Geld

  • 30.8.1994

    Kann Kohl sich noch darauf herausreden, daß auch er nicht weiß, was er tut? Wüßte er es wirklich nicht, weshalb begleitet er dann jede Gemeinheit der Tat mit einem Dementi des Worts? Er weiß, daß die Rede von Ossis und Wessis diskriminierend ist, zum politischen Sprengstoff zu werden droht; aber er redet so wie nur ein Wessi redet. Die Reflexion bleibt abstrakt, sie erreicht nicht mehr das praktische Gewissen (der Grund hierfür wurde gelegt, als der Logos zum Logos wurde). Liegt hier nicht der Grund der allgemeinen Überzeugung, daß Reden nichts hilft? Grund ist die Unfähigkeit zur Reflexion der Urteilsform (des Weltbegriffs).
    Rom hat den Logos gekreuzigt.
    Die Geschichte der drei Leugnungen ist die Geschichte der Selbstzerstörung der Sprache.
    Ist nicht Luthers sola scriptura eine Konsequenz aus dem augustinischen ad litteram, wird es nicht durch dieses Schriftverständnis verhext?
    Kranken nicht unsere Diskurs- und Kommunikationstheorien an der Unfähigkeit, die Urteilsform, die Urteilslogik, zu reflektieren? Sie haben den erkenntniskritischen Teil der kantischen Philosophie ad acta gelegt, verdrängt, damit aber die gesellschaftskritischen Konsequenzen aus der kantischen Erkenntniskritik entschärft. Liefert nicht der Jakobus-Brief den entscheidenden Hinweis auf den Schuldzusammenhang von Sprache und Welt, auf den gleichen Schuldzusammenhang, den die Philosophie und ihrer Folge die Wissenschaft seit je zu neutralisieren versucht, um sich zugleich umso tiefer in den Schuldzusammenhang zu verstricken? Adorno hat recht, wenn er darauf hinweist, daß es keine Position außerhalb der Welt gibt: die Vergegenständlichung der Welt steht selber unter dem Gesetz der Logik der Welt.
    Nur wer die Last (die Sünde der Welt) auf sich nimmt, anstatt sie durch Vergegenständlichung zu verdrängen, befreit sich von ihr.
    Wissenschaft heute: das in Angst vor der Schlange erstarrte Kaninchen.
    Hat das Christentum mit dem Begriff des Zeugens nicht die aufgedeckte Blöße ins Zentrum ihrer Theologie: in die Trinitätslehre mit hereingenommen? Die Barmherzigkeit des Vaters kommt im Dogma nicht vor. Ist das nicht ebenso eine Konsequenz der Bekenntnislogik wie die Opfertheologie?
    Liefert Heinsohns Geldtheorie nicht auch einen Beitrag zum Verständnis des Ursprungs des Bußsakraments (und des katholischen Mythos insgesamt)?
    Stimmt es daß das mit „klug“ übersetzte hebräische Wort in Gen 31 auch mit „nackt“ übersetzt werden kann, daß die Schlange nicht nur „klüger“, sondern auch „nackter“ war als die Tiere des Feldes? Aber stimmt dann der Komparativ? Ist diese Klugheit die Klugheit der Schamlosigkeit?
    Steckt nicht die Geschichte der Zeit in der Geschichte von der Sonnenuhr zur Quarzuhr? Und haben nicht Einstein und Planck den Schlüssel des Abgrunds verfügbar gemacht? Was hat der Schlüssel des Abgrunds mit der Pforte der Hölle zu tun?
    Die subjektiven Formen der Anschauung als Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden (von der Scham) sind das Instrument des Aufdeckens der Blöße und der Abstraktion vom Angesicht Gottes. Entspringt die Nacktheit erst mit der Logik der Schrift?
    Die Logik der Schrift ist der Quellpunkt der Wolfswelt, der Gemeinheit, die sich selbst nicht begreift.
    Die indogermanische Sprache als Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
    Sind die Winde nicht ein gemildertes Feuer, das dann in Gewittern als Blitz hervorbricht? Haben die vier apokalyptischen Reiter etwas mit den vier am Euphrat gebundenen Winden zu tun?

  • 21.8.1994

    Liegt nicht zwischen physis und natura, zwischen Zeugung und Geburt (in der man „das Licht der Welt erblickt“), die Gebärmutter: die Barmherzigkeit, die Hysterie?
    Im Endeffekt hat das Christentum die Unsterblichkeit von der Auferstehung: das Wort von seiner Erfüllung getrennt.
    Ist es nicht das Selbst, das in der Hegelschen Philosophie überall seine Duftmarken setzt (und darin nicht die Sache, sondern – wie das Geld in den Waren – nur sich selbst wiedererkennt)?
    „Es (das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urteile und der Realität) erhebt auf jeder Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts und verliert durch sein dialektisches Vorgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich und bereichert und verdichtet sich in sich.“ (Logik II, S. 502, Hervorhebungen H.H.) Wird hier nicht der Erkenntnisprozeß als einer der Ausbeutung beschrieben, und erinnert die Beschreibung nicht zugleich an die „Arbeit“ des Geldes und der Banken?
    Ist nicht der euklidische Beweis das Modell und das Paradigma jeglichen Beweises, und worauf gründet er: Entspricht die Orthogonalität im geometrischen Beweis den Zeugen im Gerichtsbeweis, repräsentiert sie die Andern, die Gesellschaft, die Welt im Subjekt (und was haben die Märtyrer, die Blutzeugen, mit der Orthodoxie zu tun)?
    Unmittelbarkeit und Reflexion (oder Vergegenständlichung und Instrumentalisierung) sind durch die Orthogonalität (durch die Hereinnahme des Blicks des andern) auf einander bezogen.
    Wodurch unterscheidet sich die demonstratio von der monstratio? Was hat die Demonstration (und insbesondere sein historischer Ursprung: der Sieges-/Triumphzug und die Fronleichnams-Prozession) mit dem Beweis zu tun?

  • 15.8.1994

    Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das ins Nebeneinander ein Nacheinander hineinbringt, würde es kein räumliches Maß geben.
    Ist nicht die aristotelische Logik eine geometrische (flächenbezogene) Logik, die Hegelsche Logik hingegen eine Logik des Raums, des Inertialsystems?
    Die indogermanischen Sprachen, das indogermanische System der Konjugationen, setzen die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Zeit voraus.
    Hat nicht das Rosenzweigsche Bild der Umkehr, die Aufschließung der verschlossenen Elemente des Mythos, etwas mit dem Versuch, das Zeitkontinuum zu sprengen, zu tun? Vor diesem Hintergrund erweist sich die Sprache als Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung.
    Aus den Neuen Testament wird ein Neuer Bund, wenn wir die Vergangenheit nicht mehr als tot und uns als die Erben dieser toten Vergangenheiten begreifen. Fürs Neue Testament gilt das Wort: Laßt die Toten ihre Toten begraben (Lk 960). – Worauf bezieht sich das „Zurückblicken“ in Lk 962 („Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes“)?
    Auch die Idee des Absoluten ist – wie die Begriffe des Ganzen und der Teile, der Kraft und ihrer Äußerungen, des Innen und des Außen – ein Reflexionsbegriff: er ist vom Begriff des Relativen nicht zu trennen. Es gibt keine absolute Wahrheit; das heißt aber nicht, daß es keine Wahrheit gibt, sondern nur, daß es in dem Bereich, in dem man von Absolutem sprechen kann, im Bereich des Urteils, keine Wahrheit gibt. Zur Idee der Wahrheit gehört die Reflexion der Urteilsform, die Reflexion des Schuldzusammenhangs dazu, aus dessen Verstrickung die Idee der Wahrheit, die die Idee der Versöhnung mit einschließt, zu befreien ist.
    Das Absolute ist zwar nicht der Gordische Knoten, wohl aber das Resultat des Durchschlagens des Gordischen Knotens. Die erste objektive Gestalt des Absoluten war Newtons absoluter Raum.
    Zu den drei evangelischen Räten:
    – der Gehorsam, der eigentlich das Hören meint, ist die Befreiung vom Bann des Sehens, der Anschauung;
    – die Keuschheit die Befreiung vom Bann der Herrschaft, der Bekenntnislogik;
    – die Armut die Befreiung vom Bann des Geldes.
    Die „Versöhnung über den Gräbern“ ist eine, die die Gräber endgültig schließen und zugleich die Gespenster bannen möchte.
    Das tode ti ist die Sammlung der Stecknadeln, mit denen die Schmetterlinge aufgespießt werden (die Orthodoxie als Schmetterlingssammlung).
    Für die Prophetie waren nur der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns assoziierte Symbole; die Johannes-Apokalypse hat den Becher der Unzucht, der Hurerei hinzugefügt. Liegt hier die Ermächtigung zur materialistischen Bibel-Lektüre?
    Fundamentalismus: Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift. (Die Logik der Schrift transformiert das Verhältnis von vorn und hinten in das von links und rechts, die Unittelbarkeit in das der Reflexion.) Ist der Fundamentalismus das Tier vom Lande (es hat zwei Hörner wie das Lamm und redet wie der Drache)?

  • 8.8.1994

    Zur Logik der Schrift:
    – Der Unterscheidung der Namen der Barbaren und der Hebräer gründet in ihrer Beziehung zur Logik der Schrift.
    – Die Erfindung des Fegefeuers ist das Produkt der projektiven Verarbeitung einer Erfahrung, die in der Logik der Schrift begründet ist; diese projektive Verarbeitung war der Anfang der Verdrängung dieser Erfahrung (des Abgrunds zwischen dem Wort und seiner Erfüllung).
    – Hat der Begriff des Papiertigers (seine Unterscheidung vom realen Tiger) etwas mit der Logik der Schrift zu tun?
    Die Jenseits-Vorstellungen des katholischen Mythos (insbesondere die Vorstellungen von Hölle und Fegefeuer) drücken Aspekte der Beziehung von Welt und Natur vor dem Ursprung der modernen Naturwissenschaften aus; sie sind ein Teil ihrer Vorgeschichte.
    An der „Geburt des Fegefeuers“ ließe sich sehr präzise die Beziehung der Bekenntnislogik zur Geldwirtschaft und zum Ursprung des Trägheitsbegriffs demonstrieren. – Gehören hierzu nicht die Worte von den „Pforten der Hölle“ und dem „Schlüssel des Himmelreichs“?
    Das wirkliche Thema der Fegefeuer-Diskussion ist die Beziehung der Sprache zum Inertialsystem (oder zur Logik des Geldes und zur Bekenntnislogik): Ist nicht das Inertialsystem das Instrument, mit dem wir uns die Sprache vom Leibe halten (durch die pauschale Trennung von Begriff und Objekt, Sprache und Welt; Kritik der Linguistik)?
    Nationalsozialismus als Modernisierungsschub: Besteht nicht die sozialdarwinistische Kapitulation vor der Natur weiter, und unterscheidet sie sich von der direkten, brutalen Gestalt des Faschismus nur durch deren Verfeinerung, durch das höhere Maß an zivilisierter Gemeinheit?
    Steckt nicht im Schöpfungsbericht, in der bei der Erschaffung des Menschen zwischen „seinem Bild“ und dem „Bilde Gottes“ unterschieden wird, die Rechtfertigung einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“, einer Theologie, die die Vergegenständlichung Gottes mit einschließt. Aber diese Rechtfertigung ist nicht leicht zu nehmen; sie gehört zu den Implikationen des Kelch-Symbols.
    Kann es sein, daß der Akkusativ erst im Lateinischen zum Akkusativ geworden ist (mit all den grammatischen Konsequenzen, die das dann im Lateinischen hatte)? Und ist nicht die Trennung von ratio und intellectus ein Produkt der lateinischen Sprache (das im Deutschen in der Unterscheidung von Verstand und Vernunft nachwirkt)? Im Griechischen scheint es hierzu keine unmittelbare Entsprechung zu geben: Die Auflösung scheint in der griechischen archä zu liegen, in einem Begriff der Ursache, der (als Anfang oder Ursprung) von dem des Grundes noch nicht rein sich scheiden läßt, der erst im Lateinischen in causa und ratio auseinandertritt. In der archä klingt das Schuldmoment nach, das in der erst ratio neutralisiert und instrumentalisiert wird (und die Voraussetzung dafür schafft, daß der kosmos zum mundus „gereinigt“: die „Welt“ durch die christliche Erlösungslehre „entsühnt“ worden ist). Hat die ratio nicht etwas mit dem Beweis zu tun: mit der Hereinnahme des gerichtlichen Beweisverfahrens und der rechtlichen Funktion und Bedeutung des Urteils in die Philosophie (die so zur theologischen „Orthodoxie“ geworden ist)? Ist nicht erst in diesem Zusammenhang der griechische logos (mit dem der johanneische von Anbeginn verwechselt worden ist) zum Gegenstand einer theologisch instrumentalisierten Philosophie geworden?
    Der Sündenfall der Moderne ist eingetreten, als die Vernunft, der intellectus, von der Sprache aufs Prinzip der Selbsterhaltung umgeleitet wurde (als deren Ursprung die Geldwirtschaft und als deren gegenständliches Korrelat sich dann das Inertialsystem erwies). Das Konstrukt des Fegefeuers enthält die Erinnerung an den „brennenden“ Schmerz dieses historisch-gesellschaftlichen Prozesses; in der Notwendigkeit der „Reinigung durchs Feuer“ drückte die Erfahrung sich aus, daß das Gesetz der Selbsterhaltung nicht das Letzte ist.
    Das Inertialsystem (die Bindung des Denkens ans Anschauen) ist der Pfropf im Ohr der Vernunft (Grund der Umwandlung des Hörens in Gehorsam).
    Hegels Begriffe sind allesamt hypostasierte (durch Projektion ins Vergangene zu Eigenschaften vergegenständlichte) Tätigkeiten; die Urbegriffe wie Sein und Wesen sind Namen für Verbrechen wie „Mörder“ und „Dieb“; Hegels Logik ist das Gefängnis, in dem sie ihre gerechte Strafe verbößen. Wer die Welt auf ihr vergangenes Tun festnagelt, verrät um der Selbsterhaltung (und des Wissens) willen die Umkehr und schließt das Erbarmen und die Hoffnung aus.

  • 15.7.1994

    „Spruch des Herrn“: Die Prophetie ist der Blitz aus den Wolken der Logik der Schrift (wenn die Erde das Realsymbol der Sprache ist, ist dann der Himmel das der Schrift: die Feste, die die oberen von den unteren Wassern: die Prophetie von der Philosophie, trennt?).
    Keuschheitsgebot: Sind Himmel und Schrift durch die Logik der Scham verbunden?
    Die Schrift trennt die Erinnerung von der Gegenwart (legt sie in Büchern ab), während der Himmel die Gegenwart von der Erinnerung trennt (das kreisende Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses). Wird deshalb am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich zusammenrollen?
    Es gibt keine Ur-Sprache, keine „vollkommene“ Sprache, aus der alle anderen Sprachen (durch Degeneration oder Verfall) hervorgegangen sind, sondern auch für die Geschichte der Sprache gilt das Gesetz von Katastrophe und Errettung (die „Ur-Sprache“ war „wüst und leer“). Beschreibt nicht der Schöpfungsbericht im Text zwischen der Erschaffung von Himmel und Erde und dem ersten Schöpfungstag den katastrophischen Zustand der Sprache vor der Sprache und das Sechstagewerk den Weg zur Errettung der zerstörten Sprache?
    Die vier Reiter, sind das nicht Verkörperungen der vier Enden der Erde (der Deklinationen)?
    Das Immobiliengeschäft (die Subsumtion des Ackers unters Tauschprinzip) und die (Tempel-)Banken haben einen gemeinsamen Ursprung und sind Teil einer Geschichte.
    Die Bindung der Wahrheit an die Urteilsform (an die Logik der Schrift oder an den Weltbegriff), Grund und Formgesetz der Dogmenentwicklung, hat den Vorteil des Scheins der Objektivität erkauft mit dem Verzicht auf Schuldreflexion. Hier liegt der Grund der Opfertheologie (sowie des Konzepts der Entsühnung der Welt und der Vergöttlichung Jesu). Hegels Definition des Wahren („der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“) liegt in der genauen Konsequenz der Logik dieses Verzichts; durch die Abstraktion von der Schuldreflexion (die die Wahrheit ans Konkrete, an ihren Zeitkern, an die Gegenwart, verweist) wird das Wahre in den Schuldzusammenhang des Herrendenkens hereingezogen, verliert es seine Sprachkraft, die erkennende Kraft des Namens, wird es zum Taumelbecher, zum Kelch des göttlichen Zorns (den nach prophetischer Tradition die Herrschenden trinken).
    Wer begriffen hat, daß es zur Prophetie die Position des Zuschauers nicht gibt (daß der Zuschauer sich nicht heraushalten kann: daß er Objekt der Prophetie ist), hat nur noch die Alternative, selber Prophet zu werden, indem er sich als Objekt der Prophetie begreift.

  • 14.7.1994

    Das Bilderverbot gründet in der Scham: es ist gegen das Aufdecken der Blöße gerichtet. Der Aktualitätsbezug prophetischer Erkenntnis schließt die Erinnerung (die Korrespondenz zur Vergangenheit) mit ein. Sind die flektierenden Sprachen nicht allesamt Schriftsprachen, und drückt in ihrer grammatischen Entfaltung nicht die Logik der Schrift sich aus? Hat Paulus, der erste der „neutestamentlichen“ Autoren, das Christentum dadurch zu einer Völker-(Heiden-)Religion gemacht, daß er es zu einer „Schriftreligion“ gemacht (ihm die Logik der Schrift einbeschrieben) hat? Kann es sein, daß die anderen Texte des Neuen Testaments, von den Evangelien bis zur Offenbarung Johannis, aber auch die „katholischen“ Briefe, Versuche waren, zu retten, was noch zu retten war; waren sie nicht schon Korrekturen des paulinischen Konzepts? Gilt auch hier das Gesetz von Katastrophe und Errettung (mit dem Kreuzestod als dem ungeheuerlichsten Erinnerungsmal an das katastrophische Element in der biblischen Tradition)? Ist nicht die (im Kern paulinische, an die versäumte Verarbeitung seines Anteils am Tode des Stephanus erinnernde) Opfertheologie das Mittel der Verdrängung und Neutralisierung des katastrophischen Elements (Grund der Desensibilisierung der Theologie, ihrer Narkotisierung)? Paulus-Kritik: Der gerechtmachende Glaube (Grund der prophetischen Erkenntnis) ist das Gegenteil des rechtfertigenden Glaubens (der Bekenntnislogik). Ruhm ist keine christliche Kategorie (verhalten sich nicht Ruhm und Ehre wie Zeit und Raum, und ist nicht die Materie zu beiden das Geld?). Ohne eine hierarchische Ordnung, ohne Herrschaft von Menschen über Menschen und ohne Gewalt gibt es keinen Ruhm. Heute ist – ebenso wie die Barmherzigkeit in Selbstmitleid – der Ruhm in Reklame, ins Eigenlob, übergegangen. Wird Hegels Satz, daß „der Held für den Kammerdiener kein Held“ ist, nicht durch den Folgesatz dementiert: „nicht, weil der Held kein Held ist, sondern weil der Kammerdiener ein Kammerdiener ist“. Die Idee des Absoluten verknüpft die Aneignung der Welt mit dem Schaden an der eigenen Seele. Die Urteilsform ist die Frucht vom Baum der Erkenntnis (sie öffnet die Augen, deckt die Blöße auf und macht erkennen, daß man nackt ist). Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte des verzweifelten Versuchs, die Wahrheit in der Form des Urteils zu fassen: Darin gründet ihre Beziehung zur Geschichte der drei Leugnungen Petri, die mit der Selbstverfluchung (dem Greuel am heiligen Ort: der Idee des Absoluten) endet.

  • 9.7.1994

    Rühren die Probleme des Konjunktiv und des Dativ daher, daß die Logik des Grundes und die der Modalität nicht mathematisierbar sind? Wie verhält sich das Urteil (die Kopula) zur mathematischen Gleichung?
    Was hat die Hysterie mit dem Heiligen Geist zu tun? (Sie ist nicht die Sünde wider Heiligen Geist, wohl aber eine ihrer projektiven Folgen im Objekt.)
    Die Kirche verdankt sich der blasphemischen Tathandlung der Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes. (Hat nicht in der Tat Paulus „zwei Hörner wie ein Lamm, und redet wie ein Drache“?)
    Sind Leviatan und Behemoth Symbole des Gerichts und der Barmherzigkeit?
    Ethik als prima philosophia: sie wäre zu begründen mit Adornos Satz, wonach heute alle sich ungeliebt fühlen, weil keiner mehr zu lieben vermag. Das Tor für die Fähigkeit zu lieben ist in Joh 129 bezeichnet. Es ist gerade die „Sünde der Welt“, daß alle sich ungeliebt fühlen (die Welt wäre zu konstruieren als das projektive Korrelat des Sich-ungeliebt-Fühlens: welche Attribute wären Gott zuzuschreiben, wenn er „die Welt“ erschaffen hätte und nicht den Himmel und die Erde). Rechtfertigungsbedürftig (und Gegenstand der Apologetik) ist nur, wer nicht liebt; und der verdinglichte Glaube ist zum Inhalt der lieblos gewordenen Wahrheit geworden.
    Die Negative Dialektik: Adornos Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenloses Weltgericht Hegels.
    In seiner Antwort auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, hat Jesus nicht gesagt: Ich bin der Sohn Gottes, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch mich ist alles geschaffen, und nichts, was geschaffen ist, ist ohne mich geschaffen. Sondern: Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, … den Armen wird die frohe Botschaft verkündet.
    Hat nicht Paulus die Kirche auf die linke Seite Gottes geführt, und Jesus an der Rechten allein gelassen? Hat nicht er das Christentum opfertheologisch reformuliert (Begründung des Begriffs der Bekehrung ohne Umkehr), und es so welt- und anpassungsfähig gemacht?
    Stephanus sah den Himmel offen, aber Paulus war in den dritten Himmel entrückt (und wußte hierbei nicht, ob im Leibe oder außer dem Leib).
    Gehört nicht der hakeldama, der Blutacker, (als deren Ende) in die Geschichte des Landkaufs (Abraham, Jakob, David), und ist er nicht eine Potenzierung des Fluchs über den Acker (im Blut wird der Fluch beim Namen genannt)? In diese Tradition gehört der faschistische Slogan von „Blut und Boden“ (das Blut, das vom Acker schreit: ist nicht der Grund und Boden der kapitalisierte Acker?).
    Ist die Tenne des Arauna der Berg Moriah, die Stelle der Bindung Isaaks?
    Ist der Staub, zu dem Adam wird und den die Schlange frißt, der dem Tauschprinzip (der unendlichen Teilbarkeit des Geldes) unterworfene Acker? Erinnert daran nicht das Realsymbol der Wüste (der Ort der Essener, der Eremiten und Mönche)?

  • 3.7.1994

    Das Gebet ist die Antwort auf die Einsicht, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
    Die jüdische-christliche Tradition unterscheidet sich vom gegenwärtigen Utopiebegriff dadurch, daß sie die Vergangenheit (die Natur) in die Utopie mit hereinnimmt.
    Wenn das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht ist, heißt das nicht auch: Hegels Geschichtsphilosophie gegen den Strich bürsten?
    – Der evangelische Rat des Hörens ist der Ausgangspunkt einer Kritik der Logik der Schrift,
    – die Armutsforderung liegt der Kritik des Geldes (des Kapitalismus) zugrunde,
    – das Keuschheitsgebot der Herrschaftskritik.
    Der dem Begriff der Keuschheit korrespondierende Begriff der Unschuld ist immer als natürliche Unschuld, als Unschuld vor der Sünde, verstanden worden. Aber diese Unschuld hat es nie gegeben. Muß dann nicht auch die Keuschheitsforderung auf das Werk der Versöhnung bezogen werden?
    Unschuld und Glück sind korrespondierende Begriffe. Beide sind nicht am Anfang, sie sind nicht etwas zu Bewahrendes; sie sind Ziel, nicht Ursprung (Unschuld ist zu gewinnen durch Sündenvergebung).
    Ist nicht die Opferfalle eine Unschuldsfalle: Wer reines Opfer ist, für den ist der Täter, der Schuldige, erkennbar.
    Das Wahrnehmungsorgan der Sensibilität ist die Sprache (das Hören).
    Der Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, beweist schlagend die Asymmetrie von Ethik und Recht. Er ist insofern der Beginn einer Gottesbeweises, als er gegen die Hypostasierung des Rechts die Ethik als prima philosophia zu begründen vermag (die Ontologie schützt die Gemeinheit).
    Die Universität ist die Tathandlung, die Fichtes Wissenschaftslehre begründet.
    Die Sprache konstituiert die Welt; weshalb sprengt dann die Todesangst das All? Ist das Neutrum (und sind die ihm korrespondierenden grammatischen Strukturen) das Produkt der Verdrängung der Todesangst?
    Was bedeutet es eigentlich, daß in den semitischen Sprachen auch die zweite Person schon (oder noch) geschlechtsbezogen (männlich oder weiblich) ist? Hinweis: Ein Neutrum wäre in der zweiten Person nicht denkbar; und die Verschiebung der Geschlechtsabhängigkeit in die dritte Person verändert die Beziehung zur Sexualität insgesamt.
    Während es die Aufgabe der Geschichtsschreibung zu sein scheint, die Vergangenheit stillzustellen (so daß sie die Gegenwart nicht mehr beunruhigt oder belastet), hatte die jüdische Geschichtserinnerung die irritierende Eigenschaft, die vergangenen Sünden zu erinnern (bis hin zur Sünde Adams, zur „Sünde der Welt“). Hier gründet die verhängnisvolle Wirkung, die der christlichen Erlösungslehre sich verdankt: Durch eine geringfügige Verschiebung (durch Herausnahme der Übernahme der Sünde der Welt aus dem Nachfolgegebot, mit der Konsequenz der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu) hat sie der Erinnerung, dem Eingedenken, den Weg verstellt.
    Nicht zufällig hat die Aufklärung (bis hin zu Hegel) den Sündenfall als Akt der Befreiung verstanden.
    Der Hinweis im neuen Weltkatechismus, daß „Himmel und Erde“ ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, leugnet den Sündenfall und bringt in die Theologie einen Widerspruch hinein, der in ihr nicht mehr zu lösen ist: der die Wahrheit, und mit ihr die Menschen, aus der Theologie heraustreibt (abtreibt). Hier gründet das projektive Moment in der kirchlichen Stellung zur Abtreibungsdebatte. Aber wird mit den Frauen nicht die einzige in der Schrift bezeichnete Instanz, die die Feindschaft gegen die Schlange repräsentiert, aus der Kirche herausgetrieben?
    Paulus hat nicht „die Gemeinde“ (die Kirche) verfolgt, sondern er war verantwortlich für einen Mord: die Steinigung des Stephanus. Bei seinem ersten Besuch in Jerusalem waren es die „Hellenisten“ (nicht die Juden), deren Angriffen er ausgesetzt war, und während er nach dem Galaterbrief nur Kephas (und den Herrenbruder Jakobus) getroffen hat, ist er nach der Apostelgeschichte „bei den Jüngern“ aus- und eingegangen. Salus/Paulus hat den Zebedäussohn Jakobus offensichtlich nicht mehr getroffen (die Hinrichtung des Jakobus war später als die Verfolgungen des Saulus, aber vor dem ersten Besuch des Saulus in Jerusalem).
    Der erste „Bischof“ in Jerusalem war der „Herrenbruder“ Jakobus (der zum „Apostel“ als nachträglicher „Zeuge“ der Auferstehung geworden ist, vgl. 1 Kor 157).
    Verfolgungen in Jerusalem:
    – durch Hohepriester/Sadduzäer: die Apostel (Apg 517ff),
    – durch „einige aus der Synagoge, welche die der Libertiner und Cyrenäer und Alexandriner genannt wird“ und Saulus: Stephanus und die „Gemeinde“, die „Hellenisten“ (Apg 69ff),
    – Herodes: Hinrichtigung des Johannes-Bruders Jakobus (einer der Zebedäus-Söhne) und Gefangennahme des Petrus (Apg 121ff).

  • 28.6.1994

    Die Erinnerung des Leidens (Metz) ist nur die eine, „objektive“ Seite der Sache (die für sich nur das Selbstmitleid, die fatale Tradition der christlichen Leidensmystik, begründet), das verteidigende, parakletische Denken die andere: ihr Symbol ist die Idee der Auferstehung der Toten (vgl. hierzu die grandiose Stelle in Büchners „Lenz“).
    Die Erlösung kommt „wie ein Dieb in der Nacht“: Die Totalität der Nacht (die Finsternis über dem Abgrund) ist das Objekt.
    Es genügt nicht zu sagen, daß der Schöpfungsbericht sich auf einen anderen Bereich bezieht als die Naturwissenschaften. Es käme vielmehr darauf an, die Beziehung beider zu bestimmen. Diese Beziehung ist bestimmbar über den Begriff der Umkehr.
    Welche und wieviel Siebener-Gruppen gibt es in der Apokalypse, und in welcher Beziehung stehen sie zu einander?
    Die Lösung der sieben Siegel: die Peripherie ist das Zentrum, und der Ursprung das Ziel. Die intentio recta ist das Medium des Sündenfalls (der Verstrickung ins richtende Denken).
    Ist nicht der Name des Universums der deutlichste Name der Welt, gleichsam die logische Handlungsanweisung zur Konstituierung des Weltbegriffs? Die Logik des Universums, die schon den antiken Kosmologien zugrundeliegt, ist die Logik der Geldwirtschaft (ablesbar an der Geschichte der Banken: hier gründet das Sein, auf das die Hegelsche Logik als ihren Ursprung sich bezieht).
    Wer die Substanz zum Subjekt (und die Menschen zu einem Teil der Welt) macht, leugnet die Freiheit der Kinder Gottes und damit den Heiligen Geist.
    Ist nicht der Heilige Geist der „Gegenstand“, auf den das Wort vom Binden und Lösen sich bezieht; und gewinnt nicht in diesem Zusammenhang die These, daß die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst hat, ihren ungeheuren Sinn? Gehört nicht zum Wort vom Binden und Lösen das apokalyptische Wort vom Lamm, das allein würdig ist, die sieben Siegel des Buches zu lösen; das Wort, das Joh 129 in die Perspektive der Nachfolge rückt?
    Die Vorstellung einer absoluten Vergangenheit leugnet Gott. Auch die Toten gehören als dessen Abbild zum Angesicht Gottes. Die Erfindung der Tiefenzeit gehört zu den Voraussetzungen der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Sind nicht die sieben Siegel Totalitätsbegriffe, auf die unsere Sprache, unser Bewußtsein und unser Denken versiegelt ist? Dazu gehören die drei kantischen Totalitätsbegriffe: Wissen, Natur und Welt, aber auch schon die griechischen (die projektiven Urbegriffe der Philosophie): die Barbaren und die Materie, insbesondere aber das Sein.
    Wie oft und an welchen Stellen kommt der Name der Barbaren in der Schrift vor (wie in 2 Makk und in der Apg, beim Schiffbruch vor Malta)?
    Die Drehung des Raumes um jede seiner drei Achsen führt ihn in seine Ursprungsgestalt zurück: deshalb ist die Raumvorstellung der Generator der neutralisierten Dingvorstellung (des Objektbegriffs, der der Urteilsform zugrunde liegt).
    Ist die Kritik der Orthogonalität (Kritik der Urteilsform) der Grund der Kritik der Naturbeherrschung? Die Dreidimensionalität des Raumes ist der Grund des Objektbegriffs: Der Objektbegriff ist der Grund, auf dem der babylonische Turm erbaut wurde, und zugleich der Wirbel, der die Sprache verwirrt.
    Die Vorstellung, daß die Sprache auf eine außer ihr (und ohne sie) bestehende Wirklichkeit sich bezieht, ist wahr und unwahr zugleich: Sprache konstituiert ebensosehr die Wirklichkeit, wie diese Wirklichkeit zugleich als mächtiger als unsere Sprache sich erweist. Im Kontext dieser (durchs Inertialsystem definierten) Vorstellung ist die Welt alles, was der Fall ist. Die darin begründete Entmächtigung der Sprache ist die Selbstzerstörung ihrer benennenden Kraft.
    Die Ablösung der Sprache von der Wirklichkeit ist eine Leistung des Weltbegriffs (der so Sprache und Welt zugleich verändert: der neue „Welt-Katechismus“ der Kirche verdient diesen Namen in der Tat).
    Die hebräische Sprache ist keine Ursprache, sondern Ausdruck einer Beziehung zur Sprache (einer gegen die Logik der Schrift sich behauptenden Sprachlogik), die den Keim der Utopie in sich enthält. Sind nicht die sogenannten Quellen der biblischen Texte (J, E, Dt) Ausdruck differierender Sprachlogiken, die erst in ihren wechselseitigen Beziehungen, in ihren Reflexionsbeziehungen, Anteil an der Wahrheit gewinnen? Drückt nicht im Namen des Hebräischen diese gespannte und kritische Beziehung zur Logik der Schrift (der Zwang zur Symbollogik) sich aus?
    Kann es sein, daß, was in den „Quellen“ des biblischen Textes nebeneinander sich präsentiert, in der Geschichte des Christentums in eine zeitliche Folge (in die Geschichte der drei Leugnungen) transformiert wurde?
    Die Vätertheologie war eine monastische, ein Mönchs-Theologie, Resultat einer Flucht vor der Welt, aus der als einer heidnischen Welt die Christen in der Erwartung ihrer apokalyptischen Umgestaltung in die Glaubensgestalt der Utopie sich zurückgezogen hatten. Der Glaube blieb der Welt ebenso feindlich, wie er gegen sie hilflos war. Nur als Kirche war der Glaube gezwungen, sich in der Welt zu etablieren. Die Welt, in der sie sich vorfand, war die Welt des Römischen Imperiums, mit der sie nach der „Bekehrung“ Konstantins glaubte, sich aussöhnen zu können und zu müssen. Auf dieser Grundlage hat die Theologie in der Scholastik – und der Anstoß dazu kam vom Islam – als kirchen-imperialistische Weltphilosophie sich etabliert (mit dem mönchischen Hintergrund der Bettelorden und der Inquisition).

  • 21.6.1994

    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ursprung (und der Logik) der Eucharistieverehrung und der Geschichte der Fälschungen im Mittelalter (vgl. die Funktion der List der Vernunft in der Hegelschen Philosophie)?
    Die Habermassche Intersubjektivität und die darauf gegründete Diskurstheorie ist ein Produkt der Kollektivscham (ihrer selbstzerstörerischen und weltbegründenden Gewalt): die schlimmste Form der Verdrängung. Es ist die Scham vor der Welt, die den sich Schämenden in die Fallen der Welt hineintreibt.
    Die Schrift und das Geld haben nicht nur das Bewußtsein der Vergangenheit geändert, sondern die Vergangenheit selber.
    Ernst und schwer sind gleichbedeutende Begriffe: der deutsche Ernst ist der Grund der deutschen Schwere. Bezeichnet nicht Hegels „Sein-für-Eines“ genau den Punkt, an dem das Leichte (das Licht) in den Ernst und die Schwere umgeformt wird? An diesem Punkt ließe sich die Bedeutung des Hegel-Worts, er sei „von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“, demonstrieren. Mit dem „Sein-für-Eines“ wird die Hegelsche Philosophie atheistisch; hier läßt sich der Bruch in der Hegelschen Philosophie festmachen, der das mit der Phänomenologie anhebende System in das der Enzyklopädie verwandelt; mit diesem Begriff konstituiert sich der Weltbegriff als Totalitätsbegriff und mit ihm die Idee des Absoluten: hier beginnt Hegel, sich seine eigene Philosophie vom Leibe zu halten (das „für“ tilgt das Mitleid, die Barmherzigkeit; oder das „für“ verwandelt einen ungeheuren Satz in Geschwätz).
    Mit dem „Sein-für-Eines“ endet der deutsche Idealismus. Hat diese Stelle in der Logik nicht die gleiche Bedeutung für die Philosophie wie – Glenn Gould zufolge – das „b“ im dritten Takt der neunten und letzten Variation von „Sellinger’s Round“ von Byrd für die Musik?
    Die logische Funktion des „Sein-für-Eines“ läßt sich an der Frage zum neuen Freund der Tochter demonstrieren: Was ist das für einer, was macht denn der Vater?
    Mit dem „Sein-für-Eines“ schließen sich die Pforten der Hölle; das „Sein-für-Eines“ ist eine Existenzbedingung des Absoluten, es ist der Grund aus dem das Absolute hervor- (und in den es zugrunde-) geht: die Finsternis über dem Abgrund.
    Zwar stimmt es, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, aber der Abstieg zur Hölle bleibt ihr nicht erspart (war nicht die christliche Höllenvorstellung seit je eine projektive Veranstaltung zur Vermeidung, zur Verdrängung der Gottesfurcht).
    Ist nicht das Sein-für-Eines der Schlüssel zum Verständnis der mittelalterlichen Transsubstantiationslehre und der Eucharistieverehrung (und steckt dieser Schlüssel nicht in dem Sakraments-Hymnus des Thomas von Aquin: Praestet fides supplementum, sensuum defectui, im Pange lingua)?
    Das Sein-für-Eines konstituiert den Geltungsbegriff, er bezeichnet den Punkt in der Sprachlogik, an dem sie vom Tauschprinzip überwältigt wird (Logik der Reklame, die Geltung produziert und – so Adorno – „den Tod verschweigt“; sie verwandelt die Welt ins Totenreich, in ihr erfüllt sich die Abstraktionsgewalt des Inertialsystems). Das Gelten lebt von der projektiven Verarbeitung der Erinnerung (der Macht der Vergangenheit über die Zukunft): hier wird der Abstraktionsakt irreversibel.
    Die Weltkriege haben die Resistenzkräfte im Katholiszismus aufgezehrt; übrig geblieben ist das nur noch die Panik reflektierende Dogma: die reine Anpassung an die Welt (als welche im Vatikanum II das Aggiornamento Johannes XXIII mißverstanden wurde).
    Wir sind alle Hegelianer: Nur die Hegel-Kritik, zusammen mit der Kritik der Naturwissenschaften, vermag den Bann zu lösen, der auf der Welt (und damit auf uns allen) liegt.

  • 20.6.1994

    Verantwortung übernehmen heißt heute: lernen zu wissen, was man tut. Und genau das halten heute alle für unmöglich; deshalb stehen sie unter dem Zwang der Absicherung ihres Tuns durch Autorität. Wissen was man tut, das setzt heute prophetische Erkenntnis voraus.
    Die Bekenntnislogik bezeichnet den Naturbegriff der gleichen Sache, deren Weltbegriff transzendentale Logik heißt. Bei Kant bleibt dieser Zusammenhang unerörtert, weil durch die Kritik der praktischen Vernunft (die diesen Naturbegriff durch den der Freiheit ersetzt) gleichsam präventiv schon widerlegt worden ist. Ist nicht die Trinitätslehre durch das homoousios (durch einen Akt caesarischer Souveränität) zu einem Instrument der Konstituierung, Rechtfertigung und Abschirmung der intentio recta geworden, einer von der Last der Umkehr befreiten, und so in die Logik des Weltbegriffs sich verstrickenden Erkenntnis (zum Kristallisationskern der Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Die creatio mundi ex nihilo ist der Angelpunkt der Beziehung der Theologie zur politischen Ökonomie (vgl. den Begriff der Geldschöpfung und den Ursprung und die Bedeutung des Begriffs des Geistes der Marktwirtschaft). Das Buch Tobias gehört zu den apokryphen Schriften des AT: Hier wird der Fisch gefangen, geschlachtet und instrumentalisiert, und Ninive wird zerstört (Jonas behält am Ende doch Recht gegen Gott). Sind nicht die Pharisäer-Geschichten im NT allesamt Warnungen vor der Bekenntnislogik (vor dem Ursprung der Heuchelei)? Das Paulinische Wort vom Leib als Tempel des Heiligen Geistes (1 Kor 619), Grund der Warnung vor der Unzucht, begründet die theologische Bedeutung der Sensibilität (nicht die kirchliche Sexualmoral). Die Scham hat durch ihre Bedeutung fürs Schuldverschubsystem auch einen technischen Aspekt. Mit dem Personbegriff ist ein Schuldbegriff verknüpft, der – wie die Maske das Gesicht – die Schuld, um die es in Wahrheit geht, verbirgt, unkenntlich macht. Zur Kollektivscham: Das war die Lösung, mit dessen Hilfe die Schuldwahrnehmung verdrängt worden ist. Statt dessen wurde die Scham als Leistung der Schuldbefreiung begriffen (daran ist zunächst die Religion zugrunde gegangen, Fortsetzung folgt). Diese Scham verändert nicht die Tat, irrealisiert nur die Schuld (indem sie sie aus der Beziehung zu Gott herauslöst und in den Weltbegriff integriert und technisch handhabbar macht). Die Wahrheit des Idealismus liegt darin, daß die Welt in der Tat durch Subjektivität konstituiert wird (wobei die Scham zur objekt-konstituierenden Kategorie geworden ist: die Beziehung des Objekts zum Begriff ist eine Beziehung der Scham, und der Begriff ein Akt der Entblößung; die Scham ist das Grundelement des Schuldverschubsystems). Die Welt des Idealismus ist die aufgedeckte Blöße der gefallenen Kreatur, das Instrument des Aufdeckens der Blöße (der Akkusativierung der Dinge) sind die subjektiven Formen der Anschauung.

  • 14.6.1994

    Angriff auf die Barmherzigkeit: Mit fortschreitender Säkularisation, mit der Entfaltung, Ausbreitung und Stabilisierung des Inertialsystems (der Geldwirtschaft, der Bekenntnislogik), entfalten sich die Kräfte der Gemeinheit, die dann gegen jede Manifestation der Barmherzigkeit draußen, deren Regung im eigenen Innern sie um der Selbsterhaltung willen schon im Keim verdrängen müssen, sich zuspitzen. Gnadenlosigkeit wird zum Markenzeichen der „Persönlichkeit“ (Ursprung des „steinernen Herzens“). Eines der frühesten Warnsignale (dem der Ursprung der Psychoanalyse sich verdankt) war die diskriminierende Abwehr der letzten Erinnerung an die Barmherzigkeit, die im Namen der Hysterie sich ausdrückt. Ausdruck der Hysterie aber war ihr Name. nicht das, was dieser Name bezeichnen sollte (exemplarisches Modell des projektiven Erkenntnisbegriffs). Im Namen der Hysterie hat sich der Schoß geöffnet, aus dem der Faschismus gekrochen ist (Eichmann sprach immer von den Ideen, die er „geboren“ hatte). – War die Erfindung der Hysterie eine Vorstufe der Abtreibungsdiskussion?
    Die kirchliche Stellung zur Abtreibungsfrage wird wahr, wenn man sie auf die messianischen Wehen bezieht.
    Ist der gnostische Lösungsversuch des Weltproblems (Erschaffung der Welt durch einen Demiurgen, der dann allerdings, anstatt als Staat begriffen, durch projektive Verschiebung mit dem jüdischen Gott identifiziert wurde) nicht eng mit der paulinischen Tendenz, den Konflikt mit dem Römischen Staat auf die jüdische Tradition (das „jüdische Gesetz“) abzuwälzen, verbunden? War nicht die Gnosis überhaupt so etwas wie die – zwangsläufig aus dem christlich-jüdischen Urschisma folgende – Urhäresie, aus der die nachfolgenden häretischen Bewegungen (bis zum Verbrauch der häresienbildenden Kraft in der Reformation) sich müssen ableiten lassen? Das Urschisma, die Gnosis und die Verurteilung der Gnosis ist als Ganzes der dramatische Prozeß der ersten Leugnung.
    Atomphysik und die Umkehr: Ist das Atommodell die mathematische Parodie der Lösung der sieben Siegel (vorgestellt am Prozeß der Abfolge der Umkehr aller Richtungen in ihrem Ursprungspunkt)?
    Tod und Auferstehung haben etwas mit der Beziehung von Erde und Himmel zu tun (wer den Himmel leugnet, leugnet die Auferstehung). Und wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß der Name des Messias im Namen des Himmels mit erschaffen ist?
    Ist das Wort „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ nicht ein Hinweis auf die messianischen Wehen?
    In dem Feuer, das Jesus auf die Erde bringen wollte, und von dem er wünschte, es brennte schon, werden die oberen und die unteren Wasser wieder zusammengefügt.
    Die unverschämte (unkeusche) Dreistheit einer bestimmten Art des öffentlichen Auftretens von Katholiken (ein Exhibitionsmus, dem man ansieht, welche Mühe er hat, den Vergewaltigungstrieb in sich unten zu halten).
    Als das Christentum seinen Weg in die Welt hinaus begann, war es hilflos und wehrlos gegen die Philosophie und gegen den Römischen Staat.
    Das Objekt des Satzes „Herr vergib ihnen, …“ sind wir, denn wir wissen weniger den je, was wir tun (wir sind die 120 000 in Ninive, die rechts und links nicht unterscheiden können).
    Die Unterscheidung von oben und unten (Religion und Herrendenken) und von vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) ist relativ leicht verständlich zu machen, während die Unterscheidung von rechts und links (Gericht und Barmherzigkeit) ist die schwierigste. Das scheint damit zusammenhängen, daß diese Unterscheidung keine theoretische, sondern eine praktische Unterscheidung ist.
    – Mit der Unterscheidung von vorn und hinten hängt das Urschisma,
    – mit der von oben und unten die Gnosis und die daraus folgende Geschichte der Häresien,
    – mit der von rechts und links die patriarchalische Struktur der Kirche und der Sexismus zusammen; hier beantwortet sich die Frage nach der Hilfe im zweiten Schöpfungsbericht.
    Leben wir nicht in einer Welt, in der das Normale verrückt ist und das Verrückte der normale Ausdruck der Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit dagegen?
    Zu Umberto Ecos Sprachphilosophie: Es fehlt die Kritik des Neutrum.
    Drei Gestalten der Finsternis: die Nacht, die Farben und die Materie.

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