Hat die Erschaffung Evas aus der Seite Adams etwas mit der Exogamie zu tun?
Das plancksche Strahlungsgesetz bezieht sich auf eine Versuchsanordnung, zu der insbesondere ein „dunkler Hohlraum“ gehört: ein von allen Seiten umschlossener Raum, in dessen Innern der gleiche Zustand bestehen soll wie außerhalb, nur daß die unmittelbare Wechselwirkung zwischen den Verhältnissen draußen und dem Geschehen im Innern ausgeschlossen werden soll, mit einer Ausnahme, deren Isolierung der Zweck der Versuchsanordnung ist: die thermische Einwirkung. Die Versuchsanordnung soll im Innern des Raumes einen Gleichgewichtszustand herstellen und stabilisieren, der nur noch von einem Parameter abhängt: von der Temperatur.
Der statistische Charakter der planckschen Strahlungsformel drückt nicht nur ihre Unabhängigkeit von der Konkretisierung mechanischer oder elektromagnetischer Prozesse aus; sie verweist auf einen Systemeffekt, auf den Systemcharakter des Erhaltungssatzes, der hier auf den Gesamtzustand im Innern des Hohlraums sich bezieht. Ob diesem Systemeffekt die mechanischen und elektromagnetischen Modelle, die unsere Vorstellung dem Gesetz zugrundelegt, wirklich zugrundeliegen, ist eine sekundäre Frage.
Beschreibt nicht Girard in seinem Konzept des „versöhnenden Opfers“ die Ursprungsgeschichte des Rechts? Wenn das Urteil „im Namen des Volkes“ gefällt wird, so ist das in dieser Urteilsformel zitierte Volk der Repräsentant der Opfernden in diesem versöhnenden Opfer, und der Verurteilte das Opfer. Aus dieser Konstellation läßt der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, sich herleiten.
Beschreibt René Girard in „Das Heilige und die Gewalt“ nicht aufs genaueste die Wolfsreligion, der auch das Christentum mit der Opfertheologie sich angeglichen hat? Als Staatsreligion hat das Christentum sich auf die Seite der Verfolger (der Wölfe) geschlagen. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Wolfsgesicht (das Gesicht, das nicht mehr barmherzig blickt: das Gesicht des Hundes, das nach christlicher wie nach jüdischer Tradition das Zeitalter des Antichrist kennzeichnet). Nur die Kraft, die in der Lage ist, die subjektiven Formen der Anschauung wieder reflexionsfähig zu machen, ist fähig, ihre verhexende Gewalt aufzulösen.
Benennt Gott nicht am Ende des Buches Jona, mit dem Hinweis auf die 120000, die rechts und links nicht unterscheiden können, den Grund, weshalb Jona nach Tarschisch geflohen ist?
Die Bundesrepublik: Ist sie die Finsternis über dem Abgrund, in den das nationalsozialistische Deutschland sich gestürzt hat?
Staatsschutzprozesse machen eigentlich kurzen Prozeß, und sie dauern nur so lange, und sind nur deshalb so aufwendig, weil sie das vertuschen müssen.
Das merkwürdige Gefühl bei den ersten Prozeßbesuchen, daß Ankläger und Gericht sich offensichtliche unter dem Zwang sehen, das „in dubio pro reo“ auf sich selber anzuwenden.
Zu Hubertus J./JU:
– des Kaisers neue Kleider,
– der Versuch, die eigene Geschichte zu reflektieren, steht in ausgesprochenem Kontrast dazu, daß das in diesem Urteil völlig unter den Tisch gefallen zu sein scheint,
– statt dessen der infame Freispruch, das ein Licht wirft auf die instrumentalisierende Logik, die dieses Verfahren insgesamt beherrscht hat,
– nachdem es eine kritische Öffentlichkeit für diese Prozesse nicht mehr zu geben scheint („RAF-Mitglieder“, die läßt man fallen wie eine heiße Kartoffel), mußte natürlich Hubertus Janssen, der diese Rolle fast als letzter noch übernommen hat, die Infamie geradezu magnetisch anziehen.
Daß es noch einige gibt, die keine Sympathisanten der RAF sind, die aber diese Art der Prozeßführung gleichwohl erschreckt, hat das vielleicht etwas damit zu tun, daß sie den Schrecken des Faschismus nicht loswerden, mit dem diese ganze Geschichte – übrigens auf beiden Seiten der „Front“ – unendlich viel zu tun hat.
Eine wutbebende „heilige Empörung“, die Humanität und Reflexionsfähigkeit „christliches Geschwafel“ nennt, weckt nun wirklich schlimmste Erinnerungen.
Käme es nicht in der Tat darauf, das ungelöste Problem, für das die RAF steht, endlich reflexionsfähig zu machen, anstatt diese Reflexion so wütend und denunziatorisch zu vedrängen?
Ist hier nicht die JU auf einer Linie mit den Hardlinern der RAF, sind nicht beide darauf aus, diese Reflexion durch Ausgrenzung und Gegendiskriminierung zu unterbinden? Das „leider!“ der JU erschreckt mich mindestens ebensosehr wie die RAF. Hieraus höre ich den Ton der größten terroristischen Vereinigung, die es in diesem Lande gegeben hat, und deren Potential offensichtlich fortbesteht.
Einer der Effekte der Feindbildlogik ist es, daß sie, ohne es zu merken, den Feind zur Norm des eigenen Handelns macht. Feinde werden nur allzu leicht zu Doppelgängern: Jeder erkennt im andern, was er in sich selbst verdrängen muß. Der Verfolgungswahn ist ein Produkt der Unfähigkeit zur Selbstreflexion.
Wer den Feind als Wolf erfährt, wird selbst zum Wolf. Für den Wolf aber ist auch das Lamm ein Wolf, das er glaubt, zerreißen zu müssen, um sich zu verteidigen.
Ist nicht der Girard’sche Doppelgänger ein Feindbildeffekt?
Gemeinheit
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29.11.1996
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24.11.1996
Ist das Vaterland nicht eine römische Erfindung (patria), und ist der Gottename Vater nicht dagegen gerichtet (und hat das Problem der Väter in den Evangelien überhaupt hier seine Ursache, wie z.B. das „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ oder die Frage: „Welcher Vater würde, wenn sein Kind ihn um ein Stück Brot bittet, ihm einen Stein geben“ – steckt in dieser Frage nicht die ganze Staatskritik der Evangelien)?
Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist der Repräsentant des Gewaltmonopols des Staates im Subjekt, die subjektive Form der inneren Anschauung das Instrument seiner Vertuschung. Das gegenständliche Korrelat der subjektiven Form der inneren Anschauung ist der Hades, das Totenreich, die Hölle.
An den Gleichungen der Lorentz-Transformation läßt sich das Gesetz der Umkehrung erkennen, dem das Inertialsystem sich verdankt.
Das spezielle Relativitätsprinzip macht die vier Himmelsrichtungen (rechts und links, vorn und hinten) konvertibel, das allgemeine Relativitätsprinzip Himmel und Erde (oben und unten). Nur: Die Bewegung des fallenden Fahrstuhls ist nicht umkehrbar. Das aber heißt, daß die Beziehung von oben und unten genau durch die Operation, die sie reversibel macht, irreversibel wird.
Ähnlich sind die Staatsschutzprozesse als politische Prozesse Prozesse der Entpolitisierung.
Während das Strafrecht sonst dem Trägheitsgesetz, der Mechanik korrespondiert, korrespondiert das Staatsschutzrecht dem Gesetz der Schwere, das nur über die Identität von träger und schwerer Masse dem Trägheitsgesetz kompatibel gemacht werden kann. Der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ gilt unmittelbar nur fürs Strafrecht, dessen Grenze er definiert; in den Staatsschutzverfahren, die die Grenzen des Strafrechts ausloten, wird er zum Prinzip und zur Grundlage der Verfahren. Staatsschutzverfahren suchen (durch Anwendung der Logik des Schuldverschubsystems) den schwerelosen Zustand herzustellen, der das Innere des fallenden Fahrstuhls definiert. Staatsschutzverfahren gehorchen zwangshaft und blind dem Unschuldstrieb des Staates, der ihn vollends böse macht.
An dem Bild des frei fallenden Fahrstuhls läßt sich die Beziehung der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie demonstrieren und klären: Im frei fallenden Fahrstuhl ist das Kausalverhältnis eindeutig von seinem Bewegungszustand auf den Zustand im Innern des Fahrstuhls gerichtet. Im Bereich der politischen Ökonomie kehren sich die Verhältnisse um: Der Versuch, im Innern eines ökonomischen Systems einen schwerefreien Zustand herzustellen, versetzt dieses System in den Zustand des freien Falls. Das Problem der Beziehung von Naturwissenschaft und Ökonomie ist das Problem der Reversibilität (die dem Unschuldstrieb folgende Unfähigkeit zur Schuldreflexion macht die Schuld erst irreversibel, sie zerstört die Sprache, die von der Idee der Reversibilität der Schuld: von der Idee der Umkehr lebt).
Laborbedingungen sind Exkulpationsbedingungen: Sie gehorchen dem Schuldverschubsystem und haben den gleichen Effekt wie Schlachthäuser, Irrenhäuser, Gefängnisse („Zuchthäuser“). Gründet die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, nicht in dieser Konstellation? Die sechs Richtungen des Raumes sind insgesamt dann noch mal auf die Irreversibilität der Zeit versiegelt: das ist das siebte Siegel; deshalb ist der siebte Tag der Tag der Ruhe (und der Menschensohn der Herr des Sabbat). Das „ruhende Inertialsystem“ (das zwangsläufig in zwei Versionen sich konstruieren läßt) ist die absolute Parodie des Sabbat.
Gehorsam und Hören: Die Grenze zu den Barbaren ist die Grenze der sprachlichen Kommunikation. An der gleichen Grenze erfolgte die Erfindung der alphabetischen Schrift bei den ersten Handelsvölkern (der erste Handel war Fernhandel), den Phöniziern. Ist nicht die griechische Sprache eine Folge der Erfindung der Schrift: Ist nicht die innere sprachlogische Ausgestaltung des Griechischen der zweite Schritt, der dieser Sprache (wie das Aramäische dem Hebräischen) den Charakter einer Verkehrssprache verliehen hat? Hier erst ist diese Schrift zivilisationsbegründend („hellenistisch“) geworden.
Haben die Inder das Wissen, die Griechen die Natur und die Römer die Welt erfunden? Ein Prozeß mit einer merkwürdigen logischen und zeitlichen Verschiebung: Er beginnt mit den „Veden“ und vollendet sich mit einer über die Araber vermittelten indischen Erfindung: mit der Erfindung der Null, die die moderne Algebra und die Konstruktion des Inertialsystems überhaupt erst ermöglichte.
Was vermag das Sündenbocksyndrom und das Konzept der wechselseitigen Begründung des Heiligen und der Gewalt zu leisten im Hinblick auf die Selbstaufklärung des Begriffs der Öffentlichkeit (Hinrichtungen waren und Strafprozesse sind öffentlich)?
Haben nicht die Staatschutzprozesse aus den Fehlern des Volksgerichtshofs gelernt? Ist nicht diese unheilige Trinität aus BKA, BAW und Staatsschutzsenaten ein Versuch, das Vorurteil zu rationalisieren, es technisch verfügbar zu machen? Oder anders: Ist nicht der Begriff der „Organisierten Kriminalität“ (und sind nicht einige andere ähnliche Konstrukte) auch ein Stück Projektion, steckt dain nicht etwas, in dem der Staat sich selbst wiedererkennen müßte? Sind nicht die mafiösen Strukturen, die ihren Namen von der italienischen Mafia haben, heute dagegen exemplifiziert werden an Organisationen, die aus China, aus Vietnam, aus Rußland oder aus Rumänien stammen, ein Abbild von Strukturen, die unter dem logischen Zwang der Aufgaben in staatlichen Einrichtungen sich herausgebildet haben und erkennen lassen? Sind nicht die Formen der „Organisierten Kriminalität“ Reflexionsformen des „freien Marktes“, und dienen die Hinweise auf die „Organisierte Kriminalität“ nicht mittlerweile als Alibi für die entsprechende Ausgestaltung der Einrichtungen, die sie bekämpfen (und zugleich auf andere Aufgaben sich vorbereiten) sollen ? Ist das nicht eine der Folgen der Feindbildlogik, die seit je mit dem Hinweis auf den Feind bewußtlos die eigene Angleichung an den Feind betrieben hat?
Sind nicht alle Feindbilder: Organisierte Kriminalität (Mafia), Terrorismus (Iran, Libyen, PKK, IRA, ETA, Fundamentalismus, insbesondere der Islam) zugleich Bilder von feindlichen oder verbrecherischen Organisationen ausländischer Herkunft oder des Internationalismus im Innern des Staates? In den gleichen Kontext gehört das Wiederaufleben der Religions- und Weltanschauungskriege.
Gehören hierher nicht die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und im Anblick der aus dem Bann des Ost-West-Konflikts herausgetretenen Ökonomie (Globalisierung, Freisetzung der Kräfte des „freien Marktes“, „Reform“ des Sozialstaats) notwendigen Versuche der Reorganisation (der Neudefinition der Aufgaben) der Militärapparate, der Geheimdienste, der Terrorismus- und der Kriminalitätsbekämpfung?
Ähnlich wie die Privatisierung des Fernsehens die Medienlandschaft verwüstet hat, verwüsten die Privatisierung staatlicher Aufgaben die Politik und die Staatsschutzprozesse den Rechtsstaat.
Lassen sich nicht heute schon die mafiösen Strukturen in der Politik an Parteien festmachen: an der Komplizenschaft von Religion und intriganter Machtpolitik, an der Speerspitze des Neoliberalismus, der nur noch die Interessen seiner Klientel vertritt, und an der Einbindung der Sozialdemokratie, die für sich selbst das „Bangemachen gilt nicht“ längst außer Kraft gesetzt hat?
Das Problem läßt sich am Beispiel Helmut Schmidt demonstrieren, der einmal den Ermittlungsbehörden und den Gerichten die Weisung mitgegeben hat, in der Terrorismus-Bekämpfung „bis an die Grenze des Rechtsstaats“ zu gehen, während er in der Frage der Währungspolitik der Deutschen Bundesbank seine kritische Reflexionsfähigkeit sich bewahrt zu haben scheint.
Ähnlich die Kirche, die die Spannung ihre eigenen inneren Widerspruchs (des Widerspruchs zwischen dogmatischer und moralischer Tradition und den materiellen Zwängen des ökonomischen Weltzustandes) heute bis zum Zerreißen an sich selbst erfährt (die Last, unter der sie steht, ist in der Gestalt des gegenwärtigen Papstes, der kein Zyniker ist, aber trotzdem das Opus Dei stützt und seiner Hilfe sich bedient, geradezu sinnlich erfahrbar). Die Kirche in Deutschland dagegen scheint allein an der repressiven Sexualmoral zu leiden, während sie das Problem des Dogmas, des Bekenntnisses, der Orthodoxie nicht sieht und die ökonomischen Weltprobleme nur bis zu dem Punkt zu sehen scheint, an dem sie beginnen, den eigenen Status in Frage zu stellen.
Es gibt nicht mehr den einen Angelpunkt, an dem alle Probleme sich festmachen lassen. Ist nicht das Problem heute in der Schrift schon präzise bezeichnet: in der Geschichte der drei Leugnungen und in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern (in den Gestalten des Petrus und der Maria Magdalena).
Zu verweisen ist insbesondere auf die sieben unreinen Geister, von denen keiner mehr für sich alleine in Anspruch nehmen darf, den Angelpunkt der Lösung der Weltprobleme zu bezeichnen.
Zu René Girard: Ist nicht das Lamm Gottes, das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, die Umkehrung der Perspektive des Sündenbock-Syndroms?
Nicht in der Sonne und nicht im Mond, aber auch nicht in Jupiter und Mars oder Venus und Merkur, sondern im Saturn, und dann erst in der Konstellation der anderen „Planeten“, ist die Lösung der Welträtsel beschlossen. In den vergeblichen Versuchen der sechs anderen Planeten, in sich selbst die Imago der Ruhe nachzubilden, die im Saturn ihren Grenzbegriff findet. Die Abbilder des ruhenden Zentrums sind allesamt Verführungen des Unschuldstriebs.
Venus und Merkur: Liegt die Exogamie nicht noch vor dem Ursprung des Fernhandels?
Jupiter und Mars: Liegt der Krieg vor der Konstituierung des Rechtsstaats?
Adornos Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt war ein saturnisches Konzept.
Was hat diese ganze Geschichte mit dem Wasser und dem Feuer zu tun, mit der Taufe und dem Geist? -
17.11.1996
Steckt nicht in jeder Verdrängung ein Stück Euphorie, Todeslust? Haben die Christen die Idee des seligen Lebens (und die dazugehörige Unsterblichkeitsvorstellung) vielleicht mit dieser Euphorie verwechselt?
Die Hölle, deren Wahrnehmung und Reflexion in uns selbst wir uns verweigern, fügen wir dann zwangshaft anderen zu. Auch die Hölle steht unter dem Gesetz der Asymmetrie.
Aus welchem Kontext stammt eigentlich der Begriff der Rasse? Sein Gebrauch verweist eher auf den Bereich des Ackerbaus, der Haustierhaltung, der Züchtung, als den der normalen Biologie, auf die die Begriffe Gattung und Art sich beziehen; m.a.W. er transportiert die Logik der Naturbeherrschung in die Biologie. Sein Ursprung liegt im Bereich der Domestikation; es darf vermutet werden, daß seine Anwendung auf „wilde Tiere“ erst nach deren Aufnahme und Zur-Schau-Stellung in Zoologischen Gärten erfolgte. Der Rassebegriff ist aus dem Kontext der Vererbungslehren nicht herauszulösen; der Begriff der Vererbung ist selbst ein Rassebegriff. Dem entspricht es, daß der Rassenbegriff schon vom Grunde her ein wertendes Element in sich enthält; die eigentliche Rasse ist die „edle Rasse“.
Die Genforschung ist ein letzter Ausläufer einer Entwicklung, die am Rassebegriff sich orientierte: Bezeichnend der Begriff des „genetischen Materials“ (des biologischen Äquivalents der Mikrophysik), der das Lebendige insgesamt dem gesellschaftlichen Zugriff erschließt.
Läßt nicht der Charakter der Hegelschen Philosophie an der Stellung des Begriffs der Art in dieser Philosphie, zentral in der Hegelschen Logik, sich demonstrieren? Hegel hat bereits den Begriff der Rasse rezipiert (und auf Menschenrassen bezogen).
Omne animal post coitum triste: In welcher logischen Beziehung stehen die Begriffe Rasse und Masse? Ist nicht die Rasse das biologische Äquivalent zum physikalischen Massebegriff, wobei der Begriff der Vererbung dem der Gravitation entsprechen dürfte? Hat nicht die Schwangerschaft etwas mit der Schwere (deren sprachliches Umfeld in das der Schwangerschaft hereinreicht)? Und ist nicht die Gebärmutter der Ort der Transsubstantiation von Schwere in Leben (und der Akt der Begattung der biologische Reflex des freien Falls, der zugleich als Bild des Todes sich enthüllt: hat nicht jede Lust etwas von der Euphorie)?
Der Begriff der Rasse korrespondiert dem des Organischen. Aber ist nicht das Organische Ausdruck des Schuldzusammenhangs: Reflex des Widerstandes, an dem alles Lebendige (von der Botanik bis in die Ökonomie) sich abarbeitet? Der Rassebegriff ist ein Schicksalsbegriff (das moderne Gegenstück der antiken Astrologie).
Der Begriff der Rasse (der bezeichnenderweise aus dem Bereich der Sprachforschung stammt) entspringt dem Versuch, den Mangel der Natur, die Hegel zufolge den Begriff nicht halten kann (Hegels Beweis: daß es mehr als zwei Arten gibt), zu beheben, den Begriff selber zu naturalisieren: Der Begriff der Rasse indiziert einen herrschaftsgeschichtlichen Sachverhalt, dessen reale politische Entsprechung der Faschismus (und in seinem Kern der Antisemitismus) war. Sind die Hegelschen zwei Arten (die Verkörperungen des Allgemeinen und des Besonderen) eine Vorstufe der faschistischen Polarisierung der Rassen, derzufolge zu der zur Herrschaft berufenen Rasse der Arier die absolute Gegenrasse der Juden gehört?
War es nicht ein sehr tiefer Gedanke, wenn im Kontext der Astrologie die menschlichen Organe den Planeten zugeordnet worden sind?
Die ezechielische Individualisierung der Schuld wird mißverstanden, wenn sie der Strafrechtslogik subsumiert wird. Sie zielt nicht darauf ab, den Sohn von den Sünden der Väter zu entlasten, sondern ihn anzuleiten („dixi et salvavi animam meam“), die Sünden der Väter (die in Babylon zur Sünde der Welt geworden sind) als seine eigenen zu erkennen. Diese Individualisierung der Schuld ist der Grund, aus dem Joh 129 sich herleitet. Hier ist der Punkt, an dem die Menschen erwachsen werden.
Der Abgrund, auf den der Zug zurast, ist einer, den wir selbst hervorbringen, wenn wir glauben, wir könnten ihm entgehen, wenn wir andere hineinstoßen. Das logische Modell, das diesem Bild zugrunde liegt, war eine Unsterblichkeitslehre, die am Zustand der Welt desinteressiert war und deshalb eigentlich nur zur Hölle paßte. Eine dieser Unsterblichkeitslehre angemessene Himmelsvorstellung hat es eigentlich nie gegeben.
Das pathologisch gute Gewissen ist ein Euphorie-Effekt. Der freudsche Todestrieb und die Weiterentwicklung dieses Konstrukts durch Erich Fromm (in seiner „Anatomie der menschlichen Destruktivität“) läßt sich nicht aufs Psychologische eingrenzen; er wird erst durchsichtig, wenn in seine Konstruktion seine Beziehung zum Zustand der Welt mit hereingenommen wird.
Die 68er Bewegung hat ihre Wurzeln in der kollektiven Verdrängung nach dem Krieg, an der sie partizipierte und die sie verstärkt hat. An der 68er Bewegung wird zugleich sichtbar, daß es kein deutsches Spezifikum mehr ist (auch wenn es hier in besonderer Schärfe hervorgetreten ist), sondern ein gesamtgesellschaftliches. Dieser Zusammenhang wäre zu demonstrieren an der Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Naturwissenschaften (an ihrer Beziehung zu ihren ökonomischen Wurzeln).
Die Beziehung der Naturwissenschaften zur Ökonomie ist das Modell und die Wurzel des Konstrukts der Reversibilität, das in den Naturwissenschaften, in der transzendentalen Logik, die sie beherrscht, sich entfaltet. Diese Reversibilität hat ihre Grenze an der Schwere (Begriff und Objekt; Empörung, Hochmut und Niedertracht; Gemeinheitslogik und die besondere Schwere der Schuld).
Wie hängt die Gemeinheitslogik („besondere Schwere der Schuld“) mit dem Ursprung des Rassebegriffs zusammen?
Nach Kluge (Etymologisches Wörterbuch, 22. Aufl., S. 583) wurde das Wort Rasse im 18. Jhdt. aus dem Französischen (race) übernommen (race gehört zusammen mit it. razza, span. raza, port. razo; Herkunft umstritten: lat. ratio – Vernunft, arab. ra’s – Kopf, auch lat. radix – Wurzel, Zusammenhang mit radikal).
Das „mathematische Symbol“ des Menschen bei Franz Rosenzweig, das B = B, ist der Beweis dafür, daß es zur Reflexion keine Alternative gibt.
Ist nicht in der christlichen Tradition der Kontext der Herrlichkeits-Theologie (kabod; Ezechiel und die Merkaba-Mystik) durch Ästhetisierung von der Reflexion des Weltzustandes getrennt, damit aber herrschaftslogisch instrumentalisiert und neutralisiert (und d.h. narkotisiert und euphorisiert) worden?
Die Idee der Barmherzigkeit sprengt die Fesseln der Herrschaftslogik, sie eröffnet das Reich der Freiheit in den Kirchen. Dem entspricht das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“, dessen christliche Variante der Jakobus-Satz enthält „die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“. Sie bezeichnet den Beginn der Gotteserkenntnis. Sie löst das Problem der Theodizee durch Erkenntnis ihrer Gegenstandslosigkeit. Sie ist das Pendant des Kafkaschen Satzes „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“.
Wie die christliche Buße die Umkehr von der Erinnerung getrennt (und mit dieser Trennung die Umkehr ins Sadistische transformiert) hat, so hat der Gehorsam sich von dem Hören getrennt, auf das das sch’ma Jisrael verweist.
Die Transformation der Umkehr in den Sadismus wäre am Beispiel des Antisemitismus (an dem Problem, auf das Daniel Jonah Goldhagen hingewiesen hat: weshalb der Judenmord mit den zusätzlichen Demütigungen, Gemeinheiten und Grausamkeiten einherging) zu demonstrieren.
Mein ist die Rache, spricht der Herr: das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß wir auf die Erfüllung des Rachetriebs verzichten sollen; wie Seine Rache dann aussieht, ist ein anderes Problem. Rachegott: da gibt’s nur einen, das Absolute, das in dem Staat sich verkörpert, dessen konsequenteste Gestalt der Faschismus ist.
Zum evangelischen Rat der Armut, „Mein ist dein, dein ist dein“: Der Anspruch, etwas für mich als Eigentum zu reklamieren, ist blasphemisch, und er bleibt es, auch wenn er inzwischen in die Fundemente der Gesellschaft mit eingebaut worden ist. Dieses blasphemische Moment in der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens hängt mit dem Problem der Euphorie zusammen (mit den Wurzeln der Ästhetik und mit der Verhärtung der Herzen). -
12.11.1996
Ähnlich wie die Staatsschutzsenate die Grenzen des Rechtsstaats, testen die „Sparprogramme“ der Regierungen in der Europäischen Union unter dem Zwang des Maastricht-Vertrags die Schmerzgrenzen derer, die unten sind. Beide Grenzen, die der Gemeinheit wie auch die der Armut, sind dehnbar: die letzten dehnbaren Grenzen in der versteinerten Welt. Die versteinerte Welt ist die von den Gesetzen der Verwaltung beherrschten Welt.
Gemeinheit ist kein moralischer, sondern ein logischer Tatbestand. Ihre Grenzen sind die Grenzen der Beweisbarkeit, auf die es in der Verwaltung allein noch ankommt (Tatsachen werden erst durch ihre Beweisbarkeit zu Tatsachen; Akten sind potentielle Beweise: Tatsachen werden erst durch Akten zu Tatsachen. Der Augenschein macht Tatsachen gerichtskundig: zu Akten).
Eigentlich ist es ein archaisches Relikt, wenn in Staatsschutzprozessen überhaupt noch Zeugen benötigt werden. Verwertbare Zeugen sind insbesondere „Kronzeugen“, oder Zeugen, die entweder selber unter Anklagedruck stehen (erpreßte Zeugenaussagen) oder aus anderen Gründen eine Gewähr dafür bieten, daß ihre Aussagen dem Verurteilungswillen nicht im Wege stehen werden (z.B. Staatsbedienstete mit eingeschränkter Aussagegenehmigung). Der vollkommene Staatsschutzprozeß wäre einer, in dem die Beweiserhebung gleichsam nur behördenintern erfolgt (über Akten, eigene Ermittlungsergebnisse, behördeneigene Gutachten und „gerichtsbekannte Tatsachen“, die über Urteile aus früheren Prozesse ins Verfahren eingeführt werden; nicht im Sinne des Verurteilungswillens verwertbare Akten können durch verwaltungsmäßiges Anbringen von Geheimvermerken der prozessualen Beweiserhebung entzogen werden). M.a.W. der ideale Staatsschutzprozeß wäre ein reiner Verwaltungsakt, der von diesem nur durch das Öffentlichkeitsgebot, dessen Wirksamkeit auf anderem Wege neutralisiert werden muß, sich unterscheidet. Es ist dieser – objektiv bereits abgeschlossene – Verwaltungsakt der federführenden BAW, der im Prozeß unter der Moderation des Staatsschutzsenats der desinteressierten Öffentlichkeit vorgeführt wird und in der Regel dann auch mit dem in der Anklage bereits begründeten Urteil endet (bezeichnend ist selbst noch die Ausnahme von dieser Regel im Urteil im Hogefeld-Prozeß: der Freispruch im Falle Bad Kleinen ist nicht durch den Verhandlungsverlauf begründet; die Gründe dieses Freispruchs hätten schon zu Beginn des Prozesses zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes führen müssen, was nur deshalb nicht erfolgt ist, weil nur so ein revisionssicheres gerichtliches Urteil über den „Mord an dem GSG-9-Beamten Newrzella“ durch den toten Wolfgang Grams gefällt werden konnte; der Nebeneffekt, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck eines „objektiven Verfahrens“, in dem das Gericht vom Antrag der BAW abweichen konnte, entstanden ist, war sicher nicht unerwünscht; den Prozeßbesuchern ist das hierzu passende Grinsen aus dem Prozeß bekannt).
Der Feindbild-Clinch ist der Dynamo, der den in den Abgrund rasenden Zug beschleunigt.
Das Kapital beherrscht heute nicht mehr nur die Kapitalisten, sondern auch ihre Feinde: Während die einen Charaktermasken des Kapitals sind, sind die anderen seine Marionetten, die, ohne es zu wissen, an den Fäden seiner Logik hängen, die längst zur Logik der Welt geworden ist.
Links und Rechts unterscheiden: Der „Seitenblick“, in dem wir nicht nur die andern und die Welt, sondern auch uns selbst nur noch von außen sehen, ist die gemeinsame logische Basis sowohl des kopernikanischen Systems als auch der kapitalistischen Revolution in Europa. Im Hinblick auf diesen Blick allerdings gibt es kein Außen mehr, gibt es die „Seite“ nicht mehr, von der aus er selber „objektiv“ zu bestimmen wäre, sondern nur noch das Mittel der Reflexion, dessen Kraft am Andern, an der Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, allein sich entfaltet. In der Ausschaltung und Unterdrückung dieser Reflexion konstituiert sich DIE BANK, DIE IMMER GEWINNT.
Jürgen Ebach weist darauf hin, daß die „großen Meeresdrachen“ insofern „eine Sonderstellung unter den Lebewesen haben …, als von ihnen nicht eindeutig gesagt wird, sie seien ’nach ihren Arten‘ erschaffen, Auf diese Weise sind sie als ‚Un-Tiere‘ gekennzeichnet“ (Hiob II, S. 151). Vgl. hierzu die Bemerkung Hegels zur „Ohnmacht der Natur, die Strenge des Begriffs nicht festhalten und darstellen zu können und in diese blinde Mannigfaltigkeit sich zu verlaufen“. Diese „Ohnmacht der Natur“ begründet Hegel mit dem Hinweis, daß „in der Natur … in einer Gattung mehr als zwei Arten“ sich finden (Logik II, Felix Meiner Leipzig 1951 <Nachdruck der Ausgabe von 1934>, S. 247). Nach Hegel dürfte es nur zwei Arten in einer Gattung geben, die wie Allgemeines und Besonderes zueinander sich verhalten: Allgemeines und Besonderes ist für ihn nicht Ausdruck der (Subsumtions-)Beziehung, durch die Gattung und Art in der traditionellen Logik aufeinander sich beziehen, er begreift beide als getrennte, reversible, ineinander sich spiegelnde Reflexionsbestimmungen, zu denen sie jedoch erst durch die idealistische Prämisse werden (die unter dem logischen Zwang der subjektiven Formen der Anschauung die Umkehr säkularisiert, die Irreversibilität der Beziehung von Objekt und Begriff, damit aber am Ende die Idee der Barmherzigkeit leugnet). Zu fragen wäre überdies, ob nicht Allgemeines und Besonderes im Kontext des Gattungsbegriffs nichts weniger repräsentieren als die „Arten“, die in der Tat allein in theologischem Zusammenhang (als Werk der sie hervorbringenden „Erde“) sich begreifen lassen, ob sie nicht vielmehr die im Gattungsbegriff selber mit benannte Geschlechtertrennung bezeichnen, die erst unter idealistischem Vorzeichen am Ende zu getrennten Arten sich verselbständigen. Die „Ohnmacht des Begriffs“ ist ein offener Hinweis auf den „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“.
„Nach ihrer Art“ (Gen 1):
– Die Erde lasse sprossen … Die Erde ließ sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art,
– Es wimmle das Wasser … Gott schuf die großen Meerestiere und alles, was da lebt und webt, wovon das Wasser wimmelt, und alle geflügelten Tiere, ein jegliches nach seiner Art,
– die Erde bringe hervor … Gott machte alle die verschiedenen Arten des Wildes und des Viehs und alles dessen, was auf dem Erdboden kriecht. -
11.11.1996
Das Inertialsystem (das mit den „subjektiven Formen der Anschauung“, mit der transzendentalen Ästhetik, in den Erkenntnisapparat eindringt) ist das verdinglichte Dogma. In seinem Kontext
– verändert sich das Urteil und mit ihm die Sprache,
– wird das Urteilssubjekt zum Objekt,
– wird das Nomen, das das Subjekt bezeichnet, zum Substantiv,
– das Opfer, auf das die Opfertheologie sich bezieht, wird verinnerlicht: geopfert wird die Sinnlichkeit, die Vernunft, die Fähigkeit zur Schuldreflexion,
– die Sprache wird zur bloß subjektiven Reflexion entmächtigt, die an der versteinerten Objektivität abprallt; sie verliert ihre erkennende Kraft, die im Namen gründet, und wird selber zu einem Instrument der Information und der Mitteilung verdinglicht, als welches sie dann der Kommunikationstheorie ihr Objekt liefert.
Als Endstufe einer verdinglichten und automatisierten Bekenntnislogik, an deren exkulpierender Kraft es partizipiert (als Zerfallsprodukt des Dogmas), begründet das Inertialsystem mit der Verinnerlichung des Opfers, mit der Unfähigkeit, das Undenkbare zu denken, das Schuldverschubsystem und in dessen Kern die Feindbildlogik, die das Bewußtsein aller verhext.
Das erste, das Christentum begründende Opfer war das Opfer des Lammes, ich hoffe nicht, daß das zweite, die Geschichte des Christentums beendende Opfer das Opfer der Taube sein wird, ein Opfer, das vorgebildet ist in der Verinnerlichung des Opfers, die das Inertialsystem verkörpert.
Der entscheidende Schritt zur Konstituierung des Objekt ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, das Schellingsche „Ahnden“. (Ist diesem Ahnden am Anfang der Weltalter nicht ein Sinn abzugewinnen, wenn man es auf den Satz bezieht „Mein ist die Rache, spricht der Herr“?)
Kant hat mit seiner Kritik der Urteilskraft die Fähigkeit, Links und Rechts zu unterscheiden, noch einmal zu retten versucht. Diese Fähigkeit ist dann in den Systemen des deutschen Idealismus endgültig untergegangen.
Das Undenkbare denken: Bei Franz Rosenzweig drückt sich das in der Intention, das Zerdachte zu rekonstruieren, aus, in den Sätzen: „Von Gott (dem Menschen, der Welt) wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott (dem Menschen, der Welt)“, in der Rekonstruktion der drei Objekte jenseits des Wissens (oder auch: jenseits der Todesfurcht?).
Was haben die vier Winde mit dem Geist Gottes zu tun?
Der 68er Marxismus hat, wie es scheint, einen Problembereich der marxistischen Tradition vollständig verdrängt, den Bereich, der durch den kritischen Ideologiebegriff, durch den Begriff des falschen Bewußtseins und das Problem der Beziehung von Unterbau und Überbau sich umschreiben läßt. Genau diese Themen aber sind es, die den Bereich der Reflexion in der Marxschen Theorie bezeichnen. Sie sind gleichsam gegenstandslos geworden, als das Element der Kritik, der kritischen Reflexion, unter die Feindbildlogik subsumiert wurde. Zugleich ist die Theorie der Gefahr der Personalisierung erlegen. Die Vermutung läßt sich begründen, daß diese Verdrängung zusammenhängt mit der anderen, die seitdem die Beziehung zur Vergangenheit insgesamt verhext, nämlich daß man geglaubt hat, den Nationalsozialismus durch bloße Verurteilung bannen zu können, ohne auf das Grauen und den Schrecken, für die der Name steht, sich noch einlassen zu müssen. Mit der Bereitschaft und der Fähigkeit, das Grauen und den Schrecken an sich heranzulassen, aber ist die Reflexionsfähigkeit verdrängt worden. Der Marxismus ist zu einer Art Naturwissenschaft verkommen, Produkt des gleichen reflexionslosen „Seitenblicks“, zu dem es seit der kopernikanischen Wende kein Alternative mehr zu geben scheint.
Ist nicht der 68er Marxismus selber Ausdruck von politisch-ökonomischen Veränderungen, die er nicht mehr begreift: der versteinerten Verhältnisse, deren Zubetonierung er selber mit provoziert hat?
Um auf das Bild des in den Abgrund rasenden Zugs zurückzukommen: Dieses Bild ließe sich kritisieren als ein Bild des „Seitenblicks“. Und diese Kritik wäre berechtigt. Aber es gibt kein anderes, so wie es einen anderen, die Totalität ins Auge fassenden Blick außer dem „Seitenblick“ (der dem kopernikanischen Blick auf den Kosmos entspricht) nicht gibt. Den gleichen Sachverhalt hat Adorno einmal mit dem Hinweis zu fassen versucht, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet. Aufgabe der Kritik wäre es, dieses Bild durch Reflexion auf seinen Wirklichkeitsgehalt, der mit dem Bild, in dem er sich ausdrückt, nicht identisch ist, aufzulösen.
Haben die drei obersten Sefirot etwas mit den drei kantischen Totalitätsbegriffen, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zu tun?
Urteile in RAF-Prozessen brauchen nicht mehr wahr zu sein, sie müssen nur unwiderlegbar sein. Darin gleichen sie dem antisemitischen Vorurteil, das sie zugleich durch einen strategischen Vorteil übertreffen. Das antisemitische Vorurteil war moralisch angreifbar, während diese Urteile die Logik der moralischen Indifferenz des Rechts in sich enthalten (sie neutralisieren die moralische Angreifbarkeit durch ihre rechtliche Unangreifbarkeit), so glauben sie, auch der moralischen Kritik entzogen zu sein, gegen sie als immun sich zu erweisen. Aber wäre nicht an ihnen der Satz aus dem Jakobus-Brief zu erproben: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht, das Grundprinzip einer wirklich eingreifenden Rechtskritik?
Der zentrale Punkt ihrer Schwäche ist die Unwiderlegbarkeit der RAF-Urteile: Unwiderlegbar sind sie allein in einem logischen Medium, dessen Funktion und Qualität der der Laborbedingungen im Hinblick auf den naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriff entspricht. Die juristischen „Laborbedingungen“ müssen zuvor hergestellt werden, zu ihnen gehören:
– das in Gesetzesform bereits vorliegende Instrumentarium der Einschränkung und Behinderung der Verteidigung (Zusammenfassung sh. Bakker-Schut),
– die Bedingungen, denen die Angeklagten während der Untersuchungshaft (die dann in der Strafhaft zwangsläufig beibehalten werden müssen) unterworfen werden, und die sie aller subjektiven Bedingungen ihrer eigenen Verteidigung berauben (sie imgrunde rechtlos wie den Feind machen) sollen,
– das Instrumentarium der „instrumentalisierten Anklage“, mit dessen Hilfe Einfluß auf potentielle Zeugen genommen werden kann (sie können unter Druck gesetzt werden, u.a. durch Erpressung der Zustimmung zur Anwendung der Kronzeugenregelung, in anderen Fällen können auf diesem Wege die Voraussetzungen für ein Zeugnisverweigerungsrecht geschaffen werden).
Nicht zufällig erwecken RAF-Prozesse den Eindruck, daß nicht der erkennende Senat, sondern die Anklage der wirkliche Herr des Verfahrens ist, der durch das vorgenannte Instrumentarium seine Steuerungsfähigkeit auf den Prozeßverlauf und auf alle Prozeßbeteiligten auszudehnen vermag.
Es läßt sich nicht mehr ausschließen, daß das Urteil gegen Birgit Hogefeld in einem geradezu herzzerreißenden Sinne ein Fehlurteil ist:
– begründete Zweifel, ob eine Angeklagte die Taten, für die sie verurteilt worden ist, wirklich begangen hat, sind objektiv nicht ausgeräumt worden,
– das Urteil hat nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu widerlegen, es sei die Rache dafür, daß die Angeklagte sich geweigert hat, sich als Kronzeugin zur Verfügung zu stellen, und
– es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß diese Weigerung letztlich darin begründet war, daß sie ihr wirkliches Ziel, in die RAF Reflexionsfähigkeit hereinzubringen, wenn sie anders sich verhalten würde, selber verraten würde.
Aber zu der Fähigkeit, diese Möglichkeit sich auch nur vorzustellen, fehlten dem Gericht und vor allem der BAW die Freiheit der Phantasie, die durchs Apriori des eigenen Feindbildes und des daraus resultierenden Verurteilungswillens außer Kraft gesetzt war. Diese Verfahren sind insgesamt nur noch Verkörperungen mythischer Gewalt, die im mythischen Schrecken der Urteile (in den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, der „besonderen Schwere der Schuld“) sich entlädt.
Staatsschutzverfahren als Verkörperungen mythischer Gewalt: Liegt das nicht in Konsequenz der Logik ihres Auftrags und der vorgegebenen Rahmenbedingungen ihrer Durchführung?
Ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel, bevor er ihn deuten kann, erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn nicht mehr weiß, nicht ein Modell des Satzes, daß, wer einen Sündern vom Weg seines Irrtums bekehrt, damit seine (eigene) Seele vom Tode rettet?
Hat nicht der Fernhandel, der heute in der Globalisierung des freien Marktes sich vollendet, seit je nur den Staat, nicht die Menschen genährt?
Läßt sich die Geschichte von den sieben unreinen Geistern nicht auf die hegelsche Dialektik von Herr und Knecht beziehen:
– es gibt nicht nur einen Knecht, sondern eine arbeitsteilige Organisation von Knechten, einen subjektlosen Organismus unterschiedener knechtlich-abhängiger Funktionen;
– es gibt nur einen Herrn, und wenn die Knechte ihn ablösen, werden dann die letzten Dinge nicht ärger sein als die ersten?
Die Gemeinheiten des Herrn reproduzieren (und potenzieren) sich in denen des Knechts. Der Ausweg wäre allein eine Gestalt der Herrschaft, die aus dem Bann der Gemeinheit, der Feindbildlogik und des Herrendenkens herauszutreten vermöchte.
Die Konstellation, in die die Reklame die „Liebe“ zur Eigentumslogik rückt (durch Instrumentalisierung des Bedürfnisses nach Anerkennung, des Geliebtwerden-Wollens, des Selbstmitleids): ist das die Venus-Katastrophe?
In den stalinistischen Schauprozessen der 30er Jahre soll es die Fälle gegeben haben, in denen angeklagte Genossen, die wußten, daß die Anklagen frei erfunden waren, sich diese gleichwohl zueigen machten, auch das – für sie dann vernichtende – Urteil akzeptierten, weil sie auch noch in dieser Situation die Parteiraison über ihre persönliche Einsicht stellten und glaubten, so der Partei, deren weltbefreiender Auftrag für sie außer Frage stand, noch einen Dienst zu erweisen.
Politische Prozesse konstituieren so etwas wie ein innerstaatliches Völkerrecht. Nicht nur der Status der Angeklagten, sondern auch der der Strafgefangenen ist zweideutig. Ähnlich changiert die Logik der Strafen zwischen der Logik des Strafrechts und der des Kriegsrechts. Mehrfach lebenslängliche Haftstrafen und ein Begriff wie der der „besonderen Schwere der Schuld“ transportieren das Urteil und die Strafe über die Grenzen des Strafrechts hinaus; ihre Irrationalität ist ein Teil ihrer Rationalität: in ihrer Wirkung gleichen sie den Wirkungen der Aberkennung der bürgerlichen Rechte oder der Ausbürgerung, dem Entzug der Staatsbürgerschaft, der in der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“ der letzte Schritt vor der Vernichtung war. Deshalb erwecken RAF-Prozesse den Eindruck kurzer Prozesse, die nur deshalb so lange dauern, weil anders das Selbstverständnis der Ankläger und der Richter, das auf ihr Handeln keinen Einfluß mehr hat, nicht zu begründen wäre.
Wie hängt diese Logik mit der der Ware <zu deren Ursprungsgeschichte der Fernhandel, der Sklaven- und Frauenmarkt, die Geschichte der Eroberung und Unterwerfung anderer Völker und in der letzten Geschichtsphase ein Kolonialismus gehört, dem die ganze Welt zum herrenlosen Gut geworden ist> zusammen? -
10.11.1996
Der neue Faschismus hat sein Zentrum aus der Politik in die Ökonomie verlagert. „Standort Deutschland“ ist ein faschistisches Programm. Die direkte Kolonialisierung der dritten Welt (und der Nicht-Besitzenden im eigenen Land) wird durch die Marktgesetze ersetzt, die dann durch überdimensionale Militär- und Polizeiapparate geschützt werden müssen.
Der neue Faschismus hat einen Rationalitätskern, den alle Privateigentümer, Hausbesitzer und Familienväter aufgrund der ökonomischen Zwänge, denen sie selbst unterworfen sind, spontan verstehen. Erkennbar ist dieser Faschismus nur noch auf der Seite der Realität, die sie nicht mehr sehen. Sein Rationalitätskern ist zugleich der blinde Fleck dieses Faschismus.
Was einmal Ausbeutung hieß, heißt heute Sparprogramm.
Ist die Unterscheidung von Eigentum und Besitz (die in der Institution des Staates gründet) nicht eine theologische Unterscheidung: Verleiht das Eigentum dem Eigentümer nicht die theologischen Attribute, die im Begriff der Ware, an der Marx sie wahrgenommen hat, nur sich widerspiegeln? Oder mit anderen Worten: Ist nicht die herrschende Eigentumsordnung (zu der es keine Alternative zu geben scheint) in sich selber atheistisch, und die Religion, die sie stützt, Götzendienst?
Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Ist das pharaonische „Faul seid ihr, faul“ nicht das Modell der heutigen Sparprogramme?
Vorn und hinten, rechts und links sind reversibel, oben und unten hingegen sind es nicht: Deshalb steht der Begriff über dem Objekt wie der Herr über dem Knecht. Die moderne Raumvorstellung, in der alle Richtungen gleich sind, verdankt sich der Übertragung der Eigenschaften der vier Himmelsrichtungen auf die Beziehung von Himmel und Erde. Der Zustand, in dem der Schein (der die Wurzel jedes Scheins ist) sich durchsetzt, oben und unten seien reversibel, ist der in dem fallenden Fahrstuhl, an dem Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie demonstriert hat: ein Bild der Katastrophe, die keiner mehr wahrzunehmen fähig ist. Aber: Gott hat Himmel und Erde erschaffen, nicht die Welt. Die Idee des Himmels, die im Kontext des Ursprungs des Weltbegriffs zunächst zum mythischen Götterhimmel (mit der Schicksalsidee als logischem Kern) neutralisiert, dann mit der kopernikanischen Wende verdrängt worden ist, war für die Prophetie der Fundus der Herrschaftskritik. Die Apokalypse unterscheidet sich von der Prophetie durch den bereits erfolgten Abschluß des historischen Umwälzungsprozesses, der im Weltbegriff, in der durch ihn neu organisierten Erfahrung des Bewußtseins, sich manifestiert.
Ist die Lichtgeschwindigkeit eine in erster Linie auf die vier Himmelsrichtungen bezogene „Naturkonstante“, und erst sekundär auf die durch oben und unten definierte Richtung des Raumes zu beziehen? Oder anders: Drückt in der Lichtgeschwindigkeit das Verhältnis der Schwere zu den zur Fallrichtung orthogonalen Richtungen sich aus? Das Undenkbare denken, das hat sowohl einen politischen wie auch einen naturwissenschaftskritischen Sinn.
Ist nicht Hitlers politisch-gesellschaftlicher Begriff der Masse ein spätes Echo des lateinischen (von mater abgeleiteten) Begriffs der Materie?
Gehört nicht zum Begriff der „Schwere der Schuld“, der in den Staatsschutzprozessen zentral zu werden beginnt, ein Begriff der Unschuld, der nur noch für jene gilt, die oben sind: für die Herrschenden? In diesem Begriff der „Schwere der Schuld“ vollendet sich das Schuldverschubsystem. Aber gibt es nicht ein christliches Erlösungskonzept und zu seiner Begründung eine ganze Theologie, die dem vorgearbeitet haben?
Das Gebot der Feindesliebe rührt an die Wurzeln des Staates, der ohne die Feindbildlogik zu existieren aufhören würde.
Der real existierende Sozialismus ist daran zugrunde gegangen, daß er gemeint hat, es sei möglich, das Spiel der imperialistischen Mächte (in das er sich im vorauseilenden Gehorsam seines machtpolitischen Realismus hat hineinziehen lassen) mitzuspielen. In diesem Spiel ist die Theorie zur Ideologie und die Praxis gemein geworden. Auch hier gilt: DIE BANK GEWINNT IMMER.
Außen und Innen: Dieses Paradigma bestimmt auch die Bekenntnislogik: Der Feind ist draußen, der (mit dem Feind kooperierende) Verräter im Innern. Und sind die Frauen nicht die Indifferenz beider, haben sie nicht etwas vom Feind und vom Verräter zugleich?
Das Präfix be- ist der sprachliche Repräsentant der veräußerlichenden, von außen auf die Sprache einwirkenden und das Innere der Sprache nach außen kehrenden Kraft: der Repräsentant des Raumes, der Form der äußeren Anschauung, in der Sprache. Beschreiben nicht die Präfixe insgesamt den gesamten und umfassenden sprachlogischen Zusammenhang, in dem die inertia, das Inertialsystem, sich konstituiert? Sind sie (wie die Präpositionen, mit denen sie zusammenhängen, ja teilweise identisch sind) nicht die sprachlichen Reflexionsformen dieser Äußerlichkeit, die unterm Bann der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“ nur noch blind, reflexhaft angewandt und nicht mehr reflektiert werden? Sind sie nicht die Schale des Kelchs?
Entspricht dem englischen to be nicht im Französischen das Präfix de-; sind sie nicht der sprachliche Reflex der jeweiligen Sprachlogik, der empirischen Sprachlogik im Englischen und der rationalen, deduzierenden Sprachlogik im Französischen? Während das englische to be dem Infinitiv Sein im Deutschen entspricht, verweist das französische Präfix de- auf eine ganze Konstellation von Präpositionen und Präfixen im Deutschen wie von, aus, ab-, ent-. Zum deutschen ur- (in Urteil und Ursprung) scheint es im Englischen und im Französischen keine Entsprechung zu geben. Ist die deutsche Sprachlogik eine Ursprungslogik, ist die Ursprungslogik das Medium der Selbstreflexion der deutschen Sprache?
Der Logik des Vorurteils kommt es – wie der Logik der Urteile in Staatsschutzprozessen – nicht mehr darauf an, ob eine Position, eine These, eine Feststellung wahr ist, sondern nur noch darauf, daß sie nützlich und unwiderlegbar ist. Das Vorurteil (und in ihrem Kern die Logik der Gemeinheit) ist kein inhaltliches Problem, sondern eins der Beweislogik.
Wie hängt die Logik des Vorurteils mit dem Grund der Ästhetik zusammen?
Reproduzieren nicht die Urteile der Staatsschutzsenate zwangshaft den Fehler, der die Aufarbeitung der Vergangenheit seit ihren Anfängen erlegen ist: Die Vergangenheit war nicht mehr durch Verurteilung aufzuarbeiten, sondern allein dadurch, daß man in den Schrecken sich hineinversetzt, ihn reflektiert.
„Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; deshalb seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Das Undenkbare denken heißt heute, auch der Paranoia als logisches Hilfsmittel der Reflexion (nicht jedoch des bestimmenden Urteils: des Vorurteils) sich zu bedienen; wer sie als Hilfsmittel des bestimmenden Urteils mißbraucht, ist ihr schon verfallen. Ist das nicht auch ein Problem der Schriftinterpretation und des Schriftverständnisses? Hat nicht die historische Bibelkritik, als sie dem grassierenden Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts erlegen ist, aus den Netzen der Paranoia (in diesem Falle des Antisemitismus) nicht mehr sich lösen können?
Es gibt keine Möglichkeit, aus der Theologie hinter dem Rücken Gottes einfach nur herauszutreten. Der Weg in eine Theologie im Angesicht Gottes führt nur durch die Reflexion der Theologie hinter dem Rücken Gottes hindurch. Auch das ist ein Anwendungsfall des Programms: das Undenkbare denken. -
8.11.1996
„Wir Deutschen“, sind das nicht die Nachfahren der Hitlerschen Masse?
Als Micha Brumlik den Namen des Angesichts mit „Ausdrucksgeschehen …“ übersetzte, hat er ihn in die Sprache einer EG-Verordnung übersetzt, in die vergegenständlichende Sprache des Rechts und der Verwaltung. Wenn Levinas zufolge die Wirklichkeit des Angesichts die Unendlichkeit des Raumes widerlegt, dann drückt die Brumliksche Übersetzung den Zwang aus, die räumliche Unendlichkeit wiederherzustellen, die den Objektivierungszwang begründet und perpetuiert.
Die stockende Verlesung des Urteils im Hogefeld-Prozeß durch den vorsitzenden Richter erweckte den sicherlich nicht unbegründeten Eindruck, daß darin Widerstände sich ausdrückten, die mit dem, was die Nazis den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ nannten, zu tun haben mochten: Der eigentliche Gegner dieses Kampfes (des „inneren Ringens“, wie es die gewähltere Formulierung des Feuilletons damals nannte) waren die humanen Regungen, von denen auch Nazis nicht frei waren. In diesem Kontext löst sich ein Problem, das Daniel Jonah Goldhagen benannt hat, die Frage, weshalb der Judenmord mit den zusätzlichen Grausamkeiten, Verhöhnungen und Demütigungen verbunden war, die ihn begleiteten: Darin drückte dieser „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ sich aus, der auf die Juden verschoben und an ihnen vollstreckt wurde. So paradox das klingen mag: In diesen Manifestationen der Gemeinheit kam zum Ausdruck, daß das Gewissen in den Tätern noch nicht ganz erloschen war und in den Juden immer wieder mit erschlagen werden mußte. Genau das begründete auch den Wiederholungszwang, das suchthafte Verhalten der Täter: Nachdem sie einmal in die Zwänge dieser Logik hineingeraten waren, konnten sie nicht mehr davon lassen. Es gibt Taten, die nur als Wiederholungstaten möglich sind, weil sie das, was sie intendieren, nicht erreichen, aber eben dadurch ihre Wiederholung erzwingen.
Die Urteilsbegründung ist der Beweis, daß der Eindruck, den Gericht und Bundesanwaltschaft erweckten, wenn Birgit Hogefeld ihre Erklärungen vortrug, nicht getrogen hat: Ankläger und Richter haben sich in einen synthetischen Schlaf versetzt, in dem sie nur das noch hörten, was sie hören wollten; die Erklärungen selbst haben sie nicht mitbekommen.
Man muß das auch mitdenken, und sollte es nicht verdrängen: Anklage und Gericht sind selber auch „Opfer der RAF“, die sie zu den erbarmungslosen Handlungen, wie es die Urteile von Anfang an gewesen sind, gezwungen haben; und dafür haben sie sich gerächt. Dieser Mechanismus drückt in der geradezu verwilderten Logik der Urteilsbegründung sich aus.
In einem Land, in dem alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut, weil alle unter Zwängen stehen, die sie nicht mehr zu durchschauen vermögen, gibt es dann nur noch ein Verfahren: Augen zu und durch! Das gefährliche dieses Verfahrens ist: es ist ansteckend.
Kohl: Heute, in dem Erfolg, den sie nicht veursacht hat, der ihr wirklich nur zugefallen ist, plustert sich die Blindheit und Stummheit der „deutschen Frage“, die in Kohl sich verkörpert, zu welthistorische Größe auf.
Flucht nach Tarschisch: Tarschisch liegt am Ende der Welt; aus Tarschisch hat Salomo mit Schiffen die Goldschätze geholt, die er für den Bau und die Ausstattung des Tempels benötigte. – Rom hat nicht mehr Handel getrieben, sondern die Welt erobert und ausgeplündert und die Beute im Triumphzug nach Rom geführt. Die Triumphbogen des imperialen Rom: Heute sind das die Auslandsjournale des Fernsehens.
Läuft nicht Franz Rosenzweigs Verständnis des Christentums darauf hinaus, daß das Christentum genau diese Flucht nach Tarschisch ist? Und legt seine Beschreibung nicht den Gedanken nahe, daß nicht die Synagoge, sondern die Kirche die Binde vor den Augen trägt?
Israel heute: Ist es nicht, als seien die Sadduzäer auferstanden, die an die Auferstehung nicht glaubten? Aber hatte es eine andere Wahl?
Was hat der Begriff der Ruhe in den beiden Relativitätstheorien (die sich von der Bewegung nicht mehr unterscheiden läßt) mit der Sabbatruhe zu tun, oder auch mit dem Wort, demzufolge der Menschensohn Herr des Sabbat ist? Ist hier nicht ein weiteres Beispiel für den Greuel am heiligen Ort?
Liegt nicht die Aufgabe der Theologie heute in dem Problem, vor das Nebukadnezar den Daniel gestellt hat: einen Traum zu deuten, den Nebukadnezar vergessen hat?
Gewinnt nicht in der Gestalt Birgit Hogefelds, in dem Urteil über sie, das auf eine neue Weise die Identifikation mit dem Objekt des Urteils erzwingt, diese Identifikation eine neue Qualität, und das dank der Reflexionskraft Birgit Hogefelds?
Steckt nicht das „Zeichen des Jona“ in dem Problem, vor dem Jona selber steht, und das er mit seiner Flucht nach Tarschisch vergeblich zu lösen versucht: im Problem des Anfangs? Dieser Satz „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“, der einzige Satz, den er dann noch herausbringt, steht zwar in der prophetischen Tradition, hat aber nicht mehr die Qualität eines prophetischen Satzes, er ist kein „Wort des Herrn“. Prophetisch ist allein – und das auf eine ungeheuerliche Weise – seine Wirkung. Hierin liegt das Grundproblem des Buches Jona. Ist es nicht das gleiche Problem, das Hegel einmal in dem Satz ausgedrückt hat, er sei dazu verdammt, ein Philosoph zu sein?
Die jüdische Tradition zieht die Grenze zwischen Prophetie und Geschichte an anderer Stelle als die christliche. Für die jüdische Tradition gehören die Bücher Josue, Richter, Samuel und Könige zu den prophetischen Büchern, für die christliche zu den historischen (ich halte die Entscheidung Bubers, der in dieser Frage den Schriftkanon an die christliche Tradition angleicht, wenn nicht für falsch, so jedenfalls nicht für jüdisch). Das Problem, das in dieser Differenz sich anzeigt, war genau das Problem, das Franz Rosenzweig mit einer sehr präzisen Begründung dazu gebracht hat, mit dem Stern der Erlösung dem Historismus abzusagen. Das Problem Historismus/Offenbarung war der Gegenstand der Gespräche, in denen seine Vettern Ehrenberg und sein Freund Rosenstock ihn dazu bringen wollten, den Schritt, den sie vollzogen hatten, nämlich Christ zu werden, ebenfalls zu vollziehen. Seine Antwort darauf war: Ich bleibe Jude, und das übrigens mit einer Begründung, die im Entscheidenden auf Texte aus dem Neuen Testament, aus dem Kontext christlichen Selbstverständnisses und nicht gegen dieses Selbstverständnis, sich bezog. Der Stern der Erlösung war dann gleichsam das Siegel auf dieser Entscheidung, in deren Kern eine Kritik des Historismus aus dem Geist der Prophetie sich findet. Dieses Verhältnis (der Prophetie zum Historismus) läßt an seiner Beziehung zu Hegel sich demonstrieren; hier liegt der Anfang einer Bewegung, an deren Ende vielleicht ein Satz stehen könnte, der auch Rosenzweigs Werk in ein neues Licht zu rücken vermöchte: Das Weltgericht ist nicht das Jüngste Gericht, das Jüngste Gericht wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Um das zu sehen, hätte Rosenzweig vielleicht den Jakobusbrief lesen müssen, den Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
Gibt es nicht die Kaskaden rhetorischer Fragen auch bei Klaus Heinrich, dessen „Schwierigkeit nein zu sagen“ gleichwohl zu den Texten gehört, die (wie auch Ulrich Sonnemanns „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“) ihre unmittelbare Aktualität überleben werden.
Der Gott der Hebräer ist der Gott derer, die Fremde für andere sind, während der Gott der Philosophen der Gott derer ist, für die Andere Fremde sind, die deshalb der Projektionsfolie der Barbaren oder der Heiden bedürfen. Und es ist der Gott der Hebräer, den der Pharao, der Herr des Sklavenhauses, nicht kennt, und der, indem der Pharao in dieser Nichtkenntnis zu verharren versucht, die Geschichte seiner Herzensverhärtung begleitet.
Zu dem Satz „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“: Das Bild ist falsch, hier hat Brecht den Schoß mit einer anderen Körperöffnung verwechselt.
Tatsachen sind nackt, aber erkennen wir in dieser Nacktheit nicht doch nur den Spiegel unserer eigenen Nacktheit?
Wenn es heißt, daß die Liebe eine Menge Sünden zudeckt, so sollte man dazu in Erinnerung behalten: Sie deckt die Sünden der Andern zu, nicht die eigenen.
Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Heißt das nicht, daß nur, wer die eigenen Sünden reflexionsfähig hält – und das ist der Barmherzige -, die Abwehrmechanismen außer Kraft setzt, die uns zu Richtern über andere macht.
Nicht zufällig fällt die kopernikanische Wende, die universale Verdinglichung der Welt, die Himmel und Erde gleichnamig gemacht hat, mit einer weltgeschichtlichen Wende zusammen, in der die europäische Gesellschaft, die damalige Christenheit, die gesamte Welt zu herrenlosem Gut erklärt und das Werk ihrer politischen und ökonomischen Aneignung und Ausbeutung begonnen hat. Die Wende in der Astronomie war das Bild und der Reflex einer Wende in der Geschichte der politischen Ökonomie. Hier ist Europa zum Tier aus dem Meer geworden. Die Welt, die den Himmel ins Licht des Gravitationsgesetzes gerückt hat, ist die Welt dieses Tieres. Gehört nicht die Geschichte der Inquisition zur Ursprungsgeschichte naturwissenschaftlichen Aufklärung?
Das Verbindungsglied zwischen dem allgemeinen Gravitationsgesetz und der Wendung in der Geschichte der Aufklärung insgesamt liegt in der metaphorischen (oder der realsymbolischen) Beziehung der Schwere zur Schuld. Seitdem sucht das positivistische, vom Feindbild-Denken durchsetzte Rechtsverständnis nach einem Objekt, dem sie zur eigenen Entlastung die absolute Schwere der Schuld anhängen kann. Die Geschichte des Antisemitismus (wie auch der Ketzer- und Hexenverfolgung) ist noch nicht zu Ende.
Zur perversen Logik der Staatsschutzverfahren gehören der Begriff der „besonderen Schwere der Schuld“ und die mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, für die offensichtlich ein Leben nicht ausreicht, um den Projektions-, Rache- und Sühnetrieb zu befriedigen. Sie erweisen sich als Elemente eines nationalen Schuldverschubsystems, das insbesondere im deutschen Staatsverständnis sich zu verkörpern scheint.
(Wachsen etwa die Widerstände in dem gleichen Maße, in dem ich versuche, sie durch Reflexion aufzulösen?)
Es gibt Leute, die immer so reagieren, als wüßten sie schon alles. Dringt das nicht immer mehr auch in den Universitätsbetrieb ein? Ein Hinweis darauf, daß Professoren heute nicht besser sind, als es die Oberlehrer, die sich auch Professor nannten, einmal waren.
Die verwaltete Welt erzeugt im Bildungswesen eine eigene und sehr spezifische Art von Katastrophen.
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4.11.1996
Zur Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins gehört das Bild des Fahrstuhls, der aus seiner Halterung sich losgerissen hat und in den freien Fall (in den Zustand gleichförmiger Beschleunigung) übergegangen ist. Die Bewegung dieses Fahrstuhls ist in seinem Innern, wenn der Blick nach draußen versperrt ist, nicht mehr wahrnehmbar. Sie ist allein daran zu erkennen, daß nur die reinen Trägheitsgesetze herrschen, während die Schwere aufgehoben zu sein scheint. Dieses Bild läßt sich ins Gesellschaftliche übersetzen, wenn man den Begriff der Schwere durch den der Schulderfahrung ersetzt und zugleich Ursache und Wirkung austauscht: Der Versuch, eine Gesellschaft zu konstruieren, in der es gelingt, die Schulderfahrung und ihre Reflexion (die mit der Fähigkeit, in den andern sich hineinzuversetzen, logisch verknüpft ist) endgültig auszuschließen, wird auf ein Modell hinauslaufen, das dem des fallenden Fahrstuhls aufs Haar gleicht. Nur: Diese Welt, deren Modell eine Welt ist, die von den reinen Marktgesetzen beherrscht ist, wird eine vom Feindbilddenken verhexte Welt sein.
Ist nicht die Sprache, und in ihr die Kraft, in einen andern sich hineinzuversetzen, die nur in der Sprache gründet, der Beweis für die Idee der Auferstehung der Toten?
Die Bundesanwälte wie auch die Richter in den RAF-Prozessen werden sicher gut schlafen: es gelingt ihnen, auch noch die Alpträume, von denen sie eigentlich selbst heimgesucht werden müßten, auf andere zu verschieben.
Dieser Prozeß bringt ein bis oben mit Tränen angefülltes Faß zum Überlaufen.
Erkenntniskritische Einrede wider den „Rechtsstaat“: Schuld ist kein Gegenstand des Wissens.
Täterstrafrecht ist Schuldrecht und ein Feindrecht, während das Strafrecht selber seiner eigenen Logik nach eigentlich nur auf Handlungen, auf Taten sich beziehen läßt (der Schuldspruch gilt der Handlung, nicht der Person). Mit der Einbeziehung des Täters ins Strafrecht wird zwangsläufig zugleich die Gemeinheit aus dem Kreis der Straftatbestände ausgeschlossen. Der Begriff und die Gestalt des Angeklagten gehört zu einem Strafrecht, das eigentlich nur auf Handlungen sich bezieht. Im Täterrecht, das auch die Gesinnung zu einem strafrechlichen Tatbestandsmerkmal macht (das apriorische Objekt des Täterrechts ist der Mörder), wird der Angeklagte tendentiell zum Feind: zu einem Objekt, das durch seine Tat sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat, und für das die moralische Hemmung, die der Manifestation von Gemeinheit im Wege steht, eigentlich nicht mehr gilt. Der Antisemitismus ist eine hypertrophe Form des Täterstrafrechts.
Eine der Interpretationen der letzten Satzes des Buchs Jona wäre, daß am Ende die Barmherzigkeit auch die Unbarmherzigen, die nicht wissen, daß sie es sind, ergreift.
Spenglers Bemerkung, daß die Musik in der modernen Welt die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Statue eingenommen hat, ließe vielleicht sich so erläutern, daß die Erstarrung, die damals (in der Statue wie im Namen des Heros) die Menschen ergriffen hat, heute die Welt ergreift, und die Musik das Aufbegehren dagegen ausdrückt. Gibt es nicht heute schon eine Musik, die nur noch gegen die Wände antrommelt?
Hat nicht der Begriff der Liebe, wie er dann (unter Ausschluß der Außenwelt und unter Verdrängung der Idee der Barmherzigkeit) in die christliche Tradition eingegangen ist, etwas von dem – mit der gleichzeitig entstandenen Bekenntnislogik verknüpften – Affekt, der die Menschen unter der Gewalt eines gemeinsamen Feindbildes aneinander bindet, ein Affekt, der heute beginnt, als Begleitaffekt der Komplizenschaft sich zu enthüllen? Steht nicht die Geschichte vom barmherzigen Samariter gegen genau diesen Affekt? Eine Liebe, die nur auf den Nächsten geht, und nicht auch auf die Ausgegrenzten und den Feind (auf die Armen und die Fremden), hat diesen Namen nicht verdient.
Die jüngste Version der kantischen Antinomien der reinen Vernunft ist die, die im Blick auf die Nazis sich zeigt: Das, was sie getan haben, darf nicht ungesühnt bleiben, aber reproduziert sich in dem Urteil und in der Strafe, die wir über sie verhängen, nicht der Faschismus selber (wie der Raum in der Vorstellung seiner unendlichen Ausdehnung)?
Das Bekenntnis des Namens Gottes (nicht das Bekenntnis zu Gott: der Tempel war nicht das Haus Gottes, sondern das Seines Namens) würde, wenn wir endlich begreifen, was das heißt, die subjektiven Formen der Anschauung sprengen und der Sprache die Kraft des Sehens zurückgeben. Das hat einmal in den Bildern der prophetischen Utopie sich ausgedrückt (in dem Begriff des Gotterkennens, des Geistes, der die Erde erfüllen wird, und in der Ersetzung des steinernen durch das fleischerne Herz).
Das letzte Opfer wäre das des transzendentalen Subjekts, aber war das nicht schon in den biblischen Tieropfern eigentlich gemeint? In einer Sprache, die der erkennenden Kraft des Namens mächtig (und deren innere Triebkraft die Barmherzigkeit) wäre, bedürfte es des transzendentalen Subjekts nicht mehr.
Der Übergang vom confiteri und von der confessio zum Bekennen und zum Bekenntnis ist der Übergang von der Ohnmachtserfahrung zur bewußten und intendierten Identifikation mit dieser Ohnmacht, die, anstatt im Symbolum den Funken der Hoffnung, im Bekenntnis nur noch ihre Rechtfertigung sucht. Hier ist die Erinnerung an die Umkehr getilgt. Der moderne Bekenntnisbegriff ist das Siegel auf den subjektiven Formen der Anschauung (das Siegel der Orthogonalität), das Gegenteil der Siegel, mit denen einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind.
Das Feuerwerk von Ideen, die nicht mehr zum ruhigen Licht der Sonne, die den Tag erhellt, sich zusammenschließen wollen.
Hören und Sehen: Was haben der Hahn und der Morgenstern gemeinsam? Gibt es nicht im Sohar eine Stelle, wonach der Hahn die Dämonen der Nacht vertreibt?
Wenn die Gebete der Heiligen in der Apokalypse im Bilde des Rauchs, der zum Himmel aufsteigt – ein angenehmer Geruch für Gott -, symbolisiert werden, verweist das nicht auf die innerste Intention des Gebets, in Gott die Kräfte der Erinnerung wachzurufen, die an den Geruch sich anschließen? Das diffamierende antisemitische Bild der jüdischen Nase diente unter anderem auch dazu, das Eingedenken mit einem wirksamen Tabu zu belegen.
Wer nicht fähig ist, in einen anderen sich hineinzuversetzen, wird sich selbst nicht begreifen.
Aufmerksamkeit ist einmal das „natürliche Gebet der Seele“ genannt worden. Ist Aufmerksamkeit nicht die vielfach eingeübte, dann spontan gewordene Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen? Zur Einübung dieser Fähigkeit gehört insbesondere der Widerstand gegen Geschwätz und Gerücht.
Auch die Erkenntnis der Dinge ist durch die Reflexion des Andern, durch die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, vermittelt. Deshalb ist der der Wissenschaft zugrundeliegende Erkenntnisbegriff, der an der intentio recta sich orientiert, reflexionsbedürftig. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das bloße Alibi für diese intentio recta, ein Intrument der Verhinderung der Reflexion.
Gott ist niemals Objekt, und die theologische Bedeutung des Gottesnamens liegt darin, daß er daran erinnert, daß Gotteserkenntnis des Mediums der Sprachreflexion bedarf. -
3.11.1996
Wie hängt das Problem des apagogischen Beweises mit der Logik der Instrumentalisierung (des „Seitenblicks“ und der Fähigkeit, rechts und links zu unterscheiden) zusammen? Gründen die Probleme, in deren Zusammenhang für Kant der apagogische Beweis zum Problem wird, in der doppelten Instrumentalisierung (der Instrumentalisierung der instrumentalisierenden Gewalt durch die subjektiven Formen der Anschauung), und hängen sie nicht mit der Konstituierung der drei Totalitätsbegriffe (der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt, die in der kantischen Vernunftkritik erstmals rein hervortreten), mit deren Hilfe sie gegen die Reflexion sich abschirmen, zusammen? Und ist nicht die Reversibilität aller Richtungen im Raum (derzufolge jede Richtung in die gleiche schlechte Unendlichkeit, ins gleiche nihil, führt) das Modell, an dem der apagogische Beweis (und durch ihn hindurch der Hegelsche Begriff der Dialektik) sich orientiert? – In diesem Zusammenhang gewinnt die kantische innere Differenzierung des nihil, des Begriffs des Nichts (in der Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe, Kr.d.r.V., Insel-Ausgabe, S. 267ff), eine hochsignifikante Bedeutung.
Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum erzeugt den Schein der Gleichheit von Anklage und Verteidigung im Rechtsstreit und verdrängt das Herrschaftsmoment, an das der deutsche Titel Staatsanwalt so deutlich erinnert, und das in Staatsschutzprozessen zu der Situation führt, die Birgit Hogefeld mit dem Satz „die Bank gewinnt immer“ aufs genaueste bezeichnet hat. Aber wird dieser Schein nicht schon durch die Beziehung des Begriffs zum Objekt, in der die herrschaftsmetaphorische Zuordnung von Oben und Unten eindeutig festgelegt ist, widerlegt, während doch zugleich der Materialismus oder das Postulat vom Vorrang des Objekts von der Hoffnung lebt, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert? Und ist nicht das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum (und damit die subjektive Form der äußeren Anschauung selber, die darin sich ausdrückt) der Grund, aus dem die Feindbildlogik hervorgeht, und das Konstrukt, in dem sie zugleich sich vollendet, sowie die Verkörperung der logischen Struktur, die die Herrschaftsbeziehung von Begriff und Objekt begründet und sie zugleich verstellt, als Herrschaftsbeziehung unkenntlich macht? Löst sich nicht in dieser Konstellation das Problem der kantischen Antinomien und des apagogischen Beweises, damit aber das Problem der Beweislogik überhaupt? Diesen Knoten aufzulösen wäre eine der Hauptaufgaben der Philosphie, die dann aber sich nicht wundern darf, wenn sie in der Theologie sich wiederfindet.
Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum leugnet den Tod und macht ihn irreversibel zugleich (darin gründet die Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit). Schließt nicht die Idee der Unsterblichkeit der Seele, die in diesem Prinzip gründet, die Vorstellung mit ein, daß sie für die Toten nicht gilt, und liegt nicht ihr Haupteffekt in der Leugnung der Idee der Auferstehung, die sie nach außen zugleich dementiert? Hier liegt die fast unüberwindbare Hemmung, die der Lösung des Problems der Raumvorstellung sich entgegenstemmt. Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum ist der fast nicht mehr aufzuhebende Grund der Irreversibilität der Zeit, und die Außengrenze, die der Raum für mich definiert, ist eine Grenze zur Vergangenheit, die nur ich nie überschreiten werde, während alle andern sie bereits überschritten haben, für mich schon tot sind (sic, B.H.). In dieser Konstellation gründet das Problem des apagogischen Beweises und seine Lösung (vgl. hierzu die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, auch die Gestalt der Maria Magdalena und die Geschichte von ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern).
Das Canettische Bild vom Sieger, der als letzter Überlebender auf einem Riesenleichenberg steht, ist das genaueste Symbol der Logik der subjektiven Formen der Anschauung. Die Form der äußeren Anschauung ratifiziert an den Dingen, was in der Form der inneren Anschauung, in der Vorstellung des Zeitkontinuums, vorgebildet ist: die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Konstituierung des Totenreichs, über das der Anschauende starr, sprach- und empfindungslos als einziger sich erhebt. Durch die Subsumtion der gesamten Zukunft unter die Vergangenheit (die den Begriff des Wissens begründet) mache ich mich selbst zum Sieger, der alle überlebt; und das ist die der Idee der Unsterblichkeit der Seele zugrunde liegende Vorstellung, die als eine ihrer Konstituentien den Widerspruch gegen die Idee der Auferstehung der Toten in sich enthält. Heideggers Hinweis, daß wir den Tod nur als den Tod der anderen erfahren, nie als den eigenen, gründet in dieser Logik, deren Bann allein durch den Levinas’schen Hinweis auf die Asymmetrie, die den Anderen als Medium der Selbsterkenntnis ins Blickfeld rückt, sich auflösen läßt.
Die subjektiven Formen der Anschauung, in denen die richtende Gewalt, die sie für die gesamte Objektwelt repräsentieren, zugleich gegen das richtende Subjekt sich erstreckt, sind der Beweis des Satzes „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der blinde Fleck in der Ursprungs-, Entfaltugns- und Durchsetzungegeschichte der Marktgesetze.
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Der richtende Blick erfährt sich selbst im richtenden Blick des Andern, und d.h. als nackt.
Gehört nicht zu dieser Problem-Konstellation aus Logik der Gemeinheit, Beweislogik, Feindbildlogik auch das der Beziehung des Rechts zum Staat, daß insbesondere ein Recht, das sich zum Organ des Staates macht, indem es die Selbstreflexion des Staates, in dessen Logik seine eigene Ursprungsgeschichte beschlossen ist, grundsätzlich ausschließt, damit die Idee der Gerechtigkeit selber tangiert? Die Instrumentalisierung des Rechts, die im Hogefeld-Prozeß am gesamten Beweisverfahren, insbesondere aber an der (Nicht-)Behandlung des Gesamtkomplexes Bad Kleinen sich demonstrieren läßt, läßt keine andere Wahl.
Wenn die RAF zum Symbol für das grundsätzliche und generelle Verbot, in den Angeklagten sich hineinzuversetzen und damit die Selbstreflexion des Staates in den Prozeß der Urteilsfindung mit hereinzunehmen, wird, dann kann sie nur noch unter der Bedingung zum Objekt des Rechts gemacht werden, daß das Recht auf die Idee der Gerechtigkeit keine Rücksicht mehr nehmen darf, daß es aus dem Bereich, in dem Gerechtigkeit allein möglich wäre, sich verabschiedet. Wenn das Recht, wie im Bereich der „Staatsschutz-Verfahren“, dem Staatsinteresse sich unterordnet (wenn der „Staatsanwalt“ nicht mehr Partei ist, sondern Herr des Verfahrens wird), dann wird es zu einem reinen Machtinstrument, und das ist in RAF-Verfahren geradezu sinnlich wahrnehmbar. Die besonderen Haftbedingungen derer, die Objekte solcher Verfahren sind, – und zu diesen Haftbedingungen gehören nicht nur die physischen Haftbedingungen, die Isolationshaft und die rigorose Einschränkung aller Beziehungen zur Außenwelt, zu Angehörigen und Freunden, sondern auch die damit zusammenhängenden Einschränkungen der Möglichkeiten der Verteidigung und der Verteidigerrechte (Beispiele: der vorenthaltene Text einer Rede Carlchristian von Braunmühls – Begründung: sie sei nicht wegen des Mordes an von Braunmühl angeklagt, der Zusammenhang mit der Anklage wegen Mitglieschaft in der RAF, der in anderem Zusammenhang als Beweismittel mit verwandt wurde, wurde schlicht verdrängt; dazu gehört die Ausgrenzung des Gesamtkomplesxes Bad Kleinen, die Ablehnung unabhängiger Gutachter sowie die – durch den Tenor des Senatsbeschlusses offen diskriminierende und beleidigende – Ablehnung des Antrags eines katholischen Pfarrers auf Genehmigung eines von der Angeklagten gewünschten seelsorglichen Gesprächs; zum Gesamteindruck dieses Prozesses gehört es, daß alles, was nicht in die vorprogrammierte Beweisführung <in das Verfahren der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori> hineinpaßte und zur Entlastung der Angeklagten hätte beitragen können, rigoros ausgegrenzt wurde; der geradezu wütende Verurteilungswille beherrschte den ganzen Verlauf des Verfahrens). Auch wenn vor dem endgültigen, rechtskräftigen Urteil grundsätzlich die generelle Unschuldsvermutung gilt, die realen Folgen, die der Verdacht für den Angeklagten hat, haben die massive und irreversible Qualität einer Vorverurteilung und einer präventiven, das offenbar schon feststehende Urteil vorwegnehmenden Strafe.
Wie es scheint, waren für die Ablehnung von Anträge der Verteigung drei Gesichtspunkte maßgebend:
– der ungestörte Ablauf der vorprogrammierten Beweisführung,
– die Ausgrenzung jeder Reflexion des Selbstverständnisses der Angeklagten und
– die Eingrenzung des Verfahrens auf das einen reinen Kriminalprozesses.
Im Hogefeld-Prozeß, in dem jedem, der die Dinge verfolgt hatte, klar war, daß ernsthafte Störungen des Prozesses nicht zu erwarten waren, liefen die Begleitumstände gleichwohl nach den üblichen, ebenso massiven wie diskriminierenden Methoden ab, vom Transport der Gefangenen mit Blaulicht und Martinshorn bis zu den Eingangskontrollen der ProzeßbesucherInnen. Und das nicht nur aufgrund der behördenüblichen Trägheitsgesetze, sondern, wie vermutet werden darf, auch wegen der durchaus beabsichtigten Öffentlichkeitswirkung dieser Verfahrensweisen. Das hat zur Stabilisierung des Klimas beigetragen, in dem dieser Prozeß und sein Verlauf allein möglich war.
RAF-Prozesse dienen nur noch der Herrschaftssicherung; dazu braucht man zwar Angeklagte, die aber sollten tunlichst nicht durch Reflexion den Zweck des Verfahrens, in dem sie nur Geisel sind, stören. Hier geht es um Wichtigeres: Hier werden Instrumente auf ihre Brauchbarkeit getestet, die eines Tages auch zur Erledigung anderer Aufgaben, die man offensichtlich auf sich zukommen sieht, brauchen wird; dann nämlich, wenn das Umverteilungsprojekt auf die Hilfe der Justiz angewiesen sein wird.
Nach Hegel ist die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug, der Armut und der Entstehung des Pöbels zu steuern. Nachdem der Westen bisher die Armut in die Dritte Welt hat exportieren können, scheint dieser Markt jetzt gesättigt, und der Reimport der Armut, der mit der weltweiten Ausdehnung der Marktgesetze, dem Zerfall und der Verrottung der politischen (staatlichen) Souveränität, der fortschreitenden Ersetzung politischer Entscheidungskräfte durch Verwaltungseinrichtungen einhergeht, beginnt. War es bisher notwendig, den Reichtum mit dem militärischen Droh- und Vernichtungspotential nach außen zu schützen, wird es möglicherweise schon bald sich als notwendig erweisen, ihn gegen die fehlende Einsichtsfähigkeit der eigenen Bevölkerungen auch nach innen zu verteidigen. Hierzu bedarf es anderer Einrichtungen, deren Brauchbarkeit und Effizienz bisher vor allem in den Auseinandersetzungen um wirtschaftliche und militärische Großprojekte, die gegen den Willen der betroffenen Bevölkerungen durchgesetzt werden mußten, aber auch in der Terrorismus-Bekämpfung, in der die RAF als nützliches Testobjekt sich erwiesen hat, erprobt werden konnten. Jetzt gibt es ein erprobtes und schlagkräftiges Instrument, das man sich durch eine Angeklagte, auch wenn man ihr die Taten, deretwegen sie verurteilt werden soll, partout nicht nachweisen kann, nicht kaputtmachen läßt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Zur Ersetzung der Regierung durch Verwaltung, die mit dem ökonomischen Privatisierungsprojekt (mit der Ersetzung nationalökonomischer Prinzipien und Kriterien durch betriebwirtschaftliche) zusammengeht, gehört auch ein Strukturwandel in der Justiz, der dahin tendiert, dem Verwaltungsrecht, das ein Subsumtionsrecht, ein Recht des bestimmenden, nicht des reflektierenden Urteils ist, sich anzugleichen. Es ist dieses Subsumtionsrecht, für das dort, wo das gerechte Urteilen sich hineinzuversetzen hätte, nichts mehr ist. Hier ist der Staatsschutz ein Vorreiter, der das Selbstverständnis des Angeklagten vom Grunde her ausgrenzen zu müssen glaubt, mit der Folge, daß diese Prozesse unter dem Zwang, als reine Kriminalprozesse geführt zu werden, zu politischen Prozessen werden: Sie sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses, der in der Ökonomie wie in der Politik selber auf eine fortschreitende Entpolitisierung, auf eine schleichende Erosion der politischen Logik hinausläuft, auf ein Ausblenden dessen, was als Reflexionsfähigkeit einmal als Grundlage der politischen Freiheit begriffen worden ist.
Das Faszinierende am Hogefeld-Prozeß war die Wahrnehmung, daß es hier der Angeklagten erstmals gelungen ist, durch eine Reflexion, die auch das Verfahren mit einbezog, aus dem Bann der Logik, die dieses Verfahren beherrscht, auszubrechen, ihn für sich selber zu brechen. Daß dieser Akt auf Seiten des Gerichts nur Abwehrmechanismen wachruft, war zu erwarten, und es ist zu befürchten, daß das auch aufs Urteil sich auswirken wird. Aber könnte es nicht sein, daß dieses Gericht genau dadurch, daß es die Dehnbarkeit der Grenzen des Rechststaats nicht mehr einzuschätzen vermag, den Bogen überspannt, damit aber diesen ganzen Bereich in ein Licht rückt, in dem er nackt dastehen wird, in dem erstmals erkennbar wird, was hier passiert?
Die RAF hat bisher auf die Probleme, vor die sie sich gestellt sah, nur mechanisch reagiert. So hat sie, ohne es zu wissen oder gar zu wollen, ihrem Widersacher in Hände gearbeitet. Grund war die Feindbildlogik, in deren Netze sie seit ihren Anfängen sich verstrickt hat. Diese Feindbildlogik ist Teil einer Logik, in deren Herrschaftsbereich – nach einer wie ein Blitz einschlagenden Formulierung Birgit Hogefelds – die Bank immer gewinnt. Es wäre nicht nur im ureigensten Interesse der RAF, wenn sie endlich die Reflexionsfähigkeit gewinnen würde, deren erstaunliche Anfänge hier, bei Birgit Hogefeld, wahrzunehmen sind.
Diese Reflexionsfähigkeit ist im Falle Birgit Hogefelds der Beweis, daß das Urteil, wie es auch ausfallen wird, nur ein Fehlurteil sein kann, daß nicht sein Objekt, das vom Urteil nicht getroffen wird, verurteilt wird, sondern das Gericht, das – wie so viele in diesem Lande – nur seine ihm von den Verhältnissen auferlegte Pflicht tut, dabei aber nicht mehr weiß was es tut, mit diesem Urteil sich selbst verurteilt. Nur wenn es selber reflexionsfähig gewesen wäre, hätte dieses Gericht sich selber durch das einzig gerechte Urteil, das möglich war, freisprechen können.
Hegels Philosophie beschreibt nicht nur die Stationen auf dem Wege des Weltgeistes, sondern auch das Ende des Weges, an dem der Weltgeist sein Ziel erreicht hat. Was danach kam, läßt sich eigentlich nur noch unter dem Stichwort des Endes des Weltgeistes, seiner Selbstzerstörung, beschreiben. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der Geschichte, die das Weltgericht ist, das hiernach nicht mehr über die Geschichte, sondern erstmals über den Richtenden selber ergeht. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der richtenden Gewalt, die er verkörpert.
Wer Billardkugeln, die Objekte der Mikrophysik und die Sternenwelt unter ein gemeinsames Gesetz bringt, ist ein Agent Beelzebubs, dessen Reich nur besteht, wenn es nicht mit sich selbst uneins ist. Die Angst vor dem Zerfall der Identität ist die Angst Beelzebus, des Herrn der Fliegen, eine Angst, die zu den Konstituentien des Insektenstaats gehört. Die Einheit des gemeinsamen Gesetzes, das die drei Sphären mit einander verbindet, wäre auf zwei Wegen zu sprengen: durch die Reflexion des Falls und durch die Reflexion des Feuers. Die Ansätze hierzu liegen vor in den beiden Relativitätstheorien Einsteins, in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse und im Prinzip der Konstanz der Lichgeschwindigkeit. Aber werden die Probleme, die den beiden Reflexionen zugrundeliegen, durch sie zu lösen wären, nicht aufs merkwürdigste rerpäsentiert durch die beiden Seiten, die in den RAF-Prozessen sich gegenüberstehen: durch die Seite der Anklage und des Gerichts, und durch die der Angeklagten und RAF?
Der Fortschritt gegenüber den Hexenprozessen, mit dem RAF-Prozesse sich durchaus vergleichen lassen, scheint mir, liegt darin, daß die Beziehung sich umgekehrt hat: In den Hexenprozessen bezeichnet der Fall (der Sturz in den Fundamentalismus) den Ausgangspunkt und das Brennen (die Scheiterhaufen) die Folge, RAF-Prozesse spielen mit dem Feuer und eröffnen in ihm den Abgrund, in den sie selber dann hineinstürzen. Das Feuer, in dem das Gericht glaubt, die Angeklagten verbrennen zu können, bevor es sie verurteilt, wird es selbst ergreifen, wenn die Urteile zu Fehlurteilen werden.
Die erste und die zentrale Manifestation des Feuers, in dem „die Welt untergehen“ wird, war der Antisemitismus. Auch die Juden sind in Deutschland unter der Herrschaft der Judengesetze schon verbrannt worden, bevor man sie dem Abgrund überantwortet hat, dessen Verkörperung Deutschland war.
Der Urknall steht am Anfang, das schwarze Loch am Ende: Die Realsymbolik dieser Begriffe wird erkennbar, wenn man sie auf die Selbstzerstörung der Moral durchs Urteil bezieht (der verdorrte Feigenbaum).
Ist nicht der Antisemitismus „genial“ in dem Sinne, in dem Kant diesen Begriff definiert, nämlich als das Handeln der Natur im Subjekt? Wer das begreift, weiß, worauf Adornos Konzept des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ abzielte: durchs Eingedenken den Naturzwang zu brechen. Adorno meinte nicht das Mitleid mit den Tieren, das Habermas im Sinn zu haben schien, als er das Wort Adornos abänderte ins „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“.
Hat die kantische Unterscheidung von bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht etwas mit der von Wasser und Feuer (oder auch mit der Beziehung des Was zum Wer) im Namen des Himmels zu tun? Und verweist nicht das bestimmende Urteil, auf das die transzendentale Logik sich bezieht, auf die Sintflut, die die Welt überschwemmt hat, das reflektierende Urteil, die Manifestation der Urteilskraft, hingegen auf das reinigende und verwandelnde Feuer, in dem die Welt am Ende vergehen wird?
Wer den Versuch einer physiognomischen Beschreibung der Vertreter der Anklage und der Mitglieder des Senats unternehmen wollte, hätte mit Sicherheit einige Beleidigungsprozesse zu erwarten.
Das Zeichen des Jona: Kann es sein, daß die Flucht des Jona nach Tarschisch in der Angst vor den Folgen seines prophetischen Auftrags begründet ist, und ist nicht die ganze Geschichte des Christentums die Geschichte dieser Flucht?
Grundwerte und Prinzipien: Rückt nicht der Verfassungspatriotismus die Verfassung selber in die Logik des Feindbilddenkens (in die Bekenntnislogik, deren Symbol der Feigenbaum ist, der nur noch Blätter, keine Früchte mehr hervorbringt und am Ende verdorrt)? -
2.11.1996
„Ich allein bin entronnen …“: Dieser Refrain der „Hiobsbotschaften“ (vgl. Ebach, Hiob, S. 20ff) gilt nicht nur fürs Erzählen (wozu auch an Primo Levi und Jean Amery zu erinnern wäre), sondern auch für die Philosophie: Ohne dieses Motiv sind die Minima Moralia und die Dialektik der Aufklärung nicht zu verstehen. Und Metz Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist ein bis heute uneingelöstes Programm.
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Gemeinheit ist präventive Rache (und deshalb ein spezielles Polizei- und Knastdelikt). Strafe aber wird zur Rache, wenn der, über den sie verhängt wird, keine Chance hat, in ihr sich wiederzuerkennen.
Die Vorstellung, es könne, wenn alle nett zueinander wären, eine harmonische, konfliktfreie Welt geben, wurzelt in der Privatsphäre, wo sie auch schon illusionär ist. Sie wird zu einer Quelle der Gewalt, wenn sie übergangslos auf die Politik angewandt wird.
In reflektierenden Urteil hat das „ist“ keine feststellende Funktion; reflektierende Urteile sind nicht ontologisch, sie sind keine verurteilenden Urteile: Sie widerstehen dem Tod und leben von der Weigerung, seiner Gewalt sich zu unterwerfen. Nur zu Heideggers Fundamentalontologie gehört das „Vorlaufen in den Tod“.
Ist eigentlich an dem Eindruck etwas dran, daß irgendwann bei Ebach wie auch bei Metz etwas umgekippt ist? Und vorher schon und geradezu paradigmatisch bei Habermas: Führt nicht die Habermas’sche Kommunikationstheorie, zu der sein „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ eine Vorstufe war, in den Insektenstaat hinein, in dem Kritik zum folgenlosen Raisonnement wird, das an den versteinerten Verhältnissen abprallt?
Wenn Weizsäckers Begriff der Philosophie (zusammen mit den Konstruktionen der Kopenhagener Schule in der Physik, aus denen sie hervorgegangen ist) aus der Verdrängung der speziellen Relativitätstheorie sich herleiten läßt, dann der Habermas’sche aus der Verdrängung des Allgemeinen Relativitätsprinzips.
Ein Beitrag zur Reflexion der Gravitationstheorie: Der vom Objektivierungsprozeß untrennbare Prozeß der Subjektivierung (zunächst der sinnlichen Erfahrung, dann der Kritik und am Ende der Schuld) wird irreversibel, wenn die Kritik des Naturbegriffs aus der Philosophie ausgeschieden wird; jetzt gibt es kein Halten mehr: Dieser Prozeß geht (ähnlich wie die Idee des Rechststaats in den Staatsschutzprozessen) über in den freien Fall, dessen Bahn vorgezeichnet ist durch das Gravitationsfeld der Rechtfertigungszwänge, die mit der Subjektivierung der Schuldgefühle, mit dem Schwinden der Kräfte der Schuldreflexion, unüberwindlich werden.
In den Staatsschutzprozessen gegen die RAF setzen Anklage und richtender Senat dadurch, daß sie die Identifikation mit den Angeklagten grundsätzlich ausschließen und verwerfen, sich selbst dem Rechtfertigungszwang aus, dem Zwang, das Prinzip „in dubio pro reo“ nur noch auf sich selbst statt auf die Angeklagten anzuwenden. Die Logik dieser Bewegung ist die des freien, von keinen moralischen Hemmungen mehr behinderten Falls. Wenn das Urteil, das am Ende herauskommt, nur noch ein Instrument der Selbstverteidigung der Ankläger und der Richter ist, wenn es den Angeklagten nur noch physisch trifft, wie der Hammer den Nagel, nämlich auf den Kopf, dann gibt’s für den Rechtsstaat keinen Halt mehr.
Das Urteil, das hier herauskommen wird, ist noch auf eine ganz andere Weise ein Symptom der bewußten und gewollten Reflexionsunfähigkeit dieses Gerichts, das sich zum Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft hat machen lassen: Der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand, das sie juristisch nicht zu fassen ist, gewinnt seine volle Bedeutung erst im Zusammenhang mit der weiteren Bemerkung, daß es im Ernstfall diese Gemeinheit ist, die die Grenzen des Rechtsstaats definiert, indem sie sie elastisch macht. Die Aufforderung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidts, „bis an die Grenzen des Rechtsstaats zu gehen“, der man nur zugute halten kann, daß sie von einem Nichtjuristen kam, war eigentlich die Aufforderung, diese Grenzen wenn nicht zu überschreiten, so doch bis Grenze ihrer Belastbarkeit auszudehnen (diese Belastbarkeit des Rechtsstaats ist in den letzten RAF-Prozessen, insbesondere aber im Hogefeld-Prozeß, der einige besondere Anforderungen an dieses Testverfahren gestellt hat, einem Materialtest unterworfen worden: Es waren Versuche, auszutesten, wie weit man gehen kann). Dem entsprach die Prozeßführung im Hogefeld-Prozeß, die Birgit Hogefeld in ihrer Schlußerklärung durchaus zutreffend beschrieben hat. Dieser Prozeß war kein Angriff mehr auf den Rechtsstaat, in diesem Prozeß hat der Rechtsstaat Harakiri begangen.
Wird man nicht in dem gleichen Maße, in dem man dabei ist, den Sozialstaat abzubauen, die Instrumentarien der Verbrechensbekämpfung und der Vorurteilsproduktion ausweiten müssen? Und wird dieser „Rechtsstaat“ dann nicht fürchterlich sein?
Während die Reflexionsunfähigkeit auf Seiten der RAF bisher darauf hinauslief, durch blindes Reagieren auf das Unverständliche der Prozesse deren Irrationalität für die Öffentlichkeit zu rechtfertigen, hat im Falle des Hogefeld-Prozesses die Reflexionsfähigkeit der Angeklagten das Gericht gleichsam auf dem linken Bein erwischt; Anklage und Senat waren hierauf nicht vorbereitet und haben stellenweise geradezu hilflos darauf reagiert. Nur, die Öffentlichkeit hat’s unterm dem Bann des Tabus „RAF-Prozeß“, des Trägheitsgesetzes der eigenen Vorurteile, nicht bemerkt.
Wenn der Bundesanwalt, ohne daß der Senat dazu etwas sagt, in seiner letzten Erklärung der Angeklagten noch einmal das Kronzeugenangebot unterbreitet hat, dann wird man davon ausgehen müssen, daß er dieses Angebot im Einvernehmen mit dem Senat gemacht hat. Und man wird schließlich davon ausgehen müssen, daß die Weigerung der Angeklagten, auf dieses Angebot einzugehen, in die Urteilsfindung mit eingehen wird: Das Urteil, nachdem es als Instrument der Erpressung nicht brauchbar war, wird zu einem Instrument der Rache.
In den RAF-Prozessen ist der Rechtsstaat zu einem Produkt der Verstaatlichung des gesunden Volksempfindens gemacht worden. Hat nicht der Staat selber in der Geschichte seiner Auseinandersetzung mit der RAF durch eine Reihe von Spezialgesetzen die Instrumente der Reflexionsverweigerung, die der Begriff des „gesunden Volksempfindens“ einmal bezeichnete, so geschmiedet, daß sie beginnen, wirksam zu werden? – Das wäre eines der Themen, die dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ wirklich angemessen wären.
Die Gemeinheit produziert selber die Blenden, die sie davor schützen, gesehen, wahrgenommen zu werden.
Im Gegensatz zur den Vertretern der Bundesanwaltschaft, die wissen, was sie tun, ist der Vertreter der Nebenklage nur dumm; er ist nur ein apokalyptischer Wadenbeißer.
Das beweislogische Problem, das dem Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ zugrundeliegt, weist zurück auf den gleichen Sachverhalt, aus dem auch die Feindbildlogik sich herleitet: Jeder Satz läßt sich sowohl inhaltlich verstehen als auch danach abhören, welcher Zweck damit erreicht werden soll. Die Feindbildlogik, die die Sprache vom Verstehen trennt (das dialogische, kommunikative Element aus ihr entfernt), sie auf ihre instrumentalisierte Form reduziert, ist gleichsam die transzendentale Ästhetik zu einer transzendentalen Logik, die auch in der Justiz synthetische Urteile apriori möglich macht, indem sie die Paranoia instrumentalisiert; das Modell und der genaueste Ausdruck dieser Instrumentalisierung, gleicham ihre naturwüchsige Variante, ist der Antisemitismus.
Die Unfähigkeit, das Selbstverständnis des Angeklagten in die Beweiserhebung mit hereinzunehmen, macht den Angeklagten zum Objekt (was in diesem Kontext heißt: zum Feind) im strengen transzendentallogischen Sinne. In den bisherigen Prozessen hat dieses Verfahren im Verhalten der Angeklagten aus der RAF, die dieser Rolle aufgrund ihres eigenen, von der gleichen Feindbildlogik determinierten Selbstverständnis allzu willig sich überließen, seine „objektive“ Begründung gefunden. Das Verhalten der Angeklagten paßte zur Verhandlungsführung wie das Verhalten von Billardkugeln zu den Gleichungen der Mechanik, die es erklären, nur daß es hier keine Billardkugeln waren, sondern Menschen, die, weil sie nicht als Menschen wahrgenommen wurden, sich wie Objekte verhielten. Es gab gleichsam eine prästabilisierte Harmonie zwischen Prozeßführung und Angeklagten, die ihren Grund in einer beiden Seiten gemeinsamen Logik hatte, einen Feindbild-Clinch, dem keine Seite sich zu entziehen vermochte, weil keiner die Gewalt der Logik, die sie aneinander fesselte, durchschaute. Hierbei stand von vornherein fest, wer gewinnen und wer das Opfer sein würde.
Was man der RAF politisch vorwerfen kann und muß, ist, daß sie zu den Kräften gehört, die die Gesetze und die Beschleunigungsmechanismen, deren Opfer sie dann selber geworden ist, mit hervorgerufen hat.
Der Hogefeld-Prozeß unterscheidet sich von allen bisherigen Prozessen eigentlich nur durch das Verhalten der Angeklagten (und durch das ihrer VerteigerInnen), die erstmals versucht, der Objektrolle sich zu entziehen, den Kopf oben zu behalten, indem sie über beides, die Geschichte und das Selbstverständnis der RAF, aber auch die Mechanik der Prozeßführung und des Prozeßverlaufs, durch Reflexion sich Rechenschaft zu geben versucht. Ihre Erklärungen sprechen eine ebenso deutliche wie mutige Sprache. BAW und Gericht haben sich davon nicht beirren lassen, sie führen ihren Krieg weiter gegen einen „Feind“, von dem sie nicht wahrhaben wollen, daß er keiner ist. Sie scheinen die Reflexionskraft der Angeklagten als eine besonders infame Angriffswaffe zu erfahren, die sie zu besonders harten Abwehrmaßnahmen zwingt (die Erklärungen der Angeklagten mußten in pure Heuchelei umdefiniert werden; ein Pfarrer, der auf Wunsch der Angeklagten um Genehmigung eines seelsorglichen Gesprächs gebeten hatte, wurde per Senatsbeschluß zu einem, „der sich selbst als Pfarrer bezeichnet“, in Wahrheit aber nicht nur Sympathisant, sondern Unterstützer der RAF ist). Und es ist zu befürchten, daß das Urteil danach ausfallen wird.
Kann es sein, daß Birgit Hogefeld dafür jetzt wird büßen müssen, daß sie versucht hat, den Bann durch Reflexion aufzulösen, unter dem beide Seiten stehen? Dieses Gericht erträgt es nicht, daß ausgerechnet die Angeklagte das zu benennen versucht, was es (das Gericht) hier tut. Wenn die „Belastungen“, denen ein Gericht, das zum Instrument der Rache sich machen läßt, ausgesetzt ist, ohnehin schon so groß sind, dann sollen sie nicht auch noch durch Schuldgefühle vermehrt und verstärkt werden. Das logische Gesetz der Rache, einmal enthemmt, ist nicht mehr aufzuhalten.
Parvus error in principio magnus est in fine: Ist nicht der Ursprung der Zivilisation mit dem Ursprung von Mechanismen erkauft, die inzwischen in der Lage sind, diese Zivilisation in den Abgrund zu befördern?
Wer den Antisemitismus durch den Begriff des Rassismus zu einer Weltanschauung macht, verharmlost ihn nicht nur, er bestätigt ihn damit zugleich. Er trägt zu seinem Überleben bei, indem er ihm die Würde einer logischen Konsistenz verleiht, die er nicht hat. Der Antisemitismus ist der reinste Ausdruck eines in Aggression und Vernichtungsdrang umschlagenden Rechtfertigungszwangs (und damit dann ein machtpolitisches Instrument zur Enthemmung und Entfesselung dieser Aggression und dieses Vernichtungstriebs). Er enthält kein „theoretisches“ Element, das ihn auf der Theorie-Ebene kritikfähig machen könnte, er ist nur durch Reflexion aufzulösen.
Elefantengedächtnis: Wer Erinnerungen, die ihm unangenehm sind, verdrängt hat, hat dafür andere Dinge, die er nie vergessen wird. -
29.09.1996
Das Verurteilen rührt an die Angel der Welt. Merkwürdiger Doppelsinn des Worts Angel: Es bezeichnet sowohl ein Instrument des Fischfangs, den Haken, als auch den Dreh- und Angelpunkt (das Triangel ist das Dreieck). Verweist dieser Doppelsinn nicht auf den Winkel und dessen Norm, die Orthogonalität (den logischen Kern der Verurteilung)? (Hat die Angel etwas mit dem angelus zu tun; vgl. auch Anker.)
Haben die Könige von Edom etwas mit den ägyptischen Plagen zu tun, und haben beide etwas mit der Beziehung des Königtums zum Opfer zu tun?
Austreibung der Dämonen: Ist nicht jede Objektivation dämonisch, und war nicht der Titel „Sohn Gottes“ das erste Produkt der Objektivation (der Logik des Seitenblicks, des Urteils, des Indikativs)? Die homousia affiziert weniger den Sohn als vielmehr den Vater, den sie (in der Trinitätslehre) in die Logik der Instrumentalisierung mit hereinzieht: Die homousia, die die Sohnschaft verfügbar macht, ist das Gericht des Sohnes über den Vater. Wenn Jesus Gott Vater nennt und der Vater ihn seinen geliebten Sohn, so ist das etwas anderes als wenn wir ihn Sohn Gottes nennen (und den Titel zu einem Prädikat in einem Urteil über Jesus machen: zu einem Begriff). So nennen ihn auch die Dämonen und zittern (und so nennt ihn der Hauptmann unterm Kreuz, aber auch Petrus).
Der Sohn-Gottes-Titel entstammt der gleichen Logik, aus der auch das Gravitationsgesetz stammt (das Gravitationsgesetz verhält sich zur Schwere wie der dogmatische Sohn-Gottes-Begriff zu den Selbstbezeichnungen Jesu). Beide instrumentalisieren die Beziehung von oben und unten, sie rühren an die Grundlage des Begriffs (an die Form der Beziehung des Begriffs zum Objekt, die eine irreversible Oben-Unten-Beziehung, eine Spiegelung des Gravitationsfeldes, ist). Der Sohn-Gottes-Begriff hat die Theologie (auf dem Weg über die Trinitätslehre) zu einem Modell, zu einer Vorform der Naturwissenschaften gemacht. Im Sohn-Gottes-Begriff spiegelt sich die Trennung von Natur und Welt, Objekt und Begriff; er begründet einen Universalismus, der die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern unterdrückt, verdrängt und neutralisiert. Die Beziehung des Begriffs zum Objekt gründet in der Herrschaftsbeziehung, in der Beziehung des Herrn zum Beherrschten: sie verdrängt mit dem Bewußtsein der Asymmetrie die Fähigkeit zur Reflexion von Herrschaft, damit aber die Idee der Barmherzigkeit.
Rechts und Links nicht unterscheiden können ist die Unfähigkeit zur Reflexion von Herrschaft.
Die RAF-Prozesse, das Feindbild, die Verwaltungslogik, die Bekenntnislogik, das Geld und das Inertialsystem: sie alle gehen davon aus, daß es eine unendliche (die Barmherzigkeit lähmende) Schwere gibt. Diesen Sachverhalt hat Kafka in dem Satz reflektiert: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.
Wie hängt der Sohn-Gottes-Titel mit dem Satz zusammen, daß die Pforten der Hölle (der Unterwelt) sie (die Kirche) nicht überwältigen werden? Worauf bezieht sich hier der Name der Kirche?
Rosenzweigs Kritik des All schließt die Kritik der Äquivalenz aller Richtungen im Raum, ihrer Ununterscheidbarkeit, mit ein.
Ägyptische Finsternis: Die Fundamentalontologie Heideggers hat den blinden Fleck der Philosophie totalisiert.
Das Sein ist der Inbegriff des Präsens, aber unser Präsens ist ein durchs Perfekt (durch die „vollendete Vergangenheit“) vermitteltes Präsens: In ihm steckt das ganze, hier wirklich unendlich gewordene Gewicht der Vergangenheit.
Die Schwere, und zwar die physikalische (der Trägheit äquivalente) wie auch die moralische der Schuld, ist der Ausdruck der Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart. Der Begriff der Schwere der Schuld gehört zum Feindbildsyndrom, er verwischt die Grenze zwischen einem Angeklagten und dem Feind und macht das Recht zu einem Instrument des Vorurteils. Das faschistische „gesunde Volksempfinden“ war immer schon ein Euphemismus für den völkischen Rachetrieb.
Gibt es in der hebräischen Bibel (außer dem Satan) auch Teufel oder Dämonen? Woher kommt der Teufel? Sind Satan, Teufel und Dämon drei Phasen oder drei Stufen der Sprachentwicklung?
Synthetische Urteile apriori sind Verwaltungs- (oder Staatsschutz-)urteile. Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es keine Staatsschutzsenate geben.
Das Inertialsystem spannt Rind und Esel gemeinsam vor den Pflug, sein Opfer ist das Lamm.
Die Instrumentalisierung ist eine Pluralisierung (jeder Begriff bezieht sich auf Objekte im Plural; es gibt keinen individuellen Hammer, sondern jedes Instrument ist logische Massenware: seit Kopernikus gibt es die Frage nach dem Leben auf anderen Sternen).
Modelle der Instrumentalisierung: Deutscher Gesang, deutsche Frauen und deutscher Wein. -
25.09.1996
Gibt es in Staatsschutz-Prozessen heute kein Mittel mehr dagegen, daß die falschen Zeugen gewinnen? Ist nicht die bundesanwaltschaftliche Dialektik das Instrument der Konstruktion synthetischer Urteile apriori (die forensische Dialektik findet ihren Grund in dem mit dem Problem des apagogischen Beweises logisch verknüpften Prinzip, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist)?
Das Präsens ist die Zeitform der zweiten Unmittelbarkeit. Diese Unmittelbarkeit verdankt sich dem „Seitenblick“, die jedes Handeln in ein gesetzlich determiniertes Geschehen transformiert (Ursprung des Naturbegriffs, der diesen Seitenblick festschreibt).
Gott ist weder der Herr der Geschichte noch der Schöpfer der Natur: Er ist keine Legitimationsinstanz der Objektivierung.
Der kirchliche Begriff der Sündenvergebung ist gnadenlos: Er trennt die Sündenvergebung vom Sündenvergeben, von der Versöhnung.
Die Theologie heute ist die ebenso hilflose wie verkrampfte Auseinandersetzung mit der transzendentalen Logik, in die sie durchs Bekenntnisprinzip verstrickt ist. Die transzendentale Logik ist der Inbegriff einer Immanenz, die in den Grenzen der Subjektivität eingeschlossen bleibt, sie nicht zu sprengen vermag.
Christliche Priester-Theologie hat den Heiligen Geist zum Gattungswesen und zum Agenten des Selbsterhaltungsinstinkts des Kirchentiers gemacht. Deshalb ist der Heilige Geist in den Kirchen verstummt.
Die differentia specifica der Nachkriegsgeschichte gegenüber dem Faschismus, aus dem sie hervorgegangen ist, liegt in dem Fortschritt der Vergesellschaftung von Herrschaft: Nach dem Ende des Faschismus ist fürs Bewußtsein Herrschaft irreversibel von den Menschen auf die Dinge übergegangen. Habermas‘ Verzicht auf Naturkritik war die Kapitulation vor dieser Herrschaft der Dinge. Der Sieg des Objektivationsprozesses drückt unmittelbar in der Historisierung der Gegenwart sich aus, die sich selbst nur als vergangene Gegenwart (aus der Perspektive des Futur II, der zukünftigen Vergangenheit, deren merkwürdiger Doppelsinn erhalten bleibt) noch zu begreifen vermag.
Hängt damit nicht die seit Jahren etablierte Redewendung, mit der der Redende sich selbst in den Konjunktiv setzt, zusammen: „Ich würde sagen, …“
Zur frühmittelalterlichen Engellehre: Sind nicht die hierarchischen Strukturen (im Kosmos wie in der Gesellschaft) im Bann von Herrschaft erstarrte Reflexionsformen der Verdinglichung (der Begriffshierarchien)? Der Satz, daß „jetzt der Fürst dieser Welt hinausgeworfen wird“ (Joh 1231), bezeichnet einen (für das Verständnis des Christentums zentralen) sprachgeschichtlichen Sachverhalt.
Gehört nicht zum Titel Menschensohn die ezechielische Konstellation der Individualisierung der Schuld (die Verwerfung der Erbschuld), die ohne die Übernahme der Sünde der Welt nicht zu halten ist. Der Menschensohn ist der Sohn dessen, durch den „die Sünde in die Welt gekommen ist“.
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