Geld

  • 2.1.96

    Das Tier aus dem Meer ist das Land, aus dem das Tier vom Lande hervorgeht. Deshalb ist das Tier vom Lande der falsche Prophet. Das Tier aus dem Meer ist die Ökonomie, die Geldwirtschaft, die ihren Ursprung
    – im „Fernhandel“, der ersten, aus dem Raub hervorgegangenen Gestalt „außenpolitischer“ Beziehungen, und
    – in der Schuldknechtschaft, der Gleichstellung des Schuldners mit dem Sklaven, dem Kriegsgefangenen,
    hat (der Sklave ist nach griechischer Auffassung kein Mensch: er ist kein Bürger der Polis, kein Mitglied der staatlich organisierten Gemeinschaft der Privateigentümer). Die Ökonomie ist gleichsam die dem animalisch-organischen Staat zugehörige anorganische Natur: der Boden unter den Füßen derer, die ihn besitzen, oder das Land, aus dem das Tier vom Lande, der falsche Prophet, hervorgeht.

  • 31.12.95

    Was wird aus einem Staat, der den Richtern die Last des Bewußtseins der Folgen seines Tuns abnimmt?
    Nur finstere Geheimnisse kann man verraten. Die göttlichen Geheimnisse (die von theologischen Geheimnissen zu unterscheiden sind) sind Gegenstand der Offenbarung.
    Transzendentale Ästhetik: Das Inertialsystem ist (nach der Erfindung des Geldes und nach der Entfaltung der Bekenntnislogik) die letzte Gestalt der Instrumentalisierung des Feigenblatts.
    Delegation, Stellvertretung, Repräsentation und Schuldverschubsystem: In dieser Konstellation konstituiert sich das Objekt.
    Der Handel hat mit dem Gebrauch des Geldes das Schuldverschubsystem begründet und darin die Erinnerung an die Schuldknechtschaft, die zur Ursprungsgeschichte des Geldes gehört, aufbewahrt.
    Der Name der Schlachtbank hält die Erinnerung an den Ursprung der Banken in der Tempelwirtschaft wach.
    Als Habermas den Gedanken einer resurrectio naturae verworfen hat, hat er den Begriff der Politik instrumentalisiert.
    Kronzeugenregelung: Instrumentalisierung und rechtliche Absicherung des falschen Zeugnisses.
    Reklame: Die Instrumentalisierung der Zeugenschaft (der Schlager macht Reklame für die Ware, die er selber ist: Reklame der Reklame; im Markenartikel machen die Ware und ihre Käufer Reklame für die Reklame, die den Verkauf der Ware sichert: Säkularisation der Bekenntnislogik und der ihr inhärierenden Exkulpationsautomatik, ihrer schuldvernichtenden und erlösenden Macht; vergleichbar dem Sport, der die nationalen Emotionen an sich bindet und reproduziert, die ohne ihn drohen, gegenstandslos zu werden).
    Die Hooligans gehören wie die Benutzer/Träger von Markenartikeln zu den letzten Nachfahren der Confessores (der BMW-Fahrer bekennt sich zu BMW; wer Levi’s trägt, ist cool).
    Ursprung des Neutrum: Folge der Abstraktion vom Geschlechterverhältnis im Begriff der Gattung (Konstituierung des Allgemeinen; Ursprung des Unzuchtsbechers: der Gemeinheit). Mit dem Neutrum (mit der transzendentalen Ästhetik und Logik, mit der Trennung der Begriffe Natur und Welt) ist die Sexualmoral entstanden.
    To be or not to be, that is the question: Das Präfix be-, das im Englischen als Name des Seins fungiert, ist der logische Katalysator der Vergegenständlichung, des Objektbegriffs. Der englische Empirismus ist sprachlogisch begründet.
    Im Bekenntnis wird die Erkenntnis sich selbst zum Objekt, erstickt die Kraft des Namens, wird sie blind und lahm: das Bekenntnis ist die genaue Umkehrung des homologein, der Heiligung des Gottesnamens. Die Bekenntnislogik ist ein Teil der Logik des Weltbegriffs.

  • 27.12.95

    Gründet nicht die Bekenntnislogik in der Beweisumkehrlogik, und ist sie nicht eine Reflexionsform des Raumes, der Reversibilität aller Richtungen im Raum? Verhält sich nicht die Bekenntnislogik zu ihren Inhalten wie der Raum zu den Objekten im Raum (ihr gemeinsames Symbol ist der Kelch)?
    Sind nicht das Geld, die Bekenntnislogik und der Raum die Brennpunkte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs?
    Das Gesicht des Andern ist die Widerlegung der subjektiven Formen der Anschauung, der Vorstellung des unendlichen, leeren Raumes. (Der Satz, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat, leugnet das Angesicht.)
    Zu der jüdischen Tradition, die dem Tun vor dem Hören den Vorrang gibt, gibt eine kleine Begebenheit einen Hinweis. In meinem Arbeitszimmer hängt ein neues Bild (eine Reproduktion eines Bildes von Paul Klee). Die Sekretärin meines Abteilungsleiters kommt herein, sieht das Bild und ruft spontan: „Was für ein schönes Bild!“. Aber im selben Augenblick schlägt sie die Hand vor den Mund und korrigiert sich: „Ach nein, das ist ja ein modernes Bild“: Ein Sieg der Reflexion über die Spontaneität, der Philosophie über das Selbst, des erinnerten Hörens über das Tun, die Selbstzerstörung des arglosen Blicks.

  • 26.12.95

    Für den „Leidenskelch“, von dem Bedenbender gelegentlich spricht, gibt es zwei neutestamentliche Belegstellen: die Getsemane-Geschichte und die Stelle, an der Jesus den Jakobus fragt, ob Jakobus den Kelch trinken könne, den er, Jesus, wird trinken müssen. Aber meinen diese Stellen nicht eigentlich etwas anderes: Ist der „Leidenskelch“ nicht in Wahrheit der Taumelkelch, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende der Unzuchtsbecher: Symbol der Geschichte des Herrendenkens (der Taumelkelch ist der Kelch, den die Herrschenden trinken, der sie besoffen macht; vgl. Hegels Definition des Wahren in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, Theorie-Werkausgabe, S. 46)?
    Zur Jotham-Fabel: Der Feigenbaum ist ein Symbol des Friedens (das Sitzen unterm Feigenbaum). Die Dornen und Disteln wachsen in der Wüste (mit der Wüste als Symbol der wachsenden Herrschaft des Äußeren über das Innere: der Geschichte des Weltbegriffs).
    Verweist nicht der strafrechtliche Begriff des Mordes auf eine merkwürdige Über-Kreuz-Verschiebung (ursprünglich verweist das lateinische mors, aus dem der Begriff des Mordes sich herleitet, auf das subjektlose Sterben, während der Begriff des Todes auf ein Töten durch einen andern zurückweist)? Im Begriff des Mords ist nicht mehr die Tat, sondern der Täter das eigentlich definierende Moment: in ihn ist das Moment der Konkurrenz zum Staat mit eingegangen, das den Mord zum Mord und den anderen Tod zu einem neutralen Ereignis, einem Naturereignis, gemacht hat (darin spiegelt sich die Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Staats zum Ursprung und zur Geschichte des Naturbegriffs).
    Gehört nicht das strafrechtliche Konstrukt des Mörders zu den logischen Bedingungen des Objektbegriffs, fällt es nicht unter die Kritik der Verdinglichung? Die Begründung einer Eigenschaft durch eine vergangene Tat, die zugleich verurteilt wird (die Begründung der Eigenschaft und des Dings in der Logik der Verurteilung): Steht dagegen nicht Joh 129, die Forderung der Übernahme der Sünde Adams, die den christlichen Namen begründet? Es gibt keine Theologie ohne die so begriffene Idee der Erbsünde: Die Sünde der Welt ist die Erbsünde (und die Taufe, die „von der Erbsünde befreit“, das Symbol der Erfüllung des Nachfolgegebots).
    Die Theologie im Angesicht Gottes gründet in der Erinnerung des Paradieses.
    Im Gegensatz zum Gott der Philosophen ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs einer, den etwas gereut: der lernfähig ist. Diese Lernfähigkeit gehört zu den Attributen Gottes, die im Imperativ, nicht im Indikativ stehen.
    Die kantische Vernunftkritik hat (als Kritik des Wissens) die Idee eines „allwissenden“ Gottes widerlegt; sie hat damit eine Gottesvorstellung widerlegt, zu deren Konsequenzen die Leugnung der Lernfähigkeit: die Leugnung des Attributs der Barmherzigkeit, gehört.
    Der aristotelische Gott war der „erste Beweger“; den „allwissenden“ Gott hingegen haben die Muslime erfunden, die dann konsequenterweise aus der Barmherzigkeit Gottes seine unterschiedslose „Allbarmherzigkeit“ gemacht haben.
    Gott ist nicht allwissend, er sieht ins Herz der Menschen (das ist das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte, und er wollte, es brennte schon).
    Die InfoAG gleicht darin dem Gericht sich an, daß sie die Beziehung der „Kirchenleute“ zur Angeklagten zu diskriminieren versucht, ihnen in ähnlicher Weise wie das Gericht Hubertus Janssen unterstellt, er unterstütze die raf, den Verdacht, „objektiv“ für den VS zu arbeiten, anzuhängen versucht. Beide Konstrukte sind paranoid, beide arbeiten nach der Methode der Umkehr der Beweislast: der Ankläger braucht seine Unterstellung nicht zu begründen, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Beide machen Gebrauch von dem Satz, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Das Feinddenken und die Ausgrenzung und Diskriminierung des Verräters sind, weiß Gott, nicht unbegründet, sie sollten aber reflexionsfähig gehalten werden, weil sie anders in eine Logik hineinführen, die am Ende als Logik der Identifikation mit dem Aggressor sich erweist. Diese Logik ist die Logik des Staates, die es zu durchbrechen gilt.
    Die Bekenntnislogik hat einen paranoiden Kern.
    Der Begriff der Erscheinung erinnert nicht zufällig an den Bereich des Gespenstischen: Sind nicht die neutestamentlichen Dämonen Vorläufer der Naturwissenschaften (in deren Bann die Welt insgesamt heute steht)?
    Hegel hat den kantischen Kritikbegriff vergegenständlicht (ins Vergangene transformiert), ihn in den Begriff der Objektivität selbst hineingetrieben, wo er dann in der Idee des Weltgerichts sich verkörpert. So ist Kritik zu einer im Interesse der Herrschaft instrumentalisierten und domestizierten Kritik geworden. Dieser Kritikbegriff hat die Dialektik begründet, er ersetzt Solidarität durch Komplizenschaft. Er hat den Erkenntnisbegriff durch ein eingebautes Freund-Feind-Denken vergiftet.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt auch eine Interpretation zu, in der die Lichtgeschwindigkeit selber als unendliche Geschwindigkeit sich erweist, während die schlechte Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung (und mit ihr das die Raumvorstellung konstituierende Prinzip der Gleichzeitkeit) auf die Logik der Zeitumkehr, der im Objekt nichts entspricht, zurückweist. Nur im Kontext dieser Logik, die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet (die Zukunft zu einer zukünftig vergangenen Zukunft macht), sind die Richtungen des Raumes reversibel. Die Logik der Zeitumkehr verwirft die Idee der Rettung, sie macht den katastrophischen Lauf der Geschichte unumkehrbar. In den indoeuropäischen Sprachen beherrscht diese Logik über die Formen der Konjugation (insbesondere über das Präsens und über den darin fundierten Ursprung des dritten Geschlechts, des Neutrums) die Grammatik (in der Geschichte vom Sündenfall symbolisiert die Schlange das Neutrum). Die Logik der Zeitumkehr ist der Kern der Logik der Schrift.
    Zum Verständnis der „subjektiven Formen der Anschauung“: Ein Kind, das etwa 20 m hinter seiner Mutter hergeht, blickt mich, als ich ihm begegne, ganz kurz aus seinen Augenwinkeln an, senkt dann seinen Blick, verschließt sein Gesicht und drückt so seine Weigerung aus, aus dem Status des Objekts meiner Anschauung (dem Status des räumlichen Objekts) herauszutreten und mit mir, und sei es nur durch den Blick, zu kommunizieren.
    Es gibt nichts Neues unter Sonne (Kohelet): Es ist die gleiche Sonne, die Homer und die uns bescheint, aber es sind nicht die gleichen Sterne.
    Gehört nicht das Auftreten der Ehrenbataillone beim Empfang fremder Staatsmänner im Fernsehen ebenso zu den Formen der politischen Verdummung wie der Auftritt der MP- und Schußwesten-bewehrten Polizeibeamten beim Hogefeld-Prozeß? In beiden Fällen verselbständigt sich die öffentliche Demonstration gegen das, was wirklich dort passiert (und gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt werden soll). Dieser Prozeß darf nicht einmal mehr ein Schauprozeß sein, weil er sich damit selbst entlarven würde. Daß Justitia eine Binde vor den Augen trägt, heißt, daß sie ohne Ansehen der Person urteilt (sie soll nicht den Rang der Person, sondern nur die Tat vor Augen haben). Dieser Grundsatz jeden rechtsstaatlichen Verfahrens wird suspendiert, wenn statt des Angeklagten ein Feind zum Gegenstand des Verfahrens wird.
    Zu den Konstruktionsprinzipien synthetischer Urteile apriori gehört das Prinzip der Austauschbarkeit, der Reversibilität von Subjekt und Prädikat. Im Rahmen dieser Logik begründet der Satz „Alle Mörder sind Staatsfeinde“ den Schluß „Alle Staatsfeinde sind Mörder“. Das aber ist die Logik des Vorurteils (der moralischen Version des synthetischen Urteils apriori) ebenso wie die der mathematischen Erkenntnis (diese Logik liegt u.a. der kopernikanisch-newtonschen Astronomie zugrunde): Sie macht das Ungleichnamige (e.g. Himmel und Erde) gleichnamig. Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft (die Hegel, um seine dialektische Logik zu begründen, neutralisieren muß) beziehen sich auf diesen Sachverhalt, sie haben ihn erstmals kenntlich gemacht, und zwar mit Hilfe der logischen Figur des „apagogischen Beweises“, mit dessen Hilfe Kant dem Prinzip der Reversibilität von Subjekt und Prädikat endgültig die Grundlage entzogen hat. Dieser Nachweis aber reicht weiter, als es zunächts erscheint: Er rührt an den Grund und die Grenze der Beweislogik, und damit an den Grund und die Grenze des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (der u.a. dazu dient, das Verfahren der Umkehr der Beweislast unangreifbar zu machen). Der kantische Nachweis ist die erste Demonstration der logischen Relevanz des Levinas’schen Hinweises auf die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, ein Hinweis, der den logischen Universalismus sprengt (und in diesem Zusammenhang den Erkenntnisbereich, auf den in der theologischen Tradition der Begriff Lehre sich bezog, neu begründet). In der kantischen Antinomie der reinen Vernunft hat die Philosophie das Prophetenwort vom Rind und Esel (und dessen biblischen Konnotationen, die tief in den theologischen Begriff des Opfers hineinreichen) eingeholt.
    Das Prinzip der Umkehr der Beweislast begründet das positivistische Rechtsverständnis, indem es das Recht zu einem Subsumtionsrecht macht (das dann den Weg frei macht für ein Verfahren, in dem der Angeklagte zum Feind wird).
    Gemein ist jede Präventiv-Anklage, die dem andern die Last des Unschuldsbeweises zuschiebt, die davon ausgeht, daß die Verteidigung allein Sache des Angeklagten sei. Diese Form der Präventiv-Anklage geht davon aus, daß Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit erlaubt sind (und das ist der logische Abgrund, aus dem der Staat hervorgeht). Dieser Logik hat Kant den Boden entzogen.
    Was ist von einem Verfahren zu halten, in dem durch Gerichtsbeschluß die Wege verstellt werden, auf denen vielleicht der Unschuldsbeweis zu führen möglich wäre?
    Ist nicht die Bekenntnislogik der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, der eigentlich zu lösen wäre: der Knoten, der den gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zusammenbindet? Wäre nicht die Kritik der Bekenntnislogik das Ende des Bücherschreibens (die Widerlegung des Kohelet), das Heraustreten aus dem Bann der Logik der Schrift, das Heraustreten aus dem Bann der Logik des Weltbegriffs?
    Hängt die Bedeutung der apokalyptischen Formel „der ist, der war und der sein wird“ nicht auch von der Reihenfolge der Zeitbestimmungen ab?
    Zu den Orionen (vgl. das Jesaia- Zitat bei Bedenbender) wäre die Hiob-Stelle hinzuzunehmen (über den Orion und die Plejaden). Beschreiben nicht die Planeten die Außengrenzen, zu denen neben dem König, dem Krieg und dem Handel (der Geldwirtschaft) auch die Frauen gehören (Zitat eines Ethnologen: das ist ein feindlicher Stamm, mit dem heiraten wir nur).
    Empfindlichkeiten sind Wege in die Opferfalle: Bezeichnen sie nicht genau den Punkt, in den das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden, Hoffnung zu pflanzen versucht?
    Pharisäer und Schriftgelehrte: Nur unterm Rechtfertigungszwang, der selber aus dem Vergangenheitscharakter des Gebots entspringt, wird das Gebot zum Gesetz.
    Zu Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der eine Neuinszenierung vorbereitet: Müßte er nicht den zukünftigen Schauspieler, dessen Windeln er wechselt, erst zeugen?
    Diente nicht die Verschiebung des Naturbegriffs von der Zeugung zur Geburt (von physis zur natura) dazu, die messianischen „Wehen der Geburt“ zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen, sie zu individualisieren, sie als individuelle Strafe für die „Sünde der Welt“ dem ganzen Kollektiv der Frauen anzuhängen? Verweist die Bedeutungsverschiebung in den Begriffen Natur und Welt nicht auf eine sprachlogische Differenz, die auf die Beziehung der griechischen zur lateinischen Grammatik zurückweist? Und liegt dieser sprachlogischen Differenz nicht die Differenz in den politischen Institutionen zugrunde, der Unterschied der institutionellen und imperialen Entfaltung des Römischen Reiches und des Caesarismus zur philosophiebegründenden polymorphen Gestalt der griechischen Polis?
    Gab es die hagiographische Unterscheidung von Confessor und Virgo schon in der griechischen Kirche, oder gehört sie zur Gründungsgeschichte der lateinischen Kirche? Hängt sie mit der Umformung des Symbolums in eine Confessio, mit der nicht nur der Name, sondern zugleich die Logik der Sache sich ändert, zusammen? Die Vermutung wäre zu begründen, daß das Symbolum (das für Augustinus noch ein sacramentum war) im Schuldzusammenhang der imperialen lateinischen Sprachlogik zur Confessio geworden ist.

  • 19.12.95

    Jede Wunde ist eine Widerlegung der Geometrie.
    Das Absterben des Staates, der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist konkret das Absterben des Nationalstaates. Das aber verweist auf einen Vorgang, der identisch ist mit einem Prozeß im Kern der Erkenntnis, der Vernunft, des Wissens. Der Fokus, in dem das Bewußtsein und die Wirklichkeit auf einander sich beziehen, ist der Staat, der nur als Nationalstaat sich begreifen läßt, und auf den Hegels Wort von der Natur, die den Begriff nicht halten kann, sich beziehen läßt, wenn es nicht überhaupt hier seinen Ursprung hat. Die anorganische Natur, auf die der Staat als organische Lebensform, als Organismus, sich bezieht, ist die Ökonomie.
    Das Absterben des Staates ist der Grund des Absterbens der Vernunft. So hängt die Fundamentalontologie mit dem Faschismus zusammen.
    Der biblische Schöpfungsbericht läßt auch als Ursprungsgeschichte der der staatlich organisierten Objektivität sich begreifen (ist nicht die erste Natur durch die zweite vermittelt?). Zum dritten Schöpfungstag: Das Land (auch ein Synonym für den Staat), der feste Boden unter den Füßen, hängt mit dem Grund der Ökonomie, der Währungshoheit und dem Gewaltmonopol des Staates zusammen. Blut und Boden war nicht zufällig eine faschistische Parole. Das Land ist die Nation, das Meer der Inbegriff dessen, was draußen ist, des Fremden. Was bedeuten in diesem Kontext die biblischen Hinweise auf die „Inseln“ (im Kontext der Genealogie Japhets), und hängt hiermit das apokalyptische Wort, daß das Meer am Ende nicht mehr sein wird, zusammen?
    Das „Gegebene“ und das „Es gibt“: Ist nicht der Gebende, das Subjekt des Gebens, der Staat: der Staat, der die Welt eigentumsfähig macht (vgl. die Beziehung von Sein und Meinen)?
    Zur Kritik der Deutschlehrer-Frage „Was hat der Dichter damit gemeint?“: Die Objektivität der Wahrheit ist eine durch die Reflexion der Sprache vermittelte; deshalb ist sie niemals Gegenstand des Meinens.
    Wenn die Ökonomie das Meer ist (vgl. Apk), hat dann das Recht etwas sowohl mit dem Sand am Meer als auch mit den Sternen des Himmels zu tun?
    Während die Bäume die Erkenntnis repräsentieren, repräsentieren die Tiere die Stämme, Völker, Sprachen und Nationen.
    Was passiert in einer Welt, in der die Nation ihre identitätskonstituierende Kraft verliert (vgl. Bosnien)?
    Herrschaftskritik und Fähigkeit zur Schuldreflexion gehören zusammen; ihre Trennung begründet das Schuldverschubsystem, den (nationalen ebenso wie den individuellen) Egozentrismuis. Nur in diesem Kontext läßt der Verblendungszusammenhang, der im Rechtfertigungszwang gründet, sich auflösen.
    Das Bekenntnis ist die durch den Rechtfertigungszwang vermittelter (und entstellte) Gestalt der Wahrheit.
    Turmbau zu Babel: Die Sprachen wurden verwirrt, als die Nation als Exkulpationsagentur sich konstituierte. Diese Exkulpationsagentur (und ihre Logik, die Bekenntnislogik) trägt patriarchale (phallische) Züge; ihr Bild ist der Turm.
    Rohe Natur: Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, heißt u.a., daß sie im Kontext des Begriffs als verurteilte erscheint, daß sie ähnlich wie der Verbrecher, der in den Knast gesteckt wird, aus der Herrschaftsordnung des Begriffs herausfällt, zum reinen Objekt der Gewalt wird.
    Die Empfindlichkeit, mit der Politiker heute auf den Satz „Soldaten sind Mörder“ (oder auch, was damit zusammenhängt, auf das Kruzifix-Urteil des BVG) reagieren, rührt daher, daß nicht die „Ehre der Soldaten“ angegriffen wird, sondern der Staat als die das Tun der Soldaten (oder auch der Staatsanwälte, der Richter) exkulpierende Macht. Der Staat ist eine Mordmaschine.
    Geld macht sinnlich: Diese Sinnlichkeit ist das den Organismus des Staates belebende und dirigierende Prinzip. Dem Bilde der „rohen Natur“ liegt die Logik des Geldes zugrunde.
    Die Konstellation „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ taucht in der Johannes-Apokalypse auf; sie zitiert eine Stelle aus den toledot, den Genealogien Japhets, Hams und Sems (Gen 10). Im Falle Japhets, mit dem Hinweis auf die „Inseln“, in abweichender Reihenfolge. Bei Daniel (und an einigen Stellen in der Apk) fehlen die Stämme? Wie sieht das bei den Apokryphen aus?
    Das Gelächter Pharaos: Der ungeheuerliche, blasphemische Zynismus des antisemitischen Liedverses „die Wellen schlagen zu, die Welt hat Ruh“. Hier wird der Exodus widerrufen; den Beweis des Widerrufs hat Auschwitz geführt.
    „Der Mensch“ (der Jude, der Asylant, der Ausländer): Der Kollektivsingular ist ein Produkt des Schuldverschubsystems. Indem es die Gattung schuldig spricht, sie in Kollektivhaft nimmt, meint sie den Inbegriff des Andersseins, der alle anderen mit einschließt, den Sprechenden aber ausnimmt; die gleiche Logik liegt dem Massenbegriff zugrunde.
    Das Geld als Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft und sein genetischer Zusammenhang mit dem Phänomen der Schuldknechtschaft.
    Das Gefühl, daß die Theologie mit den Naturwissenschaften nicht koexistieren kann, findet eine Bestätigung in dem „tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“, das mit der Verheißung verknüpft ist: „und die Pforten der Unterwelt werden sie (sc. die ecclesia) nicht überwältigen“ (Mt 1618). Die Unterwelt, das Totenreich, das wäre die vollendete Vergangenheit, der Grund einer Gegenwart, die als Präsens auf der Grundlage der verdrängten Vergangenheit sich konstituiert. In den Naturwissenschaften nimmt der Prozeß dieser Verdrängung (die Hegelsche Arbeit des Begriffs) den Schein einer bestehenden Welt an. Dieser Schein ist das Produkt einer unvermeidbaren kollektiven Verdrängung, deren Agent in den Subjekten die Bekenntnislogik ist (und erst daraus abgeleitet die subjektiven Formen der Anschauung, mit der Form des Raumes im Kern: die Bekenntnislogik geht der Ausbildung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung voraus, sie bleibt in ihnen erhalten, wird durch sie automatisiert und ist in ihnen bewußtlos wirksam und tätig). Die Konstituierung des Inertialsystems, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich vergegenständlichen, ist der Versuch, die Pforten der Unterwelt zu schließen.
    „Was bedeutet dieses Leid der Unschuldigen? Zeugt es nicht von einer Welt ohne Gott, von einer Erde, auf der allein der Mensch das Gute und das Böse mißt? Die einfachste Reaktion wäre, auf Atheismus zu erkennen. … Doch mit welch borniertem Dämon, welch merkwürdigem Zauberer habt ihr denn euren Himmel bevölkert, ihr, die ihr ihn heute für verödet erklärt? Und weshalb sucht ihr unter einem leeren Himmel noch eine vernünftige und gute Welt?“ (Levinas: Die Thora mehr lieben als Gott, in Schwierige Freiheit, S. 110)

  • 11.12.95

    Was bedeutet der Begriff der Heiligung in dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“? Heißt es nicht, daß hier eine Sache nur der Kritik entzogen wird? Gehört es nicht in einen Zusammenhang, in dem Blasphemie und Majestätsbeleidigung (Verunglimpfung staatlicher Symbole) nicht mehr sich unterscheiden lassen, ist es nicht eine Heiligkeit, die als Unberührbarkeit der Macht sich begreift: als Verdinglichung des Heiligen? Es ist das genaue Gegenteil des Begriffs der Heiligung, der dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens zugrundeliegt.
    Zum Begriff des Neutrums gehört auch die grammatische Form des Indikativs, einer sprachlichen Form der Objektivität, die von allem Subjektiven (Wunsch, Zweifel, subjektiv Möglichem) gereinigt ist, das dann in den Konjunktiv verschoben wird. Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Kröner, Stuttgart, 19902) wird der Indikativ als „neutraler Darstellungsmodus“ definiert (S. 407). Vgl dazu Hegels Bestimmung des Ursprungs und der Form der Prosa (ein Begriff, der im ebengenannten Lexikon ebensowenig vorkommt, wie auch nur ein Ansatz zu einem Versuch der sprachlogischen Bestimmung des Neutrums).
    Als Habermas mit dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ das Thema verfehlte, hat er sich von der kritischen Theorie verabschiedet. Seitdem gilt er als ihr Vertreter.
    Heute ist die Gegenwart in einem Maße historisiert, daß jeder kritische Impuls Gefahr läuft, sich ins Kontrafaktische zu verlieren (zum ohnmächtigen und unverbindlichen Räsonnement wird, das die Betonwand des Wirklichen nicht mehr zu durchdringen vermag). Die kontrafaktische Reflexion bezieht sich nicht mehr nur auf vergangene Entscheidungen, sondern die Gegenwart selber ist in einem Maße vorentschieden, daß Reflexion insgesamt in Gefahr ist, kontrafaktisch zu werden.
    Merkwürdiges Gefühl beim Heribert Prantl: Er rührt an den Kern der Dinge, aber auf eine bloß noch räsonnierende Weise: auf die Weise des resignierten, ohnmächtigen Protests, dem die Kapitulation vor der Übermacht des Bestehenden schon einbeschrieben ist (vgl. Ulrich Sonnemann: Der verwirkte Protest, in: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, Hamburg 1963).
    Als Habermas die Natur von der Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft ausschloß, hat er vor der Übermacht des Bestehenden kapituliert.
    Heute reflektieren alle nur noch über die Sache, anstatt die Sache zu reflektieren. Wäre der Satz, mit dem das kommunistische Manifest beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – …“, heute nicht anders weiterzuführen: Anstatt auf den Kommunismus wäre er heute auf die Gestalt des abgestorbenen Geistes (und nur so gewinnt der Name des Gespensts Realität), die in den Banken umgeht und rumort, zu beziehen. Der Macht und dem Tun dieses Gespenstes ist es zu danken, wenn heute der Name des Geistes endgültig obsolet geworden zu sein scheint. Als der Faschismus Vergangenheit geworden ist, hat er die Gegenwart in diesen Hades mit hereingezogen. Auf dem Boden der Katastrophe gibt es nur noch die Macht der Reflexion; wer glaubt, auf diesem Boden eine andere Welt erbauen zu können, wird in ihren Strudel mit hereingezogen. Wenn die kopernikanische Wende (die neue Astronomie) die Neukonstituierung der politischen Institutionen begleitet, ist dann nicht das Medium, in dem die neue Physik sich herausgebildet hat, insbesondere die Elektrodynamik, Symptom des Ursprungs und der Entfaltung jener Macht, die die politischen Institutionen der Moderne unterminiert, neutralisiert und verdrängt: der Ökonomie?
    Gründet nicht die Verdrängung der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung in der bewußtslosen Anwendung des Satzes, daß der Zweck die Mittel heiligt? Der diesem Satz zugrundeliegende Begriff der Heiligung steht in genauestem Gegensatz zum Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Die Heiligung des Gottesnamens ist ein Erkenntnisgebot, die Heiligung der Mittel durch die Zwecke ist ein Ensemble von Tabus, von Verdrängungen, von Erkenntnisverboten (Quellpunkt des Opfers der Vernunft).
    Wer das, was Bundesanwälte, Richter und die Polizei sich heute selber antun, beim Namen nennt, beleidigt sie. Damit hängt es zusammen, daß es einen herrschaftsfreien Diskurs solange nicht geben wird, wie es nicht gelingt, die Reflexion von Herrschaft auch in die Institutionen des Rechts hineinzubringen.
    Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: Es gilt zu begreifen, daß das Neutrum zwar ein Instrument der Desensibilisierung ist, selber aber das sensibelste, empfindlichste Wesen ist (Geld macht sinnlich).
    Die Exkulpationsmacht des Staates ist nur solange zu halten, wie sie selber der Reflexion und der Kritik sich entzieht (durchs Tabu, durch den Schutz vor „Verunglimpfung“). Wäre nicht das adornosche Stichwort der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ zu ersetzen (und zu erfüllen) durch die restlose Reflexion des Säkularisationsprozesses, zu dessen Geschichte die der Theologie dazugehört? Für den Mord an Menschen, die herrschaftskritische Hoffnungen verkörpern, gibt es unendlich viele Beispiele. Gibt es ein einziges Beispiel eines wirklich gelungenen Tyrannenmords? Ist nicht das einzige historische Beispiel hierfür der Mord an Julius Caesar, der real den Caesarismus (bis hinein in den Caesarismus der dogmatischen Theologie, in dessen Kern die Opfertheologie steht, die eher auf die Ermordung Caesars als auf den Kreuzestod Jesu sich beziehen läßt) überhaupt erst begründet hat? War nicht Brutus das Modell für das christliche Verständnis des Verräters Judas? Die Kosmologie, die Naturphilosophie und dann die Naturwissenschaft sind der Schatten und das Reflexionsmedium der Staatenbildung.

  • 9.12.95

    Politische Naturgesetze und das Gewaltmonopol des Staates: Auch eine Mauer aus Paragraphen ist undurchdringlich. Die bundesdeutsche Asylgesetzgebung unterscheidet sich von der von der DDR errichteten Mauer nur durch die Richtung der Abschreckung: Die eine sollte keinen heraus-, die andere niemanden hereinlassen. In beiden Fällen erweist sich die gesetzlich installierte Gewalt als das politische Korrelat des physikalischen Trägheitswiderstandes.
    Ebenso wie es am Ende des Zweiten Weltkrieges keinen Friedensschluß mehr gegeben hat, gibt es seitdem keine erklärten Kriege mehr. Konflikte „brechen aus“ wie ein Vulkan. Kriege sind zu Naturereignissen geworden. Ist das nicht der entscheidende Hinweis, daß die politische Ökonomie insgesamt in Natur regrediert, daß sie ebenso unbeherrschbar geworden ist wie diese? Der Neoliberalismus, der für die uneingeschränkte Wirksamkeit der Marktmechanismen und -kräfte (für die Naturalisierung der Gesellschaft) sich einsetzt, ist die Ideologie dieses Zustandes, das Alibi für den Verzicht auf eine von bloßer Verwaltung sich unterscheidende Politik. Regieren ohne die Idee einer moralisch verantwortbaren Souveränität kann nur noch heißen: Aussitzen. Wenn die Grenzen der moralischen Legitimität des Handelns aufgehoben sind, begründen Macht, Gewalt und Erfolg sich gegenseitig, gibt es zu dem, was ohnehin sich durchsetzt, keine Alternative mehr.
    Keiner Generation hat sich die Gewißheit, daß die Vergangenheit sich nicht ändern läßt, so tief eingeprägt wie der Generation nach Auschwitz. Aus dem gleichen Grunde ist diese Generation ausweglos auf Rechtfertigungszwänge fixiert. Alles Handeln wird, wenn der Blick auf eine Änderung der Dinge, auf die Fähigkeit und die Kraft, in den Gang der Dinge einzugreifen, versperrt ist, allein noch unter dem Gesichtspunkt der Schuld, und d.h. im Bann des Rechtfertigungszwangs wahrgenommen.
    Ist nicht das Bilderverbot eigentlich das Verbot, von der Schwerkraft (vom Schuldzusammenhang) zu abstrahieren? Fällt nicht die kopernikanische Wende (und mit ihr die modernen Naturwissenschaften und der deutsche Idealismus) unters Bilderverbot? Und ist nicht die Ästhetik insgesamt, die in der modernen Welt zusammen mit der Geldwirtschaft, den Anfängen der Naturwissenschaft und dem Ursprung des konfessionellen Christentums entspringen, ein Produkt der Abstraktion von der Schwere (vgl. die Frage Rosenzweigs, ob Künstler selig werden können)?
    Zusammen mit einem Recht ohne Feindbild und ohne Kronzeugenregelung wünsche ich mir Solidarität ohne Komplizenschaft.
    Wer über Fehler nicht mehr nachdenken will, blockiert die eigene Lernfähigkeit. Man sollte die Kritik der raf nicht allein der Bundesanwaltschaft überlassen (und nicht jeden Kritiker für einen Sympathisanten der Bundesanwaltschaft halten).
    Darüber, ob die raf die Politik in der BRD nach rechts gerückt hat, wird man diskutieren können (und müssen). Ohne Zweifel war das nur möglich, weil das Potential dafür schon (oder immer noch) vorhanden war. Aber hätte nicht die raf diese Situation mit reflektieren müssen: Kann man wirklich die ganze linke Diskussion vor 68, von der nach 68 nicht viel übrig geblieben ist, durchstreichen und vergessen? Zwischen Lenin und der raf gibt es immerhin Namen wie Rosa Luxemburg, Georg Lukacs, Karl Korsch, Rudolf Hilferding, auch Ernst Bloch, Walter Benjamin, Horkheimer und Adorno: Wer diese Tradition glaubt links liegen lassen zu können, darf sich nicht wundern, wenn er nicht nur der Rechten Tür und Tor öffnet, sondern sich selbst am Ende rechts wiederfindet.
    Lehrstück der Dialektik: Hat nicht die raf dem Staat, der auf dem Sprung nach rechts war, Hilfestellung geleistet, ihm dazu das Rüstzeug, das er brauchte, geliefert?
    Gegen Habermas: Die Dialektik der Aufklärung ist nicht das „schwärzeste Buch“, sondern eine der genauesten Analysen einer der finstersten Perioden der europäischen Geschichte. Anstatt diese Analyse bloß abzuwehren, käme es viel mehr darauf an, sie auf den gegenwärtigen Stand zu bringen. Die Historisierung dieses Buches war eines der wirksamsten Mittel seiner Neutralisierung. Seine, weiß Gott, weiterbestehende Aktualität wäre zu retten.

  • 8.12.95

    Gibt es ein kosmologisches Äquivalent der Logik der Schrift? Ist nicht die Kosmologie (und der Ursprung des Weltbegriffs) insgesamt ein Produkt der Logik der Schrift? Wäre vor diesem Hintergrund nicht die biblische Wendung „Erfüllung der Schrift“ (und ihre Beziehung zur Katastrophe, zuletzt zum Kreuzestod Jesu) genauer zu bestimmen?
    In welcher Beziehung steht die Logik der Schrift zum Buch des Lebens?
    Die Bekenntnislogik, das sind die Dornen und Disteln; sie definiert das Gesetz der Profangeschichte.
    Die Bekehrung ist die instrumentalisierte Umkehr; die Bekenntnislogik beschreibt das Gesetz dieser Instrumentalisierung.
    Nicht auf die Hypostasierung der Ursprünge: auf die Reflexion der Ursprungsgeschichte kommt es an.
    Die Kriminalpolizei rät: Schüren die Ratschläge der Kriminalpolizei nicht genau die Ängste, denen sie dann abhelfen sollen? Diese Ängste sind nicht von vornherein irrational, sie werden es durch Einbeziehung in ein Kriminalisierungskonzept, indem sie das Machtdenken befördern (law and order).
    Reflektiert sich darin nicht ein Stück Logik-Geschichte (und ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte): Die Kriminalisierung ist in der Sphäre zwischen Begriff und Objekt angesiedelt, sie ist ein Instrument zur Stabilisierung des Begriffs, was nur zu Lasten des Objekts (im Kontext seiner Kriminalisierung) möglich ist. Kein Urteil (kein Begriff und kein Objekt) ohne Verdrängung. Auch das Strafrecht, die Justiz und die Knäste (mit denen der Staat dem Volk einen Teil seiner Verdrängungsleistung abnimmt) haben eine bewußtseinsstabilierende Funktion.
    Liegt nicht der Beschluß des 5. Senats des OLG Frankfurt im Hogefeld-Prozeß, der jede Rückfrage zum Tod von Wolfgang Grams unterbindet, auf der gleichen Ebene wie der Beschluß, in dem es zu Hubertus Janssen heißt: „der sich als Pfarrer bezeichnet“? Beides gehört zum Komplex der Beziehung von Gemeinheit und Beweislogik.
    Die Ausblendung der Umstände des Todes von Wolfgang Grams hat natürlich auch die Funktion, alles auszublenden, was der Mordthese, in die dann Birgit Hogefeld mit einbezogen werden kann, im Wege stehen könnte. Der Beschluß des Senats ist ein Baustein in der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori (Indiz eines Versuchs der Rechtsbeugung?).
    Das Verhalten des Senats erweckt den Verdacht, daß seine Beschlüsse strategische Beschlüsse sind, deren vorrangiger Zweck es ist, die Verfertigung eines synthetischen Urteils apriori sicherzustellen.
    Ob der, dem man nichts nachweisen kann, auch vor sich selber unschuldig ist, ist eine andere Frage. Ist es nicht in der Tat wichtiger, mit sich selbst ins Reine zu kommen, als unter dem Zwang des guten Rufs den Rechtfertigungszwängen zu verfallen?
    Wie hängt der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ mit dem Eindruck zusammen, daß im Hogefeld-Prozeß, wie in den raf-Prozessen überhaupt, der Angeklagte nicht mehr Angeklagter, sondern Feind ist? Wie hängt das Feinddenken mit der Gemeinheitslogik zusammen?
    Die Sozialdemokratische Partei scheint nicht zu begreifen, was z.Z. in Frankreich sich tut: Verweisen nicht die Streiks in Frankreich aufs deutlichste auf den Zusammenhang der Bedingung der Geldwert-Stabilität, an die die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung gebunden ist, mit dem Zwang zum Abbau der Sozialleistungen? Ist nicht schon dieses Nicht-Begreifen der Beitrag der SPD zum Sozialabbau in Deutschland? Aber hat das Bedürfnis der Sozialdemokraten in Deutschland, von den Herrschenden anerkannt zu werden, nicht schon seit je ihre Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit aufs empfindlichste und aufs folgenreichste behindert?
    Die subjektiven Formen der Anschauung rücken die Welt ins Licht des Prinzips der Selbsterhaltung, in dem sie zur Welt erst wird.
    Das indogermanische Präsens gehört zu einer Welt, die ihr perfectum nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit hat; einer Welt, die sich nicht ändern läßt. Diese Welt konstituiert sich im Kontext der Anschauung, als deren Korrelat.

  • 6.12.95

    Definition der Prophetie (für Jürgen Ebach): So tief in einen Sachverhalt eindringen, daß die Zukunft in ihm ablesbar wird. Diese Zukunft ist katastrophisch: Prophetie ist per definitionem „Unheilsprophetie“, unter den Bedingungen des Weltbegriffs ist sie apokalyptisch.
    Die Logik der Schrift wird erst durchsichtig, wenn in ihr die Logik des Weltbegriffs, das objektivitätskonstituierende Element in der Logik der Schrift, erkennbar wird. (Anmerkung: Hubertus Janssen berichtet, daß H.-E. Richter die Erklärung zum Hogefeld-Prozeß nicht unterschrieben hat mit der Begründung, er kenne die Fakten nicht und könne nicht zu Dingen Stellung nehmen, die er nur vom Hörensagen kennt. Der Hogefeld-Prozeß gewinnt demnach erst Realität, zu ihm kann man erst Stellung nehmen, wenn öffentlich über ihn berichtet wird: Die Existenz einer Sache ist ein logischer Sachverhalt, der konstituiert wird durch Öffentlichkeit: durch die Schrift, die selber wiederum zu den Konstituentien der Öffentlichkeit gehört (beide, Schrift und Öffentlichkeit, begründen den Weltbegriff). Das begründet hinreichend das ambivalente Verhältnis des 5. Senats des Frankfurter OLG zur Öffentlichkeit, wenn er diese aufteilt in Sympathisanten, eine Art nichtöffentlicher Öffentlichkeit, und eine „seriöse“ Berichterstattung, die sich an die Vorgaben der amtlichen Pressestellen hält.)
    Medien und Banken: Nicht nur die Schrift, auch das Geld ist existenz- und weltbegründend (ähnlich wie das Inertialsystem nur im Zusammenhang seiner objekt- und naturbegründenden Funktion sich bestimmen läßt). Ist hier nicht der Vermittlungspunkt, an dem sich zeigen läßt, daß und weshalb Geschichte durch Geschichtsschreibung sich konstituiert und Realität gewinnt?
    Kelch des göttlichen Zorns: Die Vorstellung des Zeitkontinuums ist vermittelt (bedingt) durch die des dreidimensionalen Raumes; die Unendlichkeit der Zeit ist ein Reflex der Unendlichkeit des Raumes: Der Raum ist der Betondeckel auf der Vergangenheit, die Leugnung der Idee der Auferstehung. Diese Leugnung gehört zu den Konstituentien des Herrendenkens.
    Simulieren nicht die Fernsehnachrichten (die Berichterstattung im Fernsehen allgemein, die inzwischen zur Norm auch der übrigen Medien geworden ist, und das in einem durchaus geometrisch begründbaren Sinne) den privaten Blick auf die Dinge: den Blick aus dem Wohnzimmer? Machen sie sich nicht schon präventiv mit den Zuschauern gemein, die durch die Information in ihrer Privatruhe nicht gestört sein wollen und selber wiederum einer genau darauf abgestimmten Organisation der Information bedürfen, um diese Ruhe abzusichern (Drachenfutter)? Wie wäre es anders zu erklären, wenn heute „nationale“ Sportereignisse politischen und wirtschaftlichen Informationen in der Berichterstattung den Rang streitig machen können? Die Information rückt die Welt aus dem Bereich des Handelns in den des Urteils. Die transzendentale Logik der Medien wäre noch zu schreiben (Voraussetzung wäre die Bestimmung der zugrundeliegenden transzendentalen Ästhetik der Medien, ihrer „subjektiven Formen der Anschauung“, die auf den Schuldzusammenhang, der ein Urteilszusammenhang ist, zurückweisen).
    Nicht nur der Schuldzusammenhang, auch der Herrschafts- und Verblendungszusammenhang ist ein Urteilszusammenhang, die Urteilsform ist ihr Kristallisationskern.
    Nachrichten: Einübung in die Entsolidarisierung der Kritik. Sie fordern anstatt zum Handeln zum Urteilen heraus (Schuldverschubsystem, Esel und Rind). Entsolidarisierung schafft den Boden, auf dem die Sensationen wachsen und gedeihen (Beispiel: die Scharping-Kampagne, die von einem bestimmten Zeitpunkt an zum Selbstläufer geworden ist, der keines der Medien sich mehr zu entziehen vermochte).
    Der wechselseitigen Konstituierung von Privatsphäre und Information korrespondiert die „Amtlichkeit“ der Nachrichten, ihr gleichsam hoheitlicher Charakter: Moderatoren und Sprecher werden präsentiert, als stünden sie hinterm Schalter oder säßen an einem Schreibtisch (und Schalter oder Schreibtisch werden dann via Fernsehen ins Wohnzimmer transportiert). Ist der Nachrichtensprecher ein später Nachfahre des „Engels Elohims“ (der Abraham aufforderte, seinen Sohn zu opfern)?
    Die Medien verarbeiten die Informationen imd Interesse des „beschränkten Untertanenverstandes“.
    Jürgen Ebachs Bemerkung: „wir haben nur unsere Ohren“ (Junge Kirche), wäre im Hinblick auf den Gebrauch des Possessivpronomens zu überprüfen. Verstopft nicht dieses Possessivpronomen die Ohren? Die Norm des Hörens, die im „Heute“ begründet ist (Heute, wenn ihr seine Stimme hört), wird durchs Possessivpronomen gleichsam inertialisiert, von der Erinnerungsarbeit getrennt, die der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, daß dieses Heute durchaus ein vergangenes sein kann (das der Prophetie, der Schrift, die „vergangene Hoffnung“ der Dialektik der Aufklärung). Nicht das Unser, sondern das Heute ist das Kriterium des Hörens, das der zukünftigen Welt den Weg freimacht.
    Die Zeugenschaft gründet im Sehen (das Ezechiel aufs Antlitz fallen läßt); deshalb ist die authentische Form der Zeugenschaft das Blutzeugnis. Die Auferstehung hingegen gründet im Hören (das Ezechiel wieder aufrichtet).
    In ihrer Ursprungsphase war die raf selber ein Teil des öffentlichen Diskurses. Sie stand in der Tradition der „symbolischen Aktionen“ (so der Kaufhausbrand in Frankfurt, aber auch der Anschlag auf das Heidelberger Hauptquartier der US-Army, mit dem der Anschlag auf den US-Airport in Frankfurt sich nicht mehr vergleichen läßt), diese zielten in erster Linie auf die kritische Öffentlichkeit. Terroristisch wurde die raf, als sie fundamentalistisch wurde, ihre Aktionen aus dem symbolischen Diskurs in den dogmatisch-politischen Indikativ übersetzte: als sie aus dem Bereich der Öffentlichkeit und der Sprache in den der Macht sich abdrängen ließ. Der zweiten und dritten Generation der raf fehlte das Sensorium für den kritisch-symbolischen Diskurs, sie ist aus der Öffentlichkeit (freilich nicht ohne Mitwirkung der Institutionen der Öffentlichkeit selber, die tatkräftig mitgeholfen haben, diesen Diskurs durch Diskriminierung zu neutralisieren) nur noch herausgefallen, wie die Szene dann nur noch stumm geblieben ist. Diese Generation ist zur Erinnerungsspur des Verdrängten geworden; sie wird nicht mehr wahrgenommen, sondern löst – wie alles Verdrängte – nur noch Ängste und Aggressionen aus.
    Merkwürdig das Stichwort „Generationenkonflikt“, das sehr früh ins Spiel gebracht, aber nie wirklich begriffen worden ist. Hat dieses Stichwort nicht einen ganz anderen Sachverhalt verdeckt: Dies war die erste Generation, für die der Faschismus Geschichte, Vergangenheit, nur noch Gegenstand des Urteils, nicht mehr der eigenen lebendigen Erfahrung war. Sie war die erste Generation, die ohne es durchschauen zu können, allein durch ihre Geburt in einen Schuldzusammenhang verstrickt war, an dem sie sich (zu Recht) unschuldig fühlte. Sie stand unter einem Rechtfertigungsdruck, dessen Ursprung für sie selbst im Dunkel lag. Die Gnade der späten Geburt erwies sich als deren genaues Gegenteil: als ein objektives, schicksalshaftes Urteil, dem sie nur durch die Verurteilung der Generation glaubte entrinnen zu können, die für sie diese Vergangenheit verkörperte und die sie durch ihre Beteiligung an dieser Geschichte in diese Lage gebracht hatte. Dieser Ausweg aber war keiner. Der Konflikt ist im Felde des Urteils nicht aufzulösen. Das Stichwort „Generationenkonflikt“ hat den Konflikt nur scheinbar verständlich gemacht; sein Preis war der Abbruch der Kommunkation. Dieser Konflikt war kein Generationenkonflikt, sondern Symptom einer herrschaftsgeschichtlichen Katastrophe, ein verzweifeltes Echo der „Endlösung“. Das Stichwort Generationenkonflikt entlastet nur, löst aber nichts auf. Im Gegenteil: Indem es entlastet, vermehrt es die Last.
    Beitrag zur Kritik der Phänomenologie: Symptomatisch, daß die Vermummung der Polizei gleichzeitig erfolgte wie das gesetzliche „Vermummungsverbot“, in dem die „Erscheinung“ des Jugendprotests als Handeln erkannt und diskriminiert wurde. Was ist da wirklich passiert? (Hinweis: Der Personbegriff verweist ebenso wie auf die Sphäre des Rechts auf die des Schauspiels. Persona war die Maske des Schauspielers, durch die hindurch seine Stimme tönte.)
    Hegels Hinweis, daß die Natur den Begriff nicht zu halten vermag, wird von ihm selbst begründet mit dem Hinweis auf die Differenzierung der Gattungen und Arten der Tierwelt; er ließe sich ebenso demonstrieren an der Differenzierung der „Gattungen und Arten“ der indoeuropäischen Sprachen, die den gleichen Sachverhalt widerspiegelt. Die indoeuropäischen Sprachen haben das Perfekt vom Handeln ins Urteilen verschoben, indem sie es in die Vergangenheit zurückgestaut haben.
    Betroffenheit: Das Wörterbuch des Unmenschen, das heute implodiert und die Sprache insgesamt in sich aufsaugt und verschlingt, entstammt der theologischen Tradition.
    Das Hegelsche Absolute ist die Seele des sterblichen Gottes, als dessen Namen Hobbes den Leviathan erkannte. Ist nicht das Absolute die in den Begriff erhobene Natur, das Tier, das nicht mehr in der Endlichkeit der Gattungen und Arten gefangen ist?
    Brauchten die Christen nicht einen „persönlichen Gott“, um dem Konstrukt der Sündenvergebung die erforderliche Grundlage zu geben? Erst, wenn ich mich zum Objekt der Sündenvergebung mache, wenn ich sie als Mittel der Vernichtung meiner Schuldgefühle mißbrauche, benötige ich als magischen Helfer einen „persönlichen Gott“ (das absolute Kuscheltier).
    Mit der Einführung des Priestertums ist die sadduzäische Tradition (das Bündnis mit der Macht) ins Christentum mit aufgenommen worden. (Wer ist die Magd und wer sind die Knechte des Hohenpriesters in der Geschichte von den drei Leugnungen?) Symptom dieser sadduzäische Tradition ist die Stellung zur Lehre von der Auferstehung: Das Christentum hat diese Lehre neutralisiert, als sie sie zum Gegenstand der Bekenntnislogik machte. Würde auch nur ein Theologe wirklich an die Auferstehung glauben, die Theologie würde anders aussehen.
    Die Idee des Heiligen läßt sich durch ihre Beziehung zum Possessivpronomen definieren. Das Heilige ist dem Anwendungsbereich des Possessivpronomens (den der Weltbegriff umschreibt und definiert) enthoben. Theologie im Angesicht Gottes ist die Erfüllung des Gebots der Heiligung des Gottesnamens, und die Kritik des Weltbegriffs ist die Kritik der universalen Anwendbarkeit des Possessivpronomens (das am Andern seine Grenze findet: das Antlitz des Andern ist die Sichtbarkeit dieser Grenze; deshalb ist das Gesicht die Verkörperung des Gebots „du sollst nicht töten“).
    Die „vollständige Säkularisation aller theologischen Gehalte“ ist eine contradictio in adjecto: Der Begriff der vollendeten Säkularisation postuliert den universalen Geltungsanspruch des Possessivpronomens; dagegen ist die Theologie der letzte Einspruch. Das Gesicht ist das Wunder in der Erscheinungswelt.

  • 1.12.95

    Brief an Ton Veerkamp:
    Zum apokalyptischen Symbol des Tieres (das im moralischen Gebrauch dieses Symbols, in seiner Anwendung auf den Trieb, die Sexualität, gleichsam halbiert wird) ist darauf hinzuweisen, daß es nicht im Gegensatz zur selbsterhaltenden Vernunft, sondern als die apokalyptische Gestalt ihrer kollektiven Verkörperungen zu begreifen wäre: als Verkörperung einer Gestalt der Vernunft, die durch Einschränkung aufs Selbsterhaltungsprinzip sich selbst ihrer erkennenden Kraft beraubt. Der Repräsentant der Selbsterhaltung im Erkenntnisprozeß ist die intentio recta: der Positivismus (Zusammenhang mit dem Weltbegriff; Wittgenstein; Hegels Logik; Kants Definition von Natur und Welt; die Urteilslogik und die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik; Sprachphilosophie und Theologie des Falls).

  • 20.11.95

    Die Opfertheologie ist das Produkt der Spiritualisierung des Moloch.
    Schuldverschubsystem: Die Verführung des Wissens (die Dogmatisierung des Glaubens, seine Übersetzung in den Indikativ) kehrt den Imperativ (und mit ihm die Zeit) um, indem es den Hörenden zum Ankläger und Richter: das Schuld- zum Glaubensbekenntnis macht. Seitdem unterliegt der Glaube dem Rechtfertigungszwang (seitdem gibt es das vergebliche Bemühen der Gottesbeweise). Aus der Vergebung der Sünden wird unterm Rechtfertigungszwang die Entlastung von Schuldgefühlen durch Schuldverschiebung, die das Herrendenken kennzeichnet.
    Zur Kritik der Naturwissenschaften: Wer vom Gegenblick abstrahiert, verfällt ihm: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Joh 129 ist der Schlüssel zur Reflexion des Gegenblicks, sein telos ist die Heiligung des Gottesnamens (die Theologie im Angesicht Gottes).
    Nach der Dialektik der Aufklärung ist die Distanz zum Objekt, Voraussetzung aller Abstraktion, vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Verweist das nicht darauf, daß der Begriff des Objekts ein apriorisches Konstrukt bezeichnet, in dessen Identität die des Subjekts sich widerspiegelt? Beide, Subjekt und Objekt, aber bilden eine Konstellation, die in sich selber herrschaftsgeschichtlich vermittelt ist. Die „Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, wird verkörpert durch die subjektiven Formen der Anschauung (durch Raum und Zeit), durchs Geld und durch die Bekenntnislogik. Alle drei konstituieren und entfalten sich in einem gemeinsamen Abstraktionsprozeß, in dem sie sich wechselseitig determinieren, stützen und durchdringen. Das Geld stützt ebenso die Bekenntnislogik, wie in beiden die logischen Konstruktionselemente des Raumes sich reflektieren. Sie bilden einen gemeinsamen Verblendungs-, Herschafts- und Schuldzusammenhang. Im Stern der Erlösung sind Welt Gott Mensch die Repräsentanten der Elemente dieser Konstellation.

  • 17.11.95

    Der Weltbegriff hat die Schicksalsidee durch Identifikation mit dem Aggressor besiegt und konserviert zugleich.
    Ist nicht der gesamte Mythos „Sprachphilosophie“ im Bann der Herrschaft?
    Die klassischen Sprachen des Altertums lassen als in sich konsistente Ausgestaltungen der Logik der Schrift sich begreifen. Das heißt jedoch nicht, daß sie Folgen der Erfindung der Schrift sind, es wäre ebenso plausibel anzunehmen, daß in diesen Sprachen die sich entfaltende Herrschaftslogik der Logik der Schrift soweit entgegengearbeitet hat, daß ein bruchloser Übergang dann möglich war.
    Die Schicksalsidee war der genaueste Ausdruck des Zusammenhangs von Sprachentfaltung und Herrschaftslogik. Der Islam hat diese Schicksalsidee nur personalisiert, damit ihrer Reflexion aber den Weg verstellt.
    Prophetie und Apokalypse unterscheiden sich durch das Dazwischentreten des Weltbegriffs: Erst die Apokalypse thematisiert die theologische Relevanz der Weltreiche.
    War nicht das Winterhilfswerk der Nazis der erste (gelungene) Versuch der Instrumentalisierung der Hilfsbereitschaft der Menschen? Daß die Sammlungen dann anderen Zwecken zugeführt wurden, verdeutlicht nur die Problematik des Spendenwesens seitdem. Stehen die Hilfsorganisationen heute nicht auch in dieser Tradition? Das aber heißt: Sind sie nicht in erster Linie ein Ausdruck der wachsenden Ohnmacht, in die Verhältnisse ändernd einzugreifen? Befestigen sie nicht diese Ohnmacht, indem sie sie instrumentalisieren und nur abschöpfen?
    Der Druck, unter dem der Positivismus sich konstituiert (und der ihn zugleich zu legitimieren scheint), gründet in den Problemen, die der kritischen Reflexion der intentio recta im Wege stehen. Es gibt so etwas wie eine Selbstlegitimation der intentio recta im Kontext ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte: Die intentio recta ist selber eine Funktion der Herrschaftsgeschichte und nur durch Reflexion der Herrschaftslogik, die sie begründet, aufzulösen. (Im privaten Bereich entspricht dem das Gerede, das unterm Bann der Rechtfertigungszwänge steht und unfähig ist, sich in den, über den geredet wird, hineinzuversetzen.)
    Merkwürdige Tradition, die den Kreis oder die Kugel als Bilder der Vollkommenheit auffaßt, während sie in Wahrheit Symbole des Schicksals und dessen, was Jeremias das „Grauen um und um“ genannt hat, sind.
    Bosnien-Konflikt: Die Untaten des andern mögen vielleicht die eigenen Untaten erklären, aber sie entschuldigen sie nicht.
    War nicht schon das Benennen der Tiere die Sünde Adams?
    Jesus hat dreimal benannt: Zunächst die Pharisäer (als Heuchler), dann die Händler und Geldwechsler im Tempel, dann aber auch den Petrus. Hierbei ist der Kontext zu beachten: Nur die Pharisäer und Schriftgelehrten benennt er direkt (ihr seid …), die Händler und Wechsler indirekt, durch die Vertreibung aus dem Tempel, mit der er ihr Tun benennt, während er Petrus von sich weist (weiche von mir …).
    Hängt es nicht mit der Geschichte des Opfers zusammen, wenn das Fleischessen auf die hierarchische Organisation der Gesellschaft, auf die Ursprungsgeschichte des Staates, verweist? Und wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Opfertiere verständlich (Stier, Widder/Bock/Lamm, Taube)?
    Heldenfriedhof/Hakeldama: Der Mythos von Blut und Boden scheint mit der Vorstellung zusammenzuhängen, daß das Blut der Helden den Eigentumsanspruch auf den Boden, für den es geflossen ist, begründet. Ist diese Vorstellung nicht durch das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, durch die Niederlage der Nazis, widerlegt worden? Oder ist dadurch das Bewußtsein in Deutschland auf das Paradigma Sieg oder Niederlage fixiert worden, ein Paradigma, das sowohl die Ökonomie des Wirtschaftswunders als auch die Bedeutung des Sports in der Nachkriegsgesellschaft (der Ersatz der Filmstars durch die Sieger-Idole des Sports von der Nationalmannschaft beim Fußball – die es wahrscheinlich war, als sie mit der „Weltmeisterschaft“ 1954 den Anfang machte – bis hin zu Boris Becker und Steffi Graf) erklären würde? Sind nicht Siegerehrungen bei internationalen Sportwettkämpfen und Länderspiele beim Fußball die einzigen Veranstaltungen, bei denen heute noch die Nationalhymne gespielt wird?
    Was ist das für ein Bewußtsein, daß zur eigenen Stabilisierung insbesondere des Sports und der Krimis bedarf? Gibt es einen Zusammenhang mit der Verlagerung des imperialistischen Grundtriebs aus der Politik in die Ökonomie (Wirtschaftswunder, Standort Deutschland, Stabilität der DM)? Und wird nicht die Logik dieses Vorgangs gründlich verkannt, wenn in diesen Imperialismus noch eine politische Intention hineinprojiziert wird? Dieser Imperialismus hat jeden Schein von Souveränität (den Carl Schmitt noch an Hitler zu erkennen glaubte) endgültig abgeworfen.
    Steht nicht der Terrorismus unter dem gleichen symbolischen Zwang wie der Sport: als Versuch, die Niederlage ungeschehen zu machen? Das würde u.a. auch die Bedeutung, die der Identitätsbegriff in diesem Bereich gewonnen hat, erklären. Steht dieser Identitätsbegriff nicht an der Stelle, an der im Christentum nach der Enttäuschung der Parusie-Erwartung das Dogma sich gebildet hat?
    Die kopernikanische Wende fällt zusammen mit der Umformung von Boden, Arbeit und Geld in Handelsware in der Ursprungsgeschichte des modernen Kapitalismus. Kann es sein, daß, während (schon in der Astrologie) das Planentensystem, in das Kopernikus die Erde mit aufgenommen hat, die Organisation der Arbeit abbildet, der Fixsternhimmel (der Tierkreis), der seine Bedeutung als Grenze des Kosmos mit der Öffnung des Raumes ins Unendliche verliert, auf die Konstellation der Elemente, die den Naturgrund der Herrschaft (und damit die Sphäre des Geldes) abbilden, verweist? Ist vielleicht die Bedeutung und die Funktion der „schwarzen Löcher“ nur noch im Kontext einer Theorie der Banken aufzuklären?

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