Bericht der FR über ein Schreiben der RAF zum „Aussteigerprogramm“ („RAF sagt nein zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes“):
– Danach lehnt die RAF das Aussteigerprogramm u.a. deshalb ab, weil „damit … RAF-Mitglieder dazu gebracht werden (sollen), ’sich zum Werkzeug des Staatsschutzes zu machen und so nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten’“. Die Formulierung zeigt, daß, was ohnehin seit langem zu erkennen ist, der RAF heute die „eigene Geschichte“ wichtiger ist, als die eigenen GenossInnen. Sie sind wirklich nur noch Gefangene ihrer Geschichte, damit aber unfähig geworden, die Ziele, für die sie vorgeben sich einzusetzen, überhaupt noch wahrzunehmen, denn das würde die Fähigkeit zur Reflexion – und zwar zur öffentlichen Reflexion – der eigenen Geschichte mit einschließen. Deshalb mußte z.B. Birgit Hogefeld, die damit einen Anfang gemacht hat (der auf das Urteil über sie keinen Einfluß hatte) auch von ihren eigenen GenossInnen ausgegrenzt werden. Wie es scheint, sieht die RAF zu den Rechtfertigungszwängen, unter denen sie steht, keine Alternative mehr.
– Der Satz, daß die Entscheidung Christoph Seidlers, für die die RAF Verständnis bekundet, gleichwohl „nicht einfach in Ordnung“ sei, erscheint begründet, hat aber auch die fürchterliche Konsequenz, daß hier die Forderung nach Solidarität von einer Beziehung, die der Geiselnahme der eigenen GenossInnen gleicht, fast nicht mehr sich unterscheiden läßt. Will die RAF wirklich den Hinweis auf das mögliche Handeln der Staatsschutzorgane als Mittel der Erpressung gegen GenossInnen, die „aussteigen“ wollen, verwenden (wobei offenkundig ist, daß das zur Intention des Aussteigerprogramms gehört, das nur die „Kronzeugenregelung“, den Verrat als Ausweg offenläßt)?
– „Sicherheitsexperten … (wunderten) sich darüber, daß in dem Schreiben nicht auf das Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld eingegangen wurde“ (Hervorhebung von mir):
. Daß sie sich darüber wundern, ist entweder Heuchelei oder Dummheit. Der Grund, weshalb Birgit Hogefeld nicht erwähnt wird, ist dem Schreiben zu entnehmen: Sie hat nach Auffassung der RAF mit ihren Erklärungen in dem Prozeß gegen sie die „eigene Geschichte (gemeint ist die Geschichte der RAF, H.H.) verraten“.
. Im übrigen war das Urteil kein „Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld“, sie hat sich nicht selbst verurteilt, sondern es war ein Urteil gegen sie. Diese Formulierung paßt zu einem Begriff, der neuerdings im Wortschatz der Bundesanwaltschaft wie auch der Medien auftaucht, wo aus Bekennerschreiben „Selbstbezichtigungsschreiben“ werden. Hier wird durch die Sprachlogik unterstellt, daß die RAF und ihre Mitglieder sich selbst anzeigen („bezichtigen“) und dann auch verurteilen, daß das Staatsschutzverfahren eine unschuldige Maschine ist, die von Menschen bedient werden, die, wenn sie sich an die Bedienungsregeln halten, mit dem, was sie tun, nicht mehr sich zu belasten brauchen. Eine Maschine ist nicht kritisierbar, sie ist nicht ansprechbar und nicht reflexionsfähig, sie ist nur brauchbar oder unbrauchbar. Nur: Das Recht mag maschinell herstellbar sein, die Gerechtigkeit, zu deren Idee das „rechtliche Gehör“, und das heißt: eine sprachliche Beziehung des Gerichts zum Angeklagten, der Versuch, ihn zu verstehen, gehört, diese Gerechtigkeit, zu deren Hervorbringung eine Maschine nicht fähig ist, ist es nicht. Die Verweigerung dieses „rechtlichen Gehörs“, oder auch die darin begründete moralische Enthemmung des Rechts, die den Angeklagten zum Feind macht, drückt in einem Begriff wie „Selbstbezichtigungsschreiben“ und in einer Wendung wie „das Urteil der ehemaligen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld“ sich aus.
Die Materie ist der Ausdruck der Verschuldung der Dinge (vgl. hierzu den Hinweis auf die Verschuldung der Banken bei Dirk Baecker, S. 60).
Die Währungshoheit ist der Ausdruck der Verschuldung des Staates, die über die „Kreditschöpfung“ der Banken privatisiert wird.
Die verwaltete Welt ist eine Maschine, in der jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Hat das nicht etwas mit den Planetenbahnen zu tun, deren Notwendigkeit den anderen Sachverhalt nicht aufhebt, daß die Wege der Planeten Wege des Irrtums sind?
Gehorchen nicht auch die RAF-Prozesse der Logik der Privatisierung, und liegt in dieser Logik der Privatisierung nicht der ökonomische Grund der Feindbildlogik, der moralischen Enthemmung und Entpolitisierung auf beiden Seiten, auf der des Staatsschutzes wie auf der des Terrorismus?
Das technisch-positivistische Rechtsverständnis, Korrelat der logischen „Privatisierung“ des Rechts, ist das offene Tor, durch das die moralische Enthemmung des Rechts ins Recht eindringt und die Gerechtigkeit aus dem Recht ausgetrieben wird.
Beginnen nicht der Staatsschutz und die RAF, sich jetzt endgültig spiegelbildlich einander anzugleichen? Unterliegen nicht beide Seiten dem Gesetz der fortschreitenden Entpolitisierung?
Der Vorrang der eigenen Geschichte, die „nicht verraten“ werden darf, vor den GenossInnen, die dann zu Geiseln des Zwangs werden, der von der Unfähigkeit ausgeht, die eigenen Geschichte zu reflektieren, gründet in der Verwechslung von Reflexion und Verrat, deren Opfer Birgit Hogefeld geworden ist.
Das Stichwort „Verrat der eigenen Geschichte“ ist das logische Pendant des Begriffs „Selbstbezichtigungsschreiben“. Beide verweisen auf den Hogefeld-Prozeß und konvergieren in ihm. Der Hogefeld-Prozeß konnte nur als Justiz-Maschine laufen, in der ihre Erklärungen (als Varianten der „Selbstbezichtigung“) ins Leere verhallten, und die gleichen Erklärungen haben die RAF zu einer Entscheidung gezwungen, der sie nicht gewachsen war: Anstelle des Wegs in die politisch-moralische Selbstbefreiung durch Reflexion der eigenen Geschichte hat sie die Dogmatisierung des Rechtsfertigungszwangs gewählt, die Verwerfung der Reflexion als „Verrat der eigenen Geschichte“.
In den gleichen Kontext gehört der Angriff auf Hubertus Janssen, der ebenfalls von beiden Seiten erfolgte: Auch er sah sich plötzlich sowohl als Agent des Staatsschutzes wie als Unterstützer der RAF.
Zu den zentralen inneren Problemen der RAF gehört ihre Unfähigkeit, den Wirkungszusammenhang von Sprache und Ökonomie, die Abhängigkeit der Sprachlogik von der Logik, die in der Geschichte der Ökonomie sich entfaltet, und damit die Einwirkung dieser Logik auf das Bewußtsein derer, die diese Sprache sprechen und in ihr denken, und d.h. auch auf das eigene Bewußtsein, zu reflektieren.
Parallelität oder Wiederholungszwang? Sind nicht im Hinblick auf die Toten in Stammheim beide Versionen denkbar: die Mord-Version (Vertuschung der Morde an den Gefangenen durch die Selbstmordkonstrukte) wie auch die Selbstmord-Version (die Instrumentalisierung der Selbstmorde durch die RAF zu Mobilisierungszwecken), während in Bad Kleinen nun wirklich nur die Mord-Version (die Exekution von Wolfgang Grams, um die Pannen beim Tod des Beamten Newrzella zu vertuschen) Sinn macht, und die Selbstmord-Version eher dazu geeignet ist, auch die offizielle Stammheimer Version nachträglich noch in Zweifel zu ziehen? Verräterisch ist hier nun wirklich der absurde Versuch, das Stammheimer Konstrukt auch in Bad Kleinen nochmals zu Hilfe zu nehmen. Vor allem: Im Hogefeld-Prozeß ist jeder Versuch, im Kontext des Vorwurfs der Beteiligung von Birgit Hogefeld an dem „Mord an Newrzella“, der Wolfgang Grams angelastet wird, dessen Tod, der ja nun wirklich in ursächlichem Zusammenhang mit dem Gesamtvorgang in Bad Kleinen steht, zum Gegenstand der Beweiserhebung zu machen, mit wütender Verbissenheit abgewehrt worden. Und mit dem Trick des Freispruchs in dieser Sache, der die Feststellungen des Gerichts juristisch unangreifbar macht, ist nicht nur der Mordvorwurf gegen den toten Wolfgang Grams festgeschrieben worden, sondern damit zugleich ein Tathergang, der die Selbstmordthese mit abzustützen helfen soll. Wäre Bigit Hogefeld in diesem Punkt mit Gründen, die eigentlich schon bei Einreichung der Anklageschrift zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes hätten führen müssen, nicht freigesprochen worden, so wäre nicht auszuschließen gewesen, daß in einem Revisionsverfahren auch der angebliche Selbstmord von Wolfgang Grams zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte werden können. Läßt sich, was im Hogefeld-Prozeß auf dem Spiel stand, nicht vielleicht doch genau an diesem Freispruch ermessen? – Und genau hier gehorcht die RAF dem Grundsatz aus der Feuerzangenbowle: „Da stelle mer uns janz dumm“, und riskiert, wie sie es im Falle Christoph Seidler, dem sie dann noch oberlehrerhafte Zensuren erteilt, offensichtlich sehenden Auges getan hat, daß Unbeteiligte jahrelang dem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind und vielleicht sogar – wie möglicherweise in einer Reihe von von RAF-Prozessen, vielleicht auch im Falle Birgit Hogefelds – wegen Taten, die sie nicht begangen haben, bis hin zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt werden.
Ist nicht dieses Wort von dem „Verrat der eigenen Geschichte“ zweideutig: logischer Angelpunkt einer Kollektivhaftung aller Mitglieder der RAF für alle Taten der RAF? Bezogen auf Birgit Hogefeld kann es RAF-intern bedeuten, daß ihr generell das Recht verweigert wird, sich von Taten der RAF zu distanzieren, während es in den Händen der Ermittlungs- und Strafverfolgungseinrichtungen der Unterstellung Nahrung liefert, daß die „eigene Geschichte“ auf die von Birgit Hogefeld sich bezieht, und z.B. als beweislogisch verwertbarer Hinweis auf ihre Beteiligung am Mord an Pimental verwandt werden kann, deretwegen sie dann auch verurteilt wurde.
Ist nicht die Larmoyanz des Anklägers (ein Reflex ihrer Rolle in der Justizmaschine), der zur Selbstentlastung auf seine Pflicht sich beruft, im wörtlichsten Sinne „unerhört“ (geblieben): auch vom Gericht unerhört, weil es sich selbst darin wiedererkannte? Aber gibt es diese Larmoyanz nicht auf beiden Seiten, und ist sie nicht der Grund, daß der Eindruck sich längst verfestigt hat, daß die RAF sich eigentlich nur noch um ihr eigenes Schicksal sorgt, zur Gegenwartsanalyse aber ernsthaft nichts mehr beizutragen vermag? Es ist das Selbstmitleid, das ihnen den Blick verstellt (die Empfindlichkeit, die sie unsensibel macht).
Natürlich hat der Name des Petrus etwas mit der Geschichte der Versteinerung der Kirche zu tun. In der Geschichte der Kirche selbst waren es das Bündnis mit der Macht, die Rezeption der Philosophie, des Hellenismus (des Weltbegriffs), der Ursprung und die Geschichte des Dogmas und der Orthodoxie und in deren Kern die Opfertheologie (die Instrumentalisierung des Kreuzestodes), über die die Versteinerungsgeschichte gelaufen ist. Der Anspruch Roms, in diesen Punkten federführend zu sein: als Bewahrerin der Orthodoxie, war danach durchaus konsequent.
Ist nicht das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie ein Drache, der falsche Prophet, das Symbol des Sündenbocks. Ist der Sündenbock (der Widder) nicht das männliche Pendant des weiblichen Lamms?
Ist das Tier aus dem Wasser die politische Ökonomie (das Wasser Symbol der Ware, und damit der Völkerwelt), und sind die Banken das Tier vom Lande (der falsche Prophet)? Ist das Ende der Nationalökonomie (und damit auch das Ende der bisherigen Gestalt der Kritik der politischen Ökonomie), die Rolle in der Theorie durch die BWL übernommen wurde, die die Rentabilität (anstelle des „Reichtums der Nationen“) ins Zentrum rückt, nicht eine Folge der Hypostasierung des Blicks der Banken, der die Welt versteinert? Und ist nicht dieser Blick das Modell der „subjektiven Formen der Anschauung“?
War nicht die Weltwirtschaftskrise (Dirk Baecker, S. 66ff) der Wendepunkt, und vor diesem Hintergrund der Faschismus in der Tat die Generalprobe?
Dirk Baecker weist darauf hin, daß die ersten „Bankgeschäfte“ in Babylon Kreditgeschäfte (Agrar-, Handels- und Konsumkredite) auf der Grundlage der in den Tempeln gehorteten Vorräte waren, während erst in Griechenland – auf der Grundlage des Geschäfts der Geldwechsler und der Münzprüfer (der Ablösung des „Bankgeschäfts“ von der Tempelwirtschaft) – die „erste berufsmäßig betriebene Depositenbank …, in der aus Einlagen Kredite vergeben wurden, … eingerichtet worden zu sein (scheint)“ (S. 67). – Ist das nicht der Hintergrund der mathematischen Entdeckungen der Griechen (der Entdeckung des Winkels und der logischen Entfaltung der Geomtrie) , und in Zusammenhang damit des Ursprungs der Philosophie (der „Erfindung“ des Begriffs)?
Grams
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5.12.1996
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12.11.1996
Ähnlich wie die Staatsschutzsenate die Grenzen des Rechtsstaats, testen die „Sparprogramme“ der Regierungen in der Europäischen Union unter dem Zwang des Maastricht-Vertrags die Schmerzgrenzen derer, die unten sind. Beide Grenzen, die der Gemeinheit wie auch die der Armut, sind dehnbar: die letzten dehnbaren Grenzen in der versteinerten Welt. Die versteinerte Welt ist die von den Gesetzen der Verwaltung beherrschten Welt.
Gemeinheit ist kein moralischer, sondern ein logischer Tatbestand. Ihre Grenzen sind die Grenzen der Beweisbarkeit, auf die es in der Verwaltung allein noch ankommt (Tatsachen werden erst durch ihre Beweisbarkeit zu Tatsachen; Akten sind potentielle Beweise: Tatsachen werden erst durch Akten zu Tatsachen. Der Augenschein macht Tatsachen gerichtskundig: zu Akten).
Eigentlich ist es ein archaisches Relikt, wenn in Staatsschutzprozessen überhaupt noch Zeugen benötigt werden. Verwertbare Zeugen sind insbesondere „Kronzeugen“, oder Zeugen, die entweder selber unter Anklagedruck stehen (erpreßte Zeugenaussagen) oder aus anderen Gründen eine Gewähr dafür bieten, daß ihre Aussagen dem Verurteilungswillen nicht im Wege stehen werden (z.B. Staatsbedienstete mit eingeschränkter Aussagegenehmigung). Der vollkommene Staatsschutzprozeß wäre einer, in dem die Beweiserhebung gleichsam nur behördenintern erfolgt (über Akten, eigene Ermittlungsergebnisse, behördeneigene Gutachten und „gerichtsbekannte Tatsachen“, die über Urteile aus früheren Prozesse ins Verfahren eingeführt werden; nicht im Sinne des Verurteilungswillens verwertbare Akten können durch verwaltungsmäßiges Anbringen von Geheimvermerken der prozessualen Beweiserhebung entzogen werden). M.a.W. der ideale Staatsschutzprozeß wäre ein reiner Verwaltungsakt, der von diesem nur durch das Öffentlichkeitsgebot, dessen Wirksamkeit auf anderem Wege neutralisiert werden muß, sich unterscheidet. Es ist dieser – objektiv bereits abgeschlossene – Verwaltungsakt der federführenden BAW, der im Prozeß unter der Moderation des Staatsschutzsenats der desinteressierten Öffentlichkeit vorgeführt wird und in der Regel dann auch mit dem in der Anklage bereits begründeten Urteil endet (bezeichnend ist selbst noch die Ausnahme von dieser Regel im Urteil im Hogefeld-Prozeß: der Freispruch im Falle Bad Kleinen ist nicht durch den Verhandlungsverlauf begründet; die Gründe dieses Freispruchs hätten schon zu Beginn des Prozesses zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes führen müssen, was nur deshalb nicht erfolgt ist, weil nur so ein revisionssicheres gerichtliches Urteil über den „Mord an dem GSG-9-Beamten Newrzella“ durch den toten Wolfgang Grams gefällt werden konnte; der Nebeneffekt, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck eines „objektiven Verfahrens“, in dem das Gericht vom Antrag der BAW abweichen konnte, entstanden ist, war sicher nicht unerwünscht; den Prozeßbesuchern ist das hierzu passende Grinsen aus dem Prozeß bekannt).
Der Feindbild-Clinch ist der Dynamo, der den in den Abgrund rasenden Zug beschleunigt.
Das Kapital beherrscht heute nicht mehr nur die Kapitalisten, sondern auch ihre Feinde: Während die einen Charaktermasken des Kapitals sind, sind die anderen seine Marionetten, die, ohne es zu wissen, an den Fäden seiner Logik hängen, die längst zur Logik der Welt geworden ist.
Links und Rechts unterscheiden: Der „Seitenblick“, in dem wir nicht nur die andern und die Welt, sondern auch uns selbst nur noch von außen sehen, ist die gemeinsame logische Basis sowohl des kopernikanischen Systems als auch der kapitalistischen Revolution in Europa. Im Hinblick auf diesen Blick allerdings gibt es kein Außen mehr, gibt es die „Seite“ nicht mehr, von der aus er selber „objektiv“ zu bestimmen wäre, sondern nur noch das Mittel der Reflexion, dessen Kraft am Andern, an der Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, allein sich entfaltet. In der Ausschaltung und Unterdrückung dieser Reflexion konstituiert sich DIE BANK, DIE IMMER GEWINNT.
Jürgen Ebach weist darauf hin, daß die „großen Meeresdrachen“ insofern „eine Sonderstellung unter den Lebewesen haben …, als von ihnen nicht eindeutig gesagt wird, sie seien ’nach ihren Arten‘ erschaffen, Auf diese Weise sind sie als ‚Un-Tiere‘ gekennzeichnet“ (Hiob II, S. 151). Vgl. hierzu die Bemerkung Hegels zur „Ohnmacht der Natur, die Strenge des Begriffs nicht festhalten und darstellen zu können und in diese blinde Mannigfaltigkeit sich zu verlaufen“. Diese „Ohnmacht der Natur“ begründet Hegel mit dem Hinweis, daß „in der Natur … in einer Gattung mehr als zwei Arten“ sich finden (Logik II, Felix Meiner Leipzig 1951 <Nachdruck der Ausgabe von 1934>, S. 247). Nach Hegel dürfte es nur zwei Arten in einer Gattung geben, die wie Allgemeines und Besonderes zueinander sich verhalten: Allgemeines und Besonderes ist für ihn nicht Ausdruck der (Subsumtions-)Beziehung, durch die Gattung und Art in der traditionellen Logik aufeinander sich beziehen, er begreift beide als getrennte, reversible, ineinander sich spiegelnde Reflexionsbestimmungen, zu denen sie jedoch erst durch die idealistische Prämisse werden (die unter dem logischen Zwang der subjektiven Formen der Anschauung die Umkehr säkularisiert, die Irreversibilität der Beziehung von Objekt und Begriff, damit aber am Ende die Idee der Barmherzigkeit leugnet). Zu fragen wäre überdies, ob nicht Allgemeines und Besonderes im Kontext des Gattungsbegriffs nichts weniger repräsentieren als die „Arten“, die in der Tat allein in theologischem Zusammenhang (als Werk der sie hervorbringenden „Erde“) sich begreifen lassen, ob sie nicht vielmehr die im Gattungsbegriff selber mit benannte Geschlechtertrennung bezeichnen, die erst unter idealistischem Vorzeichen am Ende zu getrennten Arten sich verselbständigen. Die „Ohnmacht des Begriffs“ ist ein offener Hinweis auf den „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“.
„Nach ihrer Art“ (Gen 1):
– Die Erde lasse sprossen … Die Erde ließ sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art,
– Es wimmle das Wasser … Gott schuf die großen Meerestiere und alles, was da lebt und webt, wovon das Wasser wimmelt, und alle geflügelten Tiere, ein jegliches nach seiner Art,
– die Erde bringe hervor … Gott machte alle die verschiedenen Arten des Wildes und des Viehs und alles dessen, was auf dem Erdboden kriecht. -
9.11.1996
1945: Der unreine Geist, nachdem er wasserlose Orte durchzogen und keine Ruhestätte gefunden hat, in sein Haus zurückkehrt, es leer, gereinigt und geschmückt vorfindet, geht hin und nimmt sieben andere Geister mit, die schlimmer sind als er, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es wird nachher mit jenem Menschen schlimmer als vorher. (Mt 1243ff, vgl. Lk 1124ff)
Ist nicht die rhetorische Frage in der Regel die Frage der Empörung, oder auch das in Frageform gekleidete kontrafaktische Urteil? Wie hängt die Massenbildung mit der Empörung zusammen?
Die rhetorische Frage, wie auch das kontrafaktische Urteil, ist ein Element der Klage; in ihr gründet das Problem der Theodizee. Ist nicht diese Klage das Element, aus dem Anklage erwächst, und dann das Schuldurteil?
Wenn eine Vorstellungswelt zerbricht, zerbricht nicht die Welt.
Die Sprengung der Herrschaftslogik schließt die Sprengung der Vorstellung des Zeitkontinuums mit ein, das aber heißt, sie schließt die Idee der Auferstehung der Toten mit ein.
Die heroische Attitüde Heideggers gibt es auch schon bei Hegel, dort wo er von der Kraft, der Negativität und dem Tod standzuhalten, ihnen ins (leere, nicht vorhandene) Angesicht zu sehen, spricht.
Der Satz „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ ist ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht mehr zu denken.
Kann es sein, das das „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ in dem Allereinfachsten besteht, daß dann jede Träne abgewischt wird: daß Herrschaft ihr Objekt, auf das sie sich stützt, verlieren und das nicht ertragen wird? Wäre das nicht der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht?
Hat nicht der 5. Strafsenat Birgit Hogefeld dafür mit dieser wütenden Verbissenheit zur Rechenschaft gezogen und verurteilt, weil sie ihn in eine Situation gebracht hat, der er nicht gewachsen war? Sie hat diesen Senat vor eine Entscheidung gestellt, die er nur hätte treffen können, wenn er den Mut und den Verstand gehabt hätte, die er nicht hatte.
Dieser Prozeß und dann dieses Urteil hat etwas verändert. Jetzt wird man reden müssen
– über den Geist und das Handeln der Strafschutzsenate und der Bundesanwaltschaft,
– aber auch über die RAF, die einerseits diesen Institutionen die Vorwände geliefert hat, so zu werden, wie sie heute sich darbieten, andererseits aber zugleich den Opfern dieser Institutionen die Solidarität verweigert,
– und nicht zuletzt über die Öffentlichkeit, die ihre Wahrnehmungsfähigkeit eingebüßt hat und wieder einmal das Wegsehen einübt, und an der es sich jetzt rächt, daß in diesem Lande die Aufarbeitung der Vergangenheit in folgenlose Bekenntnisse sich verflüchtigt hat, real aber nie gelungen ist.
Manchmal überkommt mich der böse Verdacht, ob die Frage des Richters Klein an die Angeklagte nicht eigentlich hätte lauten müssen: Hat es die RAF überhaupt noch gegeben? Und ist es wirklich ganz auszuschließen, daß der Anschlag auf Weiterstadt auf eine konspirative Provokation (BAW/VS/Steinmetz?) zurückzuführen ist, die dann ihren Zweck voll erfüllt hat, nämlich der Öffentlichkeit zu den nie aufgeklärten Taten der 80er Jahre nachträglich eine RAF zu liefern, die es eigentlich schon nicht mehr gab? Und bekennen sich die Hardliner der RAF vielleicht heute zu Handlungen, von denen sie selbst nicht wissen, wer sie begangen hat, an denen sie nur deshalb festhalten, weil ihre von der Realität abgespaltene Phantasie sie als Identitätsstütze braucht? Und das bis zu der bitteren Konsequenz, daß sie die eine, die den Sinn dieser Handlungen in Frage stellt, mit dem Bann belegen und aus ihrer wahnhaften Bekenntnisgemeinschaft zwangshaft ausschließen müssen? Zugleich muß der Staatsschutz sie mit der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft aus dem Verkehr ziehen, weil sie, ähnlich wie Irmgard Möller nach der Stammheim-Katastrophe, die einzige ist, die vielleicht auf die Spuren stoßen und sie öffentlich machen könnte, die den Alptraum, zu dem dieser Staat in gleichem Maße zu werden scheint, in dem keiner es mehr für möglich zu halten fähig ist, als Realität erweisen würden.
Die Nazis haben ihre Untaten durch ihre Dimensionen und ihr Ausmaß vor der Öffentlichkeit schützen können: Die Greuel waren leicht als Greuelmärchen zu dementieren, weil niemand (außer ihren Opfern, die sie real an sich selbst erfuhren) sie mehr für möglich halten konnte. Nur waren damals die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungsvermögen noch nicht so scharf definiert: Zur Stabilisierung des abgespaltenen Vorstellungsvermögens, als wirksame kollektive Verdrängungshilfe, brauchten die Nazis das Gerücht von der Realität, das Klima des Terrors als allgegenwärtige und für alle spürbare Gewalt, die die Menschen zum Wegsehen zwang. Dieses Konstrukt hat die Nazizeit überlebt in dem Wort „Nestbeschmutzer“. Diskriminiert wurden nach dem Krieg nicht die Täter, sondern die, die ihre Taten an die Öffentlichkeit brachten.
So gleicht sich die Realität immer mehr der Paranoia an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Oder anders: So wird die Paranoia zu einem Erklärungsmuster der Realität, mit der Folge, daß heute die Realität nicht mehr begreift, wer nicht bereit ist, auch das Undenkbare zu denken, ohne daraus ableiten zu können, es sei so. Die Logik der Paranoia ist eine Erkenntnishilfe, aber man darf ihr nicht verfallen.
Gegen diese Logik sind die Lyotardschen Reflexionen über das perfekte Verbrechen (die an die Erinnerung an Auschwitz anknüpfen) noch harmlos, weil sie zum Vebrechen verdinglichen, was in Wahrheit nur als kritische Reflexion eines logischen Sachverhalts sich begreifen läßt. An diesen logischen Sachverhalt, der an den Grund des Strafrechts selber rührt, reicht der strafrechtliche Begriff des Verbrechens nicht mehr heran.
Der Versuch, das Undenkbare zu denken, liefert den Schlüssel zu den finsteren Geheimnissen des Staates (oder auch der Bekenntnislogik und der Opfertheologie, die die Religion zur Staatsreligion gemacht haben), vielleicht hilft er, Licht in dieses Dunkel hineinzubringen.
Das Undenkbare denken: Dazu gehört auch, daß man einer Logik, die davon ausgeht, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, sich entzieht, daß es gelingt, die Kräfte, die es unterm Nationalsozialismus erlaubten, reale Greuel als „Greuelmärchen“ zu dementieren und so ihre Wahrnehmung zu verhindern, zu reflektieren und damit unwirksam zu machen. Ein Denken, das Herrschaftsinteressen, die heute mit dem Eigeninteresse derer, die an dem Privileg des Denkens noch teilhaben, konvergieren, sich unterordnet, mag sich als klug erweisen, es mag von einem hohen Grad der Intelligenz zeugen, es ist doch im Kern zugleich auch dumm, es verlernt, die Verblendung, deren Opfer es wird, zu durchschauen, es sieht insbesondere nicht mehr, was es anrichtet.
Was einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt wurde, ist eine in die Logik des Bewußtseins selber mit eingebaute Automatik; diese Automatik hat die kantische Philosophie, und zwar in der transzendentalen Ästhetik, erstmals rein herauspräpariert, sie ist damit bestimmbar und analysierbar geworden. Der erste, bis heute freilich nicht verstandene Beginn der Analyse dieser Automatik war Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung, ein im Kern logisch-philosophisches Werk, das nur aufgrund seiner Konsequenzen der speziellen Disziplin der Religionsphilosophie zugeordnet und so neutralisiert worden ist (der Gedanke, daß der Kern der Logik in der Theologie liegt, gehört zu dem Undenkbaren, auf das die Forderung, es endlich zu denken, sich bezieht). Der Stern der Erlösung gehört zu den epochalen Werken der Philosophie dieses Jahrhunderts, von gleichem Rang wie das Werk Walter Benajmins, Georg Lukacs‘ „Geschichte und Klassenbewußtsein“ oder die „Dialektik der Aufklärung“.
Der Begriff Greuelmärchen war ein prophylaktischer Teil des aus ihm entwickelten Mechanismus, der nach dem Krieg den kollektiven Verdrängungsprozeß mit getragen hat. Danach konnten alle (und das subjektiv ehrlich) sagen, sie hätten nichts gewußt.
„Satanisch, teuflisch, dämonisch“: An diesen Begriffen läßt die Magie des Urteils sich demonstrieren. Deren Bann wird erst gebrochen, wenn man, ohne Verharmlosung in der Sache, diese Begriffe reflexionsfähig macht, wenn man im Satanischen den Ankläger, im Teuflischen die feindbild-logische Instrumentalisierung der Sprache, ihre Subsumtion unter fremde Zwecke, im Dämonischen die Sprache der Rechtfertigung erkennt, in ihnen allen die Formen der Selbstzerstörung der erkennenden Kraft der Sprache; auch das ist ein Teil des Versuchs, das Undenkbare zu denken. Der Ansatz zur Lösung des Banns ist in dem Jesus-Wort vom Geist enthalten: „Wenn sie euch dann hinführen, um euch zu überliefern (Einheitsübersetzung: und <man> euch vor Gericht stellt), so sorget euch nicht im voraus darum, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben (E.: eingegeben) wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der heilige Geist.“ (Mk 1311) Der heilige Geist ist das Subjekt der erkennenden, aus dem Bann ihrer Instrumentalisierung befreiten Sprache. Der Kern dieses Banns ist die Logik der Welt: die Feindbildlogik, die dem Feind aus freien Stücken die Waffen liefert, mit denen er uns besiegt.
Das Undenkbare denken, auch im Anblick des Schreckens den klaren Verstand zu behalten: Das wäre der Schlüssel zu einer Theologie im Angesicht Gottes.
Zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit: Die stoische Ataraxia, die dann in den Begriff und in die Konstruktion der Öffentlichkeit mit eingegangen ist, ist kollektiv eingeübt worden in den römischen Arenen, in dem freiwilligen und zum Genuß (zur „Augenlust“) dargebotenen Anblick des Schreckens, der nur die Opfer, nicht die Zuschauer des Spektakels traf. Schon die aristotelischen Affekte Furcht und Mitleid, die die Tragödie im Zuschauer hervorruft, hatten Teil an dieser Ataraxia: Dem Mitleid war durch die ästhetische Grenze, durch die Abstraktion vom eingreifenden Handeln, die den Zuschauer vom tragischen „Geschehen“ trennt, die moralische Gemeinschaft mit dem ästhetischen Objekt aufhebt, der Weg zur Barmherzigkeit abgeschnitten: Im Mitleid genießt das Publikum (der Zuschauende) nur noch seinen eigenen Affekt, es erreicht sein Objekt nicht mehr. Die Arenen haben diese (die logische Konstruktion der Öffentlichkeit begründende) ästhetische Grenze zum Objekt vergesellschaftet. In diese Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit gehören die Scheiterhaufen, auf denen die Ketzer und Hexen verbrannt worden sind, die öffentlichen Hinrichtungen. Auch der Kreuzestod Jesu ist durch die christliche Opfertheologie zu einem öffentlichkeitskonstituierenden Akt geworden (der in den Christen das schlechte Gewissen installiert hat, das dann bekenntnislogisch abgearbeitet werden mußte). Die Theologie war seit den Kirchenvätern nur das Exil der Philosophie, diese war das Schiff, auf dem sie aus Furcht vor ihrem Auftrag, Ninive den Untergang anzusagen, nach Tarschisch zu fliehen versucht hat.
Aber war die Philosophie nicht auch der eine unreine Geist, der am Ende mit sieben anderen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehren wird; und die letzten Dinge werden dann ärger sein als die ersten?
Der Staat ist die Quelle und der Produzent des „Seitenblicks“, der in den Arenen (und in der nachfolgenden Geschichte der Kunst) zunächst eingeübt und dann auch reflektiert worden ist. Und das hegelsche Absolute ist der Gott, der in diesem Staat sich verkörpert (und durch ihn hindurch das Reich der Erscheinungen als seine Welt erschafft, die am Ende niemand von der wirklichen mehr unterscheiden kann).
Das kantische Religionsverständnis unterscheidet sich vom hegelschen dadurch, daß es das Moment der Hoffnung (auch für die Toten) noch in sich enthält, es weder verleugnet, noch verdrängt, noch unterdrückt hat, und in dieser Hoffnung die Kraft der Reflexion, die er in der Kritik der Urteilskraft zu entfalten versucht hat.
Das Undenkbare denken, oder die Bundeanwaltschaft als Verkörperungen der Staatsparanoia.
Der Konkretismus und die Personalisierung verstören die Sprache der Reflexion, versuchen ständig, sie eine Sprache des bestimmenden Urteils (der synthetischen Urteile apriori), des Indikativs, zu übersetzen.
Das Undenkbare denken (Gliederung):
– Indikativ und Imperativ (Levinas),
– Verstörung des reflektierenden Denkens durch die Mechanismen der Verdinglichung,
– die Auflösung des Problems der Verhärtung des Herzens (Pharao und hodie, si vocem eius audieritis),
– Theologie im Angesicht Gottes,
– die Sünde wider den heiligen Geist (die Sünde der Übersetzung des reflektierenden Urteils ins bestimmende Urteil, der Verdinglichung, der Feindbildlogik, die Sünde der Welt <im Kontext des Nachfolgegebots, nicht der Opfertheologie>).
Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine herzzerreißende Theologie: Sie zerreißt das steinerne Herz (das sentimentale Herz) und ersetzt es durch das fleischerne Herz (ein Herz, in dessen Verletzlichkeit seine erkennende Kraft gründet). – „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“
Auch der Satz, daß Gott am Ende das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen wird, steht im Imperativ, nicht im Indikativ.
Zu Kafkas Bau: Das Tier hat vierzig Jahre im Untergrund gewühlt, und jetzt steckt es die Nase heraus in der Hoffnung, daß da nicht ein Gärtner mit dem Spaten steht und es erschlägt.
Das Undenkbare denken: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns (Kafka). Auf diesen Satz antwortet eine Theologie, die die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele aufgibt, dafür aber an der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten festhält. Nicht für mich (und nicht für die, die unter Rechtfertigungszwängen auf einen gnädigen Gott hoffen), nur für die Andern gilt: Die Liebe deckt eine Menge Sünden zu. Das Jakobus-Wort, daß, wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums befreit, seine eigene Seele vor dem Tode rettet, schließt die Frage mit ein, wer ist dieser Sünder? Ist es nicht der gleiche, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über die 99 Gerechten?
(Adressaten: Christiane Dannemann, Michael Schwenn, auch Pfarrer Nieder, Antje Vollmer?)
Wenn ich die „objektive“ Analyse einer Sache durch die Erfahrung, die ich mit ihr gemacht haben, ersetze, so ist das der einzige Ausweg, über den ich die Sache selbst noch herauszubringen vermag.
Instrumentalisierung der Anklagepraxis durch die Bundesanwaltschaft (mit dem Ziel der Aussagenerpressung: Angebot der Kronzeugenregelung bei Birgit Hogefeld, Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz, Anklage mit Kronzeugenangebot bei Frau Andrawes), dazu paßt die fiktive Anklage im Hogefeld-Prozeß (eine Anklage, die aus den gleichen Gründen, die dann zum Freispruch führten, eigentlich schon bei Prozeßeröffnung hätte zurückgewiesen werden müssen, die aber nur so ihren Zweck erfüllen konnte: die zwar nicht nachgewiesene, aber wegen der Freispruchs der Angeklagten auch nicht mehr revisionsfähige gerichtliche Feststellung, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten Newrzella erschossen hat). Steht nicht die Anklagepraxis der BAW, die ein Teil ihres Politikverständnisses ist, in einem so exzessiven Maße unter dem Zwang der Feindbildlogik, daß sie deren Reflexion schon vom Grunde her auszuschließen gezwungen ist?Adorno, Andrawes, Aristoteles, Ästhetik, Auschwitz, Bekenntnislogik, Benjamin, Dannemann, Feindbildlogik, Grams, Hegel, Heidegger, Hogefeld, Horkheimer, Inquisition, Justiz, Kafka, Kant, Lukacs, Lyotard, Möller, Nieder, Paranoia, Philosophie, Rosenzweig, Schwenn, Sprache, Steinmetz, Theodizee, Theologie, Vollmer -
5.11.1996
Heute wurde das Urteil über Birgit Hogefeld gesprochen: Lebenslänglich (Pimental/US-Airbase, Tietmeyer, Weiterstadt <12 Jahre>), Freispruch für „Mord an Newrzella (Bad Kleinen). Im Fall Pimental/US-Airbase wurde eine „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt. Keine der Taten wurde wirklich nachgewiesen, es muß offen bleiben, ob sie es gewesen ist.
Der Freispruch zu Bad Kleinen weckt den Verdacht, ob nicht die Anklage ohnehin nur erfolgte, um den „Mord an Newrzella“ und mit ihm den toten Wolfgang Grams als „Mörder“ juristisch festzuschreiben, auf diesem Wege eine offizielle Geschichtsschreibung der Vorgänge in Bad Kleinen zu installieren. Das würde heißen, daß an eine Verurteilung von Birgit Hogefeld im Ernst nie gedacht worden ist. Damit war der zusätzliche Vorteil verbunden, das ganze Urteil nach außen als ein differenziertes Urteil zu verkaufen und das Gericht von dem Verdacht zu befreien, es handle nur als Erfüllungsgehilfe der BAW.
Es gibt außerdem hinreichend Anlaß für die Vermutung, daß Birgit Hogefeld möglicherweise an den eigentlich gravierenden Aktionen Pimental/US-Airbase und Tietmeyer nicht beteiligt war. Das würde zwei Rückschlüssse zwangsläufig nach sich ziehen, der eine in Richtung RAF, und der andere in Richtung BAW/Gericht:
– Wenn sie an diesen Aktionen, die ihr das Lebenslänglich eingebracht haben, nicht beteiligt war, dann muß es andere in der RAF geben, die das auch wissen. Kann es sein, daß ihre Verurteilung auch innerhalb der RAF aus Gründen der Zwangssolidarität in Kauf genommen wird, daß es einige Leute gibt, die die Tat begangen haben, jetzt aber (um der „höheren“ revolutionären Ziele willen) sich wegducken und Birgit Hogefeld im Knast „verbrennen“? Kann es sein, daß die Ausgrenzung von Birgit Hogefeld schon ein Indiz für dieses böses Spiel war, das anders (ohne präventive Diskriminierung auch innerhalb der RAF) nicht durchzuhalten wäre (wenn sie es schon nicht war, dann wäre schon ihr „Verrat“, den sie nicht begangen hat, Grund für ihre Strafe)? Hätte das nicht sogar Folgen auch für die, die nicht eingeweiht sind und es dann nur aus dem Grunde auch nicht wissen, weil sie es aus „Solidarität“ und wegen der „Ziele“ nicht in ihr Bewußtsein lassen dürfen?
– Vor dem Hintergrund der einzig möglichen Erklärung der Anklage und des anschließenden Freispruchs im Falle Bad Kleinen, das nach einem strategischen Konzept aussieht, sieht dann allerdings auch das Schuldurteil nicht so unschuldig aus, wie es nach außen gerne erscheinen möchte. Ist der Verdacht so abwegig, daß BAW und Gericht imgrunde genau wissen, daß dieses Urteil kein fundamentum in re hat, daß es ebenso wie der Freispruch zum „Mord an Newrzella“ das Ergebnis eines strategischen Kalküls ist, für das die Angeklagte nur instrumentalisiert worden ist? Wenn BAW und Gericht wissen sollten, daß Birgit Hogefeld in diesen Punkten unschuldig ist, wenn sie davon ausgehen, daß in der Öffentlichkeit schon das Stichwort RAF das genaue Hinsehen auf das Urteil und seine Begründung verhindern wird, ist der Verdacht dann nur abwegig, daß auch das Urteil instrumentalisiert, als Waffe gegen den Rest der RAF benutzt wird, sei es als Mittel der Demoralisierung der RAF, oder sei es, daß die Spekulation auf ein noch bestehendes moralisches Gefühl die Erwartung nährt, daß die wirklichen Täter das Opfer Birgit Hogefelds nicht ertragen und sich outen werden? Diese Instrumentalisierung wäre ebenso erfolgs- und machtorientiert wie zynisch. Aber läßt sie sich nach den Erfahrungen mit der BAW und dem 5. Senat des OLG Frankfurt in diesem Prozeß wirklich restlos ausschließen?
Urteilsmagie: Das Urteil beendet den Prozeß, es sistiert die Bewegung des Prozesses und stellt einen diese Bewegung abschließenden Zustand her; es löscht den Funken der Hoffnung in den Dingen, in dem es sie gegen die Sprache verschließt und durch die Gewalt der Objektivierung der Barmherzigkeit den Weg versperrt. Das Erstarren des Objekts wird erkauft durch eine Konstellation von Knotenpunkten der Feindbildlogik, die in den astrologischen Namen der Planeten erstmals benannt worden sind. Es gibt nicht nur eine transzendentale Logik, sondern ein System von transzendentalen Logiken.
Abstraktion: Jedes Urteil impliziert einen Akt der Verdrängung, dessen Stabilisator der Begriff ist.
Daß Jesus nicht gelacht, dafür aber die Dämonen ausgetrieben hat, hängt mit der Befreiung von der Urteilsmagie zusammen.
Auch das Feindbild ist ein Kuscheltier, dessen Verlust schmerzhaft ist.
Weltanschauungskriege sind Vernichtungskriege. Sind RAF-Prozesse Weltanschauungskriege?
Die Feindbildlogik ist die Sünde der Welt (Joh 129): der die Logik der Welt und ihre Herrschaft über die Dinge konstituierende Akt.
Die Geschichte des Zuschauers (des Publikums, der Öffentlichkeit) reicht von der Trägödie (und dem Ursprung der Philosophie) über die Circenses (die das Zuschauen unter den Bedingungen des Imperium Romanum eingeübt haben: die Neutralisierung des Schreckens durch ihre Vergesellschaftung), die Kirche (das „Meßopfer“ und die Predigt), sowie die öffentlichen Hinrichtungen bis hin zur Prozeßöffentlichkeit (und der Chance, in ihr das entfaltete Gesetz und die innere Logik der Öffentlichkeit selber zu erfahren). Welche Bedeutung und Funktion hat die Logik der Schrift (die Seele des Drachens) in dieser Geschichte der Öffentlichkeit?
Ließe nicht anhand der Geschichte des Zuschauers (des Publikums, der Öffentlichkeit) eine Geschichte des Sehens sich entwickeln (die mit dem Satz beginnt: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren), oder auch eine Geschichte der „Außenwelt“, ihrer Verhärtung, die auch die Herzen ergreift? -
26.10.1996
Eine Überschrift in der FR von heute: „Grams-Eltern wenden sich an EU-Kommission“. Erst im Text heißt es dann korrekt, daß die Eltern von Wolfgang Grams (die keine „Grams-Eltern“ sind) vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg (die keine „EU-Kommission“ ist) Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben haben. Inzwischen scheinen nicht mehr nur in der BILD-Zeitung Überschriften auch dem Zweck zu dienen, den Text der Meldung, auf den sie hinweisen, zugleich zu vernebeln. Läßt sich nicht am vorauseilenden Gehorsam solcher „Versprecher“ der Zustand der Öffentlichkeit und die Existenz eines durch die Naturkräfte der Bewußtseinindustrie erzeugten und gesteuerten öffentlichen Unbewußten erkennen? Die Nazis hatten den Spruch: „Keiner soll hungern und frieren“, den der Volksmund dann so ergänzte: „Wer’s doch tut, kommt ins KZ“. Ist nicht mit der Verdrängung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auch die Wahrnehmungsfähigkeit verdrängt worden, die in dieser aufhellenden Ergänzung sich ausdrückte? Das Feindbild ist ein Naturheilmittel, weil es eine Naturkraft ist; es gehört zu den Konstituentien des Naturbegriffs selber, zu dessen sprachlichen Korrelaten der Name der Barbaren und das Neutrum gehören, und deren Logik in der Geschichte des Objektbegriffs und in der Konstituierung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung sich vollendet. Zielte nicht hierauf Adornos programmatisches Wort vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Als das Christentum den Namen des Logos mit dessen griechischer Tradition in eins setzte, hat es sich in seinem Verhältnis zum Kreuzestod auf die Seite der Täter gestellt. Das war der Beginn der zweiten Kreuzigung, der Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opferthologie. Läßt das Christentum insgesamt als ein Akt des Tikkun sich begreifen, der Rettung durch Identifizierung mit dem Feind, einer Rettung, die durch den Verrat, den Abfall, hindurchmuß? War nicht die Bubersche „Begegnung“ eine Ersatzhandlung für das, was den Christen eigentlich notgetan hätte: die Reflexion der Naturkräfte, von denen das Christentum sich bis heute nicht hat befreien können? Das Dogma ist die Wahrheit, aber im Stande einer durch die Dogmatisierung (die Bekenntnislogik) verdrängten und ausgegrenzten Reflexion. Durch die Vorstellung einer „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“, die die Theologie insgesamt verhext, ist der imperative Gehalt der Theologie, der allein eine Theologie im Angesicht Gottes zu begründen vermöchte, ästhetisiert und neutralisiert worden. So wurde aus der Nachfolge die imitatio, aus der Übernahme der Sünde der Welt deren Hinwegnahme, aus der Gottesfurcht die erbaulichen Formen der Frömmigkeit. Diese Vorstellung hat die theologischen Erkenntniskräfte wie die Spinne die in ihren Netzen gefangene Beute gelähmt. Metz‘ Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist, wie mir scheint, nur durch Reflexion der Verwurzelung der Theologie in der Philosophie, nicht durch Abstraktion von dieser Beziehung, einzulösen. Die Reflexionen Rosenzweigs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Stern der Erlösung, sind hier hilfreich. Das göttliche Attribut der Barmherzigkeit, das im Imperativ, nicht im Indikativ steht, rührt an das sprachlogische Problem des grammatischen Geschlechts. Die Erinnerung daran ist im hebräischen Namen der Barmherzigkeit, der der Name der Gebärmutter ist, aufbewahrt. Das erinnert zugleich an den sprachlogischen Zusammenhang der Beziehung von Indikativ und Imperativ mit dem des grammatischen Geschlechts: an den genetischen Zusammenhang des Indikativs mit dem Ursprung des Neutrum. Es ist das gleiche Sprachproblem, das auch der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes zugrundeliegt, an die Forderung, die dem Begriff der Lehre innewohnt: den imperativen Gehalt der göttlichen Attribute in den Indikativ zu übersetzen (und nicht, wie es das Dogma tut, durch den Indikativ zu neutralisieren, oder ins Ästhetische zu übersetzen). Allein die Schuldreflexion vermag den Bann zu brechen unter dem die Theologie seit der Rezeption der philosophischen Idee der Unsterblichkeit der Seele steht. Verweist nicht die Geschichte vom Sündenfall, wenn man in ihr die Schlange als Symbol des Neutrum, und ihre Geschichte mit Adam und Eva als ein Bild der Neubestimmung des grammatischen Geschlechts, des Männlichen und des Weiblichen, durch das Neutrum, begreift, auf das Problem des grammatischen Geschlechts? Läßt sich dieses Problem des grammatischen Geschlechts nicht an der Sprache Kants demonstrieren, wenn er den Erkenntnisbegriff sowohl in femininer als auch in neutrischer Bedeutung verwendet (die Erkenntnis, das Erkenntnis)? Das, so scheint mir, rührt an eines der tiefsten Probleme der kantischen Philosophie; die Sprachlogik, die darin sich ausdrückt, scheint aus logischen Struktur der Probleme sich herleiten zu lassen, die den Zwang der philosophischen Revolution, deren Ausdruck Kants Werk ist, begründen. Es rührt an eine Schicht in der kantischen Philosophie, die von seinen Nachfolgern dann konsequent verdrängt worden ist: an den Ursprung der drei Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt; zu Natur und Welt vgl. den großartigen Definitionsversuch Kants in der Kritik der reinen Vernunft, im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Venunft). Nicht zufällig standen Fichte, Schelling und Hegel unter dem Systemzwang, diese Begriffe – nach Verdrängung der Reflexion ihres logischen Ursprungs – nacheinander abzuarbeiten.
Wie wäre die Frage, welcher Teil eines Menschen zum Regieren der wichtigste ist, eigentlich zu beantworten angesichts einer Regierung, die Entscheidungen, die allein von den Interessen ihrer Klientel bestimmt sind, während die Argumente, die sie öffentlich begründen sollen, schmückende Rhetorik und von Waschmittel-Reklame nicht mehr zu unterscheiden sind, nur noch „durchsetzt“ und Probleme, die dieses Verfahren zwangsläufig produziert, nur noch „aussitzt“? Ist nicht die Folge ein Begriff von Öffentlichkeit, der Erfahrungen, Kritik und Reflexionsfähigkeit, das eigentliche Element demokratisch-bürgerlicher Beteiligung, auf ähnliche Weise ausschließt wie RAF-Prozesse, die u.a. die Aufgabe zu haben scheinen, dieser Logik den Charakter einer rechtlichen Norm zu verleihen, das Selbstverständnis der Angeklagten?
Adorno hat einmal die Situation eines Gesprächs in einem Eisenbahnabteil beschrieben, in der man, um einen Streit zu vermeiden, sich gezwungen sieht, den Anschauungen eines Mitreisenden nicht zu widersprechen, die imgrunde auf einen Mord hinauslaufen. Gehört diese Situation nicht zum Bild des Zuges, der in den Abgrund rast? Und beschreibt sie inzwischen nicht etwas vom Zustand der Öffentlichkeit insgesamt? Die Bundesanwaltschaft als Verkörperung des Inertialsystems (als eines Konstrukts aus Verachtung, Hohn und Zynismus), und das von ihr verkörperte Anklage- und Beweisverfahren als Verfahren der reinen Objektkonstruktion (mit der Idee des Objekts als eines Konstrukts, zu dem es keine kommunikative Beziehung mehr gibt, das nur noch Objekt eines apriorischen Urteils ist: sind nicht die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen der Versuch, dieser Konstruktion die Gewalt einer objektiven, sinnlich erfahrbaren Realität zu verleihen)? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos beschreibt einen objektiven, nicht nur einen moralischen Sachverhalt. Aber gilt das nicht für die Prophetie insgesamt? Ägyptische Finsternis (ist „Finsternis Mizrajims“ nicht deutlicher?): die Entfaltung des blinden Flecks der Logik zur Totalität. -
2.7.96
„Selbstverständlich jedoch ist die historische Entstehung des Eigentums für seine wirtschaftstheoretische Auslotung vollkomen bedeutungslos“ (Heinsohn/Steiger, S. 129). Damit blockieren die Autoren die Reflexion der Eigentumsgesellschaft ab, die in der Tat auf eine gesellschaftliche Naturkatastrophe (die Heinsohn in seinem früheren Buch benennt: die Schuldknechtschaft, die vor dem Ursprung der „Eigentumsgesellschaft“ liegt, nicht danach) zurückweist, nicht auf eine kosmische Katatrophe. War nicht die altorientalische Religion, der Tempelkult, das Opferwesen, die Astrologie (Ischtar/Astarte-Kult) der verzweifelte Ausdruck dieser (gesellschaftlichen) Naturkatastrophe, nicht die fundamentalistisch verstandene „Venus-Katastrophe“?
Die Frage des Richters Klein an Birgit Hogefeld, ob sie nicht eine Erklärung abgeben wolle, daß es die raf nicht mehr gibt, verdiente eine präzise Antwort:
– Herr Klein muß wissen, daß Birgit Hogefeld keine verbindliche Erklärung für die „raf“ abgeben kann (ebenso wie er wissen mußte, daß Hubertus Janssen Pfarrer ist und nicht nur sich selbst so bezeichnet);
– in der Sache liegt die Erklärung der raf (vom April 92) vor, in der sie öffentlich ihren Verzicht auf terroristische Aktionen kundtut; und schließlich:
– nicht zuletzt die Vorgehensweise des Gerichts begründet die Vermutung: Bad Kleinen war keine Sache der raf, sondern eine der BAW, des BKA und der GSG 9; bei vernünftiger, von rationalen Motiven geleiteten Planung hätte es zu der Katastrophe nicht zu kommen brauchen, deren Aufklärung der Senat durch seine Ablehnung der entsprechenden Anträge der Verteidigung blockiert; der Verdacht liegt auf der Hand, und er wird durch die Umstände, durch die Art des Vorgehens und die Wahl des Orts der Festnahme erhärtet, daß – aus welchen Gründen auch immer – Tote wenn nicht geplant, so doch billigend in Kauf genommen worden sind. Es ist absolut unverständlich, wie dieses Gericht den angeblichen Mord des GSG 9-Beamten Newrzella durch Wolfgang Grams aus der Beweiserhebung konsequent ausschließt, den gleichen (gerichtlich somit nicht erwiesenen) „Mord“ unter Hinzuziehung fadenscheiniger Konstruktionen dann aber der Angeklagten anlasten will. -
15.12.95
Der Definitionsmacht des Staates, die eine männliche Logik ist, sich entziehen, das heißt vor allem: die Logik dieser Definitionsmacht, die Logik des Herrendenkens, reflektieren, um ihr nicht selber zu verfallen. Nicht trotzig das Urteil der Bundesanwaltschaft sich zu eigen machen und nur das Vorzeichen umkehren (und das Unmögliche zu versuchen: den Mord, der nicht zu rechtfertigen ist, zu rechtfertigen): So betreibt man gleichsam präventiv und zugleich in vorauseilendem Gehorsam das Geschäft des Feindes. So macht man die Kronzeugen überflüssig, wird man zum Kronzeugen gegen die eigenen Genossen, fügt sich dem synthetischen Urteil apriori, dessen williges Opfer man so wird. In einem der ersten Versuche über die Folgen der KZ-Haft ist der Freudsche Begriff der „Identifikation mit dem Aggressor“ verwendet worden. Er bezeichnete das merkwürdige Phänomen, daß Häftlinge der Verführung, die Logik und die Urteile ihrer Peiniger sich zu eigen zu machen, nur schwer sich entziehen konnten; diese „Identifikation“ war ein Teil ihrer Überlebensstrategie (sind nicht die Rituale der Staatsschutzprozesse, und sind nicht insbesondere die Haftbedingungen nur als Teil des Versuchs, diesen Mechanismus zu instrumentalisieren, zu verstehen?).
Die wechselseitige Durchdringung von Justiz und Verwaltung, die der Exkulpationslogik (der Ersetzung der gerechten durch die rechtfertigende Verantwortung) manifestiert sich insbesondere in den Staatsschutzverfahren, in denen es um die Rechtfertigung der rechtfertigenden Instanz (des Staates) geht, an der Beziehung der Fertigung synthetischer Urteile apriori (Überleitung der Rechtsprechung in ein Subsumtionsverfahren) zur Vorherrschaft des Feinddenkens (der Feind ist das gesellschaftliche Äquivalent des Objekts, des Gegenstands der Subsumtion).
In den Texten der InfoAG gibt es Argumente, die den Eindruck erwecken, daß sie der Logik der Bundesanwaltschaft – nur gleichsam seitenverkehrt – aufs genaueste entsprechen. Für einen Augenblick erweckten sie den Verdacht, daß sie von einem Provokateur stammen könnten. Gehört nicht diese Argumentation zum Objektbild der Bundesanwaltschaft, das sie braucht, um die Verfahren in dieser Form durchzuziehen?
Anstatt in offene Fallen hineinzurennen, wäre es sicher wichtiger, die Konstruktion dieser Fallen zu studieren. Nur so ließe sich ihre Wirksamkeit dekonstruieren.
Wenn Anklagevertreter und Gericht die Angeklagte und ihre Verteidiger als Feinde und die Prozeßbesucher als Sympathisanten ansieht, so ist das deren Problem, nicht unser Problem. Es ist nur ein Hinweis auf mangelnde Differenzierungsfähigkeit. Wer sich davon nicht düpieren läßt, wird in der Lage sein zu bemerken, in welche Fallen sie hineinrennen.
Sind die merkwürdigen Reaktionen auf die „Kirchenleute“ eigentlich so weit entfernt von der Logik des Senatsbeschlusses, mit dem er das beantragte seelsorgliche Gespräch ablehnte?
Daß man Dinge verstehen kann, ohne sie gutzuheißen (und daß „alles verstehen“ nicht „alles verzeihen“ heißt), ist der wichtigste Grundsatz jeder Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber haben die 68er nicht genau diesen Grundsatz verworfen? Es war einfacher, alles zu verurteilen, und in diese Verurteilung die ganze Generation derer, die den Faschismus miterlebt hatten, mit einzubeziehen. Daß der Faschismus vergangen war, daß er für die nachgeborene Generation nur noch gegenständlich war, hat ihr Urteil so gnadenlos gemacht. Es war so einfach: Über Schuld oder Unschuld entschied allein das Datum der Geburt, und dieser Generation kam es weniger darauf an, daß das nicht wieder passierte, als vielmehr darauf, daß, wenn es wieder passierte, sie jedenfalls zu denen gehörte, die daran nicht schuld waren. Nicht um Gerechtigkeit, sondern um Unschuld war es zu tun: Das aber führte mitten in die Logik der Rechtfertigungszwänge hinein, die die feindlichen Parteien seitdem gemeinsam hatten. Heute wird der Kampf gegen den Rassismus fast allein unter den Bedingungen einer Logik geführt, die zu den Wurzeln des Rassismus gehört: unter den Bedingungen der Bekenntnislogik, die den Rassismus zu einer Gesinnung, einer Weltanschauung macht, aber seine Funktion im Vernunfthaushalt, nämlich die Entlastung vom Anspruch und von der Last der Mündigkeit, den Zusammenhang der Exkulpationsstrategien, in denen er sich konstituiert, nicht begreift. Zu den Grundmotiven der inneren Begründung des Rassismus gehört insbesondere die Entlastung vom Tötungsverbot (die zugleich seine Nähe zum Sexismus begründet). Der Rassismus ist ein logischer Teil der Staatsmetaphysik, in der er in einer bestimmten Phase der Herrschaftsgeschichte sich konstituiert; er entspringt in der gemeinsamen Geschichte mit dem Ursprung des Gewaltmonopols des Staates und zusammen mit der Unfähigkeit zur Reflexion dieser Ursprungsgeschichte. Das rassistische Syndrom ist im Ernst nur aufzulösen im Kontext der Fähigkeit zur herrschaftskritischen Reflexion.
Hängt nicht die Abschaffung der Todesstrafe nach dem Krieg, die eine unmittelbare Reaktion auf den exzessiven Gebrauch, den die Nazis davon gemacht hatten, war, auf eine höchst vertrackte Weise auch damit zusammen, daß nach dem Krieg die Neubegründung des Staates nicht gelungen ist (und nicht gelingen konnte). Der Staat gründet in der Todesdrohung (in dem „Recht“ zu töten), und wenn der Mord im Strafrecht das einzige Täterdelikt ist (alle anderen Straftatbestände sind Tatdelikte), so verweist das darauf, daß der Staat im Mörder einen erkennt, der ihm das Recht zu töten durch die Tat streitig macht: Der Mord ist ein Angriff auf die Souveränität des Staates. Umgekehrt aber, wenn der Staat sich selbst des Rechts zu töten begibt (indem er die Todesstrafe abschafft), kann er dies nur unter zwei einander ausschließenden Bedingungen: entweder er schafft – mit der Begründung einer befreiten Gesellschaft – sich selbst ab (so mag Marx sich das Absterben des Staates vorgestellt haben), oder aber er verzichtet auf die Ausübung dieses Rechts (und damit auf eine der Rechtsquellen seiner Macht), weil es von den Gewalten usurpiert wurde, aus denen es einmal hervorgegangen ist und auf die damit auch die Macht wieder übergegangen ist: Ökonomie und Militär. Heute gibt es andere Formen der Todesdrohung, und diese stehen aller Welt vor Augen: in den Elendsgebieten, in den Auswirkungen der Schuldenkrisen, in der Bedrohung durch eine Armut, zu der es weithin keine Alternativen, und aus der es – nachdem die Marktgesetze universal geworden sind – keine Auswege mehr gibt, und die nur mit direkter Gewalt unter Kontrolle zu halten ist: durch Militärdiktaturen, Folterregime vor Ort und durch ein militärisches Vernichtungspotential, mit dem der Reichtum der Industrienationen gegen die Armut, die er produziert, sich abzuschirmen versucht.
Jede Verurteilung zieht den Urteilenden in den Bann der Logik der Taten hinein, auf die das Urteil sich bezieht. Hilflos, und in der letzten Konsequenz selbstmörderisch, ist jeder Antifaschismus, der den Schrecken nur durch Verurteilung zu bannen versucht, anstatt ihn zu reflektieren. Nicht daß der Staat „sein wahres Gesicht zeigt“, hilft aus der Gefahr, sondern nur eine Erkenntnis, die ihm den Spiegel der Erinnerung vorhält, in dem er sich selbst erkennt. Im Faschismus hat der Staat sein wahres Gesicht gezeigt, und wer die Wiederholung heraufbeschwören möchte, weiß nicht wovon er redet.
Scheitert nicht die Kritik Carl Schmitts bis heute daran, daß sie ein logisches Problem mit einem ideologischen verwechselt, daß sie eine verzweifelte Einsicht in die Fundamente des Staates, der Welt und der Zivilisation zu einer bloßen Gesinnung verharmlost und neutralisiert.
Die Notstandsgesetzgebung hat versucht, den Schmittschen „Ausnahmezustand“ beherrschbar zu machen; sie hat damit an eine Tradition angeknüpft, die einmal Hitler den Weg frei gemacht hat.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tötung des GSG-9-Beamten in Bad Kleinen nicht durch Wolfgang Grams erfolgte, daß die Schüsse von Wolfgang Grams, die möglicherweise niemanden getroffen haben, in Notwehr erfolgten, und daß umgekehrt Wolfgang Grams selber von durchgedrehten Beamten, die damit den einzigen Zeugen beseitigen wollten, hingerichtet worden ist. Kann es sein, daß dagegen ein „rechtskräftiges“ (damit aber nicht notwendig wahres) Urteil gesetzt werden soll, das der Erforschung der Wahrheit eine juristische Hürde in den Weg stellen soll, auch um den Preis, daß eine nachweislich Unschuldige stellvertretend verurteilt und bestraft werden soll. Kann die Bundesrepublik vor diesem Hintergrund sich einen Prozeß wie den gegen Birgit Hogefeld überhaupt leisten? -
13.12.95
Heute zerstört das Hegelsche Weltgericht die moralischen und natürlichen Grundlagen des Lebens.
Propheten: Nicht die Väter und nicht die Herren, sondern die Söhne und Töchter werden weissagen, die Greise werden Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen, über die Knechte und Mägde wird Gott seinen Geist ausgießen.
Zu Birgit Hogefeld vgl. Christina von Brauns Bemerkungen über die Ursprung und Geschichte der Hysterie (ein Produkt männlicher, sexistischer Definitionsmacht), die Beziehung von Hysterie und Barmherzigkeit (deren hebräischer Name aus dem der Gebärmutter sich herleitet).
Der Prozeß gegen Birgit Hogefeld ist ein Prozeß, der auch gegen die Öffentlichkeit geführt wird: Die Diskriminierung der Linken unterwirft die Öffentlichkeit Rechtfertigungszwängen und desensibilisiert sie zugleich. Nur in diesem Kontext wird der Angeklagte zum Feind, werden Verteidiger und Prozeßbesucher zu Sympathisanten. Restituierung des mittelalterlichen Rechtsprinzips „Mitgefangen, mitgehangen“. Das Perverse ist, daß Birgit Hogefeld, deren Erklärungen durch ein hohes Maß an Reflexion sich auszeichnen, weder durch ihr Verhalten noch durch den bisherigen Prozeßverlauf das Bild bestätigt, in das die Anklage und offensichtlich auch das Gericht sie hineinzwingen wollen (gespenstisches Gefühl, der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori beizuwohnen). Stigmatisiert wird die Angeklagte nur durch die Rahmenbedingungen des Prozesses, der als „raf-Prozeß“ mit dem eingespielten Ritual (martialisches Polizeiaufgebot, teilweise mit Maschinenpistolen, Polizeihunden; entwürdigende, die Besucher diskriminierende und die Öffentlichkeit abschreckende Eingangskontrollen) geführt wird. Offene Angriffe gegen Prozeßbesucher (auch gegen die Mutter der Angeklagten), nicht nur von Polizeibeamten, sondern auch von Bundesanwaltschaft und Nebenkläger, ohne daß der Senat sich veranläßt sähe, einzugreifen, während die Angeklagte und ihre Verteidigung Einschränkungen unterworfen werden, die teilweise den Eindruck erwecken, daß sie der strategischen Absicherung der „Beweisführung“ dienen.
Wie hängt die Feindbildlogik, die das Verfahren zu beherrschen scheint, mit dem theologischen Erbe des „stellvertretenden Opfers“ zusammen? Nach staatlicher Rechtslogik bedarf der „Mord“ an dem GSG-9-Beamten der „Sühne“. Die ist aber am toten Wolfgang Grams juristisch nicht mehr möglich (man kann keinen Prozeß gegen einen Toten führen). Diese „Sühne“ ist an ihm möglicherweise schon vollstreckt worden, was jedoch aufgrund eines Senatsbeschlusses nicht in die Beweisführung mit eingebracht werden darf. Die Unschuld des Staates, die dann auch die, die ihn vertreten, freispricht, ist erst gewährleistet, wenn die Tat, die nicht aufgeklärt werden darf, stellvertretend an einer Person gesühnt wird, auch wenn mit Sicherheit feststeht, daß sie sie nicht begangen hat.
Ein ganzes System von Schuldverschiebungen ist erforderlich, um hier zu einem Urteil zu kommen, das das leistet, was es leisten soll: den Staat freisprechen, und mit ihm die Bundesanwaltschaft und das Gericht, die ohnehin den Eindruck erwecken, daß sie den Grundsatz „In dubio pro reo“ für die Angeklagte nicht mehr verfügbar haben, da sie ihn schon für sich verbraucht haben.
Ist nicht der Titel Staatsanwalt Teil einer Rechtslogik, deren erster Zweck nicht die Begründung und Förderung von Gerechtigkeit, sondern die Freisprechung des Staates ist? Nur dieser Staat braucht – wie sonst nur ein Beschuldigter – einen Anwalt. In zivilisierteren Ländern gibt es den öffentlicher Ankläger, der schon sprachlich, durch seine Berufsbezeichnung, der Komplizenschaft mit dem Staat enthoben ist. Beim Staatsanwalt, der nicht in eigener Verantwortung die Anklage vertritt, besteht ein gleichsam existentielles Interesse am rechtsförmlichen Nachweis der Unschuld des Staates. Nur so kann der Staat das leisten, was der Staatsanwalt von ihm als Gegenleistung für seinen Dienst erwartet: Ihn von der Verantwortung für die belastende Tätigkeit des Anklägers befreien (er tut nur seine Pflicht).
Die Verdrängung der Sensibilität, die bewußtlose Form der Gemeinheit, die Gemeinheit mit gutem Gewissen, produziert den empfindlichen Staat, einen Staat, den man nicht ungestraft verunglimpfen darf. Die Empfindlichkeit des Staates ist ein Gradmesser seiner Schuldverstrickung und seiner Verdrängungsleistung (gründet nicht jeder Fundamentalismus in einer solchen Empfindlichkeit, und ist deren subjektive Wurzel nicht die Empörung?). -
8.12.95
Gibt es ein kosmologisches Äquivalent der Logik der Schrift? Ist nicht die Kosmologie (und der Ursprung des Weltbegriffs) insgesamt ein Produkt der Logik der Schrift? Wäre vor diesem Hintergrund nicht die biblische Wendung „Erfüllung der Schrift“ (und ihre Beziehung zur Katastrophe, zuletzt zum Kreuzestod Jesu) genauer zu bestimmen?
In welcher Beziehung steht die Logik der Schrift zum Buch des Lebens?
Die Bekenntnislogik, das sind die Dornen und Disteln; sie definiert das Gesetz der Profangeschichte.
Die Bekehrung ist die instrumentalisierte Umkehr; die Bekenntnislogik beschreibt das Gesetz dieser Instrumentalisierung.
Nicht auf die Hypostasierung der Ursprünge: auf die Reflexion der Ursprungsgeschichte kommt es an.
Die Kriminalpolizei rät: Schüren die Ratschläge der Kriminalpolizei nicht genau die Ängste, denen sie dann abhelfen sollen? Diese Ängste sind nicht von vornherein irrational, sie werden es durch Einbeziehung in ein Kriminalisierungskonzept, indem sie das Machtdenken befördern (law and order).
Reflektiert sich darin nicht ein Stück Logik-Geschichte (und ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte): Die Kriminalisierung ist in der Sphäre zwischen Begriff und Objekt angesiedelt, sie ist ein Instrument zur Stabilisierung des Begriffs, was nur zu Lasten des Objekts (im Kontext seiner Kriminalisierung) möglich ist. Kein Urteil (kein Begriff und kein Objekt) ohne Verdrängung. Auch das Strafrecht, die Justiz und die Knäste (mit denen der Staat dem Volk einen Teil seiner Verdrängungsleistung abnimmt) haben eine bewußtseinsstabilierende Funktion.
Liegt nicht der Beschluß des 5. Senats des OLG Frankfurt im Hogefeld-Prozeß, der jede Rückfrage zum Tod von Wolfgang Grams unterbindet, auf der gleichen Ebene wie der Beschluß, in dem es zu Hubertus Janssen heißt: „der sich als Pfarrer bezeichnet“? Beides gehört zum Komplex der Beziehung von Gemeinheit und Beweislogik.
Die Ausblendung der Umstände des Todes von Wolfgang Grams hat natürlich auch die Funktion, alles auszublenden, was der Mordthese, in die dann Birgit Hogefeld mit einbezogen werden kann, im Wege stehen könnte. Der Beschluß des Senats ist ein Baustein in der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori (Indiz eines Versuchs der Rechtsbeugung?).
Das Verhalten des Senats erweckt den Verdacht, daß seine Beschlüsse strategische Beschlüsse sind, deren vorrangiger Zweck es ist, die Verfertigung eines synthetischen Urteils apriori sicherzustellen.
Ob der, dem man nichts nachweisen kann, auch vor sich selber unschuldig ist, ist eine andere Frage. Ist es nicht in der Tat wichtiger, mit sich selbst ins Reine zu kommen, als unter dem Zwang des guten Rufs den Rechtfertigungszwängen zu verfallen?
Wie hängt der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ mit dem Eindruck zusammen, daß im Hogefeld-Prozeß, wie in den raf-Prozessen überhaupt, der Angeklagte nicht mehr Angeklagter, sondern Feind ist? Wie hängt das Feinddenken mit der Gemeinheitslogik zusammen?
Die Sozialdemokratische Partei scheint nicht zu begreifen, was z.Z. in Frankreich sich tut: Verweisen nicht die Streiks in Frankreich aufs deutlichste auf den Zusammenhang der Bedingung der Geldwert-Stabilität, an die die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung gebunden ist, mit dem Zwang zum Abbau der Sozialleistungen? Ist nicht schon dieses Nicht-Begreifen der Beitrag der SPD zum Sozialabbau in Deutschland? Aber hat das Bedürfnis der Sozialdemokraten in Deutschland, von den Herrschenden anerkannt zu werden, nicht schon seit je ihre Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit aufs empfindlichste und aufs folgenreichste behindert?
Die subjektiven Formen der Anschauung rücken die Welt ins Licht des Prinzips der Selbsterhaltung, in dem sie zur Welt erst wird.
Das indogermanische Präsens gehört zu einer Welt, die ihr perfectum nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit hat; einer Welt, die sich nicht ändern läßt. Diese Welt konstituiert sich im Kontext der Anschauung, als deren Korrelat. -
25.6.1995
Anschauungen sind die Anschauungen anderer, die ich mir durchs Bekenntnis zueigen machen kann.
Beruht die Schwierigkeit der Texte Adornos nicht darin, daß sie nicht in die Flaschen der Anschauung sich abfüllen lassen? Ihr Begreifen hängt davon ab, ob der Funke überspringt oder nicht.
Anschauungen und Bekenntnisse sind Transformatoren, die das Feuer des Zorns in sein Anderssein: in Wut umwandeln. Die subjektiven Formen der Anschauung haben die Geschichte der Scheiterhaufen, die ein Teil der Bekenntnisgeschichte war, durch Verinnerlichung beendet.
Alle Anschauungen haben die subjektiven Formen der Anschauung zur Voraussetzung, sie gründen in der Unfähigkeit, sie zu reflektieren. Wenn die subjektiven Formen der Anschauung mit dem biblischen Symbol des Kelchs zusammenhängen, dann verweist der Begriff der Weltanschauung auf den Unzuchtsbecher.
Die spezielle Realitivitätstheorie rührt an die erkenntniskritische Seite der Naturwissenschaft, die allgemeine Relativitätstheorie rührt an den Grund ihrer Objektivität: an ihre theologische Seite.
Nur der Geist hat die Kraft, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und, wenn er alle ergreift, den Sumpf trockenzulegen.
Die Geschichte des Dogmas und ihr Produkt, der katholische Mythos, ist die Geschichte der Umformung des Glaubens in die Form des Wissens; die Beziehung zur Zukunft wird gelöscht, der Glaube unter die Vergangenheitsform subsumiert, sein Inhalt als Himmel, Hölle und Fegfeuer in den Raum projiziert. Diese Geschichte ist die der drei Leugnungen.
Wie hängt die Angewohnheit Kohls, in angespannten Situationen die Zunge zwischen die Lippen zu klemmen, mit den zusammengepreßten Lippen bei Politikern sonst zusammen? Die Geste erinnert die von Kindern, wenn sie zu Beginn ihr Schullaufbahn das Schreiben üben.
In einem Brief an seine Frau (Wie Efeu an der Mauer, S. 345) beschreibt Huidobro, wie er zum erstenmal nach über zehn Jahren mit einem anderen, auch eine „Geisel“, zusammen in einer Zelle ist. Er beschreibt es, indem er von den zwei Paar zerschlissenen Schuhen erzählt, die er beim Erwachen morgens vor seinem Bett vorfindet. Das Ergreifende dieser Situation ist, daß die Dinge anfangen zu erzählen, weil sich die Menschen – nach so langer Einsamkeit – noch zu fern sind, um anderen von sich schon erzählen zu können (oder das eigene Leiden noch zu nahe ist; deshalb erbarmen sich die Schuhe und beginnen zu erzählen). Ist der Gedanke so abwegig, daß heute ein ganzes Land, seine Städte und die Wohnungen in diesen Städten nach Kriterien eingerichtet werden, deren Zweck es zu sein scheint zu verhindern, daß die Dinge sich erbarmen und anfangen zu erzählen? Tot ist, wer sich nicht mehr erbarmt.
Die moderne Definition der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand macht die Beweisbarkeit zum Kriterium der Wahrheit.
Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ gegen die Autorität des Leidens ist ein Instrument zur Absicherung des modernen Wahrheitsbegriffs. Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand abstrahiert von der Gewalt, genauer: Gewalt ist der blinde Fleck dieser Definition.
Wenn – ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden zufolge – keiner der GSG-9-Beamten in Bad Kleinen gesehen hat, daß Wolfgang Grams sich erschossen hat, so ist das fast schon der Beweis, daß es sich nicht um Selbstmord handeln kann: Die Beamten kennen die Folgen einer Falschaussage, deren Widerlegung sie offensichtlich für möglich, wenn nicht für wahrscheinlich halten; deshalb berufen sie sich aufs Nichtgesehenhaben.
Ist nicht der Jesaias-Satz
„Ich, der Herr, und keiner sonst, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bin’s, der Herr, der dies alles wirkt“ (457)
eine Erläuterung des Schöpfungsberichts, seines Rhythmus von Katastrophe und Rettung (die hier vor der Katastrophe genannt wird, wenngleich die Schöpfungsfolge genau umgekehrt ist)? Wirft dieser Satz nicht ein Licht auf die geschaffenen Dinge (Himmel und Erde, die großen Seetiere und schließlich die Menschen), die zunächst als Katastrophen sich erweisen? Verweist das bara generell auf katastrophische Vorgänge (auf etwas zu Rettendes)?
Kann es sein, daß in dem „wüst und leer“, „Finsternis über dem Abgrund“ und dem „Geist Gottes über den Wassern“ die dreifache Schöpfung des Menschen (als Ebenbild Gottes, als Sein Bild, als Mann und Weib) sich anzeigt, daß in dieser jene sich spiegeln? Und heißt es deshalb, daß der Mensch aus Erde gemacht ist (aus dem Staub, den die Schlange frißt)?
Die Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt) sind die Reste des durchschlagenen Knotens, den es zu lösen gilt. Die Zeit der Harmonisierung ist vorbei. Gilt nicht das gleiche auch für die Trinitätslehre, ist nicht auch sie der zerschlagene Knoten, den es zu lösen gilt (wurde nicht der Knoten durch Übersetzung des Imperativs in den Indikativ, durch Übersetzung der Offenbarung vom Hebräischen ins Griechische, zerschlagen)?
Theologie wird zur Theologie im Angesicht Gottes, wenn man begreift, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Und Gott suchen heißt: diesen Imperativ endlich hören zu lernen (Heute, wenn ihr Seine Stimme hört).
Die Theodizee fällt unter das erkenntnistheoretische Problem der kontrafaktischen Urteile, das Problem, das in Vergegenständlichung des Vergangenen und in der Konstituierung der Geschichte steckt. (Zweck der modernen Wahrheitsdefinition ist es u.a., das Vergangene in die Vergangenheit einzusperren.)
Die Kritik der Verdinglichung affiziert sowohl den Begriff der Vergangenheit als auch den der Natur.
Wenn das Wahre der bacchantische Taumel ist, in dem kein Glied nicht trunken ist, dann ist diese Trunkenheit ein logischer Ausfluß der subjektiven Formen der Anschauung (des Kelches).
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes hat die Religion zur Religion für andere, zum Herrschaftsinstrument gemacht. In dieser Konstellation gründet die tiefe Zweideutigkeit der Trinitätslehre, gegen die der Satz von der Sünde wider den Heiligen Geist gerichtet ist.
Die Übersetzung des Indikativs in den Imperativ führt direkt in das Levinassche Konstrukt (mein Verhältnis zum Angesicht des Andern und die Beziehung beider zum „Dritten“), während der Indikativ auf die durch Herrschaft vermittelte Distanz zum Objekt sich bezieht: auf den historischen Objektivationsprozeß.
War nicht die Lichtmetaphysik einmal der Versuch, den Baum des Lebens zu rekonstruieren, der seine Wurzeln im Himmel hat und dessen Krone den Trieb in sich hat, auf der Erde sich auszubreiten?
Die Übersetzung des Begriffs der omnipotentia mit Allmacht ist nicht korrekt, genauer wäre der Begriff des Allesvermögenden. Darauf verweist der Satz, wonach bei Gott kein Ding unmöglich ist. Erst unsere Allmacht hat die potentia von ihrem Sprachgrund getrennt. Erst dadurch ist sie böse geworden (islamisch-christlicher Ursprung des modernen Machtbegriffs). Allesvermögend ist der Retter, der Erlöser, allmächtig, aber das auch nur seinem eigenen verblendeten Bewußtsein nach, ist der faschistische Diktator. Der Preis der Allmacht ist die Paranoia.
Haben das apokalyptische Tier aus dem Meere etwas mit den großen Seetieren (den Symbolen der Macht) und das Tier vom Lande etwas mit der Schlange in der Paradieses- und Sündenfallgeschichte (Modell des falschen Propheten) zu tun?
Die memoria passionis, die das unabgegoltene Leiden der Geschichte nicht vergessen kann, sprengt den Bann des Vergangenen, sie verweigert sich der „Versöhnung über den Gräbern“.
Der Kreuzestod war die Katastrophe, zu der die Rettung noch aussteht; und die Geschichte des Christentums ist die Geschichte der descensio ad inferos.
Religion für andere, das ist das genaue Gegenteil einer Utopie, in der keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen (vgl. Jer 3134).
Ist nicht die Kirche unfähig geworden, in der Prophetie auch das Gericht über sich selbst zu begreifen?
Erinnert nicht das Brumliksche „Ausdrucksgeschehen im Gesicht eines anderen“ an eine Videoaufnahme, die Objektivation eines nicht Objektivierbaren, die Übersetzung eines Imperativs in den Indikativ, das Gegenteil des Levinasschen Angesichts? -
18.07.93
Seit gestern auf der Wiese an der Gundbachbrücke (beim Anglerteich) fünf Kreuze aus alten Ästen mit den Inschriften: „Grams“, „GSG 1(?)“, „Kunst“, „Wald“ und (an dem größten Kreuz in der Mitte) „Bin gleich wieder zurück“.
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17.07.93
Ein Beispiel für Gewalt im Fernsehen: Der Erlaß. wonach künftig alle Kommentare vorzensiert werden sollen. Das paßt zur wachsenden Unfähigkeit, zentrale Themen überhaupt noch ernsthaft (und insistent) zu behandeln.
Das Dogma, die Orthodoxie, ist die Gestalt der Wahrheit in der Welt (unter dem Apriori der Welt). Aber in dem Augenblick, in dem der Weltbegriff selber kollabiert, verliert auch das Dogma seinen Existenzgrund.
Zu Edna Brocke: Ist es eigentlich richtig, das typologische Schriftverständnis gänzlich zu verwerfen, ist es nicht ein Schlüssel zur Theologie insgesamt; und trifft die Kritik nicht doch nur die kirchliche These, dieses typologische Schriftverständnis sei mit Jesus, mit dem NT, erfüllt (und damit das AT gleichsam abgegolten und erledigt)?
Ist nicht die Ehe ein Typos der Beziehung zwischen Gott und Israel (und sind nicht „Unzucht“ und „Hurerei“ Begriffe prophetischer Herrschaftskritik und nicht nur der privaten Sexualmoral)?
Das typologische Schriftverständnis ist ein Sinnesimplikat der Weltkritik; die Vorstellung, die Prophetie sei im NT erfüllt, hat das christologische, opfertheologische Konzept der „Entsühnung der Welt“ zur Grundlage (im Kontext der theologischen Rezeption der Philosophie und ihres projektiven Erkenntnisbegriffs).
Frage: Ist nicht der Paragraph im StGB, der es der Staatsanwaltschaft in Schwerin heute verwehrt, den Tod von Wolfgang Grams aufzuklären (Nichtfreigabe von Informationen durch GBA und BKA, Verzögerung der Vernehmung der beteiligten Beamten, vollständige Abschottung des V-Mannes) verfassungswidrig: Kann es eigentlich sein, daß Verwaltungsinstanzen, die dann niemand mehr kontrollieren kann, Eingriffsmöglichkeiten in den Prozeß der Strafermittlung haben, indem sie darüber befinden können, welche Informationen (z. B. durch entsprechende Regelung der Aussagegenehmigungen für Beamte) die ermittelnde Behörde überhaupt zugänglich gemacht werden? Ist eigentlich der Verdacht der bewußten und gewollten Strafvereitelung apriori absurd?
War nicht schon die Kompetenzzuweisung für die Ermittlung im Falle des Todes von Grams (die sachlich von den Ermittlungen des GBA und BKA in der raf-Sache sich nicht trennen lassen) an die Staatsanwaltschaft in Schwerin ein von Anfang an durchsichtiger Verfahrenstrick im Interesse der Strafvereitelung: So konnte man durch Informationsverweigerung die ermittelnde Behörde gleichsam am ausgestreckten Arm verhungern lassen und das Ergebnis vorprogrammieren: dieser Tod wird nicht aufklärbar sein (während die Umstände des Todes des GSG-Beamten schon vor Beginn der Ermittlungen klar waren).
Der Rücktritt von Seiters: Hat hier nicht der Kapitän nur das sinkende Schiff verlassen; wollte er so nicht doch bloß vermeiden, in den erkennbaren Strudel mit hereingerissen zu werden?
Ist nicht der Rechtsstaat längst ein willfähriges Instrument in den Händen des Staates, der nie wirklich demokratisiert worden ist?
Ein schlimmer Verdacht: Lebt der „V-Mann“ überhaupt noch?
Rührt der Begriff des Klassenkampfes nicht ebenso wie an reale politisch-ökonomische Strukturen auch an einen transzendentallogischen Sachverhalt (Marx hat die Hegelsche Philosophie „vom Kopf auf die Füße gestellt“: die Weltgeschichte als Naturgeschichte enthüllt)? Und liegt hier der Grund, weshalb bis heute die Reflexion der transzendentalen Ästhetik, der Begründung und des Kontextes der kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ und ihrer Bedeutung für den kantischen Erkenntnisbegriff bis heute stagniert, weshalb sie verdrängt und vergessen worden ist? Liegt hier nicht das Problem, dessen Lösung der Philosophie heute aufgegeben ist?
Der Paraklet ist nicht der Tröster der Einsamen, sondern der Verteidiger der Schwachen, der Unterdrückten und der Verfolgten.
Rührt die Sündenvergebung nicht an den Grund der Welt (vgl. die „Sünden der Welt“ in Joh 129)? Jede Sündenvergebung, die die Welt läßt wie sie ist, ist blasphemisch.
Die Logik der Vergöttlichung des Opfers ist ein Teil der Schuld-, Bekenntnis und Herrenlogik. Sie ist heute in den Naturbegriff eingewandert (und hat ihn zum Inbegriff dessen gemacht, was bei den Propheten Unzucht und Hurerei heißt). Bezeichnet nicht der Naturbegriff genau den Knoten, den Alexander bloß durchschlagen hat, und an dessen Lösung nach dem Jesus-Wort die Erfüllung der Verheißungen geknüpft ist?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie