Feindschaft begründet Gemeinschaften, macht aber zugleich dumm: Weil es keine Feindschaft ohne Projektion gibt.
Das Feindbild (das Feinddenken) macht nicht nur dumm, sondern durch das selbstreferentielle Moment im Feinddenken, wird man selbst zu dem, als das man den Feind (mit Hilfe des Instrumentariums der Projektion) erkennt.
Die Vorstellung, daß, wenn man Herrschaft abschafft, alles weiterläuft, nur eben besser, ist lebensgefährlich naiv.
Solange Revolution nur aus der Empörung sich nährt, verändert sie nur das Selbstgefühl, nicht die Welt.
Zur Erschaffung des Menschen:
– Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde,
– nach dem Bilde Gottes schuf er ihn,
– als Mann und Weib schuf er sie (Gen 127).
Drückt sich darin nicht vor dem Geschlechterverhältnis das Herrschaftsverhältnis aus, das zur Erschaffung des Menschen gehört (Gott – den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes -er ihn, als Mann und Weib – er sie)?
Gibt es im Hebräischen ein Äquivalent zu der Unterscheidung von bestimmtem und unbestimmtem Artikel; gibt es eine Beziehung des unbestimmten Artikels (und des Infinitivs Sein) zum Possessivpronomen und zur Negation (ein, mein, sein, nein)?
Die Orwellschen Sprachregelungen sind nicht nur willkürlich, sondern haben einen logischen Kern. Das Problem der Sprachregelung hängt mit der Beziehung von Begriff, Name und Instrumentalisierung (der Subjektivierung der Zwecke) zusammen, wobei der entscheidende Einbruch in der kantischen Philosophie aufs präziseste bestimmt wird: Kristallisationskern einer Logik, die keine anderen als subjektive Zwecke mehr kennt, der Objektbegriff, der sich im Kontext der Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung konstituiert. Mit dem Objektbegriff, mit der der transzendentalen Logik zugrunde liegenden apriorischen Objektbeziehung des Urteils verliert der Begriff seine benennende (und die Sprache ihre argumentierende) Kraft. Der Name wird zu einem Teil des Reichs der Erscheinungen: er wird willkürlich, kontingent. Das Objekt und seine Derivate (die transzendentale Ästhetik und Logik insgesamt), in ihrem Kern die mathematische Raumvorstellung, machen den Namen gegenstandslos, zerstören die Sprache von innen.
Das Verteidigungsministerium ist in der Tat kein Kriegs-, sondern ein Verteidigungsministerium: Nur was hier verteidigt werden soll, ist das Recht auf Unterwerfung, Beherrschung und Ausbeutung der Welt (der Stand der Rüstung ist ein Indiz dafür, wie tief das Gesetz des Krieges schon in die Logik der Ökonomie integriert ist: wer heute vor den Folgen des Krieges sich schützen möchte, sollte Soldat werden; anders als die Zivilbevölkerung ist er im „Ernstfall“ am wenigsten gefährdet).
Ist es in der Eucharistie nicht das Gesetz der Verdinglichung, das das Wahrheitsmoment darin, nämlich die Beziehung des Namens zu Brot und des Blutes zum Wein, gleichsam mystisch verdampft. „Dies ist mein Leib“: Bezieht sich das nicht auf den Sprachleib des logos, auf den sich auch das homologein, das dann zum Bekenntnis neutralisiert wurde, bezieht? Der theologische Begriff der Transsubstantiation ist dagegen ein paradoxales philosophisches Konstrukt (keine verheilte Narbe, sondern die Theologie als offene Wunde der Philosophie). Die Eucharistie: ist das nicht das öffentliche Ding als theologisches Erbe der res publica?
Alles Wissen bezieht sich auf Vergangenes. Liegt darin nicht der Schlüssel zur Mathematik und zu den subjektiven Formen der Anschauung: zum Verständnis der Form des Raumes?
Hegels Philosophie: ist das nicht die gestorbene und begrabene Wahrheit, und bezieht sich hierauf das Wort: Herr, sie riecht schon?
In der Logik des Andersseins gründet die paranoische Verführung jeder Philosophie, und gegen sie ist der Rat gerichtet: Seid arglos wie die Tauben.
Ist nicht der griechische Mythos die bereits im Ursprung verdrängte Innenseite der Philosophie?
Kern einer Neubegründung der Theologie wäre die Kritik des Begriffs der Anschauung Gottes. Hier wurde das Angesicht Gottes verdrängt, der christliche Paganismus begründet, der der kantischen Lehre von der Subjektivität der Anschauung zugrundeliegt und in ihr sich vollendet.
Sind nicht die drei abrahamitischen Religionen insgesamt verdinglichte Gestalten der Wahrheit, und führte das Gesetz der Verdinglichung nicht zwangsläufig auf diese drei Gestalten der Verdinglichung? Sind nicht alle drei auf den Weltbegriff verhext?
Zur Isolationshaft: Sind nicht die Zellen (Erbe und Fortentwicklung der platonischen Höhle) Erfindungen der Mönche, und welche Bewandnis hat es in diesem Zusammenhang mit den drei evangelischen Räten?
Ist der Neue Katechismus nicht der Mühlstein, der der Apokalypse zufolge am Ende ins Meer geschleudert wird (und zugleich – wie der „splendor veritatis“ – das Schwarze Loch, das alles Licht in sich aufsaugt, nicht mehr fähig ist, die Welt zu erleuchten)?
Gesellschaft
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11.10.93
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07.10.93
Zu Crüsemann, S. 246: Könnte es nicht sein, daß ein Verbot des Götzendienstes vor der Landnahme gegenstandslos war und reale Bedeutung erst im Zusammenhang mit der Begründung staatlicher Strukturen erlangte?
Die Hegelsche Rechtsphilosophie hat, in der Konsequenz der Logik des Hegelschen Systems, den Staat auf eine radikale Weise verweltlicht: Hier ist der Staat zum Vollstrecker des „Weltgerichts“ geworden und der öffentliche Ankläger zum Staatsanwalt (mit der Folge, daß bereits das Ermittlungsverfahren zu einem hoheitlichen Akt wird, Eigenermittlungen Gefahr laufen, als Verletzung der Hoheitsdrechte des Staates inkriminiert zu werden -vgl. Finkelgruen, S. 169). Die ungeheuerlichen Folgen dieser Staatsmetaphysik für das deutsche Staatsverständnis sind bis heute nicht aufgearbeitet: weil sie aufgrund der Verstrickung dieses Staates mit dem Weltbegriff unsichtbar geworden sind?
Im Titel des Staatsanwalts ist die Gemeinheit, die Ralph Giordano dann wahrgenommen hat, vorprogrammiert.
Ethik als prima philosophia läßt sich begründen – und der Bruch zwischen der theoretischen und der praktischen Philosophie, der der Trennung des Natur- und Weltbegriffs zugrundeliegt und durch diese Trennung stabilisiert wird, heilen – nur durch die Schuldreflexion.
Durch den Weltbegriff ist der Götzendienst zur Subjektidolatrie: zum Nationalismus geworden.
Jesus hat die Sünde, nicht die Schuld der Welt auf sich genommen. Aber nur von der Last der Schuld befreit man sich, wenn man sie auf sich nimmt. Ist die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt (durch die der Logos sich an den Anfang der Welt setzt) die Grundlage für die Schöpfungsbedeutung des Logos? Wird nicht, wer die Sünde auf sich nimmt, selbst zum Sünder (mit ungeheuerlichen Konsequenzen fürs Verständnis des Kreuzestodes)?
Heute klagen alle Leute darüber, daß sie nach Feierabend so fertig sind, daß sie sich nur noch vor die Glotze setzen können. Die Programme sind denn auch danach: nur noch Drachenfutter (Psychoanalyse verkehrt). Welcher Welt- und Ichzustand drückt sich darin aus! Die durchs Fernsehen vermittelte Welt ist ohne Fernsehen nicht mehr erträglich. Hat das Fernsehen als Droge das Rauchen, ohne das die Nazizeit nicht zu ertragen gewesen wäre, abgelöst (Teil des Modernisierungsschubs)?
Die Isolationshaft der raf-Gefangenen ist das genaueste Bild der Isolationshaft, in der wir alle sitzen: Das Fernsehen ist die Blende vor dem Zellenfenster, und die Fernsehgesellschaft eine Gesellschaft von Kollektiv-Monaden; Aufgabe der Fernsehanstalten: die Herstellung der prästabilisierten Harmonie durch Verhinderung von Erfahrung.
Liegen hier nicht die Voraussetzungen einer Politik des Aussitzens, deren Gravitationswirkung die „Hoffnung“ nicht unbegründet erscheinen läßt, daß „uns“ eines Tages Europa, und „morgen“ -wie zuvor die „deutsche Einheit“ – „die ganze Welt“, wie eine reife Frucht in den Schoß fällt; und dient nicht die Diskussion um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ genau diesem Zweck?
Zu den schlimmsten Folgen des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus gehört die Zerstörung, die Destruktion der Erinnerung an die einzige Gestalt einer moralisch begründeten Politik im Nachkriegs-Deutschland: der Brandtschen Ostpolitik. In diesem Kontext gewinnen Gestalten wie Heitmann ihre verhängnisvolle Funktion.
Drücken die Chaostheorien nicht den depressiven Untergrund unseres Naturverständnisses aus? Sie reduzieren die Natur auf die Logik der Gräser, Farne und Insekten (auf eine Entwicklungsstufe, in der es die Entsprechung des Licht, die Prophetie des Angesichts in der Natur: die Blüten, noch nicht gab). -
06.10.93
Gehört nicht das Problem der Gefangenschaft und der Gefängnisse zum Problem des Staates und zur Geschichte der Struktur des Subjekts? Gefängnisse gibt es nur in staatlich organisierten Gesellschaften von Privateigentümern. Der Staat selber ist eine Reflexionsform des Privateigentums, das er insbesondere mit dem Institut der Strafe fundiert und durchsetzt; Gefängnisse demonstrieren den vom Eigentum nicht abzulösenden gesellschaftlichen Schuldzusammenhang zwischen:
– Eigentümern und Nichteigentümern, Reichtum und Armut,
– den (bis in die Geschichte der Naturwissenschaften hinein wirksamen) gesamtgesellschaftlichen Eigentumsstrukturen und dem durch sie erzeugten Potential an Strafbedürfnissen in der Gesellschaft (Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Ursprung der Sexualmoral);
sie repräsentieren schließlich den Existenzgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit und Gewalt des individuellen Verdrängungsapparats. Sind Gefängnisse (ähnlich wie Irrenhäuser, Schulen und das Militär) nicht eines der gegenständlichen Korrelate des Unbewußten?
Die Vergangenheit ist nicht nur vergangen: Die Vermutung, daß der Nationalsozialismus auch die Bedeutung eines Modernisierungsschubs hatte, daß seine „Errungenschaften“ in die Fundamente der Nachkriegsgesellschaft mit eingegangen sind und darin fortleben, gilt auch für den Antisemitismus.
Welt und Natur: Wer groß denkt, muß groß irren (Heidegger): Ist nicht die Hegelsche Logik und ihr Resultat: das Absolute, das Labyrinth? Und ist nicht das Labyrinth der weltliche Aspekt der gleichen Sache, deren naturalen Aspekt die Mühle in der Simson-Geschichte repräsentiert? Theologie als Erinnerung an die Möglichkeit der Befreiung von Labyrinth und Mühle? -
02.10.93
Casus (Deklination) und Raum: Verkörperung räumlicher Metaphern,
– Nominativ: Im Angesicht,
– Akkusativ: Hinter dem Rücken,
– Genitiv und Dativ: Rechts und Links (Besitz und Schenken, Gericht und Gnade).
Wenn im Griechischen und im Deutschen die Deklination in den bestimmten Artikel mit hereingenommen wird, so ist hier die sprachliche Abstraktionsleistung begründet, die der Philosophie zugrundeliegt. Aber was bedeutet dann die Geschlechtertrennung, die Ableitung des Neutrum (im Deutschen auch des Femininum) aus dem Akkusativ, sowie im Deutschen zusätzlich die Identität des Femininum mit dem allgemeinem Plural (die, der, der, die) und bei beiden (Femininum und Plural) die Verwendung des Nominativ masculinum (der) als Genitiv und Dativ? Spiegelt sich darin die Gewalt der mathematischen Form des Raumes (die Neutralisierung des vorn und hinten beim f und n und des rechts und links beim f und pl)?
Die Materialisierung der Welt ist die Verwandlung des Wortes in einen allgemeinen Sprachbrei (Zerstörung der Kraft des Namens).
Fink, Griechische Sprache:
– S. 105: Gehört nicht die Bindung des archein (herrschen) an den Genitiv (Bindung der Herrschaft ans Eigentum) zur „Sklavenhaltergesellschaft“, während die moderne Bindung an den Akkusativ zur Lohnarbeiter-Gesellschaft, zum Kapitalismus (Verinnerlichung und Vergesellschaftung von Herrschaft durch den Weltbegriff), gehört,
– ebd.: katagelan (m. Gen.) = verspotten (auch hier Beziehung des Verspottens zum Eigentum, im Deutschen Beziehung zum Akkusativ),
– S. 125: meta (m. Gen.) = mit, ~ (m. Akk.) = nach;
para (m. Gen.) = von (her), ~ (m. Dat.) = bei,
~ (m. Akk.) = hin (zu), entlang, während, gegen.
Liegt hier nicht der Zusammenhang von Gesellschaft, grammatischer Ausdruck der Raumbeziehungen (als Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen, die im Deutschen dann in die Prä- und Suffixe sich verlagert haben) offen zutage? Und wird nicht die Differenz zwischen dem Griechischen und dem Deutschen (dem Paradigma der modernen Sprachen) durch die Geschichte des Christentums (Stellung des Dogmas und der Orthodoxie im Aufklärungsprozeß) überhaupt erst durchsichtig und bestimmbar?
Nochmal zu archein: Ist nicht die Bindung der Herrschaft an den Besitz (Bindung des Verbs archein an den Genitiv) die Grundlage des griechischen Imperialismus. Der Eigentumsbegriff ist doppeldeutig: Die Privateigentums-Gesellschaft bedarf des Staats zur Begründung und Garantie des Eigentums, nämlich sowohl durchs Recht wie auch durch die Währungshoheit, durch die Konstituierung und Garantie des Geldwerts, die ihn in eine Eigentumsbeziehung zur Totalität rückt. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Staat nicht selber Objekt des Rechts sein kann (selbst dem Recht nicht unterworfen ist), und wenn die Außenbeziehungen des Staates „Natur“-Beziehungen, und d.h.: wenn in diesen Beziehungen Kriege und Gewaltanwendung unvermeidbar sind: Ausländer haben in diesem Kontext Naturstatus: sie sind Barbaren, nur durch Unterwerfung zu zivilisieren. Das Gewaltmonopol des Staates ist Ausdruck seines potentiellen Besitzanspruchs an die Welt, den Kosmos. -
22.09.93
Nach Flavius Josephus symbolisieren die vier Farben im Vorhang des Tempels die vier Elemente:
– Scharlach: das Feuer,
– Weiß: die Erde,
– Blau: die Luft und
– Purpur: das Meer.
Sind die „vier Vokale“, die nach Flavius Josephus auf der Kopfbinde des Hohepriesters geschrieben sind, die des Tetragrammaton, die vier Buchstaben des Gottesnamens? Wie verhält sich diese Tradition zum bibelwissenschaftlichen „Jahwä“?
Wer die Religion vollständig auf die Gesinnungs- und Bekenntnisebene schiebt, leugnet die Erkenntnisforderung und den Erkenntnisanspruch der Religion. Diese Beziehung zur Erkenntnis ist im Christentum nach dem Urschisma durch die Gnosis verstellt worden.
Wenn Hegel in der Rechtsphilosophie den Monarchen aus der Logik des Systems ableitet, so rührt er damit an die Logik des Namens. Und er bezeichnet zugleich den Punkt, an dem die messianische mit der Königstradition zusammenhängt.
Sind nicht der Urknall, der schwarze Hohlraum und das schwarze Loch projektive Verkörperungen der Verdrängung des Namens, und stehen sie nicht in einer systematischen Wechselbeziehung (die aus der Logik des Inertialsystems sich müßte ableiten lassen)?
Ist das bara in Imperfektum oder ein Perfektum (Produkt einer nicht abgeschlossenen oder einer abgeschlossenen Handlung)? Oder kommt dieses Verb in der Schrift in beiden Formen (bei Buber erkennbar als „schuf“ und „hat geschaffen“) vor, allerdings mit differerierenden Konnotationen (bis hin zum Gottesnamen)? Und wie verhält das Schaffen zum Machen? Vgl. hierzu den Wechsel in Gen 24a,b:
– vom Imperfekt zum Perfekt, mit anschließender Versetzung in die Vergangenheit („Zur Zeit, da …“) und Änderung des Verbs (von schaffen zu machen),
– von Elohim zu Elohim JHWH und
– von „Himmel und Erde“ zu „Erde und Himmel“ (Vertauschung der Folge der Objekte): aus der unabgeschlossenen Schöpfung von Himmel und Erde wird die abgeschlossene Schöpfung von Erde und Himmel.
Die Unterscheidung der „Quellen“ orientiert sich nicht nur am Gebrauch des Gottesnamens. Welche anderen sprachlichen Kriterien liegen ihr noch zugrunde? Kann es nicht sein, daß sich dahinter ein kompositorisches Element verbirgt?
Läßt sich Bubers Bibel-Übersetzung nicht unter dem Stichwort Ästhetisierung kritisieren (vgl. das „Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“, in dem das Tätige des Brütens zu einem artistischen Akt wird)? Spielt das nicht mit herein, wenn die Armen, die Fremden, das Opfer, der Geist, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Barmherzigkeit und andere aus dem Text verschwinden? Was wird aus dem Zorn?
Natur ist der Inbegriff aller Objekte, die der Herrschaft der Vergangenheit unterworfen sind, während der Weltbegriff Vergangenheit und Zukunft dadurch trennt, daß er die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert (nur unter der Herrschaft der Vergangenheit sind Zukunft und Vergangenheit getrennt). Auf diesen Schnitt beziehen sich die Schwertsymbole: vom kreisenden Flammenschwert des Kerubs am Eingang des Paradieses bis zur Duchschlagung des Gordischen Knotens durchs Schwert des Alexander. Konstituiert das Schwert die Zeit, indem es sie von der Ewigkeit trennt, sie der Vergangenheit unterwirft?
Wer ist Malchus?
Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch (oder: Schwerter zu Pflugscharen): Sind die subjektiven Formen der Anschauung (und ist das Inertialsystem), und mit ihnen das Reich der Erscheinungen, das Werk des Schwertes? Begründet das Schwert mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (und der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit) auch den Begriff des Wissens und die Trennung des Natur- und Weltbegriffs?
Steht nicht die Natur unter dem Bann der Subjektivität? Und ist nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ zu radikalisieren durch die Kritik des Naturbegriffs selber?
Ärgernisse müssen kommen, aber wehe denen durch die sie kommen: Ist dieser Fluch nicht auch ein Segen (und ein Fluch nur für die, die den Segen darin nicht sehen)?
Die Wahrheit hat einen Zeitkern (Adorno): Dieser Satz wird mißverstanden, wenn man ihn relativistisch versteht.
Auch Herrschaftskritik ist vor der Gefahr des Herrendenkens nicht gefeit.
Problem der Chronologie: Die sogenannte Tiefenzeit ist ein Versuch, den Naturbegriff so zu verankern, daß er unwiderlegbar wird. Mit der Tiefenzeit kapituliert das Subjekt endgültig vor dem Bann, den es selbst über die Natur legt. Jeder Bann aber ist ein Todesbann.
Nicht nur die Rettung der vergangenen Hoffnung, sondern die Errettung der vergangenen Zukunft (gegen das „Prinzip Hoffnung“).
Wer sind heute die Aussätzigen: Gehören dazu nicht auch die Objekte des Vorurteils, die Juden, die Frauen, die Ausländer?
Gibt es eigentlich keinen Theologen, dem beim Kohlschen Wort vom „Umdenken“ (ähnlich wie damals beim Ehrhard-Wort von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“) etwas einfällt? (Es paßt zu einem geistigen Klima, in dem die Reichen die Armen sind, die sich für das Ganze aufopfern.) Ist die Theologie schon so verderbt, daß ihr Gegenteil sich als ihre Verkörperung ausgeben kann (vgl. die „Theologen“ in der CDU, mit denen sich Kohl jetzt umgibt: Hintze und Heitmann, während er bei die Besetzung der Fachressorts Wirtschaft und Finanzen Fachleute um jeden Preis zu meiden versucht). Die Regierungsmannschaft Kohls wird durch das Feuer kabarettistischer Kritik nur noch gestählt (mit Hilfe der Theologie).
Stichwort „falsche Propheten“ (vom Deuteronomium bis zum NT, insbesondere auch in der Apokalypse): Das Problem sind nicht die falschen Propheten selber, sondern das Problem ist eine Politik, die wie ein Magnet die falschen Propheten anzieht. Die falschen Propheten sind am projektiven Gebrauch der Diskriminierungslogik (am instrumentellen Gebrauch der double-bind-Falle) erkennbar:
– „Asylantenflut“: wir überschwemmen die Welt mit der Armut, die wir nach draußen exportieren;
– die Xenophobie ist der Spiegel des Schreckens, den wir in der Welt verbreiten;
– die „Banden-Kriminalität“ (Begründung des „großen Lauschangriffs“) das Spiegelbild der realen Politik und Ökonomie: des Überfalls und der Beraubung der Armen).
Zugleich wird der Anspruch der Religion durch die projektive Ausmalung ihrer raf-Variante: des Fundamentalismus (den es zugleich tatsächlich gibt) destruiert.
Der Weltbegriff als Instrument der Schizophrenisierung: Psychose-Generator.
Das Buch Hiob ist nicht die Antwort auf das Theodizee-Problem, sondern der Nachweis, daß bereits die Frage (notwendig und) blasphemisch ist. Es beschreibt die Grenzen der Urteilskraft, dazu braucht es den „Ankläger“.
Wer nachweist, daß Äpfel keine Birnen sind, hat damit nicht nachgewiesen, daß es keine Birnen gibt.
Ist nicht die große Musik, spätestens seit Bach, der ohnmächtige, aber keineswegs hilflose Versuch, das Problem des Nominalismus (auch des double bind, der Trennung von Ton und Inhalt eines Satzes) zu bestimmen?
Ein Text, der es nicht erträgt, daß Worte in ihm auch gegensätzliche Bedeutungen repräsentieren, kann nicht wahr sein. Der Nachweis, daß ein Text Widersprüche enthält, ist nicht in jedem Falle eine Widerlegung.
Der ontologische Gottesbeweis hat die Selbstoffenbarung Gottes im brennenden Dornbusch neutralisiert (und die Persil-Reklame antizipiert).
Wer die Erfindung der Schrift als technisches Problem begreift, neutralisiert das Problem anstatt es zu lösen. Welches gesellschaftliche (und sprachlogische) Interesse liegt der Erfindung der Schrift zugrunde? Gibt es einen Staat ohne Schrift?
Das Schlimme heute ist, daß unsere Theologie erinnerungslos Abschied von ihrer eigenen Vergangenheit zu nehmen versucht. So macht sie sich selbst zum Agenten des Hasses der Welt. Nur so (durch Identifikation mit dem Aggressor) glaubt sie, selbst der Angriffszone dieses Hasses sich entziehen zu können.
Haben sich nicht alle am Schicksal der raf mitschuldig gemacht, die damals wußten, daß Analysen der raf so falsch nicht waren, dieses Bewußtsein aber verdrängten, weil sie gegen die Sympathisanten-Hetze hilflos waren.
raf und Scheiterhaufen: Beide sind falsche, instrumentalisierende Verkörperungen des Feuers (und seiner Beziehung zum Opfer und zur Sünde der Welt; Zusammenhang des Scheiterhaufens mit der Geschichte der Alchemie, der „Goldmacherkunst“).
Nur von der Sünde wider den Heiligen Geist heißt es, daß sie weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben werde, während es heißt, daß, wer den Vater und den Sohn leugnet, der Antichrist sei (1 Joh 222).
Ist der Feminismus nicht zunächst ein Symptom, nur in einigen Verkörperungen auch schon der Ansatz zu einer Lösung (Elisabeth Schüßler-Fiorenza, Rosemary Radford-Ruether, Mary Daly)?
Ist nicht durch die Logik des Weltbegriffs das Sein zum Haben anderer geworden? Darin gründet die verandernde Kraft des Seins, wird das Sein zu einem Moment im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang (als dessen innere Reflexion die Heideggersche Fundamentalontologie zu begreifen ist).
Lassen sich die englische und die deutsche Sprachlogik nicht an der Form der gesellschaftlichen Anrede erkennen: Im Englischen ist die zweite Person sing. mit der zweiten Person plural (you) identisch, im Deutschen reden sich Erwachsene mit dem Personalpronomen der dritten Person plural (Sie) an: Hängt das nicht mit der Beziehung des Seins zum to be zusammen?
Durch den Begriff des Wissens wird die Wahrheit auf Objekte bezogen (als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand definiert). -
18.09.93
Die alte KZ-Wärter-Logik „Wenn du’s nicht tust, dann tut’s ein anderer“ und „Einer muß schließlich die Drecksarbeit tun“ ist die herrschende Logik in Politik und Wirtschaft heute.
Die ambivalente Position der Dialektik der Aufklärung, zu der Walter Benjamin das Bild geliefert hat, war nicht durchzuhalten. Man kann sich der Theologie nicht bedienen und sie zugleich als Zwerg unterm Tisch verstecken, man muß sie hervorholen, auch auf die Gefahr hin, daß die im Gebrauch des Weltbegriffs wurzelnden Vorurteile dann nicht mehr zu halten sind.
Was wir die Welt nennen, ist eine Momentaufnahme im Säkularisationsprozeß. Es ist die Ersetzung der Gegenwart, die von objektiven Korrespondenzen: von Verheißungen und Erinnerungen durchdrungen ist, durch das Gesetz der Gleichzeitigkeit (durch die Form des Raumes). Ist es nicht der quälend verlangsamte Weltuntergang, den wir betreiben, den wir allerdings zugleich aufgrund unserer Mittäterschaft wahrzunehmen nicht mehr fähig sind. Daß die Elemente verbrennen und der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, ereignet sich das nicht vor unseren Augen: im naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß?
Was Jesus dem Johannes im Gefängnis mitteilen läßt (Befreiung von den sieben unreinen Geistern?):
– Blinde werden sehend und
. Lahme gehen,
– Aussätzige (d.i. Unreine: Beziehung zur Scham?) werden rein und
. Taube hören,
– Tote werden auferweckt und
. den Armen (die Gott in der Welt repräsentieren) wird die frohe Botschaft verkündet, und
– selig ist, wer an mir (an der Schrift, an den Juden) keinen Anstoß nimmt (Mt 115, Lk 722f),
ist das nicht unsere vergangene Zukunft? Heute werden die Sehenden blind, die Gehenden lahm, die Reinen zur Wohnung der unreinen Geister, die Hörenden taub und die Armen der ausweglosen Verzweiflung ausgesetzt, während das im letzten Punkt benannte Ärgernis zwanglos sich auf die Theologie hinter dem Rücken Gottes (die den Anstoß des Kreuzestodes wegrationalisiert) und auf Auschwitz sich beziehen läßt. Hat nicht die Kirche zwangshaft und bewußtlos „an ihm Anstoß“ genommen (den Kelch getrunken), und dann den „Anstoß“ (das Ärgernis) projektiv mißbraucht?
Ist dieses Jesus-Wort die Antwort auf das agnus dei, qui tollit peccata mundi, und die Entfaltung des Johannes-Worts von der Umkehr (Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe)? Es verknüpft die Befreiung von der Trägheit mit dem Sehen (das Angesicht), das Hören (Heute, wenn ihr meine Stimme hört) mit der Reinigung vom Aussatz und die frohe Botschaft an die Armen (die Gott selbst repräsentieren) mit der Auferweckung der Toten. Bezieht sich hieraus das ergreifende Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet?
Nach dem Wort an Johannes kommt das Wort über Johannes (der, den ihr sucht, ist nicht an den Höfen der Könige).
Zur Täufer-Theologie gehören Joh 129 und die obige Stelle (Mt 115 und Lk 722f), aber dazu zum letzten Punkt insbesondere die Aufarbeitung des Urschisma, die Kritik des kirchlichen Antijudaismus (Karl Thieme: die Stephanus-Rede und der Hebräerbrief).
Arglos wie die Tauben: sich an ihm nicht ärgern.
Heute genügt nicht mehr die Umkehr, sondern die Befreiung von den sieben unreinen Geistern, das Lösen der sieben Siegel. Klingt das nicht erstmals beim Jeremias an, dessen Nähe zu Jesus hier erkennbar wird: im Wort von dem „Grauen um und um“? Dieses Wort erscheint an drei Stellen (wie auch Gottes Aufforderung an Jeremias, nicht mehr für dieses Volk zu beten, und im Kontrast dazu das Gebot an das Volk: Betet für das Wohl der Stadt). Worauf beziehen sich diese Stellen?
Nicht Griechenland, sondern Rom ist Babylon: Ist das Futur II (eine grammatische Errungenschaft der Lateiner) ein Produkt der Astrologie?
Im Tempel, im Allerheiligsten, wohnt nicht Gott selber, sondern der Tempel ist das Haus des Namens (und der Herrlichkeit) Gottes. In katholischen Kirchen entspricht dem Namen Gottes die Eucharistie, aber was heißt das? Beim Tod am Kreuz ist der Vorhang des Tempels, der das Allerheiligste vom übrigen Raum abtrennte, zerrissen (was bedeutet der Vorhang im Tempel, Gen 2631ff?). Was ist in Auschwitz zerrissen?
Das Bekenntnis und die ohnmächtige und folgenlose Gesinnung (vgl. gesonnen und gesinnt). Ist nicht die Gesinnung wie das Bekenntnis eine Alibi-Veranstaltung, der Bunker, in den sich das schlechte Gewissen vor dem Angesicht Gottes flüchtet? Adam und sein Weib „verbargen sich vor dem Angesichte Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten“ (Gen 38): Gehört das zur Geschichte des Ursprungs der Architektur?
Islam und Christentum: Ist die Kaaba die Erinnerung an das unerlöste steinerne Herz der Kirche?
Angst und Erkenntnis: Während die apokalyptische Stimmung Angst erzeugt, entspringt und konstituiert sich apokalyptische Erkenntnis in der Reflexion der Angst.
Begriff und Erfahrung (zur Kritik der Erfahrung). Begriffe sind die Narben erlittener Erfahrung, Produkte des verdrängten Leidens. Welche Funktion hatte der Kreuzestod und seine theologische Verarbeitung (seiner Objektivation, Verdrängung und Instrumentalisierung) in der Geschichte des Begriffs? Ist nicht der Begriff in der Tat das Instrument der Zerstörung des Namens, der auf dem Grunde des Leidens ruht? Nur über das Leiden wird das Wort seiner selbst mächtig, gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück. Aber selbst das hat die Philosophie mit dem Begriff des „Existentiellen“ nochmal einzufangen und zu instrumentalisieren versucht. Der Existenz-Begriff ist mythologisch, weil er die Kraft des Namens in das Privileg des Opfers umlenkt und so neutralisiert, weil er die Heiligung des Namens (wie das Christentum) mit der Heroisierung, der Vergöttlichung des Opfers verwechselt. Nach meiner Kenntnis ist in der jüdischen Tradition der Begriff der Heiligung des Namens eine andere Bezeichnung fürs Martyrium. Ist das nicht das proton pseudos, aber liegt darin nicht zugleich auch die Verführungsgewalt des Mythos, daß er das Opfer mit der Sinnfrage verknüpft (das ist der Sinn von Heideggers Frage nach „dem Sinn von Sein“): Die Sinnfrage substituiert sich der erkennenden Kraft des Namens, kehrt sie nach außen und neutralisiert sie. Die Sinnfrage und ihr Vorläufer, die Theodizee, verrät das Opfer durch Heroisierung, durch Vergöttlichung. Die Göttlichkeit Jesu ruht in der Kraft des Namens, und nur insoweit in der Kraft des Opfers. Hier ist der Berührungspunkt der messianischen mit der Königstradition, die auch aus der Geschichte des Opfers stammt.
Was unterscheidet die Königs- (Davids-) Tradition von der Reichs- und Kaiser-Tradition (von der Nebukadnezar-, Alexander-und Caesar-Tradition)? Oder auch: Was unterscheidet die englische und französische von der deutschen Tradition (in den politischen Institutionen, in der Sprache und in der Philosophie)? Aber hatten nicht auch die Engländer und die Franzosen ihren imperialistischen Sündenfall (Indien und Napoleon; das zweite deutsche Reich hat sich den Kaisertitel durch einen Sieg über Frankreich, das dann prompt zum Erbfeind ernannt wurde, zurückgeholt; Bedeutung des Rußlandfeldzugs für Hitler)?
Enthält nicht das Problem der deutschen Einheit eine bis heute unbegriffene Herausforderung (die offensichtlich durch den Kandidaten Heitmann verdrängt werden soll)? -
15.09.93
Hängt nicht der Plural medicinalis, das joviale „Na, wie geht es uns denn heute morgen?“, mit der Logik des Falles zusammen, in der er das kollektive Moment im Begriff des Allgemeinen präzise bezeichnet (Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist)? Im medizinischen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff des Falles die Enteignung der erkrankten Teile des Körpers, ihre Überführung in die Verfügungsgewalt des Arztes (im Bereich des Strafrechts entspricht der Krankheit das Verbrechen, der Medizin das Recht, dem Krankenhaus die Gefängnisse, und dem Arzt entsprechen die Organe der Rechtspflege; die Anwendung auf die Naturwissenschaften dürfte nicht schwer sein). Hieran läßt sich die Logik des Schuldbegriffs studieren, die auch die grammatischen Formen der Deklination (die casus) beherrschen. Der Schuldbegriff bezeichnet einen Sachverhalt im Geltungsbereich des Eigentumsbegriffs, der Begriff der Sünde hingegen eine Verletzung des göttlichen Worts: das Urteil.
Macht, die selber im Gewaltmonopol des Staates gründet, ist gesetzlich geregelte Gewalt. Dieser Widerspruch im Begriff der Macht spiegelt sich im Widerspruch des Begriffs des Rechts, daß nämlich das Recht die Gewalt, in der es gründet, nicht mehr selbst zu regeln vermag; er bezeichnet aufs genaueste die Grenze des Rechts, die u.a. mit dem in der Logik des Rechts, nicht in der Unfähigkeit des Gesetzgebers begründeten Satz sich bestimmen läßt, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
Gewalt, Recht und Eigentum: Das Recht, das das Eigentum begründet, gründet selber im Gewaltmonopol des Staates. Auch der liberale Eigentumsbegriff hat seine Wurzeln im Feudalismus: Unter den Bedingungen des Rechts ist jedes Eigentum ein Lehen des Staates; auch das Privateigentum ist ein staatlich (nicht gesellschaftlich: hier irrt Rousseau) vermitteltes Eigentum (nichts Vergangenes ist nur vergangen).
Opfer des Scheins: Ist die Marxsche resurrectio naturae nicht das Gegenstück zum Hegelschen Weltgericht, und kranken nicht beide an einem gemeinsamen Fehler? Die Welt ist nicht Subjekt, sondern Objekt des Jüngsten Gerichts, und die Natur ist nicht das Objekt, für das wir die Hoffnung auf Auferstehung hegen, sondern im Objekt der Widerstand gegen diese Hoffnung (Problematik des Adornoschen Programms des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ und des Freudschen Konzepts „Wo Es ist, soll Ich werden“; gehört der parvus error im Übergang von der Speziellen zur Allgemeinen Relativitätstheorie nicht auch hierher?).
Die resurrectio naturae ist ein Reflexionsbegriff der säkularisierten Christologie Hegels.
Die Nachkriegszeit ist einmal die Zeit der Stellvertreterkriege genannt worden, vor allem im Hinblick auf Vietnam. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem „Sieg der freien Marktwirtschaft über den Sozialismus“, haben diese Stellvertreterkriege ihre raison d’etre verloren. Aber wird hier nicht ähnlich, wie bei der Armut, die, nachdem die spekulative Verschuldung der Dritten Welt an die Rationalitätsgrenzen des Bankgeschäfts stößt, über die „Revision des Sozialstaats“ in die Erste Welt reimportiert wird, auch das Problem, dessen Ausdruck (nicht Lösung) der Sozialismus war, reimportiert? Ist nicht die Jugoslawienkrise ein reimportierter Stellvertreterkrieg (dessen Fronten genau zu studieren sind: Weltanschauungskriege sind faschistische Kriege und – seit 1941 – Vernichtungskriege)?
Zur Geschichte der Dogmenentwicklung: Der Weltbegriff war die offene Grenze, durch die die Philosophie in die Theologie eingedrungen ist, um sogleich alle strategisch wichtigen Punkte zu besetzen (Frage: Wer ist die Magd des Hohepriesters, und wer sind die Umstehenden?).
Ist nicht das Jonas-Problem in diesem Punkt doch ernster, als es bei Jürgen Ebach erscheint: Gehört die Reaktion des Jonas nach der Verschonung Ninives durch Gott nicht zur Logik des Auftrags an ihn: Hätte er die Verschonung als Folge seines Spruchs vorausgesehen, so wäre er kein Prophet geworden, sondern Philosoph, und hätte den Spruch nicht getan: „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“. Prophetie ist nicht instrumentalisierbar, als instrumentalisierte (als Mittel zum Zweck, als Höllenpredigt: mit der Absicht, dem Hörer einen gehörigen Schrecken einzujagen, vielleicht merkt er’s) würde sie sich selbst (und „ihre Wirkung“) zerstören. Die „Wirkung“ der Prophetie ist kein Gegenstand der Intention („Überzeugen ist unfruchtbar“).
Die Buße Ninives schließt mit ein, daß auch der König von seinem Thron steigt und Tiere (die Rinder und Schafe: die Opfertiere Israels?) an der Buße teilnehmen.
Wird das Gleichnis von den Talenten nicht doch zu früh beendet; kann es nicht sein, daß das im Acker vergrabene Talent Kräfte aus dem Acker zieht, die die der Geschäfte der anderen übertreffen?
Zur Geschichte des Verräters (Judas Iskariot): Kann es nicht sein, daß am Ende auch das Blutackers zum Himmel schreit?
Wo liegt der Unterschied zwischen ha’adama und ha’arez? Die Erde wurde im Anfang erschaffen und bringt die Pflanzen und (nach der Bildung von Sonne, Mond und Sternen) die Tiere hervor; der Acker ist es, aus dem Adam erschaffen und nach dem er (wie die die Wasser trennende Feste nach dem im Anfang erschaffenen Himmel) benannt wurde: Ist er nicht auch die dem Menschen zur Bearbeitung und Bewahrung übergebene Erde?
Hat der Unterschied zwischen arez und erez (Erde und Land) etwas mit dem zwischen „Himmel und Erde“ und „Welt“ zu tun: Ist das Land (erez) nicht die auf den Staat bezogen, durch ihn vermittelte Erde (arez): die Erde als Eigentum?
Die griechische Philosophie hat sich in ihrer lateinischen Rezeption vollständig verändert: Gibt es nicht erst im Lateinischen das Futur II, den Gebrauch der Hilfsverben bei den Perfektbildungen, und liegt hier nicht der Grund der Differenz zwischen der griechischen und der lateinischen Sprachlogik (vgl. auch die Übersetzungen kosmos/mundus, physis/natura)? Sind diese Veränderungen nicht beim Tertullian ablesbar (vor allem am Personbegriff)?
Wieso gibt es in dieser gottverlassenen Welt keinen von Verlassenheitsängsten geplagten Theologen (statt dessen eher eine Erleichterung darüber, daß es zur Gottesfurcht keinen Anlaß mehr zu geben scheint)? Es gibt zu viele theologische Texte, aus denen man zwar die Angst vor den Kollegen (die heute die vorm kirchlichen Lehramt endgültig abzulösen scheint) heraushört, nicht aber mehr die Gottesfurcht. -
30.08.93
Während die Reste anderer Architektur-Epochen fast restlos dem Krieg und dann dem „Wiederaufbau“ zum Opfer gefallen sind, wurden vorrangig die Fachwerk-Innenstädte (auch die, die es gar nicht gegeben hat) restauriert: Gehört nicht auch das zur Abschaffung der Vergangenheit, die die Nachkriegsgeschichte in Deutschland bestimmt?
Was haben wir (außer der Theologie und der Kindheit) mit der Vergangenheit sonst noch abgeschafft?
Zur Geschichte der Architektur und ihrer Beziehung zu Politik und Philosophie (ihrer Beziehung zur Weltgeschichte: zur Geschichte des Weltbegriffs) gehört die Geschichte der Ruinen.
Musik und Prophetie: Versucht nicht die Musik die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen? (Der Ton macht die Musik. – Ende und Erfüllung der Musik: Heute, wenn ihr seine Stimme hört. – Musik und die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.)
Haß und Schuld: Nur die Schuld verringert sich, wenn sie übernommen wird, während der Haß das einzige Material ist, das sich mit seiner Ausbeutung vermehrt. – Die Führer (und heute die Medien) sagen dem Volk, „was zu hassen sei“. Es gibt keinen spontanen Antisemitismus und keine spontane Ausländerfeindschaft.
Das folgenlose Kabarett: Der Witz ist ein Instrument der Überlebensstrategie (als Instrument des Angriffs und der präventiven Verteidigung). Aber er ist kein Instrument der Veränderung, der Revolution. Käme es nicht darauf an, anstatt über die Verhältnisse nur zu lachen, endlich die Dämonen auszutreiben?
Ursprung und Ziel: Trifft der Begriff der Umkehr (Rosenzweig) den Sachverhalt nicht insofern genauer, als sich in der Umkehr etwas bildet, was „vorher“ noch nicht war. Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Verdrängten (auch nicht etwas durch Sublimierung Entstandenes), sondern der Ursprung selber (ein in der Lösung aus dem Bann der Vergangenheit erst Entspringendes).
Rosenzweigs Todesangst und Hegels Logik: Sterblich ist das Eine, es gewinnt den Schein der Unsterblichkeit durch sein Anderssein (Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nennt Hegels Begriff der Aufhebung beim Namen).
Im Französischen heißt Est Osten und Ouest Westen: Ist das Ouest aus „ou Est“ entstanden? Dann wäre der Osten das Sein, der Westen das Nichtsein, und der Anfang der Hegelschen Logik die philosophische Verarbeitung des Verhältnisses vom Im Angesicht zu Hinter dem Rücken.
Ist der Westen aus dem Osten entstanden: seine Vergangenheit; ist er das Totenreich (oder die Grenze zum Totenreich, und das Totenreich selber unten)?
Das Verhältnis des Menschen zur Welt (Ebach, S. 25) abstrahiert von der Beziehung des Ich zum Anderen, leugnet die Asymmetrie zwischen mir un den Anderen.
Zur historischen Bibelkritik: Nach der Trennung der Quellen kommt erst das Wichtigste: die Komposition.
Das Vergangene ist nicht nur vergangen: Die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der logischen Konsequenz des affirmativen Gebrauchs des Weltbegriffs hat der Natur christologische Züge verliehen.
Erster Grundsatz des Herrendenkens: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen. So werden Sachzwänge zu Verwaltungszwängen.
Sind nicht alle akademischen Berufe dadurch bestimmbar, daß sie dem Delegationsprinzip gehorchen:
– die Rache wurde (als Recht) an die Justiz delegiert (Gericht und Gefängnis),
– die Krankheit an die Medizin (Klinik),
– der Tod (als Unsterblichkeitswunsch) an die Theologie (Kirche und Friedhof),
– das Wissen an die Wissenschaft (Bibliothek und Museum),
– die Erfahrung an Bildung und Erziehung (Schulen).
Der Kern dieses Delegationssystems ist politisch: er liegt im Gewaltmonopol des Staates (Polizei und Militär), sein Symbol ist das einzige außerstaatliche Delegationsverfahren: die Delegation des Tötens der Tiere an den Metzger (der Schlachthof). Ist es ein Zufall, daß zwei „Naturtalente“ der deutschen Nachkriegspolitik Söhne von Metzgern waren (Franz-Josef Strauß und Joschka Fischer – und beide ihre Vornamen veränderten)?
Es gibt eine Sprache der Gewalt, aber sie ist eine gegen den Namen gerichtete Sprache. Wenn Recht „im Namen des Volkes“ gesprochen wird und Gesetze „im Namen des Volkes“ erlassen werden, so dementiert in beiden Fällen der Begriff des Volkes den des Namens: es ist niemand gemeint und niemand angesprochen, aber alle sind in den Schicksals- und Schuldzusammenhang des Rechts und seiner Vollstreckung verstrickt. Verweist nicht die Sintflut- und Noe-Geschichte auf diesen Zusammenhang?
Die Sprache der Gewalt ist namenlos: Ursprung und Abbild reiner Objektbeziehungen. Hier wird der Name zu Schall und Rauch.
Wie hängt der Begriff der Gewalt mit dem der Welt zusammen?
Wird das Werk des zweiten Schöpfungstages, das Firmament, das die oberen von den unteren Wassern trennt, nicht gegenständlich in der Astronomie, die zu den Konstituentien des Subjekts und (in der Alten wie in der Neuen Geschichte) zur Geschichte des Ursprungs des Staats (als Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört?
Monster und teuflisch (zwei Zeitungsüberschriften zu Privatpersonen in den letzten Tagen): Sind Verteufelung und Personalisierung nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Greift das nicht immer weiter um sich, und ist das nicht ein Teil der schleichenden Faschisierung der Verhältnisse, gegen die es kein Mittel gibt außer der Entmythologisierung der Begriffe im Kontext ihres objektiven erkenntniskritischen und politischen Gebrauchs (Kritik der projektiven Charakters der Begriffe)?
Ist eigentlich der Titel „Die Thora als Person“ zulässig? Darf der Logos des Johannes-Evangeliums „personal“ verstanden werden?
Das Feuer vom Himmel holen: geht das nicht nur das Wasser hindurch, während die Nutzung des Wassers, die seit der Rezeption der Philosophie die Theologie beherrscht, das Feuer löscht? – Und er „wollte, es brennte schon“. -
21.08.93
Gründet nicht das Königtum über David in der Prophetie, das Kaisertum hingegen über Alexander in der Philosophie? So konnte das Christentum erst Staatsreligion werden, nachdem es als Dogma zum Teil der Philosophie (eine Phase im europäischen Aufklärungsprozeß) geworden war.
Im Vordergrund der Diskussion der deutschen Physiker in Farm Hall bei Cambridge (sh. die Dokumentation in der FR von heute), als sie die Nachricht vom ersten Einsatz der Atombombe erhielten, stand die Schuldfrage, aber in einer merkwürdig gespaltenen Version:
– als Erleichterung darüber, daß ihnen die Entscheidung über die Mitarbeit an der Bombe erspart geblieben ist, und zugleich
– als Furcht, daß ihnen in Deutschland das Versagen vor der möglicherweise kriegsentscheidenden Entwicklung der Bombe als Schuld am verlorenen Krieg angelastet werden könne.
Die größte Überraschung und die eigentliche Kränkung scheint jedoch darin gelegen zu haben, daß nicht sie, die Welt-Elite der Physik, sondern diese „Dilettanten“, die nach ihrem Verständnis provinziellen amerikanischen Physiker, den wissenschaftlichen Erfolg erringen konnten.
Gehören nicht „Klugscheißer“ und „Hirngespinste“ sprachlogisch zusammen, und bezeichnen sie nicht einen höchst realen und zugleich erschreckenden gesellschaftlichen Tatbestand?
Warnung vor der Bendorf-Euphorie: Warum fällt den Christlich-Jüdischen Gesellschaften bis heute zu Rostock nichts ein?
Ich glaube nicht, daß man Auschwitz relativiert, wenn man die Indianermorde, die Todesschwadrone und die Folter in den Gefängnissen der Dritten Welt (und jetzt die Ausländerhatz in Deutschland) als Metastasen von Auschwitz begreift. Auschwitz ist nicht vergangen; und Auschwitz ist kein Gegenstand von „Vergangenheitsbewältigung“. -
19.08.93
Es läßt sich stringent aus der Logik des Weltbegriffs (der verandernden Gewalt dieser Logik) herleiten, wenn die Deutschen sich als Opfer des gleichen Schicksals begreifen, dessen Urheber sie doch zugleich sind.
Hat die Geschichte mit Noe und seinen Söhnen, die in der Verfluchung Kanaans endet, etwas mit der Geschichte vom Sündenfall zu tun? Und zu Japhet heißt es:
Raum schaffe Gott dem Japhet, daß er wohne in den Zelten Sems, Kanaan aber sei ihm Knecht! (Gen 927)
Übrigens: Paulus war ein Zeltmacher!
Ist nicht Mizrajim ein Sohn Hams, und Heth ein Sohn Japhets?
Ist nicht das Licht ein Einspruch gegen die Vergangenheit (gegen die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit)?
Wie wird das Himmelblau erklärt? Und wäre die Frage, warum es nachts dunkel ist, nicht zu ergänzen durch die andere: Warum das Himmelblau am Tage die Grenze des Sichtbaren anzeigt (und wo liegt diese Grenze)?
Sind nicht das Feuer und das Angesicht die Antipoden des Lichts?
Die Entfaltung einer philosophischen Sprachlogik ist ohne eine Theorie des Feuers nicht mehr möglich.
Zu der Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkehren wird: Führt nicht auch hier das naturwissenschaftliche bestimmte Bild der Wolken in die Irre? Und ist dahinter nicht die metaphorische Bedeutung der Wolken (die in der „Wolke der Zeugen“ – Hebr 121 – anklingt) verdrängt und untergegangen?
Daß der Menschensohn bei seiner Wiederkunft in den Wolken erscheinen wird, verweist das nicht, ebenso die Wolke der Zeugen im Hebräerbrief, zurück auf den Noe-Bund (auf den Bogen in den Wolken, vgl. Erich Zenger)?
Als Athalya Brenner auf die diffamatorische Nebenwirkung des prophetischen Gebrauchs der Worte Hure, Unzucht u.ä., auf die Nutzung der Frauen als Projektionsfolie für Verfehlungen des Volkes Israel, aufmerksam machte, hat sie zugleich auf eine logische Beziehung zur durchaus vergleichbaren Gebrauch des Namens der Juden im Neuen Testament und dann im christlichen Antijudaismus hingewiesen. Liegt hier nicht der Nachweis für den strukturellen Zusammenhang von Antisemitismus und Frauenfeindschaft (sowie Antisemitismus und Sexualmoral)? Gehört zur Entschärfung des Vorurteils nicht auch die Erkenntnis des Zusammenhangs der Form des Symbols mit seinem projektiven Inhalt? Wird nicht beidemale, mit der Unzucht bei den Propheten und mit den Juden im Johannes-Evangelium, eindeutig Herrschaftskritik gemeint, die projektive Züge erst dann annimmt, wenn die Worte aus ihrem wirklichen Kontext herausgelöst und (im augustinischen Sinne) „ad litteram“ gebraucht werden?
Liegt hier nicht die Lösung des Problems der Beziehung von Symbol, Name, Instrumentalisierung, Begriff, Schuld, Herrschaft, Verdinglichung: nämlich im Zusammenhang einer Theorie des Feuers? Bezeichnet nicht das Feuer die Grenze zwischen Reflexion und Verdrängung: zwischen Begriff und Name? Indem ich das Verdrängte durch Reflexion verbrenne, lösche ich die Fluten der Sintflut? Hängen Wasser und Feuer nicht so im Namen des Himmels zusammen?
Wasser und Feuer, Schwert und Kelch: Verweist nicht die Verwandlung von Wasser in Wein beim ersten Wudner in Kana auf diesen Zusammenhang (vgl. hierzu das johanneische Komma: Drei nämlich sind es, die Zeugnis ablegen: der Geist und das Wasser und das Blut, und diese drei gehen auf eins. – 1 Joh 57)?
Der Thalessche Satz: Alles ist Wasser, ist als empirischer Satz, der die mythische Ära beendet und das philosophische Zeitalter eröffnet, zugleich ein prophetischer Satz: Hilft er nicht zum Verständnis des Wunders von Kana? Zum Satz Jesu: Ich werde von jetzt an von diesem Gewächs des Weinstocks nicht trinken bis zu jenem Tage, wo ich es mit euch neu trinken werde im Reiche meines Vaters (Mt 2629): Ist nicht der Taumelbecher und der Kelch des Zorns Produkt der Instrumentalisierung („der trinkt sich das Gericht“)? Beschwert sich nicht der Küchenmeister in Kana, daß andere Gastgeber den guten Wein am Anfang bringen, warum hier am Ende (sh. auch das „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“, und den Hinweis Marias an die Diener: „Was er euch sagt, das tut“; und es waren die Reinigungskrüge, die sie dann mit Wasser füllen sollten)?
Zu Jutta Voß: In ihrer Geschichte vom heiligen Franziskus würde ich auch die Partei des Lammes ergreifen.
Theologie nach Auschwitz kann sich nicht darauf berufen, daß auch in Auschwitz gebetet wurde: Zwischen diesen Gebeten und uns steht Auschwitz. Und es wurde sicherlich auch geflucht. Theologie nach Auschwitz ist notwendig, weil anders die Opfer von Auschwitz nochmal verraten werden (eine andere Frage ist es, ob sie noch möglich ist). Aus dieser Formulierung ergeben sich Konsequenzen, wie diese Theologie beschaffen sein müßte.
Die Corpus-Christi-mysticum-Lehre scheint irgendwann nach dem Kriege aus dem Bewußtsein der Kirche (und der Theologie) entschwunden zu sein, möglicherweise im Zusammenhang mit dem II. Vatikanischen Konzil? Kann es sein, daß sie genau zu dem Zeitpunkt „vergessen“ wurde, als man sie von der Erinnerung an Auschwitz nicht mehr trennen konnte (Auschwitz als Folge des durch die Instrumentalisierung des Kreuzestodes initiierten Wiederholungszwangs)? Steht die Theologie nicht heute unter dem Symbol: Abgestiegen zur Unterwelt (zur Hölle)?
Die Wahrheit hat einen Zeitkern, und kann es nicht sein, daß dieser Zeitkern die Positionen des Glaubensbekenntnisses durchwandert?
Kritik der reinen Vernunft, S. 508: Ein Hinweis auf die Unterscheidung der dynamischen von den mathematischen Grundsätzen des reinen Verstandes (auf Genesis und Bedeutung des Welt- und Naturbegriffs). -
09.08.93
Ich bin im Begriff, etwas zu tun: Was bedeutet der Begriff in dieser Redewendung?
Prinzip der Aufklärung: Alles sehen, aber selbst nicht gesehen werden (das Erkenntnissubjekt und der Fernsehzuschauer): sich raushalten (Scham- und Schuldvermeidung). Die Wissenschaft und das Fernsehen sind ihrer eigenen Logik zufolge voyeuristisch und pornographisch zugleich.
Funktion des blendenden, den Ermittler unsichtbar machenden Lichts (eine Erfindung der Gestapo?): Liegt hier nicht die Wurzel des Scheins in Philosophie und Kunst (der Grund der Ästhetik)? Durch ihre Beziehung zu den transzendentalen Formen der Anschauung (zur transzendentalen Ästhetik) werden die Objekte der Erkenntnis zur Erscheinung: zu einer Totalität des Scheins (Schauspiel, Theater, Film, Fernsehen), die dann von den logischen Gesetzen des Welt- und Naturbegriffs beherrscht wird.
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Grund jeder Ästhetik (und ihres gegenständlichen Korrelats: des Mythos)?
Das Nichtgesehen-Werden-Wollen ist der Ursprung der Privatsphäre und aller Geheimnisbereiche seitdem.
Adornos Satz „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“ hängt mit dem Rosenzweigschen, daß man sich von der Last nur dann befreit, wenn man sie auf sich nimmt, zusammen. Ungeliebt fühlt sich nur der Schuldige. Die Leugnung der Schuld, die mir von andern nicht vorgeworfen werden kann, weil sie rechtlich nicht zurechenbar ist, wird als „Haß der Welt“ erfahren und führt zwangsläufig in die Paranoia. Bezeichnet nicht das Täuferwort in Joh 129 genau den Grund der Befreiung, der Erlösung?
Hebr. berit, griech. diatheke, Bund oder Testament: War nicht das Urschisma: die Feindschaft zwischen dem Mitinhaber und dem Erben der Firma, unvermeidbar (und war dies nicht der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehn), und ist nicht an dem Namen des „Alten Testaments“, der eine relationale, nicht eine historische Beziehung bezeichnet, doch festzuhalten? Sind nicht die Juden in der Tat in der Rolle des Bundes, wir dagegen in der des Erben, durch eine Todesgrenze, die den Erbschaftsfall hat eintreten lassen, vom Bund getrennt? Ist eigentlich das „Neue Testament“ schon der „Neue Bund“?
Das Bekenntnis ist ein Produkt der Anpassung der Umkehr ans Herrendenken, das es ohne Feindbild (die Juden), ohne Verräter (die Ketzer) und ohne Sexismus (den Genuß der Unterwerfung der Frauen und der Heiden) nicht gibt (das Bekenntnis hat die Theologie besoffen gemacht: aber die Betrunkenen merkens nicht mehr).
Kohl will den nächsten Wahlkampf mit dem Thema „Wirtschaftsstandort Deutschland“ führen. Das Thema wird also sein: der Überlebenskampf der Nation im internationalen Wettbewerb, oder wie es in dem vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit unterzeichneten Aufruf für die Genforschung in der Bundesrepublik hieß: Deutschland muß die Nummer 1 bleiben. Die Schamlosigkeit, mit der weiterhin eine Wirtschaftspolitik gegen eine Welt von Konkurrenten draußen und gegen den „Leistungsmißbrauch“ der Armen im eigenen Land betrieben wird, eine Wirtschaftspolitik, die im wörtlichen Sinne über Leichen geht und draußen die Verhältnisse schafft, gegen deren Rückwirkungen auf das eigene Land die (in der „Verteidigungspolitik“ und im Asylrecht) nötigen Vorkehrungen zu treffen sind, eine Wirtschaftspolitik, deren Botschaft an die Wähler ist: Nur wer stark ist, wer bereit ist, die Ellenbogen einzusetzen, hat Chancen, sich selbst durchzusetzen; eine Wirtschaftspolitik, deren oberster Grundsatz der nationale Egoismus ist (der gleiche, der in diesem Jahrhundert schon zweimal die Welt mit Krieg überzogen hat, nur heute anderer, „ziviler“ (aber vielleicht schon bald nicht mehr nur ziviler) Mittel sich bedient; wer unter die Räder kommt, hat’s auch nicht anders verdient, denn wir leben in einer Welt, in der jeder, sofern er den Gesetzen der Leistungsgesellschaft sich anpaßt, die Möglichkeit hat, sein Glück zu machen. Ist dies nicht das Drachenfutter für jene, für die wir uns dann alle wieder begeistert schämen dürfen? Wird hier nicht das Motto gepredigt: Augen zu und durch?
(außerdem:
– Kein Reichtum ohne Produktion von Armut, die wir nach draußen exportieren; aber ist nicht die Aufnahmefähigkeit draußen erschöpft? Gibt es noch eine Alternative zum Reimport der Armut (Kürzung der Sozialleistungen, Hilflosigkeit gegen die wachsende Arbeitslosigkeit, Ansteigen der Obdachlosenzahlen im Innern und der Flüchtlingszahlen draußen), und wie geht’s weiter, wenn auch hier die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist?
– Der Zwang zur Absicherung der für unseren Reichtum notwendigen Ressourcen (des Rohstoffbedarfs und der für die Belieferung notwendigen Verkehrswege) definiert die Rolle der Bundeswehr neu (Testfall: Somalia)?
– Wird nicht erstmals – und das in dem Augenblick, in dem die „freie Marktwirtschaft“ (die sich einmal eine Soziale M. nannte) über den Sozialismus gesiegt hat: damit die Mittel, die eigenen Probleme zu begreifen, beseitigt hat – die Politik auf ihren realökonomischen Grund zurückgeführt, und das in voller, nach innen wie nach außen explodierender Brutalität?
– Ist dieser Nationalismus nicht das genaue Pendant des überall explodierenden Nationalismus (nach dem Zerfall des Ostblocks, der die „Kräfte des Merktes“ endgültig freigesetzt hat, die mit dem Instrumentarium des moralischen Urteils nicht mehr zu beherrschen und vor allem nicht mehr zu begreifen sind), und die EG nur dessen Erfüllungsorgan (wird nicht die EG von Ministerialbürokratien beherrscht, die selber nur noch die Lobby der Wirtschaft sind – das Ende der Politik und ihre Neukonstituierung als Verwaltung als Grund der Entpolitisierung: jetzt kommt es nur darauf an, die Leute zu unterhalten, sie abzulenken, damit sie nicht merken was läuft)? Nicht bewußt und mit Absicht, sondern unter dem Zwang dessen, was die Verwaltung so gerne Sachzwänge nennt, ist sie zum bloßen Vollzugsorgan der Wirtschaft geworden.
War der moralische Impuls, den der Vietnam-Krieg ausgelöst hat (und mit ihm die 68er Bewegung bis hin zur raf), nicht doch im Kern ein ästhetischer, unpolitischer Impuls (politisch aus der Sicht der Zuschauer); wird es nicht jetzt zum erstenmal ernst: im Angesicht der Tatsache und des Gewichts der wirtschaftlichen Verflechtungen, die heute das Ganze zu einer explosiven Masse zusammenfügt. Die Frage ist: Wann wird die kritische Masse erreicht, die die Explosion auslösen wird, wie lange werden wir die selbstzerstörerischen Kräfte noch eindämmen können?
Kann es nicht sein, daß der gegenwärtige Weltzustand nur noch auf der Grundlage der Lehre von der Auferstehung zu begreifen ist? Und ist es nicht umgekehrt denkbar, daß die Angst vor dieser Einsicht in den gegenwärtigen Weltzustand der „Religion“, die in diesen Weltzustand bis ins Innerste verstrickt ist, den Boden entzieht?
Der Grund dafür, daß der Vietnam-Krieg noch aus ästhetischer Distanz kritisiert werden konnte (was der „Betroffenheit“ nicht nur nicht widerspricht, sondern durch sie geradezu bestätigt wird), lag darin, daß die Kritik der Naturwissenschaft (und damit die Kritik des „Naturgrunds von Herrschaft“) noch nicht als Teil der Gesellschaftskritik begriffen war (vgl. hierzu die Absetzbewegung Habermas‘ von der Frankfurter Schule).
Ästhetische Distanz: das ist das Werk der subjektiven Formen der Anschauung.
Wer heute mit dem Argument „Ich komme darin nicht mehr vor“ aus der Kirche herausgeht, sollte vielleicht einmal kurz darüber nachdenken, ob er damit nicht einen der letzten Widerstände gegen einen Weltzustand abbaut, in dem dann im allerwörtlichsten Sinne niemand mehr vorkommt (ob nicht die Rache, wie immer, den Falschen trifft).
DdA: Heute kein Land, in dem man nicht wegen einer falschen/ab-weichenden Meinung um sein Leben fürchten muß (heute überholt: man darf alles sagen, weil es keine Wahrheit mehr gibt). -
07.08.93
Im Selbstmitleid ergreift die Sintflut ihren Verursacher. Sind nicht die fremdenfeindlichen Überflutungsängste projektive Abarbeitungen des Selbstmitleids?
Heute wäre ein Gottesbeweis nur noch über die Logik des Namens zu führen.
Wir exportieren die Armut in die „Dritte Welt“ und brauchen die Rüstung, um unsere Beute zu sichern. Ein projektiv verarbeitetes Christentum hilft hier, schon die Wahrnehmung der Tatsachen auszublenden (was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß). Das Problem liegt nicht mehr in der Frage nach der richtigen Gesinnung, oder ob man auf der richtigen Seite steht, sondern in der Frage nach dem Zustand der Welt.
Ich weiß nicht, welche Wirkungen eine Theologie hinter dem Rücken Gottes auf Gott hat, aber ich weiß, was sie bei denen anrichtet, die sie betreiben.
Was drückt sich eigentlich in der Konsonanten-Kombination -pfl-aus: Pflicht, Pflanze, pflücken, Pflaume, Pflaster, Pflock?
Die erkenntniskritische Reflexion der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung hat mit der Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten begonnen. Aber die Einschränkung der primären Sinnesqualitäten auf „Empfindungen“ hat das Problem verkürzt, indem sie es subjektivierte. Mit getroffen wurde der gesamte sprachliche Bereich des Namens, zuletzt erkennbar an der „vorwissenschaftlichen“ Elementenlehre. Wasser, Feuer, Luft und Erde, auch Licht und Finsternis (aus deren benennender Kraft die „Aufklärung“ ihren Namen herleitet), und die mit diesen Namen verbundenen sinnlich-sprachlichen Konnotationen sind seitdem gegenstandslos geworden. Gründete nicht die Entsinnlichung der Welt in dem theologischen Konzept der Entsühnung der Welt und der damit verknüpften Sexualmoral? Stand nicht diese Aufklärung insgesamt in der christlichen Tradition der Desensibilisierung?
Ist nicht Sinnlichkeit, soweit sie als Sensibilität sich begreift, eine sprachliche Bestimmung (das Medium des verlorenen Namens)? Theologie im Angesicht Gottes ist eine sensibilierte Theologie (die Rekonstruktion des Bekenntnisses des Namens), Theologie hinter seinem Rücken hingegen ein Instrument der Desensibilierung und der Zerstörung des Namens.
Müßten nicht in einer Theologie, die dann sich selbst durchsichtig wird, Marx, Freud und Einstein, sowie Hermann Cohen, Franz Rosenzweig, Georg Lukacs, Ernst Bloch, Walter Benjamin, Max Horkheimer und Theopdor W. Adorno ihre Stelle finden?
Findet nicht die mittelalterliche Eucharistie-Frömmigkeit ihre projektive Entsprechung in den antijüdischen Hostienfrevel- und Ritualmord-Legenden?
Kirche, Heiden und Ketzer: Überzeugen ist unfruchtbar (Walter Benjamin), die Widerlegung stabilisiert und verinnerlicht das Widerlegte. Was bedeutet es und welche Folgen ergeben sich aus der These, wonach die Kirche mit der Reformation ihre häresienbildende Kraft verloren hat und es seitdem nur noch Sekten gibt?
Steckt nicht in der Vorstellung, daß Basisgemeinden in der Metropole eigentlich Penner-, Knast- und Hurengemeinden sein müßten, ein trinitarisches Moment?
– Wer heute aus einem Ur in Chaldäa emigriert, hat keine Chance mehr, ein gelobtes Land zu finden;
– wer heute in die Fänge des Rechtsstaats gerät, hat keine Chance, vergöttlicht zu werden;
– und wer der lebenslänglichen Unterwerfung der Ehe unters Tauschprinzip sich entzieht, verfällt ihm als Hure.
Zusammenhang von Urschisma und Gnosis: Ist nicht das NT das erste Dokument der nach dem Urschisma (und in Reaktion darauf) sich herausbildenden Orthodoxie; aber ist es nicht zugleich auch ein Dokument, das in sich, und zwar in seinem Kernbestand, selbst die Warnungen gegen die Orthodoxisierung des Christentum enthält:
– Joh 129 und die Abschiedsreden („wenn die Welt euch haßt …“),
– „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“,
– die Feindesliebe,
– „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“,
– Maria von Magdala und die sieben unreinen Geister,
– die drei Leugnungen Petri,
– das Wort vom Binden und Lösen,
– die Auferstehungs- und Auferweckungsgeschichten,
– die Sündenvergebung und die Austreibung der Dämonen,
– das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden,
– Getsemane und der Kelch,
– die drei evangelischen Räte (Marx, Freud und Einstein),
– die Apokalypse, die Lösung der sieben Siegel (und die Reihe von Cohen bis Adorno) und die Offenbarung des Namens (der „Weltuntergang“).
(Wäre eine Zuordnung der 10 Namen von Marx bis Einstein und Cohen bis Adorno zu den 10 Sefirot denkbar?)
Hat nicht die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Psalmen als privates Gebetbuch zu lesen (und mißzuverstehen)? Und hat nicht durch die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft (und den Ursprung und die Geschichte des Weltbegriffs hindurch) die Offenbarungsgeschichte insgesamt sich so verändert, daß die Beziehung des Alten und Neuen Testamentes nur vor diesem Hintergrund durchsichtig wird (im Kontext des Symbols der „Dornen und Disteln“, vom Sündenfall, über die die Jotamfabel und die Institution des Königtums, über David und die messianische Geschichte: die Geschichte der Verinnerlichung der Dornen und Disteln).
Der Rechtsstaat ist nicht nur kein Mittel gegen den Faschismus, er ist eine Verkörperung des unreinen Geistes, der ihn erzeugt.
Alles ist Wasser (Thales): Der Mythos in all seinen Gestalten war das Medium der Reflexion des Ursprungs des Staates vor seiner Konsolidierung. Der Weltbegriff, der die Konsolidierung des Staates besiegelte, hat den Mythos überflüssig gemacht, seine Quellen trockengelegt. Aber ist nicht die Sintflut ein Realsymbol für den Untergang der mythischen Welt, für seine Überflutung mit den Wassern des Begriffs (und die Arche ein Symbol der Erinnerung)? Und gehört zu dieser Geschichte nicht auch die vom Weinanbau, von der Trunkenheit und der aufgedeckten Blöße?
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