Goethe

  • 24.4.1997

    „Der Junge blieb vor dem Fenster stehen und starrte hinaus: ‚Der Mondschein‘, sagte er, ‚macht die ganze Natur so – knochenlos; die Sonne erweckt in dem Menschen Tatendrang, der Mond Gefühle.‘ – ‚Ja, das ist wahr‘, sagte Wenzlow lächelnd. ‚Darum ist die Sonne im Französischen männlich, le soleil. Der Mond, la lune, ist weiblich.’“ (Anna Seghers: Die Toten bleiben jung. Darmstadt und Neuwied, 1977, S. 386) Welche Konsequenzen hat diese Bemerkung für das Verständnis der deutschen Sprache, ihres sprachlogischen und herrschaftsgeschichtlichen Grundes?

    „Sie wachte zuweilen nachts auf und dachte: Ich möchte mein Kind aufpacken und weit weggehen. Wohin? Es gab kein Wohin mehr.“ (Ebd. S. 402) – Genauer läßt sich die Welt, die im Faschismus sich ausdrückte und die er hinterlassen hat, nicht beschreiben, als durch diese Zerstörung des Wohin. Es gibt keine Ziele mehr, auch keine Fluchtorte vor dem allgegenwärtigen Schrecken.

    Dritte Leugnung: Die Unterstützung des Nationalsozialismus im Rußlandfeldzug, im „Kreuzzug gegen den Bolschewismus und das Judentum“, in dem „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war, hat die Kirchen in den Abgrund mit hereingezogen, den die Nazis eröffnet haben, und der sich seitdem nicht mehr schließen läßt.

    Ist F.W. Marquardt nicht ein Beispiel dafür, daß die Theologie heute eine Opfer ihrer Sprache ist? Der Abgrund, in den die Theologie hereingezogen wurde, ist der Abgrund der Indikativs. Der Indikativ ist die Sprache der Exkulpation durch Objektivierung, durch Distanzierung von der Sache, die Sprache der reflexionslosen Verurteilung. Die Konstituierung und Rechtfertigung der Gegenständlichkeit hat den Imperativ aus der Sprache vertrieben, der dem Kommando im Wege stand, er hat den Namen Gottes geschändet, die Attribute Gottes unerkennbar gemacht.

    Der sprachlogische Grund des Indikativs ist das Neutrum und die Subsumtion Flexion der Verben, der Formen der Konjugation, unter die Zeit. Deshalb hat nur die Sprache der Schrift, das Hebräische, theologische Qualität, die anderen Sprache nur insoweit, wie es gelingt, die Schrift in diese Sprachen zu übersetzen. Ist das „Neue Testament“ nicht das Paradigma des Problems der Übersetzung der Schrift, und das Christentum die Folge eines – unter dem Zwang, nicht mißverstanden zu werden – unvermeidlichen und notwendigen Mißverständnisses?

    Der Antisemitismus hat den Trieb, nicht mißverstanden zu werden, vollendet und damit endgültig ins Leere laufen lassen. Er gründet in einer Sprache, die Mißverständnisse nicht nur nicht ausschließt, sondern keine Alternative mehr dazu kennt. Das innere Gesetz dieser Sprache ist der Indikativ. Hegel hat den Kern dieses Gesetzes im Begriff der List der Vernunft zu begreifen versucht. Der Antisemitismus ist das natürliche Ende dieser List der Vernunft (der Instrumentalisierung des Mißverständnisses).

    Die Instrumentalisierung des Mißverständnisses begründet die Logik der Gemeinheit (den logischen Kern des Antisemitismus). Kant hat das Gesetz dieser Logik in der transzendentalen Ästhetik vor Augen gestellt: in den „subjektiven Formen der Anschauung“. Aus dieser Wurzel stammen Hegels List der Vernunft, sein Begriff des Scheins und die Idee des Absoluten. Dem korrespondieren die drei den Indikativ sprengenden Kategorien, die Franz Rosenzweig im Stern der Erlösung benannt hat: die Umkehr (das Bild vom Koffer), den Namen (Name ist nicht Schall und Rauch) und das Angesicht. – Das Angesicht, das in der christlichen Idee der Anschauung Gottes, aus der jede Erinnerung an den göttlichen Namen getilgt ist, zum Ende der spekulativen Idee gemacht worden ist, ist bei Franz Rosenzweig der Anfang des Lebens (die Befreiung aus der Isolationshaft des Anschauens).

    Der Indikativ ist die Sprachlogik des objektivierenden Blicks, des Seitenblicks. So hängt er mit den subjektiven Formen der Anschauung (dem Instrument der Vergegenständlichung) zusammen.

    Der christliche Kanon der Schrift (des „Alten Testaments“), der die prophetischen Bücher zu historischen Büchern gemacht hat, ist ein Modell der kopernikanischen Wende, sein Vorläufer in der Theologie, der erste Ausdruck des Seitenblicks, sein Preis war der christliche Antijudaismus. In diesem Modell der kopernikanischen Wende waren die Elemente der Logik schon vorgebildet, die dann den Sternenhimmel, die ganze Natur und mit ihnen den Staat, den Begriff der Politik, verhext haben: Das heliozentrische System war der logische Grund des aus ihm erwachsenen Nationalismus, in dessen Dienst schon die Umwidmung der prophetischen in historische Bücher stand.

    Die Geschichte des Christentums hat ihren theologischen Ort zwischen Tod und Auferstehung: in der descensio ad inferos.

    Läßt sich nicht das Verhältnis von Leviticus und Deuterinomium am Verhältnis von Lev 26 und Dt 28 demonstrieren (und das Verhältnis des Exodus zum Deuteronomium an den beiden Fassungen des Dekalogs)?

    Der islamische theologische Topos, daß Gott die Welt in jedem Augenblick neu erschafft, ist die zwangsläufige Konsequenz einer Gottesidee, die – wie der Begriff des Absoluten – vom Staat nicht zu trennen ist. Die volle Schöpfungsmacht, die hier in jedem Augenblick auf das Geschöpf prallt, ist der theologische Grund des Islam, der Ergebung in Gottes Allmacht, der nichts widerstehen kann. Die Erfahrungsgrundlage dieser Schöpfungsmacht ist die Staatsgewalt.

    Sind nicht die Rechtsstaatsideologie und der Habermas’sche Verfassungspatriotismus ein Versuch, des faschistischen Erbes, das durch Reflexion aufzulösen wäre, durch einen zweiten Objektivationsschritt Herr zu werden: „Dressur des inneren Schweinehundes“. Die Reflexion, die heute notwendig ist, ist ohne die Hilfe der Theologie nicht mehr zu leisten.

    Zu Walter Benjamins Engel der Geschichte: Die Trümmer, die vor ihm sich aufhäufen, ist das nicht der Schutt, unter dem wir begraben sind, und zugleich der Leichenberg, auf dem wir stehen? Hängt das nicht mit der Konstruktion des Zeitkontinuums zusammen, durch den wir uns sowohl an den Anfang wie auch ans Ende der Zeitreihe, die beide im Unendlichen liegen, setzen? Die Aufspaltung der Zeit, die dem Indikativ zugrunde leigt, wird erzeugt und stabilisiert durch die Begriffe Natur und Welt. Die Natur ist der Leichenberg, die Welt der Trümmerhaufen. Dagegen richtet sich der Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.

    Der Atheismus hat in der Linken seit je die Regression gefördert.

    Das Problem Miskottes ist, daß er aus dem Zwang zur Erbaulichkeit, in den ihn die Gemeindetheologie hineinführt, nicht herauskommt.

    Die Kirchengeschichte der Theologie: Dogma, Orthodoxie und Bekenntnislogik, gründet in der Verwechslung von Erkenntnis und Wissen. Das Wissen ist ein Produkt der Vergesellschaftung von Erkenntnis (die Habermas durch seinen Begriff der „privilegierten Erkenntnis“ zu diskriminieren gezwungen ist). Das Wissen subsumiert die Erkenntnis unter das Objektivierungsgesetz, das insbesondere die Gotteserkenntnis strikt ausschließt. „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott.“ Das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, ist die ins Wissen transformierte Erkenntnis. Die Häretiker sahen das Unkraut, sie wollten es vor der Ernte ausreißen. Mit der Verurteilung der Häresien hat die Kirche nur den Blick auf das Unkraut verboten, seine Wahrnehmung untersagt: hat sie nicht anstelle des Weizens das Unkraut in ihrem Garten gehegt und gepflegt?

    Die kopernikanische Wende (der die Kirche mit der Entwicklung des Dogmas und der Ausbildung der Orthodoxie vorgearbeitet hat) hat die Sensibilität in Empfindlichkeit verwandelt. Ausdruck dessen war die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten, die Subjektivierung der „Empfindungen“.

    Steckt das Problem des Lichts nicht in der Geschichte der Auseinandersetzung Goethes mit der newton’schen Optik, in der Beantwortung der Frage, ob aus den Farben, aus den Brechungen des Lichts, das Licht sich rekonstruieren läßt? Goethes Bemerkung, daß die Mischung aller Farben grau, nicht weiß ergibt, ist ein Hinweis darauf, daß die Brechung des Lichts wie der Tod irreversibel ist. Physikalischer Ausdruck dieser Irreversibilität ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: So hängt der Bogen in den Wolken mit dem Inertialsystem zusammen.

    Was hat der Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit dem Bogen in den Wolken zu tun?

    Der Bogen in den Wolken verkörpert die Naturbeherrschung in allen ihren Gestalten: Er ist das gegenständliche Korrelat des Schreckens der Tiere.

  • 27.3.1997

    „Pointiert ausgedrückt, war die politische Denunziation gewollt, aber der Denunziant nicht erwünscht.“ (Gisela Diewald-Kerkmann: Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 23) Dieser Satz trifft den Sachverhalt genauer als die nachfolgende Begründung, die zu sehr auf zweckrationale Motive abstellt. In Wirklichkeit gehört diese Konstellation zur zweifellos bewußten und intendierten Instrumentalisierung des double-bind-Mechanismus, zur gezielten Herstellung eines gesellschaftlichen Klimas der Unsicherheit, des Gerüchts, der Angst, des Terrors. Die politische Denunziation als Massenphänomen war ein Instrument der Massenbildung (der Herstellung der „Volksgemeinschaft“, in der keiner vorm andern mehr sicher war) durch bewußte und gezielte Zerstörung des Vertrauens, ohne die es Selbstbewußtsein und Autonomie, in denen der Nationalsozialismus seine schärfsten Widersacher erkannte, nicht gab. Die politische Denunziation gehört zum gleichen Instrumentarium, zu dem auch der Antisemitismus gehört, der nicht zufällig eines seiner Haupt-Wirkungsfelder war. Adorno hat einmal den Antisemitismus das Gerücht über die Juden genannt; das Gerücht aber ist der einzig geeignete Nährboden der Paranoia, von der der Nationalsozialismus und sein handlungslogischer Kern, der Antisemitismus, leben. Das Klima des Gerüchts aber hatte einen fürs Verständnis der Nachkriegszeit außerordentlich wichtigen Effekt: In ihm war der Verdrängungsakt, der bereits im Anfang der Nachkriegszeit die Erinnerung an die Nazizeit unterbunden hat, schon angelegt und vorgebildet. Es dürfte niemanden gegeben haben, der nicht vom Naziterror, von der Judenverfolgung und von der Existenz und der Funktion der KZs gewußt hätte (ohne dieses Wissen hätte es auch die politische Denunziation als Massenphänomen nicht gegeben). Dieses Wissen wurde bewußt und gezielt vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Über die KZs und das, was dort vor sich ging, durfte in der Öffentlichkeit nicht berichtet und nicht einmal gesprochen werden, während gleichzeitig die Gerüchte darüber auf allen möglichen Wegen gefördert wurden. Alle sollten es wissen, denn anders hätte der Terrorapparat seinen Zweck als Herrschaftsinstrument nicht erfüllen können, aber diesem Wissen wurde bewußt (auch mit Hilfe entsprechender Sanktionen) der Weg in die Öffentlichkeit, in den öffentlichen Diskurs, versperrt. Damit war eine wichtige Wirkung garantiert: Diesem Wissen wurde gewaltsam die Qualität des Gerüchts aufgeprägt, so war es als Angstproduzent, als Instrument des Terrors, allgegenwärtig; die Wirkung wurde zugleich auf paradoxe Weise dadurch verstärkt, daß diesem Wissen mit der Öffentlichkeit die Berechenbarkeit, die Möglichkeit des rationalen Umgangs mit dieser allgegenwärtigen Drohung, und damit auch die Erinnerungsfähigkeit entzogen wurde. Deshalb haben alle „nichts davon gewußt“ (d.h., sie haben es gewußt, aber können sich post festum nicht erinnern: auch eine objektive Lüge kann subjektiv ehrlich sein). Ist es ein Zufall, wenn das gleiche technische Instrumentarium im Bereich des sexuellen Mißbrauchs (der den faschistischen Terror wie unterm Wiederholungszwang aus dem politischen Bereich ins Private verschiebt) wiederkehrt?
    Gisela Diewald-Kerkmann weist darauf hin, daß es in der Geschichte der politischen Denunziationen (Politische Denunziation im NS-Regime, Bonn 1995, S. 62ff) zwei Höhepunkte gegeben hat, und zwar 1935/36 und von 1942 bis 1944. Auffällig, daß beide Phasen Krisenphasen des Regimes waren, und daß es sich in beiden Fällen zugleich um entscheidende Phasen der nationalsozialistischen Judenpolitik handelte (Nürnberger Gesetze und „Endlösung“). Fragen:
    – Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Freigabe der Denunziation und der Anheizung des Antisemitismus (Öffnung eines Ventils, Instrumentalisierung der projektiven Verarbeitung der eigenen Zweifel)?
    – Wie hängt diese Geschichte mit der Nachkriegs-Verdrängungsgeschichte zusammen, und welche Folgen hatte sie für den Umgang mit der Nazivergangenheit nach dem Krieg („Kollektivscham“, Verurteilung statt Erinnerung, Funktionalisierung des „Terrorismus“)?
    Gibt es ein Äquivalent zu Denunziation und Antisemitismus in der Konstruktion der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
    „Volksgemeinschaft“ (Volk als „Schicksalsgemeinschaft“): Welche reale Bedeutung hat eigentlich der Slogan „Wir sind das Volk“?
    Der letzte Satz des Jakobusbriefs macht nicht nur zum erstenmal verständlich, was Gnade ist, er bezeichnet den genauesten Einspruch gegen jede Art von Schicksalsgemeinschaft.
    Das Motiv, den Tempel abzureißen und in drei Tagen wieder aufzubauen, gibt es in den Evangelien sowohl real, als Wort Jesu, als auch als Denunziation, als „falsches Zeugnis“. Es kann etwas also wahr und eine Denunziation zugleich sein. Hat dieser Sachverhalt nicht etwas mit dem Taumelkelch, mit der Besoffenheit des Herrendenkens, zu tun?
    Die Geschichte des Opfers ist der sprachgeschichtliche Teil der Geschichte der Instrumentalisierung.
    Wird in der Antisemitismus-Diskussion in der „Jungen Kirche“ nicht aufs drastischste deutlich, daß die Bücher Samuel und Könige keine historischen, sondern prophetische Bücher sind? Sie sind insbesondere keine Hagiographien. David als „Vorbild“ gehört in den Komplex „Karl der Fiktive“, es gehört nicht in die messianische Geschichte. Ebenso weist das Verständnis der Nachfolge als „Vorbild“ haarscharf neben die wirkliche Bedeutung der Nachfolge: Sie ist eins mit dem „Bekenntnis des Namens“, das mit dem Bekenntnis zum Namen nicht nur nichts zu tun hat, sondern auf den Irrweg geführt wird. Das Vorbild gehört zu den Dingen, auf die das Bilderverbot sich bezieht; es gehört zur gleichen Logik, der der Name der Christen sich verdankt, der das Christentum zur Partei gemacht hat.
    Die Orthodoxie ist insgesamt wahr, bis auf das eine: sie verletzt das Bilderverbot. Die Wurzeln der Verletzung des Bilderverbots sind die „subjektiven Formen der Anschauung“. Kopernikus hat die Verletzung des Bilderverbots zum Apriori der Vorstellung des Universums gemacht.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Systemgrund der Bilder (der Vorstellungen). Dieser Systemgrund wird fundiert, stabilisiert und abgesichert durch die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt.
    Die Objektivierungsgeschichte ist die Subjektivierungsgeschichte. Diese Geschichte ergreift in der Idee des Absoluten Gott; das Absolute ist der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft, der Quellpunkt der Verhärtung des Herzens (das hat Hegel erfahren, als er sich als „von Gott dazu verdammt“ erkannte, „ein Philosoph zu sein“.
    Die erbauliche Bibelauslegung, die aus dieser Logik sich herleiten läßt, hat die Schrift in den Kontext des Gerüchts gerückt. Sie verweist auf die Wurzel des Gerüchts: die Subsumtion der Sprache unters Gesetz der Selbsterhaltung, das in der christlichen Tradition durch die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele hereingekommen ist. Indem sie die Idee des seligen Lebens an die philosophische Idee des Glücks (zu der der Islam dann die Illustration geliefert hat) zu binden trachtet, verrät sie die Barmherzigkeit, deren gegenständliches Korrelat die Idee der Auferstehung ist. Die Unsterblichkeitslehre war das infamste Herrschaftsinstrument.
    Zu dem Satz, daß die Kirchen bis heute nur gebunden, nicht gelöst haben, gehört der Satz: Magnus error in principio magnus est in fine.
    Das Himmelreich ist nicht eine fix und fertige Einrichtung über uns, bei der es dann nur noch darum geht, ob man reinkommt oder nicht, sondern das Himmelreich, daß mitten unter uns ist, ist etwas, was sich in der Geschichte der Erlösung erst bildet: das Ziel der messianischen Wehen, an dessen Hervorbringung wir wie die Gebärerin an der Geburt aktiv teilhaben (Röm 819ff).
    Ist die „Stille im Himmel“ bei der Öffnung des siebten Siegels (Off 81) das akustische Äquivalent der Sabbatruhe? Am siebten Tag schweigt auch Gott, ist er entlastet von der Last der Schöpfung durchs Wort.
    Subjektivierungsgeschichte: Von hinten wird das Licht zur Empfindung, von der Seite trennen sich Barmherzigkeit und Gericht, von unten wird der Name zur Macht.
    Stecken die Denunziation und der Antisemitismus nicht schon in den Fundamenten der Welt (die durchgedrehte Bekenntnislogik)?
    Die religiösen Vorstellungen, das Dogma und die Orthodoxie verhalten sich ähnlich zur Bekenntnislogik wie die Erscheinungen, die Begriffe und die Gesetze der Physik zum Inertialsystem.
    Welche „Großen“ gibt es in der Geschichte (von Alexander über Karl, Gregor und Innozenz, Albertus bis hin zu Friedrich und Katharina)? Vgl. hierzu Jakob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen, insbesondere das 5. Kapitel: Das Individuum und das Allgemeine (Die historische Größe), und hierzu in der Einleitung:
    – „Wir betrachten das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und Verständliches“ und
    – „wir können jene Lehre von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist von uns nicht zu verlangen“ (S. 10).
    Hat der historische Begriff der Größe etwas mit dem paradoxen Versuch zu tun, unter den Bedingungen des Zeitkontinuums so etwas wie einen Anfang zu etablieren (den Anfang der Welt, die ein „Großer“ begründet hat)? Zielen Benjamins Reflexionen zur Kritik der Gewalt nicht auf diesen Sachverhalt? Der Begriff der Größe benennt die Gewalt, die Walter Benjamin die rechtssetzende Gewalt nennt.
    Zur Größe gehört das Denkmal, das von der Last der Reflexion suspendiert (seit des Goethe-Denkmäler gibt, wird Goethe nicht mehr gelesen).
    Die Größe ist das Korrelat (und das Alibi) der eigenen Kleinheit.
    Ist nicht die Sohn-Gottes-Theologie der Versuch, auch Jesus ein der Größe korrespondierendes Attribut zuzuerkennen („Bekenntnis“ und Größe)?
    Dieser Begriff der Größe erfährt seine Vollendung in der Unendlichkeit der kopernikanischen Welt, vor der ich mich endgültig klein fühlen darf (ist nicht die kopernikanische Welt der Baum, unter dem Adam nach dem Sündenfall sich versteckte?).
    Alle Anti-Bewegungen der Nachkriegszeit waren verhext durch die Feindbildlogik.
    Das „nur“ in der Fassung des kategorischen Imperativs, nach der Menschen nicht nur als Mittel angesehen werden dürfen, schließt die absolute Verpflichtung zur Reflexion mit ein (und diese Verpflichtung gilt als moralische Pflicht auch für den Richter; deshalb darf der Angeklagte niemals zum Feind werden).
    Ist nicht der Universalismus und der unter seinem Gesetz vollzogene Objektivationsprozeß ein Prozeß der Selbstinstrumentalisierung, der Identifikation mit dem Aggressor. Die subjektiven Formen der Anschauung haben diesen Prozeß automatisiert.
    Wer das „nur“ unterschlägt, gerät in eine Logik, in der er am Ende den Satz nur noch auf sich selbst bezieht, alle anderen davon ausschließt.
    Sind nicht alle Planeten frei fallende Fahrstühle, die nur durch die Trägheitskräfte ihrer elliptischen Bewegungen vom Sturz in die Sonne abgehalten werden?
    Das Licht ist der Sprachgrund im Sehen. Gott spricht, bevor er sieht, die Menschen sehen, bevor sie sprechen.

  • 13.3.1997

    Heute erzwingen die vom Herrendenken und von der Bekenntnislogik beherrschten Kirchen selber die Enttheologisierung der Theologie, die Gestalt einer atheistischen Theologie (Leugnung der Auferstehung: Problem der Naturwissenschaft; Sprengung des Namens durch den Naturbegriff).
    Gilt das Adorno’sche Wort „Das Ganze ist das Unwahre“ nicht schon für die kantischen Totalitätsbegriffe? Weder die Welt, noch die Natur und erst recht nicht das Wissen bezeichnen ein Ganzes. Alle drei Begriffe setzen den Begriff des Ganzen voraus, den sie gleichwohl nicht zu erfüllen vermögen. Das Ganze verkörpert einen unendlichen, grundsätzlich unerfüllbaren Trieb. Unbezweifelbar ist nur seine Unendlichkeit, ähnlich der Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung oder der des Zeitkontinuums. Ist nicht die Unaufhebbarkeit des Todes das Modell dieser Unendlichkeit?
    War die kirchliche Höllenvorstellung nicht immer schon nur eine ästhetische Verdoppelung dieser Welt? Das Wort von den Pforten der Hölle (die die Kirche nicht „überwältigen“ werden) setzt voraus, daß die Kirche in dieser Hölle ist; es gibt nur die Verheißung, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, daß diese Hölle nicht das Ganze ist.
    Ist der Brief ein säkularisierter, in Schrift transsubstantiierter (und eingefangener) Engel?
    Ihr laßt den Armen schuldig werden; Unkenntnis schützt nicht vor Strafe: Die Anwendung dieses Grundsatzes, die am Asylrecht leicht sich demonstrieren läßt, beweist die Goethe’sche Einsicht, deren Geltungsbereich heute gleichsam explodiert.
    Herrschaft als Stellvertretung: Haben nicht alle Revolutionen dazu geführt, daß nicht die, für die die Revolutionen gedacht waren, sondern am Ende allein die neuen Herrscher die Früchte der Revolution genießen konnten? Die Instrumente der revolutionären Umwälzungen sind im revolutionären Prozeß zwangsläufig zu Zwecken geworden, die die Zwecke, denen sie dienen sollten, aufgefressen haben. So ist jedesmal der alte Scheiß wiedergekehrt.
    Die Beziehung von Herrschaft und Stellvertretung ist eine Folge der Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung.
    Was passiert, wenn eine „Bewegung“ apologetisch wird, wenn sie nur noch ihre vergangenen Ziele rechtfertigt (wenn sie im Anblick ihres Scheiterns zu beweisen sucht, daß sie doch immer schon recht gehabt hat)? Stehen nicht alle Bewegungen unter dem Bann der Logik des Rechtfertigungszwangs, sind sie nicht apologetisch, schon wenn sie entstehen?
    Beton ist die Schale, die (wie das Substantiv das Nomen) den Kern aus sich herausgequetscht hat, die Schale, die nur noch Schale ist: die Schale des Nichts.
    Die Frage an den Theologen, was hat Jesus davon, wenn wir uns dazu bekennen, daß er der Sohn Gottes ist, hat eine Prämisse, die mit zu reflektieren ist: Nicht auf das Bekenntnis kommt es an, sondern auf das Lösen, das dann das Lösen im Himmel bewirkt. Das Bekenntnis bindet nur.
    Sind nicht Adjektive Stigmata? Ist nicht das Substantiv durchs Adjektiv vermittelt, und ist diese Vermittlung nicht der Grund der Tilgung des Namens? Die Grundadjektive sind Gut und Böse.
    Gehört nicht zum grammatischen Problem der Suffixe das gemeinsame Problem der Bildung der Abstrakta (des Neutrums) und der Flexionen (der Deklination und Konjugation)? Beziehen sich im Hebräischen die Suffixe nur aufs Geschlecht und den Numerus, während sie erst in den flektierenden Sprache ins System der Deklination und der Konjugation mit einbezogen werden?
    Weshalb schreibt Johannes (in der Apokalypse) an die Engel der Gemeinden, nachdem er zuvor an die Gemeinden einen allgemeinen Gruß gesandt hat? Haben diese Engel etwas mit den Engeln zu tun, die vor dem Thron Gottes stehen?
    Wer das Ende berechnen will, will andern Angst machen (instrumentalisiert die Angst).
    Ist der Begriff der Zeit in dem Ausdruck „eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ eigentlich immer ein und derselbe Begriff? Hängen diese Zeiten mit den räumlichen Dimensionen: die „eine Zeit“ mit dem Angesicht, die „zwei Zeiten“ mit der Unterscheidung von Rechts und Links (von Gericht und Barmherzigkeit) und die „halbe Zeit“ mit der Beziehung von Oben und Unten (der Trennung der oberen von den unteren Wassern), zusammen?
    Rüsselsheim, Uniklinik und Rotes Kreuz-Krankenhaus in Frankfurt, dreimal die gleiche Erfahrung: Kliniken nehmen Krankheiten nur noch zum Anlaß, alle begründbaren abrechnungsfähigen Untersuchungen vorzunehmen, während sie an einer Diagnose nicht mehr interessiert zu sein scheinen.

  • 18.2.1997

    Das Gewissen ist das Organ der Sensibilität, der moralischen Wahrnehmung: es ist ein Erkenntnisorgan. Wer das Gewissen (im Kontext der transzendentalen Ästhetik, unterm Bann der subjektiven Formen der Anschauung) zu etwas rein Innerlichem macht, macht es zur Quelle von „Schuldgefühlen“. Dieses Gewissen beurteilt nur post festum die vergangenen Handlungen (das eigene Tun); zu diesem Gewissen gehört der Rechtfertigungszwang (gehören die Abwehrmechanismen und die Feindbildlogik).
    Was ist das für ein merkwürdiges Konstrukt, das, indem es rechtfertigt, verurteilt und freispricht zugleich? Ist dieses „Gewissen“ nicht der Inbegriff der Logik der subjektiven Formen der Anschauung, der transzendentalen Ästhetik?
    Das Gewissen, das nur noch innerlich ist, ist der Luxus in einer versteinerten und gnadenlosen Welt.
    Ist nicht der letzte Satz des Jakobusbriefs der Schlüssel zur Gnadenlehre?
    Zu Hegels Satz: „Für den Kammerdiener ist der Held kein Held“ ist zu bemerken: Ein Held, der einen Kammerdiener hat, ist kein Held.
    Ist Held eine ästhetische Kategorie? Was (nicht „wer“) ist der Held des Romans (ein Identifikationsobjekt, das ästhetische Pendant des Objekts: Beziehung zum Weberschen „Charisma“)? Gibt es Helden ohne Feindbildlogik, und gehört nicht zur Figur des Helden die Idee des stellvertretenden Opfers? Ist nicht die Figur des Helden der Knotenpunkt der Instrumentalisierung (im Helden gewinnt die Logik der Instrumentalisierung, die transzendentale Ästhetik, Selbstbewußtsein)? – Was hat die Figur des Helden mit dem „Fürsten dieser Welt“ und mit der Astronomie zu tun? Helden sind fleischgewordene Götter. Helden sind die Abgeltung des Opfers als Opfer an das Selbst.
    Gibt es außer dem biblischen Schöpfungsbericht noch eine andere Kosmogonie, die auch die Entstehung des Lichts mit einschließt?
    Pharao, der Titel des ägyptischen Königs: Hat die aristotelische Unterscheidung von oikos und polis etwas mit der Unterscheidung von Mizrajim (Pharao und das Sklavenhaus) und Babylon (Tempelwirtschaft) zu tun?
    Stecken nicht im Namen der politischen Ökonomie, deren Kritik Marx sich vorgesetzt hatte, die polis und der oikos?
    Bei Rosenzweig kommen Ägypten und Babylon nicht vor, dafür neben Griechenland Indien und China und neben Juden und Christen der Islam. Das aber heißt: Rosenzweig war kein Prophet, sondern ein Philosoph.
    Bei Daniel kommt Ägypten nicht vor (erst bei Johannes kommt neben Babylon auch Ägypten vor: die Plagen). Wer Ägypten verstehen will, muß die Finsternis begreifen.
    War die Erfindung der Sumerer ein Konstrukt zur Absicherung des Antisemitismus, gehört sie nicht in den Kontext der historischen Bibelkritik, deren Ziel die Neutralisierung der Prophetie gewesen ist? War nicht das Ziel der historischen Bibelkritik die Kritik der Erwählung Israels, die sie zu einem Exempel des Nationalismus gemacht hat, um so die exkulpatorische Logik zu retten? Kern der historischen Bibelkritik war die Verwerfung der Gottesfurcht.
    Hat die kabbalistische These. daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, etwas mit der apokalyptischen Versiegelung (und mit der Lösung der sieben Siegel) zu tun?
    Gibt es nicht Motive aus der heroischen Tradition, die sowohl auf Moses als auch auf Jesus sich anwenden lassen?
    Ist die Stummheit des Helden die Folge seiner Beziehung zum Ursprung der Kunst, zur Ästhetik, auch zu den subjektiven Formen der Anschauung? Sind Helden die ersten Objekte der Anschauung? Wenn die Stummheit des Helden mit dem Ursprung der Raum- und der Objektvorstellung zusammenhängt, ist sie eine Bestimmung innerhalb der Sprache. Und wie hängt die Distanz zum Objekt, die in der Stummheit des Helden sich ausdrückt, mit dem bara, mit dem biblischen Schöpfungsbegriff zusammen (wie auch mit dem Namen der Barbaren und der Hebräer)?
    Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht: Ist nicht das Himmelsblau das über die Finsternis gezogene Licht, das Rot des Feuers die über das Licht gezogene Finsternis? – Vgl. Goethes Farbenlehre.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Haben Mond und Sonne etwas mit der Scham und mit dem Blick der Andern, mit dem Urteil, zu tun?
    Et verbum caro factum est: Ist dieses Fleisch der Inbegriff der Nacktheit und der Scham. Der ans Kreuz Geheftete war nackt.
    Drückt in der Apokalypse die Beziehung der Wahrheit zur Öffentlichkeit sich aus, die auch dem Martyrium zugrunde liegt?
    Mene, tekel upharsin: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden. Die Wand ist die Projektionsfläche, die die Rationalität der Naturwissenschaft begründet. Ist das Menetekel (die Schrift an der Wand) der Grund der Naturwissenschaft? Das Menetekel ist das Symbol der Logik der Schrift; und hat es nicht auch etwas mit dem Geld, mit Mine und Schekel, zu tun? Ist die Kunst (der subjektlose Traum der Politik, den das Genie, die „Natur im Subjekt“, träumt) der Traum des Nebukadnezar?

  • 20.11.1996

    Wie hängen das Angesicht, der Name und das Feuer zusammen mit der Subjektivierungsgeschichte der Sinnlichkeit, der Kritik und der Schuld?
    Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion hängt zusammen mit der Unfähigkeit zur Kritik der Verwaltung: des Instrumentariums der Herrschaft (Problem des real existierenden Sozialismus, auch des 68er Marxismus).
    Daß Hegels Philosophie nur bis zum Bewußtsein der Freiheit reicht, ist in der systemlogischen Funktion und Bedeutung des Weltbegriffs begründet. Diese wären zu reflektieren, und in ihnen die Logik der Schuld (die Wurzeln des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs).
    Die Verwaltung ist das Instrument der Herstellung der Welt.
    Was die Nazis einmal das „gesunde Volksempfinden“ nannten, war nichts anderes als der faschistisch entfesselte Rachetrieb; und der hat den Faschismus überlebt.
    Als Habermas den „Verfassungspatriotismus“ erfand, hat er sich selbst von der Reflexion der Natur ausgesperrt. Seitdem kreist er auf den Planetenbahnen seiner Kommunikationstheorie.
    Kant hat noch zwischen dem Endzweck der Natur (den es nicht gibt) und dem Endzweck der Schöpfung (der im Menschen als einem moralischen Wesen sich verkörpert) unterschieden (Kritik der Urteilskraft, § 86). Mit dem Naturbegriff ist die universale Geltung des Kausalitätsprinzips – und damit der Ausschluß jeder Teleologie – mit gesetzt; nur der Begriff der Freiheit fährt aus dem Bann der Natur heraus: dieser Freiheitsbegriff ist der Grundbegriff des Handelns und der Moral.
    Vgl. hierzu Kants Begründung der Subjektivität der Formen der Anschauung und die Konsequenzen dieser Reflexion. Erinnert diese Begründung nicht an die (dreifache) Orthogonalität und damit an die die transzendentale Logik und den Begriff der Erscheinungen begründende dreifache Abstraktion: die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der objektiven Kraft der Kritik (auf deren Rekonstruktion die kantische Philosophie abzielt) und von der Objektivität der Schuld? Diese drei Abstraktionsschritte stützen sich wechselseitig, sie vollenden sich in den subjektiven Formen der Anschauung. Gehört der römische Triumph, der Dreischritt, von dem er den Namen hat (vgl. die Bemerkungen Florens Christian Rangs hierzu in seinem „Shakespeare als Christ“), zur Ursprungsgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung, waren die in ihm mitgeführten Gefangenen und die Beute das Modell der dann neutralisierten „trägen Masse“, war das caesarische, imperiale Rom die Geburtstätte des Inertialsystems?
    War nicht das kirchliche Verständnis des Bindens und Lösens, der Sündenvergebung, insbesondere das Institut der Ohrenbeichte, ein wesentlicher und notwendiger Schritt auf dem Wege zur Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung?
    Als Levinas auf den imperativen Gehalt der Attribute Gottes hingewiesen hat, hat er dem fundamentalistischen Schriftverständnis, das diesen imperativen Gehalt in die unreflektierte Gestalt der Schrift verlegt, endgültig den Boden entzogen. Das fundamentalistische Schriftverständnis ist die Flucht vor dem Imperativ, der in den Attributen Gottes sich manifestiert. Deshalb bezieht sich die „Erfüllung der Schrift“ in erster Linie auf die Passion.
    Steckt nicht eine gewaltige Symbolkraft darin, daß Hegel an der newtonschen Gravitationstheorie und Goethe an der newtonschen Farbenlehre sich abgearbeitet haben? Ich meine, es ist eine arge Vereinfachung, wenn man den Abschluß dieser Geschichte darin zu erkennen glaubt, daß Newton gesiegt hat, während Hegel und Goethe gescheitert seien.
    Zur Kritik der Subsumtionslogik: Der Antisemitismus ist kein Anwendungsfall einer allgemeinen Vorurteilstheorie, sondern er ist die Wurzel des Vorurteils.
    Die Venus-Katastrophe ist die Katastrophe, die eingetreten ist, als die Barmherzigkeit durch die Liebe und eine Sexualmoral, die als Urteilsmoral sich etabliert hat, ersetzt worden sind. Diese Katastrophe ist ein Ereignis der Herrschaftsgeschichte, sie ist eins mit dem Ursprung der Begriffe Natur und Welt. Der Preis für die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral war die Heuchelei (vgl. hierzu die Beziehung der Gemeinheitslogik zu dem Begriff der Schwere der Schuld).

  • 24.7.96

    Hängen die paulinischen Reflexionen über die Thora, das Gesetz, mit der Bräutigam-Braut-Symbolik zusammen, mit der Beziehung Jesu zum „himmlischen Jerusalem“ der Apokalypse (Jankowski, TuK 70, S. 8ff)?
    Erinnert nicht die Auslegung des paulinischen Fleischbegriffs, den Jankowski auf die Juden bezieht (ebd. S. 12ff, vgl. auch Ton Veerkamp im gleichen Heft), an den der „fleischlich gesinnten Juden“, den ich zuletzt bei Karl Thieme vorgefunden habe? Und zieht er nicht die ganze Vorstellungswelt des kirchlichen Antijudaismus nach sich, die über die Beziehung von Fleisch und concupiscencia, Sexualität, dann auch in die antisemitische Vorstellungswelt mit eingegangen ist? In der Sache, so scheint mir, scheitert diese Auslegung an der sachlich nicht begründbaren Gleichsetzung von Beschneidung und Fleisch: Die Beschneidung ist nicht Fleisch, sondern wird am Fleisch vollzogen. Hier wird das Objekt einer Handlung mit dieser Handlung verwechselt. Ist dieses „Fleisch“ – auch vor dem Hintergrund des Weltbegriffs, auf die ganze Ursprungsgeschichte des Christentums sich beziehen läßt – nicht eher das Fleisch der apokalyptischen Tiere, das am Ende die Vögel fressen? Hegel hat einmal seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, mit dem Hinweis begründet, daß es dann keine unterschiedlichen Gattungen und Arten von Tieren, sondern nur eine Art bzw. Gattung geben dürfe; diese Begründung spiegelt den unbestreitbaren Sachverhalt wider, daß Tier und Welt in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen: Jedes Tier (jede Gattung) hat seine Welt, und zur Idee der „einen Welt“ (zum universalen Weltbegriff) gehört dann das eine Tier (als das dieser Welt eindeutig zuzuordnende Subjekt). In dieser Beziehung drückt sich übrigens ein logischer Sachverhalt aus: die Logik der Welt ist die Logik der Instrumentalisierung, und der Begriff des Tieres (des Organismus) drückt genau diese als Subjekt sich konstituierende Einheit der Instrumentalisierung aus, die über das Selbsterhaltungsprinzip, über ein System subjektiver Ziele, sich definiert. Deshalb unterliegen alle subjekthaften (dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfenen) Systeme und Institutionen dem Gesetz der „organischen Entwicklung“. Und die kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ erfüllen genau diese Funktion: alle Erfahrung nach dem Prinzip der Selbsterhaltung zu organisieren, in deren Licht die Dinge nur noch als Mittel subjektiver, ihnen von außen auferlegter Ziele erscheinen. Dieses Prinzip liegt dem kantischen Begriff der Erscheinungen zugrunde, die die Erfahrung insgesamt nach Maßgabe der Totalitätsbegriffe Welt und Natur aufteilt und organisiert. Unter diesem Gesetz ist, was die Dinge an sich sind, in der Tat nicht mehr erkennbar.
    Macht nicht Jankowski, wenn er Fleisch als Synonym für Beschneidung setzt (S. 14), den Gegensatz Fleisch/Geist zu einem antijudaistischen Gegensatz?
    Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein Grund der Hoffnung.
    Wenn Paulus ein Zelot war, dann war Hitler ein Sozialist.
    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Wäre das nicht das Motto einer Theologie-Kritik, einer Kritik der Verdinglichung?
    Die einfachste Definition der Barmherzigkeit ist die, daß vor dem Urteil die Frage steht, ob du anders hättest handeln können, wenn du an der Stelle des Objekt gestanden hättest.
    Rosenzweigs Stern der Erlösung oder die Vergegenwärtigung der Tradition: Die Transformation der Schrift ins Wort setzt die Reflexion auf das fundamentalistische Schriftverständnis, auf die Bindung des Textes an die intentio recta, voraus. Lesen, wie es heute nötig wäre, ist interlineares Lesen, Lesen zwischen den Zeilen, bei genauester Wahrung des Worts.
    Ist nicht genau das der Unterschied zwischen Buber und der jüdischen Tradition, daß Buber die Bücher Josue bis Könige als historische und nicht als prophetische Bücher begreift (zum Buch der Richter vgl. Lillian Klein: Triumph Of Irony In The Book Of Judges)? Vergegenwärtigung ist heute nicht leichter mehr zu haben als über die Auflösung des Banns der subjektiven Formen der Anschauung, und d.h. über die Kritik der Naturwissenschaften.
    Wer die Prophetie historisiert, braucht sie nicht mehr auf die Gegenwart und auf sich zu beziehen: Als Heilsprophetie hat sie sich in Jesus erfüllt, als Unheilsprophetie gilt sie nur noch für die Juden (und dient so als Schriftbeweis des Antisemitismus: schon damals waren sie so).
    Jüngstes Gericht: Aufhebung der Trennung von Natur und Geschichte im Geiste der Utopie, oder die Idee der Auferstehung als erkenntnisleitendes Prinzip. Eine Distanz zu dem, was die Idee der Auferstehung von sich aus meint, bleibt; diese Distanz darf durch Symbolisierung der Idee (die die Toten instrumentalisiert und vergißt) nicht aufgehoben werden.
    Die Geschichte aus dem Gefängnis befreien, in das wir sie durch Subsumtion unter unsere subjektive Form der inneren Anschauung (durch Subsumtion unters Zeitkontinuum) eingesperrt haben.
    Die subjektiven Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind keine Naturprodukte, sondern in einem gesellschaftlichen Prozeß entsprungen; sie sind selbst Produkt einer Vergesellschaftung („das stumme Innere der Gattung“).
    Unterscheidet sich nicht die mittelalterliche von der antiken Kosmologie durch eine geringfügige, kaum wahrnehmbare, darum aber nicht weniger folgenreiche Veränderung: durch die Lehre vom Sündenfall, als deren instrumentalisierte Gestalt die Naturwissenschaften sich begreifen lassen? Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, wäre in antikem Kontext nicht denkbar.
    Läßt sich nicht der Haß auf die Zukunft als das Produkt eines logischen Zwangs begreifen, den die Beschaffenheit der Welt in Verbindung mit dem alles durchdringende Selbsterhaltungsprinzip auf unser Bewußtsein heute ausübt, ist er nicht schon überdeterminiert? (Ich habe Benjamins anderslautende Bemerkung schon beim ersten Lesen nicht begriffen, bis mir bewußt wurde, daß sie in der Tat aus Gründen, die es endlich zu begreifen gilt, heute nicht mehr gilt. Daß sie nicht mehr gilt, affiziert die Idee des Glücks, die damit ihre raison d’etre verloren hat. Dafür rächt sich der Faschismus und macht so den Verlust irreversibel.)
    Adornos Philosophie ist die Entfaltung des apokalyptischen Satzes: Das Erste ist vergangen.
    Klingt nicht in Rosenzweigs Kritik des Allbegriffs die Kritik der Universalität des Hegelschen Weltgerichts mit an, die eigentlich die Universalität des Opfers meint.
    Ist nicht das Opfer der Zukunft, auf das die Kirche heute bewußtlos und selbstzerstörerisch sich zubewegt, die Selbstverfluchung Petri in der dritten Leugnung?
    Nicht nur der römische Hauptmann unterm Kreuz sagt: Das war Gottes Sohn, auch die Dämonen sagen es („und zittern“, nach Jakobus), auch Petrus (nach Karl Thieme ein Typos der Kirche) sagt es, bevor er ihn dreimal verleugnet.
    Ton Veerkamps Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (TuK 70, S. 23) erinnert an Hegels Bemerkung (in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte), daß das Wort Geschichte sowohl die historia rerum gestarum als auch die res gestas bezeichnet.
    Hat die Vorstellung des Zeitkontinuums (die subjektive Form der inneren Anschauung) sich in der Auseinandersetzung mit der Sternenwelt gebildet? Das würde die Beziehung begründen, in die Kant das moralische Gesetz in uns und den Sternenhimmel über uns rückt. Und der altorientalische Sternendienst war in der Tat ein Instrument der Legitimation der altorientalischen Reiche.
    Steckt nicht eine ungeheure Logik in den Problemen, die Goethe und Hegel mit Newton hatten? War es nicht bei beiden das griechische, das „heidnische“ Erbe, das sie aufs Anschauen verwies, auf eine Distanz zu den Dingen, deren Preis die Leugnung und Verdrängung eines Innen war, das bei Newton als das barbarische der allgemeinen Gravitation sich enthüllte (Christentum und Gravitation)? Ist nicht die Anthroposophie eine der letzten Manifestationen dieser Logik? Und gehört nicht die Marxsche Bindung seiner Kapitalismus-Kritik ans Tauschparadigma (und die Ausblendung des Schuldknechtschafts-Paradigma) in diesen Zusammenhang, mit der welthistorischen Folge, daß der Versuch der Realisierung im real existierenden Sozialismus direkt ins Sklavenhaus führte (deshalb gab es im gesamten Ostblock keine Banken)?
    Blüm wäre zu korrigieren: Nicht Jesus lebt, wohl aber die tief in der Geschichte des Christentums verwurzelten Banken, deren Zentralen in der Bankenstadt Frankfurt den Triumph über den Sozialismus und das Christentum zugleich ausdrücken.
    Ist nicht die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler aus dem Tempel das zentrale Symbol der heute anstehenden Kirchenkritik? (Gibt es einen Zusammenhang dieser Vertreibung der Taubenhändler mit der Geschichte vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock gab; ist nicht die Taube das Opfer der Armen und das Symbol des Heiligen Geistes zugleich? Hat nicht die Kirche die Armen und den Heiligen Geist zugleich verraten, als sie sich selbst an die Stelle der Armen setzte und den Geist zum Instrument der Selbstlegitimation machte?)
    Wie unterscheidet sich die typologische und realsymbolische Schriftinterpretation von der historisch-kritischen (auf die sie gleichwohl sich beziehen muß)? Ist nicht vor allem der Versuch einer Vergegenwärtigung, die nicht dem Bann des Erbaulichen verfällt? Die typologische und realsymbolische Interpretation gewinnt ihr Leben aus dem des Namens, das in ihnen sich entfaltet.
    Sprachastrologie: Ist der Jupiter der Nominativ und der Mars der Akkusativ, und haben Venus und Merkur mit Genitiv und Dativ zu tun?
    Unschuldige Dingwelt, oder das Prinzip der Verdinglichung: Der Verurteilungsmechanismus ist ein Exkulpationsmechanismus. Es ist der Mechanismus der Verhärtung des Herzens.
    Wer durch die Blume spricht, greift den Adressaten auf eine Weise an, daß er sich nicht wehren kann; er nimmt ihm die Möglichkeit der Verteidigung.

  • 5.7.96

    Der Eigentumskonkretismus, dem Heinsohn verfallen ist, ist ein Trick, mit dem Heinsohn den Begründungszusammenhang, der das Eigentum mit dem Staat verbindet, ausblendet. Wenn er Eigentümer von Nichteigentümern unterscheidet, macht er den Staat zu einem Appendix der Eigentümer (und den Eigentumsbegriff zu einem Teil der Hausbesitzerideologie). Das Geld ist durch eine Eigenschaft definiert, die es von den „Gütern“ ähnlich unterscheidet wie den Raum von den Dingen in ihm (oder wie das Instrument von der Materie, die es bearbeitet): durch die logische (nicht empirische) Eigenschaft der Unvergänglichkeit, die als Folie der Vergänglichkeit die Dinge wie die Waren dem Untergang (der Verarbeitung, dem Verbrauch, dem Verzehr) zueignet. Wenn der Schuldknecht ein Eigentümer ist (S. 180), dann ist der Proletarier ein Schuldknecht seiner selbst. Gezeugt, nicht geschaffen: Güter werden produziert, Geld ist die Voraussetzung einer Produktion, in der es eigentlich nur sich selbst reproduziert (wie auch der Raum, der durch die subjektive Form der äußeren Anschauung hindurch sich konstituiert). Der philosophische Substanzbegriff ist ein Reflex des Eigentumsbegriffs: auf den Substanzbegriff und seine immanente Logik bezieht sich der trinitarische Begriff der homousia. War nicht die mittelalterliche Eucharistielehre eine sakrale Geldtheorie? Heinsohn abstrahiert von der Tatsache, daß Eigentum überhaupt erst im Prozeß des Ursprungs des Staates, mit dem Staat zusammen, sich konstituiert. Im Eigentumsbegriff steckt das, was heute Staatsgewalt heißt (und jeder Eigentümer hat Anteil an dieser Staatsgewalt; darin gründet der Nationalismus). Eigentumsbildung erfolgt nicht allein durch Revolution (der Schuldknechte gegen die Feudalherrn), sondern auch durch Eroberung, die das Eigentum der Eroberer an der unterworfenen Bevölkerung wie an ihrem Besitz begründet (vgl. die archaischen, regressiven Züge des Jugoslawien-Konflikts). Zur Logik jeder Revolution gehört es, daß sie nicht einfach nur den Staat, sondern ihn zugleich als Eroberungsstaat begründet. Gründet nicht der Missionsauftrag der Kirche in der gleichen Logik (ist nicht das Zeugen in der Trinitätslehre das Movens des Missionsauftrags der Kirche: Gehet hin in alle Welt …)? Hegels Satz, daß eine Grenze bestimmen sie überschreiten heißt, gründet in dieser Eigentumslogik. Es ist die gleiche Logik, die das Anschauen mit der Nacktheit verbindet (und den Ursprung des Staats mit dem Ursprung der Sexualmoral). Die Trinitätslehre hat das Problem, das der Philosophie im Römischen Staat sich stellte, gelöst, aber nur das logische, nicht das herrschaftsgeschichtliche Problem, das in dem logischen sich verbirgt. So ist diese Lösung zur neuen Grundlage einer imperialistische Ideologie geworden. Der Preis für die Hellenisierung war das proton pseudos der Theologie: die Opfertheologie. Steckt nicht in dem polemischen Teil der Heinsohnschen Theorie, in seiner Lust an der Entdeckung der Dummheit der Anderen, genau das tabuisierende Element, ein religiöses Erbe? Tempelwirtschaft: War nicht die „Religion“ ein Instrument der Legitimierung des Kontrakts und damit des „Eigentums“ und der mit ihm sich entfaltenden Logik? Die Tempel-, Priester- und Opferreligion wäre selber zu begreifen als gleichsam embryonale Frühform der Eigentumslogik. Am Astralkult und an der daraus hervorgegangenen Astrologie läßt der Zusammenhang mit der Eigentumslogik, mit der altorientalischen Gestalt der politischen Ökonomie, mit Händen sich greifen. Darin gründet die Vermutung, daß die „Venus-Katastrophe“ weniger auf eine astronomische, als vielmehr auf eine politisch-ökonomische Katastrophe sich bezieht. Sind Jupiter, Mars, Merkur und Venus, aber auch Sonne, Mond und Saturn, Verkörperungen einer an den Himmel projizierten Gesellschaftstheorie? Die „Wege des Irrtums“ (Jakobusbrief) oder die sieben unreinen Geister: Es gibt nicht mehr nur eine Dummheit, sondern eine (abzählbare) Vielheit an Gestalten der Dummheit, die alle durch Unbelehrbarkeit (und jede für sich durch Unwiderlegbarkeit) sich auszeichnen (vgl. die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos). „Was ist Wahrheit“ (Pilatus): Heute ist der Wahrheit gegenüber jeder im Vorteil, der sich dumm stellt. Kehren nicht die „theologischen Mucken der Waren“ heute in den wirren Phantasien über die Beziehungen der modernen Naturwissenschaften zur Religion wieder? „Ihr laßt die Armen schuldig werden“ (Goethe): Heinsohn/Steiger weisen „die Hauptlast bei der Verteidigung der Preisstabilität nicht … der Zinspolitik, sondern … der Einkommenspolitik in Gestalt der Nominallohnpolitik“ zu (S. 273). In einer Wirtschaft, in der die Unternehmensleitung nicht mehr Sache der „Eigentümer“, sondern die eines selber „lohnabhängigen“ (besitzverwaltenden) Managements ist, das nach „objektiven“ Grundsätzen einer „betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ handelt, erweist sich die Einkommenspolitik als die letzte weiche Stelle in einem ansonsten von lauter „harten Fakten“ bestimmten Kostengerüst. Die letzten „Eigentümer“, die mit ihrem Eigentum (mit ihrer nackten Existenz) für die Schuld, ohne belastbares, pfändbares, jedenfalls in Geld ausdrückbares Eigentum geboren zu sein, haften, sind die Arbeiter und Angestellten. Die Eigentümer haben sich aus der Verantwortung gestohlen, an der sie einmal ihre Würde hatten; die, die die Verantwortung haben, tun nur ihre Pflicht, wissen aber nicht mehr was sie tun (und die Wissenschaft, die ihnen dabei behilflich ist, verkörpert genau dieses Nichtwissen); nur die, die als Eigentumsledige jeder Einwirkungsmöglichkeit beraubt und aller Verantwortung enthoben sind, tragen die ganze Last des Risikos.
    Gibt es eigentlich eine Abhängigkeit des außer jeder Relation zur Gesamtentwicklung des Preisniveaus sich vollziehenden Steigens der Grundstückpreise zur Entwicklung des die Logik der Geldwirtschaft beherrschenden Eigentums insgesamt? Ich vermute, die These ist nicht nur begründbar, sondern auch beweisbar, daß die Preissteigerungen am Grundstückmarkt (die als Folge der durch keine Leistung fundierten, sondern allein die Eigentumsmacht reflektierenden Mieterhöhungen sich begreifen lassen) als Index und als Spiegelbild der Gesteinsverschiebung in der gesamtwirtschaftlichen Eigentumsverteilung sich erweisen. Ist die jeder äußeren Einwirkung sich entziehende (gegen jeden moralischen Appell immun gewordene) Eigentumsmacht nicht die Perfektionierung der gleichen Strukturen und Mechanismen, die in anderen Zeiten im Phänomen der Majestätsbeleidigung sich manifestierte: Ist das Eigentum die unverletzbar gemachte (gegen das Ansinnen der Moral immunisierte) Verletzlichkeit der Herrschaft (die Stelle des Lindenblatts beim Siegfried)? Polanyi hat darauf hingewiesen, daß die Subsumtion des Grund und Bodens, der Arbeit und des Geldes unters Tauschprinzip dem Kapitalismus den Weg freigemacht hat. Welche Konsequenzen lassen sich aus dieser Konstellation angesichts der gegenwärtigen Globalisierung der Ökonomie für die Objekte dieser Subsumtion im einzelnen (für Grund und Boden, für die Lohnarbeit, für die Geldentwicklung) ableiten; rücken diese Konsequenzen nicht auch die Beziehungen dieser Elemente in ein neues Licht (ähnlich wie die Beziehungen der drei Richtungen im Raum)? Die Eigentums- und Geldtheorie Heinsohns und Steigers ist das Produkt einer genauesten Entfaltung der Logik der Ökonomie; aber ist diese Logik nicht eine Harakiri-Logik, ein Instrument der Selbstzerstörung der ökonomischen Theorie: das Opfer der Ökonomie an den Absolutheitskern ihrer eigenen Idee (das Gegenstück des newtonschen „absoluten Raums“)?

  • 27.5.96

    Verdinglichung hat einen magischen Kern. Deshalb konvergiert in Adornos Kritik der Verdinglichung der aufklärerische mit dem theologischen Impuls.
    Alle Magie ist Urteilsmagie, die Urteilsform die Wurzel der Magie, ihr Wurzelgrund, der Boden, aus dem sie erwächst: die subjektiven Formen der Anschauung, deren Reflexion das dringendste Desiderat des gegenwärtigen Standes der Aufklärung ist.
    Die Sprache unterscheidet sich von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion; in dieser Fähigkeit gründet die erkennende Kraft des Namens.
    Die „Wertfreiheit“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die Trennung von Wert und Sein, wird erkauft mit der Instrumentalisierung der Schuld (mit der Herrschaft des Schuldverschubsystems). Die Urteilsmagie ist die Kehrseite dieser Instrumentalisierung der Schuld.
    Das Schuldverschubsystem begründet die entlastende Logik des Weltbegriffs.
    Ist nicht Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ein Produkt des undurchschauten Glaubens an die magische Kraft des Urteils?
    Wie hängen die zehn ägyptischen Plagen mit der Konstituierung des Inertialsystems zusammen?
    Gibt es nicht bei Marx eine Stelle, an der es heißt, daß die Gesellschaft sich keine Probleme stellt, die sie nicht auch zu lösen vermag? Wie hängt das mit dem von Hinkelammert in seiner „Kritik der utopischen Vernunft“ zitierten Topos zusammen, daß das Bestehende in sich selbst die Kraft der Selbstrechtfertigung hat? Trifft dieser Satz nicht die Realität genauer (aber auch erschreckender)?
    Das Urteil eines Gerichts wird durch Beschluß gefällt. Drückt in dem Präfix be- (das im Englischen an die Stelle des Infinitivs „Sein“ tritt), in Worten wie Bekenntnis, Bekehrung, Beschluß, die Gewalt des Inertialsystems (der subjektiven Formen der Anschauung) über die Sprache sich aus? – Was unterscheidet den Beschluß vom logischen Schluß, das Bekenntnis vom Glauben und die Bekehrung von der Umkehr?
    Der Satz Hamlets „To be or not to be, that’s the question“ ist eigentlich nicht übersetzbar. Das mag man an dem späten Echo in Heideggers Satz, der etwas ganz anderes ausdrückt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, ermessen. In diesem Satz gründet jene Hypostasierung der „Frage“, die in Begriffen wie „Seinsfrage“, „Kostenfrage“, „Judenfrage“, die keine Antwort, nur noch Maßnahmen erwarten, sich aus. Hängt dieser Begriff der Frage nicht mit Miskottes Titel „Wenn die Götter schweigen“ zusammen, und widerlegt er ihn nicht?
    Ursprung des pathologisch guten Gewissens: Heideggers Fundamentalontologie hat der Logik des Inertialsystems, die die benennende Kraft der Sprache storniert, auslöscht, auch darin sich gleichgemacht und unterworfen, daß sie die Differenz zwischen Täter und Opfer verwischt, den Tätern die Möglichkeit eröffnet, sich vor sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie entspricht damit dem Stand der Aufklärung.
    Im Paradies waren die Menschen nackt, aber sie schämten sich nicht. Erst nach dem Sündenfall „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Ob sie sich dann schämten, wird nicht mehr gesagt, nur noch durch ihr Handeln stumm demonstriert: Sie machten sich Schurze aus Feigenblättern, die Gott dann durch Röcke aus Fellen ersetzte. Anmerkungen hierzu:
    – „Da gingen ihnen die Augen auf“: Sie lernten, sich in den Augen der andern zu sehen; war das nicht die Folge der Erkenntnis des Guten und Bösen und zugleich die Basis der Objekterkenntnis, der Ursprung der objektivierenden Kraft des Denkens?
    – Sind die „Röcke aus Fellen“ Symbol der Trennung von Vernunft und Physis, von Ich und Es, Hinweis auf den Ursprung sowohl des Unterbewußten als auch der unabhängig von der subjektiven Willkür und Kontrolle ablaufenden animalischen Funktionen in der eigenen Physis, auf den Ursprung des Triebs, der Begierde?
    Bezieht sich der gesamte Vorgang nicht auf einen sprachlichen Sachverhalt? Nur wer gelernt hat, sich in den Augen anderer zu sehen, steht unter dem Zwang, über andere als Objekte zu reden.
    Goethe hat die Farben die „Taten und Leiden des Lichts“ genannt. Ist nicht die gesamte Grammatik der corpus der Taten und Leiden der Sprache?
    Kommt der Titel Pharao so nur in der Bibel vor, oder ist er auch durch andere Quellen belegt? Der Kleine Pauly nennt die Bedeutung des altägyptischen Titels (das „Große Haus“), der „so auch im AT benutzt“ worden sei (Bd. 4, Sp. 711). Adelheid Schott schreibt in „Schrift und Schreiber im Alten Ägypten“, daß „schon griechische Autoren … uns das Wort als `Pharao`“ überliefert hätten (?), allerdings ohne Quellenangabe (S. 47); später verweist sie auf den etymologischen Zusammenhang des Wortes Papier (papyros) mit dem Wort Pharao („das des Hauses“, „das der Verwaltung“, S. 67).

  • 8.5.96

    „Wenn die Götter schweigen“ (Miskotte): Schweigen denn die Götter wirklich, erteilt nicht der Markt allen seine Kommandos (deren Nichtbefolgung die Strafe auf dem Fuße folgt), und hat nicht Ludwig Erhard schon von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen? Potenziert nicht das „Schweigen der Götter“ ihre Macht, weil keiner sie mehr wahrnimmt?
    Das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben wird, hat auch den ganz einfachen Sinn, daß die Sünde wider den Heiligen Geist die künftige Welt dieser Welt gleichsetzt, und daß das dann eine Welt ist, die keine Vergebung mehr kennt. Das ist die Welt des steinernen Herzens. Vgl. hierzu die Verhärtungen des Herzens des Pharao: Er selbst verhärtete sein Herz (2., 4. und 7. Plage), sein Herz blieb verhärtet (1., 3., 5. Plage) und JHWH verhärtete sein Herz (6., 8. und 9. Plage).
    Ist nicht die Verstockung des Pharao ein Hinweis darauf, daß die Reduzierung der Moral auf die Gesinnung zu kurz greift: die Gesinnung ist die Moral des verhärteten Herzens.
    Das Wesen des Tieres wird nicht nur durch den Trieb und die Sexualität, sondern ebensosehr durch das, was Max Horkheimer die instrumentelle Vernunft genannt hat, bezeichnet. Die instrumentelle Vernunft steht unter dem Bann des Weltbegriffs, deren Logik sie blind (weil reflexionslos) gehorcht. Die gleiche Logik rückt die zukünftige Welt in den blinden Fleck, macht sie unsichtbar (mit dem Neutrum ist das perfectum zur Form der abgeschlossenen Vergangenheit geworden; vollendet ist nur noch das Tote: die Ware).
    Wenn der Indikativ das Gericht und der Imperativ die Barmherzigkeit bezeichnet, ist dann nicht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht der Inbegriff der Lehre?
    Oder anders: Ist nicht das Weltgericht die „Erfüllung der Schrift“, die „Erfüllung des Wortes“ dagegen das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
    Goethes Farbenlehre enthält noch die Erinnerung an Licht und Finsternis, die in der naturwissenschaftlichen Farbenlehre verdrängt wird und erinnerungslos verschwindet. Ein ergreifendes Wort: Die Nacht bricht herein! Ist das nicht die Finsternis, die am Tage hinter dem azurblauen Himmel ruht und mit der Nacht „hereinbricht“?
    Die Farben (die sinnlichen Qualitäten insgesamt) wurden verdrängt mit der Konstruktion des dreidimensionalen Raumes, die die Senkrechte zur Norm der Fläche gemacht hat. Der sinnliche Raum ist der Ort von Licht und Finsternis, die im mathematischen Raum nicht mehr sich unterscheiden lassen (die Finsternis ist die letzte der ägyptischen Plagen vor der Tötung der Erstgeburt).
    Das Licht ist die Erinnerung des ersten Schöpfungstags. Der Herrentag, die dies dominica, die auf diesen Tag sich bezieht, ist der Tag der Erinnerung des Schöpfungswerks, nicht der Verdrängung des Sabbats. Die dies dominica sollte nicht mit dem Sabbat verwechselt werden; der Sonntag erinnert an das Gebot: Ihr seid das Licht der Welt.
    Das Sklavenhaus der Sprache: Die subjektiven Formen der Anschauung, das sind die schwarzen Löcher, die mit der Kraft des Namens auch das Licht aus der Sprache heraussaugen, sie entmetaphorisieren, sie zu einem Herrschaftsinstrument entmächtigen.
    Insektenforscher: Im Inertialsystem, dem Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, hat sich die theologische Tradition verpuppt.
    Die Phänomenologie setzt den gleichen transzendentalen Apparat voraus, dessen Reflexion sie ausblendet. Das gilt schon für die Phänomenologie des Geistes.
    Die Mikrophysik ist eine Theorie des verdinglichten, geronnenen Feuers. Hat die europäische Aufklärung damit nicht den ganzen Himmel vermessen: Im Anfang Wasser (Thales), am Ende Feuer?
    Die Metaphorik rührt an das sprachliche Wesen der Natur, das nur durch die Kritik ihrer Beziehung zur Zeit hindurch zurückzugewinnen ist.
    Steckt im Herrengebet der Dekalog, haben Vater und Mutter etwas mit Himmel und Erde zu tun?
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes gehorcht der Logik des Weltbegriffs, die auf den Verrat der Vergangenheit, den Verrat der realen Welt und auf den Verrat der Menschheit hinausläuft. Horkheimers Frage: Wie kann man auf diesem Riesenleichenberg die richtige Gesellschaft errichten, läßt sich als Erinnerung daran verstehen, daß die richtige Gesellschaft nicht gegen die Toten errichtet werden kann.
    Als die Sowjetunion das Lenin-Mausoleum errichtete, hat sie das Proletariat verraten.

  • 17.8.1995

    Last und Joch: Eine Differenzierung im Begriff des Begriffs. Wie hängen Last und Joch mit Hören und Sehen zusammen (mit Wort und Schrift)?
    Zur Prophetie gibt es nur zwei Positionen: Man ist entweder selbst Prophet, oder man wird zu ihrem Objekt. Die gegenständliche, historische Beziehung zur Prophetie führt in einen logischen Zwang, durch den man selber zum bewußtlosen (zum blinden und lahmen) Objekt der Prophetie wird.
    Von den biblischen Opfertieren ist das Rind in den Kernbestand der Evangelien nicht mit eingegangen, während Lamm und Taube zu innertrinitarischen Symbolen, zu Symbolen des Sohnes und des Geistes, geworden sind (die Erstgeburt des Menschen wird durchs Opfer des Lammes, nur bei den Armen durch das Opfer der Taube ausgelöst; nach Mt und Mk treibt Jesus die Wechsler und die Taubenverkäufer, nur nach Joh auch die Verkäufer von Ochsen und Schafen aus dem Tempel).
    Ist nicht die Geschichte vom reichen Jüngling eine parakletische Geschichte? Die Aufgabe des Reichtums sollte er nicht nur für den Moment den Armen helfen (Maurer: „die Urgemeinde ist am Kommunismus gescheitert“), sondern die Ursache der Armut, ihren Zusammenhang mit dem Reichtum, reflexionsfähig machen.
    Es ist so leicht, die Worte Jesu durch Übersetzung in den Indikativ unsinnig und die Nachfolge unmöglich erscheinen zu lassen.
    Eine Sprache, die nur Imperfekt und Perfekt kennt, kennt eigentlich keine (abgeschlossene) Vergangenheit, sie kennt insbesondere keine Herrschaftslogik, die den Sprechenden selber in die Vergangenheit versetzt und als Ersatz das Präsens (eine in die Vergangenheit eingetauchte Gegenwart) braucht. Realsymbol dieser Herrschaftslogik in der Schrift ist das Sklavenhaus Ägypten, dann die babylonische Gefangenschaft.
    Die Verlagerung des Perfekt in die Vergangenheit begründet die Ontologie. Zugleich wird die Erinnerung an die Zukunft (und mit ihr der Kern der theologischen Tradition) ausgeschieden.
    Die Trinitätslehre entlastet die Theologie von der Last der Apokalypse, der Parusie-Erwartung.
    Schuldverschubsystem: Heute wird das Wort Goethes noch überboten: Wir lassen nicht mehr nur die Armen, sondern auch die Opfer schuldig werden: So werden sie wirklich zu Vertretern des Gekreuzigten. (Die Vergebungsbereitschaft der Kirche geht heute soweit, daß sie auch den Juden Auschwitz vergeben würde, wenn sie ihre Halsstarrigkeit aufgeben und die immer ausgestreckte Hand der Versöhnung endlich ergreifen würden.)
    Der Versuch, die ganze Mikrophysik aus der speziellen Relativitätstheorie, aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, abzuleiten, hatte bereits als bewußtloses Modell die Vorstellung, daß die Wahrheit der Trinitätslehre erst in ihrer Konfrontation mit der jüdischen Tradition hervortreten wird. War nicht die Physik Einsteins in der Tat, nur anders als es die Vertreter der „Deutschen Physik“ sich vorstellten, eine „jüdische Physik“?
    Die Welt ist (wie auch ihre Emanationen) die Totalität des Feigenblattes.
    Was in der Trinitätslehre mit Gott begonnen hat und über die Welt fortgesetzt wurde, die Gewalt der Vergegenständlichung, ergreift am Ende unser Herz (das Herz der Kirche).

  • 31.12.1994

    Wie verhält sich die narrative Theologie zu Benjamins Theorie des Erzählers?
    Ob es einen Gott gibt, ist eine offene Frage, aber die Wahrheit eines Textes ist an die Voraussetzung der Theologie gebunden.
    Zu analysieren wäre das Problem, das darin steckt, daß die Naturwissenschaften
    – ein Instrument der fortschreitenden Naturbeherrschung sind,
    – in der Geschichte der fortschreitenden Naturbeherrschung die Geschichte der Herrschaft in der Gesellschaft in sich abbilden und
    – indem sie das tun, sich als Instrument der Selbstlegitimation des Bestehenden erweisen.
    Daß aber heißt, daß diese Naturwissenschaften in der Tradition der Theologie stehen.
    Rousseau: der Augustinus der Aufklärung.
    Zur Geschichte des Naturbegriffs: Enthält nicht die lateinische Tradition, die physis mit natura übersetzt, in ihrem Ursprung die Sprengung der Vater-Imago (die Ersetzung der männlichen Zeugungslust durch die Wehen der Geburt)?
    Was hat es zu bedeuten, wenn die Lateiner die homousia mit consubstantialis übersetzen?
    Gehört nicht das „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ zusammen mit dem anderen Goethe-Satz „Der gute Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges stets bewußt“, und bezieht sich nicht beides auf eine gleichsam embryonale, vorgeburtliche Erfahrung? (Ist Goethes „zu den Müttern“ ein Echo des Rousseauschen „zurück zur Natur“?)
    Ist nicht die parakletische Bedeutung des Wortes „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten, und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ unermesslich?
    Drewermanns Problem der Angstbearbeitung verweist auf einen sehr wichtigen Sachverhalt, wäre aber aus seiner psychologischen Engführung herauszubringen und seiner objektiven, in der Apokalypse tradierten Wahrheit zuzuführen (Apokalypse: die Spiegelung der Erfüllung des Wortes im Medium der Schrift).

  • 7.9.1994

    „Du hast doch ein Ohr, du hast doch eine Leber, du hast doch einen linken Zeigefinger und außerdem noch Lunge und Brust: Worauf wartest du noch, mach doch daraus schon mal einen kleinen Menschen.“
    Der Kapitalismus ist das Reich der Privatwirtschaft: Er hat die gesamte Ökonomie der Privatsphäre (dem Reich der idiotes) zugeschlagen.
    Hinweis auf den Zusammenhang von Ökonomie, Politik und Privatexistenz: Das Telefon ist für den Geschäftsverkehr, für die politische Intrige und für den privaten Tratsch unentbehrlich. Das Fernsehen ist durch das optische Medium das Institut der vollständigen Durchdringung von Politik und Privatem im neuen Begriff der Öffentlichkeit; beide ziehen sich wechselseitig auf ihr unterstes Niveau herunter (Ableitung aus der Logik der Schrift). Hier wird die Intrige vergesellschaftet und der Tratsch zur Basis der Politik.
    Die Bekenntnislogik ist die Opferfalle, in der das Christentum seine Gläubigen gefangenhält.
    Sind nicht die drei Gestalten des Bösen, Satan, Teufel und Dämon, Konstruktionsmomente der Ökonomie, von Goethe zusammengefaßt in der Gestalt des Mephisto? Der Kapitalismus ist ein Teufelspakt, aber das ist kein Anlaß zur Dämonisierung, sondern ein Hinweis zur Erkenntnis des Kapitalismus (der Name des Kapitals entstammt dem Kreditwesen: „capitalis pars debiti ist der Hauptteil der Schuld, der von einer Nebenschuld, nämlich dem Zins, begleitet wird“, Binswanger, Geld und Magie, S. 48).
    Heute käme es darauf an, die Aufklärung aus den Verstrickungen ihres theologischen Ursprungs zu lösen (aus dem dogmen- und bekenntnislogisch begründeten Gesetz der Verdinglichung).
    Hängt nicht die aristotelische Kritik der Geldvermehrungswirtschaft (vgl. Duchrow) mit seiner Kritik der schlechten Unendlichkeit zusammen, wurde ihr nicht durch die kopernikanische Wende der Boden entzogen?
    Auch die Armut ist eine Ware; sie gehört zu den schamvoll versteckten Produkten der kapitalistischen Produktion; sie wird exportiert und wieder reimportiert. Die Armut der andern ist der Schatten der Erfüllung des Gewinnstrebens der Reichen.
    Die Banken und die verwalteten Schulden (das Kreditsystem) sind der Realgrund und die ideelle Widerspiegelung zugleich der Armut in der Gesellschaft.
    Hält die sogenannte „sumerische“ Sprache (als agglutinierende Sprache) nicht die Erinnerung an den Ursprung der durch die Logik der Schrift verursachten Änderungen der Sprache fest (Turmbau zu Babel)? Ist sie nicht gleichsam der embryonale Zustand der flektierenden Sprache?
    Bezeichnet der Staub in der Sündenfallgeschichte (wie die Schlange, die ihn frißt) auch einen sprachlichen Sachverhalt, das Produkt der Vermahlung der phonetischen zur Schriftsprache: die Buchstabenschrift?

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