Habermas

  • 25.09.1996

    Gibt es in Staatsschutz-Prozessen heute kein Mittel mehr dagegen, daß die falschen Zeugen gewinnen? Ist nicht die bundesanwaltschaftliche Dialektik das Instrument der Konstruktion synthetischer Urteile apriori (die forensische Dialektik findet ihren Grund in dem mit dem Problem des apagogischen Beweises logisch verknüpften Prinzip, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist)?
    Das Präsens ist die Zeitform der zweiten Unmittelbarkeit. Diese Unmittelbarkeit verdankt sich dem „Seitenblick“, die jedes Handeln in ein gesetzlich determiniertes Geschehen transformiert (Ursprung des Naturbegriffs, der diesen Seitenblick festschreibt).
    Gott ist weder der Herr der Geschichte noch der Schöpfer der Natur: Er ist keine Legitimationsinstanz der Objektivierung.
    Der kirchliche Begriff der Sündenvergebung ist gnadenlos: Er trennt die Sündenvergebung vom Sündenvergeben, von der Versöhnung.
    Die Theologie heute ist die ebenso hilflose wie verkrampfte Auseinandersetzung mit der transzendentalen Logik, in die sie durchs Bekenntnisprinzip verstrickt ist. Die transzendentale Logik ist der Inbegriff einer Immanenz, die in den Grenzen der Subjektivität eingeschlossen bleibt, sie nicht zu sprengen vermag.
    Christliche Priester-Theologie hat den Heiligen Geist zum Gattungswesen und zum Agenten des Selbsterhaltungsinstinkts des Kirchentiers gemacht. Deshalb ist der Heilige Geist in den Kirchen verstummt.
    Die differentia specifica der Nachkriegsgeschichte gegenüber dem Faschismus, aus dem sie hervorgegangen ist, liegt in dem Fortschritt der Vergesellschaftung von Herrschaft: Nach dem Ende des Faschismus ist fürs Bewußtsein Herrschaft irreversibel von den Menschen auf die Dinge übergegangen. Habermas‘ Verzicht auf Naturkritik war die Kapitulation vor dieser Herrschaft der Dinge. Der Sieg des Objektivationsprozesses drückt unmittelbar in der Historisierung der Gegenwart sich aus, die sich selbst nur als vergangene Gegenwart (aus der Perspektive des Futur II, der zukünftigen Vergangenheit, deren merkwürdiger Doppelsinn erhalten bleibt) noch zu begreifen vermag.
    Hängt damit nicht die seit Jahren etablierte Redewendung, mit der der Redende sich selbst in den Konjunktiv setzt, zusammen: „Ich würde sagen, …“
    Zur frühmittelalterlichen Engellehre: Sind nicht die hierarchischen Strukturen (im Kosmos wie in der Gesellschaft) im Bann von Herrschaft erstarrte Reflexionsformen der Verdinglichung (der Begriffshierarchien)? Der Satz, daß „jetzt der Fürst dieser Welt hinausgeworfen wird“ (Joh 1231), bezeichnet einen (für das Verständnis des Christentums zentralen) sprachgeschichtlichen Sachverhalt.
    Gehört nicht zum Titel Menschensohn die ezechielische Konstellation der Individualisierung der Schuld (die Verwerfung der Erbschuld), die ohne die Übernahme der Sünde der Welt nicht zu halten ist. Der Menschensohn ist der Sohn dessen, durch den „die Sünde in die Welt gekommen ist“.

  • 23.08.1996

    Das Urteil, indem es „über“ das Objekt ergeht, konstituiert das Objekt (so wie das Urteil des Gerichts durch die Macht zu strafen Realität gewinnt).
    Der Wunsch, es möge mit dem Schicksal ein Ende haben, schließt das Ende der Schicksalsgemeinschaft mit ein: der Name des Volks verliert seine raison d’etre.
    Die ägyptischen Plagen treffen auch Tiere; gilt das auch für die Plagen der Apokalypse?
    Sind nicht die Evangelien der strikte Gegensatz der als „Rede von Gott“ sich verstehenden Theologie (der monologischen Verkündigung)? Schließt das Evangelium nicht in allen seinen Teilen ein dialogisches Element mit ein?
    Unser Lehrer in der Grundschule hat uns – nach einem Besuch Hitlers und seiner Teilnahme an einem Vorbeimarsch vor Hitler -am folgenden Morgen erzählt, jeder, der an diesem Vorbeimarsch teilgenommen hat, habe das Gefühl gehabt, daß Hitler ihn persönlich angeschaut habe. Als Kind habe ich diese Geschichte nicht begriffen, sie ist mir als Rätsel in Erinnerung geblieben. Ist diese merkwürdige Erfahrung nicht in der transzendentallogischen Struktur des Vorgangs vorgebildet, durch diese Struktur determiniert? Jeder fühlte sich als Objekt der Anschauung; und Hitler war das Subjekt dieser Anschauung.
    Ließe sich der Faschismus nicht insgesamt so definieren, nämlich als Versuch, die subjektive Form der Anschauung, die Abstraktion, die darin sich verkörpert, zur Norm der Politik zu machen? Dieser Versuch war apriori antisemitisch; die „Endlösung“ sollte die Abstraktion, die in den Formen der Anschauung sich verkörpert, in die Realität überführen. Die Juden waren das stellvertretende Opfer für das, was die Nazis sich selbst antun mußten.
    Hat nicht dieses Novum, daß Politik die subjektiven Formen der Anschauung zur Norm macht, den Faschismus überlebt, nur daß es zu dieser subjektiven Form der Anschauung kein Subjekt mehr gibt, die Welt zum Objekt der Sachzwänge geworden ist, die sie beherrschen? Erfüllt dieser Zustand nicht präzise die Definition der Finsternis?
    Dieser Vorgang wäre anhand der Geschichte der Rezeption Einsteins, der Rezeption der speziellen Relativitätstheorie, an der er sich demonstrieren läßt, zu begreifen.
    Zu den inneren Folgen der speziellen Relativitätstheorie gehört es, daß sie – ähnlich wie zuvor die kantische Antinomienlehre -die Vorstellung des Raumes in einer Weise verrätselt hat, die das Problem einer Lösung näher bringt.
    Unterscheidet sich nicht Sabbatai Zwi von Jesus durch die unterschiedliche Gestalt, in der sie den Tikkun vollzogen haben: Sabbatai Zwi ist zum Islam übergetreten, Jesus hat den Tod am Kreuz erlitten (und ist „zur Hölle abgestiegen“)?
    Hat der „Abstieg zur Hölle“ etwas mit der Einsicht zu tun, daß die Verurteilung den Schrecken nicht löst? In den Schrecken hinabsteigen, heißt das nicht auch, den Bann des Inertialsystems lösen, das ein Reich der Erscheinungen begründet, zu dessen Konstituentien die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, der Gebrauch der Todesgewalt als Erkenntnismittel, gehört?
    Habermas‘ Kapitulation vor dem für ihn nicht mehr reflexionsfähigen Naturbegriff war der Anfang einer Kommunikationstheorie, die die Herrschaftskritik durch das Konstrukt des „herrschaftsfreien Dialogs“, den es nicht gibt, ersetzte.
    Rechtfertigt nicht der „herrschaftsfreie Diskurs“ auch die RAF-Prozesse, die nur noch auf Herrschaftssicherung abzielen und alles, was zur Erkenntnis der Ursprünge der RAF beitragen könnte, jeden Versuch, auch im Falle der RAF in die Angeklagten sich hineinzuversetzen, apriori abblocken? Gibt es einen „herrschaftsfreien Diskurs“ ohne den Zwang, ihn zugleich durch Feindbild- und Frontdenken abzusichern?
    Die bloße Verurteilung des Faschismus ist post festum leicht und billig zu haben; aber rückt sie nicht zugleich alle Formen der Herrschaftskritik, die in diesem Kontext sich verwirren, ins Irrationale? Auch die RAF, die Herrschaftskritik glaubte durch terroristische Gewalt ersetzen zu können, war eine Gestalt dieser nun wirklich entsetzlichen Verwirrung.
    Hat nicht der Historikerstreit nur scheinbar die Fronten geklärt, oder hat er sie nicht auf eine Weise geklärt, die sie vielmehr endgültig verwirrt haben? Hat er nicht alle, die versuchen, in den Faschismus sich hineinzuversetzen, zu Häretikern erklärt, die das Dogma der Verurteilung nicht teilen?
    Wer heute das Gefühl hat, die möglichen Gesprächspartner sind tot und nur als Autoren von Büchern noch präsent, macht der nicht die Erfahrung, was es mit dem „Abstieg zur Hölle“ auf sich hat?
    Ist nicht das Fernsehen ein Hinweis darauf, welche universalen Formen der Gewalt zitiert werden müssen, um das Gedächtnis der Toten zu verdrängen?
    Waren es nicht die Theologen, die, als sie Hegels „Weltgericht“ als eine Bestätigung der theologischen Idee des Jüngsten Gerichts ansahen, rechts und links nicht mehr unterscheiden konnten? Das Jüngste Gericht, wenn es das einmal geben wird, wird das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht sein. Und steckt nicht genau hierin die Lösung der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links?
    Kann es sein, daß, wer Gräber schmückt und Blumen auf ein Grab pflanzt, sicherstellen will, daß der Ruf der Auferweckung bei den Toten nicht mehr ankommen wird? Geht er nicht davon aus, daß dieser Ruf, durch die Blume gesprochen, die Toten nicht mehr erreicht?
    Sind die Evangelien (was sie offensichtlich sogar für Theodor Haecker waren) eigentlich wirklich antisemitisch? Ist es nicht vielmehr so, daß man die scheinbar „antisemitischen Stellen“ erst dann wirklich begreift, wenn man den historischen Kontext (und die Ereignisse, die Flavius Josephus beschreibt) hinzunimmt? Und haben wir dann nicht viel mehr Grund, in diesem historischen Kontext die Gegenwart und in diesen „Juden“ uns selbst wiederzuerkennen: die christlichen Politiker in den Sadduzäern, die Kirchen und die Theologen in den Pharisäern, die gesamte Linke, bis hin zur RAF, in den Zeloten? Ist nicht vielmehr die Frage des Historismus: „wie es denn wirklich gewesen ist“, die das „Was“ von den eigenen Rechtfertigungszwängen sich vorgeben läßt, damit aber die Erinnerung an die Gegenwart ausblendet, antisemitisch?
    Werden die Evangelien nicht in der Tat durchsichtiger, verständlicher, wenn man auf den Hintergrund, in dessen Anblick sie geschrieben worden sind, bezieht: auf den Jüdischen Krieg und die Zerstörung Jerusalems? Verweisen nicht schon die apokalyptischen Reden und die Getsemane-Geschichte hierauf, und wird das nicht direkt benannt, als Jesus bei Lukas auf dem Weg zur Kreuzigung die Frauen aus Jerusalem anspricht: „Ihr Töchter Jerusalems, weint nicht über mich, weint vielmehr über euch und eure Kinder“ (2328)?

  • 15.08.1996

    Unter den neutestamentlichen Namen kommen Abraham und Isaak, Moses und Aaron, David und die Namen der Propheten nicht vor (mit zwei Ausnahmen: Zacharias ist Sacharja, und Simon Petrus wird einmal als Barjona, Sohn des Jonas, bezeichnet). Die am häufigsten vorkommenden Namen sind: Simon und Judas, Jakobus und Johannes, Joseph; auffällig sind der jüdische Gebrauch griechischer (und römischer) Namen: Andreas, Philippus, Alexander (Petrus, Paulus, Rufus). Bei den Frauen ist Maria fast ein Standard-Name, dazu Elisabeth, Hannah, Martha, Salome, Susanna.
    Unterstellt nicht dieses falsche Adorno-Zitat von Habermas „Eingedenken der gequälten Natur“, daß Adorno nur mit dem Negativen sich befaßt habe (nur mit der gequälten Natur, nicht mit der anderen Natur, was immer das sein mag)? Wer der Natur-Kritik glaubt enthoben zu sein, verdrängt die Wahrnehmung des Schreckens und verliert die Fähigkeit zur Kritik des Bestehen.
    Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Hinweis darauf, was mit dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, gemeint ist? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird. Steckt nicht hinter dieser Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz ein politisches und ein sprachlogisches Problem zugleich (und sind nicht die zentralen politischen Probleme zugleich auch sprachlogische Probleme)?
    Der Symbolbegriff schließt den affirmativen Gebrauch aus; es gibt keine ein für allemal gültigen Zuordnungen der Symbole zu ihren Bedeutungen. Das Symbol ist ein Reflexionsmedium, das gegen die verdinglichende Gewalt des Urteils sich richtet, diese Gewalt gegenstandslos macht. Es ist der Vorschein der Erfüllung des Worts, die nicht mehr nur im Medium der Sprache sich vollzieht.
    Beziehen sich nicht die drei Verdrängungsakte, die die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als ihr Schatten begleiten:
    – die Verdrängung der Sinnlichkeit (die in den Objekten keinen Halt mehr findet),
    – die Verdrängung der Kritik (deren Subjektivierung zur bloßen Meinung) und am Ende
    – die Verdrängung der Schuld (die zu einem pathologischen Gefühl wird, von dem das aufgeklärte Subjekt sich freizumachen hat -hierher gehört der ungeheure Verdrängungsakt, der nach dem Krieg die Schrecken des Faschismus durch Objektivierung der Erfahrung entzogen hat),
    auf die drei theologischen Themen, die am Angesicht, am Feuer und am Namen sich entzünden? Ist nicht das Angesicht der Schlüssel zur sinnlichen Erfahrung, das Feuer das Symbol der Beziehung der Kritik zur Idee der Wahrheit, und ist es nicht der Name, der die Fähigkeit der Erinnerung und Reflexion der Schuld begründet? Schuld wird zu einem pathologischen Gefühl, wenn der Name (wie der Gottesname in der Trinitätslehre) zu Schall und Rauch wird.
    Verhalten sich nicht Angesicht und Name wie Nähe und Ferne, und sind nicht beide durch das Feuer auf einander bezogen? Ist nicht der Name das unendlich Ferne, das Gesicht das unendlich Nahe, bezeichnen sie nicht die beiden Grenzen der räumlichen Unendlichkeit (die des unendlich Großen und des unendlich Kleinen), die durch die Orthogonalität auf einander bezogen sind?
    Wenn das Angesicht und der Name etwas mit der Form des Raumes zu tun haben, dann hat die Reflexion und Kritik der Form des Raumes etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun: mit der Idee des Leuchtens Seines Angesichts.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel rühren gemeinsam an das im Orthogonalitäts-Problem verborgene Problem des Feuers.
    Die Sinnfrage (die John L. Berger zufolge die Grundfrage der Religion ist) leugnet die Auferstehung. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, ontologisiert den Habitus des „neutralen Zuschauers“, der weder neutral noch bloß Zuschauer ist, er ontologisiert den Habitus des Herrenblicks (den heute das Fernsehen kultiviert); er leugnet die moralische Gemeinschaft mit der Welt und zerstört das moralische Selbstverständnis der Menschen. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, möchte die Last der moralischen Pflichten, die darin gründet, daß das Sein keinen von ihrem moralischen Verständnis (von der Sensibilität, von der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Leidens) unabhängigen Sinn hat, loswerden. Das Bedürfnis nach Sinn ist eine Konsequenz aus dem objektivierenden Verständnis des Seins.
    Die Frage nach dem Sinn von Sein ist antisemitisch (eine Ursprungsgestalt des eliminatorischen Antisemitismus im Sinne Daniel Goldhagens).
    Gibt es außer dem Blut des Abel und dem Leiden der Israeliten im Sklavenhaus Ägypten noch andere Dinge, die „zu Gott, zum Himmel schreien“? Ist der Schrei die Ursprungsgestalt des Gottesnamens?
    Der Hinweis, daß es nicht nur die eine, allen gemeinsame Welt (die eine Projektion unseres menschlichen, am Selbsterhaltungsprinzip geschulten Verstandes ist), sondern verschiedene, nach Gattungen getrennte Welten gibt, daß zu jeder Nation, zu jeder Sprache, zu jedem Beruf, insbesondere aber zu jeder Tiergattung (und diese Zuordnung ist die exemplarische) eine eigene Welt gehört, ist nicht metaphorisch, sondern in der Logik des Weltbegriffs selber begründet.
    Vgl. hierzu:
    – Kants Definition der Begriffe Natur und Welt sowie Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, weil es dann nämlich keine verschiedenen Gattungen und Arten der Tiere geben dürfe: zur einen Welt gibt es nur ein Tier;
    – aber auch die Geschichte der Benennung der Tiere durch Adam, an die die kantische Definition des Weltbegriffs rührt, und das apokalyptische Symbol des Tieres, das in Hegels Bemerkung über die logische Beziehung von Tier und Welt sich entschlüsselt: das Symbol des Tieres ist ein sprachlogisches Symbol;
    – und schließlich die Geschichte der Tieropfer, die ihr apokalyptisches telos im Opfer des Tieres und des falschen Propheten finden wird.
    Hat das Tier aus dem Meere etwas mit der griechischen (der prädogmatischen), das Tier vom Lande etwas mit der lateinischen (der postdogmatischen) Sprache zu tun?
    Wie hängt das Feuer mit dem Dingbegriff, und wie hängen beide mit der Geschichte der Instrumentalisierung zusammen?

  • 10.08.1996

    Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
    Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
    Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
    Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
    Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
    Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
    Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
    – der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
    – des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
    – der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
    – der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
    Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
    Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
    Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
    Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
    Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
    War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
    Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
    Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
    Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
    Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
    Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
    – zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
    – hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
    Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs.

  • 1.8.96

    Stephanus sah die Himmel offen und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 756). Wenn sich heute die Himmel öffneten, was würden wir sehen? Meine Entscheidung, Benediktiner zu werden, war – außer durch meine Beziehung zu Wolfgang Mias, die dann eher zu einem Hemmnis geworden ist – im wesentlichen auch durch zwei Bücher bestimmt: durch Henri Bremond: Das wesentliche Gebet (Regensburg 1936), und durch Theodor Filthauts Darstellung der Mysterientheologie (Die Kontroverse über die Mysterienlehre, Warendorf 1947). Die Geschichte der Säkularisation war auch die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Nominalismus, der Depotenzierung der erkennenden Kraft der Sprache, die auf die Kraft des Namens zurückweist, die Substituierung und Ersetzung der erkennenden Kraft der Sprache (des Namens) durch eine Gestalt der Erkenntnis, die glaubt und vorgibt, der Sprache äußerlich zu sein. Die Vorstellung, daß das Erkennen der Sprache eigentlich nicht bedarf, weil es unmittelbar auf Objekte sich richtet, während die Sprache erst ins Spiel kommt, wenn es darum geht, diese Erkenntnis an andere zu vermitteln; diese Vorstellung, die unterstellt, daß Sprache nur der Kommunikation, nicht jedoch der Erkenntnis dient, ist nicht widerspruchsfrei zu begründen. Sie entspringt zwei getrennten, jeder für sich inkonsistenten, dann aber, und zwar nicht real, sondern ästhetisch, durch Spiegelung, sich wechselseitig begründenden und legitimierenden Zusammenhängen: dem naturwissenschaftlichen und dem ökonomischen. Beide, so scheint es, begründen einen Begriff der Objektivität, der zu seiner Konstituierung der Sprache nicht mehr bedarf. Bezieht sich hierauf nicht das Gebot der Heiligung des Gottesnamens, dessen Erfüllung allein den Bann zu sprengen vermöchte? Johannes: Sein Vater ist Sacharja, seine Mutter Elisabeth; Jesus: Vater Joseph, Mutter Maria. Definition des Rechts: Organisation des Rachetriebs. Deshalb bezieht sich das Strafrecht generell auf Handlungen, auf Taten, nur im Falle des Mords auf den Täter: den Mörder. Das Recht kennt nur Strafe, keine Wiedergutmachung: Ihm geht’s nicht um die Opfer, sondern nur um die Restitution des Gewaltmonopols des Staates, um die Erhaltung einer Ordnung, die im Selbsterhaltungsprinzip gründet (zitiert nicht Susannah Heschel in ihrem Aufsatz in TuK Nr. 70, S.33ff, einen evangelischen Theologen, der erklärt, die christliche Ethik kenne keine Wiedergutmachung?). Was begriffen ist, ist definitiv; was verstanden ist, ist dialog- und diskursfähig. Ist nicht die pax Augusta die Grundlage des herrschaftsfreien Diskurses: eine Gewaltordnung? Auch der Verfassungspatriotismus ist ein auf Gewalt gegründeter Patriotismus. Zum Problem der Väter in den Evangelien siehe auch die von Bedenbender zitierte Mk-Stelle (deren Signifikanz B. nicht gesehen hat): Mk 1028ff, TuK 67, S. 19. Hat das Verschwinden der Väter („Laßt die Toten ihre Toten begraben“) etwas mit der Zerstörung Jerusalems zu tun? Und ist nicht das, was man den Antisemitismus in den Evangelien genannt hat, Ausdruck der Verzweiflung angesichts einer heraufziehenden Katastrophe, die sich nicht mehr aufhalten ließ, nicht aber ein Hinweis auf eine angebliche Mitschuld „der Juden“ an einem „Gottesmord“? Gehört nicht auch die Wahrnehmung hierher, daß der Begriff der „Vaterstadt“ nur im Kontext des Wortes erscheint, daß in ihr kein Prophet etwas gilt? (Wie kommt Nathanael, der einzige Apostel, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, zu der Frage, ob denn aus Nazareth etwas Gutes kommen könne?) Kinder und damit „Erben“ Gottes können nicht Kinder und Erben von Vätern sein? Feigenblatt: War nicht die Bekenntnislogik die Ursprungsform der theoretischen Objektivierung, mit dem Opfer als Kern des Objektbegriffs? Und gehört zur Bekenntnislogik nicht die Logik der Verurteilung, Grund der Distanz zum Objekt, das so der Erkenntnis durch Mimesis, durch Identifikation entzogen wird? Gehört nicht zu den Voraussetzungen des Verurteilungsmechanismus, der den Faschismus-Diskurs beherrscht, seine Nutzung als Feigenblatt, die ungeheure Verdrängungsleistung nach dem letzten Krieg (die die Bekenntnislogik erstmals unverhüllt hat hervortreten lassen)? Und stellt Daniel Goldhagen nicht diesen Verurteilungsmechanismus in Frage, wenn er die Nachkriegsverdrängung in Frage stellt? Eine der Konsequenzen aus diesem Verurteilungsmechanismus ist Habermas‘ Kommunikationstheorie, die mit der Verwerfung der Idee einer Kritik der Naturwissenschaften die Reflexion dieses Verurteilungsmechanismus ausgeblendet hat. Die Dialektik der Aufklärung ist dann auch konsequenterweise nur verdrängt, nicht wirklich aufgearbeitet worden. Die Sprache der Dialektik der Aufklärung war die Sprache der Verzweiflung, die erst im Munde der Schüler der Frankfurter Schule (die keine Schule war) zu dem Jargon geworden ist, den heute alle nur noch herauszuhören scheinen. Die Verurteilungslogik zündelt bloß, wo es darauf ankäme, selber durch das Feuer hindurchzugehen. Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen geholfen hat, war der Vater des Alexander und des Rufus (Rufus ist ein lateinischer Name; er bezeichnet einen Rothaarigen). In Röm 1613 läßt Paulus einen Rufus grüßen „und seine und meine Mutter“: War Simon von Cyrene der Vater des Paulus?

  • 31.7.96

    Welches Befreiungspotential steckt in der Wahrnehmung, daß nicht die Opfer, sondern die Täter nach dem Krieg sich frei von Schuld fühlten: Liegt hier nicht der Beweis, daß der Rachetrieb (der die Schuld auf sein Opfer verschiebt) nicht den Opfern, sondern allein den Tätern zuzuschreiben ist? Bezieht sich hierauf nicht der Satz von dem „einen Sünder“, über dessen Bekehrung mehr Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ebenso wie der letzte Satz des Jakobusbriefs: daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums (und ist dieser Irrweg nicht der der Projektion, der Weg, den das Schuldverschubsystem eröffnet) bekehrt, seine eigene Seele rettet und „eine Menge Sünden zudeckt“? Ist dieser Weg des Irrtums nicht der der Verblendung und Verstockung, und ist das nicht der Weg der Herrschenden: der Weg des Pharao? Hätte das Scheusal Ägyptens geopfert werden können (und wäre Israel auf andere Weise befreit worden), wenn es gelungen wäre, den Pharao (den „einen Sünder“) aus dem Irrweg seiner Verstockung herauszuholen. Die Griechen hatten die Fremdheit nach draußen (ins Anderssein, in die „Barbaren“) projiziert; zur Absicherung haben sie die Natur (die Totalität des Andersseins) erfunden. Die Christen haben die Fremdheit in die Vergangenheit projiziert (in die Juden und Heiden, die Verkörperungen der vergangenen Welten): Instrument dieser Projektion war die Lehre vom Sündenfall (die zur Vorstufe der Gravitationstheorie geworden ist); zur Absicherung haben sie die Hölle erfunden, die seit je für die Christen einen höheren Realitätsgrad hatte als die Himmel. Lassen sich hieraus nicht Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung, sogar die Scheiterhaufen, zwanglos ableiten? Unter einen Begriff werde ich (als Objekt) subsumiert, beim Namen werde ich gerufen. Hängt die Logik des Namens nicht mit der der Auferstehung zusammen? Verhalten sich Begriff und Name nicht wie Gericht und Barmherzigkeit? Verstärkt sich nicht der Eindruck, daß die Theologie heute verzweifelt sich bemüht, die Idee des seligen Lebens, ihre einzige Kraftquelle, zu verdrängen, sie nicht mehr laut werden zu lassen? Das kopernikanische System ist ein System von Bewegungen, deren jede in einem Abstraktionsschnitt sich konstituiert, in dem sie von den anderen jeweils absieht; die Einheit des Systems ist eine den einzelnen Bewegungen äußerliche: die des Raumes. – Die Erdrotation bezieht sich auf den Wechsel von Tag und Nacht, Licht und Finsternis, – das Kreisen der Erde um die Sonne auf den Jahreskreislauf; – worauf bezieht sich das Kreisen des Mondes um die Erde? Auf den Zyklus der Frau? Bezeichnet der mit dem paulinischen Begriff des Fleisches nicht das mit dem Ich gesetzte Ich-Fremde? Das würde auf den Zusammenhang des Begriffs des Fleisches mit der Sintflut verweisen („das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen; denn die Erde ist voller Frevel von den Menschen her. So will ich sie denn von der Erde vertilgen“, Gen 613), auf die Überflutung der Erde mit dem Ich und seinen Emanationen. Erinnert nicht das Freudsche „Wo Es ist, soll Ich werden“ an den paulinischen Begriff des Fleisches? Der Tod macht den Leib zum Fleisch. Ist es nicht das Kelch-Symbol, in dem die Herrschaft des Todes sich verkörpert, und gründet hierin nicht die Verknüpfung des Kelches mit dem Kreuz in der Getsemane-Geschichte? Sind es nicht die 99 Gerechten, die aus der Tatsache, daß Maria Magdalena, die große Sünderin und Büßerin, von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, den Schluß gezogen haben: Die muß es aber schlimm getrieben haben? Wer seine Seele retten will, wird sie verlieren; wer sie aber rettet, hat mehr als seine Seele gerettet. Der Christ müßte eigentlich fähig sein, den Satz, daß niemand über seinen Schatten springt, zu widerlegen. Im Kontext des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Existenz der Lichtgeschwindigkeit der Beweis, daß die Physik es nur mit dem Schatten zu tun hat. „Im Namen des Volkes“: Der Satz am Kreuz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ richtet sich eindeutig an die Richtenden; und sprechen kann diesen Satz nur das Opfer, der Verurteilte, nicht aber einer, in dessen Namen das Urteil gesprochen wurde. Die Natur kann den Begriff deshalb nicht halten, weil sie ihn zu halten versucht. Aus dem gleichen Grunde kann die Geschichte das Objekt nicht halten. Nur die Barmherzigkeit erreicht ihr Objekt: durch Auflösung des Begriffs im Namen. Ist nicht die Beziehung von Täter und Rachsucht der Beweis dafür, daß ich der Täter der Sünde Adams bin? Und genau hierauf bezieht sich der Satz des Täufers über Jesus vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich (nicht hinweg-) nimmt. Die Sünde der Welt, das ist die Erbsünde, und der eine Sünder, über dessen Bekehrung eine größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ist der Täter dieser Sünde, der endlich sich bekehrt. Die Sünde der Welt reproduziert sich durchs Recht. Das unterscheidet das Recht von der Gerechtigkeit. Ziel des Rechts ist die Erhaltung und Wiederherstellung des Rechts gegen den, der es verletzt, nicht die Gerechtigkeit. Mit dem Satz „Im Namen des Volkes“ konstituiert sich das Volk als Schicksalsgemeinschaft; die Wiederherstellung des Rechts ist nicht die Versöhnung. Und der Satz von Jutta Ditfurth, daß der Staat seine Terroristen braucht, verweist auf diese Logik, in der er gründet. An welcher Stelle der zehn ägyptischen Plagen finden die Allmachtsphantasien der Verwaltung ihren Platz? Hat das „Scheusal der Ägypter“ etwas mit der Zeusstatue im Tempel in Jerusalem. mit dem Greuel am heiligen Ort, zu tun? Und ist dieses Scheusal der Repräsentant der Allmachtsphantasien der Verwaltung (der subjektlosen Herrschaft)? Zu Habermas‘ Verfassungspatriotismus, den er wohl auf das Prinzip der Gewaltenteilung bezogen wissen will: Die Gewaltenteilung ist ohne Zweifel notwendig, aber ebensosehr auch reflexionswürdig, wenn sie nicht zum Prinzip der Selbstverblendung werden soll. Sind wir nicht dabei, die Legislative zum verlängerten Arm der Exekutive zu machen, und reproduzieren sich in der Jurisdiktion nicht immer deutlicher die Elemente der Exekutive? M.a.W., beginnt nicht die Gewaltenteilung sich selbst von innen aufzuzehren; droht nicht die Exekutive, sie zu verschlingen? Es gibt bereits Verwaltungen, die keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegen, die selbst als Legislative sich konstituieren: Vollzugsorgane der stärkeren ökonomischen Mächte, die sie beherrschen. Aufgrund objektiver Zwänge wird die Legislative immer mehr zum verlängerten Arm der Exekutive. Zugleich regrediert die Jurisdiktion in Verwaltung (werden reflektierende Urteile zu bestimmenden, zu synthetischen Urteilen apriori). Die Verwaltung wird zur Verwaltung des Wissens, mit dessen Hilfe sie Gesetzgebung (Natur) und Rechtsprechung (Welt) präjudiziert. Die Gewaltenteilung gründet in den Totalitätsbegriffen, die die Verwaltung zum Instrument der Transformation der Urteilskraft ins universale Vorurteil machen. Wird nicht das Gewaltmonopol des Staates durch das Wissensmonopol der Verwaltung abgesichert, wobei mit Hilfe der Geheimhaltung zwischen Herrschaftswissen und öffentlichem Wissen (zwischen Handlungskompetenz und Selbstdarstellung) deutlich unterschieden wird? Hierzu gehört es, daß der Staat bemüht ist, die Zuständigkeit der Medien auf den durch ihn definierten Bereich des öffentlichen Wissens einzuschränken, der Öffentlichkeit den Zugang zum Herrschaftswissen zu verwehren. Dem kommt der Informationsbegriff, das Selbstverständnis der Medien, auch ohne daß man gezwungen wäre, einen vorauseilenden Gehorsam zu unterstellen, weit entgegen, durch die Logik von Tatsache und Meinung, die zur Sache äußerlich sich verhält und den kritischen Begriff zur subjektiven Meinung, zum bloßen Raisonnement, und damit unschädlich macht. Rückt nicht ein Zustand immer näher, in dem es unmöglich zu werden beginnt, gegen das, was ist, noch anzuschreiben, in dem das Bestehende von der Logik seiner Rechtfertigung nicht mehr sich trennen läßt? Die These scheint begründbar zu sein, daß die Gewaltenteilung (wie auch die Konstellation der drei Totalitätsbegriffe Kants) das Gegenstück, das genaue Korrelat, zu der dreifachen Abstraktion darstellt, die das kopernikanische System determiniert und in ihm sich entfaltet. Bezeichnet nicht der Begriff der Determination (der Abstraktion von der Idee eines objektiven Ziels) das Grundprinzip der Begriffsbildung, das gleiche Prinzip, das den Objektivationsprozeß an den der Instrumentalisierung bindet? Durch dieses Prinzip ist das Verfahren der Begriffsbildung ans Selbsterhaltungsprinzip gebunden, und der Erkenntnisprozeß an ein Verfahren kollektiver Identitätsbildung (Ursprung des Nationalismus). Das reicht hinein in die Naturerkenntnis und in die historischen Gestalten der Kosmologie. Der Terminus, von dem abstrahiert wird, ist der Name und das Angesicht, und die Determination selber, der Abstraktionsprozeß, ist das Feuer. (Vgl. das ungeheure Bild in der sechsten der zehn ägyptischen Plagen, daß „der Ofenruß vor den Augen des Pharao gen Himmel“ geworfen wird.) Gehört nicht das Strafrecht zu den Konstituentien auch der logischen Determination? Ist nicht Kants Wort von der Erhabenheit des moralischen Gesetzes in mir und des Sternenhimmels über mir eine Station auf dem Wege der Selbstaufklärung der Aufklärung (auch der Astronomie)?

  • 28.7.96

    Ist nicht das Sektiererische an der Apokalypse ein Sprachproblem, eines, das in der Logik des Weltbegriffs gründet? Und ist nicht die Apokalypse der Schlüssel zur Lösung dieses Problems (des Problems des Fundamentalismus)?
    Man kann nicht magnificare mit Großmachen (Jankowski) und zugleich justificare (anstatt mit Gerechtmachen) mit Rechtfertigen übersetzen. Der Glaube, der gerecht macht, ist ein anderer als der, der rechtfertigt. Der eine steht vor der Tat, die er ändert, der andere folgt der Tat, die er nicht mehr nicht mehr rückgängig machen, sondern nur noch anders beurteilen kann. Der erste Glaube ändert die Praxis (und mit ihr die Welt), der andere nur das Urteil. Zwischen diesen beiden Gestalten des Glaubens liegt der Weltbegriff, der sie trennt. Der rechtfertigende Glaube gehört zur Anpassung an eine Welt, die sich doch nicht ändern läßt, während der gerechtmachende Glaube auf eine Welt sich bezieht, die ebenso änderungswürdig wie -fähig ist. Die Apokalypse, die für den rechtfertigenden Glauben ein Schreckensbild ist, deckt dem gerechtmachenden Glauben die Schwierigkeiten und Hindernisse auf, die sich ihm in den Weg stellen, auf deren Erkenntnis er um seines Ernstes und seiner Würde willen jedoch nicht verzichten kann.
    Das Wort vom „Zudecken der Sünde“ (Jak 520) fällt unter die Levinassche Asymmetrie (unter den Satz vom Rind und vom Esel); man darf es nicht auf sich selbst beziehen (auf die Verdrängung). Es ist die andere Seite des „Richtet nicht, …“. Hier läßt sich zeigen, daß Liebe (Gnade) etwas anderes ist als „Huld“, in der der „gnädige Herr“ nur sich selber spiegelt. Huld ist die abscheuliche Gnade von oben, die zugleich demütigt.
    Wer Religion als Kuschelecke sucht, tut der nicht dasselbe, was die Kirche seit je getan hat: in einer Welt, an deren Veränderung sie nicht mehr glaubt, sich komfortabel einzurichten? Auch das Dogma war einmal ein Teil dieses Komforts.
    Natur ist ein herrschaftsgeschichtlicher Begriff. Als Habermas seine Kant-Kenntnisse verdrängte und die Naturwissenschaften als nicht mehr hinterfragbar erklärte, hat er die Idee einer Kritik der Herrschaftslogik aus seiner Philosophie ausgeschlossen; so blieb ihm nur noch die Möglichkeit des „herrschaftsfreien Diskurses“, die es nicht gibt, auf der er gleichwohl seine Kommunikationstheorie aufzubauen versucht hat. Seitdem steht seine Philosophie unter Rechtfertigungszwang (aus dem sein Konzept des „Verfassungspatriotismus“, das die Idee einer richtigen Gesellschaft ersetzen sollte, allein sich erklären läßt).
    Beide, Natur und Welt, sind keine theologischen, sondern herrschaftsgeschichtliche Kategorien.
    Jede Blume und jedes Tier widerlegt das kopernikanische System.
    Zu den ägyptischen Plagen gehören:
    – das Wasser (auch das in „hölzernen und steinernen Gefäßen), das zu Blut wird (später wird Jesus Wasser in Wein und den Wein in sein Blut verwandeln?),
    – die Frösche, die u.a. in die Betten und in die Backtröge kriechen (vgl. die Geschichte mit Pharaos Weib und mit dem Oberbäcker; in der Apokalypse werden sie als „unreine Geister“ begriffen),
    – drei Insektenarten: die Mücken, das „Geziefer“ (Buber), und später die Heuschrecken,
    – die Pest, die der HERR über das Vieh der Ägypter (nicht über das der Israeliten) kommen läßt,
    – der Ofenruß, der zum Himmel geworfen zu Staub wird und an Mensch und Vieh (auch an den Zauberern) Beulen und Geschwüre hervorruft,
    – der Hagel, der zusammen mit Donner und Feuer alles erschlägt, was auf dem Felde ist, Mensch und Vieh, Gewächs und Bäume, auch Flachs und Gerste (nicht Weizen und Spelt, die später reifen),
    – dann die Heuschrecken, die alles fressen, was der Hagel übriggelassen hat (auch Weizen und Spelt),
    – dann die Finsternis und
    – am Ende der Tod aller Erstgeburt, vom Pharao bis zur Sklavin, auch beim Vieh.
    Paulus hat, außer an die Römer, u.a. auch Briefe an die Korinther, an die Thessalonicher und an die Galater geschrieben. Der Brief an die Römer ist wie die an die Korinther und Thessalonicher als Brief an die Bewohner Roms zu verstehen, und nicht, wie der an die Galater (oder an die Hebräer), an einen durch andere Kriterien definierten Adressaten. Aber kann es nicht sein, daß mit den Römern zunächst nur die Einwohner Roms, darüber hinaus aber auch die römischen Bürger insgesamt (zu denen auch Paulus gehörte) gemeint waren, eine politisch-rechtlich, nicht nur lokal definierte Gruppe? Hätte dieser Brief, so verstanden, dann nicht eine ganz andere, die Intention der paulinischen Völkermission („Heidenmission“) neu bestimmende Bedeutung? So wäre er ein Text der Selbstverständigung, eine Apologie, aber auch ein Programm.
    Wer sind die „Galater“, und weshalb schreibt Paulus einen Brief „an die Gemeinden <tais ekklesiais> in Galatien“ (während Johannes zum Eingang der Apokalypse die sieben Briefe an „die Engel der ekklesiai in Asien“ schreibt)? – Zu den „Galatern“ vgl. Der Kleine Pauly, Bd. 2, Sp. 666ff.
    Ist die Frage „Wer war Paulus“ eigentlich wirklich geklärt?
    – Hat Tarsus in Cilicien etwas mit Tarschisch zu tun (und Paulus mit Jonas, der nach Tarschisch floh, als er den prophetischen Auftrag an Ninive erhielt)?
    – Israelit, Benjaminit und Römer: Diese Identitätsnamen erinnern an
    . den „Schüler“ des Gamaliel,
    . den Eigennamen Saulus (und den Benjaminiten Saul, den königlichen Vorgänger und Gegenspieler Davids) und
    . den anderen Namen Paulus (mit dem er erstmals bei seinem Aufenthalt in Zypern, beim Statthalter Sergius Paulus, genannt wird; schließt das „Römer von Geburt“, das an „Römer von Natur“ anklingt, eigentlich eine Adoption aus? Natur selber, in deren Namen der der Geburt nachklingt, ist ein herrschaftsgeschichtlicher Begriff, ein Korrelat der patria potestas.)
    – Paulus war kein „Zelot“ (das aus der einen Stelle im Gal abzuleiten, ist ähnlich haltlos, wie der mittlerweile herrschenden, sachlich gleichwohl völlig unbegründeten Auffassung, die aus Rosenzweig aufgrund einer einzigen Erwähnung Heideggers zum Existentialisten gemacht hat); war Paulus nicht eher ein V-Mann der Herrschenden (der Hohenpriester, in deren Auftrag er die Gemeinde bis hin nach Damaskus verfolgte)?
    Hängt nicht der Satz aus dem Jakobus-Brief, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, mit dem letzten Satz des Buches Jonas zusammen („wie sollte ich mich nicht erbarmen, …“)?
    In welcher Beziehung steht der Name des Petrus („Fels“) zum Staub, aus dem Adam geworden ist, und zu dem er wieder werden wird (der war und wieder sein wird), und die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern zum Samen Evas, der der Schlange den Kopf zertreten wird?
    Wenn die Welt „das Objekt nicht halten kann“, wenn sie in einer gleichsam parasitären Beziehung zur Natur steht, die Hegel zufolge „den Begriff nicht halten kann“, ist das nicht ein genaues Abbild des Attributs des Tieres, das „war, nicht ist, und wieder sein wird“? Und war die Zukunft, die von der Vergangenheit aufgezehrt wird, nicht vorher schon die „zukünftige Vergangenheit“: das Futur II?

  • 17.7.96

    Hat das Mittelalter (nach der irischen/pseudodionysischen Revolution) den Satz des Kohelet „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ auf den Mond bezogen (und daraus seine Kosmologie entwickelt), und war dieser Paradigmenwechsel der Katalysator der kosmologischen Remythisierung der Theologie, ihrer Verschmelzung mit der Herrschaftslogik?
    Die Gravitation, die seit Newton zum Zentrum der modernen Astronomie und Kosmologie geworden ist, ist (wie das Medium der elektromagnetischen Prozesse und wie die Objekte der Mikrophysik, eigentlich wie unsere Vorstellungen und Begriffe insgesamt) unsichtbar.
    Gibt es nicht zwei getrennte und von einander zu unterscheidende natürliche Zyklen, des Tages- und den Jahreszyklus? Wodurch unterscheiden sich diese beiden Zyklen? Hat nicht die zyklische Folge von Tag und Nacht eine andere Qualität als die der vier Jahreszeiten? Gründet die zyklische Folge von Tag und Nacht in dem Wechsel von Oben und Unten, die der Jahreszeiten in der wiederkehrenden Folge der vier Himmelsrichtungen?
    Sonne und Mond sind auf den Tag und die Nacht bezogen. Haben Jupiter, Mars, Venus und Merkur etwas mit den vier Jahreszeiten (und den Himmelsrichtungen) zu tun (sind die vier apokalyptischen Reiter Repräsentanten dieser vier Planeten)? Und ist der Saturn, der siebte Planet, der Planet des Sabbats?
    Zur Venus: Hat nicht jede Lust Anteil an der Euphorie des Sterbens (und ist nicht die kantische Ästhetik als Theorie der Urteilslust, eine Theorie der Euphorie – nicht aber des Glücks, das das Erwachen voraussetzt)?
    Dazu gibt es eine dritte Periodik: die der „Sothis-Periode“. Bezieht sich hierauf das Wort „Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag“?
    In der jüdischen Tradition sind nur gehörnte Tiere Opfertiere. Welche Opfertiere gibt es, und welche Tiere haben außerdem noch Hörner? Was hat den Bock zur Symbolfigur des Teufels gemacht?
    Leben wir nicht in sadduzäischen Zeiten: Niemand glaubt mehr an die Auferstehung.
    Zum Kelch von Getsemane gehört der Schlaf der Apostel.
    Waren nicht die Evangelien die ersten Angehörigen-Infos? Auch sie waren in erster Linie getragen von den Müttern.
    Als Jesus sagte: „Denn wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut, der ist mit Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 1250 parr), da nannte er nicht den Vater (bei Lk fehlt auch die Schwester).
    Ist nicht die Gnadenlehre eine postdogmatische (und in dem Sinne lateinische) Lehre, setzt sie nicht das zur confessio geronnene Dogma voraus? Ist sie nicht der Reflex auf das, was man die Gravitationserfahrung nennen könnte (die Unaufhebbarkeit der Schwere, die Abgeschlossenheit und Unentrinnbarkeit der unteren, irdischen Welt)? Ist das Dogma die Schrift an dem sonst unerreichbaren Himmel?
    In der Kabbala gibt es zu dem Psalmvers „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr“ auch die Version „Aus der Tiefe rufe ich dich, o Herr“: Die Frage bleibt offen, wer in der Tiefe, wer unten ist.
    „Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“ (Buber-Übersetzung von Gen 12). Hat dieses „über“ etwas mit jener Tiefe zu tun? Ist es das gleich (unaufhebbare) „über“, das die Beziehung des Begriffs zum Objekt definiert (und ist die Oben-Unten-Beziehung eindeutig nur in dieser Beziehung)?
    Die Gravitation bezieht sich auf das stumme Innere der Dinge, das Licht auf ihre farbige Außenseite (nur als Wärme dringt es auch in ihr Inneres).
    Haben die Attribute des Tieres aus dem Wasser und des Tieres vom Lande etwas mit dem Satz „Der Himmel ist sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße“ zu tun?
    Die Propheten in den Büchern Samuel und Könige sind Königspropheten, erst die Schrift-Propheten handeln im Angesicht der Großreiche, der drohenden, dann auch eintretenden Unterwerfung Israels unter äußere Mächte.
    Ist nicht Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Profanen zum Messianischen der Schlüssel für den Satz, wonach am Ende, wenn Gott alles unterworfen sein wird, sich auch der Sohn Ihm unterwerfen wird, und Gott alles in allem sein wird (1 Kor 1528)?
    Daß das Lesen öffentlicher und intimer zugleich ist als der unmittelbare Umgang, widerlegt die Bedeutung, die seit Buber dem Begriff der Begegnung beigelegt wird.
    War nicht der habermassche „Verfassungspatriotismus“ (zusammen mit der Akzeptierung eines Rechts, das nur durchs formal geregelte Verfahren, nicht mehr inhaltlich sich legitimiert) nur die vornehmere Version der hitlerschen Abschaffung des Gewissens („dieser jüdischen Erfindung“)?
    Vgl. Mt 548 („seid vollkommen, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“) und Lk 636 („seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“).
    Liegt nicht das Problem der Vertriebenen-Verbände darin, daß insbesondere Schlesien seit dem siebenjährigen Krieg ein Legitimationsland war (Ursache des Übergangs der Reichsgewalt von Österreich an Preußen)? Liegen hier nicht auch die Gründe für einige Eigenheiten Schlesiens, insbesondere für die merkwürdige Gestalt des schlesischen Katholizismus (eine Mischung aus Anpassung, Hybris und Sentimentalität). Hat es nicht schon in Adenauers Zeiten, und jetzt erneut nach der „Wiedervereinigung“, eine zwar nicht offizielle, darum aber nicht weniger wirksame Politik gegeben, die (aus Gründen der Legitimität) auf die Revision der Ergebnisse des letzten Krieges hinausläuft?
    Die schriftstellerischen Fähigkeiten Christinas von Braun profitieren offensichtlich von ihrer Arbeit als Filmemacherin, von ihrer Fähgikeit, Themen in Handlungen zu übersetzen. Aber ist das nicht eine Anforderung, die an jede „Theorie“ zu stellen ist, daß sie aufhört, bloß „objektiv“ über Sachen zu reden, diese Objektivität vielmehr aufbricht, sie aufschlüsselt mit Hilfe der Logik des Handelns anstelle der des Seins, mit Hilfe der Ethik anstelle der Ontologie (war das nicht der parvus error in principio von Habermas, daß er das Handlungskonzept durch ein Kommunikationskonzept <die Handlungsgemeinschaft durch die Kommunkationsgemeinschaft> ersetzt, damit gleichsam die Ontologie durch die Hintertür wieder eingeführt hat)?
    Gilt dieses Projekt des Aufbrechens der Objektivität nicht auch für die Geschichte der Theologie (und hier vor allem für die Opfertheologie, die das Handeln ontologisiert hat)?
    Den Bann des Mythos sprengen, heißt: den ihm einbeschriebenen Bann der Vergegenständlichung und damit den logischen Kern der Schicksalsidee sprengen. Ist nicht die transzendentale Ästhetik in jeder Gestalt die instrumentalisierte Schicksalsidee, und reproduziert sich nicht durch sie der Mythos in der Aufklärung? Deshalb ist der Titel der Adornoschen „Ästhetik“ falsch: Angemessen wäre der Titel Kunstkritik (ebenso wie Kapitalismuskritik, Kritik der Naturwissenschaften, Kritik der Geschichte: Kritik des Weltgerichts, des blinden Flecks, der Verblendung durch Objektivität).

  • 15.7.96

    Es ist die Orthogonalität als Norm, die die Größen in kontinuierliche und diskrete Größen aufspaltet.
    Verhält sich nicht die Wiedergeburt zur individuellen Unsterblichkeit wie die kontinuierliche zur diskreten Größe? Wahr ist allein die Lehre von der Auferstehung der Toten.
    Die indikativische Seelenunsterblichkeit ist als Imperativ das Selbsterhaltungsprinzip.
    Die Idee der Ewigkeit manifestiert sich nicht im mathematischen Reich der Zahlen, sondern allein im Namen. Das verhärtete Herz ist das gegen seinen Namen verhärtete Herz (das nicht hörende, unbelehrbare Herz), das Korrelat des Begriffs, dessen Objekt der Reue und der Umkehr unfähig ist.
    Ist nicht das Attribut der Größe der Knoten der zu lösen ist (es ist nicht zufällig dem als ersten zuerkannt worden, der den Knoten, anstatt ihn zu lösen, nur durchschlagen hat)? Die Größe ist das Attribut des gefallenen Morgensterns. Der Begriff der Größe enthält ein eindeutiges Richtungselement, das nach oben weist. Schlechthin groß ist, zu wem es kein Größeres gibt. Dem Begriff der Größe korrespondiert allein der der Tiefe (die „Tiefen des Satans“), die beide durch Richtungsumkehr auf einander bezogen sind, sich nur durch ihren Objektbezug unterscheiden: Nur die Größe ist ein Objektattribut, während die Tiefe ein reiner Richtungsbegriff ist; damit hängt es zusammen, daß, während die Größe über den Raum sich erhebt, die Tiefe im Raum verbleibt, den Raum, dem sie nicht zu entfliehen vermag, gleichsam in ihrem Rücken hat. Zur Lösung dieser Beziehung dürfte es dienlich sein, wenn man den Raum als Inbegriff des Instrumentellen begreift. Groß wäre dann das über jede Instrumentalisierung Erhabene (der Herr aller Hierarchien), während die Tiefe (deren Begriff den entscheidenden Hinweis zur Lokalisierung der Hölle gegeben hat) den Ort der absoluten, ausweglosen Verstrickung bezeichnet.
    War es nicht ein tiefer machtpolitischer Instinkt Kohls, der ihn geleitet hat, als er sich weigerte (und dann auch damit sich durchsetzte), im Zuge der Wiedervereinigung das Grundgesetz zu ändern, es neuzufassen? Die Wiedervereinigung durfte nur als Angliederung an einen bestehenden Bundesstaat (ein Staatenbund, der sich selbst als Staat versteht) erfolgen, der nur so, als fortbestehender, nicht aber als neuzugründender, das machtlogische Erbe des Reiches zu verkörpern in der Lage war. Das hat Änderungen des Grundgesetzes (nämlich als Anpassung an veränderte Verhältnisse, deren übergeordnete Macht damit anerkannt war) nie ausgeschlossen, nur daß diese Änderungen von den Erfordernissen der übergeordneten Instanz, niemals jedoch von den angegliederten Staaten auszugehen hatten. Das Grundgesetz erwies seine Unberührbarkeit gleichsam dadurch, daß es gegen alle Änderungswünsche, die von unten kamen, ausgesessen wurde. Damit war auch der Zugang, durch den die „Angliederung“, die eine Einverleibung war, zu erfolgen hatte, definiert.
    Ist nicht der, dem man „in den Arsch kriecht“, einer, an den man über die Ohren nicht herankommt? Und ist nicht das das Problem der Öffentlichkeit heute?
    Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist an dem Satz de Gaulles, den er im Hinblick auf Sartre einmal gesagt hat, zu erkennen: Einen Voltaire zieht man nicht vor Gericht. In Deutschland hingegen war es nur eine folgenlose (und dann auch sofort verdrängte) Einsicht der Philosophie, eigentlich nur der Philosophie Kants, daß die Vernunft größer ist als der Staat. Heute steht dagegen schon der Staatsanwalt (die einzige Institution, die noch ein philosophisches Erbe, nämlich das der hegelschen Philosophie, zu verkörpern scheint).
    Was würde herauskommen, wenn man den habermasschen „Verfassungspatriotismus“ mit den Grundgesetzänderungen des letzten halben Jahrhundert konfrontiert? Wäre dieser Verfassungspatriotismus nicht als eine Form der Subreption erkennbar, die die Realität der Verfassung mit ihrer Idee verwechselt? Auch am Verfassungspatriotismus wäre zu demonstrieren, daß jeglicher Patriotismus ein Instrument der Blendung ist (einer Blendung, deren Quelle bei Habermas präzise sich bezeichnen ließe). Übriggeblieben ist eine Gestalt der Kritik, die das Bewußtsein ihrer Ohnmacht in sich mit aufgenommen hat: Kritik als Raisonnement.
    Muß man nicht Erbsünde und Erbschuld unterscheiden, und wird nicht am Ende diese Unterscheiden darauf hinauslaufen zu begreifen, daß es nur eine Erbsünde, aber keine Erbschuld gibt? Erst als vergangene Tat wird die Sünde zur Schuld, worauf es ankommt ist aber das gegenwärtige Tun: die Vermeidung der Sünde, nicht die der Schuld. Nur daß das allein möglich ist durch Reflexion des Schuldzusammenhangs, die allein den Bann zu brechen vermag, der das Fortzeugen der Sünde determiniert. Der Schuldzusammenhang gründet in einer Logik, die alles Tun ins Licht der Vergangenheit rückt.
    Die Idee der ewigen Anschauung Gottes trägt den Keim des Selbstdementis in sich. Das Angesicht Gottes ist kein Gegenstand der Anschauung.
    Die Apokalypse, und nicht (wie etwa Hegel – und mit ihm die Mehrheit der christlichen Theologen – meinte) die Trinitätslehre, ist die Offenbarung Jesu, und ihr Grund ist das „Zeugnis“ Jesu, sein Martyrium.
    Zur Confessio, der vergeistigten Gestalt des Martyriums, gehört das Confiteor, aber eines, das den „Bruder, der etwas gegen mich hat“ zum Adressaten hat, und nur insoweit auch Gott und alle Heiligen. Das Confiteor der Messe schließt die Verwechslung des Adressaten mit dem, in dessen Angesicht ich bekenne, nicht aus. Erst die Rücknahme dieser Verwechslung befreit das Credo vom Bann der Bekenntnislogik und die Religion vom Rechtfertigungszwang.
    Öffentliche Kraft gewinnt der Glaube nicht durch Affirmation, sondern allein durch Kritik, durch Kritik auf dem Boden der Solidarität mit denen, die unten sind. Jeder Glaube, der es versäumt, sich zur Stimme derer, die unten sind, zu machen, ihnen seine Stimme zu leihen, ist Kleinglaube.
    Die Pharisäer-Kritik, und zwar nicht als Geschichte, sondern als prophetisches Wort, ist ein zentrales Motiv der Evangelien, ein Indiz zugleich für meine These, daß die Evangelien von der Prophetie primär durch den Ursprung des Weltbegriffs, der alle Relationen verschiebt, sich unterscheidet: Der Pharisäismus, die Heuchelei, ist ein Systemelement des Weltbegriffs. Als Schuldverschubsystem begründet der Weltbegriff die Logik der Projektion, und damit der Heuchelei.
    Ist es nicht die logische Gewalt der Institution des Eigentums, die den Naturwissenschaften gleichsam ontologische Qualität verleiht? Das Medium, über das die eigentumslogischen Strukturen in die Naturwissenschaften hereinkommen, sind die subjektiven Formen der Anschauung (sind Raum und Zeit, ist das Inertialsystem).
    Zum Begriff der Größe: Aus welchen Gründe wurden dem Papst Gregor und dem Philosophen und Theologen Albertus Magnus (dem Lehrer des Thomas von Aquin) das Attribut beigelegt?
    Josef (der Vater Jesu) kommt als Person nur bei Matthäus und Lukas vor; bei Markus und Johannes wird Jesus gelegentlich Sohn des Joseph genannt. Bei Matthäus nennt der Engel Joseph im Traum Sohn Davids, sonst wird nur Jesus so genannt.
    Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte, kannte auch den Namen Gottes nicht. Hängt nicht beides mit einander zusammen, und findet darin nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens (dieses Pharaos) ihren Grund?
    Sind nicht die zehn ägyptischen Plagen Manifestationen der Verdrängung des Schuldzusammenhangs, welche Verdrängungen dann als Plagen erscheinen?
    Bezeichnet nicht der Genitiv eine Eigentums- und Herrschaftsverhältnis? Weshalb wird der Genitiv dann auch zur Bezeichnung der Vater-Sohn-Beziehung verwandt? Ist die Genitiv-Beziehung auch das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt, Welt und Natur (woraus der griechische und der lateinische Name der Natur und die Differenz beider sich begründen ließe)? Ist nicht der griechische Begriff der Materie abgeleitet vom Holz, der lateinische hingegen vom Namen der Mutter?
    Weshalb muß im Dogma die Mutter eine virgo sein? War die theotokos schon im Griechischen eine (dazu noch unbefleckt empfangene) Jungfrau? Gibt es zum Confessor und zur Virgo ein griechisches Äquivalent? Falls nicht, so wäre das der deutlichste Beleg dafür, daß das lateinische Kirchen- und Theologieverständnis nachdogmatisch ist.
    Eine Begriffsgeschichte des Begriffs der Natur müßte den Wechsel von physis zu natura mit reflektieren: Fällt nicht in diese Reflexion die Geschichte des Dogmas, zu der auch die Titel Kirchenvater und Confessor gehören? War Tertullian noch ein Kirchenvater, und war er nicht der erste Confessor? Und war Augustinus, der sich nach Augustus nannte, selber auch Confessor und zugleich der letzte Kirchenvater? Augustinus war im übrigen wohl der einzige Kirchenvater, der auch einen Sohn (Adeodatus) hatte, dessen Mutter er freilich verstoßen hat.
    Ist nicht das Confiteor ein Passivum, zu dem es kein Aktiv gibt? Und ist nicht dieser sprachliche Sachverhalt die Grundlage des Gnadenbegriffs? Und rührt nicht auch die Konstellation, daß Augustinus zugleich Kirchenvater und Confessor war, an den Grund seiner Gnadenlehre, zu der es – soweit ich sehe – in der griechischen Theologie keine Entsprechung gibt? Vgl. hierzu die Entwicklung der (an die Konfession gebundenen) Gnadenlehre von Augustinus über die Scholastik bis hin zu Luthers Rechtfertigungslehre.
    War nicht die „Erzeugung“ der Trinitätslehre durch die Kirchenväter das genaue Modell der Vater-Sohn-Beziehung in der Trinitätslehre?
    War nicht das „Um Gotteswillen“, das mir entfuhr, als ich nach vierzig Jahren meine Briefe an Martin Buber erstmals wieder las, wörtlich zu nehmen?

  • 10.7.96

    In der Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft“ verbindet Kant das „Gefühl der Lust“ mit der Vorstellung einer „Zweckmäßigkeit der Natur“ (Ausgabe Meiners Hamburg, 1954, S. 23ff). Aufgrund dieser selber apriorischen Vorstellung der „Zweckmäßigkeit der Natur“ ist Kant zufolge auch das Gefühl der Lust „durch einen Grund apriori und für jedermann gültig bestimmt“ (S. 24). Hat Kant hier nicht den systemischen Grund der Kunst (das ästhetische Äquivalent der subjektiven Formen der Anschauung), und damit das logische Prinzip, das dann Hegels Ästhetik ermöglichte, bestimmt? Ist nicht zugleich und darüber hinaus die Vorstellung einer „Zweckmäßigkeit der Natur“ eher eine historische als eine naturwissenschaftliche Kategorie, rührt sie nicht an den emphatischen Gebrauch des Naturbegriffs in den Erörterungen Kants zur „Weltgeschichte“, zur Frage eines Endzwecks der Menschheitsentwicklung, die Hegel dann in seiner Geschichtsphilosophie geglaubt hat, endgültig beantworten zu können (allerdings um den Preis der Ästhetisierung der Geschichte wie der Vernunft)? – Ist die Kunst der apokalyptische „Unzuchtsbecher“? Nach Kant ist jede Lust, auch die „sinnliche Lust“, Urteilslust; ihre Grundlage ist der Weltbegriff. Ist damit nicht die moralische Entgegensetzung von Vernunft und Sinnlichkeit ebenso irreführend wie die inhaltliche von Aufklärung und Mythos? Der Mythos wird erst dann begriffen sein, wenn das mythische Element an der Schwelle von Mythos und Aufklärung, am Dogma, begriffen ist. Die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit der Natur wird in der Natur selbst real in der Gestalt des Tieres. Das Tier ist ein durch seine immanente Teleologie (durch den „Selbsterhaltungstrieb“) selber Instrumentalisiertes, es steht unter dem Bann der Natur, aus dem nicht die Selbsterhaltung, sondern allein die Sprache herausführt. Die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit der Natur ist ein Reflex der Selbsterhaltung. Das Feuer und der Tod widerlegen die Vorstellung eines absoluten Naturzwecks. Der Unzuchtsbecher ist zugleich der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms. Stellt nicht Hegels Definition des Wahren der Philosophie die Diagnose: Alkoholismus?
    Carl Friedrich von Weizsäcker hatte den Satz, daß eigentlich nicht studieren dürfe, wer es nicht selber bezahlen könne, nicht zu mir, sondern in meiner Gegenwart und über mich zu einem andern (einem Mitglied seiner Familie) gesagt. Ist nicht diese kommunikative Konstellation (eine Konstellation der sprachlichen Ausgrenzung) ein Modell des Weizsäckerschen Erkenntnisbegriffs, ein Modell übrigens, das Habermas dann seiner Kommunikationstheorie zugrunde gelegt hat? Gibt es nicht einen Zusammenhang dieser Konstellation mit der dem Weltbegriff zugrunde liegenden Eigentumslogik? Und gründet nicht Kants „Gefühl der Lust“ in der gleichen Logik, die in dieser Konstellation ihren Grund findet? Ist diese Logik die Logik der „Verhärtung des Herzens Pharaos“?

  • 29.5.96

    In welcher Beziehung stehen Skulptur und Bild zum Raum? Die Skulptur steht im Raum, dessen dämonische Gewalt, vor der der Tempel sie nur scheinbar abschirmt, in ihm sich reflektiert; sie hat den Raum außer sich, wird dadurch selber zum räumlichen Objekt. Das Bild öffnet die Grenze des Raumes, der als subjektive Form der Anschauung durch den Betrachter verinnerlicht wird, während er zugleich in der perspektivischen Organisation des Bildes sich reproduziert.
    Aufklärung ist Feindaufklärung.
    In der Kabbala und im Märchen gibt es Könige, aber keinen (weltkonstituierenden und -beherrschenden) Kaiser. Von der Kabbala unterscheidet sich das Märchen durch die Gestalt des Prinzen, die in der Kabbala nicht vorkommt. Woher kommt der Name des Prinzen, hat er etwas mit dem christlichen Rezeption (und Umformung) des Märchens (und mit dem Gestalt des Erstgeborenen) zu tun? Weist der Prinz nicht deutliche messianische Züge auf?
    Der Habermassche „Verfassungspatriotismus“ – ein Wort, das in einer Zeit geprägt wurde, als die Verfassung bereits demontiert wurde – war ein Stück Zwangskomplizenschaft, die (ähnlich wie der Angriff der raf auf den Staat, nur von der anderen Seite her) die kritische Theorie zum Verstummen gebracht hat. – Kein Zufall, daß die 68er Bewegung das Problem des falschen Bewußtseins verdrängt hat. Damit aber war der Schlüssel zur kritischen Theorie des Faschismus verloren; der „Kampf gegen den Faschismus“ sah sich auf Mittel, die selber dem Arsenal des Faschismus entstammten, verwiesen: Es gab für ihn keine anderen mehr.
    Die 68er Bewegung steht unter dem Bann eines Provokationszwangs, der, indem er gegen die „Autoritäten“, vorab gegen die eigenen Eltern, sich richtet, vor den unerfüllbaren Forderungen des Über-Ichs kapituliert, damit aber der Ich-Bildung den Boden entzieht.
    Die Verwerfung der Barmherzigkeit (des Gedankens, daß es ein reines Draußen nicht gibt) führt direkt in die Paranoia (in die Zwänge der Logik der verfolgenden Unschuld).
    Zum Ursprung des Römischen Rechts: War nicht das erste Handels- und Privatrecht Kriegsrecht (Produkt der inneren Organisation des Imperialismus)?

  • 27.5.96

    Verdinglichung hat einen magischen Kern. Deshalb konvergiert in Adornos Kritik der Verdinglichung der aufklärerische mit dem theologischen Impuls.
    Alle Magie ist Urteilsmagie, die Urteilsform die Wurzel der Magie, ihr Wurzelgrund, der Boden, aus dem sie erwächst: die subjektiven Formen der Anschauung, deren Reflexion das dringendste Desiderat des gegenwärtigen Standes der Aufklärung ist.
    Die Sprache unterscheidet sich von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion; in dieser Fähigkeit gründet die erkennende Kraft des Namens.
    Die „Wertfreiheit“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die Trennung von Wert und Sein, wird erkauft mit der Instrumentalisierung der Schuld (mit der Herrschaft des Schuldverschubsystems). Die Urteilsmagie ist die Kehrseite dieser Instrumentalisierung der Schuld.
    Das Schuldverschubsystem begründet die entlastende Logik des Weltbegriffs.
    Ist nicht Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ein Produkt des undurchschauten Glaubens an die magische Kraft des Urteils?
    Wie hängen die zehn ägyptischen Plagen mit der Konstituierung des Inertialsystems zusammen?
    Gibt es nicht bei Marx eine Stelle, an der es heißt, daß die Gesellschaft sich keine Probleme stellt, die sie nicht auch zu lösen vermag? Wie hängt das mit dem von Hinkelammert in seiner „Kritik der utopischen Vernunft“ zitierten Topos zusammen, daß das Bestehende in sich selbst die Kraft der Selbstrechtfertigung hat? Trifft dieser Satz nicht die Realität genauer (aber auch erschreckender)?
    Das Urteil eines Gerichts wird durch Beschluß gefällt. Drückt in dem Präfix be- (das im Englischen an die Stelle des Infinitivs „Sein“ tritt), in Worten wie Bekenntnis, Bekehrung, Beschluß, die Gewalt des Inertialsystems (der subjektiven Formen der Anschauung) über die Sprache sich aus? – Was unterscheidet den Beschluß vom logischen Schluß, das Bekenntnis vom Glauben und die Bekehrung von der Umkehr?
    Der Satz Hamlets „To be or not to be, that’s the question“ ist eigentlich nicht übersetzbar. Das mag man an dem späten Echo in Heideggers Satz, der etwas ganz anderes ausdrückt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, ermessen. In diesem Satz gründet jene Hypostasierung der „Frage“, die in Begriffen wie „Seinsfrage“, „Kostenfrage“, „Judenfrage“, die keine Antwort, nur noch Maßnahmen erwarten, sich aus. Hängt dieser Begriff der Frage nicht mit Miskottes Titel „Wenn die Götter schweigen“ zusammen, und widerlegt er ihn nicht?
    Ursprung des pathologisch guten Gewissens: Heideggers Fundamentalontologie hat der Logik des Inertialsystems, die die benennende Kraft der Sprache storniert, auslöscht, auch darin sich gleichgemacht und unterworfen, daß sie die Differenz zwischen Täter und Opfer verwischt, den Tätern die Möglichkeit eröffnet, sich vor sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie entspricht damit dem Stand der Aufklärung.
    Im Paradies waren die Menschen nackt, aber sie schämten sich nicht. Erst nach dem Sündenfall „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Ob sie sich dann schämten, wird nicht mehr gesagt, nur noch durch ihr Handeln stumm demonstriert: Sie machten sich Schurze aus Feigenblättern, die Gott dann durch Röcke aus Fellen ersetzte. Anmerkungen hierzu:
    – „Da gingen ihnen die Augen auf“: Sie lernten, sich in den Augen der andern zu sehen; war das nicht die Folge der Erkenntnis des Guten und Bösen und zugleich die Basis der Objekterkenntnis, der Ursprung der objektivierenden Kraft des Denkens?
    – Sind die „Röcke aus Fellen“ Symbol der Trennung von Vernunft und Physis, von Ich und Es, Hinweis auf den Ursprung sowohl des Unterbewußten als auch der unabhängig von der subjektiven Willkür und Kontrolle ablaufenden animalischen Funktionen in der eigenen Physis, auf den Ursprung des Triebs, der Begierde?
    Bezieht sich der gesamte Vorgang nicht auf einen sprachlichen Sachverhalt? Nur wer gelernt hat, sich in den Augen anderer zu sehen, steht unter dem Zwang, über andere als Objekte zu reden.
    Goethe hat die Farben die „Taten und Leiden des Lichts“ genannt. Ist nicht die gesamte Grammatik der corpus der Taten und Leiden der Sprache?
    Kommt der Titel Pharao so nur in der Bibel vor, oder ist er auch durch andere Quellen belegt? Der Kleine Pauly nennt die Bedeutung des altägyptischen Titels (das „Große Haus“), der „so auch im AT benutzt“ worden sei (Bd. 4, Sp. 711). Adelheid Schott schreibt in „Schrift und Schreiber im Alten Ägypten“, daß „schon griechische Autoren … uns das Wort als `Pharao`“ überliefert hätten (?), allerdings ohne Quellenangabe (S. 47); später verweist sie auf den etymologischen Zusammenhang des Wortes Papier (papyros) mit dem Wort Pharao („das des Hauses“, „das der Verwaltung“, S. 67).

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