Geld

  • 16.3.96

    Der „erbauliche Ton“ macht es sich in der Bibel gemütlich.
    Der Raum, die Welt und die Logik der Säkularisation.
    Definition der Ökonomie: Die, die oben sind, werden von denen, die unten sind, getragen, aber sie sind verblendet von dem Schein, daß die die unten sind, von ihrer Gnade leben. Das Geld stellt die realen Verhältnisse auf den Kopf.
    Projektive Natur: Bei Rosenzweig gibt es den Begriff der Natur nur im Kontext der „Vorwelt“. Hier ist sie der logische Grund der Objekte des Nicht-Wissens, der aber in der Umkehr (im Kraftfeld der Schöpfung, Offenbarung, Erlösung) sich auflöst. Der Begriff der Umkehr bei Rosenzweig wäre ohne den Naturbegriff gegenstandslos.
    Die ezechielische Individualisierung der Schuld ist nicht identisch mit der juristischen, mit dem Begriff der Person; sie schränkt den Begriff der Schuld nicht ein, sondern erweitert ihn: sie ist die messianische. Nach Ezechiel hat jeder die Verantwortung nicht nur für sein eigenes Tun und Lassen, sondern für das Ganze.
    Erinnert nicht der Begriff der Zunge bei Jakobus an die Feuerzungen des Pfingsttages?
    Ist nicht der Name des Petrus griechischen und der des Paulus lateinischen Ursprungs?
    Die Nichtobjektivierbarkeit des Antlitzes des andern ist die Widerlegung der subjektiven Formen der Anschauung.
    Haben Rechnen und Linken etwas mit rechts und links zu tun?
    Heidegger, das war der katastrophische Einsturz der Philosophie, die Wahrheit des Urknalls, der am Ende sein wird und eigentlich eine Implosion beschreibt. Heidegger hat den Weg freigemacht zu jenem Mißbrauch der Naturwissenschaften, in dem die Theologie verbrannt ist. Ist die Fundamentalontologie nicht das Feuer, das Jesus vom Himmel holen wollte, und er wollte, es brennte schon; nur daß es zu diesem Feuer erst wird, sobald es das Bewußtsein seiner selbst gewinnt.
    Das Angesicht, der Name und das Feuer: Beziehen sie sich nicht auf die Rettung des Sinnlichen, der Kritik und der Erlösung (Sündenvergebung und Befreiung durchs Auf-sich-Nehmen der Schuld)?
    Ist das Angesicht Repräsentant der Kritik der Ästhetik (der Kritik der Urteilskraft), der Name Repräsentant der Kritik der Logik (der Kritik der reinen Vernunft) und das Feuer Repräsentant der Kritik der Ethik (der Kritik der praktischen Vernunft)?
    Es gibt nicht nur eine transzendentale Logik, sondern es gibt drei Logiken, die in einander wie die drei Dimensionen des Raumes sich reflektieren. Zentren der drei Logiken sind der Raum, das Geld und das Bekenntnis (die „Weltanschauung“).
    Wie hängen die drei Dimensionen des Raumes, das Vorne-Hinten, Rechts-Links, Oben-Unten, mit den drei Modi der Zeit: mit Dauer, Folge und Zugleichsein, und wie hängen beide mit den drei Totalitätsbegriffen der kantischen Philosophie, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zusammen?

  • 8.3.96

    Der Urprung und die Grundlage der Beweislogik liegt in der Mathematik (Euklid, Sokrates und der Sklave). Sie entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens (der der indoeuropäischen Sprachlogik und Grammatik zugrundeliegt).
    Gibt es zwei Ursprünge des Geldes: das gemünzte Schuld- und Tributgeld in Babylon, das Tauschgeld (die „Ringe“) in Ägypten? Und wird heute nicht wieder aus dem Tauschgeld ein Tributgeld? Nur über das Schuld- und Tributgeld aber macht die Ökonomie sich zum Herrn des Staates (wird der Staat zum Haustier der Ökonomie).
    Den beiden Ursprüngen des Geldes entspricht der zweifache Ursprung der Mathematik: der der babylonischen Algebra und der ägyptischen Geometrie (die erst die Griechen mit der Entdeckung der Winkelgeometrie, die die Philosophie, den Naturbegriff und den Begriff begründete, zusammengebracht haben).
    Ist nicht das Experiment des realexistierenden Sozialismus (der keiner war) daran gescheitert, daß er glaubte, die Tauschfunktion des Geldes von seiner Schuld- und Tributfunktion trennen zu können? Das war nur möglich durch Regression auf die Stufe unmittelbarer Herrschaft.
    Hat die Doppelfunktion des Geldes etwas mit der Unterscheidung des Planetensystems vom Tierkreis zu tun? Gibt es eine systemlogische Beziehung der Astrologie zur Tempelwirtschaft und des Tierkreises zum Sklavenhaus und Eisenschmelzofen? Und hängt hiermit der Unterschied zwischen dem Exodus und dem Ende der babylonischen Gefangenschaft (die Israel zum Satelliten Babylons und seine Folgeimperien gemacht hat) zusammen?
    Werden im Tempel, im Haus des Namens Gottes, die beiden Ursprungsmächte Babylon und Ägypten durch die Cherube und die Bundeslade repräsentiert? Und war nicht auch der Tempel ein Gefängnis und ein Sklavenhaus Gottes, das zu seiner Fundierung der Opfer und des Priestertums bedurfte?
    Die Deutschen leiden an einer Staatspsychose, mit dessen Hilfe sie glauben, den Faschismus erhalten und domestizieren zu können. Die Auflösung der Verblendung, in die das hineinführt, wäre eigentlich Sache der Theologie.
    – Vor der ersten Leugnung sagt die Magd des Hohepriesters zu Petrus: „Auch du warst mit Jesus dem Galiläer“.
    – Beim zweiten Mal sagt eine andere Magd zu denen, die dort waren: „Dieser war mit Jesus dem Nazoräer“.
    – Beim dritten Mal sagen die Umstehenden zu Petrus: „Wahrhaftig, auch du bist einer von ihnen; deine Sprache verrät dich“ (Mt 2669ff).
    Ist der Hahn die Inversion der Eule oder die Eule ein maskierter Hahn? Verhält sich nicht die Eule zum Hahn wie der Abendstern zum Morgenstern, und ist die Eule das Symbol der Venus-Katastrophe?

  • 5.3.96

    Der Indikativ, das Wissen und die Gewalt: Gestern gab Birgit Hogefeld zu den Pressemeldungen über den suspendierten BKA-Beamten, der gegen das BKA den Verworf erhoben hat, Akten, die Klaus Steinmetz belastet und Birgit Hogefeld entlastet haben sollen, unterdrückt und vernichtet zu haben, eine Erklärung ab, die sehr deutlich von ihren bisherigen Prozeßerklärungen sich unterschied. Zum erstenmal war, so mein Eindruck, so etwas wie ein RAF-Ton zu vernehmen. Während ihre bisherigen Erklärungen vorrangig ihre eigenen Motive (weshalb sie sich der RAF angeschlossen hat) und Positionen (Verurteilung der Ermordung des GI’s Pimental) zum Gegenstand hatten und in der Sprache der Reflexion vorgetragen wurden, versuchte sie hier, die in den Pressemitteilungen bekanntgewordenen Fakten einzuordnen und zu interpretieren, das jedoch in der Sprache des Indikativs, in einem Ton, der nach außen „Wissen“ demonstrierte, in einer Sprache, die leicht als Echo der Sprache des Staatsanwalts sich identifizieren ließ. (Dieser staatsanwaltliche Indikativ ist reflexionslos, er bricht den Dialog ab, läßt nur noch den Weg der Gewalt offen, der „Bestrafung“.) Steht diese Änderung des Tons in Zusammenhang mit dem Besuch von Antje Vollmer, war sie die Reaktion auf den Senatsbeschluß zur Verlegung von Monika Haas in ein Gefängniskrankenhaus? Vgl. hierzu die Ankündigung eines Hungerstreiks, gemeinsam mit Eva Haule.
    Staatsschutzprozesse, Verwaltungsentscheidungen, der Indikativ und die RAF: Sind die sprachlichen Formen, in denen sie sich ausdrücken, nicht allesamt Formen des „kurzen Prozesses“: des Verzichts auf Reflexion, des bestimmenden Urteils (des synthetischen Urteils apriori)? In jedem Falle ist der, über den das Urteil, die Entscheidung ergeht, bloßes Objekt. Das „Wissen“, das in diesen Sprachformen sich ausdrückt (und das den gleichen logischen Anspruch erhebt wie die wissenschaftliche Erkenntnis, in deren logischen Kontext auch das Dogma gehört), läßt grundsätzlich keinen Einspruch mehr zu.
    Ist nicht das Konstrukt des stellvertretenden Opfers das logische Modell eines Staates, der seinen Bürgern (in den Kasernen, Knästen, Irrenhäusern und Schulen) die Drecksarbeit abnimmt? Wenn der Staat für Ordnung sorgt und durchgreift, kann der Bürger in seinem privaten Bereich verständnisvoll und voller Mitleid sein. Nur daß es auch wiederum Bürger sind, die für den Staat die Drecksarbeit tun, für die der Staat dann allerdings die Verantwortung übernimmt, wobei er zugleich diese Bürger vor dem Vorwurf in Schutz nimmt, ihre Arbeit sei Drecksarbeit. Dafür erwartet er dann ihren Dank. Der Staat ist das Instrument der Vergesellschaftung einer Sündenvergebung, die der Reue und der Umkehr nicht mehr bedarf (der apriorischen „Rechtfertigung“ der Sünde, die in seinem Namen getan wird).
    Ist das Sklavenhaus Ägypten nicht auch der Eisenschmelzofen (Dt 420, 1 Kön 851, Jer 114, vgl. auch Ez 2220), und sind dem nicht die subjektiven Formen der Anschauung vergleichbar, die den Indikativ erzwingen?
    Der RAF-Ton ist der verbitterte Indikativ, aber ist nicht die Verbitterung von der Erbitterung zu unterscheiden? Erbittert ist, wer am Ziel festhält und sich dabei nicht verbittern läßt. Der Verbitterte hat schon kapituliert.
    Der „Glaube an das Gute im Menschen“ ist naiv, er wäre zu ersetzen durch die Lehre vom Feuer (vgl. den Eisenschmelzofen).
    Ist nicht das Bekenntnis des Namens das christliche Äquivalent des Tempels: der das Haus des Namens Gottes war? Das reale Bekenntnis des Namens ist die Nachfolge, die in den Bereich hineinreicht, den die Theologie seit je ausgeblendet hat. Ist nicht das Dogma das Instrument dieser Ausblendung (der Feigenbaum, der nur Blätter, keine Früchte trägt)?
    Die Theologie im Angesicht Gottes zielt ab auf die Heiligung des Namens, sie holt das Feuer vom Himmel, von dem er wollte, es brennte schon.
    Es ist schlimm, aber der Indikativ der RAF ist die Fortsetzung des Stammtischs mit anderen Mitteln: die Anwendung des Vorurteils, das seit je terroristisch war, auf die Quelle des Vorurteils, den Staat.
    Der Indikativ ist die Sprache der Verbitterung; verbittert aber wird, wer an dem Schmerz der Erbitterung verzweifelt.
    Die Kopenhagener Schule hat die moderne Physik wieder in den Indikativ (in die Herrschaftsform des Inertialsystems) zurückübersetzt, sie braucht die Gewißheit, sie scheut das Feuer. War nicht Weizsäckers Theorie der Energieerzeugung in der Sonne das Werk eines Staatsanwalts? Und stehen nicht alle physikalischen Theorien mit kosmologischem Anspruch seitdem in dieser Tradition (der Urknall, die schwarzen Löcher, das „expandierende Weltall“)?
    „Das Wahre ist der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht runken ist“: Die dogmatische Tradition, die bis in die modernen Naturwissenschaften hineinreicht, verdrängt diesen Taumel, sie verdrängt ihn nach innen, sie verwirrt. Die Flucht vor dieser Verwirrung endete im Positivismus. So hängen der Indikativ des Anklägers und die diabolische Verwirrung (der Taumelkelch) mit einander zusammen.
    Lassen sich Strafprozesse nicht danach unterscheiden, wem jeweils Narrenfreiheit gewährt wird? In RAF-Prozesse sind es die Ankläger, während im Auschwitzprozeß die Verteidiger dieses „Privileg“ hatten.
    Die Unterscheidung der Narrenfreiheit des Anklägers (im RAF-Prozeß) von der des Verteidigers (im Auschwitz-Prozeß) hat etwas mit der Unterscheidung von Satan und Teufel zu tun. Und gründen nicht beide Formen der „Narrenfreiheit“ im logischen Problem des Beweises, sind nicht beide Instrumentalisierungen des Verfahrens der Beweisumkehr?
    Läßt sich der Indikativ (und mit ihm die sprachlogische Form der indoeuropäischen Grammatik insgesamt, insbesondere das Neutrum und der Kernbestand der indoeuropäischen Formen der Konjugation, das Präsens und das Präteritum) nicht als Instrumentalisierung des Verfahrens der Beweisumkehr begreifen? Und ist das nicht die sprachlogische Wirkung der subjektiven Formen der Anschauung, die erstmals Kant in der Antinomie der reinen Vernunft ins Licht gehoben hat? Ist diese Beweisumkehr nicht der innere Motor des Taumels (das Gesetz der Beziehung von Begriff und Gegenstand unter der Herrschaft der subjektiven Formen der Anschauung, das sprachlogische Wertgesetz)?
    Blut und Boden: Als Kant die Achtung vor dem Geld aus der Vorstellung, was man damit machen könnte, ableitete, war das Geld noch in erster Linie ein Produktionsmittel, aber nur in Ansätzen eines der Subsistenz; dazu ist es erst in unserer Zeit geworden. Heute ist aus dem Fundament, auf das die Menschen einmal ihr Haus gebaut haben, der Schlund geworden, der sie verschlingt. War der Faschismus, und war insbesondere Auschwitz nicht der Versuch der projektiven Verarbeitung dieser Erfahrung?
    Steckt in der kantischen Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises (in dem Hinweis auf den Unterschied zwischen dem Geld in meinem Beutel und dem nur gedachten Geld) nicht schon eine Ahnung des ökonomischen Bruchs, der in seiner Philosophie bewußtlos (als Erkenntniskritik) sich ausdrückt?

  • 21.2.96

    Zur logischen Konstitution der gegenwärtigen Physik gehören
    – die Universalisierung des Begriffs des Proletariats (der nicht durch die Armut, sondern durch die lohnabhängige Arbeit sich definiert) und
    – der Zerfall der Staatssouveränität.
    Der Begriff und die Vorstellung der anorganischen Materie (die Vorstellung des mechanischen Objekts, aber auch der Begriff der Ware) gründen in der verdinglichenden Gewalt des einheitlichen Zentrums des Objekts, sie sind Produkte der transzendentalen Ästhetik und ihrer drei Aprioris: der subjektiven Formen der Anschauung, des Geldes und der Bekenntnislogik, letztlich der Subsumtion unter die Vergangenheit. Ist nicht jeder Organismus ein System von Zentren (und verweist nicht die insbesondere durch die Form des Raumes vermittelte Vorstellung des einheitlichen Zentrums, des Gravitationszentrums des Körpers als räumlichen Punkts, die die Vorstellung der anorganischen Materie begründet, auf die Beelzebub-Geschichte: das Reich Beelzebubs zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins ist)?
    Gehört die Beelzebub-Geschichte zur Geschichte von den sieben unreinen Geistern: Zuvor ging der eine unreine Geist „in die Wüste“, dort traf er die sieben anderen unreinen Geister, mit denen er in des „leere, gereinigte und geschmückte“ Haus zurückkehrte.
    Das „Unum et verum convertuntur“ wurde allein durch die Sakramentenlehre gerettet. Es hat dann allerdings die Sakramente in den Orkus mit hereingezogen.
    Manifestieren sich die verdrängten und unterdrückten Unterschiede der Identitätszentren (Adornos „Nichtidentisches“) nicht in den Unterschieden der Aggressionsabfuhr (in den Unterschieden der Identitätszentren der Bekenntnislogik, deren Feindbild- und Verräterlogik sich auf diesem Wege differenziert)?
    Die politische Urgeschichte der Ökonomie (der Ursprung des Handels im „Fernhandel“: im Raub, in der Ausplünderung und in der Eroberung und Aneignung fremder Länder) liegt vor der Begründung des Tauschprinzips.
    Der Satz aus den Feuerbach-Thesen, daß die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert haben, und es käme darauf an, sie zu verändern, richtet sich bereits gegen Definitionsmacht des Tauschprinzips (und des Trägheitsgesetzes). Wer nur über die Dinge urteilt, bleibt in den Verstrickungen der Interpretation (des Indikativs, der Bekenntnislogik). Er glaubt an die magische Kraft der Verurteilung.
    Gibt es nicht schon eine Reihe von Fällen, an denen sich belegen läßt, daß heute Siege katastrophischer (weil selbstzerstörerischer) sind als Niederlagen (der Ausgang des Zweiten Weltkrieges, der Vietnam-Krieg, und jetzt die Implosion Jugoslawiens)? Welche Folgen wird der „Sieg der freien Marktwirtschaft“ haben?
    Ende des Mythos: Siege haben die Kraft eingebüßt, ein neues Recht zu begründen. Erst jetzt erweist sich, daß das Christentum keine Siegerreligion ist.

  • 8.2.96

    Alle Qualitäten sind symbolischer Natur, und das Licht ist der Quell aller Qualitäten.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Beweis dafür, daß nicht das Licht, sondern das Inertialsystem der Zeit unterworfen ist.
    Bekenntnislogik: Produkt der Vergesellschaftung des Stammesbewußtseins oder der Produzent des Wahns.
    Der Wahn ist das Produkt der Bekenntnislogik, die Verblendung das des Geldes und das Herrendenken das des Inertialsystems.
    Das Tauschprinzip-Paradigma rückt den Kapitalismus in das herrschaftslogische Licht der Technologie und blendet die Herrschaftsreflexion aus; nur im Kontext der Reflexion von Herrschaft aber wird das Moment der Schuldknechtschaft im Geld (seine reale Ursprungsgeschichte) erkennbar.

  • 26.1.96

    Das Dogma ist die Erde über dem vergrabenen Talent der Schrift (griechisches Perfekt: vollendete Vergangenheit). Muß man nicht an biblische Texte so herangehen, als seien sie noch nicht endgültig erschlossen (hebräisches Perfekt: vollendete Tat)? Das „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört“ ist so uneingelöst wie die Thora.
    War es nicht das unbewußte (durch die Logik der Sprache der Aufklärung vorgegebene) Ziel der historischen Bibelkritik, die Schrift zu historisieren, sie zu einer Vergangenheit zu machen, das Hören zu stornieren? Ein Vorgang übrigens, der die Konfessionalisierung des Christentums, die Entfaltung der Bekenntnislogik, und die Ausbildung der Rechtfertigungslehre zur Voraussetzung hatte.
    Der apokalyptische Grund der Wahrheit wird in dem Augenblick erkennbar, wenn man begreift, daß Wahrheit in der Schuldreflexion sich bildet. Die Schuldreflexion wiederum gründet in der Sündenvergebung: Die Sünden werden nur dem vergeben, der selbst die Sünden vergibt. Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr; wer sie (im Rahmen des Schuldverschubsystems) auf andere abwälzt, verstrickt sich in ihr (Last und Joch: Rind und Esel, Indikativ und Imperativ, Norm und Gebot).
    Die Frage (ich glaube, von Jacob Taubes), was eigentlich so anrüchig daran sei, wenn die Juden im Holocaust sich wie Lämmer haben zur Schlachtbank führen lassen, ist sehr tief begründet: Nur so ist der Faschismus als Metzger-Theologie erkennbar geworden. Die Problematik aller Versuche, den damals versäumten Widerstand heute nachzuholen, gründet in der theologisch unhaltbaren Verurteilung dieses Verhaltens.
    Wenn Politiker – wie jetzt wieder Frau Süßmuth in ihrer Fernsehansprache zum 27.01.96 – vom Nationalsozialismus reden, beklagen sie zuerst, wenn nicht überhaupt, den „Verlust der Freiheit“. Dabei wird der Freiheitsbegriff wohl bewußt im Unklaren gelassen. Er bezeichnet nämlich zwei Sachverhalte, die in wachsendem Maße in Kontrast zueinander geraten:
    – die Wahlfreiheit, die weniger eine politische als vielmehr eine ökonomische Kategorie ist, und deren paradigmatische Grundlage das Geld ist, das man haben muß, um zwischen den Angeboten der Warenwelt real – und nicht nur in der Phantasie – wählen zu können (aber diese Freiheit ist eben dort, wo sie real scheint, eine in der Phantasie: die Wahl, die bleibt, ist keine mehr zwischen Objekten, sondern zwischen Markennamen und ihrem Prestigewert, während die realen Unterschiede auf ein Minimum zusammenschrumpfen), und
    – die moralische Freiheit, die man als die Fähigkeit zur Reflexion der Wahlfreiheit definieren könnte …
    Nicht der Verlust der Freiheit war das Schlimme am Nationalsozialismus, sondern die Freisetzung der Gemeinheit (deren Instrument war der Antisemitismus).

  • 25.1.96

    Die subjektiven Formen der Anschauung, der Raum, das Geld und die Bekenntnislogik, sind als Instrumente der Vergegenständlichung und Instrumentalisierung zugleich Instrumente der Verurteilung. Deshalb gehört zur Bekenntnislogik sowohl das Feindbild als auch die Opfertheologie. Der logische Grund dieser Konstellation läßt sich erkennen an der Trennung der Idee der Glückseligkeit von der der Solidarität, an die erstmals Kants Idee der Menschheit in uns, die die Philosophie von ihrer Stummheit befreit, wieder erinnert.
    Zu Erde und Land gibt es noch die dritte Kategorie: den Acker.
    – Den Acker muß Adam, der von ihm genommen ist, bearbeiten; der Acker trägt die Dornen und Disteln. Es gibt den Blutacker.
    – Das Land ist das Land, das Gott Israel verheißen hat, in dem Milch und Honig fließt; allgemein die Länder, in denen die Völker wohnen (das Land Kanaan, das Land der Philister, das Land Mizrajim); es gibt die Götter des Landes (aber den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat). Das Land ist das Land der Väter; seit wann gibt es das Vaterland?
    – Die Erde war im Anfang wüst und leer, und Finsternis über dem Abgrund und der Geist über den Wassern. Das Trockene, das sichtbar wurde, als das Wasser an einem Ort sich versammelte, nannte Gott Erde (und die Feste, die die Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb scheidet, nannte er Himmel). Die Erde ist der Schemel Seiner Füße, der Himmel Sein Thron; Gott hat die Erde gegründet, den Himmel aufgespannt. Zur Erde heißt es: macht sie euch untertan (wird zwischen Besitz, Eigentum und Herrschaft unterschieden?).
    Wie steht das Haus zum Land, zum Acker, zur Erde?
    Das Paradies war ein Garten, in den Gott den Menschen setzte und in dem er „Bäume aus der Erde wachsen ließ, lieblich anzusehen“. Ist nicht auch der Weinberg ein Weingarten, der Ölberg ein Ölgarten (Getsemane ist aramäisch und heißt Ölkelter, die Weinkelter ist ein apokalyptisches Symbol)?
    Der Habermassche Medienbegriff (den er auf das Geld und die Macht, auf die Ökonomie und die staatliche Verwaltung bezieht) greift zu kurz: Korrelate des Geldes sind der Raum und die Bekenntnislogik, alle drei sind Instrumentalisierungen der Herrschaftslogik (oder auch Differenzierungen der kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“). Alle drei sind Logiken der Vergegenständlichung, sie sind im Objektivationsprozeß, dessen Geschichte sie beherrschen und begleiten, nicht selber sichtbar; sie konstituieren und entfalten sich im Rücken des Objektivationsprozesses, sie liegen sich selbst im blinden Fleck, sind nur in ihrer gegenständlichen Anwendung erkennbar. Daß die kantische Erkenntniskritik zugleich zum Kern der Gesellschaftskritik geworden ist, hängt mit den Beziehungen dieser drei „Medien“ zusammen.

  • 24.1.96

    Wenn die Welt schlecht ist, ist alles erlaubt, was nicht durch Gesetz verboten ist. Die Unlösbarkeit des Beweisproblems begründet den Satz, daß man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen. Bestraft wird das Erwischtwerden (die Nachweisbarkeit), nicht die Tat. Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand (weil sie aus beweistheoretischen Gründen rechtlich nicht fassbar ist: sie liegt außerhalb der Grenzen des Erwischtwerdenkönnens). In diesem Kontext, nämlich auf der Grundlage der Instrumentalisierung der Grenzen der Beweisbarkeit, ist die Logik, die in Staatsschutzprozessen den Angeklagten zum Feind, die Verteidiger zu Parteigängern des Feindes und die Besucher zu Sympathisanten macht, rekonstruierbar.
    Bei Habermas findet sich ein sonst nur in den Medien gebräuchlicher Genitiv nach „gemäß“: „Diese (sc. Systemdifferenzierung, H.H.) wiederum legt er sich gemäß seines Vierfunktionenschemas zurecht, …“ (Bd. 2, S. 426). Dieser Genitiv ist ein Symptom der Objektsprache, der Verdrängung des Freiheitsraums, den die Sprache eröffnet, der Zernichtung der benennenden Kraft der Sprache, der Trennung von objektiver Welt und subjektiver Meinung (von Realität und kommentierendem Raisonnement). Zerstört ist die Kraft des Namens: Hier wird der Atheismus zum Prinzip der Selbstzerstörung der Erkenntnis.
    Wenn irgend etwas, so beweist die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns die Notwendigkeit kritischer Selbstreflexion der Wissenschaft. Hierbei wäre zu demonstrieren, daß und auf welche Weise der vergegenständlichende Blick (die subjektiven Formen der Anschauung) idealisierend wirkt, d.h. die Theorie von ihren realen Wurzeln trennt. Gründet nicht darin die Notwendigkeit der Theologie, und zielt nicht die Rosenzweigsche Darstellung der wechselseitigen Begründung von Philosophie und Theologie, sein Nachweis, daß die Philosophie um des Objekts willen der Theologie bedarf, auf diesen Sachverhalt?
    Wissenschaftskritik: Die Habermassche Theorie bezieht ihre Namenskraft nicht aus den Objekten, auf die sie sich bezieht, sondern aus dem Verfahren und aus der Vorgeschichte, in denen diese Objekte sich konstituieren. Es gehört zu Habermas‘ Instinkt, an die allerdings seine Einsicht nicht ganz heranreicht, wenn er in der Konstruktion seiner Theorie eigentlich sehr deutlich zu erkennen gibt, daß das politische Subjekt dieser Theorie die amerikanische Weltmacht ist. So war es ihm möglich, den Anschluß an die bundesrepublikanische Wirklichkeit über sein Konstrukt des „Verfassungspatriotismus“ ins Bekenntnishafte zu transformieren. Es war die Bekenntnislogik, die zwar „klare Verhältnisse“ in der Theorie geschaffen, dafür aber die „Neue Unübersichtlichkeit“ der Wirklichkeit begründet, die den Erkenntnisanspruch der Theorie verwirrt hat.
    Ist das Grundgesetz nicht in der Geschichte seiner Änderungen immer realitätsferner, immer bekenntnishafter geworden, bis hin zum Asylrecht, in dem die in den Artikel 16 neu eingefügten Bestimmungen dessen ersten Satz außer Kraft gesetzt haben. (Interessant und wichtig wäre eine Geschichte der Grundgesetzänderungen, in der im einzelnen die Anlässe und die Gründe der Änderungen chronologisch und im Kontext einer kritischen Geschichte der Bundesrepublik entfaltet würden.) Inzwischen hat die bundesrepublikanische Realität das (nicht zuletzt durch den Begriff des „Verfassungspatriotismus“) zum bloßen Bekenntnis depotenzierte Grundgesetz längst besiegt.
    Ein anderes Paradigma für die politische Wendung der Bekenntnislogik in der Bundesrepublik ist die fatale Geschichte der „Wiedervereinigung“, ein Beispiel dafür, wie aus einem Lippenbekenntnis, an dessen Realität bis unmittelbar vor dem Eintritt des Ereignisses, niemand, am wenigsten die, die dieses Bekenntnis immer im Munde führten, geglaubt hat, „wie durch ein Wunder“ (ein Stichwort dafür war „Wahnsinn“) Realität geworden ist.
    Es gibt eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, aber gibt es auch eine Theologie im Angesicht Gottes, würde diese nicht aufhören, Theologie zu sein? In einer Theologie im Angesicht Gottes wäre Gott kein Objekt mehr, diese Theologie wäre der Anfang der Heiligung des Gottesnamens. Das Problem gleicht dem der Naturphilosophie, die erst sich erschließt, wenn die Natur nicht mehr als Natur, wenn sie nicht mehr als Objekt begriffen wird.
    Ist der Objektbegriff, der sich der objektiven Erkenntnis in den Weg stellt, die „Pforte der Hölle“, von der es heißt, daß sie sie (die „Kirche“) nicht überwältigen werde?
    Zu Rosenzweigs Kritik des All: Verweist der Begriff des Allgemeinen nicht auf das All als die Wurzel des Gemeinen?
    Bezieht sich nicht die kopernikanische Geldtheorie auf ein Problem der Inflation: auf die Frage, wie es möglich ist, Realwert und Nominalwert der Münze (ähnlich wie die Maße der Entfernungen in unterschiedenen Dimensionen des Raumes) dauerhaft zur Deckung zu bringen? Und hängt dieses Problem nicht in der Tat zusammen mit der astronomischen Lösung des Problems der Planetenbewegung durch Substitution eines einheitlichen Raumes im heliozentrischen System?
    Was ist der Unterschied zwischen den biblischen Namen für Erde und Land? Das „Trockene“ ist die logische Opposition zum Wasser. Steckt nicht im Namen der Erde die Beziehung zum Himmel, in dem des Landes (des Namens für das Trockene) hingegen die zu anderen Ländern? Das Trockene ist das, was dann „sichtbar“ wird. Für wen wurde es sichtbar, nachdem Tiere und Menschen erst am fünften und sechsten Tage erschaffen wurden? Begleitet nicht das Sehen Gottes die ganze Schöpfungsgeschichte („und Gott sah, daß es gut war“, ein Satz nur am zweiten Tag fehlt, als Gott die Feste schuf, die er Himmel nannte). Aber Gott sah nicht „in dem“ Licht, das er am ersten Tag geschaffen hat, sondern er sah „das“ Licht. Gehört in dieses Sehen Gottes nicht auch der Begriff des Ebenbildes: Sieht Er sich in diesem Ebenbild nicht selbst? Zum Sehen aber gehört auch das Werk des ersten Tages, das Licht und seine Unterscheidung von der Finsternis, die nur fürs Sehen gilt.
    Mit dem Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand hängt es zusammen, wenn Verbrechen (strafrechtliche Tatbestände) in letzter Instanz keine tatbezogenen, sondern beweisbezogene Tatbestände sind. Die Nachweisbarkeit ist rechtssystemisch ein Konstituens des Verbrechens. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Konstruktion synthetischer Urteile apriori im Recht (vgl. Lyotards Bemerkung zum Zeugenproblem im Kontext des „vollkommenen Verbrechens“, das kein Verbrechen mehr ist, weil es mit den Opfern auch die Zeugen „aus der Welt schafft“: Gehört nicht die Vorstellung einer Natur, die unabhängig von den Menschen da ist, zu dieser Vorstellung eines vollkommenen Verbrechens, ist nicht der Weltbegriff selber die Verkörperung des vollkommenen Verbrechens?).

  • 17.1.96

    Die Kritik der Bewußseinsphilosophie leugnet den Schmerz. Diese Leugnung gründet in der Verdrängung der Empathie durch die Logik der Verurteilung (die Logik der Verurteilung begründet den Rechtfertigungszwang); sie ist der Grund der heute sich ausbreitenden Form des Atheismus.
    Gehört nicht zur Theorie des kommunikativen Handelns die Reflexion darauf, daß sie die Wahrnehmung und Erinnerung des Leidens ausschließt? Und zwar deshalb ausschließt, weil das Handeln, auf das diese Theorie sich bezieht, ein subjektloses Handeln, ein gehandelt Werden, eigentlich ein Erleiden ist (man muß in die Sprache hineinhören, um wahrzunehmen, was es heißt, wenn das immenente telos des kommunikativen Handelns ein „Konsens“ ist, der durch den Diskurs herzustellen ist). Im Kontext des kommunikativen Handelns ist die Stelle des Leidens schon vom Handeln besetzt (was auf den realen Grund des kommunikativen Handelns verweist: aufs Selbstmitleid).
    Hier liegt der (selbstverschuldete) systematische Grund der „Neuen Unübersichtlichkeit“, die Habermas später einmal beklagte.
    Kommunikatives Handeln steht unterm Rechtfertigungszwang und ist ein Instrument des Schuldverschubsystems. Die dem Begriff des kommunikativen Handelns zugrunde liegende Idee der Intersubjektivät ist die der Bekenntnislogik, der subjektiven Formen der Anschauung, des Logik des Geldes. (Im Begriff der „Weltanschauung“ gibt sich die Bekenntnislogik als subjektive Form der Anschauung zu erkennen.)
    Habermas verwechselt die Norm (die zur Logik der Welt gehört) und das Gebot (das von Gott ausgeht).
    In den drei Sprechakten präsentiert sich das eigene Handeln als ein Ausfluß der objektiven Welt, in deren Gesetze es eingebunden ist, deren Norm es unterworfen ist, während Subjektivität im expressiven Sprechakt auf den reinen Ausdruck des Leidens zusammenschrumpft (logischer Grund der Geschichte der Kunst).
    Die Kulturindustrie hat die Expression als Ausdruck des (von jeder Fremderfahrung abgeschnittenen) Selbstmitleids dem Wertgesetz unterworfen und zur Ware gemacht. Mit der Verwerfung der Mimesis, mit der Verwerfung des Eingedenkens der Natur im Subjekt (die Habermas als „Eingedenken der ‚gequälten‘ Natur im Subjekt“ denunziert) wurde die Selbstreflexion des kommunikativen Handelns unterbunden, das Konstrukt dogmatisiert.
    Im Bereich des expressiven Sprechakts (der „subjektiven Welt“) kennt Habermas zwar den Begriff der „Wahrhaftigkeit“ (der „Authentizität“). Den Begriff des „falschen Zeugnisses“, der eine Schlüsselfunktion in einer Philosophie, der die Ethik zur prima philosophia geworden ist, bezeichnet, kennt er nicht (wie er auch – trotz einer Theorie der Argumentation – eine Beweistheorie nicht kennt).
    Die beiden ersten Sprechakte, die sich auf die objektive Welt und auf die Normen beziehen, sind eigentlich nur zwei Seiten ein und derselben Sache. Hier wird aus der asymmetrischen Struktur einer Sache ein Nebeneinander zweier getrennter Dinge (was dem „Nebeneinander“ der empirischen Fakten und der normativen Kraft der mathematischen Theorie <der „Formeln“> in den Naturwissenschaften entspricht: Produkt der Verdrängung des Bewußtseins der konstitutiven Bedeutung des Inertialsystems für die Erscheinungen in ihm). Die Reflexion der Asymmetrie ist aus dem Erkenntnisbegriff ausgeschieden worden, als die Erkenntnistheorie gelernt hat, zwischen primären und sekundären Sinnesqualitäten zu unterscheiden.
    Das Inertialsystem und die mathematischen Naturwissenschaften haben das Seufzen der Kreatur nicht aufgehoben, sondern nur zum Schweigen gebracht (und ins Selbstmitleid des bürgerlichen Subjekts, in den Grund seiner Empfindlichkeit, zusammengezogen: aus diesem Fundus, den am Ende die Kulturindustrie auszubeuten gelernt hat, hat die Kunst geschöpft).
    Die Kunstbewegungen des letzten Dezenniums vor dem ersten Weltkrieg waren Ausbruchsversuche der Kunst aus der Kunst.
    Habermas hat vergessen, was er aus seiner Hegel-Kenntnis hätte wissen müssen: daß große Philosophie nicht widerlegt werden kann. Die These, daß Georg Lukács in den „objektiven Idealismus zurückgefallen“ sei, ist eine Denunziation, die versucht, seine eigenen Voraussetzungen polemisch gegen ihn auszuspielen. Wenn Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt hat, dann hat er ihn berichtigt, nicht widerlegt. Diese Form der Kritik dagegen ist nur hilflos und deshalb aggressiv, sie macht Hegel zum toten Hund und möchte den Lukács gleich mit verscharren (hat nicht Wellmer in einem Seminar bei Adorno einmal die These Georg Lukács‘ vom kontemplativen Charakter der Naturwissenschaften mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ zu widerlegen versucht? Ist es nicht gerade das Experiment, das durch seine Kriterien: Wiederholbarkeit, Unabhängigkeit von Raum und Zeit, Gültigkeit für jeden, die „Praxis“ ins Gefängnis der Kontemplation einsperrt, Modell der repetitiven Tätigkeiten, zu denen die Arbeit in Büro und Fabrik geworden ist?).
    Gehört dieses Verständnis des Experiments nicht zu einer Logik, die die Leute veranlaßt, die Ärmel aufzukrempeln, wenn sie „Praxis“ hören?
    Wird in Tschetschenien nicht die Schraube des Terrorismus, die im jugoslawischen Bürgerkrieg schon angezogen worden ist, um eine weitere Windung weitergedreht?
    Wer Elendsflüchtlinge, die hier, um dem von uns verursachten Elend in ihrer Heimat zu entgehen, um Asyl nachsuchen, „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennt, macht die wirklichen Wirtschaftsflüchtlinge unsichtbar: von Jürgen Schneider über Leeson zu Steffi Graf und Boris Becker, oder auch die Kunden der Commerz- und der Dresdner Bank, die über deren luxemburgische Filialen ihre hier erworbenen Vermögen der Steuer entziehen.
    Mit der Orthodoxie, mit dem Dogma und mit der Bekenntnislogik hat sich die Theologie zu einem Instrument der Begründung und Stabilisierung der Welt gemacht, hat sie die Vorarbeit geleistet, die am Ende, in der durchrationalisierten Welt, die subjektiven Formen der Anschauung übernommen haben, die heute helfen, die gesamte Vergangenheit durch Vergegenständlichung zu verdrängen.
    Wie hängt der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, mit der logischen Struktur des Schuldbegriffs zusammen, einer logischen Struktur, die anhand der Konstruktion des Schuldverschubsystems oder auch im Kontext des Satzes, daß nur, wer die Schuld auf sich nimmt, sich von ihr befreit, zu bestimmen wäre. Im Kontext des Weltbegriffs, der in allem dem Angesicht Gottes opponiert, ist das Herz der Menschen nicht nur unsichtbar, es versteinert.
    Die Theologie im Angesicht Gottes öffnet das Herz, während die Welt (in deren Bann die Theologie hinter dem Rücken Gottes steht) es verhärtet und verschließt.
    Der Satz, daß „Bewußtsein aufgrund seiner intentionalen Struktur stets Bewußtsein von etwas (ist)“ (Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 80), ist in dieser Form falsch: Bewußtsein schließt auch die Fähigkeit zur Reflexion seiner eigenen intentionalen Struktur mit ein. „Wo Es ist, soll Ich werden“: Dieser Satz wäre ohne diese Reflexionsfähigkeit nicht zu halten. Wäre er wahr, so wäre der Atheismus unvermeidbar, da der Name Gottes den Einspruch gegen Seine (wie gegen jede) Vergegenständlichung mit einschließt. Gott ist nicht Gegenstand eines intentionalen Akts.

  • 13.1.96

    Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, wonach die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, bedeutet realhistorisch, daß der Objektbegriff vermittelt ist durch die Geschichte der Unterwerfung und Ausbeutung fremder Völker. (Bezeichnen nicht die Planetennamen, vor allem Venus, Mars und Merkur, die Konstituentien des Objektbegriffs, sind sie nicht die Konstituentien eines Vorläufers des Inertialsystems? – Phantastische Vorstellung, daß die „Planeten“ im Sinne der alten Astronomie als Verkörperungen der Unendlichkeiten der sechs Richtungen im Raum sich begreifen lassen.)
    Die Kollektivscham, die die Reflexion der Kollektivschuld zum Schweigen gebracht hat, war das Ferment der Chronifizierung des Rechtfertigungszwangs, unter dem die Deutschen seitdem leiden, wobei der Rechtfertigungszwang, unter dem die Zeitgenossen des Faschismus stehen, zu unterscheiden ist von dem, unter dem die Nachgeborenen stehen. Für die Zeitgenossen des Faschismus war die Nachkriegsgesellschaft eine Gesellschaft von Irren, für die Nachgeborenen war sie eine Gesellschaft von Verbrechern (reproduzierte sich in diesem distanzierenden und diskriminierenden Blick nicht das Irresein?).
    Der Satz „Ihr seid das Licht der Welt“ ist nur zu verifizieren unter der Voraussetzung, daß Joh 129 unters Nachfolgegebot fällt. Joh 129 ist der theologische Lichtgenerator, der durch die Opfertheologie außer Funktion gesetzt, zum Scheffel über dem Licht umgeformt worden ist.
    Die konstantinische Wende war die Voraussetzung der kopernikanischen Wende (und die paulinische die der konstantinischen).
    Bemerkung zu Paulus: Ist nicht die Opfertheologie aus der Rationalisierung seiner Mittäterschaft am Martyrium des Stephanus abzuleiten?
    Die Vorstellung, daß der Ursprung des Geldes aus frühen Tauschbeziehungen (aus dem Tausch überflüssiger Güter) sich ableiten läßt, ist idyllisch; sie abstrahiert von den realen Ursprüngen des Handels, des Geldes und des Tauschprinzips, die im Raub, in der Eroberung und Ausbeutung fremder Völker, im Verkauf der Gefangenen als SklavInnen und im antiken Institut der Schuldknechtschaft suchen sind. Aber gehört dieses idyllische Bild nicht zu den Prämissen einer technologisch instrumentalisierten Kapitalismuskritik, zu den Gründen der Verwechslung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel mit ihrer Verstaatlichung (des Kommunismus mit dem Staatskapitalismus)?

  • 12.1.96

    Wie der Mensch das Ebenbild Gottes, so ist die Ware (das Objekt als Subjekt) das des Staates. Der Begriff der Zerstörung des Gebrauchswerts ist als ökonomische zugleich eine politische Kategorie: Mit der Ware verliert auch der Staat seinen Gebrauchswert.
    In dem Zitat aus Hans-Jürgen Krahl „Konstitution und Klassenkampf“ (in Wolfgang Pohrt „Theorie des Gebrauchswerts“, S. 53) sind einige Kategorien auf offensichtlich signifikante Weise unverständlich:
    – Was ist gemeint, wenn es bei Krahl heißt, daß „Entfremdung und Verdinglichung heute Kategorien sind, deren Gültigkeit für den Kapitalismus zweifelhaft wird“, oder
    – „das Stadium der immanenten Selbstzersetzung der Warenform zugunsten des totalitären Tauschs ist erreicht“?
    Zur Verdinglichung: Diese Kategorie wird nicht „zweifelhaft“, sondern ungegenständlich, sie ist in den blinden Fleck der Erkenntnis gerückt. (Es hängt mit der logischen Beziehung von Ware und Staat zusammen, wenn der Dingbegriff als der Kern der hegelschen Logik sich erweist – als Quellbegriff des Absoluten.)
    Zum Tausch: Der Begriff des Tauschs wird nicht totalitär, sondern universal, Kristallisationskern der Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur, Welt), deren Kritik auf der Tagesordnung steht. Die Unterstellung eines totalitären Tauschbegriffs steht schon unterm Systemzwang der entgegenständlichten Verdinglichung; zu ihren Konsequenzen gehört die personalisierende Umformulierung der Marxschen Theorie, die in die Verwirrungen des Terrorismus geführt hat.
    In dem gleichen Maße, in dem die Produktion den Gebrauchswert der Waren zerstört, wächst ihr eigener Gebrauchswert für den Staat.
    Gebrauchswert und Tauschwert sind Reflexionskategorien, das Modell der Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften. Die verdinglichende Kraft des Tauschprinzips reduziert die Dinge auf ihre (vergleichbaren) Eigenschaften, durch die sie in den Prozeß von Arbeit, Produktion und Konsum hineingezogen werden.
    Der formale Charakter des Begriffs Gebrauchswert läßt an den Objekten seiner Anwendung sich demonstrieren: Dem Geld, dem Staat, der Lohnarbeit, dem Kreuzestod Jesu, dem Militär, auch der Philosophie wächst unter definierbaren Bedingungen Gebrauchswert zu. Gebrauchswert ist ein Aspekt der Instrumentalisierung, in deren Geschichte verflochten, keine Natureigenschaft eines Objekts. Das, was Pohrt die Selbstzerstörung des Gebrauchswerts nennt, ist keine Selbstzerstörung, sondern eine Verschiebung des Gebrauchswert, der im gesamten Objektbereich wandert.
    Der letzte Gebrauchswert des Staates ist der faschistische: der Nationalismus, das Gefühl, dazuzugehören, auch wenn man selbst davon nichts hat.
    Der Terrorismus, der den Staat zwingen will, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat schon vergessen, daß der Staat gesichtslos ist; er gleicht sich selber dem an, was er für das „wahre Gesicht des Staates“ hält. Wer glaubt, dem Staat den Spiegel vorhalten zu können, vergißt, daß der Staat blind ist.
    Kann es sein, daß das Modell für die astrophysikalische Theorie des „schwarzen Lochs“ in dem zu suchen ist, was die analsadistische Sprache ein „Arschloch“ nennt?
    Gehören nicht die Theorien vom Urknall wie vom schwarzen Loch zu den Legitimationskonstrukten der Naturwissenschaften, die von den Ursprungs- und Zielphantasien, die sie zugleich zu neutralisieren gezwungen ist, sich nicht lösen können?
    Zieht sich nicht heute das Opfer der Vernunft, welches Adorno im Ursprung der Zivilisationsgeschichte erkennt, auf den einen Punkt der Verwerfung der Theologie zusammen? Das fast Irrsinnige daran ist, daß die Verwerfung der Theologie selber aus einer theologischen Tradition sich speist, die auf den Kern der christlichen Tradition zurückweist. Der Ursprung des Säkularisationsprozesses liegt in der Ursprungsgeschichte der Orthodoxie, der Bekenntnislogik. Er liegt an genau dem Punkt, als die Theologie einen Gebrauchswert bekam (für den Staat, aber auch für die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Herrendenkens, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Der Gebrauchswert der Theologie ist der Quellpunkt ihrer Instrumentalisierung, die ihren Grund in der Opfertheologie hat.
    Paradigmatisch für den Gesamtumfang des Problems des Gebrauchswerts ist der Jugoslawienkonflikt (wahnsinnige Vorstellung, daß dieser Konflikt auf eine frühe bundesrepublikanische Intervention, auf ein Projekt der Destabilisierung Jugoslawiens durch den BND unter der Leitung von Klaus Kinkel, des heutigen Außenministers der BRD, sich zurückfnhren läßt).
    Hätte nicht Sloterdijk, der Autor der Kritik der zynischen Vernunft, diesen Vorgang erkennen mnssen? Ja, wenn er nicht selber seine Kritik am Ende ins Affirmative umgebogen, als Ausweg den Kynismus empfohlen hätte. So wurde aus der Kritik der zynischen Vernunft ein Stück Schwabinger Philosophie.
    Nach kabbalistischer Tradition sind die sechs Richtungen des Raumes auf sechs göttliche Namen versiegelt. Die Vermutung, daß diese Siegel unter Einschluß des siebten Siegels (des Sabbats, als dessen Herr der Menschensohn sich zu erkennen gegeben hat) in den sieben unreinen Geistern (in der Gestalt der Maria Magdalena) und in den sieben Siegeln der Apokalypse sich wiederfinden, mag vielleicht ein Licht nach beiden Seiten werfen.
    Zur Astrologie: In welcher Beziehung stehen die Venus zum Mond, der Mars zum Jupiter und der Merkur zur Sonne?

  • 8.1.96

    „… in den Sozialwissenschaften (hat) der Wettstreit der Paradigmen einen anderen Stellenwert als in der modernen Physik. Die Originalität der großen Gesellschaftstheoretiker wie Marx, Weber, Durkheim und Mead besteht, wie in den Fällen Freud und Piaget, darin, daß sie Paradigmen eingeführt haben, die in gewisser Weise heute noch gleichberechtigt konkurrieren. Diese Theoretiker sind Zeitgenossen geblieben, jedenfalls nicht in demselben Sinne ‚historisch‘ geworden wie Newton, Maxwell, Einstein oder Planck.“ (Theorie des kommunikativen Handelns, S. 201) Hier weiß Habermas nicht, wovon er redet. Newton, Maxwell, Einstein oder Planck sind sicher in einem sehr viel genaueren Sinne „aktuell“, als es Weber, Durkheim und Mead, oder auch Piaget, je gewesen sind. Wer die Naturwissenschaften von Kopernikus/Newton bis Einstein/Planck heute entschlüsseln, wer sie erkenntnis-, und d.h. herrschaftskritisch begreifen würde, wäre einer kritischen Theorie der Gesellschaft näher als die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns.
    Die drei Stufen der modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnis lassen sich als Phasen der Erkenntnisumkehr begreifen:
    – die Mechanik als universale Richtungsumkehr (von allen Seiten hinter dem Rücken: der umgestülpte Raum),
    – das Gravitationsgesetz als Objekt- und Begriffsumkehr (es macht das Ungleichnamige gleichnamig) und
    – die Maxwellschen Gleichungen und das Gesamtsystem der durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmten Erscheinungen als Zeitumkehr, die im Phänomen der Lichtgeschwindigkeit selber enthalten ist (Paradox eines mit Lichtgeschwindigkeit bewegten Objekts).
    Modell dieser Umkehrungen ist die Etablierung und Entfaltung des Selbsterhaltungsprinzips in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft.
    Der Marxsche Satz, der die Waffe der Kritik an die Kritik der Waffen bindet, enthält den Hinweis, daß die Revolution heute auch ein Problem der Kritik der Logik ist. Eine Herrschaftskritik, die nicht zugleich die Kritik der Herrschaftslogik mit einschließt, bleibt in der Herrschaftslogik gefangen und stärkt die Macht des Staates.
    Der Begriff des „herrschaftsfreien Diskurses“ steht unterm Unschuldsbann; gemeint ist der schuldfreie Diskurs, ein Diskurs, der glaubt, von der Schuldverstrickung sich freihalten zu können. Aus der Schuldverstrickung aber gibt es nur den einen Weg der Schuldreflexion, und die führt nber die Herrschaftsreflexion. Der herrschaftsfreie Diskurs glaubt, die Last abwerfen zu können, von der sich nur befreit, wer sie auf sich nimmt.
    Steht nicht Habermas‘ Konzept eines herrschaftsfreien Diskurses in der Tradition der Opfertheologie, und zwar in ihrer protestantischen Version als Rechtfertigungslehre?
    Weder die raf noch ihre Verurteilung löst das Problem, deren Symptom die raf ist. Die Trennung von Theorie und Praxis ist ein Teil des technologischen Verständnisses der Wirklichkeit und zugleich ein Instrument der Instrumentalisierung der Moral: Die raf und ihre Verurteilung unterliegen dem gleichen logischen Bann.
    Ist nicht Petrus wirklich der Fels, und ist nicht die Selbstreflexion dieses Felsen die Voraussetzung der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz? Ist Petrus der Stein, gleich einem großen Mühlstein, der ins Meer geworfen wurde, und ist die Kirche dieser ins Meer geworfene Stein (vgl. Off 1821)?
    Wenn nach dem Strafrecht nicht das Töten, sondern der Mord bestraft wird, hat dies auch den Zweck, das Militär aus dieser Regelung herauszunehmen, d.h. dem Staat das Recht zu töten (oder zumindest das Recht, das Töten zu exkulpieren) zu lassen. Das aber begründet die Vermutung, daß es bei der Bestrafung des Mords nicht um die Bestrafung des Tötens geht, sondern um die Bestrafung der Anmaßung eines Rechts, das der Staat sich vorbehalten will. Deshalb ist der Mord kein Tatdelikt, sondern ein Täterdelikt, deshalb wird der Mörder bestraft, nicht der Mord.
    War nicht die mittelalterliche Eucharistiefrömmigkeit das Opfer einer Logik, die dem Tauschprinzip sich verdankt, war nicht das Modell der Transsubstantiation die Beziehung von Ware und Geld? Der wirkliche Leib Christi wäre das Brot, das gebrochen wird, das Brot, das man mit den Hungrigen teilt, nicht das Brot, das man als einzelner oder in Gemeinschaft ißt.
    Welchen Ursprung haben die englischen Begriffe mankind (kind: Gattung, Sorte, Art; adj. freundlich) und woman?

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