Goody

  • 10.5.1994

    J. Goody, Die Logik der Schrift, S. 283: „… findet sich während der gesamten Menschheitsgeschichte ein Zusammenhang zwischen Geldverleih, Bankwesen und Literalität.“ Die Kanonisierung heiliger Schriften ist Ausdruck einer präzise zu bestimmende Phase in der Geschichte der Beziehung der Schrift zur Ursprungsgeschichte des Staates. Das Schreiben sowohl Homers als auch der Autoren der Bibel war kein bloß technischer Vorgang (die Vorstellung, daß nur niedergeschrieben wurde, was zuvor in mündlicher Tradition hervorgebracht worden ist und herangereift war, ist naiv). Das Schreiben selbst war Quelle und Organisationsprinzip einer neuen Sprache und eines neuen Inhalts. So ist der Staat ein Produkt der Schrift und selber wiederum ein Agent ihrer Weiterbildung und Entfaltung (war nicht Cicero ein Augur?). Das Wort vom Binden und Lösen: „Was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“, hat auch kosmologische Bedeutung. Die Wendung, die die christliche Tradition dem Motiv der Sündenvergebung gegeben hat, ist heute in die Automatik des Weltbegriffs mit eingegangen: So wurde das Christentum überflüssig, aber die Welt zugleich zu einem Feld der Barbarei (zum Greuel der Verwüstung).

  • 17.09.92

    Alles war wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes über den Wassern: Ist das nicht der Zustand, in den das Inertialsystem das Geschaffene zurücktransformiert? Und war der Anfang eine angesichtslose Katastrophe, in der das Licht des ersten Schöpfungstages den Beginn und die Erweckung des Antlitzes bezeichnet?
    Ist die Übersetzung „Sende aus deinen Geist, und du wirst das Antlitz der Erde erneuern“ korrekt; worauf bezieht sich dann das „Erneuern“?
    Ist nicht der Ausdruck „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ deshalb unverständlich geworden (vgl. Goody, S. 81), weil die Christen nur die andere Seite dieses Satzes interessiert und verstehen: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“
    Der Kulturfortschritt liegt in der Linie des Kain, allerdings mit dem Ergebnis, daß am Ende Lamech nicht mehr siebenfach, sondern siebenundsiebzigfach sich rächt (wogegen Jesus die siebenundsiebzigfache Vergebung setzt). In welcher Beziehung steht dann der Stammbaum Sets zu dem des Kain?
    Kain 1 Set 0912 Jahre
    Henoch 2 Enosch 0815 Jahre
    Irad 3 Kenan 1905 Jahre
    Mehujael 4 Mahalalel 4910 Jahre
    Metuschael 5 Jered 3895 Jahre
    Lamech 6 Henoch 2962 Jahre
    Jubal/Tubal-Kajin 7 Metuschelach 5969 Jahre
    Lamech 6 777 Jahre
    Noach 7
    Welche Verschiebung würde sich beim Vergleich mit dem Sechstagewerk ergeben (ein Tag wie tausend Jahre)?
    Ist nicht Schelers Frage „Was ist der Mensch“ obszön? Vor allem aber: Warum hat das niemand bemerkt?
    Drückt nicht im heute sogenannten Umweltbewußtsein, in den Umweltproblemen, eine konkretistische Variante der Wahrheit sich aus: der unbegriffene Weltbegriff? Ursprung des Weltbegriffs: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren, und sie schämten sich“. Das der Scham zugrundeliegende Bewußtsein, die Selbsterfahrung im Blick der anderen, ist der Kern des Weltbegriffs.
    Mit der subjektiven Form der äußeren Anschauung ist die Identifikation mit dem Aggressor (mit dem Blick des anderen) mitgesetzt; deshalb ist die kantische Philosophie keine Schulphilosophie mehr, sondern eine Weltphilosophie (wie dann wieder die Hegelsche). Seitdem gibt es keine Alternative mehr zum intenionalen Akt, zum Objektbegriff und zum historischen Objektivationsprozeß, ist der Begriff der Umkehr gegenstandslos geworden. So ist die Welt alternativlos zu allem, was der Fall ist, geworden.
    „Er ging hinaus und weinte bitterlich“: Das ist sehr viel ernster, eingreifender und erschüternder, als es klingt. Der Schutzpanzer, mit dem wir glauben, uns die Erfahrung vom Leibe halten zu können, ist so sehr mit Objektivität insgesamt verwachsen, daß es fast unmöglich geworden ist, ihn abzulegen; er ist zum Nessushemd zu geworden, in dem wir ersticken.
    Ich glaube, soviel Sündenböcke, wie wir bald brauchen werden, gibt’s garnicht.

  • 16.09.92

    Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird dem kantischen Objektbegriff, der an die subjektiven Formen der Anschauung gebunden ist, die Grundlage entzogen.
    Verhalten sich die Sterne zum Licht wie die Schrift zur Sprache? Zwischen den Sternen (des dritten Tags) und dem Licht (des ersten Tags) steht das Firmament des Himmels (das am zweiten Tag die Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb scheidet).
    Verweist nicht das Zitat von Oppenheim und die Bemerkung Goodys dazu (vgl. Jack Goody: Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Ffm. 1990, S. 82) auf den durchweg literarischen (d.h. künstlichen) Charakter der sumerischen Sprache: den künstlich geschaffenen (oder aus Ökonomie- und Verwaltungsgründen erzeugten) Sprachgrund der Idolatrie, des Sternen-und Opferdienstes? (vgl. auch S. 103)
    Zum Thales: Dem verdrängten Weinen (Männer weinen nicht) erscheint das Wasser als der gegenständliche Urgrund von allem. Trägt nicht die Philosophie seitdem Psychose-ähnliche Züge? Und wenn Adorno darauf hinweist, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, so ist das auch ein Urteil über die Philosophie. Grund ist die Unentrinnbarkeit der mathematischen Raumvorstellung (und der damit verbundenen Bindung des Denkens an die intentio recta). Das verdrängte Weinen ist nur ein anderer Ausdruck für die verdrängte Schuld (den verdrängten Mythos), aus der das philosophische Denken nur mühsam sich erhebt, indem es dessen vergegenständlichende Macht (die Gewalt der Schicksalsidee) sich zu eigen macht. Die Tränen erinnern mimetisch an das Wasser, das tiefste Symbol der Schuld (des Mythos), das in diesem Bedeutungszusammenhang auch im biblischen Schöpfungsbericht seine genaue Stelle gefunden hat.
    Welche Bedeutung haben dann die „großen Seeungeheuer“, die Fische und das „Tier aus dem Wasser“? Und zum Buche Tobit: Haben die sieben in der Brautnacht der Sara gestorbenen Männer etwas mit den sieben Nächten der Schöpfungsgeschichte (und mit den sieben unreinen Geistern der Maria Magdalena) zu tun. Aus dem gleichen Fisch, aus dem das Mittel zur Vertreibung des Dämons Asmodai stammt, wird auch das Mittel zur Heilung des Tobias (der gegen den Willen des Königs die Toten beerdigt) von seiner Blindheit gewonnen.
    Ähnlich wie bei der Erweckung des Lazarus das Gleichnis vom armen Lazarus als Erklärungshilfe hinzugezogen werden muß, muß bei Maria Magdalena und ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern das andere Gleichnis mit den sieben unreinen Geistern mit hinzugezogen werden. (Ist Maria Magdalena die Magd des Hohepriesters in der Geschichte von den drei Leugnungen – nach Hinzuziehung des Hebräerbriefes?)
    Nichts Vergangenes ist wirklich vergangen: So lebt die Blutrache auch nach Abschaffung der Todesstrafe im Recht noch fort.
    Die Sünde der Welt ist die Sünde des Mords: Das Opfer ist die Natur. So hängen Welt- und Naturbegriff zusammen.
    Paulus war entrückt in den dritten Himmel: Heißt das, daß er (und seine Theologie) seine Inspiration von den „Herrschaften“ und „Mächten“ hat? Paulus war beteiligt an der Tötung des Erzmärtyrers Stephanus („Krone“). Wie lautete das durchs Martyrium besiegelte Bekenntnis des Stephanus: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg. 756)?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie