Louis Ginzbergs Bemerkung, daß die apokalyptische Bewegung „nicht nur antisozial, sondern auch antiethisch“ war (Apokalyptik, S. 220), verweist auf einen zentralen Punkt: Sie war staatskritisch. Die Katastrophe, die sie vor Augen hatte, war die Katastrophe, die insbesondere im Römischen Reich, dem Erben Babylons, sich verkörperte. War nicht der „Zaun um die Thora“ der notwendige Versuch, die systemsprengenden Energien, die die Apokalypse freizusetzen drohte, unter Kontrolle zu halten? Während die rabbinische Tradition die Hilfen fürs Überleben in einer übermächtigen Völkerwelt bereitstellten, ist das Christentum spätestens mit den Kirchenvätern zum Feind übergelaufen.
Wer träumt im Alten Testament, und wer im Neuen?
Stehen nicht alle Tiere unter dem Bann des Raumes, und ist das nicht das Problem der Hegel’schen Logik, daß dieser Bann in ihr sich reproduziert? Steht nicht der Begriff unter dem Bann des Raumes, der im Weltbegriff sich verkörpert?
Der Gott, der die Welt erschaffen hat, ist der Herr der Tiere.
Adornos Begriff der Reflexion der Natur im Subjekt zielt auf die Reflexion der Wurzel des Rassismus, er ist das deutlichste Konzept des Antirassismus. Die Reflexion der Natur im Subjekt ist die Reflexion der Objektseite des Subjekts, dessen, was das Subjekt für andere ist. Sie schließt die kritische Reflexion des Weltbegriffs mit ein, und damit die des Staates, in dessen Geschichte die des Weltbegriffs gründet.
Das Wasser im Namen des Himmels verweist auf die Wasser,
– über denen der Geist Gottes brütet,
– an denen die Hure Babylon sitzt,
– es verweist auf das Chaos-Element, das Lebenselement der von Gott erschaffenen Meeresungeheuer,
– es verweist damit auf die Schlange, die in der Geschichte vom Sündenfall das Neutrum repräsentiert, das Was, dessen Plural (im Hebräischen wie im Deutschen) der Name des Wassers ist.
Ist dieses Was die Außenseite des Wer (das Wasser die Außenseite des Feuers)? Bezieht sich darauf nicht das Wort vom Geist, der die Erde erfüllen wird wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
Das Was und das Neutrum bezeichnen den sprachlogischen Ort der kantischen Antinomie der reinen Vernunft: des apagogischen Beweises.
An welchen Stellen der Schrift wird Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde und des Meeres genannt, und in welcher Beziehung stehen diese Stellen zum geschichtstheologischen Problem der Apokalypse? Nach der Johannes-Offenbarung wird am Ende (wenn jede Träne abgewischt wird) das Meer nicht mehr sein.
Daß am Ende das Meer nicht mehr sein wird, heißt das nicht, daß die Sprache vom Bann der subjektiven Formen der Anschauung und des Begriffs befreit sein wird, daß sie die erkennende Kraft des Namens wiedergewinnen (daß sie sich im Angesicht Gottes erneuern) wird? Zuvor wird das Meer seine Toten herausgeben: Es gibt kein vom Begriff getrenntes Objekt mehr.
Das Meer ist der Repräsentant der Völkerwelt: Deshalb gehört zu den Konstituentien des Begriffs der Name der Barbaren (und zu denen des Namens der zum Namen der Barbaren inverse Name der Hebräer).
Theologie im Angesicht Gottes schließt die Kritik des Begriffs, die Reinigung der Sprache vom Begriff, mit ein.
Adornos Kritik der Verdinglichung, seine negative Dialektik, war der Anfang der Gottesfurcht.
Wer den Begriff Theologie mit „Rede von Gott“ übersetzt, weiß nicht, wovon er spricht: Die Predigt ist zur Rede geworden, als sie faschistisch wurde. Nicht zufällig erinnert der Begriff der Rede an Hitler. Der Name der Lehre, der im Namen der Theologie enthalten ist, kann und darf nicht preisgegeben werden. Die Attribute Gottes stehen zwar nach Emanuel Levinas im Imperativ, nicht im Indikativ; aber es gibt einen diesem Imperativ einbeschriebenen Indikativ, den es wiederzugewinnen gilt. Der Indikativ der Anschauung entspricht der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Der dem Imperativ einbeschriebene Indikativ ist das Angesicht Gottes.
Adornos Reflexion der Natur im Subjekt, das rührt an die Frage: Wer wird den Stein vom Grab fortwälzen?
Haben nicht die Sätze, mit denen die drei Bücher des ersten Teils des Stern der Erlösung beginnen, etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun: Von Gott, von der Welt, vom Menschen wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott, von der Welt, vom Menschen?
Kommt im Buch Daniel eine Frau vor? – Nur beim Belschasar, als er „mit seinen Frauen und Nebenfrauen“ aus dem den Geräten des Tempels trinkt. Kommt nicht dann „seine Frau“ (die also von den Frauen und Nebenfrauen noch unterschieden wird) hinzu, die ihn an Daniel verweist?
Ist nicht die Rache eine reaktive Gemeinheit, unterliegt sie nicht dem Gesetz der Feindbildlogik, der Rechtfertigung des eigenen Tuns durch das der Andern und dem Trieb, auch so gemein sein zu dürfen wie der Feind? Der Rachetrieb ist mit der Befreiung und der Veränderung nicht auf einen Nenner zu bringen. Im Rachetrieb mache ich mich mit dem, an dem ich mich räche, gemein.
Ginzberg
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31.1.1997
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