Gemeinheit

  • 8.8.1994

    Zur Logik der Schrift:
    – Der Unterscheidung der Namen der Barbaren und der Hebräer gründet in ihrer Beziehung zur Logik der Schrift.
    – Die Erfindung des Fegefeuers ist das Produkt der projektiven Verarbeitung einer Erfahrung, die in der Logik der Schrift begründet ist; diese projektive Verarbeitung war der Anfang der Verdrängung dieser Erfahrung (des Abgrunds zwischen dem Wort und seiner Erfüllung).
    – Hat der Begriff des Papiertigers (seine Unterscheidung vom realen Tiger) etwas mit der Logik der Schrift zu tun?
    Die Jenseits-Vorstellungen des katholischen Mythos (insbesondere die Vorstellungen von Hölle und Fegefeuer) drücken Aspekte der Beziehung von Welt und Natur vor dem Ursprung der modernen Naturwissenschaften aus; sie sind ein Teil ihrer Vorgeschichte.
    An der „Geburt des Fegefeuers“ ließe sich sehr präzise die Beziehung der Bekenntnislogik zur Geldwirtschaft und zum Ursprung des Trägheitsbegriffs demonstrieren. – Gehören hierzu nicht die Worte von den „Pforten der Hölle“ und dem „Schlüssel des Himmelreichs“?
    Das wirkliche Thema der Fegefeuer-Diskussion ist die Beziehung der Sprache zum Inertialsystem (oder zur Logik des Geldes und zur Bekenntnislogik): Ist nicht das Inertialsystem das Instrument, mit dem wir uns die Sprache vom Leibe halten (durch die pauschale Trennung von Begriff und Objekt, Sprache und Welt; Kritik der Linguistik)?
    Nationalsozialismus als Modernisierungsschub: Besteht nicht die sozialdarwinistische Kapitulation vor der Natur weiter, und unterscheidet sie sich von der direkten, brutalen Gestalt des Faschismus nur durch deren Verfeinerung, durch das höhere Maß an zivilisierter Gemeinheit?
    Steckt nicht im Schöpfungsbericht, in der bei der Erschaffung des Menschen zwischen „seinem Bild“ und dem „Bilde Gottes“ unterschieden wird, die Rechtfertigung einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“, einer Theologie, die die Vergegenständlichung Gottes mit einschließt. Aber diese Rechtfertigung ist nicht leicht zu nehmen; sie gehört zu den Implikationen des Kelch-Symbols.
    Kann es sein, daß der Akkusativ erst im Lateinischen zum Akkusativ geworden ist (mit all den grammatischen Konsequenzen, die das dann im Lateinischen hatte)? Und ist nicht die Trennung von ratio und intellectus ein Produkt der lateinischen Sprache (das im Deutschen in der Unterscheidung von Verstand und Vernunft nachwirkt)? Im Griechischen scheint es hierzu keine unmittelbare Entsprechung zu geben: Die Auflösung scheint in der griechischen archä zu liegen, in einem Begriff der Ursache, der (als Anfang oder Ursprung) von dem des Grundes noch nicht rein sich scheiden läßt, der erst im Lateinischen in causa und ratio auseinandertritt. In der archä klingt das Schuldmoment nach, das in der erst ratio neutralisiert und instrumentalisiert wird (und die Voraussetzung dafür schafft, daß der kosmos zum mundus „gereinigt“: die „Welt“ durch die christliche Erlösungslehre „entsühnt“ worden ist). Hat die ratio nicht etwas mit dem Beweis zu tun: mit der Hereinnahme des gerichtlichen Beweisverfahrens und der rechtlichen Funktion und Bedeutung des Urteils in die Philosophie (die so zur theologischen „Orthodoxie“ geworden ist)? Ist nicht erst in diesem Zusammenhang der griechische logos (mit dem der johanneische von Anbeginn verwechselt worden ist) zum Gegenstand einer theologisch instrumentalisierten Philosophie geworden?
    Der Sündenfall der Moderne ist eingetreten, als die Vernunft, der intellectus, von der Sprache aufs Prinzip der Selbsterhaltung umgeleitet wurde (als deren Ursprung die Geldwirtschaft und als deren gegenständliches Korrelat sich dann das Inertialsystem erwies). Das Konstrukt des Fegefeuers enthält die Erinnerung an den „brennenden“ Schmerz dieses historisch-gesellschaftlichen Prozesses; in der Notwendigkeit der „Reinigung durchs Feuer“ drückte die Erfahrung sich aus, daß das Gesetz der Selbsterhaltung nicht das Letzte ist.
    Das Inertialsystem (die Bindung des Denkens ans Anschauen) ist der Pfropf im Ohr der Vernunft (Grund der Umwandlung des Hörens in Gehorsam).
    Hegels Begriffe sind allesamt hypostasierte (durch Projektion ins Vergangene zu Eigenschaften vergegenständlichte) Tätigkeiten; die Urbegriffe wie Sein und Wesen sind Namen für Verbrechen wie „Mörder“ und „Dieb“; Hegels Logik ist das Gefängnis, in dem sie ihre gerechte Strafe verbößen. Wer die Welt auf ihr vergangenes Tun festnagelt, verrät um der Selbsterhaltung (und des Wissens) willen die Umkehr und schließt das Erbarmen und die Hoffnung aus.

  • 13.7.1994

    Beziehung der subjektiven Form der äußeren Anschauung zur Bekenntnislogik, zur Sexualmoral und zum Keuschheitsgebot: Die Bekenntnislogik, die in der Umkehrung der Schuldreflexion und des Schuldbekenntnisses (in der Ursprungsgeschichte der Verinnerlichung der Scham und der Entstehung der Raumvorstellung) gründet, begründet selber den Schuldzusammenhang und den Rechtfertigungszwang, die das sexualmoralische Urteil vergeblich projektiv abzuarbeiten versucht (Modell des Taumelkelchs und der Trunkenheit).
    Die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre (das Haus verkörpert diese Grenze, während die Urteilsform, die Trennung von Objekt und Begriff, in ihr gründet und sie abbildet) ist eine Schamgrenze („da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“). Die Geschichte der Verinnerlichung der Scham (des Ursprungs der Raumvorstellung) ist die Ursprungsgeschichte der synthetischen Urteile a priori: deshalb gründet die transzendentale Logik in der transzendentalen Ästhetik.
    Der Raum ist das Bild der Selbsterhaltung, aber das Licht pflanzt sich im Raume fort. Die Fortpflanzung des Lichts im Raum ist ein Produkt des Seitenblicks, zu unterscheiden von dem Licht, das auf die Finsternis sich bezieht, von ihr sich unterscheidet. Wie hängt der „Seitenblick“ mit der Barmherzigkeit (die auch aus der Seite erschaffen ist) zusammen?
    Die aufgedeckte Blöße („sie erkannten, daß sie nackt waren“) hat ihren Grund in der Verwechslung von Realität und Symbol, so wie es bei Freuds Konzept vom „Penisneid“ nicht um den realen Penis, sondern um das Macht- und Sexismussymbol geht (den Turm, das Stethoskop, die Krawatte, den Zeigefinger).
    Ist nicht die Hysterie die Symbol-Krankheit schlechthin, eine Krankheit, die den Gesetzen der Symbollogik gehorcht, und wie hängt das mit ihrer Beziehung zur Barmherzigkeit zusammen? – Hysterie ist der Name der Abfolge der symbolischen Gestalten, die die Barmherzigkeit in der Isolationshaft der Gemeinheit annimmt.
    Die Theorie des Namens müßte, wie die Kritik des Begriffs, die Logik des Symbols mit enthalten: Das Symbol erlischt in der erkennenden Kraft der Sprache (in der Erkenntnis des göttlichen Namens).
    Die Theorie des Feuers ist das Bindeglied zwischen der Namenlehre und der Theorie des Angesichts. – Das Angesicht ist der Gegenstand der sehenden Ohren; im Feuer verbrennt die Schamgrenze, die Sehen und Hören trennt (das Inertialsystem), und der Spiegel, der die Getrennten auf einander bezieht (das Symbol).
    Aufklärung und Wut, zur Genesis des Nominalismus: Hilft es nicht weiter, wenn man das Inertialsystem als ein Instrument der Wut (das seine destruktive Gewalt zuerst am Namen beweist) begreift?
    Die Kontraktion der Schicksalsidee zum Weltbegriff (Grund der Idee des philosophischen Subjekts) ist ein Wut-Generator, ihr vorbezeichnetes Objekt ist das Objekt der Barmherzigkeit.
    Nationalistische Familienbande, oder die Grenze des Hauses: Mit den Rechten kann man sich in der Öffentlichkeit nicht sehen lassen, aber die Linken kommen mir nicht ins Haus (zur Wut reizen nur die Linken).
    Ist nicht das Ding das maskuline Gegenstück zur Materie (und Hegels Logik eine Logik des Dings)?
    Die Feindesliebe, der Verzicht auf projektive Erkenntnis (die Arglosigkeit), ist die Frucht des Keuschheitsgebots.
    Das Labyrinth ist das Symbol der multidimensionalen Verzweigung des Begriffs. Aber führen nicht alle Wege im Labyrinth zum Minotaurus (zum Begriff des Absoluten), während nur der Faden der Ariadne den Ausweg weist?
    Die Philosophie hat den Mythos nicht besiegt, sondern durch seine „Überwindung“ vor ihm kapituliert. So war in der christlichen Dogmengeschichte jede überwundene Häresie zugleich das Denkmal einer Kapitulation. Eine Dogmatik, die nur den Abscheu vor den Häresien vermittelt (die immer nur pfui sagt), fällt ihnen eben dadurch zum Opfer (das Dogma im Schuldverschubsystem, die Bekenntnislogik und die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens).
    Zitiert Augustinus in seinem Titel „de genesi ad litteram“ mit dem Begriff der littera, des Buchstabens, der Schrift, nicht die Logik der Schrift? Hierauf, auf die Logik der Schrift, scheint sich auch der paulinische Gegensatz von Buchstabe und Geist zu beziehen. Die Frage ist, ob nicht die Elemente (die stoichaiai), die Archonten, die Herrschaften und Mächte der Welt, in der Logik der Schrift ihre Grundlage haben.
    Läßt die Beziehung der Elementenlehre zur Logik der Schrift nicht an den Differenzen der griechisch-philosophischen Elementenlehre zu ihrer jüdisch-prophetischen Entsprechung im Anfang des biblischen Schöpfungsberichts sich ablesen (Erde, Wasser, Feuer, Luft, zu Erde, Himmel (dessen Name aus den Namen von Feuer und Wasser gebildet ist), dem Geist (ruach, pneuma) über den Wassern; warum sind das Licht und die Finsternis, auf die es sich bezieht, keine Elemente)?
    – Jeremias 306: Fragt doch und seht, ob ein Mannsbild gebiert! und
    – 3122: Denn der Herr schafft Neues im Lande: das Weib wird den Mann umgeben.
    – 3134: Da wird keiner mehr den andern, keiner mehr seinen Bruder belehren und sprechen: „Erkennet den Herrn!“ sondern sie werden mich alle erkennen, klein und groß, spricht der Herr; denn ich werde ihre Schuld verzeihen und ihrer Sünden nimmermehr gedenken. – Hierzu Walter Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar.

  • 11.7.1994

    Beklemmende Komik der altorientalischen Geschichtsschreibung: Hier ersetzt die martialisch-nationalistische Phantasie, an deren Sprachgestalt sich ablesen läßt, daß es so nicht gewesen sein kann, die kritische Arbeit. Der Stil, der den Schein erweckt, der Historiker beschreibe eine lebendige Gegenwart, gleicht nicht zufällig dem von Theologen, die ihre eigenen Vorurteile als Gottes geheime Pläne ausgeben. Sowas macht man (auch in der atheistischen Theologie, die an die Gegenwart Gottes nicht mehr glaubt) nur mit Toten. Paulus und die „Heidenmission“: die Korrumpierung des Christentums durch den Erfolg. Es würde der Sache sehr nahe kommen, wenn man die Geschichte der Theologie als Geschichte ihrer Abtreibung begreifen würde. Hängt die Tatsache, daß im Hebräischen auch die zweite Person (das Du) geschlechtsbezogen ist, damit zusammen, daß es in ihr kein Neutrum gibt? Ist die zweite Person durch Neutralisierung zur Person (durch ihre Fähigkeit, Eigentum zu haben) geschlechtsneutral geworden; und ist diese Fähigkeit in der Subsumtion des Grund und Bodens (des Ackers) unters Tauschprinzip begründet? Das Arier-Problem läßt sich auf die Grundfrage zurückführen: Wer hat den Vorrang, der Phallus oder die Zunge (das Volk oder die Sprache)? Haben Feuer und Wasser etwas mit Sem und Japhet, mit Hören und Sehen, zu tun? Der Staat ist eine Kapitalmaschine; für ihn ist das Arbeitslosenproblem eine ökonomie-technische Frage: Vorrang hat die Frage der „Konjunktur“, von der die Staatseinkommen abhängen; das Arbeitslosenproblem ist nur ein Mittel der Rationalisierung der Steigerung des Sozialprodukts, von der die Arbeitslosen nichts haben. Aber wird nicht in der Tat das Steuersystem immer mehr zu einem Steuerungssystem, das die Erträge in die richtigen Taschen leiten soll? Und ist nicht dieses Steuersystem im Hinblick auf den Staatsertrag ein Beschleunigungs-, im Hinblick auf die Vollbeschäftigung (auf das „Recht auf Arbeit“) hingegen ein Bremssystem? Dadurch nämlich, daß sie (über die Lohn- und Einkommensteuer) die Arbeitskosten zusätzlich belastet. Wäre eine Infrastruktursteuer denkbar, die die Nutznießer der gesellschaftlichen Vorleistungen direkt an ihren Kosten beteiligt, und wäre sie nicht im Hinblick auf die wirtschaftliche Gesamtrechnung ehrlicher? Ist nicht die Erfindung der Tiefenzeit auch ein Ausbeutungsphänomen, das an der Kapitalstruktur und -funktion des nachfaschistischen Staates, des Staates nach dem faschistischen Modernisierungsschub, nachzuweisen wäre (hat Hegel mit der Kritik der kantischen Dinge an sich nicht die Ursachen der Erscheinungen aus dem Blickfeld gerückt)? Hegels Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, wäre endlich zu verifizieren durch den Versuch der Bestimmung der Struktur des Reichtums (durch Analyse seines mathematischen und seines dynamischen Teils sowie wie der Beziehung beider). Die Eigentumsseite ist seine mathematische, seine ruhende Seite, während die Frage der Entstehung und der Erhaltung des Reichtums, seine dynamische Seite, eine merkwürdige Eigenschaft aufweist: sie ist Teil eines fortschreitend sich beschleunigenden Prozesses der Selbsterhaltung durch Selbstvernichtung: der Erneuerung durch Selbstaufopferung; sie ist ein Teil der fortschreitend sich beschleunigenden Umlaufzeiten des Kapitals (hier liegt das derzeit explosiv sich ausbreitende Tätigkeitsfeld der Banken). Wäre bei der Analyse der inneren Struktur des Reichtums nicht die alte Astrologie (die selber schon eine durch Projektion in den Kosmos sich selbst entfremdete Analyse des Reichtums war) eine wichtige Hilfe (durch die Beziehungen Venus/Reklame, Merkur/Zirkulation, Mars/Konkurrenz, Jupiter/Recht)? Die Propheten haben vom „Tag des Herrn“ gesprochen, Jesus sagte bei seinem ersten Auftreten in Kana: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Einer der Quellpunkte der Gemeinheit: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es die List, die Übervorteilung der Dummen nicht geben. Im Kontext der Bekenntnislogik ist die politisch-gesellschaftliche Analyse weniger wichtig als das Feindbild, ohne das es die projektive Schuldverarbeitung, die dem Herrendenken zugrundeliegt, nicht gibt. Im Bann der Bekenntnislogik ist der dialektische Materialismus zur Ideologie geworden; der Antisemitismus ist die selbstreferentiell gewordenene Bekenntnislogik. Die Bekenntnislogik ist das logische Äquivalent des prophetischen Symbols des „Taumelbechers“, der Trunkenheit (und das Herrendenken das logische Äquivalent der Trunkenheit)?

  • 6.7.1994

    Sind die „Wolken des Himmels“, auf denen der Menschensohn kommen wird, der Beginn der Trennung von Wasser und Feuer, und ist das Bild von dem wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmel ein anderes Bild für diese Trennung?
    Das „es werde“ und das „es ward“ des ersten Schöpfungstages wird im Text durch das gleiche Wort (und die gleiche grammatische Form dieses Wortes) bezeichnet. Es kann demnach auch heißen: Gott sprach: es ward Licht, und: es werde Licht. Während die übliche Übersetzung mit der (auch zeitlichen) Abfolge von Befehl und Vollzug, Ausdruck absoluter Souveränität ist, bleibt die Möglichkeit offen, ob der Schöpfungsbericht (nicht nur in seinem Anfang: wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes über den Wassern) genauer als eine Abfolge von Katastrophe und Rettung zu begreifen wäre.
    Die Lehre von der Auferstehung ist in der Schöpfung im Namen des Himmels symbolisiert.
    Hat nicht die Kollektivscham Auschwitz in die Vergangenheit verbannt, an die Stelle der Gegenwart von Auschwitz die Gegenwart der „Welt“ (der Siegermächte), vor denen die Deutschen sich zu schämen haben, gerückt? Ist Kohls „Versöhnung über Gräbern“ nicht eine Konsequenz aus der Logik der Kollektivscham?
    Jede Scham bezieht sich auf ein vergangenes Ereignis und verhindert (im Gegensatz zur Schuld) geradezu seine Erinnerung und produktive Verarbeitung. Sie unterliegt darüber hinaus sogar der Gefahr der Instrumentalisierung im Schuldverschubsystem: der Erpressung des Täters, auf dessen „Vergebung“ der sich Schämende Ansprüche geltend zu machen sich ermächtigt glaubt: er hat mit der Scham doch seine Vorleistung erbracht. Die Scham ist einerseits peinlich, andererseits aber auch wieder nützlich: Man will gar nicht mehr über die Scham hinaus, da sie als Mittel der Stabilisierung der exkulpierenden Logik des Weltbegriffs (der endgültigen Säkularisierung des theologischen Erbes im Säkularisationsprozeß) sich erweist.
    Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht. Das heißt: sie waren frei.
    Takt ist die Fähigkeit, dem andern die Wahrheit zu sagen, ohne ihn zu beschämen. Insofern ist die gesamte Dogmengeschichte zwar nicht scham-, wohl aber taktlos: Sie verletzt das Keuschheitsgebot.
    Hat Taktik etwas mit Takt zu tun (als die List der Instrumentalisierung des Takts, durch die er zur Gemeinheit wird)? Und ist nicht die Gemeinheit die idealistisch (oder zum Selbstzweck, zum Absoluten) gewordene Taktik?
    Es gibt ein Besehen, Betasten, Befühlen, aber es gibt kein Behören (wohl eine Behörde). Was hat das Sich verhören mit dem Verhör (jemanden verhören) zu tun?
    Hegel, oder der falsche Prophet: Die Prophetie ist ihre Zeit in Gedanken gefaßt, aber im Gegensatz zur Philosophie ist dieser Gedanke bis heute uneingelöst.
    Fußball ist ein Zuschauerspiel: Der Zuschauer braucht (aufgrund seiner konstitutionellen Ohnmacht und Nichtexistenz) die Realimagination des Sieges. Etwas von der Qualität des Siegers geht (durch den magischen Mechanismus des Schuldverschubsystems) vom Spiel auf den Zuschauer über. Wer nicht zu den Gewinnern gehört, ist „weg vom Fenster“: Dieses Fenster ist das Schaufenster oder die Mattscheibe des Fernsehers, jedenfalls die absolute Trennwand, die den Zuschauenden vom Handelnden, oder – ihrem eigenen Bewußtsein nach – heute alle vom „wirklichen Leben“ (das im Fernsehen wie in den unzugänglichen und unerreichbaren Bereichen der Gesellschaft stattfindet) trennt. Dieses Fenster entscheidet darüber, auf welcher Seite einer steht. Sport als Liturgie: Steht der Zuschauersport nicht in der Tradition des Meßopfers und der öffentlichen Hinrichtungen, den traditionellen Herrschaftsliturgien?

  • 3.7.1994

    Das Gebet ist die Antwort auf die Einsicht, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
    Die jüdische-christliche Tradition unterscheidet sich vom gegenwärtigen Utopiebegriff dadurch, daß sie die Vergangenheit (die Natur) in die Utopie mit hereinnimmt.
    Wenn das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht ist, heißt das nicht auch: Hegels Geschichtsphilosophie gegen den Strich bürsten?
    – Der evangelische Rat des Hörens ist der Ausgangspunkt einer Kritik der Logik der Schrift,
    – die Armutsforderung liegt der Kritik des Geldes (des Kapitalismus) zugrunde,
    – das Keuschheitsgebot der Herrschaftskritik.
    Der dem Begriff der Keuschheit korrespondierende Begriff der Unschuld ist immer als natürliche Unschuld, als Unschuld vor der Sünde, verstanden worden. Aber diese Unschuld hat es nie gegeben. Muß dann nicht auch die Keuschheitsforderung auf das Werk der Versöhnung bezogen werden?
    Unschuld und Glück sind korrespondierende Begriffe. Beide sind nicht am Anfang, sie sind nicht etwas zu Bewahrendes; sie sind Ziel, nicht Ursprung (Unschuld ist zu gewinnen durch Sündenvergebung).
    Ist nicht die Opferfalle eine Unschuldsfalle: Wer reines Opfer ist, für den ist der Täter, der Schuldige, erkennbar.
    Das Wahrnehmungsorgan der Sensibilität ist die Sprache (das Hören).
    Der Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, beweist schlagend die Asymmetrie von Ethik und Recht. Er ist insofern der Beginn einer Gottesbeweises, als er gegen die Hypostasierung des Rechts die Ethik als prima philosophia zu begründen vermag (die Ontologie schützt die Gemeinheit).
    Die Universität ist die Tathandlung, die Fichtes Wissenschaftslehre begründet.
    Die Sprache konstituiert die Welt; weshalb sprengt dann die Todesangst das All? Ist das Neutrum (und sind die ihm korrespondierenden grammatischen Strukturen) das Produkt der Verdrängung der Todesangst?
    Was bedeutet es eigentlich, daß in den semitischen Sprachen auch die zweite Person schon (oder noch) geschlechtsbezogen (männlich oder weiblich) ist? Hinweis: Ein Neutrum wäre in der zweiten Person nicht denkbar; und die Verschiebung der Geschlechtsabhängigkeit in die dritte Person verändert die Beziehung zur Sexualität insgesamt.
    Während es die Aufgabe der Geschichtsschreibung zu sein scheint, die Vergangenheit stillzustellen (so daß sie die Gegenwart nicht mehr beunruhigt oder belastet), hatte die jüdische Geschichtserinnerung die irritierende Eigenschaft, die vergangenen Sünden zu erinnern (bis hin zur Sünde Adams, zur „Sünde der Welt“). Hier gründet die verhängnisvolle Wirkung, die der christlichen Erlösungslehre sich verdankt: Durch eine geringfügige Verschiebung (durch Herausnahme der Übernahme der Sünde der Welt aus dem Nachfolgegebot, mit der Konsequenz der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu) hat sie der Erinnerung, dem Eingedenken, den Weg verstellt.
    Nicht zufällig hat die Aufklärung (bis hin zu Hegel) den Sündenfall als Akt der Befreiung verstanden.
    Der Hinweis im neuen Weltkatechismus, daß „Himmel und Erde“ ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, leugnet den Sündenfall und bringt in die Theologie einen Widerspruch hinein, der in ihr nicht mehr zu lösen ist: der die Wahrheit, und mit ihr die Menschen, aus der Theologie heraustreibt (abtreibt). Hier gründet das projektive Moment in der kirchlichen Stellung zur Abtreibungsdebatte. Aber wird mit den Frauen nicht die einzige in der Schrift bezeichnete Instanz, die die Feindschaft gegen die Schlange repräsentiert, aus der Kirche herausgetrieben?
    Paulus hat nicht „die Gemeinde“ (die Kirche) verfolgt, sondern er war verantwortlich für einen Mord: die Steinigung des Stephanus. Bei seinem ersten Besuch in Jerusalem waren es die „Hellenisten“ (nicht die Juden), deren Angriffen er ausgesetzt war, und während er nach dem Galaterbrief nur Kephas (und den Herrenbruder Jakobus) getroffen hat, ist er nach der Apostelgeschichte „bei den Jüngern“ aus- und eingegangen. Salus/Paulus hat den Zebedäussohn Jakobus offensichtlich nicht mehr getroffen (die Hinrichtung des Jakobus war später als die Verfolgungen des Saulus, aber vor dem ersten Besuch des Saulus in Jerusalem).
    Der erste „Bischof“ in Jerusalem war der „Herrenbruder“ Jakobus (der zum „Apostel“ als nachträglicher „Zeuge“ der Auferstehung geworden ist, vgl. 1 Kor 157).
    Verfolgungen in Jerusalem:
    – durch Hohepriester/Sadduzäer: die Apostel (Apg 517ff),
    – durch „einige aus der Synagoge, welche die der Libertiner und Cyrenäer und Alexandriner genannt wird“ und Saulus: Stephanus und die „Gemeinde“, die „Hellenisten“ (Apg 69ff),
    – Herodes: Hinrichtigung des Johannes-Bruders Jakobus (einer der Zebedäus-Söhne) und Gefangennahme des Petrus (Apg 121ff).

  • 2.7.1994

    Es gibt keine Erinnerung ohne Vergessen: Das nachtragende Gedächtnis (das Elefantengedächtnis, in der Geschichte der Nationalismus, aber auch die Mathematik) zerstört die Erinnerung durch seinen Egozentrismus (durchs Selbsterhaltungsprinzip, auch das von Kollektiven: durch den Weltbegriff, den Inbegriff der durchs Selbsterhaltungsprinip definierten Objektivität). Der Weltbegriff ist der Inbegriff des nachtragenden Gedächtnisses und seiner Logik. „Verstehen Sie Spaß?“ Dieser Spaß fängt dort an, wo er im Ernst aufhören sollte: bei der Gemeinheit. Wie hängen Ursprung und Logik der Schrift mit dem Ursprung und der Logik des Weltbegriffs (mit dem Ursprung der Bekenntnislogik und des Schuldverschubsystems) zusammen? Ist nicht die historische Bibelkritik ein Produkt der Anwendung der Logik der Schrift auf ein Werk, das nur als Kritik dieser Logik verstanden werden kann? Die Grammatik ist das Medium, in dem die Logik der Schrift in der Sprache sich entfaltet. Insbesondere die indogermanischen Sprachen scheinen den Ursprung der Schrift schon vorauszusetzen, aus der Anpassung an die Logik der Schrift sich herleiten zu lassen (über den Ursprung des Neutrum, der veränderten zeitlichen Organisation der Sprache, und zusammen mit dem Ursprung des Weltbegriffs).

  • 27.6.1994

    Gründet der sprachlogische Unterschied zwischen den indogermanischen und den semitischen Sprachen (der Ursprung des Neutrum, der in der biblischen Tradition im Bild der Schlange vorgestellt wird) in der Logik der Schrift? Und wie hängt die „Erfindung der Schrift“ mit dem Turmbau zu Babel zusammen? Hat die babylonische Sprachverwirrung – etwas mit dem Namen des Teufels (des diabolos, des Verwirrers) zu tun und – bezeichnet sie nicht eher eine neue logische Struktur der Sprache als die Ablösung der Sprachen von einer gemeinsamen Ursprache und ihre endgültige Trennung in verschiedene Sprachen? Bezieht sie sich damit nicht auf den Ursprungsakt des Indogermanischen: den Ursprung des Neutrum? Und ist die „Verwirrung“ nicht der Ursprungsort des Schuldverschubsystems im Kern der Srpachlogik: symbolisiert im Kelchsymbol, in der Trunkenheit, im Taumelbecher (Geld, Bekenntnis, Inertialsystem)? Der Staat, die Familie und das Privateigentum gründen in der Logik der Schrift (und darauf beziehen sich die drei evangelischen Räte). Hat der Satz, daß die Gotteserkenntnis am Ende die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken, etwas mit dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ zu tun? Auch beim Exodus aus dem Sklavenhaus des Begriffs werden die Erstgeburten der Ägypter getötet und die Schätze der Ägypter geraubt. Die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft ist der Grund, aus dem die drei Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt hervorgehen. Repräsentiert nicht das Präfix be- das „hinter dem Rücken“ (bekehren, bekennen, bearbeiten), und gehört es damit nicht zur Ursprungsgeschichte des Neutrums? Und liegt hier nicht der Grund für seine Verwendung als Infinitiv von Sein im Englischen (vgl. Rosenzweigs Hinweis auf die „verandernde Kraft“ des Seins)? Das Hinter dem Rücken ist eine Emanation der Finsternis. Dieser Satz hängt zusammen mit der Objektdefinition (Inbegriff der Nächte, der Finsternisse, die die Schöpfungstage von einander trennen). Was bedeutet im Judas-Brief (wer ist sein Verfasser?) die merkwürdige Stelle, wonach Michael und Luzifer sich um den Leichnam des Moses streiten, und ist diese Stelle eigentlich wirklich damit erledigt, daß man ihre Herkunft angeben kann (nach Origenes aus dem apokryphen Buch „Die Himmelfahrt des Mose“)? Werden nicht durch die Judas-Zitate auch diese „Himmelfahrt des Mose“ und die Henoch-Apokalypse wichtig? Vor allem: Wen repräsentieren hier Michael und Luzifer? Die Dogmengeschichte ist die Geschichte der fortschreitenden Abstraktion vom Zeitkern der Wahrheit (ihrer fortschreitenden „Ent-Prophetisierung“). Diese Geschichte fällt unter das Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Das im wörtlichen Sinne „Verrückte“ an der Hegelschen Philosophie liegt darin, daß er in dieser Geschichte der Abstraktion vom Zeitkern der Wahrheit selber wiederum einen Zeitkern entdeckt hat. Das Fernsehen als Säkularisation von Platos Höhlengleichnis. Zu den Summenzahlen: 153 liegt 3×6-1 zugrunde, 276: 4×6-1, und 666: 6×6. Sind Merkur und Venus Sonnenplaneten, Mars, Jupiter und Saturn Mondplaneten? Philosophie als „Eingedenken der Natur“: Läuft das nicht auf den Versuch hinaus, den Wahnsinn, dem die Bewußtseinsgeschichte zusteuert, von innen aufzusprengen? Die Anwendung des Wortes vom Binden und Lösen auf die kirchliche Bußpraxis, auf das Sakrament der Beichte, hat die Logik des Rechts zur Grundlage der Sündenvergebung gemacht, wobei das Grundproblem des Rechts (Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: das Problem der Heuchelei, das Beweisbarkeitsproblem in jeder Urteilslogik) das theologische Verständnis des Bußsakraments nicht unberührt gelassen hat. Hier liegt der Grund für die Probleme, die heute so viele Katholiken mit der Beichte haben (daß das Schuldproblem, das im Namen von Auschwitz sich anzeigt, im Bußsakrament nicht faßbar ist und nicht gelöst wird).

  • 26.6.1994

    Die Logik der Gemeinheit bezieht sich gerne auf Tatsachen (die sie notfalls auch erfindet, jedenfalls dann, wenn sie im Augenblick nicht „widerlegt“ werden können: „Notlüge“). Durch den Begriff der Tatsachen werden die Schuldbeziehungen dingfest gemacht: werden alle zu Tätern gemacht (und durch die Logik des Weltbegriffs zugleich entlastet). Tatsachen sind die Säulen des Weltbegriffs und die Fixsterne des Schuldzusammenhangs. Tatsachen sind nackt. Tatsachen sind „nackt“, weil sie „nicht widerlegbar“ sind, Gemeinheit hingegen ist nicht nachweisbar. Zur „Sünde der Welt“: Welcher Anfang ist in dem Satz „Im Anfang war die Tat“ gemeint? Zur Theologie im Angesicht Gottes: Nur Gott sieht ins Herz der Menschen. Was wird aus einer Welt, in der der Gedanke an diesen Gott nicht mehr zu halten ist (die von dieser „Gottesvergiftung“ endgültig sich befreit haben wird)? Das Inertialsystem verwandelt die Welt in „alles, was der Fall ist“ (macht Licht und Finsternis ununterscheidbar). Nackte Tatsachen: Der Bereich, in dem das Gesetz der Fortpflanzung des Lichts im Raume gilt, ist der Bereich der aufgedeckten Blöße. Hängt die Existenz des Lebendigen nicht mit der „Fortpflanzung“ des Lichts im Raume zusammen? Die Pflanzen entringen sich der Schwere, „streben zum Licht“; die Tiere haben das Licht verinnerlicht, sind deshalb selbständige (wahrnehmende, dem Selbsterhaltungstrieb gehorchende, Ziele anstrebende, aus eigenem Antrieb sich bewegende) Wesen. Nicht durch den Werkzeuggebrauch, sondern durch die Fähigkeit, die Welt, die den Werkzeuggebrauch begründet und legitimiert, zu reflektieren, unterscheidet sich der Mensch vom Tier. War nicht schon die Astrologie ein kosmologischer Reflex des Selbsterhaltungsprinzips? Das konservative Konstrukt, wonach die Familie die Keimzelle des Staates ist, hat seine Wahrheit darin, daß in der Tat an den Familiendramen heute der Zustand und das Schicksal des Staates sich ablesen läßt. Als Verstärker wirken die Medien, die nur voyeuristisch an diesen Dramen teilhaben, sie für die voyeuristische Bedürfnisse des Publikums ausbeuten. Die Medien unterstützen und verstärken die Rechtfertigungszwänge, die diesen Familiendramen zugrundeliegen, sie determinieren. Die Lindenstraße ersetzt die Nachbarn, die viel langweiliger sind, sie ist ein Isolationsprojekt (sie isoliert die, die ihr verfallen sind, und unterhält die so Isolierten). Sie ist eine Art Beichte im Schuldverschubsystem (bekannt und als Urteilsobjekte vorgeführt werden die Sünden der andern, die Absolution erhält der Zuschauer, nach dem das moralische Urteil insgesamt beherrschenden Prinzip: Gott sei dank, daß wir nicht so sind). Ist nicht das „Bekannte“ („mir ist bekannt, daß …“) Inhalt eines im Schuldverschubsystem auf die Objektivität, auf Anderes oder Andere projizierten Bekenntnisses; das (Glaubens-)Bekenntnis ist das veranderte (Schuld-)Bekenntnis? Verzeihen und Vergessen: Von jemandem, der nicht verzeihen kann, sagt man er könne nicht vergessen. Aber das ist nachweislich falsch. Die Logik dieses Satzes gründet in jener Selbstzerstörung der Erinnerung, ohne die es den Weltbegriff nicht geben würde. Hier liegt die Wurzel der fatalen Folgen des christlichen Erlösungskonzepts, das die ganze Vergangenheit dem Vergessen überantwortet. Zur Frage der Säkularisierung theologischer Gehalte: Die Anwendung dieses Konzepts auf die Rechtfertigungslehre, die schon in den Wurzeln des Christentums angelegt ist, führt über die Bekenntnislogik direkt in den Faschismus. Bekenntnistheologie ist Feigenblatt-Theologie, ist Heuchelei. Das Rechtfertigungsproblem ist ein Teil des Schamsyndroms (im Paradies heißt es: „sie waren nackt und sie schämten sich nicht“; nach dem Sündenfall hingegen „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: aber kein Wort, daß sie sich jetzt schämten). Die subjektiven Formen der Anschauung werden sich der Reflexion solange entziehen, wie von der Schuldreflexion abstrahiert wird. Zur dritten Leugnung: Die Sünde wider den Vater und die wider den Sohn können vergeben werden, die Sünde wider den Heiligen Geist kann weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden. Das Objekt ist der Inbegriff der sechs Finsternisse (der sechs Nächte), durch die die sieben Schöpfungstage voneinander getrennt sind, und die wie diese zum Schöpfungsbericht gehören. Gehört nicht der Stalinismus, das Problem „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“, in die Geschichte der Parusieverzögerungen? – Die Bekenntnislogik, die im „Diamat“ auch den „real existierenden Sozialismus“ beherrschte, (und in ihrem Kern der Weltbegriff selber) ist das notwendige Korrelat der Parusieverzögerung. Ist das Schicksal des Stalinismus, des „real existierenden Sozialismus“, ein Menetekel für die Kirche?

  • 18.6.1994

    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Orthodoxie und Dogma beruhen auf der Anwendung der im Rechtsstreit entwickelten und geltenden Beweisgrundsätze auf den Bereich theologischer Erkenntnis (mit der Folge, daß am Ende der „Glaube“ all das bewahren muß, was durch die Lücken der Beweisbarkeit fällt). Mit diesen Grundsätzen aber wird die Unbeweisbarkeit („nur Gott sieht ins Herz der Menschen“) und schließlich die Unkenntlichkeit der Gemeinheit (die Exkulpationsautomatik des Weltbegriffs) in die Theologie verpflanzt, wird schließlich eine Theologie begründet, die gegen ihren Gebrauch durch die Gemeinheit keinen Schutz mehr bietet. Liegt hier nicht der Grund für den Ursprung (die Konstruktion) des Inertialsystems (und der Schlüssel für das wirkliche Verständnis des Relativitätsprinzips, für die Erkenntnis seines Zusammenhangs mit der Bekenntnislogik)?
    Ein anderer Name für die „Heiligung des Gottesnamens“ (oder auch für das „Bekenntnis des Namens“): Theologie im Angesicht Gottes. Die Kritik der „Theologie hinter dem Rücken Gottes“ gehorcht und entspricht der Intention der Erfüllung der zweiten Bitte des Herrengebets und der Bekenntnispflicht.

  • 14.6.1994

    Angriff auf die Barmherzigkeit: Mit fortschreitender Säkularisation, mit der Entfaltung, Ausbreitung und Stabilisierung des Inertialsystems (der Geldwirtschaft, der Bekenntnislogik), entfalten sich die Kräfte der Gemeinheit, die dann gegen jede Manifestation der Barmherzigkeit draußen, deren Regung im eigenen Innern sie um der Selbsterhaltung willen schon im Keim verdrängen müssen, sich zuspitzen. Gnadenlosigkeit wird zum Markenzeichen der „Persönlichkeit“ (Ursprung des „steinernen Herzens“). Eines der frühesten Warnsignale (dem der Ursprung der Psychoanalyse sich verdankt) war die diskriminierende Abwehr der letzten Erinnerung an die Barmherzigkeit, die im Namen der Hysterie sich ausdrückt. Ausdruck der Hysterie aber war ihr Name. nicht das, was dieser Name bezeichnen sollte (exemplarisches Modell des projektiven Erkenntnisbegriffs). Im Namen der Hysterie hat sich der Schoß geöffnet, aus dem der Faschismus gekrochen ist (Eichmann sprach immer von den Ideen, die er „geboren“ hatte). – War die Erfindung der Hysterie eine Vorstufe der Abtreibungsdiskussion?
    Die kirchliche Stellung zur Abtreibungsfrage wird wahr, wenn man sie auf die messianischen Wehen bezieht.
    Ist der gnostische Lösungsversuch des Weltproblems (Erschaffung der Welt durch einen Demiurgen, der dann allerdings, anstatt als Staat begriffen, durch projektive Verschiebung mit dem jüdischen Gott identifiziert wurde) nicht eng mit der paulinischen Tendenz, den Konflikt mit dem Römischen Staat auf die jüdische Tradition (das „jüdische Gesetz“) abzuwälzen, verbunden? War nicht die Gnosis überhaupt so etwas wie die – zwangsläufig aus dem christlich-jüdischen Urschisma folgende – Urhäresie, aus der die nachfolgenden häretischen Bewegungen (bis zum Verbrauch der häresienbildenden Kraft in der Reformation) sich müssen ableiten lassen? Das Urschisma, die Gnosis und die Verurteilung der Gnosis ist als Ganzes der dramatische Prozeß der ersten Leugnung.
    Atomphysik und die Umkehr: Ist das Atommodell die mathematische Parodie der Lösung der sieben Siegel (vorgestellt am Prozeß der Abfolge der Umkehr aller Richtungen in ihrem Ursprungspunkt)?
    Tod und Auferstehung haben etwas mit der Beziehung von Erde und Himmel zu tun (wer den Himmel leugnet, leugnet die Auferstehung). Und wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß der Name des Messias im Namen des Himmels mit erschaffen ist?
    Ist das Wort „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ nicht ein Hinweis auf die messianischen Wehen?
    In dem Feuer, das Jesus auf die Erde bringen wollte, und von dem er wünschte, es brennte schon, werden die oberen und die unteren Wasser wieder zusammengefügt.
    Die unverschämte (unkeusche) Dreistheit einer bestimmten Art des öffentlichen Auftretens von Katholiken (ein Exhibitionsmus, dem man ansieht, welche Mühe er hat, den Vergewaltigungstrieb in sich unten zu halten).
    Als das Christentum seinen Weg in die Welt hinaus begann, war es hilflos und wehrlos gegen die Philosophie und gegen den Römischen Staat.
    Das Objekt des Satzes „Herr vergib ihnen, …“ sind wir, denn wir wissen weniger den je, was wir tun (wir sind die 120 000 in Ninive, die rechts und links nicht unterscheiden können).
    Die Unterscheidung von oben und unten (Religion und Herrendenken) und von vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) ist relativ leicht verständlich zu machen, während die Unterscheidung von rechts und links (Gericht und Barmherzigkeit) ist die schwierigste. Das scheint damit zusammenhängen, daß diese Unterscheidung keine theoretische, sondern eine praktische Unterscheidung ist.
    – Mit der Unterscheidung von vorn und hinten hängt das Urschisma,
    – mit der von oben und unten die Gnosis und die daraus folgende Geschichte der Häresien,
    – mit der von rechts und links die patriarchalische Struktur der Kirche und der Sexismus zusammen; hier beantwortet sich die Frage nach der Hilfe im zweiten Schöpfungsbericht.
    Leben wir nicht in einer Welt, in der das Normale verrückt ist und das Verrückte der normale Ausdruck der Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit dagegen?
    Zu Umberto Ecos Sprachphilosophie: Es fehlt die Kritik des Neutrum.
    Drei Gestalten der Finsternis: die Nacht, die Farben und die Materie.

  • 8.6.1994

    Ist die Lichtgeschwindigkeit (das Prinzip der Konstanz der Lichtgschwindigkeit) eine „Schranke“ im Hegelschen Sinne (keine Grenze): die des Inertialsystems und der naturwissenschaftlichen Erkenntnis insgesamt? In der Vorstellung des leeren Raumes abstrahiere ich nicht nur von den Dingen, sondern auch vom Blick der andern: Diese Abstraktion wird zusammengefaßt in dem Begriff „Laborbedingungen“. Schuld, Arbeit und Tausch: die drei Dimensionen des Geldes. Merkwürdig, daß der Begriff der „Erschaffung der Welt“ im Neuen Testament nur bei Paulus, und zwar bei seinem Besuch in Athen (in der Apostelgeschichte) und in seinem Brief an die Römer, vorkommt. Ist nicht das Fehlen einer Kritik des Finanzkapitals, des Depositengeschäfts und des Kreditwesens (der Banken), der Geschichte der Schuldknechtschaft, der Basisfehler der marxschen Kritik der politischen Ökonomie? So wurden die Schätze der Hegelschen Logik nicht wirklich ausgeschöpft und gerettet, während umgekehrt schon bei Engels die Anpassung an den naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriff (und das daraus geschöpfte Technologiekonzept) den Weg in den „real existierenden Sozialismus“, der eigentlich ein Staatskapitalismus war, eröffnete. Zur Theorie des Feuers: – Das Feuer ist ein Grenzproblem der Sprache (genauer: ein Problem der Grenze der Sprache, wie das Lachen, das Weinen, die Scham, die zu den Konstituentien der Sprachlogik, nicht zu ihren Objekten, weder zu ihren Formen, noch zu ihren Inhalten, gehören); – hierzu gehört die Stelle im Jakobusbrief über die Zunge (Sprache, Logik und Gemeinheit); – der sprachliche Grund des katholischen Mythos: Himmel, Hölle und Fegfeuer; – doppelte Umkehrung der Kritik der Astrologie: die apokalyptische Passage in 2 Ptr bezieht sich auf den Himmel der Astrologie und der Astronomie zugleich; – die paulinischen Archonten, die Elemente der Welt und das Harren der Kreatur. Benjamins Theorie vom Zerfall der Aura hat mit der Abstraktion vom Gesehenwerden zu tun (der Blick des Kunstwerks, sein mythisches Erbe, das im Licht des Tauschprinzip zur Echtheit verdinglicht wurde, wird mit seiner technischen Reproduktion gelöscht). Darauf bezieht sich die Bemerkung Benjamins über das Verhältnis von Nähe und Ferne im Begriff der Aura. Schuldverschubsystem, Unrecht und Bekenntnis: Die Fähigkeit eines Sportlers, nach der berechtigten Ahndung eines Fouls die empörte Unschuld zu demonstrieren, gehört nach einer Bemerkung des Sportreporters „zum Handwerk“ (das Publikum fällt drauf rein, hält die Entscheidung für himmelschreiendes Unrecht und läßt seinen Ärger am Schiedsrichter und an den Parteigängern des Gegners aus). – Hierzu paßt die Funktion der Medien in realen Konflikten, im Golf- und im Bosnienkonflikt ebenso wie in politischen und sozialen Auseinandersetzungen, die ohne die Wirksamkeit (und den geschichtlichen Stand) der Bekenntnislogik keinen Grund finden würde.

  • 25.5.1994

    Unsichtbar gewordener (gemachter) Terror (Objektivität und Gemeinheit): Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, und das aus beweisrechtlichen Gründen. Grund ist das Problem der Nachweisbarkeit, das Beweisproblem; Gefahr besteht u.a. (außer aus Gründen, die in der Beweislogik selber liegen) aufgrund der Manipulierbarkeit des Beweisrechts durch – Einschränkung der Verteidigerrechte, – Einflußnahme auf die Zeugen (Kronzeugenregelung), – Einschränkung der Zugriffsmöglichkeit der Gerichte auf Beweismittel (Recht der Verwaltung, Dokumente als geheime Verschlußsache einzustufen, sie so als Beweismittel unverwendbar zu machen), – Einbindung der Ermittlungsorgane in die hierarchisch organisierte staatliche Verwaltung (Weisungsbefugnis der vorgesetzten Behörden), – Einflußnahme schon im Vorfeld: durch Übertragung polizeilicher Befugnisse (Ermittlungsaufgaben) auf Geheimdienste, Verfassungschutzorgane (Modell Gestapo, Stasi). Lassen sich hieraus Kriterien entwickeln zur Ermittlung der potentiellen „Brutstätten der Gemeinheit“ in staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen (Knäste, „geschlossene Anstalten“, hierarchisch organisierte Körperschaften wie Kirchen, Schulen, Verwaltung, Polizei und Militär, die obersten Ermittlungsbehörden)? Der Menschensohn auf den Wolken des Himmels: Sind diese Wolken Gewitterwolken (wie im Buch Hiob), und die Blitze Vorankündigungen des göttlichen Lichts, das das der Sonne ablösen wird? Das Inertialsystem, als dessen philosophische Reflexion die kantische Philosophie sich erweist, ist selber der Kern des Abstraktionsgesetzes der Philosophie insgesamt. Erst vor diesem Hintergrund wird die ungeheure Bedeutung der einsteinschen Entdeckung: des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit erkennbar. Das aristotelische tode ti kommt im Inertialsystem zum Begriff seiner selbst. Hegels Analyse des Hier und Jetzt in der Phänomenologie des Geistes kann man lesen als das philosophische Gegenstück zum Relativitätsprinzip. Aber genau hierauf bezieht sich auch das apokalyptische Symbol der sieben unreinen Geister und die Geschichte mit Maria Magdalena, aber dann auch das Wort von dem Lamm, das die Sünde der Welt auf sich nimmt und würdig ist, die sieben Siegel zu lösen. An dieses Lösen erinnert das Wort vom Binden und Lösen (und sein kosmischer Reflex im prophetischen Wort vom Orion und den Plejaden), wie überhaupt die Apokalypse erst durchsichtig und verständlich wird vor diesem Hintergrund: als Lösung des Problems der Geschichte der Säkularisation und des Profanen.

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