr, durch das Verhältnis dieser drei Begriffe geprägt: Der Fichteschen Wissenschaftslehre folgt die Schellingsche Naturphilosophie und dann die Hegelsche Weltphilosophie. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man diese drei Begriffe auf die Theologie bezieht:
– Die Wissenschaftslehre leugnet die Offenbarung,
– die Naturphilosophie die Auferstehung der Toten und
– Hegels Welt-Philosophie leugnet die Schöpfung.
Grund ist das Verfahren der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die transzendentale Logik oder das Prinzip des Ursprungs und der Auflösung der Begriffe.
Objektivation und Instrumentalisierung: das scheint der Kern des Hegelschen Begriffs der List zu sein, aber mit der Instrumentalisierung verdampft die Idee der Wahrheit, verflüchtigt sich die benennende Kraft der Sprache. Die kritische Theorie verdankt sich der Reflektion des Instrumentalisierungsmoments im Hegelschen Begriff der Dialektik. Und genau diese Reflektion hat Habermas in seiner Kommunkationstheorie unterbunden: Konsens ist in der instrumentalisierten Welt nur möglich durch Unterwerfung unter „gemeinsame“, d.h. fürs Subjekt vorgegebene Ziele; diese „Gemeinsamkeit“ aber wird durch den Bruch in der Welt selber verwehrt. Auf diesem Wege ist das Herrendenken in die Habermassche Philosophie wieder eingewandert. Habermas hat begriffen, daß die Idee der Versöhnung, die der kritischen Theorie zugrunde liegt, auch die Änderung der Natur und die Aufhebung der Vergangenheit (die „Auferstehung der Toten“) mit einschließt; er hat nur die falschen Konsequenzen daraus gezogen.
Zur Bedeutung des Reliquienkults: Die Erinnerung des Martyriums ist der Realgrund des Bekenntnisses. Und das reale Schuld- (und Glaubens-) Bekenntnis ist das Bekenntnis, zu den Tätern und nicht zu den Opfern zu gehören (sich auf die Seite der Welt geschlagen zu haben). Daran erinnerten die Märtyrer. Die Verdinglichung dieser Erinnerung im Reliquienkult war zugleich der Ursprung des überwältigenden Exkulpierungs- und Verdrängungsapparats, zu dem die Kirche dann geworden ist. Der Schlüssel hierzu ist der Naturbegriff.
Mit der Opfertheologie wurde dem Opfer etwas aufgebürdet, was es nicht leisten konnte: wurde es nochmals verraten.
Es ist der wissenschaftliche Objektbegriff, der uns alle, ohne daß wir es auch noch wahrnehmen, auf die Seite der Täter transportiert und ans am Ende auf entsetzliche Weise stumm macht.
Die Marxsche Idee einer resurrectio naturae ist eine ähnliche contradictio in adjecto wie die einer Erschaffung der Welt.
Hegels Idee, daß die Substanz als Subjekt sich erweist, ist über den Weltbegriff vermittelt und nur um den Preis zu realisieren, daß durch den Begriff die verandernde Kraft des Seins dann auch die Substanz affiziert, ihr (wie allgemein dann der subjektlosen Natur) den Schein des Subjekthaften verleiht. So ist die spätere Welt-Philosophie Hegels schon in der Phänomenologie des Geistes angelegt.
Was mich am Angehörigen-Info stört, ist diese Larmoyanz, die gezielt genutzte Instrumentalisierung der eigenen Opferrolle. Darüber darf man freilich nicht vergessen, daß die Gefangenen in der Tat heute auch Opfer sind, und von denen, die ihre Strafhaft als Geiselhaft mißbrauchen, bewußt und gezielt dazu gemacht werden. Auch hier gibt es eine Instrumentalisierung des Opfers: eine der terroristischen Abschreckung dienende Instrumentalisierung (in der an die faschistische Vergangenheit erinnernder Wiederholungszwang weiterwirkt).
Bedeutung des Ursprungs des Futur II in der Sprache, Beziehung zum Inertialsystem (zukünftige Vergangenheit), zum Ursprung des Materiebegriffs (Zusammenhang mit dem Ursprung des Staates). Materie und der biblische Begriff des Staubs (Sündenfall, Name der Hebräer). Futur II: Begriffsbildung, Hypostasierung des Prädikats, Ursprung der Raumvorstellung und des Objektbegriffs (das sich in sich selbst reflektierende Prädikat). Wer ist die Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt? Und wie hängt Adam, der Staub ist und wieder zu Staub wird, mit der Tertullianischen Systematisierung der lateinischen Theologie zusammen, dem Ursprung des Personbegriffs und der Vorstellung, daß die Frau, wenn sie in den Himmel kommt, zum Manne wird?
Ist die christliche, an die Person gebundene Unsterblichkeitslehre im Gegensatz zur Lehre von der Auferstehung der Toten nicht doch die ausweglose Hypostasierung des Staubs (des Selbsterhaltungsprinzips, des Objektbegriffs, des Materiebegriffs)? -
07.08.92
Die Christen haben das Lamm zum Sündenbock gemacht. Sie haben IHM die ganze Schuld aufgelastet; seitdem stehen sie in Gefahr, die Juden (als Gesamtschuldner) in Solidarhaftung zu nehmen.
Das, was man so leichthin das naturwissenschaftliche Weltbild nennt, ist der Inbegriff der ausweglos unerlösten Welt. Das in Verbindung mit „Religion“ ergibt eine hochbrisante Mischung. Die Fundamentalismen geben einen Vorbegriff dessen, was hieraus einmal hervorgehen kann.
Die Physik: das ist der Benjaminsche Schock als irreversibler Dauerzustand. Hängt es mit der Prolongierung des Schocks heute zusammen, wenn das, was Benjamin die „göttliche Gewalt“ nennt, zu fundieren (oder zu berichtigen wäre) im göttlichen Zorn, wobei im Begriff des Zorns ein sprachliches und ein naturales Element mitklingen: die Verbindung von treffendem Wort und Feuer („… und ich wollte, es brennte schon“).
Die Beziehung von Sprache und Natur, die Kopernikus verwirrt und zerstört hat, hat sich durch Einstein wieder eröffnet.
Die Attraktivität der Jungschen Lehre vom kollektiven Unbewußten und von den Archetypen rührt daher, daß sie daran erinnert, daß die Verdrängungsprozesse nicht nur im einzelnen Subjekt sich abspielen, sondern mit objektiven historisch-gesellschaftlichen Prozessen verbunden sind; diese Einsicht wird nur durch die Psychologisierung wieder entschärft, der objektive Katalysator dieser Prozesse aus dem Blickfeld gerückt. Es wird ein gefährliches Gemisch erzeugt: der Effekt der Verdrängung, die Exkulpierung, soll nicht preisgegeben werden und wird nicht angetastet. Die Produkte der Exkulpierung werden verharmlost; man kann dem Schrecken ins Gesicht schauen, weil man sich ihm angleicht. Nicht zufällig verfallen insbesondere religiös gestimmte Leute, wie Alt und Drewermann, dieser Attraktivität. Das, was zu entschlüsseln wäre, die Psychologisierung, rührt daher, daß die objektive Instanz, die diese Verdrängungsprozesse erzwingt und fast irreversibel macht, bis heute der Kritik sich entzieht: die naturwissenschaftliche Aufklärung und die durch Geldwirtschaft definierte Gesellschaft.
Die Tatsache, daß der Raum drei Dimensionen hat, ist ein Hinweis darauf, daß auch der Objektivationsprozeß – und mit ihm der Verdrängungsprozeß – eine reale Grenze haben muß. Diese Grenze ist beschrieben in der Geschichte der drei Leugnungen; auf sie verweisen zusätzlich die sieben unreinen Geister.
Die Geschichte der christlichen Theologie als Teil dieses Objektivations- und Verdrängungsprozesses war so nur möglich auf der Basis und mit Hilfe der christlichen Sexualmoral.
Auch die Philosophie ist eine Art der Identifikation mit dem Aggressor: nämlich der Identifikation mit dem Denken der Anderen (als Ursprung des begrifflichen Denkens).
Begriffe wie Ereignis, Gemeinheit, Tatsache bilden eine Konstellation, in deren Zentrum der Weltbegriff steht: Mithören muß man im Ereignis die Beziehung Eigentum (Wilhelm von Humboldt schreibt Eräugnis: das ins Auge Fallende; gibt es eine sprachliche Beziehung zwischen Auge und Eigen), in der Gemeinheit die Beziehung zu Mein und zur Meinung, und in der Tatsache das Moment der Tat (in jeder Berufung auf die Tatsachen ist der Hinweis auf den Sündenfall mit enthalten).
Fichte und Goethe haben etwas wesentliches getroffen, wenn sie im Hinblick auf den Anfang des Johannes-Evangeliums den Logos glauben durch die Tat ersetzen zu müssen („Im Anfang war die Tat“, und Fichtes Begriff der Tathandlung).
Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen: Heißt das nicht doch nur, daß sie, solange die Kirche besteht, sich nicht schließen werden? -
07.06.91
Bezeichnet die „Urflut“ im Schöpfungsbericht das flüssige, frei verschiebbare Element der Schuld, in dem dann die Meeresungeheuer sich bilden?
Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit, weil sie der Riegel vor der projektiven Schuldverarbeitung ist, weil sie die Leugnung der Schuld durch Exkulpation, durch Verdrängung und Abwehr verbietet.
Ich habe Kant nie als Rechtfertigung, sondern immer als Kritik des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs verstanden. Ich stand sozusagen auf der Seite Schopenhauers, nicht auf der Seite Fichte, Schelling, Hegel.
Der Grund für den Konkretismus bei Heinsohn und seinen Mitarbeitern liegt in der Unfähigkeit, die Dialektik von Geltung und Genesis zu durchschauen. Gunnar Heinsohn hebt zu Recht das subjektive Moment in der Geschichte des Ursprungs der Geldwirtschaft (der „Schuldknechtschaft“, der Beziehung zur Schuld überhaupt) hervor. Das schließt aber nicht mit ein, daß darin heranwachsende Moment der Herrschaft des Tauschprinzips bloß falsch ist. Nur, weil er das Tauschprinzip tendentiell verdrängt, kommt er in den zwangshaften Empirismus herein, der dann in der konkretistischen Naturkatastrophen-Theorie zutage tritt. Er muß dazu seine Zuflucht nehmen, weil er anders den gesellschaftlichen Bruch, der damals eingetreten ist, nicht erklären kann: eine der Folgen ist dann die Vulgärpsychologie, mit der er das „Ereignis“ dann ausmalt, um den Ursprung des Opfers zu erklären; Totem und Tabu ist vollständig vergessen.
Übersieht er nicht in seinem Konzept des Ursprungs des Privateigentums durch die Landaufteilung unter den aus dem Matriarchat exilierten Männern die nomadische Vorform des Privateigentums (die Tierherde, das erste Geld: pecunia); vgl. hierzu die Patriarchengeschichten der Bibel (Ismael und Isaak, Jakob und Esau, Jakob und Laban, Lea und Rahel). Werden diese deutlichen Hinweise nicht schlicht unterschlagen? Oder ist Abraham schon der zweite, nicht erbberechtigte, rechtlose Sohn, der deshalb mit seinem Neffen Lot aus dem chaldäischen Ur emigriert, zum kleinviehzüchtenden Nomaden wird, aber auch in den Königen und Priestern seinesgleichen (aus gleichem Ursprung herkommend) erkennt? Welche Bedeutung haben dann die Geschichten mit Sara, Rebekka und Rahel?
In der Abraham-Geschichte ist das erste Privateigentum, der als Begräbnisstätte gekaufte Acker.
Unaufgeklärt bleibt bei Heinsohn immer noch der Ursprung und die Funktion des Tempels und des Opfers in der Geschichte der Geldentstehung und auf der anderen Seite der Grund für die Verstaatlichung der Münze (wann und durch wen?). Die Tempelbank hat wohl nur binnenwirtschaftliche Bedeutung, während die Verstaatlichung der Münze außenwirtschaftliche Bedeutung hat, mit dem Ursprung des Weltbegriffs, mit der Kolonisation, mit dem Eroberungstrieb zusammenhängt.
Welche Bedeutung haben überhaupt die Eroberungen durch Assur, durch Babylon, durch die Makedonier, durch Rom (die vier Reiche des Daniel), in welcher Beziehung stehen sie zu dieser ökonomischen Entwicklung? Ist Sumer das ökonomische Babylon? Läßt sich das prophetische und das apokalyptische Babylon in diesem Zusammenhang genauer bestimmen (wenn Sumer das ökonomische B. ist)?
Welche Bedeutung hat es für die neuere Geschichte, daß die Missionierung von der Peripherie, von Irland und Schottland, ausgeht, und die ökonomische Moderne von den Wikingern, den Normannen?
Wie sieht es mit der ökonomischen Struktur, den ökonomischen Grundlagen des Islam aus, mit der Nähe zum Nomadentum und zum Handel, bei gleichzeitigem Zinsverbot (Verhinderung der „Schuld-knechtschaft“)? Ist das Privateigentum, der beginnende Kapitalismus mit der Ausplünderung der Majorität durch die restlichen, verbleibenden Privateigentümer, hier ohne Grundlage geblieben? Gibt es im Islam Sklaverei, Lohnarbeit? Welchen ökonomischen Hintergrund hat die Scharia, das islamische Recht?
Wenn Gunnar Heinsohn seine ökonomischen Analysen nur auf die Beziehungen von agrarischen und städtischen Verhältnissen anwendet, den nomadischen Bereich (und mit ihm die Geschichte des Opfers) aber ausklammert, vernachlässigt, wird damit nicht der ganze Problembereich der Domestikation und Zucht der Tiere, des Fleischessens, ausgeklammert? Welche Bedeutung hat dann die Beschneidung und das Verbot, Schweinefleisch zu essen?
Zu Heinsohns „Schuldknechtschaft“: Schuld (das fehlende Privateigentum, die Armut) ist die gesellschaftliche Energiequelle der Geldwirtschaft, des Kapitalismus.
Während in der gesamten Vorgeschichte das Opfer irrationale Notwehr war (Entlastungsfunktion), hat erst das Christentum das Opfer verinnerlicht, instrumentalisiert und zum Herrschaftsmittel gemacht.
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