Apologetik ist zur Karate-Theologie geworden.
Die „Privatisierung“ staatlicher Unternehmen wie Post und Bundesbahn ist eigentlich eine Vergesellschaftung. Gibt es eigentlich noch Privateigentum, ist nicht alles Eigentum, und mit ihm die Institution des Privaten selber, durch die Dynamik der ökonomischen Entwicklung vergesellschaftet worden in dem Sinne, daß es anonymisiert und zum Prototyp der Macht geworden ist, der wir alle unterworfen sind und von der wir alle abhängen? Sind nicht alle nur noch „Angestellte“, die die Maschinerie bedienen, die sie mehr oder weniger ausreichend ernährt?
Gehorcht nicht auch die Wissenschaft dem Gesetz des Aufdeckens der Blöße (zum Begriff der Öffentlichkeit), und bezeichnet nicht der Objektbegriff aufs genaueste diese Blöße? Dann wäre eine „objektive“ Theologie Instrument der Aufdeckung der Blöße Gottes, das aber heißt: gegenstandslos (wie die Trinitätslehre, die durch den Begriff der Zeugung den Objektcharakter in der dogmatischen Theologie konstituiert und begründet).
Indem die Naturwissenschaften vom Gesehenwerden abstrahieren (sich der subjektiven Form der Anschauung unterwerfen und das Licht verdinglichen), verfallen sie ihm, unterwerfen sie sich, ohne es zu wissen, dem Gesetz der Dingwelt. Darin ist die Totalisierung der Scham begründet, die in den Objekten sich im Begriff der Materie manifestiert.
Die Materie-Form-Philosophie war einmal eine Handwerker-Philosophie, sie ist heute zur Industrie-Philosophie geworden.
Die Übersetzung des zentralen Begriffs in Joh 129 mit „hinwegnehmen“ hat die benennende Kraft der Sprache zerstört: den Logos endgültig gekreuzigt. Sie hat die Theologie instrumentalisiert, sie zum Herrschaftsmittel gemacht, und in ihr das Trägheitsprinzip installiert. Das „Auf-sich Nehmen“ in Joh 129 ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben: der Kern des Nachfolgegebots.
Das waw (in der Kabbala Symbol der sechs Richtungen des Raumes), ist das nicht das Oh oder die Klage?
Das Dogma und die es beherrschende Bekenntnislogik sind Feigenblatt und Rock aus Fellen zugleich.
Ist nicht das „Projekt Moderne“ (der Begriff scheint aus der Habermas-Schule zu kommen) falsch säkularisiertes Christentum: die Verdrängung der Vergangenheit.
Es geht nicht darum, ob der Papst die Pille erlaubt oder verbietet, eher schon um die Lösung der Zölibatsfrage, zentral aber wäre, innertheologisch zu begreifen, daß die Erbsünde nicht über die sexuelle Lust, sondern über die Urteilslust sich fortpflanzt (über die Unfähigkeit zur Schuldreflexion). Diese Urteilslust wird z.B. in der kasuistischen Moral genährt (und macht nicht unerhebliche Teile der katholischen Sexualmoral so unerträglich pornographisch). In jeder Urteilslust steckt ein Stück jener Empörungslust, die die Struktur des Begriffs und seiner Genesis mit bestimmt, und die der Grund des projektiven Anteils in jeder Erkenntnis und das Medium des Schuldverschubsystems ist. Den evangelischen Rat der Keuschheit und die Sexualmoral insgesamt auf die Urteilslust beziehen, das macht die Geschichte der Urteilslust (die Hegelsche Geschichte des Begriffs) als Teil der Geschichte der Scham durchsichtig; sie läßt sich studieren anhand der Geschichte des Naturbegriffs. „Wenn die Welt euch haßt“: Ist der Naturbegriff nicht der projektive Indikator dieses desensibilisierten „euch“ (und ist dieses „euch“ nicht der Moloch, dem die Kinder geopfert werden)? Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ drückt das aufs genaueste aus, während Habermas‘ denunziatorische Verfälschung des Zitats, seine Einschränkung auf die „gequälte Natur“, zur Strategie der Neutralisierung des in der Dialektik der Aufklärung erreichten Stands der Reflexion gehört.
Theologie im Angesicht Gottes: Ist das nicht Theologie als Erinnerungsarbeit, als gesamtgesellschaftliche und geschichtliche Gewissenserforschung?
In den subjektiven Formen der Anschauung gewinnt die Vergangenheit Gewalt über unsere Erfahrung, unsere Erkenntnis, unser Denken.
Habermas
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06.05.93
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28.04.93
Wenn die Mathematiker des 16. Jahrhunderts vom „natürlichen Licht“ des Verstandes sprechen, dann meinten sie das „Licht“ der Mathematik.
Der Punkt ist die Grenze einer Geraden, die Gerade die Grenze einer Fläche und die Fläche die Grenze eines Körpers. Trennt der Körper das Innere vom Äußeren? Aber was ist dann das „Innere“?
Der Nenner und das Gleichnamig-Machen: Zerstörung des Namens (der benennenden Kraft der Sprache) durch die Form der Anschauung, oder der gemeinsame mathematische Ursprung des Objektbegriffs und des Identitätsprinzips.
Plus und Minus in der Mathematik: Die Null gibt es real (als Ergebnis) nur im Bereich der Addition und Subtraktion, dann (als Operator) wieder beim Potenzieren. Die Null ist in beiden Fällen die Grenze von Plus und Minus (ähnlich wie auch der Punkt, die Gerade, die Fläche und der Körper Grenzen sind).
Sind nicht die imaginären Zahlen ein Produkt der analytischen Geometrie?
Die Beziehung der Kopula (des „Seins“) zum Gleichheitszeichen ist der Grund der Beziehung des Begriffs zur Mathematik: der Usurpation der benennenden Kraft der Sprache durch die Funktion des Nenners (der Verschlingung der Finalursachen durchs Kausalprinzip und der Zerstörung der begründenden und argumentierenden Kraft der Sprache; Verhexung der Logik und Einlaß der Gewalt, letztlich des Gewaltmonopols des Staates, in die Sprache: Produkt der idealisierenden Gewalt des Raumes).
„Unseren täglichen Hunger gib uns heute.“ (Anders, II, S. 16) Der anwachsende Reichtum ist eine Funktion der potenzierten Bedürfnisse, der Bedarfsgüter mit eigenen Bedürfnissen (bedürfniserzeugenden Bedürfnissen), wie Auto, Wohnung, Haus u.ä..
Ist die dritte Leugnung die Sünde wider den Heiligen Geist (deshalb die Selbstverfluchung)? Beziehen sich die Sünden wider den Vater und den Sohn auf die erste und zweite Leugnung?
Zur Rekonstruktion des Weltuntergangs: Vor hundert Jahren gab es den Geheimrat, heute gibt es den Geheimdienst.
Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und der Sieg des Kapitalismus (der „freien Marktwirtschaft“) gründet nicht nur in Taten und Unterlassungen, sondern vorab im Prinzip des Nicht-erwischt-Werdens. Die Kompetenz des Kapitalismus bei der Verwertung der Ressource Feigenblatt war größer, sie ist durch die kostenlose Lieferung eines Sündenbocks, auf den man alles abwälzen kann, erheblich gesteigert worden. Ist hier wirklich eine Situation entstanden, der die Theorie nicht mehr gewachsen ist (Habermas: Neue Unübersichtlichkeit)?
Christliche Zoologie: Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; deshalb seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.
Hatte die Schelersche „Gesamtperson“ nicht doch etwas mit Behemot zu tun, dem „Gesamttier“?
Wie verhalten sich die Begriffe Subjekt und Person: Das Subjekt ist das Korrelat des philosophischen, die Person das des politischen Weltbegriffs. Das Subjekt ist der Grund der Fähigkeit der Begriffsbildung, die Person Grund der Fähigkeit, die eigenen Taten zu verantworten.
War nicht Sokrates der philosophisch neutralisierte Held, sein Tod das Opfer der Philosophie an die Polis, und so die Geburt der Person? Nicht zufällig entspringt hier die philosophische Unsterblichkeitslehre.
Zur Geschichte der Scham: Heute ist die Welt, die einmal das Siegel des Ursprungs der Scham war, selber das letzte Objekt der Scham geworden. Subjekt-Objekt der Erkenntnis der Nackheit ist die Welt.
Es genügt heute nicht mehr, nur über Bäume zu reden. Heute müssen wir über Astronomie und über den Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung insgesamt reden. Und wenn es dann wieder notwendig wird, über Bäume zu reden, dann über die Geschichte und die Geschichte der Beziehung des Baumes der Erkenntnis und des Baums des Lebens.
Rosenzweigs Wort an die Adresse Eugen Rosenstocks: Vermanschen Sie die Symbole nicht, trifft heute die gesamte Theologie.
Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Gilt das auch für das Richten eines Hauses?
Ist Kanaan ein stammesgeschichtlicher, ein politischer oder ein gesellschaftlicher Name („Händler“)? Und wer waren die Philister?
– Gen 918: Ham ist der Vater Kanaans.
– 925: Und er sprach: Verflucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern.
– 106: Die Söhne Hams sind Kusch, Mizrajim, Put und Kanaan.
– 1015ff: Kanaan zeugte Sidon, seinen Erstgeborenen, und Het, ferner die Jebusiter, die Amoriter, die Girgaschiter, die Hiwiter, die Arkiter, die Siniter, die Arwaditer, die Zemariter und die Hamatiter.
Nach Gen 1014 zeugte Mizrajim (auch ein Sohn Hams) u.a. die Kasluhiter, von denen die Philister abstammen. -
14.03.93
Worin liegt die Differenz zwischen den logisch-grammatischen Konstruktionen der alten Sprachen und der Nutzung der Hilfszeitverben (sein, haben, werden) im Deutschen heute? Ist das nicht Ausdruck der vollendeten Verdinglichung, die in der griechischen und lateinischen Sprache noch gleichsam in statu nascendi zu beobachten ist.
Die Leviten galten als Abgeltung der Erstgeburt (Num 312), nur blieb da ein Rest von 273 Erstgeborenen, die nicht abgegolten waren (346; 273 ist die dreifache Summe aller Zahlen bis 13).
Ist der Hund, der domestizierte Wolf, das Realsymbol der Welt? Ist das Tier vom Lande ein Hund?
Die Person, der Träger des Namens, ist das objektive Korrelat des Polizeistaats, mit dem Personalausweis, dem vergesellschafteten Fahndungsplakat, an die Ermittlungsbehörden, als deren Inbegriff der Staat in Deutschland, dem Land der Staatsanwälte, sich versteht, unentrinnbar angebunden. Die Persönlichkeit steht auf der anderen Seite: sie hat das Personsein verinnerlicht und beherrscht es, kann damit umgehen.
Ist nicht der Rechtsstaat ein Polizeistaat: Jeder trägt sein eigenes Fahndungsfoto in der Tasche (und ist dazu gesetzlich verpflichtet). Gilt in Staaten ohne Staatsanwalt auch die Ausweispflicht?
Oculi omnium in te sperant. (Ps 14515)
Hat Habermas nicht mit der Verdrängung der Idee, daß auch die Natur sich ändert, wenn die Gesellschaft sich ändert, auch die Idee der Güte verdrängt, den Wunsch, endlich gut sein zu können?
Requiem aeternam: das kann das Ausruhen von der Last, von der Arbeit sein; es kann aber auch das sabbatliche Ausruhen in einer Verfassung sein, in der man endlich gut sein darf, in der Friede und Gerechtigkeit sich küssen.
Die Trägheit oder der Tod: Die Trägheit ist das Ausruhen von der Last der Moral, das Telos des Rousseauschen „Zurück zur Natur“. Ist nicht der Jesus der Opfertheologie, der vergöttlichte Jesus der, der uns die Last abnimmt: der uns von der Pflicht zur Nachfolge entbindet, indem er die Welt entsühnt, die Trägheit rechtfertigt? Ist diese Verkehrung der Dinge nicht das Werk der Kirche (der Kelch von Getsemane)? So verdankt sich zwar nicht der Begriff der Materie, wohl aber das Trägheitsprinzip der Theologie: es ist das Produkt der opfertheologischen Verarbeitung des philosophischen Materiebegriffs.
Der Raum (das System reversibler Richtungen) als das Opfer der Umkehr an den Schein der Unschuld der Natur.
Die Kirche hat den Himmel theologisch vergesellschaftet und insoweit der Physik vorgearbeitet.
Gegenstand der kirchlichen Eucharistieverehrung ist das vergöttlichte Ding, das vergöttlichte Objekt: reine Blasphemie.
Die Liturgiereform wäre erst dann eine geworden, wenn sie den Mut gehabt hätte, von der blasphemischen Eucharistiefrömmigkeit endlich zu lassen, und wenn das Brotbrechen die Form der gemeinsamen Speisung der Armen angenommen hätte: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.
Inneres Telos der (weltlichen und kirchlichen) Verwaltungsmoral: Selbstzerstörung der Verantwortung durch Delegation. Administrative Verantwortung übernimmt die Schuld (nicht die Sünde) der Welt (und die Bezahlung entspricht der „Last der Verantwortung“: Schuld ist der innere Wertmaßstab des Geldes, Arbeit die Abgeltung der Erbschuld, arm zu sein). -
04.03.93
Die abscheulichen Feigen, die vor Schlechtigkeit nicht gegessen werden können (Jer 2917).
Waren nicht die Mythen lokale Mythen auch deshalb, weil mit dem Realitätsprinzip, das sie rechtfertigen sollen, der Partikularismus, am Ende der Nationalismus, bereits mitgesetzt war? Das transzendentale Subjekt der kantischen Philosophie ist ein endliches Subjekt, seine Hypostasierung der Staat. War nicht die augustinische civitas dei eine konstitutive Bedingung seines theologischen Realitätsverständnisses (des „ad literam“, Grund des Fundamentalismus)? Abgesichert wurde dieses Realitätsverständnis (die philosophische Tradition, die darin sich behauptete) durchs Dogma: Trinitätslehre und Opfertheologie.
Zur Beziehung der Allegorese zum Naturbegriff sh. Burkert: Antike Mysterien, S. 67. (Sh. auch Ch. Schäublin: Untersuchungen zur Methode und Herkunft antiochenischen Exegese, Köln 1974.) Erhellen sich Allegorie, Mythos und Natur gegenseitig, entspringt nicht der Naturbegriff in der allegorischen Mythenauslegung (S. 68)?
Die „Höhle“ stellt den Kosmos dar, überwölbt vom Tierkreis des Himmels; die sieben Planeten finden sich, die die sieben Grade der Einweihung beherrschen; das zentrale Stieropfer erscheint in kosmischem Rahmen, zwischen der untergehenden Mondgöttin und dem aufgehenden Sonnengott (S. 70, zum Mithraskult).
Der Hegelsche Naturbegriff wird von Hegel selber an zwei Stellen kenntlich gemacht:
– wenn er bemerkt, die Natur könne den Begriff nicht halten, und
– wenn er die Außenbeziehungen der Staaten, insbesondere den Krieg, als Naturzustand bestimmt.
Der Begriff als Kristallisationskern des Weltbegriffs ist eine bloß formale Bestimmung auch in dem Sinne, daß er die Ursprungsdifferenzen verwischt. Die Identität des Begriffs verdankt sich dem Gewaltmonopol des Staates, und sie gilt nicht über die Grenzen der staatlichen Ordnung hinaus. Deshalb ist der Nationalismus nur dann vermeidbar, wenn es gelingt, die Naturwissenschaften durch Reflexion aufzulösen.
Hat nicht Tertullian, durch Übertragung der griechischen Sprache der Theologie ins Lateinische, als erster den kosmologischen Weltbegriff mit dem juristischen in eins gesetzt? Die Welt ist seitdem die von Gesetzen beherrschte, nach dem Eigentumsprinzip organisierte Welt.
Gegen Habermas: Ohne die Idee, daß bei Errichtung der richtigen Gesellschaft auch die Natur sich ändert, ist die Idee einer richtigen Gesellschaft nicht zu halten. Auch die gesellschaftskritische Anwendung der kantischen Vernunftkritik wird nicht mehr zu halten sein, wenn man den Versuch aufgibt, ihre wissenschaftskritische Anwendung mit aufzunehmen.
Kann man sich im Garten Getsemane eine Kuschelecke einrichten (Bendorfer Euphorie), gilt dafür nicht das Bild der schlafenden Apostel? – Wachet und betet. -
28.02.93
Wer es nicht wagt, einen Konflikt offen (im Angesicht des Adressaten) anzusprechen, kann, was er denkt, nicht in jedem Falle vor dem andern verbergen: die offene Frage erscheint dann als entlastende Aggression (einmal muß es doch heraus), als „Spitze“. Hat diese „Spitze“ etwas mit den Dornen und Disteln der Bibel zu tun: am Ende auch mit dem Konzept und der Form des Raumes und seiner Hypostasierung? – „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.“ Ist nicht der Raum (als „Spitze“) die Form der Beziehung zu anderen, in der jeder sich als nackt erkennt?
Sind nicht die Geschichten von Judith und Holofernes, von Esther und Haman, Geschichten, die den Satz aus dem Fluch an die Schlangen nach dem Sündenfall erläutern: „Feinschaft will ich setzten …, ihr Nachkomme wird dir den Kopf zertreten“?
Beziehung des Bilderverbots zum Gebot der Feindesliebe: Sind nicht seit dem Ursprung des Weltbegriffs alle Bilder Feindbilder? – Der Raum oder die Instrumentalisierung und Neutralisierung der Umkehr. Liegt hier nicht die weltgeschichtliche Bedeutung der Entdeckung des Winkels und der Orthogonalität?
Worin liegt der logische Kern der Begründungen, die der Antinomie der reinen Vernunft zugrunde liegen? Wird hier die „verandernde Kraft“ des Seins bestimmbar? Ebenso die Beziehung der Begriffe Welt und Natur, die sich gleichsam wechselseitig widerlegen und bestätigen?
Zum Buch Jonas: Wir können Oben und Unten unterscheiden, ebenso Vorn und Hinten; aber Rechts und Links können wir nicht mehr unterscheiden.
Ist Habermas der Buber der kritischen Theorie? Mit der Verdrängung des Naturproblems verdrängt Habermas den theologischen Ursprung und damit einen zentralen Teil der Tradition der Philosophie. Die Emanzipation der Philosophie von der Theologie, Ursprung der modernen Aufklärung, ist selber theologisch vermittelt. Über die Theologie wurde das gleiche Schicksal (Urteil) verhängt (gefällt), das sie ihrem eigenen jüdischen Ursprung hat widerfahren lassen.
In der Geschichte der Aufklärung wurde die Orthodoxie ersetzt durch das Inertialsystem. Und die Orthodoxie darin (in den kantischen Formen der Anschauung) wiederfinden, sie so entschlüsseln, daß diese Beziehung durchsichtig wird, wäre ein entscheidender Beitrag zur Aufklärung der Aufklärung.
Stephanus war der erste Märtyrer, der zweite Jakobus, der Bruder des Johannes, den Herodes mit dem Schwert hinrichten ließ (Apg 121f).
„Maria aber bewahrte all diese Worte in ihrem Herzen“. Unterm Kreuz hat Jesus sie dem Johannes anvertraut. -
04.01.93
„Das steinerne Herz der Welt“: Durch den affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden. Erst durch die Übernahme der Sünden der Welt wird das steinerne in ein fleischernes Herz verwandelt.
Wenn Kohl und mit ihm die insbesondere Seiters sich immer wieder auf die Geschichte, das Ausland oder die Welt als einzige kompetente Urteilsinstanz berufen, so ist das Ausdruck der gleichen „Real-“ und Machtpolitik, zu der die Hegelsche Staatsphilosophie die deutsche Politik „befreit“ hat. Zu deren Folgen gehören die Katastrophen dieses Jahrhunderts, die nicht nur durch den Namen der Weltkriege mit der Hegelschen Weltphilosophie verbunden sind. Immer wollten wir sein wie die anderen Völker; aber in der Leugnung der politischen Moral haben wir sie übertrumpft. Wenn die Deutschen Machtpolitik (und Realpolitik ist Machtpolitik) getrieben haben, dann mit dem Alibi: die anderen tun’s ja auch (was so nicht stimmte).
Kohls Eintreten für die Kürzungen der sozialen Leistungen macht wieder einmal das Stammtischgeschwätz zur Grundlage politischer Entscheidungen. Nach dem „Asylmißbrauch“ jetzt die „Ausbeutung derer, die durch anständige Arbeit ihr Geld verdienen, durch die Sozialhilfe-, Arbeitslosenunterstützung- und Arbeitslosenhilfe-Empfänger“. Der Hinweis darauf, daß Sozialhilfe-Leistungen das Arbeitsentgelt nicht übersteigen dürfen, heißt eigentlich, daß das Arbeitsentgelt möglichst in der Nähe der Sozialhilfe bleiben sollte. Das paßt in die Tradition, die
– Ralph Giordano keiner Antwort für würdig hält,
– angesichts der Morde und Brandanschläge der Rechten nur die „Schändung des deutschen Namens im Ausland“, aber nicht die Opfer wahrnimmt,
– die Teilnahme an den Trauerfeiern für die Opfer von Mölln mit der bösen Vokabel vom „Beileidstourismus“ belegt.
Ich meine, es ist an der Zeit zu begreifen, wer hier den deutschen Namen schändet, wer seinen Amtseid, der ihn verpflichtet, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, in der Substanz verletzt. Wenn es je einen Rücktrittsgrund für einen deutschen Bundeskanzler gegeben hat, dann jetzt.
Die Wissenschaftsgläubigkeit bei Habermas (wie in der ganzen „marxistischen“ – d.h. eigentlich Engelsschen – Tradition) verkennt, daß sie damit selber das schwarze Loch schafft, aus dem zwangsläufig die Gemeinheit erwächst. Sie macht sich selbst hilflos gegen den aktiven und kontrollierten Gebrauch der Gemeinheit. Was fehlt ist eine Wissenschaftskritik, die nachweist, daß im Rahmen der szientifischen (wie der justiziellen) Beweislogik Gemeinheit nicht erkennbar ist.
Die adaequatio intellectus et rei definiert den Begriff der Erkenntnis, die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand den Kristallisationskern des Herrendenkens und seines gegenständlichen Korrelats: der instrumentalisierten Welt. -
29.12.92
Die christliche Theologie lebt davon, daß in der Ursprungsphase der Philosophie die Zwangslogik, Reflex der Gewalt im Denken, noch verschränkt war mit der benennenden Kraft der Sprache. Aber nachdem sich der Nominalismus, Konsequenz der Zwangslogik, durchsetzte, hat die Theologie ihre raison de etre verloren und die Partei der Gewalt ergriffen. Das war der Grund der Entstehung der Inquisition.
Weltkritik ist Herrschaftskritik, und nur der Gott, der als Schöpfer der Welt verstanden wird, löst sich im Prozeß der Verweltlichung der Welt auf: im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft. Was sich nicht auflöst, ist der Schöpfer der Himmel und der Erde.
Im empathiefreien reinen Zuschauen, in den Laborbedingungen, die hergestellt werden müssen, um das reine Zuschauen (Georg Lukacs‘ „kontemplative Erkenntnis“ der Herrschaft) zu ermöglichen, sind die Inquisition, die Geheimdienste und die Stasi vorgebildet. Die Stasi war der zwangsläufige Versuch, die reinen Laborbedingungen herzustellen, unter denen der Sozialismus als Experiment durchgeführt werden sollte. Aber daß dadurch die gesamte Gesellschaft zur trägen Masse degradiert wurde, die das Ganze durch ihre eigene Gravitation in den Abgrund geführt hat, wurde aufgrund der naturwissenschaftlichen Verblendung nicht gesehen. Ähnlich hat die Inquisition im Hochmittelalter jene Laborbedingungen hergestellt, in denen die Gläubigen die Chance haben sollten, die Schuld, der sie ohnehin verfallen waren, zu bekennen und zu büßen. Die Scheiterhaufen waren Manifestationen der Hölle, zu der die Welt inzwischen zu werden drohte.
Die Geschichte des Marxismus ist noch nicht zuende; sie wird es erst dann sein, wenn innerhalb des Marxismus das Problem der Armen und der Fremden gelöst wird. Das Gefährlichste am Sieg über den Sozialismus ist der Triumph der Sieger: die Selbstverblendung durch den Sieg. Vergessen wird das Erkenntnismoment in der Kritik der politischen Ökonomie. Aber dem hatte der real existierende Sozialismus selbst schon vorgearbeitet: in der Unterdrückung all dessen, was an Erkenntnis erinnerte, weil es an die theologische Vergangenheit erinnerte. Notwendig gewesen wäre insbesondere, was Georg Lukacs begonnen, dann aber verdrängt hatte: die Kritik der politischen Ökonomie durch eine Kritik der Naturwissenschaften zu ergänzen, die Marxsche Erinnerung an Jakob Böhme und an die resurrectio naturae aufzunehmen. Das aber heißt: nicht nur die gegenständlichen Manifestationen von Herrschaft, sondern ihre Wurzeln in den vergesellschafteten Menschen, die Vergesellschaftung von Herrschaft und die vergesellschaftete Herrschaft selber, in die Kritik mit aufzunehmen.
Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist nur eine Weltmacht übriggeblieben. Was bedeutet das?
Mit der Unterdrückung der Idee der Befreiung der Natur zerstört Habermas die Wurzeln der Empathie.
Königtum und Opfer, Geld und Idolatrie, Schrift und Sternendienst: die drei Angelpunkte der Vorgeschichte des Weltbegriffs. Und diese drei Angelpunkte lassen sich zusammenfassen als Quellpunkte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs.
Wo gibt es in der Schrift Erinnerungen an gesellschaftliche Naturkatastrophen, z.B. an Hungernöte (Buch Ruth, Josefsroman).
C. G. Jung hat insofern recht, als das, was er die Archetypen nennt, in der Tat etwas bezeichnet, was aufzuarbeiten ist: die Repräsentanten der Vergangenheit in unseren Köpfen. Aber das sind keine Bilder, die „Gott in unsere Seele gelegt“ hat (Drewermann).
Ist es nicht die Namengebung der Tiere, die Adam die Zunge löst, so daß er, als er Eva erkennt, sagen kann: Dies ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.
In welcher Beziehung steht die Inquisition zur Ohrenbeichte, mit der sie ja doch wohl historisch-genetisch zusammenhängt? Ist es nicht die Inquisition, die jenes Schuld- und Sündenverständnis erst durchsetzt, das dann Grundlage der Ohrenbeichte (Entschuldung der Welt, Privatisierung der Schuld) geworden ist?
Das kreisende Flammenschwert, das sinnlose Kreisen der Planeten und die Mühle, die alles zu Staub zermahlt.
Die Angst in Gethsemane war die Angst vor den Folgen dessen, daß er es nicht vermocht hat, die Sünden der Welt „hinweg“ zu nehmen.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Und dieses Wort sitzt zur Rechten des Vaters. Ist nicht dieses Wort, das in der Übernahme der Sünde der Welt sich konstituiert, das Wort, von dem Gott will, daß es nicht leer zu ihm zurückkomme (Jes 5511)? Liegt hier nicht die zentrale Aufgabe der Theologie?Böhme, Drewermann, Geld, Habermas, Inquisition, Jung, Lukacs, Marx, Marxismus, Philosophie, Theologie, Tiere -
22.11.92
Das Horn ist ein Symbol der Macht. Hängt es damit zusammen, daß Opfertiere gehörnte Tiere sind?
Den Sünden der Welt korrespondiert die Schuld der Natur: Neigen wir deshalb dazu, auch in der Theologie von der „Schuld der Welt“ zu sprechen, gleichsam eine falsche Fährte zu legen? Mit den Sünden der Welt sind wir als Subjekte angesprochen, mit der Schuld der Welt nur als Objekte, die einem Schicksal unterworfen sind: der Begriff Schuld der Welt macht die aktiven Sünden der Welt zum bloß passiv erlittenen Schicksal.
Ist nicht der theologische Begriff des Übernatürlichen abgeleitet von dem der Metaphysik, gleichsam nur von der Logik transponiert ins Magische.
Heißt nicht im Griechischen, was wir heute Begriff nennen, Logos? D.h. war nicht die Philosophie in ihrem Ursprung grammatisch-logisch determinierte Sprachphilosophie? Ist nicht die Verdinglichung des logos zum Begriff der Beginn des Objektivationsprozesses?
Wie hat sich die Philosophie durch Übersetzung der Vätertheologie, des Dogmas, von der griechischen in die lateinische Sprache verändert? Wie verhält sich beispielsweise persona zu prosopon und hypostasis?
Demagogie ist heute keine besondere Art des Umgangs mit der Sprache mehr, sondern ein Ingrediens der Institution der Öffentlichkeit. Die Interpretation der „Fakten“ – und es gibt keine Fakten ohne das Bedürfnis nach Interpretation – ist zu einer reinen Machtfrage geworden: Heute ernennt die Regierung nicht mehr nur ihre Beamten, sondern auch die Begriffe, mit denen die Dinge benannt werden, so als wären sie Titel, denen man die Dinge per Gesetz zuordnen könnte. Die Gewalt steckt in der Sprache, und über die Sprache ist sie zu einem Teil, wenn nicht zur Grundlage der Kommunikation geworden. Das macht die Habermassche Kommunikationstheorie, insbesondere den Konsensbegriff, der auf die Legitimierung der Erpressung hinausläuft, so problematisch.
Hat das In-die-Ferse-Stechen etwas mit der Lähmung zu tun (als Ersatz fürs Einsperren)? Und wie verhält sich der Hinweis auf die Ferse im Fluch über die Schlange zu den Flügelschuhen des Hermes? Jakob der Fersenhalter ist zugleich Jakob der Betrüger, der erste, der von der List Gebrauch macht. Entspringt hier die später ins Bewußtsein eingebaute Automatik der List der Vernunft? Weshalb wurden den Frauen in China die Füße verstümmelt, und weshalb tragen die Frauen im „zivilisierten“ Europa Stöckelschuhe? Und weshalb ist es im Fluch über die Schlange der Nachkomme der Frau, und nicht der des Mannes (der Erbe, der Stammhalter)? Gründet hier (im vaterlosen Nachkommen) das Symbol der Jungfrauengeburt: Die Jungfrau wird einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel, Gott mit uns?
Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der Stich in die Ferse?
Parvus error in principio magnus est in fine. Ist nicht dieser kleine Fehler im Ursprung der Theologie, die Rezeption des Weltbegriffs, der Ursprung und nicht die Folge der Parusieverzögerung?
Die Astrologie ist am Ende dadurch „überwunden“ worden, daß das Subjekt in der Astronomie sich selbst an die Stelle dieser Schicksalsmächte setzt (Verinnerlichung von Herrschaft: von Saturn und Jupiter bis zu Venus und Merkur sind die Planetenmächte, die paulinischen Archonten, ins Subjekt eingewandert).
Das aufgedeckte Antlitz ist das Gegenteil der Nacktheit (und wird nur unterm Zeichen des Antichrist als solche erfahren: im Antlitz des Hundes).
Wut ist der verweltlichte Zorn, die Person das traumatisierte Antlitz und seitdem beleidigungsfähig, Quelle der Wut.
Der Weltbegriff erzeugt den Schein eines angst- und schuldfreien Lebens. Aber dieser Schein ist wirksam nur auf der Herrenseite (der „Sonnenseite“) der Welt. Ihm entsprechen auf der Objektseite die Angst- und Schuldkomplexe, die nicht mehr aufgelöst, nur noch – mit den bekannten Folgen – verdrängt werden können.
Zum Problem der benennenden Kraft der Sprache: Benjamins Bemerkungen über das Gestische bei Kafka und die metaphorische Stelle in dem Kraus-Essay mit heranziehen.
Jede Naturphilosophie verfällt ihrem Objekt insoweit, als sie zwangsläufig verkennt, daß das metaphorische Element das eigentliche Erkenntnismedium ist, das man verfehlt, wenn man es wörtlich nimmt. Sobald sie die Natur „ad literam“ (wie Augustinus die Genesis) nimmt, verstrickt sie sich in die Logik der Verdinglichung, verfällt sie ihrem Bann.
Ist nicht die Kirche ein verwesender Leichnam, gleichsam ein Lazarus, der „schon riecht“. Aber dann wurde er doch von Jesus zum Leben erweckt. -
17.11.92
Die Orthodoxie und das Dogma sind die Waffen der Selbstgerechtigkeit. Sie sind Produkte jenes Schuldverschubsystems, das dem Gebot der Nachfolge und dem der Feindesliebe im Kern widerspricht.
Wie hängt die sprachliche Geschlechtertrennung, die Trennung in Masculinum, Femininum und Neutrum, mit der Struktur des Raumes und mit der Bildung des Futur II zusammen? Ist sie nicht ein Reflex des Inertialsystems in der Sprache? Und was bedeutet dann der Hinweis am Ende des Buches Jona auf die 120000, die Rechts und Links nicht unterscheiden können? Vgl. auch die Erschaffung des Menschen im ersten Schöpfungsbericht: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Weib schuf er sie. (Gen 127)
Was bedeutet die kantische Unterscheidung des Mathematischen und Dynamischen?
Das Wort von der falschen Zärtlichkeit für die Welt bezeichnet präzise den projektiven Kristallisationskern der Hegelschen Philosophie, des Hegelschen Systems.
Ist der Begriff des Bekenntnisses ist nicht eine Konsequenz der falschen Beziehung von Sünde und Schuld in der Wurzel von Philosophie und Recht? Spiegelt sich in der Beziehung von Philosophie und Recht die kantische Unterscheidung des Mathematischen und Dynamischen? Gründet hierin die unvermeidbare Zweideutigkeit des Bekenntnisbegriffs, der sowohl das Schuldbekenntnis als auch das „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet? Das griechische homologein, das dann mit confiteri, bekennen, übersetzt wurde, liegt näher am Nachfolgegebot. Im Schuldbekenntnis bekenne ich: Ich war’s, das bin ich gewesen. Hier unterwerfe ich mich meiner Vergangenheit; die Vergangenheitsbeziehung ist fürs (lateinisch-deutsche) Bekenntnis konstitutiv.
Welche Bedeutung hat die Geschichte vom Sündenfall in den drei großen Weltreligionen?
Der Habermassche Konsensbegriff schließt die Neutralisierung des Adornoschen Versöhnungsbegriffs mit ein; das aber geht nur durch Stillstellung und Leugnung des Konfliktmoments in der Erkenntnis (der Differenz von Natur und Welt): die Anerkennung des Primats des Weltbegriffs.
Wenn der Ursprung der Philosophie aus der Verinnerlichung der Schicksalsidee sich ableiten läßt, dann braucht die hier entstehende, durch die Philosophie konstituierte neue Gestalt des Bewußtseins, die dann in der Objektivität mit dem Weltbegriff sich verankert, als Projektionsfolie, um die Selbstbetroffenheit als Objekt des Schicksals nach draußen ableiten zu können und so loszuwerden, und als Mittel der Selbstbestätigung Begriffe wie Barbaren, Natur und Materie. Hier bilden sich jene Strukturen, die dann übers Christentum in die Geschichte des Objektivationsprozesses eingegangen sind, und die der Grund dafür sind, daß im Naturbegriff die Struktur der Christologie sich widerspiegelt (die Hypostasierung, Vergöttlichung des Opfers, die exkulpierende Kraft der „Natur“: insgesamt die falsche Bestätigung, die falsche Verständlichkeit der Theologie, ihre Irrationalität heute). -
22.09.92
Kann es sein, daß die mittelalterliche Theologie sich die wichtigste Erkenntnisquelle selber zugestopft hat, als Johannes Scottus Eriugena verurteilt wurde? Es hat große Anstrengungen (und unvertretbare Opfer) gefordert, bevor das scottische Thema der „Einheit des Ewigen und des Gewordenen“ (S. 276ff) durch Bloch, Benjamin, Horkheimer und Adorno wiederdentdeckt wurde. Habermas hat’s immer noch nicht begriffen. Dieses Thema rührt an den Grund des Weltbegriffs, indem es den „Schöpfungsanfang“ nicht, wie es der Weltbegriff fordert, an den zeitlichen Anfang setzt, sondern – in der weltlichen Perspektive der Kreatur – ihm (und seiner Voraussetzung, der Idee des Ewigen) ein Gewordensein konzediert: er wird somit in jene geschichtliche Perspektive gerückt, in der dann der Ursprungsbegriff sein Wahrheitsmoment genauer bezeichnet und festhält.
Merkwürdiger Begriff der Natur beim Johannes Scottus Eriugena. Was drückt sich in dem Titel „De divisione naturae“ aus? Leitbegriff seiner Spekulation ist der der Natur, aber nicht als einheitlicher Begriff (nicht als Totalitätsbegriff), sondern als an getrennte Bedeutungen aufgeteilter. Vergleiche damit den Naturbegriff und seine Funktion bei Franz Rosenzweig (Grund und hypokeimenon des Systems, aus dessen Umkehrung erst die Wahrheit hervorgeht). Naturbegriff in der Bibel (nur in den Apostelbriefen, und hier auf dem Niveau: „Lehrt euch nicht selbst die Natur, daß, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Schande für ihn ist“ – 1 Kor 1114)? Oder: ist der Naturbegriff durch den Weltbegriff vermittelt, und was entspricht ihm dann in der „Vorwelt“, in der Geschichte vor dem Ursprung der Philosophie und vor der Entstehung des Römischen Reiches?
Zitiert Thomas von Aquin noch den Johannes Scottus Eriugena? Welche Rolle spielt in dieser Geschichte des Johannes Scottus Eriugena der Pseudo-Dionysius Areopagita (und der Maximus Confessor, Hauptinterpret des Ps.-Dionysius), oder welche Rolle spielt Johannes Scottus Eriugena in der Geschichte des Pseudo-Dionysius? Wann und von wem wird Dionysius Areopagita zum erstenmal erwähnt und zitiert, und wann und von wem Johannes Scottus Eriugena?
Erstaunlich beim Johannes Scottus Eriugena seine stupende Gelehrsamkeit, sein souveräner Umgang mit lateinischen und griechischen Autoren (Plato, Aristoteles, Augustinus, Boethius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Basilius, Dionysius Areopagita, Maximus); er kennt die Differenzen zwischen der lateinischen und der griechischen Theologie, er ist in der Lage, etymologische Beziehungen zwischen lateinischen und griechischen Begriffen zu erkennen.
War nicht die Hexenverfolgung, die endgültig das Antlitz der Erde zerstört hat, eine Konsequenz aus der Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena? Und war nicht die Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena der Preis für die Gründung der Universitäten (Beziehung zur Leugnung des Heiligen Geistes).
Das Sein ist der Ursurpator des Namens, und seine verandernde Kraft bezieht sich auf die benennende Kraft der Sprache. Heideggers Philosophie ist der Versuch, diesem Usurpator des Namens die Würde des Namens zu verleihen (das Sein zum Namen zu ernennen).
Der Naturbegriff verkörpert den ungeheuerlichsten Widerspruch, der nur deshalb nicht gesehen wird, weil seiner Verdrängung die Autonomie des Subjekts sich zu verdanken scheint. Der Naturbegriff ist die logisch überdeterminierte Projektionsfolie des blinden Flecks, in dem das Subjekt sich selber steht. Der harte Satz gilt: In der Natur kommt das Subjekt nicht vor, und soweit es vorkommt, muß es sich gegen die Natur behaupten.
Dem Geburtsfehler der Philosophie, der Ontologie, entspricht der der christlichen Theologie: die Beziehung des Schöpfungsbegriff auf die Welt, die Idee, daß Gott die Welt aus (dem) Nichts erschaffen hat. Hierdurch wurde der Staat (das Herrendenken) gegen Kritik abgeschirmt, zugleich die zentrale Stellung der Sexualmoral im religiösen Selbstverständnis begründet (Grund und Folge des Naturbegriffs: so hängt die Stellung der Sexualmoral mit dem Ursprung des Weltbegriffs zusammen). Grund ist das Nichtbegreifen der Täufer-Theologie: die zentrale Stellung der Übernahme der Sünde der Welt (Begründung der Taufe und der Umkehr). Nur so wäre der Weltbegriff der Schöpfungslehre entzogen (und die Urhäresie: die Gnosis, aus der die ganze Geschichte der Häresien sich ableiten läßt, vermieden) worden. Der Weltbegriff gehört in die Christologie, hierhin aber als historischer, als Prozeßbegriff (Säkularisation, Verweltlichung).
Es käme heute darauf an, die paulinische Theologie durch die des Täufers zu berichtigen oder zu ergänzen (vgl. auch das Martyrium des Erzmärtyrers Stephanus, an dem Paulus beteiligt war, mit dem Tod des Johannes, nachdem er den Herodes zur Rede gestellt hatte). Steht nicht die alternative Bewegung heute in der Täufer-Tradition; das führt auf die Frage: wer waren Herodes, Herodias und Salome? -
08.09.92
Witz und Empörung sind Instrumente zur Verhinderung der Geistesgegenwart, zur Einübung des Vergessens. Jeder Witz und jede Empörung macht uns ein Stück dümmer.
Das kollektive Lachen (das Gelächter), die Verinnerlichung des Opfers und die Selbstauslöschung des Subjekts (oder: die falsche Versöhnung). Durch Einübung des Herrendenkens versöhnt der Witz die Menschen mit ihrem Objektsein.
Wenn Gunnar Heinsohn die Schuldknechtschaft und das Tauschprinzip alternativ behandelt, das Tauschparadigma perhorresziert und abwehrt, so möchte er das Tauschprinzip nicht mit der Schuld der Schuldknechtschaft befleckt sehen: die Ökonomie soll (wie die Physik) schuldlos bleiben. Wie sie das bleiben kann, wenn nicht nur ihre Ursprünge, sondern auch ihr Bestehen seit ihrem Ursprung auf dieses gräßliche Institut der Schuldknechtschaft zurückweisen, ist nicht zu erkennen; das Konzept ist (wie im Kontext des christlichen Dogmas) nur zu halten durch Individualisierung (Personalisierung) der Schuld, durch Verdrängung des Schuldzusammenhangs. Die Lösung gleicht (antipodisch, aber nicht zufällig) der, die auch seinem Hexenbuch zugrundeliegt. Und es ist die gleiche Logik, die auch die Venustheorie beherrscht.
Habermas verharmlost das Materialismusproblem, indem er das gesellschaftliche zu einem Kommunikationsproblem macht, mit der Vorstellung, daß Vernunft als Möglichkeit zum Konsens sich definieren lasse, und Konsens prinzipiell möglich sein müsse. Er verdrängt den Bruch, den die Heinsohnsche Schuldknechtschaft aufs deutlichste benennt, so wie die Physik seit je den Bruch zwischen schwerer und träger Masse verdrängt hat.
Ohne die Schrift, und d.h. ohne diese Enteignung, Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Sprache, ohne ihre Entfremdung in der Schrift, hätte es keine Großreiche gegeben.
Ist das Produkt des Bindens der Naturbegriff, und war es dieser Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, den es aber heute endlich zu lösen gilt?
Das Christentum hat mit der Rezeption der Philosophie im Dogma das Ungleichnamige gleichnamig gemacht; die letzte Folge dieses Geburtsfehlers der christlichen Theologie ist die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes (in dem man Links und Rechts nicht mehr unterscheiden kann und der die benennende Kraft der Sprache endgültig kassiert). Heute erstickt das Christentum an dieser Folge.
Die Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: das ist der Ursprung der Opfertheologie, die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Opfers, das Unterbinden der Nachfolge, der Verzicht auf die Umkehr, die Verdrängung der Gottesfurcht. So wurde die Kirche zum Scheffel über dem Licht.
Kafkas Wort, wonach es unendlich viel Hoffnung gibt, nur nicht für uns, sollte Anlaß sein, die Hoffnung, die es gibt, endlich auszuschöpfen.
Hegels Bemerkung, die Natur könne den Begriff nicht halten, ist zunächst ein Einwand gegen den Begriff, dann aber auch einer gegen die Natur.
Seit dem Universalienstreit ist Natur ein Totalitätsbegriff, aber zugleich ist der Begriff zum flatus vocis geworden.
Das Haupt – und dann auch das Oberhaupt (der Häuptling, Sich oder Etwas Behaupten, auch die Enthauptung): eine Ersatzbildung für das Angesicht?
Hängt Simon der Kananäer (der Eiferer, Zelot) mit Kana (Hochzeit von Kana, Verwandlung von Wasser in Wein; erneuter Besuch in Kana, Heilung des Sohns eines königlichen Beamten in Kafarnaum, die beiden „ersten Zeichen“ Jesu nach Johannes; Nathanael aus Kana, ein „echter Israelit“, den Jesus unterm Feigenbaum sah) zusammen? -
12.08.92
Es gibt keinen euklidischen Raum, es gibt nur euklidische Flächen (im orthogonalen Raum). Und die sogenannten nichteuklidischen Räume sind eigentlich Systeme nichteuklidischer Flächen im orthogonalen Bezugsraum.
Was passiert eigentlich sprachlich, wenn der Psalmensatz „… heute habe ich dich gezeugt“ mit Hilfe der Beweislogik auf das trinitarische Dogma von der Zeugung des Sohnes durch den Vater bezogen wird?
Der Rensch’sche Determinismus, sein Begriff der Willensfreiheit und der Freiheit überhaupt, hängt damit zusammen, daß er sein Naturgesetz-Konzept als Exkulpationsmittel mißbraucht. Er ist so unfähig, Freiheit in Beziehung zur Schuld zu begreifen, sondern nur in Beziehung zum Kausalgesetz; und da ist die Freiheit in der Tat das Wunder in der Erscheinungswelt, das er leugnen muß. So wird die Ethik für ihn gegenstandslos. (Vgl. u.a. S. 203)
Die Begriffe Wissenschaft, Natur und Welt bilden ein System, in dem keiner der Begriffe ohne den anderen besteht. Es ist das Verdienst der transzendentalen Logik Kants, das erstmals ins Bewußtsein gehoben zu haben. So wird nicht zufällig die nachfolgende Geschichte des deutschen Idealismus, die Abfolge der Systeme in ihr, durch das Verhältnis dieser drei Begriffe geprägt: Der Fichteschen Wissenschaftslehre folgt die Schellingsche Naturphilosophie und dann die Hegelsche Weltphilosophie. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man diese drei Begriffe auf die Theologie bezieht:
– Die Wissenschaftslehre leugnet die Offenbarung,
– die Naturphilosophie die Auferstehung der Toten und
– Hegels Welt-Philosophie leugnet die Schöpfung.
Grund ist das Verfahren der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die transzendentale Logik oder das Prinzip des Ursprungs und der Auflösung der Begriffe.
Objektivation und Instrumentalisierung: das scheint der Kern des Hegelschen Begriffs der List zu sein, aber mit der Instrumentalisierung verdampft die Idee der Wahrheit, verflüchtigt sich die benennende Kraft der Sprache. Die kritische Theorie verdankt sich der Reflektion des Instrumentalisierungsmoments im Hegelschen Begriff der Dialektik. Und genau diese Reflektion hat Habermas in seiner Kommunkationstheorie unterbunden: Konsens ist in der instrumentalisierten Welt nur möglich durch Unterwerfung unter „gemeinsame“, d.h. fürs Subjekt vorgegebene Ziele; diese „Gemeinsamkeit“ aber wird durch den Bruch in der Welt selber verwehrt. Auf diesem Wege ist das Herrendenken in die Habermassche Philosophie wieder eingewandert. Habermas hat begriffen, daß die Idee der Versöhnung, die der kritischen Theorie zugrunde liegt, auch die Änderung der Natur und die Aufhebung der Vergangenheit (die „Auferstehung der Toten“) mit einschließt; er hat nur die falschen Konsequenzen daraus gezogen.
Zur Bedeutung des Reliquienkults: Die Erinnerung des Martyriums ist der Realgrund des Bekenntnisses. Und das reale Schuld- (und Glaubens-) Bekenntnis ist das Bekenntnis, zu den Tätern und nicht zu den Opfern zu gehören (sich auf die Seite der Welt geschlagen zu haben). Daran erinnerten die Märtyrer. Die Verdinglichung dieser Erinnerung im Reliquienkult war zugleich der Ursprung des überwältigenden Exkulpierungs- und Verdrängungsapparats, zu dem die Kirche dann geworden ist. Der Schlüssel hierzu ist der Naturbegriff.
Mit der Opfertheologie wurde dem Opfer etwas aufgebürdet, was es nicht leisten konnte: wurde es nochmals verraten.
Es ist der wissenschaftliche Objektbegriff, der uns alle, ohne daß wir es auch noch wahrnehmen, auf die Seite der Täter transportiert und ans am Ende auf entsetzliche Weise stumm macht.
Die Marxsche Idee einer resurrectio naturae ist eine ähnliche contradictio in adjecto wie die einer Erschaffung der Welt.
Hegels Idee, daß die Substanz als Subjekt sich erweist, ist über den Weltbegriff vermittelt und nur um den Preis zu realisieren, daß durch den Begriff die verandernde Kraft des Seins dann auch die Substanz affiziert, ihr (wie allgemein dann der subjektlosen Natur) den Schein des Subjekthaften verleiht. So ist die spätere Welt-Philosophie Hegels schon in der Phänomenologie des Geistes angelegt.
Was mich am Angehörigen-Info stört, ist diese Larmoyanz, die gezielt genutzte Instrumentalisierung der eigenen Opferrolle. Darüber darf man freilich nicht vergessen, daß die Gefangenen in der Tat heute auch Opfer sind, und von denen, die ihre Strafhaft als Geiselhaft mißbrauchen, bewußt und gezielt dazu gemacht werden. Auch hier gibt es eine Instrumentalisierung des Opfers: eine der terroristischen Abschreckung dienende Instrumentalisierung (in der an die faschistische Vergangenheit erinnernder Wiederholungszwang weiterwirkt).
Bedeutung des Ursprungs des Futur II in der Sprache, Beziehung zum Inertialsystem (zukünftige Vergangenheit), zum Ursprung des Materiebegriffs (Zusammenhang mit dem Ursprung des Staates). Materie und der biblische Begriff des Staubs (Sündenfall, Name der Hebräer). Futur II: Begriffsbildung, Hypostasierung des Prädikats, Ursprung der Raumvorstellung und des Objektbegriffs (das sich in sich selbst reflektierende Prädikat). Wer ist die Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt? Und wie hängt Adam, der Staub ist und wieder zu Staub wird, mit der Tertullianischen Systematisierung der lateinischen Theologie zusammen, dem Ursprung des Personbegriffs und der Vorstellung, daß die Frau, wenn sie in den Himmel kommt, zum Manne wird?
Ist die christliche, an die Person gebundene Unsterblichkeitslehre im Gegensatz zur Lehre von der Auferstehung der Toten nicht doch die ausweglose Hypostasierung des Staubs (des Selbsterhaltungsprinzips, des Objektbegriffs, des Materiebegriffs)?
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