Gesellschaft

  • 17.07.88

    Das einzige Mittel gegen Rechtfertigungszwänge ist das Einbekennen der Schuld. Das aber treibt der „Rechtsstaat“ erbarmungslos aus.

  • 22.07.88

    Individuelle (justiziable) und „kollektive“ (ethische/theologische) Schuld stehen in einer fatalen Wechselbeziehung (die den Zusammenhang von Recht und Mythos begründet): Das Bestehen auf individueller Schuld und die Freisprechung aller, deren Schuld juristisch nicht faßbar ist, begründet, verstärkt und vollendet den Schuldzusammenhang, der nur noch messianisch aufzulösen ist.

    Grund ist die Beziehung des Rechts zum Eigentum: dieses Verhältnis macht alle Nichteigentümer apriori schuldig, während es die Besitzenden tendentiell freispricht. Genau dieser Kitt hält die Gesellschaft zusammen. Arbeit befreit von Schuld, ist insofern Begründung des Selbstbewußtseins, Mittel der Selbstbildung des Menschen; dieser Zusammenhang läßt sich erst auflösen, wenn es gelingt, den Schein- und Verblendungszusammenhang des Rechts aufzulösen (insbesondere die Funktion der Strafe). Der materielle Schuldbegriff ist nicht unabhängig vom ethisch-theologischen; dieser ist durch „Umkehr“ aus dem ersten abzuleiten (Parteinahme für die Armen).

  • 23.07.88

    Unterscheidung der juristischen von der ethischen Person; „Ich“ sagen kann nur diese, während jene – ähnlich dem „transzendentalen Subjekt“, das mit ihm den gemeinsamen Ursprung hat – ausschließlich als Produkt von Vergesellschaftung (Intersubjektivität) sich begreifen läßt. Vor allem jedoch unterscheiden sich beide durch ihr Verhältnis zur Schuld: Die ethische Person ist in Schuld verstrickt, aus der sie sich nur befreien kann, soweit sie diese Verstrickung sich eingesteht, sich der Schuld bewußt wird; die juristische Person wird in dem Maße, in dem sie Schuld vermeidet, der Schuld sich entzieht, zum Ursprung des Schuldzusammenhangs (wie das einzelne Objekt im Raum zum Ursprung eines Inertialsystems: sie wird somit zum Ursprung des Materialismus, auf den sie so wütend reagiert, weil sie in ihm sich erkannt, durchschaut fühlt) und damit absolut schuldig. Das Problem des Christentums und seiner Geschichte scheint daraus herzurühren, daß es diese beiden getrennten Personbegriffe nicht nur nicht unterscheidet, sondern daß sie versucht hat, sie in eins zu setzen (Konsequenzen für die Trinitätslehre?). Aber kann die juristische Person selig werden? Oder gibt es im Bereich des Rechts überhaupt einen Ausblick auf das, was mit der Idee des seligen Lebens einmal gemeint war? – Das Schlimme ist, daß man es den Leuten ansehen kann, daß sie ans selige Leben nicht mehr glauben, daß aber niemand es mehr sieht.

  • 24.07.88

    Marx‘ Feststellung, daß die Gesellschaft nur vor Aufgaben gestellt wird, die sie auch zu lösen vermag, hat auch eine sehr fatale Bedeutung: Der Kampf der Kolonisierten gegen den Kolonialismus setzte (mit Aussicht auf Erfolg) genau dann ein, als die Kolonialherren sich in die Lage versetzt sahen, die Abhängigkeit mit anderen, wirksameren Mitteln aufrechtzuerhalten: anstatt mit der direkten Gewalt von Militär und Polizei mit der indirekten des Kapitals (der Schuldenabhängigkeit). Einer ähnlichen Auslegung ist die „Sklavenbefreiung“ z.B. in den USA fähig (vorausgegangen ist in den Anfängen des Kapitalismus, in der Phase der „ursprünglichen Akkumulation“, die „Bauernbefreiung“). Die „Befreiung“ war jedesmal die Freisetzung von „Proletariat“ (Menschen, die außer ihrer Arbeitskraft kein Eigentum haben, insbesondere keine Produktionsmittel besitzen).

  • 15.2.1997

    Gemessen an der Apokalypse ist das offizielle Christentum der Durchbruch des Heidentums im Christentum.
    Die Sünde der Welt: Ist die Orthogonalität, der Realgrund jeder Abstraktion, der Realgrund der Sünde, und ist der subjektive Ausdruck der Orthogonalität die Person (bei Paulus das Fleisch)?
    Im Begriff des Bekenntnisses steckt das ganze theologische Problem der Öffentlichkeit.
    Jedes Bild ist ein Feindbild, und die Feindbildlogik ist das Erbe der Idolatrie.
    Es gibt keine Gesellschaftskritik ohne Naturkritik. Nur: An der Natur wäre ein Kritikbegriff zu demonstriereen und zu erlernen, der nicht mehr auf Widerlegung zielt.
    Die Idee der Auferstehung, und mit ihr die Engel- und Dämonenlehre, ist zusammen mit dem Weltbegriff entstanden.
    Hat die Schriftrolle bei Sacharja (Sach 51ff) etwas mit dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, zu tun?
    „Und er sprach zu mir: Das ist der Fluch, der über das ganze Land ausgeht; denn alle Diebe sind – wie lange schon! – straflos geblieben, und alle, die in meinem Namen falsch schwören, sind – wie lange nun schon! – straflos geblieben. Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der Herr der Heerscharen, daß er eindringe in das Haus des Diebes und in das Haus dessen, der in meinem Namen falsch schwört, und in seinem Haus sich festsetze und es verzehre samt seinem Holz und seinen Steinen.“ – Ähnlich die Elberfelder Übersetzung.
    Buber: „Er sprach zu mir: Dies ist der Eidfluch, der ausfährt übers Antlitz all des Landes. Denn alles, was stiehlt, ihm nach wirds von hier weggeräumt, und alles, was schwört, ihm nach wirds von hier weggeräumt. Ausfahren lasse ich ihn, Erlauten ists von Ihm dem Umscharten, daß er komme ins Haus des Stehlers und ins Haus dessen, der schwört bei meinem Namen zum Lug, inmitten seines Hauses nachte und samt seinen Holzbalken und seinen Steinen es vernichte.“ – Vgl. auch Zunz (hier repräsentieren das Stehlen und der Schwur die beiden Seiten der Schriftrolle).

  • 7.11.1996

    Gründen nicht Wortbildungen wie Judenfrage, Seinsfrage und deutsche Frage in einem Begriff der Frage, die keinen Adressaten mehr hat: Ausdruck eines gleichsam heroischen Atheismus, der ein faschistischer ist, Bodensatz einer Sprache, die – bis weit in die Theologie hinein – das Gebet nicht mehr kennt? – Diese Fragen sind eigentlich rhetorische Fragen (in „Sein und Zeit“ finden sich ganze Kaskaden solcher rhetorischer Fragen, in deren Produktion Heidegger – wie nach Paul Celan der Tod – ein Meister aus Deutschland ist). Sie haben keine Adressaten und erwarten keine Antwort. Sie erinnern an das, was Ulrich Sonnemann einmal den „folgenlosen Protest“ genannt hat. In diesen Fragen spiegelt sich die Gewalt wider, die inzwischen in die Sprache selber eingedrungen ist und ihr den Weg zu Adressat und Antwort abschneidet, und es bleibt der Eindruck, daß diese Fragen mit dieser Gewalt, die sie so eindrucksvoll bezeugen, sich längst gemein gemacht haben. Diese Fragen gehören in den gleichen Kontext wie das Aussitzen oder auch das Durchsetzen politischer Entscheidungen mit den Mitteln der Gewalt anstatt mit den eigentlich politischen Mitteln der Sprache, sie sind Ausdruck eines „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, den Habermas nicht einmal gesehen hat. Ist nicht die RAF ein Ausdruck dieser sprachlogischen Situtation: einer Welt, in der die Moral, nachdem sie mit der Macht sich gemein gemacht hat, solange sie aus dieser Symbiose nicht sich befreit, zur rhetorischen Frage verkommt? Im Imperativ stehen nicht mehr die Attribute Gottes, sondern allein das nackte „Seyn“.
    Hängt der Unterschied zwischen den Worten Volk und Leute (dem im Hebräischen, dann aber auch in den Apokalypsen, der zwischen Stamm und Volk zu entsprechen scheint) mit dem zwischen „wir“ und „ihr“ zusammen (der ersten und zweiten Person Plural)? Und sind die „Nationen“, die Heiden, auch die Barbaren und am Ende die Wilden, Verkörperung des pluralen „sie“, der dritten Person Plural, die im Deutschen in einer merkwürdigen Beziehung zum Femininum steht: Hitler hat die „Masse“, die dieses „sie“ in genauer Verkehrung des Namens der Hebräer mit der ersten Person Plural amalgamiert, als ein Femininum erfahren: Ist das der Unzuchtsbecher? Und ist hieraus nicht die Funktion des Antisemitismus als Instrument der Massenbildung abzuleiten?
    Die transzendentale Logik, die mit den subjektiven Formen der Anschauung den Feindbild-Mechanismus zur Grundlage hat, erzeugt ihr eigenes Reich der Erscheinungen. Ins Recht lassen sich die Bedingungen der Konstruktion synthetischer Urteile apriori über die Feindbildlogik (die hierbei die Rolle der „subjektiven Formen der Anschauung“, des Vorurteils, übernehmen) hereinbringen.
    Wer unfähig wird zu sehen, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, und sie indikativisch versteht, macht den Indikativ zum Imperativ, er erzwingt die Anpassung ans Bestehende und die Unterwerfung unter die je herrschenden Mächte. Das ist die fatale Wendung einer Theologie, die sich selbst nicht begreift, zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. Der Kern des zum Imperativ gewordenen Indikativs ist der Staat. Der Staat ist auch ein sprachlogisches Konstrukt. Das macht die Beziehung der Schlange in der Geschichte vom Sündenfall zum Neutrum durchsichtig und zwingend.
    Ist nicht die Feindbildlogik die Grundlage des Indikativs (und des Urteils)?
    Ist die Beziehung Hiobs zu seinen Freunden nicht ein Paradigma der Beziehung einer Theologie im Angesicht Gottes zu einer Theologie hinter seinem Rücken?
    Der „Jäger und Fallensteller, der sich in den von ihnen selbst ausgelegten Fallen verfängt“, (Ebach I, S. 155, zu Hi 19). Unterschätzt Ebach nicht die Reichweite dieses Bildes, das in die Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs und die jesuanische Antwort darauf gehört? Ist nicht dieses Bild eines in seinem eigenen Netz gefangenen Jägers das Modell einer Interpretation des Kreuzestodes bei den Kirchenvätern, ist nicht das Kreuz diese Falle und Rom (der „Teufel“) der Jäger? Läßt die Logik dieses Bildes auf die Gegenwart (z.B. auf das Selbstverständnis des Staates, auf die Beziehung von Anklage und Gericht, auf den feindbildlogischen Kern in den Staatsschutzprozessen) übertragen?
    Welche Rollen spielen Frauen in der Feindbildlogik (warum kann man sich Bordellbesuche der Bundesanwälte so gut vorstellen)? Wäre nicht – nach den ersten erhellenden Reflexionen hierzu bei Ulrich Sonnemann – das Problem der Art, wie angeklagte Frauen in Mord- und insbesondere in „Terroristenprozessen“ von den Gerichten erfahren werden, erneut zu thematisieren? Material hierzu liefern die Prozesse gegen Birgit Hogefeld und Monika Haas übergenug.
    Hängt die Feindbildlogik in der Justiz nicht mit dem Eigentumsanspruch des Staates an seinem Volk zusammen? Feind ist, wer sich diesem Eigentumsanspruch widersetzt (die feindliche Bevölkerung im Krieg ebenso wie das Proletariat im Klassenkampf). Demokratie ist der Versuch, die Politik von der Eigentums- und damit von der Feindlogik zu befreien. Deshalb ist der Versuch, Demokratie mit freier Marktwirtschaft in eins zu setzen, so gefährlich.
    Justitielles Denken steht unter dem Bann des Schuldbegriffs, der in ihm sich nicht auflöst, sondern durch es instrumentalisiert wird. Genau darin aber reproduziert sich der Bann.
    Der Staatsschutz ist ein Instrument der Staatsrache, die BAW und die Senate sind deren willige Vollstrecker.
    Wichtig der Hinweis, daß auch die Blutrache in den Themenbereich des Lösens, Auslösens, Erlösens gehört (Ebach I, S. 163ff). Ist nicht der Kreuzestod die Auslösung der Blutrache, auch der Blutrache in ihrer verstaatlichten Form, im Recht? Wird von hierher nicht allein die Blutsymbolik, die die Opfertheologie staatsmetaphysisch verfälscht hat, verständlich? Diese Blutsymbolik eignet sich dann nicht mehr, das Strafrecht und die Todesstrafe zu begründen.
    Die theologische Enteignung der Juden (vgl. die Ausführungen Ebachs zu Hi 1925-27 in Hiob I, S. 161ff) war die Selbstenteignung der Christen durch den Staat.
    Gibt es nicht so etwas wie ein in der Sprache selber verborgenes Subjekt der Sprache, eines, das erfahrbar wird, wenn die Sprache den Bann ihrer Instrumentalisierung sprengt? Gibt es nicht in der Sprache sprachlogische Verkörperungen des Anklägers, des Angeklagten, des Verteidigers, der Herrschaft, der Eigentumsbeziehungen, des Objekts? Deshalb sind sprachlogische Probleme nicht nur sprachlogische Probleme, deshalb ist die Sprachreflexion ein Medium theologischer Erfahrung. Und mir scheint, allein in diesem Kontext, und nicht in dem seiner griechischen Verfremdung, die es schon in der Stunde seiner literarischen Geburt erfahren hat, ist der Name des Logos theologisch verstehbar.
    Max Horkheimers Satz, daß ein Richter, der nicht fähig sei, in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, auch kein gerechtes Urteil mehr sprechen könne, gründet in der Beziehung des Richtens zur Gottesfurcht. Richter, die nicht in den Angeklagten sich hineinversetzen können, müssen zwangsläufig den Satz verdrängen, daß Gott, vor dem sie ihr Urteil einmal werden vertreten müssen, ins Herz der Menschen sieht (wenn es überhaupt so etwas gibt, ist dieser Satz ebenso wie der andere, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, eine Definition Gottes).
    Theologische Anfrage ans Gericht: Seid ihr sicher, daß diese Urteil nicht ein Akt der Selbstverfluchung ist?
    Wer außer der geheuchelten keine Wahrheit mehr kennt, für den ist natürlich ein Pfarrer nur einer, der sich selbst Pfarrer nennt, und für den sind Erklärungen einer Angeklagten apriori Ausflüchte, Schutzbehauptungen, eigentlich nur Mittel der Prozeßverzögerung. Und die Prozesse würden in der Tat schneller (und vielleicht sogar mit günstigerem Ergebnis) ablaufen, wenn die Verteidiger zusammen mit dem Angeklagten – wie vor ihnen schon das Gericht – sich zu Hilfsorganen der Anklage machen würden. Das Ansinnen, sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen, ist dann nur logisch und konsequent. Im Kontext der Feindbildlogik gibt es zur Alternative Kronzeuge oder Feind keine weitere Alternative. Und gibt es nicht von der anderen Seite inzwischen die gleichen Erpressungsversuche, die Drohung, dem Genossen die Solidarität zu entziehen, wenn er aus der korrespondierenden Feindbildlogik der RAF durch Reflexion (die von der Anklage und vom Gericht ohnehin nicht verstanden werden) auszubrechen.
    Es ist die Beziehung zur Gegenwart, die die bloße Verurteilung des Faschismus so hilflos und verhängnisvoll zugleich macht. Befreiend und hilfreich ist nur der Gegenwartsbezug, der durch die Erinnerung des Schreckens hindurch sich herstellt. Wer meint, es könne nicht mehr um die „Konservierung des Schreckens“ gehen, plädiert für die Verdrängung; er vergißt, daß er damit nicht nur denen, die den Schrecken nicht loswerden – wie z.B. den Nachfahren der Opfer -, nochmals Gewalt antut, sondern auch sich selber. Denn das Entsetzen konserviert sich real in der Konstruktion der Gesellschaft und in den Verhältnissen. Und wer „das Entsetzen nicht konservieren“ will, will sich hiergegen unempfindlich machen.
    Die Verdrängung des Schreckens hat ihre christliche Vorgeschichte: in der Urteilsmagie, mit deren Hilfe der Kreuzestod opfertheologisch instrumentalisiert worden ist.
    Zum griechischen Naturbegriff wie auch zum Idee der Zivilisation, die gemeinsam mit dem Naturbegriff entspringt, gehört auch der Name der Barbaren: als Projektionsfolie für die Verdrängungen, mit denen der Naturbegriff erkauft worden ist.
    Nietzsches Abwehr des Mitleids war motiviert durch das Bewußtsein, daß in dem, was wir Mitleid nennen, das Selbstmitleid (die Sentimentalität) sich maskiert und versteckt. Dieses Mitleid gründet in einem gleichsam passiven Akt der Identifikation, so wie man sich mit dem Helden eines Romans identifiziert, eine Identifizierung, die u.a. das begründet, was Max Weber Charisma genannt hat, und die der Fundus jeglicher Ästhetisierung ist. Diesen ästhetischen Bann vermag allein das aktive sich Hineinversetzen in den Andern, die Barmherzigkeit, zu sprengen, der Grund jeder realen Erfahrung. Adornos und auch Rosenzweigs Votum für denm Vorrang des Objekts bezieht sich auf das Produkt der Vergegenständlichung, das Resultat des historischen Objektivationsprozesses, sondern auf dessen Sprengung, auf die im Objekt verborgene, aus ihm aktiv herauszuhörende Sprache. Diese Sprache ist das Medium, in dem Theologie als Theologie im Angesicht Gottes sich zu entfalten vermag. Diese Sprache ist die parakletische Sprache, die sich zum Anwalt der auf die Erlösung harrenden Schöpfung macht, sie der Gewalt des Anklägers entreißt, und die dem Ankläger den Anspruch, Herr der Dinge zu sein, weil er der Herr der Sprache ist, die sie verstummen läßt, streitig macht.
    Der Faschismus und alle Fundamentalismen nach ihm sind Selbstwiderlegungen der Sprache des Absoluten, uns fehlt nur die Sensibilität, das wahrzunehmen. Diese Sensibilität ist allein über die Idee einer Theologie im Angesicht Gottes wiederzugewinnen.
    Der Satz: Wenn du zum Opfer gehst und du weißt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann bringe das Opfer dar, dieser Satz sprengt den Absolutheitsanspruch des Indikativs, des Urteils.
    Das Problem der „Sünden der Väter“ verbindet Ezechiel mit den Evangelien (vgl. Ebach I, S. 172, sowie dazu Lk 117, 248f und Mt 822). Ist diese väterkritische Tradition nicht dann zum Gefangenen und zur Beute der „Vätertheologie“ geworden?
    Der Begriff einer „verkehrten Welt“ legt den Gedanken nahe, es gäbe eine richtige. Aber ist nicht die Welt das Prinzip der Verkehrung jeder Gestalt einer möglichen richtigen Welt?
    Der Diamat hat Merkur und Mars verwechselt. Der Klassenkampf ist kein Krieg, und er kann nicht wie ein Krieg geführt werden.
    Die Schlange ist zwar das klügste der Tiere, aber hat sie nicht Anteil an der Dummheit aller Tiere, denen die Fähigkeit fehlt, sich frei durch die Kraft, in den Andern sich hineinzuversetzen, selber zu verstehen? Diese Dummheit ist der Grund, auf dem die Klugheit der Schlangen erwächst. Und es kommt alles darauf an, sich von dieser Dummheit, die die Dummheit der Herrschenden ist, nicht anstecken zu lassen. Nicht zufällig sind Tiere Herrschaftssymbole. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. Diese Dummheit im Kern der Klugheit ist nur durch Sprachreflexion und durch die Kraft der Barmherzigkeit aufzulösen. Die Kraft der Sprache ist die Kraft der Barmherzigkeit. Die Sprache des Gerichts ist stumm.
    Inzwischen bleibt nur der Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
    Erst die doppelte Buße, die auch den König erreicht und dann die Tiere mit einbezieht, sprengt den Bann des Privaten, der seit ihrer Instrumentalisierung durch Herrschaft die Buße verhext und der Umkehr den Weg verlegt.
    Der blinde Fleck der Philosophie, in den die Prophetie Licht bringt („Ihr seid das Licht der Welt“), ist nicht ein blinder Fleck, sondern eine Konstallation von sieben blinden Flecken.

  • 28.10.1996

    … zahlreich wie der Sand am Meer und wie die Sterne des Himmels: Was haben Meer und Himmel gemeinsam, in welcher Beziehung stehen diese Namen? Bezeichnen nicht beide die Grenze,
    – das Meer die Grenze gegen ein Anderssein, das das Immergleiche ist: gegen den Feind und die Völkerwelt (die „Heiden“),
    – der Himmel (und mit ihm die „Himmelsheere“ des Dominus Deus Sabaoth) die gegen ein Anderssein, das die Erfüllung wäre: das Reich Gottes?
    Deshalb wird am Ende der Himmel zur Erde sich kehren, während das Meer nicht mehr sein wird (weil die Kraft des Namens die Logik des Begriffs gegenstandslos machen wird). Aber heißt das nicht, daß das „zahlreich“ eine andere Bedeutung hat, wenn es auf den Sand am Meer, und eine andere, wenn es auf die Sterne des Himmels bezogen wird, nur daß wir unterm Bann unseres vergegenständlichenden Sehens, der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“, die Differenz, an die Kant in der Idee eines intuitiven Verstandes zuletzt erinnert hat, (noch) nicht zu erkennen in der Lage sind (vgl. §§77 der Kr.d.U.)?
    Gehört zu dem „zahlreich“ nicht auch die „Menge, die keiner zählen konnte“ in der Johannes-Apokalypse?
    Die Gründer der Staaten der Alten Welt waren Nomaden, die nomadischen „Razzien“ die Vorform der Eroberungen wie des Fernhandels, der Grundlagen der Großreiche wie der poleis, der Stadtstaaten. Aber ist nicht andererseits die Rekonstruktion der Staaten der modernen Welt über eine Geschichte, die man als die von Meeresnomaden bezeichnen könnte, über die Piraterie, gelaufen (von den Wikingern über Venedig, Spanien, die Hanse, die Niederlande, Frankreich, England, über die Entdeckung und Unterwerfung der heute sogenannten „Dritten Welt“, ihre zunächst politische, dann ökonomische, durch die Marktgesetze vermittelte Kolonialisierung, bis zu der Globalisierung, die auf neue Weise das Element des Meeres hinter sich läßt, und heute auf die Verwüstung der Zivilisation hinausläuft? Der vergebliche und auch komische Versuch des Wilhelminischen Deutschen Reiches, imperiale Macht durch eine eigene Marine zu gewinnen, kündigte bereits das Ende der Seefahrt an. Hitler war dann der Beginn des zwangsläufigen Rückfalls ins Nomadische, sein Element nicht das Meer, sondern die Wüste, und die „Endlösung der Judenfrage“ die zwangshaft-paranoide Erfüllung des Gesetzes der nomadischen Razzia. Ist der moderne Staat das Tier aus dem Meer, der Faschismus das Tier vom Lande, der falsche Prophet?
    Modell des griechischen Objekt- und Naturbegriffs waren die Barbaren, Modell ihrer modernen Rekonstruktion, die die Feindlogik tiefer noch begründete, die Wilden.
    Korrespondieren nicht den Bildern vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels die Namen Hebräer und Israeliten? Israeliten waren die Hebräer für ihren Gott, Hebräer waren sie für die anderen Völker. Läßt nicht die Bedeutung des Namens der Hebräer durch logische Inversion, durch Vertauschung von Subjekt und Objekt, aus der Bedeutung des Namens der Barbaren sich herleiten?
    Schaufenster sind der falsch säkularisierte Himmel (das den Armen nur sichbare, aber unzugängliche Reich der Erfüllung). Symbol des Endziels der Schaufensterwelt ist die „irre Fahrt zu den Sternen“, wie Adorno die „Weltraumfahrt“ einmal genannt hat.
    Haben die Bilder vom Sand am Meer und von den Sternen des Himmels nicht etwas mit dem Binden und Lösen zu tun, beginnen sie nicht im Kontext dieses an Petrus und die Kirche gerichteten Wortes zu sprechen?
    Hat nicht der Sand am Meer etwas mit dem Staub, aus dem Adam ist und zu dem er wird, und den die Schlange frißt, zu tun, die Sterne des Himmels dagegen mit dem Stern, von dem es heißt: „Wir haben seinen Stern gesehen“.
    Kopernikus hat den Himmel unter das Meer subsumiert und die Sterne unter den Staub: der grandiose Versuch, das Feuer auszutreten?
    Sucht nicht die „irre Fahrt zu den Sternen“, eigentlich nur die exkulpierende Bestätigung, daß der Himmel auch nicht anders ist, und hat diese Intention mit der Rehabilitierung Galileis nicht inzwischen auch die Kirche akzeptiert (unter Zuhilfenahme einer verhängnisvollen Verwechslung: falsch war nicht der Widerstand gegen das „Weltbild“ Galileis, sondern allein die Mittel des Kampfes dagegen.
    Zum Namen der Juden: Ist nicht Israel (und sind mit ihm nicht die zehn „verlorenen Stämme“) durch Assur, durch Ninive, zugrunde gegangen, Juda, das dann doch überlebt hat, hingegen durch Babylon? Das Buch Jona bezieht sich auf Ninive, und damit auf den Untergang Israels. Auf dem Schiff, mit dem Jona übers Meer nach Tarschisch fliehen wollte, ist er ein Hebräer (und nur dadurch, daß er dem Meer geopfert wird, werden das Schiff und seine Besatzung gerettet).
    Tarschisch: War das nicht der Name des Gold- und Rohstofflieferanten des Königs Salomo, ein Ort, der nur übers Meer zu erreichen war?
    Verhalten sich nicht das Meer und der Himmel wie die subjektiven Formen der Anschauung, wie Raum und Zeit? Das Meer verweist auf das Andere des Raumes, das auch nur Teil des Raumes ist, während der Himmel auf das Andere der Zeit verweist, das, aufgrund der Irreversibilität der Zeit, nicht wie die Zeit ist.
    Das Relativitätsprinzip gilt für den Raum, nicht für die Zeit, es neutralisiert durch Orthogonalisierung des Raumes die qualitativen Differenzen der Richtungen im Raum (z.B. die Unterscheidung von Rechts und Links). Die Differenz zwischen den Richtungen der Zeit, zwischen Zukunft und Vergangenheit, aber ist unaufhebbar. Das allgemeine Relativitätsprinzip ist der genaueste Ausdruck der Irreversibilität der Zeit, deshalb ist sein apriorisches Objekt der Fall und die Schwere: Der Versuch, den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft aufzuheben, mündet in der Potenzierung der Vergangenheit: im Gravitationsgesetz. Das allgemeine Relativitätsprinzip repräsentiert das logische Bild der Katastrophe, das dann mit Hilfe der kosmologischen Konstruktionen, die man aus ihm abzuleiten versucht hat, verwischt und unkenntlich gemacht werden sollte.
    Der für RAF-Prozesse so zentrale Begriff der Schwere der Schuld ist, zusammen mit der perversen Konstruktion einer mehrfachen lebenslänglichen Strafe, der genaueste Reflex dieses logischen Bilds der Katastrophe im Spiegel des Rechts.
    Sind nicht bei Habermas die Elemente der Verdrängung alle beisammen:
    – die Verwerfung der Idee einer Rettung, die auch die Natur mit einschließt,
    – sein Konstrukt des Verfassungspatriotismus und
    – eine Kommunikationstheorie, die er mit der Idee eines herrschaftsfreien Diskurses (den es nicht gibt) zu begründen versucht,
    Elemente, die insgsamt nur noch das Erblinden der Vernunft indizieren, die Leugnung und Verdrängung der Reflexion von Herrschaft?
    Die Öffentlichkeitskrise, die die Erinnerungen der Teilnehmer an den Demonstrationen an der Startbahn, in Wackersdorf oder in Gorleben geprägt hat, die Erinnerungen an Erfahrungen, die keinen Weg in die Öffentlichkeit mehr gefunden haben, und denen mit tatkräftiger Hilfe der Justiz der Charakter nicht öffentlichkeitsfähiger Privaterinnerungen aufgezwungen worden ist, diese Öffentlichkeitskrise wird heute weithin, wie in allen Krisensituationen, so auch in RAF-Prozessen, konsequent instrumentalisiert und mit Absicht und Wissen „übergeordneten Interessen“ dienstbar gemacht. War diese Öffentlichkeitskrise, gegen die es aus rechtssystematischen Gründen rechtliche Mittel nicht zu geben scheint, nicht schon die objektive Grundlage des Antisemitismus (mit dem sie zwar nicht identifiziert werden darf, dessen Gefahren aber weiterhin in ihr präsent sind)? Diese Öffentlichkeitskrise läßt sich am einfachsten daran verdeutlichen, daß heute die zu Instrumenten der Bewußtseinsindustrie gewordenen Medien, nicht zuletzt das Fernsehen, in der Lage sind, Krisen und Kriege an- und abzustellen.
    Die Öffentlichkeitskrise ist in einer Welt, in der man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen, eine Krise der Beweislogik, die nur durch Reflexion auf ein erträgliches Maß sich reduzieren läßt. Und wird nicht gerade diese Reflexion heute in unerträglicher Weise hintertrieben? Deshalb ist nicht in RAF-Prozessen die Beweislogik anderen Kriterien unterworfen als z.B. in Prozessen gegen Übergriffe von Polizeibeamten.
    Nach Adorno gleicht die Welt immer mehr der Paranoia sich an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Kommt nicht alles darauf an, die Paranoia als Erkenntnismittel zu nutzen, ohne ihr zu verfallen, was nichts anderes heißt, als auch in dieser Welt noch den Kopf oben zu behalten, seiner selbst mächtig zu bleiben?

  • 02.10.1996

    Herrschaft, Macht und Gewalt verhalten sich wie Licht, Gravitation und Mechanik.
    Die Mechanik konstituiert sich in der Abstraktion von der Empfindung (vom Schmerz), die Gravitation in der Abstraktion von der Kritik (deren originäres Objekt die Macht ist) und das Licht in der Abstraktion von Schuld (dem Quell der Dunkelheit, der Finsternis). Das Licht ist das naturale Äquivalent der Sündenvergebung (und die „subjektiven Formen der Anschauung“ das der Beichte, mit der es die Verdrängung der Barmherzigkeit gemeinsam hat).
    Herrschaft ist die sich selbst durchsichtige Macht, die der Gewalt nicht mehr bedarf. Macht aber wird ihrer selbst durchsichtig (und mächtig) in der Barmherzigkeit.
    Ist nicht die Physik das Objekt, an der die Beziehung von Herrschaft, Macht und Gewalt zu studieren wäre?
    Haben Macht, Gewalt und Herrschaft etwas mit den Thronen, Mächten und Herrschaften der alten Dämonenlehre zu tun?
    Ist der Herrgott eine bayerische Spezialität, und der liebe Gott eine westfälische (norddeutsche)? Liebt der „liebe Gott“ nicht doch nur die Erfolgreichen?

  • 04.09.1996

    Das Militär ist die Produktionsstätte der Nation (die einzige Produktionsstätte, die nach dem Prinzip der Selbstproduktion arbeitet: in der die Produzenten selber auch die Produkte sind). In einer militaristisch organisierten Gesellschaft sind auch Staatsbetriebe, von der Verwaltung über die Eisenbahn bis zur Post, militärisch-hierarchisch durchorganisiert (der Faschismus hat alle in Uniformen gesteckt und in paramilitärischen Organisationen erfaßt). Hat die Tatsache, daß Mysterien-Religionen, deren Struktur im Christentum dann sich reproduzierte, vorrangig Miltär-Religionen waren, hiermit etwas zu tun? Die Kirchenbildung begann dann auch mit der hierarchischen Durchorganisation der christlichen Gemeinden (gewinnen hier nicht die Beelzebub-Geschichte und die Geschichte vom Hauptmann und seinem erkrankten Knecht eine höchst ambivalente Bedeutung? Vgl. auch die anderen in den Evangelien auftretenden Soldaten, z.B. den Hauptmann unterm Kreuz; wird nicht in der Geschichte vom Dämon, der sich Legion nennt, das Dämonische und das Militärische aufeinander bezogen?). Hierarchische Organisationen lassen durch die Verschmelzung von logischen und Herrschaftsstrukturen (als organisches System eines vollständig durchinstrumentalisierten Herrschaftskörpers) sich begreifen.
    Ist nicht das Präfix be-, das im Englischen als Infinitiv des Hilfsverbs „sein“ erscheint und die Sprachlogik beherrscht, das Schlüsselwort des Positivismus? Der Besitzer einer Sache besitzt nur, was einem anderen gehört, das Eigentum eines andern ist (hängt Gehorsam mit gehören zusammen, ist Gehorsam eine Eigentumskategorie?).
    In den modernen Sprachen (am konsequentesten in der deutschen Sprache) haben die Präfixe eine neue Funktion bekommen, während die Funktion der Suffixe sich verlagert hat: von der sprachlogischen Ebene der Deklination und Konjugation auf die der Bildung der Abstrakta (der Substantivierung von Adjektiven, Verben). Die Bildung der bestimmten Artikel (und ihre Einbeziehung ins Deklinationssystem im Deutschen) und die Einführung der Hilfsverben und der Personalpronomina gründet in dieser Verlagerung. Die Präfixe hingegen sind der Sprache durch ihre Subsumtion unters Inertialsystem aufgezwungen worden: sie sind die Spuren des Inertialsystems in der Sprache.
    War es nicht die gemeinsame Aufgabe der Naturerkenntnis und der Geschichtsschreibung, Natur und Geschichte, die in diesem Prozeß erst sich konstituierten, vor Augen zu führen, um sie (durch Objektivation) der Erinnerung zu entziehen? Opfer dieses Objektivationsprozesses waren die Juden, mit Beginn der Moderne auch die Ketzer (die nicht mehr nur verurteilt, sondern erstmals systematisch verfolgt wurden) und die „Hexen“ (in welchen die Sexualmoral eliminatorische Qualität gewann: bezieht sich nicht das apokalyptsiche Symbol des „Unzuchtsbechers“ auf diesen Vorgang: auf die projektive Anwendung der Sexualmoral?).
    Die Naturwissenschaften (und ebenso der Kapitalismus, die Geldwirtschaft, das Rentabilitätsprinzip) haben die hierarchischen Strukturen nicht abgebaut, sondern sie (durch Hypostasierung der intentio recta, durch Verdrängung des Bewußtseins der Vermittlung) nur der Reflexion entzogen. Die Hypostasierung der intentio recta, die erstmals im Prozeß der Dogmenbildung ihre logische Gewalt entfaltete, ist eine Funktion der Orthogonalität: Deshalb gehören die „subjektiven Formen der Anschauung“, die die intentio recta determinieren, zu den Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs.
    Die sieben unreinen Geister: Ist die Theologie heute nicht dabei, alle Ecksteine zu verwerfen?
    Die Duden-Grammatik (1984), die an Sprachlogik nicht interessiert ist, hat inzwischen bereits eine Konstruktion aus der Medien-Sprache notiert: Zum Genitiv des maskulinen Demonstrativpronomen („dieses“) bemerkt er in einer Anmerkung: „Gelegentlich schon mit -en wie ein Adjektiv (Man verzeichnet gern, daß dank diesen Besuches die Atmosphäre sich aufgehellt hat. [FAZ 1967])“ In Zeitungen und Nachrichten scheint die Wendung diesen Jahres die grammatisch korrekte dieses Jahres inzwischen vollständig verdrängt zu haben. Drückt in dieser Adjektivierung des Demonstrativpronomens (die das deiktische „dieses“ zu einer Eigenschaft der Sache, auf die es hinweist, macht) nicht ein beunruhigender Sachverhalt sich aus? Einerseits verliert die Sache ihre Substantialität, wird sie zu einer Funktion der Information, die ihr überhaupt erst Realität verleiht (nur was im Fernsehen erscheint, ist real). Andererseit aber wird die Information der Sache zugeschlagen, von der sie nicht mehr sich trennen läßt: So wird der Berichtende entlastet; sein Hinweis auf die Sache (die Information über die Sache) wird zu einem Teil der Sache, für die er nicht verantwortlich ist („Objektivität“ legitimiert jede Gemeinheit). Das Omnipotenz-Bewußtsein der Medien, die die Realität konstituieren, korrespondiert ihre Verantwortungslosigkeit: Sie berichten ja nur über das, was ist. Steckt diese demiurgische Selbstverleugnung nicht auch in den anderen Genitiv-/Dativ-Problemen der Medien-Sprache? Und ist sie nicht insbesondere der Grund des Wegsehens von allem, was an die moralische Gemeinschaft des Berichtenden und des Lesers, Hörers, Zuschauers erinnert: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“; heiß aber ist nur, was die Leser, Hörer und Zuschauer heiß macht, was die Empörung weckt, die sie manipulierbar macht, nicht was an sich heiß ist. Keine Meldung, in die nicht die Reflexion auf die Reaktion des ohnmächtigen und verantwortungslosen Konsumenten der Information als konstitutives Moment mit eingeht.

  • 31.7.96

    Welches Befreiungspotential steckt in der Wahrnehmung, daß nicht die Opfer, sondern die Täter nach dem Krieg sich frei von Schuld fühlten: Liegt hier nicht der Beweis, daß der Rachetrieb (der die Schuld auf sein Opfer verschiebt) nicht den Opfern, sondern allein den Tätern zuzuschreiben ist? Bezieht sich hierauf nicht der Satz von dem „einen Sünder“, über dessen Bekehrung mehr Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ebenso wie der letzte Satz des Jakobusbriefs: daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums (und ist dieser Irrweg nicht der der Projektion, der Weg, den das Schuldverschubsystem eröffnet) bekehrt, seine eigene Seele rettet und „eine Menge Sünden zudeckt“? Ist dieser Weg des Irrtums nicht der der Verblendung und Verstockung, und ist das nicht der Weg der Herrschenden: der Weg des Pharao? Hätte das Scheusal Ägyptens geopfert werden können (und wäre Israel auf andere Weise befreit worden), wenn es gelungen wäre, den Pharao (den „einen Sünder“) aus dem Irrweg seiner Verstockung herauszuholen. Die Griechen hatten die Fremdheit nach draußen (ins Anderssein, in die „Barbaren“) projiziert; zur Absicherung haben sie die Natur (die Totalität des Andersseins) erfunden. Die Christen haben die Fremdheit in die Vergangenheit projiziert (in die Juden und Heiden, die Verkörperungen der vergangenen Welten): Instrument dieser Projektion war die Lehre vom Sündenfall (die zur Vorstufe der Gravitationstheorie geworden ist); zur Absicherung haben sie die Hölle erfunden, die seit je für die Christen einen höheren Realitätsgrad hatte als die Himmel. Lassen sich hieraus nicht Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung, sogar die Scheiterhaufen, zwanglos ableiten? Unter einen Begriff werde ich (als Objekt) subsumiert, beim Namen werde ich gerufen. Hängt die Logik des Namens nicht mit der der Auferstehung zusammen? Verhalten sich Begriff und Name nicht wie Gericht und Barmherzigkeit? Verstärkt sich nicht der Eindruck, daß die Theologie heute verzweifelt sich bemüht, die Idee des seligen Lebens, ihre einzige Kraftquelle, zu verdrängen, sie nicht mehr laut werden zu lassen? Das kopernikanische System ist ein System von Bewegungen, deren jede in einem Abstraktionsschnitt sich konstituiert, in dem sie von den anderen jeweils absieht; die Einheit des Systems ist eine den einzelnen Bewegungen äußerliche: die des Raumes. – Die Erdrotation bezieht sich auf den Wechsel von Tag und Nacht, Licht und Finsternis, – das Kreisen der Erde um die Sonne auf den Jahreskreislauf; – worauf bezieht sich das Kreisen des Mondes um die Erde? Auf den Zyklus der Frau? Bezeichnet der mit dem paulinischen Begriff des Fleisches nicht das mit dem Ich gesetzte Ich-Fremde? Das würde auf den Zusammenhang des Begriffs des Fleisches mit der Sintflut verweisen („das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen; denn die Erde ist voller Frevel von den Menschen her. So will ich sie denn von der Erde vertilgen“, Gen 613), auf die Überflutung der Erde mit dem Ich und seinen Emanationen. Erinnert nicht das Freudsche „Wo Es ist, soll Ich werden“ an den paulinischen Begriff des Fleisches? Der Tod macht den Leib zum Fleisch. Ist es nicht das Kelch-Symbol, in dem die Herrschaft des Todes sich verkörpert, und gründet hierin nicht die Verknüpfung des Kelches mit dem Kreuz in der Getsemane-Geschichte? Sind es nicht die 99 Gerechten, die aus der Tatsache, daß Maria Magdalena, die große Sünderin und Büßerin, von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, den Schluß gezogen haben: Die muß es aber schlimm getrieben haben? Wer seine Seele retten will, wird sie verlieren; wer sie aber rettet, hat mehr als seine Seele gerettet. Der Christ müßte eigentlich fähig sein, den Satz, daß niemand über seinen Schatten springt, zu widerlegen. Im Kontext des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Existenz der Lichtgeschwindigkeit der Beweis, daß die Physik es nur mit dem Schatten zu tun hat. „Im Namen des Volkes“: Der Satz am Kreuz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ richtet sich eindeutig an die Richtenden; und sprechen kann diesen Satz nur das Opfer, der Verurteilte, nicht aber einer, in dessen Namen das Urteil gesprochen wurde. Die Natur kann den Begriff deshalb nicht halten, weil sie ihn zu halten versucht. Aus dem gleichen Grunde kann die Geschichte das Objekt nicht halten. Nur die Barmherzigkeit erreicht ihr Objekt: durch Auflösung des Begriffs im Namen. Ist nicht die Beziehung von Täter und Rachsucht der Beweis dafür, daß ich der Täter der Sünde Adams bin? Und genau hierauf bezieht sich der Satz des Täufers über Jesus vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich (nicht hinweg-) nimmt. Die Sünde der Welt, das ist die Erbsünde, und der eine Sünder, über dessen Bekehrung eine größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ist der Täter dieser Sünde, der endlich sich bekehrt. Die Sünde der Welt reproduziert sich durchs Recht. Das unterscheidet das Recht von der Gerechtigkeit. Ziel des Rechts ist die Erhaltung und Wiederherstellung des Rechts gegen den, der es verletzt, nicht die Gerechtigkeit. Mit dem Satz „Im Namen des Volkes“ konstituiert sich das Volk als Schicksalsgemeinschaft; die Wiederherstellung des Rechts ist nicht die Versöhnung. Und der Satz von Jutta Ditfurth, daß der Staat seine Terroristen braucht, verweist auf diese Logik, in der er gründet. An welcher Stelle der zehn ägyptischen Plagen finden die Allmachtsphantasien der Verwaltung ihren Platz? Hat das „Scheusal der Ägypter“ etwas mit der Zeusstatue im Tempel in Jerusalem. mit dem Greuel am heiligen Ort, zu tun? Und ist dieses Scheusal der Repräsentant der Allmachtsphantasien der Verwaltung (der subjektlosen Herrschaft)? Zu Habermas‘ Verfassungspatriotismus, den er wohl auf das Prinzip der Gewaltenteilung bezogen wissen will: Die Gewaltenteilung ist ohne Zweifel notwendig, aber ebensosehr auch reflexionswürdig, wenn sie nicht zum Prinzip der Selbstverblendung werden soll. Sind wir nicht dabei, die Legislative zum verlängerten Arm der Exekutive zu machen, und reproduzieren sich in der Jurisdiktion nicht immer deutlicher die Elemente der Exekutive? M.a.W., beginnt nicht die Gewaltenteilung sich selbst von innen aufzuzehren; droht nicht die Exekutive, sie zu verschlingen? Es gibt bereits Verwaltungen, die keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegen, die selbst als Legislative sich konstituieren: Vollzugsorgane der stärkeren ökonomischen Mächte, die sie beherrschen. Aufgrund objektiver Zwänge wird die Legislative immer mehr zum verlängerten Arm der Exekutive. Zugleich regrediert die Jurisdiktion in Verwaltung (werden reflektierende Urteile zu bestimmenden, zu synthetischen Urteilen apriori). Die Verwaltung wird zur Verwaltung des Wissens, mit dessen Hilfe sie Gesetzgebung (Natur) und Rechtsprechung (Welt) präjudiziert. Die Gewaltenteilung gründet in den Totalitätsbegriffen, die die Verwaltung zum Instrument der Transformation der Urteilskraft ins universale Vorurteil machen. Wird nicht das Gewaltmonopol des Staates durch das Wissensmonopol der Verwaltung abgesichert, wobei mit Hilfe der Geheimhaltung zwischen Herrschaftswissen und öffentlichem Wissen (zwischen Handlungskompetenz und Selbstdarstellung) deutlich unterschieden wird? Hierzu gehört es, daß der Staat bemüht ist, die Zuständigkeit der Medien auf den durch ihn definierten Bereich des öffentlichen Wissens einzuschränken, der Öffentlichkeit den Zugang zum Herrschaftswissen zu verwehren. Dem kommt der Informationsbegriff, das Selbstverständnis der Medien, auch ohne daß man gezwungen wäre, einen vorauseilenden Gehorsam zu unterstellen, weit entgegen, durch die Logik von Tatsache und Meinung, die zur Sache äußerlich sich verhält und den kritischen Begriff zur subjektiven Meinung, zum bloßen Raisonnement, und damit unschädlich macht. Rückt nicht ein Zustand immer näher, in dem es unmöglich zu werden beginnt, gegen das, was ist, noch anzuschreiben, in dem das Bestehende von der Logik seiner Rechtfertigung nicht mehr sich trennen läßt? Die These scheint begründbar zu sein, daß die Gewaltenteilung (wie auch die Konstellation der drei Totalitätsbegriffe Kants) das Gegenstück, das genaue Korrelat, zu der dreifachen Abstraktion darstellt, die das kopernikanische System determiniert und in ihm sich entfaltet. Bezeichnet nicht der Begriff der Determination (der Abstraktion von der Idee eines objektiven Ziels) das Grundprinzip der Begriffsbildung, das gleiche Prinzip, das den Objektivationsprozeß an den der Instrumentalisierung bindet? Durch dieses Prinzip ist das Verfahren der Begriffsbildung ans Selbsterhaltungsprinzip gebunden, und der Erkenntnisprozeß an ein Verfahren kollektiver Identitätsbildung (Ursprung des Nationalismus). Das reicht hinein in die Naturerkenntnis und in die historischen Gestalten der Kosmologie. Der Terminus, von dem abstrahiert wird, ist der Name und das Angesicht, und die Determination selber, der Abstraktionsprozeß, ist das Feuer. (Vgl. das ungeheure Bild in der sechsten der zehn ägyptischen Plagen, daß „der Ofenruß vor den Augen des Pharao gen Himmel“ geworfen wird.) Gehört nicht das Strafrecht zu den Konstituentien auch der logischen Determination? Ist nicht Kants Wort von der Erhabenheit des moralischen Gesetzes in mir und des Sternenhimmels über mir eine Station auf dem Wege der Selbstaufklärung der Aufklärung (auch der Astronomie)?

  • 30.7.96

    Schwindel: ein physischer und ein logischer Sachverhalt; Zusammenhang von Hören und Sehen, Fall und Rotation (Planeten). Der Schwindel und die „Wege des Irrtum“, der Taumelkelch. Das Inertialsystem erzeugt den Schein des Schutzes vor diesem Schwindel, er verschafft den Begriffen Grund durch Verankerung in der Identität des Anschauens, der sichtbaren Dinge. Seitdem steht alle Identität unter dem Bann des Anschauens.
    Im Johannes-Evangelium gibt es den „Fürsten dieser Welt“: – 1231: „Jetzt … wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden“, – 1430f: „Nicht mehr viel werde ich mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt. Über mich vermag er nichts, …“ – 167f.11: „Wenn ich nicht ginge, würde der Beistand nicht zu euch kommen … Wenn er dann kommt, wird er die Welt überführen: … des Gerichts, weil der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist.“
    Wer ist damit gemeint: Der Caesar oder eine Engelsmacht (wenn beide sich überhaupt unterscheiden lassen)? Ist die Engelsvorstellung nicht politischen und astrologischen Ursprungs zugleich (und sind die Horoskope säkularisierte Engelsbotschaften)? Und unterscheiden Engel und Dämonen sich nicht eigentlich nur dadurch, daß, während jene auf das Endziel, die Rettung der Welt, sich beziehen, diese auf Interessen der Selbsterhaltung?
    Zur Zweideutigkeit des Begriffs der Autonomie: Die Autonomie, die dem Selbsterhaltungsprinzip korrespondiert, gründet im Eigentum (der Nicht-Eigentümer ist nicht autonom), die andere Autonomie in der Distanz zur Selbsterhaltung (oder in der Fähigkeit zur Schuldreflexion): in der Freiheit zur Barmherzigkeit, zur Identifikation mit dem Anderen.
    Die zweite Gestalt der Autonomie findet ihre biblische Verkörperung in der Idee des Heiligen Geistes. Als Verkörperung des verteidigenden („parakletischen“) Denkens ist der Heilige Geist die Verkörperung einer Freiheit, die dem Rechtfertigungszwang entronnen ist.
    Ist nicht das Auto, dessen Kosten insgesamt die der „Anschaffung, Aufzucht und Erhaltung“ eines Kindes entsprechen dürften, und das auch einer ähnlichen „Zuwendung“ bedarf, das Symbol der Abschaffung der Zukunft? Hierbei entspricht der Geschwindigkeitsrausch („Freie Fahrt für freie Bürger“) dem Trieb, in der Gegenwart verharren zu können, der Zukunft zu entfliehen (Kult des Komparativs: Höher, schneller, weiter; zum Fetisch Auto gehört der Olympia-Kult). Sind nicht die Siege im Sport, insbesondere auf dem Fußballplatz, Exerzitien der schrecklichen Siege, deren Opfer wir alle einmal sein werden? Ist nicht das Ziel allen Sports das Präsens, das keine Zukunft mehr kennt (der Indikativ, der keinen Konjunktiv mehr kennt)? Bezieht sich nicht der Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden, auf dieses Präsens. Oder anders: Ist dieses Präsens das schwarze Loch, das alles Licht in sich aufsaugt, aber keins mehr ausstrahlt? Wie hängen die Formen der Deklination (die Casus) mit den Formen der Konjugation (den Zeiten und Modi: mit Präsens und Vergangenheit, Aktiv und Passiv, Indikativ und Konjunktiv, mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II, am Ende mit Infinitiv und Imperativ) zusammen? Hat nicht das nunc stans, das geheime Ziel der Lehre von der ewigen Wiederkunft, mit Nietzsche als absolute Parodie des Ewigen sich enthüllt? Nur daß es in einer Logik, die das Ewige mit dem Überzeitlichen verwechselt, hierzu keine Alternative gibt. „Ehe Abraham ward, bin ich“: ist dieser Satz nicht doppeldeutig? Er verweist einerseits auf eine vergangene Zukunft, die bis heute noch nicht eingeholt ist, während das „ehe“ auf eine Vorangehendes, Früheres, Erstes verweist, durch deren Kritik hindurch die Idee des Messias überhaupt erst zu gewinnen wäre. In messianischem Kontext ist das Erste das Letzte. Was „vor aller Zeit“ ist, ist keine Vergangenheit, sondern die Zukunft. Dieser Anfang wird das Ende sein. Deshalb ist der erste Akt der Schöpfung das Fallen, eine Katastrophe, das tohuwabohu, die Finsternis über dem Abgrund, während der zweite, noch nicht abgeschlossene der des Rettens ist. Der Anfang dieses zweiten Akts ist der über den Wassern brütende Geist. Aus wieviel Siebener-Gruppen besteht die Apokalypse (wenn man die Schreiben an die Engel der sieben Gemeinden in Asien mitzählt)? Kann es sein, daß es insgesamt elf sind, und bezieht sich darauf das Jesus-Wort an Petrus (das fast unmittelbar auf den Satz vom Binden und Lösen folgt), daß wir nicht nur siebenmal sondern siebenundsiebzigmal vergeben sollen (Mt 1822)?
    Läßt sich die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik nicht daraus herleiten, daß nur die, die mitgemacht haben, lebenstüchtig waren, während die, die nicht mitgemacht haben, zu sehr mit sich selbst (mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Probleme) befaßt und für die anderen Dingen nicht frei waren? Hat nicht der leichte Gesinnungswechsel nach dem Krieg die Bekenntnislogik, der er sich bediente, endgültig gegen die Tradition, aus der sie einmal erwachsen ist, immunisiert und damit erst wirklich faschistisch gemacht? Hier liegt der Ursprung des Mechanismus, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, der bewirkt, daß heute der Kampf gegen den Faschismus zum Kampf gegen die Erinnerung wird: Die reflexartige Verurteilung des Faschismus, die das Erinnern ausschließt (das Entsetzen soll nicht „konserviert“ werden), macht auch den Kampf gegen den Faschismus blind gegen das wirkliche Verhängnis, das fortbesteht, sie macht ihn am Ende selber faschistisch. „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ (Zwi Rix, zit. na Henryk M. Broder): Gehört nicht zur Anamnese der Rache die Einsicht, daß nicht die Opfer, sondern nur die Täter rachsüchtig sind; und liegt darin nicht die wirkliche politische Gefahr? Läßt sich nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos auf die Gechichte des Christentums anwenden (und liegt das einzige Hemmnis nicht in den aus genau dieser Anwendung ableitbaren Folgen dieser Geschichte)? Und sind wir nicht heute in der Phase der Finsternis? Worauf bezieht sich das Wort vom Greuel der Ägypter; ist dieses Greuel (die Materie des Opfers) eins in den Augen der Ägypter oder in den Augen Israels (das Greuel der Ägypter selbst, das Prinzip Mizrajim)? In jedem Fall rührt das am dritten Tag nach dem Auszug vorgesehene (dann aber nicht erfolgte?) Opfer an die „heiligsten Güter“ Ägyptens.
    Ist es nicht doch ein wenig arglos, wenn Ton Veerkamp darüber klagt, daß die gegenwärtige Theologengeneration an der Schrift nicht interessiert sei? Braucht nicht jeder Staat sein Militär, um in seinen Bürgern die paranoiden Ängste zu erzeugen und zu pflegen, deren er zu seiner Absicherung gegen ein etwaiges Erwachen der politischen Vernunft bedarf?
    Auch wenn Tertullian selber nicht heilig gesprochen wurde: Ist er nicht gleichwohl die Verkörperung jenes Paradigmenwechsels, der dazu führte, daß an die Stelle des Märtyrers der Confessor getreten ist? Hat nicht Tertullian das Martyrium in die Confessio transformiert, und war das nicht der Grund der donatistischen „Häresie“? Dazu würde es passen, wenn es stimmt, daß Tertullian einmal gesagt hat, daß Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, dort zu Männern (gleichsam „befördert“) werden. Hat er sich hierbei auf die Antwort bezogen, die Jesus den Sadduzäern gegeben hat, als sie ihn wegen der Frage der Auferstehung auf die eine Frau, die mit sieben Männern verheiratet war, ansprachen (und erinnert diese Geschichte nicht an zwei andere Geschichten: an die der Sara und des Dämon Asmodai im Buche Tobit, wie auch an die der Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde <überhaupt an die „sieben unreinen Geister“, die in das „leere, gereinigte und geschmückte Haus“ zurückkehren>; wie wurde übrigens die Sara von ihrem Dämon befreit)? Bei Mk wird an die Befreiung der Maria aus Magdala von den sieben Dämonen anläßlich des Gangs zum Grabe (am „ersten Tag“) und der Auferstehung erinnert (169), bei Lk im Zusammenhang mit der ersten Nennung der Frauen aus Galiläa, die Jesus begleiteten (82).

  • 1.7.96

    Die Nachkriegsverdrängung in Deutschland hat den Prozeß der Verdinglichung vollendet: sie war das Äquivalent der Konstituierung des Inertialsystems. Mit der Nachkriegsverdrängung ist eine Stummheit in die Verhältnisse eingedrungen, die die Sinnlichkeit unvermittelt und direkt gemacht hat, die der Kritik nur den Ausweg der Gewalt gelassen hat und der Schuld nur den der Projektion. Ist nicht die raf, an der diese Strukturen sich studieren lassen, das getreue Spiegelbild des Staates, den sie bekämpft?
    Mit der Fixierung aufs Feindbild transportieren wir den Staat in den Hinterkopf, machen wir uns zu Marionetten des Staates. Der Einzige, der dem sich hat entziehen können, ist dafür gekreuzigt worden, und sein Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist das Motto für die Befreiung des Sünders vom Weg des Irrtums (für die Kritik der Astronomie). Der eine Sünder, der sich bekehrt, über den mehr Freude im Himmel herrscht als über die 99 Gerechten: das ist der Staat.
    Das Schlimme ist, daß man heute selber als Opfer, als „Betroffener“, sich präsentieren muß, wenn man an die Leiden der Anderen erinnern will. Jeder, der für andere sich einsetzt, muß den Verdacht ausräumen, er tue es aus Eigeninteresse. Warum soll man sich dann nicht auch auf dieses Eigeninteresse, daß man in einer Welt nicht leben möchte, in der man für andere nicht mehr sich ensetzen darf, berufen? Heute muß die einfachste Sensibilität noch begründet werden. Damit ist man in der Täter-Opfer-Falle drin, die den Tätern den Weg frei macht, sie unangreifbar macht.
    Ist nicht das Meßopfer, die „Wandlung“, die Transsubstantiation, das Deckbild eines anderen Vorgangs: der noch ausstehenden Realisierung?
    Gerät nicht die katholische Tradition zur Zeit auf eine Entwicklungsstufe, auf der sie nur durch Realisierung noch zu retten ist?
    Daß Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern befreit wird, wird an der gleichen Stelle erwähnt, an der berichtet wird, daß sie die erste war, der der Auferstandene erschienen ist (Mk 169, vgl. hierzu Joh 2011-18, insbesondere v. 14 u.16). Nur bei Lk wird das Ausfahren der sieben Geister schon bei der ersten Nennung der Frauen aus Galiläa erwähnt (Lk 82).
    Die Geschichten mit den sieben unreinen Geistern gehören zu den sich wechselseitig erhellenden Geschichten in der Schrift, ähnlich wie die Geschichten über Lazarus. Gehört dazu nicht auch der Jonas ben Amittai, Jair (und Jairus)?
    Die Wertethik hat versucht, die Ethik auf die „Gefühle von Lust und Unlust“ zu gründen. Aber gründen nicht die Gefühle von Lust und Unlust selber in der Urteilsform, und käme es nicht darauf an, diese Beziehung aufzuhellen?
    Die christliche Gestalt der Unsterblichkeitslehre, die Lehre vom individuellen Seelenheil, der katholische Mythos von Himmel, Fegfeuer und Hölle, hat durch Hypostasierung der Urteilslust die Wahrheit (in der Form des Dogmas) ans Urteil gebunden und das Urteil selber (ähnlich wie der Weltbegriff die Herrschaft) der Kritik entzogen.
    Andersens Märchen von „des Kaisers neuen Kleidern“ wäre kein Märchen, wenn der Kaiser ein König wäre.
    Zu den im Kontext der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht mehr rekonstruierbaren Sinnesqualitäten gehören die Farben, das Licht, Wärme und Kälte, Geschmack und Geruch, der Klang, nicht zuletzt das Wort, die Sprache. Ist diese Abstraktion nicht ein verständlicher Vorgang, der sich erklären läßt aus dem Gesetz der „Veranderung“: Ich kann nicht mit den Augen des Andern sehen, mit seinem Gefühl fühlen, mit seinen Ohren Hören, mit seiner Zunge schmecken, mit seiner Nase riechen. Genau das ist aber der Effekt der subjektiven Formen der Anschauung wie auch des Weltbegriffs, daß jeder – ebenso wie er Rechts und Links nicht mehr unterscheiden kann – sich als Anderer für andere erfährt, dann aber mit seinen Augen nicht mehr sehen, mit seinen Ohren nicht mehr hören … kann.
    Die Aufgabe, die der Philosophie heute gestellt ist, ist aber nicht die Rekonstruktion der sinnlichen Erfahrung, sondern die Rekonstruktion des Ursprungs der naturwissenschaftlichen Erkenntnis: Erinnerungsarbeit.
    Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die List, mit der der Verstand gegen die Dinge sich durchsetzt. Das Angesicht ist die Realität des durchs Prinzip der Reversibilität Verdrängten: die Widerlegung der Vorstellung eines unendlichen Raumes, gegen die das Angesicht eine andere Unendlichkeit repräsentiert: den Blick des Andern.
    Die Schamfalle: Der Angeschaute senkt den Blick, der Anschauende ist frech.
    – Die Plagen an dem erkennen, wie sie hervorgerufen werden, was sie wem tun,
    . das Blut,
    . die Frösche,
    . die Mücken,
    . das Geziefer,
    . die Pest,
    . die Beulen und Geschwüre,
    . der Hagel,
    . die Heuschrecken,
    . die Finsternis.
    – Welche Plagen werden angekündigt, wie werden sie herbeigerufen?
    – Bei welchen Plagen sagt der Herr „Laß mein Volk ziehen, daß es mir diene“?
    – Und wie verhält es sich mit dem Opfer, das nach drei Tagen in der Wüste dargebracht werden sollte: Wann wird es wirklich dargebracht, was wird geopfert (das „Scheusal Ägyptens“)? Vgl. die Stelle in der Johannes-Apokalypse, das Sodom, Ägypten und Golgatha zusammenbringt?
    Heinsohn/Steiger: Eigentum etc. (Hamburg, 1996).
    . Wird hier nicht die Ökonomie in eine Engführung gebracht, aus der sie nicht mehr herauskommt?
    . Erneut Berufung auf „kosmische Katastrophen“, kann sich gesellschaftliche Naturkatastrophen (trotz Auschwitz, für das er eine Spezialtheorie braucht) nicht vorstellen (vgl. S. 34)?
    . Kennt Hegels Rechtsphilosophie nicht: Staat als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern (gemeinsamer Ursprung des Staats, des Welt- und des Naturbegriffs).

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