„Führungsqualitäten“ sind heute mit Anschauungen, Gesinnungen und Verhaltensweisen verknüpft, die vor allem durch Rücksichtslosigkeit sich auszeichnen (insbesondere die FAZ pflegt und kultiviert diese Eigenschaften). Ist es ein Zufall, daß die hier in Frage stehenden Kompetenzen unter anderem bei Leuten zu finden sind, die in der Nazizeit nicht nur mitgemacht haben, sondern – auf welcher Ebene auch immer, in jedem Falle aber nach dem eigenen Bewußtsein – systemtragende Funktionen innehatten? Wer damals zur Schule gegangen ist, braucht sich nur die spätere Karriere der Mitschüler anzuschauen, die seinerzeit Jungvolk- oder HJ-Führer gewesen sind.
Gesellschaft
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27.06.87
Selbstmitleid und Paranoia: Nach der intensiven Einübung unterm Faschismus in Deutschland hat Innerlichkeit (als Selbstmitleid) die Menschen so weit ergriffen, daß sie nicht mehr wahrzunehmen in der Lage sind, was um sie herum vorgeht; an die Stelle der Realität tritt eine Welt, die nur noch der Durchsetzung der Eigeninteressen im Wege steht, d.h. tendenziell als feindlich, wenn nicht als bösartig und hinterhältig wahrgenommen wird. Hilfestellung leistet hier die Bewußtseinsindustrie, vorab das Fernsehen. Die Bösartigkeit und Hinterhältigkeit der Außenwelt wird zugleich zur Begründung und zum Alibi der eigenen: so wird paranoische Phantasie zur Realität und diese Realität allgemein.
Der Grad der Allgemeinheit drückt sich in der herrschenden Politik aus, die diesen Trend widerspiegelt und verstärkt: am Ende unterwirft die Innerlichkeit sich die Welt, die ihr dann keinen Ausweg außer dem durch die Paranoia vorgezeichneten mehr offenläßt. Vor den Folgen dieses Trends scheint im Augenblick keine der politischen Richtungen (einschließlich der sich selbst als alternativ begreifenden) geschützt zu sein.
Selbstmitleid wäre gleich dem Versinken in einen Abgrund, fände es nicht seinen Halt an den Rechtfertigungen, mit denen es die gefährdete Ich-Identität zu retten sucht. Aber gerade dieser Ausweg ist der sichere Weg in den Abgrund: der des Vorurteils, mit all den Folgen, die das fürs Handeln und für den Zustand der Welt nach sich zieht.
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19.09.87
„Wir Deutschen!“ – Daß die, die ihr Deutschtum betonen, des Deutschen nicht selten nicht mächtig sind, ist ein spätestens seit Kraus bekannter Sachverhalt. Vielleicht lohnt sich eine nähere Betrachtung: Die Vermutung scheint nicht unbegründet zu sein, daß der Fehler nicht in der Unkenntnis der Grammatik gesucht werden darf, sondern daß in ihm deutlich und präzise eine bestimmte Stellung des Bewußtseins zur Objektivität sich ausdrückt.
Korrekt müßte es (trotz Duden) heißen: „Wir Deutsche“; die falsche Bildung könnte entstanden sein aus einer Vermischung von „Wir Deutsche“ und „die Deutschen“, von erster und dritter Person Plural. Das aber würde bedeuten, daß das „Wir“ in diesem Falle zu vermeiden sucht, als verantwortliches Subjekt sich zu bekennen, und, indem es mimetisch in die Rolle der dritten Person („die Deutschen“) überwechselt, nur als Objekt (des Schicksals, der Vorsehung, oder welcher höheren Macht auch immer) sich präsentiert, genau daraus aber wiederum die Kraft der Emphase bezieht: Das aber ist der Kern und der kürzeste Selbstausdruck faschistischer Massenpsychologie (vgl. den Begriff des „Volks“).
Zum Duden (Mannheim 1980, S. 204: „Wir Deutschen“ – auch „wir Deutsche“):
– Adjektive/Partizipien werden nach „wir“/“ihr“ schwach gebeugt (Duden S. 17; Gleichbehandlung von Wir und Ihr!). Schwache/ starke Deklination entspricht substantivischer/ adjektivischer Bedeutung (unsere deutsche Vorfahren?). Das A./P. wird stark gebeugt, wenn es allein vor einem Substantiv steht (also adjektivisch gebraucht wird) oder wenn ein Artikel, Pronomen oder Zahlwort ohne starke Endung vorausgeht. (der deutsche Hund; ein deutscher Hund; viele deutsche Hunde).
– Ist der Nominativ pluralis ein verdeckter Akkusativ (ausgenommen der Plural majestatis)?
Die Deutschen sehen sich selbst nur in den Augen der Anderen.
Schreibt der Duden hier eine Gesinnung vor? (gutgesinnt und wohlgesonnen?)
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26.09.87
Verwirrung der Begriffe durchs Geld: Trennung von öffentlicher und Privatsphäre, Stellung im Produktionsprozeß; Bindung der Religion an die Privatsphäre Ursache der Zerstörung der Religion, Religion als Blasphemie darin begründet; Vorrang der Privat-Perspektive – verstärkt durch Medien (BILD/Fernsehen) – Ursache des Faschismus; Zentrum: Bedeutung der Sexualität (sind Judenpogrome und sexuelle Verfehlungen von Prominenten gleich verwerflich?).
Geld ist der Ursprung des Idealismus, der Generator der Idealisierung auch in dem Sinne, daß der Schmerz, das Leiden (die Materialität) in ihm aufgehoben und (zum Schein) vernichtet sind.
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06.10.87
Krebsartiges Wachstum der Technik: das Neue, Bessere, Überlegene betrifft nicht mehr nur einzelne Verfahren in einem selber stabilen und von den Änderungen unberührten System; es verändert vielmehr ständig das System insgesamt, läßt überschaubare, ein für allemal definierte Gleichgewichtsverhältnisse nicht mehr zu, schließt katastrophische Änderungen (Einstürze, Zusammenbrüche) nicht mehr aus. Orientierungshilfen, die gestern noch wirksam waren, sind es heute nicht mehr; Durchblick ist nur noch möglich, sofern es gelingt, die Konstruktion des Ganzen als eine in sich selbst bewegte ständig nachzuvollziehen. Der Fortschritt verändert nicht mehr nur die Mittel, sondern ergreift auch die Zwecke, die immer deutlicher als Momente des allgemeinen Vermittlungszusammenhangs sich erweisen; oder genauer: er hat die Zwecke in die allgemeine und ständig sich beschleunigende apokalyptische Bewegung mit hereingezogen.
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08.10.87
Der Voyeurismus, der die Regenbogenpresse vor allem kennzeichnet, ist die Kehrseite der allgemeinen und substantiellen Zerstörung des Privaten, eigentlich des Lebens überhaupt. In dem gleichen Maße, in dem Öffentlichkeit strukturell das private Dasein durchsetzt, zerstört es dieses von innen, macht es zugleich die entprivatisierten Individuen süchtig nach Anteilnahme am Privatleben der anderen, möglichst der Prominenz. Darin gründet nicht zuletzt der Erfolg von BILD. (Begonnen hat diese Vermischung von Privatem und Öffentlichen im Absolutismus, im Barock, als Herrschaft ihrer magischen Qualitäten entkleidet, entzaubert und verbürgerlicht, privatisiert wurde. Auch der Absolutismus ist Teil der Aufklärung – sozusagen die feudale Vorstufe des Kapitalismus.)
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01.11.87
Bei der Beurteilung von Metaphern sind mimetische von räumlichen Metaphern streng zu trennen: Letztere sind Teil der Herrschaftslogik. (Frage: trifft das auch auf Relationsmetaphern wie „oben/unten“ bzw. „zentral/peripher“ zu? – Und ist die Herrschaftsmetaphorik ganz zu vermeiden? – Kann man zwischen Ausdrucks- und Herrschaftsmetaphorik unterscheiden? – Vgl. Blumenberg, Habermas, Benjamin, Kraus.)
Heute kann nur noch normal sein, wer sich innerhalb einer gesellschaftlich vorgegebenen Verrücktheit fest eingerichtet, stabilisiert hat; verrückt werden jene, die hierfür sensibilisiert sind, d.h. eigentlich die Normalen. Ableitung dieses Sachverhalts aus dem Stand der politischen Ökonomie (den Bedingungen der Selbsterhaltung).
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11.11.87
Ontologie ist die Hypostase des Indikativs, die Festschreibung der richtend-urteilenden Erkenntnis als Mittel der Selbsterhöhung (die Wurzel der Empörung) des urteilenden (transzendentalen) Subjekts. Analog zu den „fürchterlichen Juristen“ kann man von den „fürchterlichen Philosophen“ sprechen. Der Konjunktiv eher als der Indikativ ist das Medium der Wahrheit. Der Indikativ schreibt den Schuldzusammenhang fest (und entlastet, exkulpiert das apodiktisch urteilende Subjekt).
In den Kontext des Wahrheitsbegriffs, der am Indikativ, an den „Tatsachen“ festgemacht ist, gehört auch die kriminalpolizeiliche Fahndung und Ermittlung. Sie verweist auf das Feld der Schuld, in dem diese Empirie sich bewegt und das hier als eine unveränderliche Gegebenheit vorausgesetzt wird; und auch hier gibt es – wie in den Naturwissenschaften – eine Experimental- und Testphase, eine mörderische Gleichgültigkeit gegen Nebenfolgen, bis hin zur Inkaufnahme der Existenzvernichtung. Unbarmherzig gegen die, die sich nicht wehren können und deren Verteidigungschancen durch gezielten und taktisch manipulierten Verdacht gegen das „Umfeld“, das so zum Schweigen gebracht wird, vernichtet werden (= Herstellung von Laborbedingungen: vgl. Isolationshaft; ebenso hat die Einschränkung der Verteidigung in Terroristenprozessen nur Sinn, wenn die Verfahren als Mittel im politischen Kampf gegen den Terrorismus begriffen werden und das Schicksal wie auch die konkrete Schuld der einzelnen überhaupt nicht mehr interessieren).
Wirksam war dieses Verfahren in allen vom Vorurteil beherrschten Bewegungen, von den Ketzer- und Hexenverfolgungen bis hin zum Antisemitismus. Weitergeführt wird es im Bereich der sogenannten Terroristenfahndung (in der die bis heute nur verdrängte, nicht wirklich aufgearbeitete Vergangenheit wiederkehrt, deshalb das aggressive Klima. in dem diese Dinge ablaufen). Hier gibt es inzwischen den gleichen Automatismus wunderbarer Schuldvermehrung und als Pendant dazu die panische Angst derer, die Grund zu haben glauben und fürchten zu müssen, daß sie in diese Netze hineingeraten können. Und Grund zur Furcht ist nicht mehr eine individuelle Schuld, sondern ein allgemeiner (z.T. an zufällige Merkmale wie Kleidung, Haarschnitt anknüpfender) Verdacht.
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12.11.87
Welche Last bürden wir der Nachwelt (unseren Kindern) auf, wenn wir weiterhin ein Welt- und Selbstverständnis aufrechterhalten, dessen letzter Zweck die Selbstentlastung ist, die zwanghafte Selbstrechtfertigung und Selbstfreisprechung, die auch die Religion in ihren Dienst nimmt, sie ebenso blasphemisch wie selbst- und weltzerstörerisch instrumentalisiert. Diese Folge der unaufgeklärten Aufklärung (und zugleich des nicht aufgearbeiteten Faschismus) ist möglicherweise die auf Dauer verhängnisvollste, da sie vom Ursprung und von der Konstruktion her gegen kritische Reflexion immun ist und nur durch blinde Eskalation (den „Fortschritt“) funktionsfähig erhalten werden kann. Die Geschichte des „Wenn alles in Scherben fällt“ ist noch nicht zu Ende; im Gegenteil: sie scheint jetzt erst wirklich umfassend sich und ihr immanent vorgegebenes Ziel zu begründen. Der Faschismus war wirklich nur eine Generalprobe, und nichts war harmlos an ihm.
(20.12.87) Der gleiche Mechanismus von Abwehr und Verdrängung wirkt offensichtlich (als zwanghafte Wiederholung des Elternverhaltens) mit bei denen, die sich von der bürgerlichen Welt absetzen, ohne eine Alternative zu haben; nur daß hier die Folgen, da sie nach innen schlagen, für die Betroffenen schlimmer sind. Sie sind die eigentlichen Opfer der zweiten Schuld, die sie nicht durchschauen.
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13.11.87
Die „Geschlossenheit“, die Parteispitzen immer wieder von ihren Anhängern fordern, erinnert an Komplizenschaft. Besteht etwa ein Zusammenhang mit dem überspannten Spruch, die die SS nach meiner Erinnerung auf dem sogenannten „Ehrendolch“ eingraviert hatte: „Die Treue ist das Mark der Ehre“? Abgesehen von dem grellen Widerspruch zwischen Objekt und Gravur, Dolch und Treue, ging es hier wohl in erster Linie um die Absicherung einer Bindung, deren Klebstoff die Komplizenschaft war: Wer einmal an den Dingen beteiligt gewesen ist, ohne den Skrupeln (dem „inneren Schweinehund“) Raum gegeben zu haben (wer der Versuchung, dem Gewissen zu folgen, Stand gehalten hatte), war gefangen, hatte eigentlich keine Chance mehr, herauszukommen. Eigentlich war der „Ehrendolch“ eine Drohung gegen jeden, der diesen Ehrenkodex nicht akzeptierte. – Freilich, man kann aus einer Partei austreten. Und mit der „Ehre“ nehmen es Politiker heute nicht mehr so genau, obwohl immer noch der, der den Dreck im eigenen Nest an die Öffentlichkeit bringt, Verräter gescholten wird (und anonyme Telefonanrufe mit Morddrohungen zu gewärtigen hat).
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01.12.87
Schuld, Materie, Herrschaft: Schuldverschubsystem = Herrschaftsmittel; Selbstfreisprechung, Selbstentlastung zu Lasten anderer; schlechtes Gewissen macht gefügig. Das „pathologisch gute Gewissen“ funktioniert nur durch Projektion: indem es die Opfer zu Tätern macht.
Die Verführbarkeit aller gründet im Selbstmitleid und in der Härte.
Beruf und Humanität lassen sich nur noch mit den Fähigkeiten Münchhausens zusammenbringen: vor allem mit der Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
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23.01.88
Das fixierende „ist“ des Urteils verwandelt seinen Gegenstand in ein Ding mit Eigenschaften (Subjekt mit Prädikat: Der Verurteilte wird sistiert, sein Objektcharakter ist Folge und notwendiges Sinnesimplikat seiner Schuld, das Urteil konstitutives Moment des Schuldzusammenhangs; Prädikate, Begriffe sind Ausdifferenzierungen von Schuld: Zusammenhang mit der Ontologie). Ist jedes Urteil Schuldurteil, Freispruch kein Urteil? Bedeutung und Grenze der Transzendentalphilosophie (Zusammenhang von transzendentaler Ästhetik und Logik, Raum und Zeit und Urteilslehre). Urteile begrenzt auf Erscheinungen, Einheit der Konstituentien beider.
Gefängnisse dienen der Aufrechterhaltung der Logik.
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