Giordano

  • 23.7.96

    Ist nicht das Gleichnis vom Unkraut im Weizen auch eine prophylaktische Warnung von der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung? Zwei biblische Themen sind z.Zt. zentral: – Das eine geht aus vom letzten Satz des Jakobus-Briefes; es bezieht mit ein das Wort von dem einen Sünder, dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel hervorruft als 99 Gerechte; und es bezieht mit ein Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde (sowie die andere Geschichte von den sieben unreinen Geistern). – Zum anderen gehören der Kelch-Begriff, der Schlaf der Apostel in Getsemane sowie das „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, als Grundlage aber die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos. Was den Stern der Erlösung von der gesamten christlichen Theologie damals (und heute noch) unterscheidet, ist die Vergegenwärtigung der Offenbarung, ihre Errettung vorm Vergangensein, die durchgeführte Kritik der ihr Objekt zum Objekt (oder Gott zum stummen und blinden Autisten) vergegenständlichenden Theologie, während Martin Buber dem eigenen dialogischen Prinzip zum Trotz hilflos am Prinzip der Vergegenständlichung festhält, deshalb nur eine angepaßtere Version des Erbaulichen liefert.
    Innen- und Außen-Kommunikation, oder Gericht und Barmherzigkeit: Jeder Autor hat seine Zensoren im Kopf, die seine ersten Adressaten sind, vor denen er bestehen möchte. Dazu mögen u.a. sein „Partner“, seine Eltern, seine Lehrer, seine Freunde, insbesondere auch seine Kinder gehören. Wenn er schreibt, sind sie anwesend, hören zu, machen Einwände; wenn etwas gelungen ist, scheinen sie sich sogar zu freuen. Aber sind nicht auch, und zwar auf eine sehr viel beunruhigendere Weise, die andern anwesend, die er nicht kennt, deren Einwände wie auch deren Zustimmung er nicht kennt, die er gleichwohl antizipieren muß: das namenlose Kollektiv seiner Leser, seine wirklichen Adressaten, für die er schreibt? Ist nicht der Abgrund, der ihn von diesem Adressaten trennt, und den er durch sein Schreiben überbrücken möchte, der Abgrund der Sprache, des Namens? Hat Levinas‘ Satz, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, den er mit dem Hinweis auf die Barmherzigkeit begründete, etwas mit diesem Abgrund zu tun? Gehört nicht Adornos Wort vom „Licht der Erlösung“ in den gleichen Zusammenhang? Hat nicht das real existierende Christentum mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele den Impuls der Gotteserkenntnis, der in allen steckt, durchs Selbsterhaltungsprinzip verwirrt und vergiftet? Hat es nicht zugleich den Blick auf die Welt versperrt und verdunkelt?
    Es gibt keine Kollektivschuld (so wie es kein kollektives Objekt des moralischen Urteils gibt), wohl aber eine kollektive Schuldverdrängung: die Verweigerung der Erinnerung durch das Instrument der Verurteilung. Die Schuldverdrängung führt in das, was Ralph Giordano die „zweite Schuld“ genannt hat, die dann allerdings in der Tat zur Kollektivschuld wird. Gleicht die Beziehung der zweiten zur ersten Schuld nicht der der zweiten zur ersten Natur? Wird nicht die erste Natur (als „Erscheinung“) erst im Lichte der zweiten sichtbar? Hat nicht das Christentum im dogmatischen Prozeß den Verurteilungsmechanismus ausgebildet und eingeübt (im „Kampf gegen die Häresien“), zusammen mit der Ausbildung und Einübung der Bekenntnislogik? Wer einen Schuldigen verurteilt, bekennt sich zu den „Werten“, die der Schuldige verletzt hat: Er entzieht sich damit dem Urteil, ändert aber nichts. War es nicht dieser Verurteilungsmechanismus, mit dem die Philosophie aus dem Bann des Mythos sich befreit hat, aber um den Preis der Logik des Begriffs? Die Erfindung der Philosophie war begleitet von der Erfindung der Barbaren. Das Christentum hat diese Erfindung differenziert, ebntfaltet und verfeinert, und zwar in dem Prozeß, auf den Geschichte der drei Leugnungen verweist: durch die weiteren Erfindungen der Juden, der Heiden und der Wilden. Schuldverdrängung und Schuldverschiebung funktionieren nur als kollektive Mechanismen; sind diese Mechanismen nicht der Kern der Bekenntnislogik und der Massenbildung zugleich? Autonome, spontane Solidarität wäre Solidarität ohne Komplizenschaft (ohne das Wechselspiel der kollektiven Absicherung). Bezeichnet nicht die Opfertheologie genau dieses Moment der Komplizenschaft in der Bekenntnislogik (die Bindung, den gesellschaftlichen Kitt der Religion)? Im Anfang wurden die Tiere in Horden, nicht durch Einzelne erlegt, die dann zur Versöhnung des Opfers bedurften. Der erste einzelne Jäger („Held der Jagd“, so Buber) war Nimrod? Gründet nicht der Totemismus im Raub der jungen Tiere, die – über die symbiotische Beziehung zu diesen Tieren – den Anfang der Domestikation bildete? War die christliche Opfertheologie das Instrument der Domestikation des Messianismus? Es war in Antiochien, wo die Christen erstmals sich Christen nannten. Die Sekten nutzen die Apokalypse als Angsterzeugungs-Instrument, um die Schafe in die eigenen Hürden zu treiben. Aber ist nicht umgekehrt die Apokalypse, als Mittel der Angstbearbeitung, auch eine Erkenntnishilfe? Es gibt drei subjektive Formen der Anschauung, den Raum, das Geld und die Bekenntnislogik, die sich durch wachsende Distanz von der Natur unterscheiden. Der Raum ist noch ein „Naturprodukt“, während das Geld auf den Selbsterhaltungs- und Eigentumstrieb der Menschen verweist, die Bekenntnislogik hingegen aufs Schuldverschubsystem und seine objektkonstituierende Kraft. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Ist der Plural („ihnen“, „sie“) nicht wesentlich? Ist das Augen-Aufgehen und die Erkenntnis der Nacktheit nicht ein kollektiver Akt (und sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ nicht das Produkt dieses kollektiven Akts)? Steckt nicht in jedem gegenständlichen Sehen das Bewußtsein und der Anspruch eines gemeinsamen Tuns (das dann im Fernsehen sich erfüllt)? Und bedarf es nicht einer zusätzlichen Reflexion, um zu bemerken, daß es keine Garantie gibt, daß das, was ich sehe, von den anderen genau so gesehen wird, wie ich es sehe?

  • 09.03.94

    Drei Folge-Institutionen des Schicksals:
    – der Begriff und das Wissen, oder die Aufhebung der Gotteserkenntnis,
    – der Staat und das Recht, oder das Ende der Barmherzigkeit (der Wurzel des göttlichen Zorns),
    – die Religion und das Bekenntnis, oder die Leugnung der Gottesfurcht.
    Die Empfindlichkeit ist ein subjektiver Reflex des Weltbegriffs; sie ist vom Grunde und von den Auswirkungen her pathologisch. Der Weltbegriff impft das Subjekt mit Paranoia (Narben dieser „Schutzimpfung“ sind die Begriffe Natur und Materie); darin gründet die Empfindlichkeit (die Beleidigungsfähigkeit). Auf die Befreiung von dieser pathologischen Empfindlichkeit zielt die Forderung Jesu: Seid arglos wie die Tauben.
    Was sind Bakterien und Viren; in welchen Zusammenhängen treten sie auf und wodurch unterscheiden sie sich? Sind mit Aids und Krebs vielleicht erstmals Krankheiten aufgetreten, die erst dann begriffen (und therapierbar) werden, wenn das projektive (paranoide) Moment in den Bakterien und Viren erkannt ist? Schließt die Kritik der Atomistik nicht auch die Kritik ihrer biologischen Entsprechungen mit ein (gibt es einen Zusammenhang zwischen dem modernen Gebrauch des Existenzbegriffs und diesen projektiven Objekten der Wissenschaft: sind Bakterien und Viren „existentiell“)?
    Hat der von Ralph Giordano geprägte Begriff der „zweiten Schuld“ nicht eine sehr viel weiterreichende Bedeutung, bezeichnet er nicht den gegenwärtigen Stand des verdinglichten Bewußtseins überhaupt, und gehören dazu nicht auch die Atome, Bakterien und Viren (die wie der Existenzbegriff zur letzten Stufe vor der Begründung des Begriffs gehört)?
    Ist das Sumerische der Turm von Babel (die agglutinierende Sprache die Vorstufe und der Grund der flektierenden – der „verwirrten“ – Sprache)? Und welche Rolle spielt hierbei die Ursprungsgeschichte der Schrift: Ist die agglutinierende Sprache eine reine Schriftsprache?
    Beschreibt nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ aufs genaueste das Verhältnis von Philosophie und Theologie?
    Hegels Begriff ist das apokalyptische Tier; sein Lebensprinzip ist die Welt, sein logischer Kern die Paranoia. Beschreibt nicht die Hegelsche Logik in ihrer Entfaltung vom Sein über das Wesen zum Begriff die Geschichte der drei Leugnungen?
    Das Absolute ist der Greuel am heiligen Ort.
    Gibt es eine Beziehung zwischen den zweiten Brennpunkten der elliptischen Planetenbahnen und der Erdbahn?
    Zum Problem der Genese des Dingbegriffs (der Trennung von Ding und Sache) ist auf die Doppelbedeutung des Begriffs der Sache hinzuweisen, der sowohl das sprachliche Geschlecht des Neutrums (das Eigentumsfähige im Gegensatz zur Person, zum Eigentümer) als auch den Gegenstand der Erkenntnis bezeichnet (entspricht dem nicht die Doppelbedeutung des Seins: als Hilfszeitwort und als Possessivpronomen).
    Ist der Raum eine bestehende Form, die den Weltereignissen zugrunde liegt, in der sie (wie auf einer Guckkastenbühne) sich „abspielen“, oder wird der Raum als Form der Vergängnis in jedem Augenblick neu erzeugt? Was hat es dann mit dem Haus und mit dem Felsen (mit Pharao und dem Sklavenhaus Ägypten und mit Petrus und der Kirche, als den sichtbaren Gestalten der Dauer des Räumlichen: der fortdauernden Macht der Vergangenheit) auf sich?

  • 07.10.93

    Zu Crüsemann, S. 246: Könnte es nicht sein, daß ein Verbot des Götzendienstes vor der Landnahme gegenstandslos war und reale Bedeutung erst im Zusammenhang mit der Begründung staatlicher Strukturen erlangte?
    Die Hegelsche Rechtsphilosophie hat, in der Konsequenz der Logik des Hegelschen Systems, den Staat auf eine radikale Weise verweltlicht: Hier ist der Staat zum Vollstrecker des „Weltgerichts“ geworden und der öffentliche Ankläger zum Staatsanwalt (mit der Folge, daß bereits das Ermittlungsverfahren zu einem hoheitlichen Akt wird, Eigenermittlungen Gefahr laufen, als Verletzung der Hoheitsdrechte des Staates inkriminiert zu werden -vgl. Finkelgruen, S. 169). Die ungeheuerlichen Folgen dieser Staatsmetaphysik für das deutsche Staatsverständnis sind bis heute nicht aufgearbeitet: weil sie aufgrund der Verstrickung dieses Staates mit dem Weltbegriff unsichtbar geworden sind?
    Im Titel des Staatsanwalts ist die Gemeinheit, die Ralph Giordano dann wahrgenommen hat, vorprogrammiert.
    Ethik als prima philosophia läßt sich begründen – und der Bruch zwischen der theoretischen und der praktischen Philosophie, der der Trennung des Natur- und Weltbegriffs zugrundeliegt und durch diese Trennung stabilisiert wird, heilen – nur durch die Schuldreflexion.
    Durch den Weltbegriff ist der Götzendienst zur Subjektidolatrie: zum Nationalismus geworden.
    Jesus hat die Sünde, nicht die Schuld der Welt auf sich genommen. Aber nur von der Last der Schuld befreit man sich, wenn man sie auf sich nimmt. Ist die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt (durch die der Logos sich an den Anfang der Welt setzt) die Grundlage für die Schöpfungsbedeutung des Logos? Wird nicht, wer die Sünde auf sich nimmt, selbst zum Sünder (mit ungeheuerlichen Konsequenzen fürs Verständnis des Kreuzestodes)?
    Heute klagen alle Leute darüber, daß sie nach Feierabend so fertig sind, daß sie sich nur noch vor die Glotze setzen können. Die Programme sind denn auch danach: nur noch Drachenfutter (Psychoanalyse verkehrt). Welcher Welt- und Ichzustand drückt sich darin aus! Die durchs Fernsehen vermittelte Welt ist ohne Fernsehen nicht mehr erträglich. Hat das Fernsehen als Droge das Rauchen, ohne das die Nazizeit nicht zu ertragen gewesen wäre, abgelöst (Teil des Modernisierungsschubs)?
    Die Isolationshaft der raf-Gefangenen ist das genaueste Bild der Isolationshaft, in der wir alle sitzen: Das Fernsehen ist die Blende vor dem Zellenfenster, und die Fernsehgesellschaft eine Gesellschaft von Kollektiv-Monaden; Aufgabe der Fernsehanstalten: die Herstellung der prästabilisierten Harmonie durch Verhinderung von Erfahrung.
    Liegen hier nicht die Voraussetzungen einer Politik des Aussitzens, deren Gravitationswirkung die „Hoffnung“ nicht unbegründet erscheinen läßt, daß „uns“ eines Tages Europa, und „morgen“ -wie zuvor die „deutsche Einheit“ – „die ganze Welt“, wie eine reife Frucht in den Schoß fällt; und dient nicht die Diskussion um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ genau diesem Zweck?
    Zu den schlimmsten Folgen des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus gehört die Zerstörung, die Destruktion der Erinnerung an die einzige Gestalt einer moralisch begründeten Politik im Nachkriegs-Deutschland: der Brandtschen Ostpolitik. In diesem Kontext gewinnen Gestalten wie Heitmann ihre verhängnisvolle Funktion.
    Drücken die Chaostheorien nicht den depressiven Untergrund unseres Naturverständnisses aus? Sie reduzieren die Natur auf die Logik der Gräser, Farne und Insekten (auf eine Entwicklungsstufe, in der es die Entsprechung des Licht, die Prophetie des Angesichts in der Natur: die Blüten, noch nicht gab).

  • 25.08.93

    Steckt nicht in der Vorstellung einer „von der Sintflut gereinigten Erde“ (Zenger, S. 169?) das christliche Modell einer entsühnten Welt? Ist dieses Konzept nicht doch in einem verhängnisvollen Sinne opfertheologisch, dem dann der – die Menschen zu bloßen Zuschauern objektivierende und entlastende – „Geschehens“- (und Kosmos-) Begriff entspricht.
    S. 172, Anm. 20: Das Keel-Zitat, wonach die „Vorstellung vom himmlischen Plan für einen irdischen Tempel … warscheinlich aus Mesopotamien ins AT eingedrungen“ sei, stammt aus einer geisteswissenschaftlichen Tradition, nach der sich in der Geschichte Vorstellungsmassen von einem Ort zum andern bewegen, wie feindliche Truppen in eine fremde Stadt in einen Text „eindringen“, blendet das Erfahrungsmoment in solchen Vorstellungen aus und verdrängt es.
    Philosophie als Instrument der Sprachverwirrung: Gilt die Beziehung des Tempelbaus zur Schöpfung (S. 173) nicht generell für die Geschichte der Architektur (die damit eine Beziehung zur Geschichte der Philosophie gerückt wird, die in Heideggers „Haus des Seins“ nachklingt und auf die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel zurückweist).
    Zum Turmbau von Babel vgl. das Zitat aus dem Emuna-Mythos in der Anm. 26 auf S. 174.
    In welcher Beziehung stehen eigentlich Tempel und Schrift: Steckt nicht in der Geschichte von der Auffindung der Schrift im Tempel (durch Hilkija – 1 Kön 228) mehr als ein nur zufälliger Vorgang? Drückt in dem Auffinden nicht auch etwas von der Beziehung des Autors zum Text sich aus, etwas, was es unmöglich macht, vom Willen oder von der Absicht des Autors zu sprechen? Beschreibt nicht das Auffinden auch einen wesentlichen Aspekt der Produktion des biblischen Textes?
    S 174: „Nach dem Sieg im Götterkampf über die Götter Ägyptens tritt der Schöpfergott Jahwe definitiv seine Weltherrschaft an.“ Wird hier nicht Jahwe mit Zeus, mit dem Reflex des Ursprungs des Patriarchats am mythischen Götterhimmel, verwechselt?
    Ist die Idee von einem „Heiligtum der Weltherrschaft“ bezogen auf den Tempel nicht antisemitisch?
    Das Ganze ist das Unwahre: Die Pforten der Hölle (Mt 1618), die die Kirche nicht überwältigen werden, sind die Pforten des hades, des scheol: der Unterwelt, des Totenreichs, d.h. der Natur.
    Der ungeheure Satz in Num 1333: von dem Land (Kanaan vor der Landnahme), das seine Bewohner frißt („wir sahen dort auch die Riesen“). Sh. hierzu Zenger, S. 176f.
    Haben die Säugetiere (die, anders als die Fische und die Vögel, keine Eier mehr legen) nicht das Meer und den Himmel im eigenen Innern? Und stehen die Wehen nicht in Zusammenhang mit dem Aufruhr der Meere und der Winde?
    Hat nicht Tilman Moser schon in seiner „Gottesvergiftung“ das Selbstbewußtsein eines Skins beschrieben: die Aggresson, die die Vorstellung, angeblickt zu werden, auslöst? Gehört das nicht in den Kontext einer verzweifelt abgewehrten und zugleich festgehaltenen symbiotischen Beziehung, deren Modell das Gerücht über Hitlers Blick aufs deutlichste vor Augen stellt? Hier sitzt das Gefühl, nicht geliebt zu werden, so tief, daß alles, was an die Aufforderung selber zu lieben, erinnert, Aggressionen, Mordlust auslöst: Deshalb der Haß auf die Armen und die Fremden.
    Steckt nicht in jeder Abwehr der Psychoanalyse die Abwehr der Autonomieforderung, die von ihr ausgeht?
    Wer sich ungeliebt fühlt, kennt zur Macht keine Alternative. Deshalb reizt ihn jede Erscheinung von Ohnmacht zur Wut, weil sie ihn an seine eigene erinnert. Jeder andere Ohnmächtige ist ein Konkurrent seines eigenen Liebesverlangens. (Beschreibt dieser Mechanismus nicht aufs genaueste die historische Entfaltung der Raumvorstellung?)
    Ralph Giordanos Vergleich eines Statsanwalts mit einem Ochsenfrosch trifft genau das Aufgeblasene unserer Justiz. Krankt nicht der Rechtsstaat in Deutschland auch noch in ganz anderer Weise daran, daß ihm die eigene Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gelungen ist: Er ist zutiefst pathologisch (empfindlich) geworden, und das im Kontext einer offensichtlich irreversiblen symbiotischen Beziehung zum Staat; er ist zum Verwalter der Staatsgewalt geworden. Daß unser Recht auf dem rechten Auge blind ist, ist kein Gesinnungs-, sondern ein fast nicht mehr zu behebender Systemfehler.
    Nicht die Fähigkeit zur Schuldreflexion, sondern die zur Schamreflexion, die durch den Begriff der Kollektivscham unterbunden worden ist, ist die Grundlage der Herrschaftskritik: der Weltkritik. (Ist nicht das Schicksal der Schamzusammenhang, und nicht der Schuldzusammenhang, des Lebendigen?)
    Krankt Erich Zengers „Gottes Bogen in den Wolken“ nicht daran, daß er an der Trennung der Quellen (J, E, P, Dtr) festhält, anstatt sich auf die Konstellationen einzulassen, die mit dieser Trennung erst sichtbar wird? Beeinträchtigt nicht z.B. die Ausscheidung der Sündenfall-Geschichte, die Verdrängung des Schammotivs, des Baums der Erkenntnis, der Schlange, des Fluchs über die Schlange, Adam und Eva (mit dem Staubmotiv, den Dornen und Disteln, den Wehen) das Verständnis der Sintflut-Geschichte (vgl. z.B. die deutliche Beziehung des Spruchs Noachs über seine Söhne zum Fluch über die Schlange, Adam und Eva)? Wie verhält sich z.B. das kreisende Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zum Bogen in den Wolken? Welche Stellen scheidet Erich Zenger aus dem Priester-Text aus (z.B. den über den Wassern brütenden Geist Gottes), aus welchen Gründen und mit welchen Folgen?
    Was fehlt:
    – eine Geschichte der Banken,
    – eine Geschichte der Architektur,
    – eine Geschichte der Sprachen,
    – eine politische Geschichte der Liturgie.
    Hat der Satz, daß es zur Prophetie die Haltung des Zuschauers nicht gibt, sondern nur die Alternative: entweder man ist selbst Porphet, oder man ist Objekt der Prophetie (und am Ende wird beides eins), nicht auch die Tendenz, die prophetische Vision, das prophetische Wort endlich wahrzumachen: daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde bedeckt wie die Wasser den Meeresboden?
    Daß das Wort sich erfüllt, heißt das nicht auch, daß es endlich die Kraft des Namens (und das homologein sein Objekt) wiedergewinnt.
    Das in Jesus die Schrift sich erfüllt, ist ein prophetisches, kein historisches Wort. Als historisches wäre es ein blasphemisches Wort.
    Der Dekalog ist nicht harmlos: Das vierte Gebot ersetzt die Psychoanalyse, das achte Gebot die kritische Theorie.
    Mit der Philosophie müssen wir auch ihren Mangel begreifen, und hier liegt die ungeheure Bedeutung Heideggers: Er hat den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt (und damit kenntlich) gemacht.
    Wäre nicht die Trias Schöpfung, Offenbarung, Erlösung heute weiterzutreiben in die Trias Schöpfung, Prophetie, Apokalyptik? Das ändert die dynamischen Beziehungen in der Trias, stellt sie auf eine neue Basis. Im Hinblick auf den „Stern der Erlösung“ wäre das daran zu demonstrieren, daß im Falle einer christlichen Rezeption, die noch aussteht, ein affirmativer Gebrauch des Weltbegriffs nicht mehr möglich ist. Die Welt ist in jene apokalyptische Bewegung hereingerissen, die Rosenzweig um jeden Preis draußen vor halten möchte. Aber hier ist zugleich der Verdrängungspunkt der bisherigen christlichen Theologie. Im letzten Teil des Stern der Erlösung würden sich Judentum und Islam als vorapokalyptisch erweisen (und ein Christentum, das zwangshaft versucht, sich auch als vorapokalyptisch zu verstehen, hat damit zwangsläufig beide als „Erbfeinde“).
    Für das vorapokalyptische Christentum, das am affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs erkannt wird, ist die Schöpfungslehre Teil des Herrschaftszusammenhangs, die Offenbarung (als bloße Erkenntnisquelle) Teil des Verblendungszusammenhangs, und die Erlösung (als privater Exkulpationsmechanismus) das Siegel des Schuldzusammenhangs. Zu den Folgen dieses Zusammenhangs gehört es, daß das Subjekt (der Gläubige) in diesem System in einen Trägheits- und Objektstatus gebannt bleibt. Das vorapokalyptische Christentum steht unterm Bann des von ihm selbst hervorgerufenen Inertialsystems.
    Hat das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte (und er wollte, es brennte schon), etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zu tun?

  • 04.01.93

    „Das steinerne Herz der Welt“: Durch den affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden. Erst durch die Übernahme der Sünden der Welt wird das steinerne in ein fleischernes Herz verwandelt.
    Wenn Kohl und mit ihm die insbesondere Seiters sich immer wieder auf die Geschichte, das Ausland oder die Welt als einzige kompetente Urteilsinstanz berufen, so ist das Ausdruck der gleichen „Real-“ und Machtpolitik, zu der die Hegelsche Staatsphilosophie die deutsche Politik „befreit“ hat. Zu deren Folgen gehören die Katastrophen dieses Jahrhunderts, die nicht nur durch den Namen der Weltkriege mit der Hegelschen Weltphilosophie verbunden sind. Immer wollten wir sein wie die anderen Völker; aber in der Leugnung der politischen Moral haben wir sie übertrumpft. Wenn die Deutschen Machtpolitik (und Realpolitik ist Machtpolitik) getrieben haben, dann mit dem Alibi: die anderen tun’s ja auch (was so nicht stimmte).
    Kohls Eintreten für die Kürzungen der sozialen Leistungen macht wieder einmal das Stammtischgeschwätz zur Grundlage politischer Entscheidungen. Nach dem „Asylmißbrauch“ jetzt die „Ausbeutung derer, die durch anständige Arbeit ihr Geld verdienen, durch die Sozialhilfe-, Arbeitslosenunterstützung- und Arbeitslosenhilfe-Empfänger“. Der Hinweis darauf, daß Sozialhilfe-Leistungen das Arbeitsentgelt nicht übersteigen dürfen, heißt eigentlich, daß das Arbeitsentgelt möglichst in der Nähe der Sozialhilfe bleiben sollte. Das paßt in die Tradition, die
    – Ralph Giordano keiner Antwort für würdig hält,
    – angesichts der Morde und Brandanschläge der Rechten nur die „Schändung des deutschen Namens im Ausland“, aber nicht die Opfer wahrnimmt,
    – die Teilnahme an den Trauerfeiern für die Opfer von Mölln mit der bösen Vokabel vom „Beileidstourismus“ belegt.
    Ich meine, es ist an der Zeit zu begreifen, wer hier den deutschen Namen schändet, wer seinen Amtseid, der ihn verpflichtet, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, in der Substanz verletzt. Wenn es je einen Rücktrittsgrund für einen deutschen Bundeskanzler gegeben hat, dann jetzt.
    Die Wissenschaftsgläubigkeit bei Habermas (wie in der ganzen „marxistischen“ – d.h. eigentlich Engelsschen – Tradition) verkennt, daß sie damit selber das schwarze Loch schafft, aus dem zwangsläufig die Gemeinheit erwächst. Sie macht sich selbst hilflos gegen den aktiven und kontrollierten Gebrauch der Gemeinheit. Was fehlt ist eine Wissenschaftskritik, die nachweist, daß im Rahmen der szientifischen (wie der justiziellen) Beweislogik Gemeinheit nicht erkennbar ist.
    Die adaequatio intellectus et rei definiert den Begriff der Erkenntnis, die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand den Kristallisationskern des Herrendenkens und seines gegenständlichen Korrelats: der instrumentalisierten Welt.

  • 22.12.92

    „Friedensnobelpreisträger von Ossietzky bleibt „Landesverräter““ (FR von heute): Der BGH hat eine Wiederaufnahme des Verfahrens, in dem Carl von Ossietzky vom damaligen Reichsgericht wegen Landesverrats verurteilt wurde, abgelehnt. Im Bericht der FR steht ein Satz, den man zweimal lesen muß:
    „Ein anderer möglicher Grund für die Wiederaufnahme eines Verfahrens, daß nämlich die Richter des Reichsgerichts sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht hätten, weil sie die Aufdeckung eines Verfassungsbruchs als Geheimnisverrat verurteilten, wurde vom BGH ebenfalls als unzulässig verworfen. Es ergebe sich kein konkreter Tatverdacht „wegen direkt vorsätzlicher falscher Rechtsanwendung“.“
    Dazu drei Bemerkungen:
    – Nach dieser Entscheidung liefe z.B. eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis führt, daß die angeblichen Selbstmorde in Stammheim keine waren, wenn die aufgedeckten Tatsachen der Geheimhaltung unterliegen, Gefahr, als Geheimnisverrat verurteilt werden.
    – Ist diese Entscheidung des BGH nicht auch ein Hinweis darauf, daß die Rechtsblindheit unserer Justiz keine Gesinnungsfrage, sondern eine Systemfolge ist: von einem Rechtspositivismus nicht zu trennen, dessen Hauptzweck darin zu liegen scheint, den Exkulpationsbedarf unserer Richter zu befriedigen, wobei als Nebenfolge in Kauf genommen wird, daß es gegen die Gemeinheitsautomatik kein Rechtsmittel mehr gibt und der Verantwortungslosigkeit die moralischen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
    – Was heißt „direkt vorsätzlich“? Wäre eine „falsche Rechtsanwendung“, die nur „indirekt vorsätzlich“ oder bloß „vorsätzlich“ erfolgte, noch nicht strafrechtlich relevant?
    Wann begreift unsere Justiz endlich, daß der Nationalsozialismus die größte terroristische Vereinigung war, die es in diesem Lande je gegeben hat, und daß Richter, die Carl von Ossietzky wegen Landesverrats verurteilten, zu den Wegbereitern dieses Terrorismus gehörte, und eine Justiz, die das heute noch nicht begreift, zu den Sympathisanten? Wenn irgendwo das, was Ralph Giordano die Folgen der zweiten Schuld genannt hat, mit Händen zu greifen ist, dann in einem Rechtswesen, das es bis heute nicht fertig bringt, sich aus dem Bann dieser Vergangenheit zu lösen, und das nur, weil es unfähig ist, die Verantwortung, in die es mit der Idee der Gerechtigkeit gestellt ist, auch nur wahrzunehmen. Gnade uns Gott, wenn der flatus vocis, zu dem der Rechtspositivismus die Idee der Gerechtigkeit macht (indem er einer Staatsmetaphysik sich überantwortet, die außer an der der institutionellen Selbsterhaltung des Gewaltmonopols an keiner Idee mehr sich messen läßt), als Sturm zurückkehrt: dann helfen die Exkulpationsrituale des Positivismus, an die die Justiz sich klammert, nichts und niemandem mehr.
    Stimmt es, daß die Frau bei Munch („Der Schrei“) nicht schreit, sondern lacht? Gründet nicht jedes Lachen im „überwundenen“ Schrecken.
    Der Raum als dreifach überwundener Schrecken: als „Schrecken um und um“. Ist die Vorstellung des unendlichen Raumes, der nicht mehr Akzidenz der Dinge ist, in den die Dinge dann vielmehr erst „von außen“ hereinkommen, nicht die eines Raumes, der erst leer gemacht („leergefegt“: „juden-„, „ausländerrein“) werden muß: Grund der Vorstellung des horror vacui? Und vor allem: Was wird aus den Dingen, nachdem sie „von außen“ – wie ein Einwanderer in ein Land, in dem er sich „eine Existenz gründen“, womöglich „naturalisieren“ lassen will – in den Raum hereingekommen sind; wo und was waren sie vorher (aus welcher Fremde kommen die Ausländer); sind ihre sinnlichen Eigenschaften nicht Ausdruck der Differenz, der Gewalt und des Leidens, die ihnen durch den Raum angetan wird: die letzte Spur ihres Andersseins (ihrer Herkunft, ihrer Fremdheit)?
    Eine Bombenstimmung gibt es erst, seit es Bomben gibt, und seitdem allerdings auch nur für die Täter.

  • 04.05.91

    Erst wenn der Staat seine benennende Kraft verliert, wenn Prädikate aufhören, als Substanzbegriffe verwandt zu werden (wer gemordet hat, wird zum Mörder; wer gesalbt wurde, zum König oder Christus; wer backt, ist Bäcker; wer lehrt, Lehrer), löst sich der Schuldzusammenhang.
    Das Recht zu urteilen (Prädikate in Substanzbegriffe zu verwandeln – deren Grundlage ist die Mathematik) ist der Grund des Staates. Dagegen richtet sich das „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“.
    Mathematische Gleichungen sind keine Urteile (und Lösungen keine Antworten: Verwechslung von Fragen und Problemen). Nur der Schein der Substantivierung der Prädikate (des Begriffs) verdeckt den Sachverhalt, daß mathematische Gleichungen umkehrbare (reversible), subjektlose Beziehungen von Prädikaten sind. Dazu gibt es kein Subjekt; das ist untergegangen in der Vorstellung der subjektlosen Materie (des Subjekt-Stellvertreters: des allgemeinen Objekts, des Exemplars: des „Falls“; nicht zufällig ist der logische, dem Urteil zugehörige Subjekt-Begriff dann zum erkenntnistheoretischen Subjektbegriff geworden: Subjektivierung der benennenden Kraft des Begriffs). Das Inertialsystem ist das Gefängnis, in das wir die Natur eingesperrt haben; das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der einzige Lichtblick.
    NB: Es gibt keine mathematischen „Begriffe“, sondern diese Begriffe sind idololatrische Namen, sie erzeugen (vertreten?) und bezeichnen zugleich das Objekt (Einheit von Erzeugtem und Bezeichneten, Bild und Begriff: deshalb gibt es kein „Wesen“ der Elektrizität). Telos des Falls ist das Exemplar.
    Mit der Institution des Staatsanwalts wird der Staat zur Institution des kurzen Prozesses: Ankläger und Richter sind institutionell nicht mehr getrennt; und sind nicht mehr zu trennen, seitdem es kein Urteilssubjekt mehr gibt, seitdem der Angeklagte nur noch als Objekt erscheint.
    Der Personbegriff ist der Vorläufer des modernen Subjektbegriffs. Seine Leistung war es, die Person vom Namen zu trennen; die Trennung des Objekts vom Namen war dann der Grund der Subjektivierung des Subjekts.
    Das Subjekt ist das Produkt der Gewalt, die ihm angetan worden ist, und die es seitdem allen Objekten und sich selber antun muß, um Subjekt zu bleiben. („Der nicht geschlagene Mensch ist nicht erzogen.“) Die spartanische Härte ist der Schatten der athenischen Vernunft.
    Auch Lachen ist eine Gestalt der Empörung.
    Während die Begriffe des Ewigen und des Überzeitlichen sich präzise trennen und unterscheiden lassen, gibt es andere Begriffe, die genau an dem Schnittpunkt der beiden Begriffe angesiedelt sind und in beiden Zusammenhängen sinnvoll sich verwenden lassen. Dazu gehören neben dem Begriff des Logos der der Person, der des Bekenntnisses, auch der Geistbegriff sowie die Begriffe des Objekts und des Subjekts. Wenn es gelingt, den Knoten, der hier geschürzt ist, wirklich zu lösen – und das würde bedeuten, das Dogma aus seiner Erstarrung zu lösen, zu befreien, es zum Leben zu erwecken -, wäre der Spuk beendet.
    Die Logik des Begriffs ist die Logik der Substantialisierung des Prädikats (Ausdruck der Gewalt, Grund der Reflexionsbegriffe). Gibt es einen Zusammenhang mit der Bekenntnislogik, der „Erkenntnis des Guten und Bösen“, mit der Namenlehre (auf die sie offensichtlich negativ sich bezieht)? Ist die Logik des Begriffs die Kehrseite der Namenlehre, ergibt sich die benennende Kraft der Sprache aus der Erkenntnis des Bösen (und nicht des Guten, wie die Philosophie seit Plato unterstellt)? Die Dinge beim Namen nennen, heißt das nicht: sie so negativ begreifen, wie sie sind? Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben: das Negative begreifen, ohne dem Drang zur Selbstentlastung nachzugeben und es durch Projektion (durch Hypostasierung, Personalisierung) zu mildern. Zusammenhang mit dem Gebot der Feindesliebe.
    Substantialisierung des Prädikats: deshalb ist das Sein der erste Begriff und die Ontologie aus systemlogischen Gründen Staatsphilosophie.
    Der Begriff des Grundes (die Grundlage des argumentativen Denkens) reflektiert genau die Logik der Substantialisierung des Prädikats: das Prädikat als Subjekt. Insoweit hat Gott die Erde „gegründet“ (und den Himmel aufgespannt).
    Wenn die gesamte Physik ein selbstreferentielles prädikatives System ist, und auch die Materie (Trägheit, Schwere) bloß Prädikat, nicht Subjekt, so wird das zu benennde Subjekt in der Physik einzig noch repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die mit ihm systemlogisch verknüpften Naturkonstanten (wie das Plancksche Wirkungsquantum, die Masse und Ladung des Elektrons, die Avogadrosche Zahl u.ä.).
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit verweist auf einen Sachverhalt, auf den Adornos Wort von der Spiegelschrift des Gegenteils zutrifft.
    So wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit etwas übers Inertialsystem aussagt, nicht übers Licht, so sagt der Antisemitismus etwas über die Antisemiten, aber nicht über die Juden aus. Erst wenn das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit selber als Manifestation der Schwerkraft begriffen ist (und nicht nur von außen darauf bezogen werden muß), ist das Rätsel der Physik gelöst. Die Lichtgeschwindigkeit (die Bewegung der elektromagnetischen Wellen und ihr Maß) hat etwas von der Wiederkehr des Verdrängten: Die Abstraktion von der Gravitation (die Formulierung des Gravitationsgesetzes durch Newton) war der letzte Schritt zur Konstituierung des Inertialsystems, die dann zwangsläufig die Vergegenständlichung der elektromagnetischen Erscheinungen nach sich zog. Das Gravitationsgesetz bestimmt das Verhalten der Dinge im Raum, die Elektrodynamik das des Raumes in den Dingen.
    Das Irritierende am Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit scheint darin zu liegen, daß sich zu diesem Gesetz keine verdinglichte Objektvorstellung hinzudenken läßt. Im Gegenteil: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist geradezu die Widerlegung der verdinglichten Objektvorstellung. Und diese Widerlegung wird in der Atomphysik, in der Quantenmechanik wiederum instrumentalisiert, verdinglicht. Was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat, hat sein frühes Vorbild in der Quantenphysik. Die Neuformulierung der mechanischen Gesetze mit Hilfe der angepaßten Hamiltonschen Gleichungen leistet genau das.
    Die Geschichte der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz; d.h. sie beginnt mit der Angst vor dem Anderen und endet mit der Aggression, dem Vernichtungstrieb gegen das Andere.
    Vgl. die Jotam-Fabel (Ri 97-21): wir sind der Dornbusch (Subjekt der Profangeschichte), Israel die brennende, aber nicht verbrennende Innenseite dieser Geschichte. (Gibt es überhaupt einen Christen nach Auschwitz, der sich mit Israel ohne Hintergedanken befaßt?)
    Hat das Wort, daß, wer Israel antastet, den Augapfel Gottes antastet (Sa 212, vgl. auch Deut 3210, Ps 178), mehr als nur metaphorische Bedeutung?
    Israel der Augapfel (Augenstern) Gottes; was bedeutet es, wenn es heißt: Gott sieht („Und Gott sah, daß es gut war“). Wenn seit Beginn des Gegenstands-Realismus die Realitätserfahrung aus der Widerstandserfahrung abgeleitet wird („daran habe ich mir den Kopf eingerannt“), wenn der mechanische Stoßprozeß gleichsam zur Grunderfahrung wird, so verschwindet damit, was eigentlich das Sehen bezeichnet.
    Ob Heidegger persönlich Antisemit war oder nicht, ist eigentlich schon fast uninteressant; wichtiger ist, daß die Systemlogik seiner Philosophie und deren objektives Korrelat: das, was diese Philosophie vom Zustand der Welt abbildet, antisemitisch ist.

  • 27.04.91

    Jes 22f und Mi 41f auf das Bekenntnis und das verdinglichte Dogma anwenden. Beide sind in der Geschichte des Christentums zur Waffe geworden; an ihnen klebt Blut.
    „Schwerter zu Pflugscharen“: d.h. Objektivierung durch Nachfolge ersetzen (Entkonfessionalisierung). „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen (den Acker bebauen).“ -Damit hängt auch Benjamins Wort über Rosenzweig zusammen, daß er es vermocht hat, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie seßhaft zu verwalten. Die Verwaltung ist das gegenständlich-politisch-gesellschaftliche Korrelat des Bekenntnisses. Es gibt keine Verwaltung ohne Bekenntnis, und kein Bekenntnis ohne Verwaltung (so wie keine Verwaltung ohne Hierarchie und keine Hierarchie ohne Verwaltung). Das erste kirchliche Verwaltungsamt ist das des Bischofs, des Aufsehers (des Hüters des Bekenntnisses: Heideggers Hirt des Seins ist ein spätes Echo davon).
    Über den geschichtsphilosophischen Zusammenhang von Bekenntnis und Empörung, oder Empörung als Versuchung.
    Woher stammt die Legende (und welche Bewandnis hat es mit ihr), daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sein soll?
    Die Diakonie wäre das Wesen des Christentums, wenn die Interpretation von Elisabeth Moltmann-Wendel (unter Bezugnahme u.a. auf Schüssler-Fiorenza) zutreffen würde. Dann wäre das Dienen ein nicht mehr vom Herrendenken entstelltes und verhextes Dienen.
    Gibt es eine Beziehung zwischen unserer Beziehung zur präzivilisatorischen Vergangenheit und unserer Beziehung zur Natur (ist die Grenze zur Vorgeschichte auch die zur Natur: der Ödipuskomplex)?
    Der Schlüssel zum Lösen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und erscheint deshalb als unzugänglich; unterschätzt wird die Kraft der Erinnerungsarbeit, des Eingedenkens. Vgl. hierzu Ezechiel (Auferstehung). Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der Gnosis ein Teil der Lösung im Sinne von Mt 1618 (?) wäre. Hier, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis hat die Kirche erstmals gebunden und nicht gelöst. Und diese erste Bindung hatte möglicherweise etwas von dem parvus error in principio (hat die Kirche nicht den gnostischen Demiurgen dann in der Tat zum Gott der Christen gemacht; oder hat die Gnosis nicht nur offen ausgesprochen, was unter den Händen der Kirche aus Gott geworden ist).
    Nicht das Ergebnis des Säkularisationsprozesses ist falsch, sondern seine Interpretation. Hier wird die Humesche Tradition, die durch Kant nicht widerlegt, nur lokalisiert worden ist, wichtig.
    Der säkularisierte Staat ist es erst wirklich, wenn er die Rechtfertigungszwänge abbaut, die insbesondere in den schuldbezogenen Institutionen wie die Justiz fortleben. In welcher Beziehung zum Bekenntnissyndrom steht die Institution des Bundespräsidenten (des säkularisierten Königs)?
    Modell für die Verdoppelung ist das Sich-Verstecken Adams. Wo versteckt sich Adam? Haben die Bäume, unter denen er sich versteckt, etwas mit den Dornen und Disteln zu tun? Adam redet sich dann auf Eva heraus, Eva auf die Schlange; und was sagt die Schlange?
    Geliebt wirst du einzig, wo du ohne Furcht dich schwach zeigen darfst (Adorno: Minima Moralia). Das hängt zusammen mit der Utopie eines Lebens ohne Rechtfertigungszwang. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen … Ohne Rechtfertigungszwang kann man nur leben, wenn man den Schein durchschaut, der anklagendem, richtenden Denken zugrundeliegt. Das Durchschauen dieses Scheins wäre das Ziel einer Kritik der Säkularisation, aber eine Kritik dieses Scheins ist nur in theologischem Zusammenhang möglich. Beweis: Eine Kapitalismus-Kritik, die die Prämissen des Kapitalismus, die Herrschaft des Tauschprinzips, nicht antastet, führt in schlimmere Dinge hinein als der Kapitalismus. – Die Gottesfurcht ist nichts anderes als der Grund der Freiheit vom Rechtfertigungszwang, und der Rechtfertigungszwang hat keine theologischen, sondern nur gesellschaftliche Gründe. Der Schein ist nur aufzulösen durch Auflösung des Schuldzusammenhangs, oder durch Auflösung des Schuldverschubsystems, der den Schuldzusammenhang konstituiert. D.h. er ist nur aufzulösen in Befolgung des Nachfolgegebots, des Gebots, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, der Arglosigkeit oder des Verzichts darauf, Selbstentlastung durch Projektion der Schuld zu erreichen.
    Die Gnadenlosigkeit des Christentums ist eine Folge der Gnadenlehre.
    Eindruck beim Lesen des Interviews mit Jehoshua Leibowitz: er scheint gelegentlich so zu antworten, daß er nur die Frage ad absurdum führt; das hängt dann mit der Qualität der Fragen zusammen. – Es scheint eine Beziehung zu geben zwischen seiner Kritik der Psychoanalyse und der Ablehnung des Christentums; unklar, ob ihm diese Beziehung selber bewußt ist. – Der Interviewer fragt gelegentlich wie ein beflissener Schüler; gibt es eigentlich einen Lehrer, der nicht darauf hereinfällt? Genau hierin drückt sich etwas vom prekären Verhältnis des Professors zur Öffentlichkeit aus, das mit einer gleichsam existentiellen Verunsicherung verbunden ist, die durch die Bestätigung durch Schüler gemildert wird (der Professor ist auch eine öffentliche Person, wie Schauspieler, Politiker, Huren, Journalisten: alle müssen über eine Schamgrenze sich hinwegsetzen).
    Es scheint eine Querbeziehung zu geben zwischen der Konstitution von Wissenschaft, der Prostitution und der Hexenverfolgung. Die Hexenverfolgung scheint ein erster Ausdruck dessen zu sein, was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat. An diesen (nicht ungefährlichen) Punkt rührt die Kritik des Bekenntnisses; sie könnte zum Auslöser der „verfolgenden Unschuld“ werden, die in der Konstruktion und Dynamik des instrumentalisierten Bekenntnisses, die heute fast nicht mehr zu umgehen ist, gründet. Der Hinweis auf die christlichen Ursprünge von Auschwitz – ein Komplex, zu dem J. Leibowitz auch den Marquardt zitiert – scheint hiermit zusammenzuhängen. An die gleiche Frage rührt der Satz, den Georg Büchner Danton in den Mund legt: „Was ist das, was in uns hurt, mordet, lügt, stiehlt …“
    Galileis Blick durchs Fernrohr und der Habitus des Zuschauers: Es ist der Habitus des Zuschauers, der den ganzen Apparat von Schuld, Verdrängung und Projektion mit einschließt, absichert und stabilisiert. Hiermit hängt es zusammen, wenn Auschwitz nicht vergangen ist, sondern gegenwärtig in seinen Metastasen in der Dritten Welt fortlebt, wo in unserem Auftrag gehungert und gefoltert wird. Frage: Wann greift der Mechanismus wieder aufs Zentrum über?
    Gibt es eine Beziehung zwischen den Mizwot und den evangelischen Räten?
    Wie verhält es sich mit Bileam? (Bileams Esel, der Engel mit dem feurigen Schwert und dazu in der Apokalypse die Warnung davor, Bileams Lehre zu folgen – bezieht sich auf das der Bileam-Geschichte folgende Kapitel).
    Der Feminismus (z.B. Christa Mulack) gibt gelegentlich zu sehr der Versuchung nach, historische Sachverhalte wie auch biblische Lehren moralisch anstatt strukturell zu interpretieren. Hier reproduziert er den Fehler, den er kritisiert. Hier tritt er patriarchales Erbe an. Der biblische Gottesname gilt für die erste Person, er liegt vor der Scheidung in männlich und weiblich. Er ist nicht in die dritte Person (in der es erst die Geschlechtertrennung gibt) übersetzbar. Und hier – so scheint mir – übersetzt auch Martin Buber falsch.

  • 07.04.91

    Ist es ein Zufall, daß die gleichen Leute, die dann von der Quantenmechanik den ideologischen Gebrauch machten, gleichsam mit schlechtem Gewissen, nämlich unter dem ebenso fadenscheinigen wie kosten- und prestigeträchtigen Grund der Entwicklung zivil nutzbarer Energiegewinnung aus spaltbarem Material, am Bau der Atombombe mitgearbeitet haben (Rechtfertigungszwang). Die Ideologie steckte gleichsam schon im Ansatz ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit drin, die Verblendung und das pathologisch gute Gewissen waren überdeterminiert. Kein Wunder, daß v. Weizsäcker auf das Problem der Begründung der Quantenphysik durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht ansprechbar war, aber gleichwohl (wie auch andere beteiligte Physiker in Deutschland) zur Philosophie überwechselte. Kann es sein, daß Habermas‘ Wendung gegen einen Utopiebegriff, der auch die Idee einer Änderung der Natur mit einschließt, strukturell mit dieser Wendung Weizsäckers zusammenhängt? – Für von Weizsäcker war die Unbestimmtheitsrelation ein status confessionis. Und den konnte er aus Gründen des Rechtfertigungszwangs nicht aufgeben. Hierbei scheint ein Aspekt der „zweiten Schuld“ mit hereinzuspielen, den Ralph Giordano übersehen hat: die geschickte Nutzung der exkulpierenden Kraft des Staats, der durchs Gewaltmonopol des Staates gedeckten Unschuldsvermutung für alle Amtsinhaber (vgl. die sonst unverständliche Bemerkung bei dem Besuch in Hamburg).

  • 08.02.91

    Natur und Welt sind die die Begriffe des Objekts und des Begriffs konstituierenden Totalitätsbegriffe: Natur ist Teil der Welt als Gegensatz zur Welt: als der Feind, der Widerstand. die Materie, an der sie sich „abarbeitet“. Dem Naturbegriff ist die unaufhebbare Spaltung in Erscheinung und An sich wesentlich. Hierbei ist das An sich zunächst nur das dem Wissen Jenseitige, eine Leerstelle, gleichsam das schwarze Loch, aus dem nichts mehr nach außen kommt, das umgekehrt alles in sich hereinsaugt: Inbegriff des heutigen Standes der Verdrängung. Natur ist in der Welt das Andere der Welt; das, was nicht im Säkularisationsprozeß aufgeht. Konkreter: Natur ist das Andere im Prozeß der historischen Auseinandersetzung mit der Natur; das, was im Unterwerfungsprozeß unterdrückt, verdrängt, ausgeschieden wird. Dazu gehört in erster Linie die Erinnerung an die Opfer dieses Prozesses, an die, die die Last zu tragen hatten und vergessen sind.
    Das Bekenntnis des Namens ist im Ursprung die Anrufung des Namens: das Maranatha. Die Vergeblichkeit: die enttäuschte „Parusieerwartung“, hat daraus das Dogma, mit der Vergöttlichung Jesu im Kern, werden lassen. Diese (unverarbeitete) Enttäuschung ist der Grund der christlichen Ranküne.
    (Säkularisation des „Anrufs“ durch die modernen „Kommunikationsmittel“: durchs Telefon, das auch – zumindest räumliche – Distanzen überbrückt. „Heute, wenn ihr meine Stimme hört.“)
    Auschwitz: die Täter (und ihre Erben) erwarten offensichtlich immer noch die Exkulpierung, die Opfer können sie nicht mehr geben und deren Erben sind bei den Toten in der Pflicht. Zwischen beiden steht die ganze Geschichte der Welt.
    Adam benennt (vor dem Sündenfall) die Tiere und (vor und nach dem Sündenfall) die Frau, Eva ihre Söhne, Kain benannte die erste Stadt nach Henoch (der in der Genealogie des Set in den Himmel entrückt wurde)? Töchter werden nur genannt bei Lamech (in der Kain-Nachkommenschaft; in der Set-Folge ist er der Vater des Noach; der eine wird 7 x 77 mal gerächt, der andere lebte 777 Jahre).
    Zur Kritik der Naturphilosophie: das Ganze ist das Unwahre. Bei Hegel „entläßt“ die Idee die Natur aus sich (wie in der Verwaltung der Vorgesetzte einen Beamten), aber die Natur kann ihren Begriff nicht halten: Hier geht die Dialektik zu Protest. Innerhalb der Dialektik scheint das Subsumtionsverhältnis „aufgehoben“, ist das Denken „in der Sache“, nicht außerhalb und nicht über der Sache; das aber um den Preis, das es die Natur außer sich hat. Hier kehrt das Subsumtionsverhältnis als Verhältnis der Idee zur Natur, des Absoluten zur vergangenen Geschichte, die es ausgezehrt, als Schädelstätte des Geistes, hinter sich zurückläßt, wieder.
    Der positive Begriff der Natur („Rückkehr zur Natur“, Natur als „schöpferische“ Kraft) ist die bloß ideologische Wiedergutmachung, die die Opfer endgültig verrät: der sentimentale Deckel auf der verdrängten Erinnerung, deshalb doppelt gefährlich. Die „zweite Schuld“ Giordanos ist die erste der Dialektik der Aufklärung: die verdrängte Vergangenheit manifestiert sich im projektiven Materiebegriff.
    Meine Vermutung, daß bei Schelling Verdrängungs- und Erinnerungsarbeit sich nicht trennen lassen, solange man am Konzept Naturphilosophie festhält. Man kann nicht beides haben: die Exkulpierung durchs Natursubjekt und die Versöhnung. Die Idee der Versöhnung ist nur zu halten, wenn auf die Anwendung des Identitätsprinzips auf Natur verzichtet wird, wenn das „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Kritik des gegenständlichen Naturbegriffs (mit der Kritik des physikalischen Fundamentalismus) verbunden wird.
    Physikalischer Fundamentalismus und das Bekenntnis zur FDGO in der Physik (zum Inertialsystem, zur daraus abgeleiteten verdinglichten Logik; Projektion der Logik ins Inertialsystem; Instrumentalisierung der Logik und Auslöschung des Subjekts; Seminar der Philosophen mit den Vertretern der mathematischen Logik in Münster).
    Was mußte alles verdrängt werden, um den Naturbegriff als Totalitätsbegriff zu begründen? – Heute wird die Schuld kassiert: von allen Unterdrückten, Gedemütigten und Opfern: von den Armen und den Fremden, von den Juden, den Frauen, vom Islam, von der Dritten Welt. Wenn die Distanz zum Objekt durch die Distanz vermittelt wird, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, dann stecken alle Beherrschten im Objektbegriff mit drin, aber so, daß sie nicht mehr zu erkennen sind. Übriggeblieben ist nur die Isolierung, Verblendung und der Verfolgungswahn des „Herrn“, auf den das, was er den Objekten antut (oder was ihnen in der Geschichte angetan wurde), zurückschlägt (s. die dramatischen Figuren Becketts).

  • 14.04.90

    Wie kann man noch 1977 (im Jahre Stammheim) ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Die Strukturen des Bösen“ schreiben, ohne Auschwitz, den Faschismus, den Antisemitismus, die Hexenverfolgung, die Inquisition, ohne Hitler, Himmler, Eichmann zu erwähnen, ohne „Die Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt zu kennen (Rosemary Radford Ruethers „Brudermord und Nächstenliebe“ oder auch Ralph Giordanos „Zweite Schuld“ sind später erschienen): Ist nicht diese Art, Fachtheologie zu treiben, d.h. sich dabei um Gott und die Welt nicht kümmern, ein wesentliches Moment der „Strukturen des Bösen“? – Welches Böse meint Eugen Drewermannn eigentlich (nur das innerliche, private, psychologische, oder auch – wenn schon nicht zentral – das öffentliche: Wissenschaft, Ökonomie, Politik, die Welt)? Besteht nicht die Gefahr, daß er – wie die christlich-apologetische Geschichtsschreibung zum Ende des Römischen Reiches – den politischen Untergang auf die moralischen Verfehlungen der Menschen in dieser Zeit zurückführt?

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