Habermas

  • 14.12.95

    Vollendung der Mechanik: Wenn das Bestehende zum Betonklotz wird, dann müssen seine Kritiker aufpassen, daß sie nicht zu Betonköpfen werden.
    Zum Begriff der Religion: Nicht mehr Kitt, sondern Zement; nicht die Fensterscheibe, die die Innen- von der Außenwelt oder den Käufer vom Warenangebot trennt, sondern die Betonwand, an der man sich den Kopf einrennt. Im Bildschirm des Fernsehers maskiert sich diese Betonwand als Fenster. Das Fernsehen hat die Wohnungen zu Monaden gemacht: sie sind fensterlos (seitdem vertragen die real existierenden Fenster keine Gardinen mehr). Das Fernsehen transportiert nicht das Warenangebot ins Wohnzimmer, sondern das Wohnzimmer ins Innere der Ware (das sich beim Erwachen aus dem Alptraum der Logik des Tauschprinzips als das Innere der Hölle erweisen wird).
    Faschismus als Modernisierungsschub: War Hitler der Vorläufer, das Modell und die Keimzelle des Fernsehens? Läßt diese Frage in eine der Kritik der politischen Ökonomie sich übersetzen (Selbstzerstörung der politisch-moralischen Kategorie der Souveränität)?
    Das Wort, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels (wieder-)kommen wird, enthält einen Hinweis auf einen Prozeß im Begriff und in der Struktur der Öffentlichkeit, auf den wirklichen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“.
    In der Unterscheidung von Macht und Herrschaft spiegelt sich die von Wut und Zorn. Zur Bestimmung der Begriffe Herrschaft, Macht und Gewalt vergleiche die Bemerkungen von Emmanuel Levinas zum Begriff der Gewalt (Schwierige Freiheit, S. 19, 25). Sind nicht Gewalt und Macht Manifestationen der Herrschaft, reflektiert im Medium der Gemeinheit (der Urteilsform), und verhalten sich Gewalt und Macht wie Natur und Welt (wie Objekt und Begriff)? Deshalb ist die Frage der Gewalt eine essentielle Frage der Linken, die der Welt ihre Naturseite (der Weltgeschichte die Naturgeschichte) vorhält, während die Machtfrage das Erkennungszeichen, an dem die Rechten sich erkennen, ist (Gewalt ist eine Form der Herrschaft, die den Begriff nicht halten kann).
    Gewalt ist ein Akt der Befreiung, nur die Nazis haben „die Macht ergriffen“.
    Unterm Rechtfertigungszwang schnurrt die Wahrheit zusammen zur Ideologie, zum puren Bekenntnis, entfaltet sich in ihr die Bekenntnislogik, zu deren Elementen das Feindbild, die Eliminierung der Häretiker und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehören.
    Wenn ein Mord sich verständlich machen, niemals aber sich begründen läßt, dann einzig unter dem Aspekt der Notwehr, aber nicht mit dieser unsäglichen Begründung, daß Geiselnahme immer auch die Möglichkeit des Tötens mit einschließt (gleichsam eine Situation, in der Notwehr sich nicht ausschließen läßt), oder dem Hinweis auf „absolut negative Menschen“, die nicht sich ersetzen lassen. Diese Logik ist antisemitisch (der Holocaust wurde als ein präventiver Akt der Notwehr verstanden, die jüdische Rasse als eine Gruppe absolut negativer Menschen).
    Der Versuch, einen Mord zu rechtfertigen, gerät zwangsläufig zur Begründung, zur Festlegung einer Norm, die dann auch auf andere Fälle sich anwenden läßt. Da aber sei Gott vor.
    Läßt sich nicht die Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht auf die Nachkriegsgeschichte anwenden, in der die Verlierernationen (Deutschland und Japan) am Ende über die ehemaligen Siegermächte triumphieren?
    Sind nicht die Streiks in Frankreich eine Folge der Übertragung der deutschen Wirtschafts- und Währungspolitik (Standort Deutschland und Stabilität der DM) auf die EU? Und ist nicht die Konstruktion der EU, die nur eine neue, demokratisch weder legitimierte noch kontrollierte Verwaltungsebene geschaffen hat, ein Hinweis auf die politisch-ökonomischen Gesteinsverschiebungen, die der Faschismus ausgelöst hat: der Sieg der Ökonomie über die Politik, die Rückverwandlung von Politik in Verwaltung? Ein Subjekt dieses Vorgangs ist nicht mehr erkennbar, der rechtspolitische Begriff der Souveränität (das Bewußtsein der Verantwortung des Staates für die Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens, das ersetzt worden ist durch den gegen jede Kontrolle abgeschirmten Gebrauch des staatlichen Gewaltmonopols) ist endgültig gegenstandslos geworden. Wozu der Staat allein noch gebraucht wird, ist ideologischer Natur: er ist zur Exkulpationsmaschine geworden, der die Gewalt, die er nicht mehr beherrschen kann, wenigstens rechtfertigen soll.
    Hat nicht Heinrich Böll mit seinem Wort vom verfaulenden, verrotteten Staat ein Stichwort geliefert, das in der Lage wäre, das Marxsche Konzept vom Absterben des Staates zu spezifizieren: Der Staat ist abgestorben, aber ohne daß etwas anderes an seine Stelle getreten wäre, und wir wohnen im Augenblick dem Verwesungsprozeß bei, dem Prozeß der Verrottung und gleichzeitigen Vergiftung aller Lebensverhältnisse.
    Der Staat hat in einer Reihe von Institutionen die Einrichtungen geschaffen, die dazu dienen, ihm die Last Souveränität, der Entscheidung und der Verantwortung dort, wo er sich unfähig weiß, sie zu tragen, abzunehmen (Verfassungsgericht, Bundesbank). Die wütende Reaktion auf einige Urteile des BVG, die dem Exkulpationsbedürfnis des Staates nicht entgegenkamen, ist nur so zu erklären. Der vorauseilende Gehorsam der Deutschen Bundesbank, ist da schon genehmer.
    Der Kopf des Fisches: Der Verrottungsprozeß des Staates hatte eine Vorgeschichte, er war schon zu erkennen an seinen letzten höchsten Repräsentanten, am Kaiser Wilhelm und an Hitler.
    Versucht nicht dieser Prozeß gegen Birgit Hogefeld die Verfahren gegen die raf auf eine neue Ebene zu schieben? Geht es jetzt nicht energisch an das Konzept der Konstruktion synthetischer Urteile apriori, der Einbeziehung des ganzen raf-Komplexes in ein reines Subsumtionsrecht, in dem es dann auch der Kronzeugen nicht mehr bedarf? Dazu gehört u.a. das Verfahren der Einführung bereits rechtskräftiger Urteile, die falsch sein mögen, die aber den Vorzug haben, daß sie einer nochmaligen Beweisführung nicht mehr bedürfen, somit gegen jede erneute Diskussion abgesichert sind. Hierher gehört insbesondere auch der Teil aus der Anklage gegen B.H., der auf ihre Beteiligung an dem „Mord“ und den „Mordversuchen“ in Bad Kleinen abstellt. Wird hier nicht eine Logik konstruiert, die dann als Subsumtionslogik auf alle weiteren raf-Verfahren, die noch anstehen mögen, anwendbar wäre, in jedem Falle aber die Wirkung einer Präventivabschreckung haben würde. Einer Präventivabschreckung, die u.U. dann auch auf den gesamten Bereich der herrschaftskritischen Reflexion und gegen jede Form der Staatskritik sich anwenden ließe (die Habermassche Konzeption des herrschaftsfreien Diskurses, könnte sich als ein Stück vorauseilenden Gehorsams erweisen), nach dem mittelalterlichen Rechtsgrundsatz: Mitgefangen, mitgehangen.
    Hat nicht der Gesetzgeber dem schon vorgearbeitet, und tut er es nicht weiterhin? Nur: Niemand merkt’s mehr. Wenn’s hoch kommt, dann reicht’s nur zum folgenlosen Protest.
    Der Frontbegriff und die Verräterdiskussion waren logische Fallen, in die alle Empörten hereingelaufen sind. Die Empörungslust war von Anfang an sexistisch.
    Die Uniform hebt das Tötungsverbot auf, indem sie das Gesicht löscht. (Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verständnis des Hegelschen Begriffs der „Aufhebung“? Ist die Aufhebung der Transformator, der das Gebot in ein Gesetz verwandelt, gehört der Begriff der Aufhebung zu den Konstituentien der Bekenntnislogik? Ist das Dogma die aufgehobene Wahrheit?)

  • 11.12.95

    Was bedeutet der Begriff der Heiligung in dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“? Heißt es nicht, daß hier eine Sache nur der Kritik entzogen wird? Gehört es nicht in einen Zusammenhang, in dem Blasphemie und Majestätsbeleidigung (Verunglimpfung staatlicher Symbole) nicht mehr sich unterscheiden lassen, ist es nicht eine Heiligkeit, die als Unberührbarkeit der Macht sich begreift: als Verdinglichung des Heiligen? Es ist das genaue Gegenteil des Begriffs der Heiligung, der dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens zugrundeliegt.
    Zum Begriff des Neutrums gehört auch die grammatische Form des Indikativs, einer sprachlichen Form der Objektivität, die von allem Subjektiven (Wunsch, Zweifel, subjektiv Möglichem) gereinigt ist, das dann in den Konjunktiv verschoben wird. Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Kröner, Stuttgart, 19902) wird der Indikativ als „neutraler Darstellungsmodus“ definiert (S. 407). Vgl dazu Hegels Bestimmung des Ursprungs und der Form der Prosa (ein Begriff, der im ebengenannten Lexikon ebensowenig vorkommt, wie auch nur ein Ansatz zu einem Versuch der sprachlogischen Bestimmung des Neutrums).
    Als Habermas mit dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ das Thema verfehlte, hat er sich von der kritischen Theorie verabschiedet. Seitdem gilt er als ihr Vertreter.
    Heute ist die Gegenwart in einem Maße historisiert, daß jeder kritische Impuls Gefahr läuft, sich ins Kontrafaktische zu verlieren (zum ohnmächtigen und unverbindlichen Räsonnement wird, das die Betonwand des Wirklichen nicht mehr zu durchdringen vermag). Die kontrafaktische Reflexion bezieht sich nicht mehr nur auf vergangene Entscheidungen, sondern die Gegenwart selber ist in einem Maße vorentschieden, daß Reflexion insgesamt in Gefahr ist, kontrafaktisch zu werden.
    Merkwürdiges Gefühl beim Heribert Prantl: Er rührt an den Kern der Dinge, aber auf eine bloß noch räsonnierende Weise: auf die Weise des resignierten, ohnmächtigen Protests, dem die Kapitulation vor der Übermacht des Bestehenden schon einbeschrieben ist (vgl. Ulrich Sonnemann: Der verwirkte Protest, in: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, Hamburg 1963).
    Als Habermas die Natur von der Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft ausschloß, hat er vor der Übermacht des Bestehenden kapituliert.
    Heute reflektieren alle nur noch über die Sache, anstatt die Sache zu reflektieren. Wäre der Satz, mit dem das kommunistische Manifest beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – …“, heute nicht anders weiterzuführen: Anstatt auf den Kommunismus wäre er heute auf die Gestalt des abgestorbenen Geistes (und nur so gewinnt der Name des Gespensts Realität), die in den Banken umgeht und rumort, zu beziehen. Der Macht und dem Tun dieses Gespenstes ist es zu danken, wenn heute der Name des Geistes endgültig obsolet geworden zu sein scheint. Als der Faschismus Vergangenheit geworden ist, hat er die Gegenwart in diesen Hades mit hereingezogen. Auf dem Boden der Katastrophe gibt es nur noch die Macht der Reflexion; wer glaubt, auf diesem Boden eine andere Welt erbauen zu können, wird in ihren Strudel mit hereingezogen. Wenn die kopernikanische Wende (die neue Astronomie) die Neukonstituierung der politischen Institutionen begleitet, ist dann nicht das Medium, in dem die neue Physik sich herausgebildet hat, insbesondere die Elektrodynamik, Symptom des Ursprungs und der Entfaltung jener Macht, die die politischen Institutionen der Moderne unterminiert, neutralisiert und verdrängt: der Ökonomie?
    Gründet nicht die Verdrängung der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung in der bewußtslosen Anwendung des Satzes, daß der Zweck die Mittel heiligt? Der diesem Satz zugrundeliegende Begriff der Heiligung steht in genauestem Gegensatz zum Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Die Heiligung des Gottesnamens ist ein Erkenntnisgebot, die Heiligung der Mittel durch die Zwecke ist ein Ensemble von Tabus, von Verdrängungen, von Erkenntnisverboten (Quellpunkt des Opfers der Vernunft).
    Wer das, was Bundesanwälte, Richter und die Polizei sich heute selber antun, beim Namen nennt, beleidigt sie. Damit hängt es zusammen, daß es einen herrschaftsfreien Diskurs solange nicht geben wird, wie es nicht gelingt, die Reflexion von Herrschaft auch in die Institutionen des Rechts hineinzubringen.
    Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: Es gilt zu begreifen, daß das Neutrum zwar ein Instrument der Desensibilisierung ist, selber aber das sensibelste, empfindlichste Wesen ist (Geld macht sinnlich).
    Die Exkulpationsmacht des Staates ist nur solange zu halten, wie sie selber der Reflexion und der Kritik sich entzieht (durchs Tabu, durch den Schutz vor „Verunglimpfung“). Wäre nicht das adornosche Stichwort der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ zu ersetzen (und zu erfüllen) durch die restlose Reflexion des Säkularisationsprozesses, zu dessen Geschichte die der Theologie dazugehört? Für den Mord an Menschen, die herrschaftskritische Hoffnungen verkörpern, gibt es unendlich viele Beispiele. Gibt es ein einziges Beispiel eines wirklich gelungenen Tyrannenmords? Ist nicht das einzige historische Beispiel hierfür der Mord an Julius Caesar, der real den Caesarismus (bis hinein in den Caesarismus der dogmatischen Theologie, in dessen Kern die Opfertheologie steht, die eher auf die Ermordung Caesars als auf den Kreuzestod Jesu sich beziehen läßt) überhaupt erst begründet hat? War nicht Brutus das Modell für das christliche Verständnis des Verräters Judas? Die Kosmologie, die Naturphilosophie und dann die Naturwissenschaft sind der Schatten und das Reflexionsmedium der Staatenbildung.

  • 9.12.95

    Politische Naturgesetze und das Gewaltmonopol des Staates: Auch eine Mauer aus Paragraphen ist undurchdringlich. Die bundesdeutsche Asylgesetzgebung unterscheidet sich von der von der DDR errichteten Mauer nur durch die Richtung der Abschreckung: Die eine sollte keinen heraus-, die andere niemanden hereinlassen. In beiden Fällen erweist sich die gesetzlich installierte Gewalt als das politische Korrelat des physikalischen Trägheitswiderstandes.
    Ebenso wie es am Ende des Zweiten Weltkrieges keinen Friedensschluß mehr gegeben hat, gibt es seitdem keine erklärten Kriege mehr. Konflikte „brechen aus“ wie ein Vulkan. Kriege sind zu Naturereignissen geworden. Ist das nicht der entscheidende Hinweis, daß die politische Ökonomie insgesamt in Natur regrediert, daß sie ebenso unbeherrschbar geworden ist wie diese? Der Neoliberalismus, der für die uneingeschränkte Wirksamkeit der Marktmechanismen und -kräfte (für die Naturalisierung der Gesellschaft) sich einsetzt, ist die Ideologie dieses Zustandes, das Alibi für den Verzicht auf eine von bloßer Verwaltung sich unterscheidende Politik. Regieren ohne die Idee einer moralisch verantwortbaren Souveränität kann nur noch heißen: Aussitzen. Wenn die Grenzen der moralischen Legitimität des Handelns aufgehoben sind, begründen Macht, Gewalt und Erfolg sich gegenseitig, gibt es zu dem, was ohnehin sich durchsetzt, keine Alternative mehr.
    Keiner Generation hat sich die Gewißheit, daß die Vergangenheit sich nicht ändern läßt, so tief eingeprägt wie der Generation nach Auschwitz. Aus dem gleichen Grunde ist diese Generation ausweglos auf Rechtfertigungszwänge fixiert. Alles Handeln wird, wenn der Blick auf eine Änderung der Dinge, auf die Fähigkeit und die Kraft, in den Gang der Dinge einzugreifen, versperrt ist, allein noch unter dem Gesichtspunkt der Schuld, und d.h. im Bann des Rechtfertigungszwangs wahrgenommen.
    Ist nicht das Bilderverbot eigentlich das Verbot, von der Schwerkraft (vom Schuldzusammenhang) zu abstrahieren? Fällt nicht die kopernikanische Wende (und mit ihr die modernen Naturwissenschaften und der deutsche Idealismus) unters Bilderverbot? Und ist nicht die Ästhetik insgesamt, die in der modernen Welt zusammen mit der Geldwirtschaft, den Anfängen der Naturwissenschaft und dem Ursprung des konfessionellen Christentums entspringen, ein Produkt der Abstraktion von der Schwere (vgl. die Frage Rosenzweigs, ob Künstler selig werden können)?
    Zusammen mit einem Recht ohne Feindbild und ohne Kronzeugenregelung wünsche ich mir Solidarität ohne Komplizenschaft.
    Wer über Fehler nicht mehr nachdenken will, blockiert die eigene Lernfähigkeit. Man sollte die Kritik der raf nicht allein der Bundesanwaltschaft überlassen (und nicht jeden Kritiker für einen Sympathisanten der Bundesanwaltschaft halten).
    Darüber, ob die raf die Politik in der BRD nach rechts gerückt hat, wird man diskutieren können (und müssen). Ohne Zweifel war das nur möglich, weil das Potential dafür schon (oder immer noch) vorhanden war. Aber hätte nicht die raf diese Situation mit reflektieren müssen: Kann man wirklich die ganze linke Diskussion vor 68, von der nach 68 nicht viel übrig geblieben ist, durchstreichen und vergessen? Zwischen Lenin und der raf gibt es immerhin Namen wie Rosa Luxemburg, Georg Lukacs, Karl Korsch, Rudolf Hilferding, auch Ernst Bloch, Walter Benjamin, Horkheimer und Adorno: Wer diese Tradition glaubt links liegen lassen zu können, darf sich nicht wundern, wenn er nicht nur der Rechten Tür und Tor öffnet, sondern sich selbst am Ende rechts wiederfindet.
    Lehrstück der Dialektik: Hat nicht die raf dem Staat, der auf dem Sprung nach rechts war, Hilfestellung geleistet, ihm dazu das Rüstzeug, das er brauchte, geliefert?
    Gegen Habermas: Die Dialektik der Aufklärung ist nicht das „schwärzeste Buch“, sondern eine der genauesten Analysen einer der finstersten Perioden der europäischen Geschichte. Anstatt diese Analyse bloß abzuwehren, käme es viel mehr darauf an, sie auf den gegenwärtigen Stand zu bringen. Die Historisierung dieses Buches war eines der wirksamsten Mittel seiner Neutralisierung. Seine, weiß Gott, weiterbestehende Aktualität wäre zu retten.

  • 18.11.95

    Der Weltbegriff ist das Produkt einer Transformation der Schicksalsidee: Die Welt läßt sich als der Inbegriff aller Begriffe bestimmen; der Begriff aber ist ein Produkt der Verinnerlichung der Schicksalsidee. Die Form des Schicksals wird in der Form des Begriffs gleichsam instrumentalisiert, sie reproduziert sich in der Beziehung des Begriffs zum Objekt.
    Wie die Prophetie (die Offenbarung) aus der Kritik der Schicksalsidee sich herleitet und bestimmt, so die Apokalypse aus der Kritik des Weltbegriffs. Während die Prophetie (und nicht die Aufklärung) als Widerpart des Mythos, als das Element seiner Auflösung, sich begreift, läßt die Apokalypse als Widerpart des Weltbegriffs (des Staats, der Philosophie und des Rechts) sich bestimmen.
    Die beiden Bedeutungen des Seins (die dem Infinitiv zugrundeliegende Hypostasierung der Kopula im Urteil und das Possessivpronomen der dritten Person singular, männlich) reflektieren die Beziehung der Philosophie und des Rechts zum Weltbegriff.
    Hängt die Übersetzung von tän hamartian tou kosmou (mit der Sünde im Singular) in peccata mundi (Sünde im Plural) mit der lateinischen Sprachlogik (mit der gleichen Logik, die auch in der Übersetzung von kosmos in mundus und physis in natura sich ausdrückt: mit dem Übergang von einer vordogmatischen in eine nachdogmatische Sprachlogik) zusammen?
    Wie präsentiert sich die Venus-Katastrophe im griechischen Mythos? Liegt dem, was Velikovsky e.a. die Venus-Katastrophe nennen, im Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Naturkatastrophe ein sprachgeschichtlicher Paradigmenwechsel zugrunde? Hängt die Geschichte mit der des Ursprungs der indogermanischen Sprache (dem Durchbruch und der sprachlogischen Entfaltung des Herrendenkens) zusammen?
    In der christlichen Tradition wurde die Schlange mit dem Weib in eins gesetzt (die „Hure Babylon“ entstammt dieser Tradition): Liegt dem nicht eine Verarbeitung der Ischtar-Astarte-Tradition zugrunde?
    Mit der Verinnerlichung der Schicksalsidee entspringt – als dessen gegenständliches Korrelat, als Fundus der projektiven Verschiebungsarbeit – der Naturbegriff (Paradigma der Geschichte der Objektivierung).
    Zu den geheimen Voraussetzungen des „All“, das – Rosenzweig zufolge – durch die Reflexion der Todesangst gesprengt wird, gehören die subjektiven Formen der Anschauung: Ohne die totalisierende Einheit des Raumes würde es den Begriff des All nicht geben. Die Raumvorstellung ist der Inbegriff der Abstraktionen, die den Begriff des All konstituieren.
    Die Logik des Herrendenkens hat das Verdrängte der Zwangserinnerung der Bekenntnislogik überantwortet. Die Bekenntnislogik (die Umkehr des Schuldbekenntnisses) entsühnt in der Tat die Welt, sie hat den kosmos zum mundus gemacht (gereinigt). Ist die Schuldreflexion (die Auf-sich-Nahme der Schuld der Welt) der Schlüssel zum Verständnis der Apokalypse?
    Als Habermas die Naturspekulation aus der Philosophie ausgeschieden hat, hat er da nicht die Sprache ihrer Wurzel beraubt? Seitdem gibt es – insbesondere im Zusammenhang seiner Kommunikationstheorie, seines Konzepts des „herrschaftsfreien Diskurses“ – bei ihm Texte, deren appeal dem technischer Gebrauchsanweisungen immer mehr sich anzugleichen scheint. Der herrschaftsfreie Diskurs ist ein Alibi für die Diskriminierung der Reflexion von Herrschaft.
    Unterscheiden sich die beiden Stellen, an denen in der Schrift dem Himmel und der Erde die Attribute „wie aus Eisen“ und „aus Erz“ zugesprochen werden (und die invers aufeinander sich beziehen, vgl. Lev 2619 und Deut 2823), auch noch durch andere Konnotationen?

  • 16.11.95

    Die These, man müsse den Staat dazu bringen, sein faschistisches Gesicht zu zeigen, weiß nicht nur nicht, was Faschismus heißt, sie ist ebensosehr Ausdruck der Hilflosigkeit des militanten Antifaschismus. Es kommt nicht darauf ein, ein Urteil zu vollstrecken (auch nicht das Urteil des Geschichte, das selber unterm Bann des Faschismus steht), sondern die Erkenntnis wie das Handeln vom Bann des Urteils zu befreien.
    Es gibt zwei Formen der Beziehung der Vergangenheit zur Erkenntnis: Während die Naturwissenschaft die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ratifiziert der Historismus die Vergangenheit des Vergangenen. Beide gemeinsam rücken die Gegenwart in das Licht der Vergangenheit (Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung, Grund der Ästhetisierung der Wirklichkeit).
    Nur bei Johannes steht die Geschichte mit der Aufschrift am Kreuz, auf die Pilatus schreiben ließ: Jesus der Nazoräer, der König der Juden (1919).
    Wer war der erste Confessor, und wer war die erste Virgo? Während das Martyrium noch auf die unmittelbar bevorstehende Parusie bezogen war, ist der neue Heiligentyp auch eine Konsequenz aus der Enttäuschung der Parusie-Erwartung (der Rezeption des Weltbegriffs). Confessor und Virgo waren gleichsam das erste aus dem Paradies der zukünftigen Welt vertriebene Menschenpaar, und der katholische Himmel eine Verkörperung der gefallenen zukünftigen Welt (zweiter Sündenfall, mit Alexander und seinen caesarischen Nachfolgern als Cherube mit dem Flammenschwert vor der verschlossenen Zukunft. Ist der Katholizismus die Erzeugungsmaschine der Wolken, auf denen der Menschensohn einst kommen wird?
    Verweist der Satz des Paulus, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, nicht darauf, daß die ganze Schöpfung teilhat an der Passion und am Kreuzestod Jesu? Hat Kopernikus den Kosmos ans Kreuz geschlagen, und war Newton der Paulus dieser neuen Theologie?
    Die Geschichte ist das Produkt der Historisierung, wie die Welt das Produkt der Verweltlichung und die Natur das Produkt des Objektivationsprozesses ist.
    Die Astronomie, die Elektrodynamik und die Mikrophysik sind auch ein Beweis für die Sprengkraft des Inertialsystems, des Herrendenkens, das in diesem System sich verkörpert.
    Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung gehören zur Vorgeschichte der Konstituierung des Inertialsystems. Der Jude, das war der Feind, der Ketzer der zum Verräter gewordene Genosse und Frau war das, was unten ist.
    Nach welchen Prinzipien sind in den Nationalsprachen die Zahlen gebildet worden, und welche Konnationen stecken in diesen Bildungen (im Deutschen mit der Folge Hunderter, Einer, Zehner: Sechshundert sechs und sechzig, im Englischen in der logischeren Folge Hunderter, Zehner, Einer: sixhundred sixty six; was bedeutet die abweichende, auch auf Subtraktionen zurückgreifende Zahlenbildung im Französischen)? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Trennung der (arabischen) Zahlen von der Schrift, der Einführung der Null (aus Indien über die Araber), der Bildung der Dezimalzahlen und der modernen Raumvorstellung, der „subjektiven Form der Anschauung“ (die Null ist das Korrelat der unendlichen Ausdehnung des Raumes), dem Ursprung der analytischen Geometrie und der doppelten Buchführung? Die Null hat (als mathematischer Reflex der Unendlichkeit) die Mathematik von der Sprache getrennt, sie gleichsam auf ihre eigenen Füße gestellt. In der Geometrie repräsentiert die Null den Ursprungspunkt des Raumes: den Repräsentanten des Subjekts und des Objekts zugleich. Die Null hat den Raum zur subjektiven Form der Anschauung gemacht, sie war der Ich-Generator; sie hat die Schöpfungslehre verwandelt. Erst das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Null widerlegt (oder auch dynamisiert).
    In welcher Beziehung steht die Logik der durch die Null neu begründeten Mathematik zur Logik der symbolischen Zahlen (die ihre eigene Rationalität haben, die nicht widerlegt, nur verdrängt worden ist)?
    Habermas‘ Konzept eines herrschaftsfreien Diskurses wird durch schon durch den Hinweis auf die Deklination (insbesondere auf den Genitiv, das innersprachliche Äquivalent der Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen) widerlegt.
    Das Substantiv bindet den Nominativ ans Inertialsystem.

  • 7.8.1995

    Die Heiligung des Gottesnamens ist das Korrelat des Leuchtens Seines Angesichts.
    Wir haben die ganze Schrift zu einer jenseitigen, schicksalhaften Sache gemacht, während die Schrift insgesamt, einschließlich der Apokalypse, in Wahrheit unters Nachfolgegebot fällt.
    Die Bildung des Neutrum hängt mit der Vergegenständlichung des Vergangenheit (der Bildung der Vergangenheit, die dann die Bildung von Futur und Präsens nach sich zieht) zusammen. Hier entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens der Objektbegriff (und in seiner Folge das Substantiv).
    In den Medien breitet ein grammatischer Fehler sich aus, dessen sprachlogische Analyse ein Licht wirft auf das journalistische Weltverständnis (und auf einen anderen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“): die epidemische Ausbreitung der Verwechslung von Genitiv und Dativ. In einem Fernsehbericht am 6.8.95 zum 50. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima wurde „den“ Toten der Katastrophe (anstatt der Toten) gedacht. Das Objekt des Gedenkens erscheint im Dativ anstatt im Genitiv. Es gibt ähnliche (auch umgekehrte) Fälle insbesondere bei der Verwendung von Präpositionen wie trotz, wegen u.ä. Auffällig ist der wie es scheint systematische Effekt: Der Genitiv wird durch einen Dativ, der Dativ durch einen Genitiv ersetzt. Die Verwechslung betrifft generell den Adressaten einer Handlung. Sie scheint mit einer veränderten Beziehung von Schenken und Eigentum zusammenzuhängen: Der Genitiv drückt eine Eigentumsbeziehung, ein Besitzverhältnis, aus, der Dativ nennt den Adressaten einer Gabe, eines Geschenks. Gegenüber Unmündigen wird aber die Gabe, das Geschenk gern als Verpflichtung, als Symbol eines Besitztitels gegen den Beschenkten gebraucht. Bezeichnet dieser Sachverhalt vielleicht eine Grundstruktur des medialen, kommunikativen Umgangs mit der Wirklichkeit? Verweist diese Verwechslung nicht auf einen Defekt in den Grundlagen der Kommunikationstheorie, die die Abstraktion, der die „subjektiven Formen der Anschauung“ sich verdanken, auf die Sprache überträgt? So wie im Begriff der Anschauung vom Gegenblick abstrahiert wird, so abstrahiert der kommunikative Sprachbegriff vom Dialog. Leben nicht die Medien von der Zerstörung des dialogischen Elements in der Sprache: Die Zeitung, das Radio, das Fernsehen sind Medien der Information, der „Nachricht“. Sie schließen die dialogische Beziehung zum Leser, zum Hörer, zum Zuschauer aus. Hier wird der Adressat in kollektive Isolationshaft genommen. Zur gleichen sprachlogischen Situation, der die Verwechslung von Genitiv und Dativ sich verdankt, gehört das fernsehübliche „In der nächsten Sendung sehen wir uns wieder …“, bei dem allen Beteiligten klar ist, daß der Moderator, der Sprecher, der „Ansager“ die Zuschauer niemals sehen wird (außer in der peinlichen einseitigen „Bekanntheit“ der Bildschirmperson auf der Straße, im Geschäft, im Restaurant). Der Film war die astrologische Vorstufe der kopernikanischen Wende der Medienwelt: des Fernsehens. Heute sind die „Stars“ aus den Himmeln des Films herabgestiegen und zu alltäglichen intimen Bekannten aller geworden, in deren Vorstellungswelt sie anfangen, die wirklichen Verwandten und Bekannten zu ersetzen.
    In der monologisch gewordenen Sprache der Medien kehrt sich die Beziehung von Dativ und Genitiv um. Grund ist das Werden der Substanz zum Subjekt: die allgegenwärtige, alles durchdringende und alles beherrschende Gewalt des Neutrum.
    Hier findet der wirkliche „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ statt, der mit den Kategorien der Habermasschen Kommunkationstheorie nicht mehr zu fassen ist. – Paßt dazu nicht der Ausdruck „Wir Deutschen“ (in dem ein ganzes Volk sich selbst zum Objekt wird: und sie erkannten, daß sie nackt waren)?
    Ist nicht das Fernsehen Kanaan, der weil Ham die Blöße seines Vaters schaute, zum Knecht seiner Brüder wurde?
    Die Vertauschung von Genitiv und Dativ in der medialen Sprachlogik ist ein Ausdruck davon, daß Information, Unterhaltung und Manipulation und Beherrschung der Öffentlichkeit sich nicht mehr unterscheiden lassen (das Fernsehen kann kann Kriege an- und abstellen). Damit hängt es zusammen, daß die Medien immer mehr zur „Hofberichterstattung“ tendieren, offizielle Versionen nachbeten. Die Medien machen die Information zum Drachenfutter: Sie stellen den Staub her, den die Schlange frißt.
    Die Vertauschung von Genitiv und Dativ ist eine Konsequenz aus der neutralisierenden Gewalt der Logik der Schrift (die Logik der Schrift und der Ursprung des Neutrum).
    Die Abstraktion vom Gegenblick im Begriff der Anschauung, vom dialogischen Grund der Sprache, oder die Abstraktion von der Selbstreflexion im Andern: Zur medialen Sprachlogik paßt eine Theologie, die sich als „Rede von Gott“ versteht und das Evangelium zur „Guten Nachricht“ gemacht hat: Hier gibt es zum Reich der Erscheinungen keine Alternative mehr; hier ist der Name Gottes vergessen. Max Horkheimer hat einmal unter Hinweis auf Hegels „Phänomenologie des Geistes“ gesagt: Wenn das die Wahrheit ist, ist dies (sc. dieses Buch) der liebe Gott; hätte er nicht korrekterweise sagen müssen: so ist dies der Name Gottes?
    Licht und Finsternis, oder das sprachliche Wesen des Lichts: Ist der Gegenblick, von dem die subjektiven Formen der Anschauung ebenso wie vom Licht abstrahieren, die Sprache? Und gründet darin nicht das „Leuchten Seines Angesichts“, die Heiligung des Gottesnamens? Ist der Gottesname der Grund der Sprache (und deshalb unnennbar)? – Vgl. Ezechiel, das Hören und Sehen und den Begriff der Vision.
    Beitrag zum Weltbegriff, zur Passionsgeschichte und zur Opfertheologie: In der Sprachlogik der Medien erfüllt sich die Logik der Schrift.
    Kritik der Schöpfungstheologie: Gibt es nicht eine Querverbindung zwischen der Sprachlogik der Medien und den Allmachtsphantasien der Verwaltung? Schafft nicht diese Sprachlogik (die Ausscheidung der Kritik aus der Sprache durch die Verabsolutierung des Indikativs, die zur Vertauschung von Genitiv und Dativ führt) den Freiraum für die Allmachtsphantasien der Verwaltung, ihre tatsachenschaffende, sprachzerstörerische Definitionsgewalt?
    Identifikation mit dem Aggressor: Die Sprachlogik der Medien ist ein Indiz für ihre Selbsteinbindung in die verwaltete Welt. Die gleiche Kapitulation vor der Sprache hat in der Philosophie dazu geführt, daß der erkenntniskritische Impetus der kantischen Philosophie verdrängt worden und nur der affirmative Wissenschaftsbegriff, der durchs Interesse der Selbsterhaltung gestützt wird und zur Automatik der Selbstrechfertigung des Bestehenden gehört, übrig geblieben ist. Die Kräfte der Verdrängung waren stärker als der argumentative Gehalt der kantischen Texte.
    Hängt die Vertauschung von Dativ und Genitiv mit der Beziehung von Feststellung und Begründung, Information und Meinung, mit der indikativischen Trennung von Sprache und Realität zusammen?

  • 11.7.1995

    Religion für andere, das ist die Religion der leeren Köpfe, in die die Religion von außen eingefüllt werden muß. Aber sind nicht alle Religionen unterm Bann des Weltbegriffs Religionen für andere, und ist nicht deshalb die Religion, der man angehört, „ohnehin die falsche“?
    Durch die Verdrängung der Parusie-Erwartung (durch Anpassung an die Welt) ist die Religion zwangsläufig zur Religion für andere geworden. Diese Bemerkung gilt generell, insbesondere und konkret aber für die Geschichte der Dogmenentwicklung (Martin Werner). Eine Religion, die sich in der Welt einrichtet, wird zur Religion für andere.
    Die Kritik der Trennung von Natur und Welt gründet in dem Satz: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.
    Ist nicht das Buch Kohelet der Beweis dafür, daß der Weltbegriff das Erbe des Götzendiensts, der Idolatrie, angetreten hat? Das „Alles ist eitel“ gründet in der Nichtigkeit der Götzen.
    Sind nicht die biblischen Xenophobie-Geschichten (Sodom, Jericho und Gibea) allesamt antimessianische Geschichten?
    Zum Begriff einer Theologie im Angesicht Gottes: Das Reich der Erscheinungen ist das Reich der Unerkennbarkeit der Dinge, wie sie an sich sind; nur Gott sieht ins Herz der Dinge.
    Das Paradigma der Kommunikation im Reich der Erscheinungen ist der Stoßprozeß: der Zusammenstoß zweier Köpfe. Bezieht sich hierauf das biblische Symbol des Horns?
    „Allein den Betern …“ (Reinhold Schneider): Die Frage, wie (und nicht ob) Beten nach Auschwitz noch möglich ist, hängt zusammen mit dem, was Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ genannt hat: mit Veränderungen im Begriff der Öffentlichkeit, die insbesondere am Problem des öffentlichen Gebets (an der Beziehung des Gebets zur Öffentlichkeit) sich demonstrieren lassen. Sie rührt an den Kern der Frage nach der Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes, sie rührt an den Grund des Weltbegriffs.
    Das Dogma ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat. War die Tat des Alexander, an die das Versprechen der Herrschaft über Asien geknüpft war, nicht eine sprachgeschichtliche Tat: War das Neutrum das Schwert, das Objekt und Begriff, Natur und Welt getrennt (und sie in dieser Trennung konstituiert) hat. In der Bibel wird das Neutrum durch die Schlange, das Durchschlagen des Knotens durch den Baum der Erkenntnis (seine Trennung vom Baum des Lebens) und den Sündenfall symbolisiert. Die indoeuropäischen Sprachen entspringen mit der Erfindung des Wissens (des Gesehenhabens, Kristallisationskern des Neutrum und Urform der Anschauung, unter deren Gesetz diese Sprachen seitdem stehen), Zentrum der gemeinsamen Grammatik (und ihrer Sprachlogik). Das Dogma war der paradoxe Versuch, die Offenbarung, zum Gegenstand der Anschauung zu machen (sie ins Präsens zu übersetzen, den Imperativ in den Indikativ zu transformieren); in Wahrheit hat es sie neutralisiert.

  • 27.6.1995

    Instrumentalisierung und Ideologieverdacht: Wer die memoria passionis ins Spiel bringt, müßte die Opfertheologie reflektieren. Die Opfertheologie ist selber Ausdruck des Schuldzusammenhangs, dessen Lösung zu sein sie vorgibt.
    Das Luhmannsche Thema heißt „Faktizität und Geltung“, das Habermassche „Genesis und Geltung“. Darin drückt der ganze Unterschied sich aus. Die Systemtheorie gründet in der Verwerfung der genetischen, der historischen, der Ursprungsdimension; so gleicht sie dem naturwissenschaftlichen, durchs Interialsystem definierten Erkenntniskonstrukt sich an. Die Systemtheorie rückt die Dinge in den Zusammenhang des Verwaltungsblicks, der sie verstummen macht; sie sanktioniert die Abstraktion, die der Verwaltungslogik zugrunde liegt.
    Das Christentum hat aus dem Alten Testament die Theologie herausgeblasen. Grundlage war die These, daß das Gesetz aufgehoben und die Prophetie erfüllt sei.
    Das Inertialsystem begründet und legitimiert den Rachetrieb. Das läßt leicht sich ableiten aus der mit dem Ursprung und der Entfaltung des Inertialsystems verbundenen Subjektivierung der Empfindungen.
    Die Bekenntnislogik (die Logik des „Glaubens“-Bekenntnisses) entspringt aus der Umkehrung des Schuldbekenntnisses. Daraus hat sich die Logik der „Sündenvergebung“ durch Schuldverschiebung, der Exkulpationsapparat, entfaltet. Grundlage war die Herausnahme von Joh 129 aus dem Nachfolgegebot, das theologische Konstrukt, wonach Jesus durch seinen Opfertod „die Sünden der Welt hinweggenommen“ habe: Ihm wurde die ganze Last aufgebürdet, ihm das Joch auferlegt (hierher gehört die Geschichte vom gordischen Knoten).
    „Schriftlichkeit“:
    – „Das Heroische ist immer eine Sache der Erinnerung, d.h. eines ‚Heroischen Zeitalters‘, das per definitionem in der Vergangenheit liegt. Das Epos ist die Form und das Medium ihrer Vergegenwärtigung.“ (S. 8, Einleitung von A. und J. Assmann) – Hinweis auf die Beziehung zur Geschichte der Sprachlogik: auf den Ursprung des Präsens in einer „Vergegenwärtigung“, die in der Vergangenheit gründet? Der Heros als Vorläufer des Substantivs?
    – „In der griechischen Welt hat eine ‚Tyrannei des Buches‘ sich nie ausbreiten können, wie es in der morgenländischen oder der mittelalterlichen Welt geschah“ (ebd., S. 12, Zitat aus Rudolf Pfeiffer: Geschichte der klassischen Philologie I, 1978, S. 52). – Hier wäre der Hinweis angebracht, daß zur Erklärung dieses Tatbestandes – wie allgemein zur Bestimmung der „Logik der Schrift“ – die Reflexion auf ihre Einbindung in die Politik, ihre Beziehung zum Ursprung und zur Geschichte des Staates: ihre Verstrickung in die Herrschaftsgeschichte gehört. Die Logik der Schrift ist keine ein für allemal geltende logische Struktur, die Reflexion ihrer Geschichte ist ein substantieller Teil ihrer Erkenntnis.
    – Zu S. 11ff: Die literarische Rede, die „direkte Rede“ in einem Text, gründet nicht in einer „oralen Tradition“, sondern ist rhetorischen Ursprungs, sie ist – wie die Sprache, die mit ihr sich entfaltet – in sich selbst vermittelt. Was aus der oralen Tradition sich entwickelt, ist das Erzählen, nicht die in einer Erzählung zitierte Rede.
    – „Die Schrift ist hier (sz. in der orientalischen Vorgeschichte der griechischen Schrift) in erster Linie ein Instrument organisierender Wirklichkeitsbewältigung und herrschaftlicher Repräsentation.“ (ebd. S. 13) – Unterscheidet sich die griechische davon nicht doch nur durch die Verinnerlichung dieses Organisationsprinzips? Deshalb gehört zum Ursprung der griechischen Schrift die Erfindung der Barbaren, die an diesem zivilisationsbegründenden Akt nicht teilhaben? Die „Diskurse der Macht“ (ebd.) drücken dann in der Sprache selbst als deren grammatische Struktur sich aus (Zusammenhang der Erfindung des Neutrums mit den veränderten Formen der Konjugation, Ursprung des Weltbegriffs).
    – „In dieses (sz. vorgriechische) Schreiben finden ‚mündliche Überlieferung‘ sowie das, was wir ‚Literatur‘ nennen würden, nur sehr beschränkt Einlaß.“ (S. 13f) – Sh. die Bemerkung oben zum Problem der „oralen Tradition“. Hier geht es nicht um das „Eindringen von ‚Oralität‘ in die griechische Schriftkultur“ (S. 14), sondern um deren literarische Reflexion. Und ist nicht „Platons Oralitätskritik“ (die „Verbannung der Dichter aus dem Staat“, S. 15) eher eine Reflexionskritik im Kontext seines autoritären Politikverständnisses?
    – S. 18f: Die Geburt der Seele aus der Logik der Schrift: „As language became separated visually from the person who uttered it, so also the person, the source of the language, came into sharper focus and the concept of selfhood was born“.
    – „Mit der Übernahme der Alphabetschrift … gewinnt der Mensch Verfügungsgewalt über sein Gedächtnis“. (S. 20) – Veränderung des Zeitparadigmas durch Objektivierung der Erinnerung.
    Ein Oralitätsverständnis, das die Schrift nur instrumental, nicht in Wechselwirkung mit der Sprachlogik begreift, ist romantisch. Es verlegt den Sprachgrund in den Volksgeist und gehört zu den Ursachen jener Theorien, die den Ursprung des Indogermanischen nur über indogermanische „Völker“ oder „Rassen“ sich vorstellen kann. Was diese Vorstellungen einmal so plausibel machte, gründete in der Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift.
    Auch die „Tyrannei der Schrift“ ist nicht von außen (über autoritäre Religionen) in die Schrift eingebrochen, sondern sie bezeichnet selber eine Phase der Geschichte der Logik der Schrift. Auch für die Griechen war die Schrift eine Quelle der Macht, und sei es nur der Macht über die eigene Phantasie (wie in der Realität über die Sklaven des Hauses, die Frauen und die Kinder).
    Gegen das romantische Oralitätsverständnis bleibt anzumerken, daß die Völker und ihre Schriften als durchaus unterschiedliche Entitäten sich begriffen: Die Sprache der Hellenen war griechisch, die der Römer lateinisch, die der Israeliten hebräisch. Wie verhielt es sich mit den Ägyptern und den Persern (beides griechische Namen – hier wirkt die Definitionsgewalt des Griechischen nach)? Gibt es eigentlich eine Synopse der antiken Geschichtsschreibung? Wie haben die Ägypter und Perser sich selbst benannt?
    Wo geht das Epos (die Geschichte des heroischen Zeitalters als Gründungsgeschichte der Polis, des Staates) in Geschichtsschreibung (die Geschichte der Könige, Völker, Staaten, der Kriege, der Eroberungen, Niederlagen und Untergänge) über: die Poesie in Prosa, die eine gleichsam außenpolitische Sprachlogik verkörpert? Gehört nicht zur Vergegenständlichung der Geschichte die Reflexion der Beziehung zu den anderen Staaten dazu (Grund der nationalistischen Geschichtsschreibung)?
    Reflex der außenpolitischen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten im Innern ist der Markt, die Agora, der Ort des Ursprungs der Philosophie, Gründungsort des Naturbegriffs (Philosophie als Rekonstruktion des Epos im Kontext dieses Reflexionszusammenhangs: Suche der verlorenen Idee des richtigen Staats, der Philosoph als erinnerter und reflektierter Heros).
    Aus der Logik der Schrift (im Kontext des griechischen Alphabets als kulturelle Revolution) wäre auch die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Mythos abzuleiten, eine Auseinandersetzung, die ihre Zuspitzung in der Rekonstruktion des logischen Kerns des Mythos, der griechischen Schicksalsidee gefunden hatte. Aus der Verinnerlichung des Schicksals, als einzigem Weg, der aus dem Bannkreis des Schicksals herausführte, ist die Philosophie entstanden, zusammen mit der vollständigen Neuorganisation der Objektivität insgesamt, ihrer Rekonstruktion im Kontext der drei Totalitätsbegriffe Wissen, Welt und Natur.
    Die Idee des Schicksals war das gegenständliche Korrelat des erwachenden Selbst in der Logik der Schrift. (Diese Definition hängt mit der Benjaminschen vom Schicksal als Schuldzusammenhang des Lebendigen zusammen.)
    Die Juden haben den Übergang zum Rechtsstaat, die Monopolisierung der Blutrache durch den Staat, nicht vollzogen. Der Mörder wurde bestraft, aber für den, der ohne Absicht einen Menschen getötet hatte, wurden Asylstädte eingerichtet, in denen er vor der Blutrache geschützt war.
    Die Opfertheologie hat Jesus zum Heros gemacht: zum Staatengründer, und das Christentum zur Staatsreligion. Deshalb gibt es zur „Gattung“ Christentum unterschiedliche „Arten“; für das Christentum gilt, was Hegel über die Natur (im Hinblick auf das Verhältnis Gattung und Art beim Tier) gesagt hat: es kann den Begriff nicht halten (auch die Hegelsche Begründung ist auf die Beziehung des Christentums zu seinen Denominationen anwendbar).

  • 21.6.1995

    Ist nicht die Instrumentalisierung des Leidens – nach der Dialektik der Aufklärung die Verinnerlichung des Opfers – eine der Grundlagen der Zivilisation; liegt sie nicht der Logik des Welt- und Naturbegriffs, der Logik der Trennung dieser Begriffe, zugrunde? Die Geschichte des Opfers (und seiner Objekte: Rind und Esel, Lamm und Taube) rührt an diesen Sachverhalt. Aus diesem Grunde ist Habermas‘ Umformulierung des Adornoschen Konzepts des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ in ein „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“ Ausdruck einer logischen Verwirrung des Problems, keine Verständnishilfe. Hier liegt der Sprengsatz, den Habermas unter Verschluß halten möchte, um sein Diskurskonzept, die Kommunikationstheorie und insbesondere einen ihrer zentralen Begriffe, den der Intersubjektivität, zu retten. Beide, das „Eingedenken der Natur im Subjekt“ und der Begriff der Intersubjektivität, können nicht zusammen bestehen. Und hier wird die Metzsche Unterscheidung zwischen dem eigenen und fremden Leid wichtig: die Unterscheidung zwischen Selbstmitleid und Barmherzigkeit, die der Begriff der Intersubjektivität verwischt und, da das nicht gelingen kann, zugunsten des Selbstmitleids (als dessen kollektive Verkörperung z.B. der Nationalismus sich begreifen läßt) vorentscheidet. Adornos Konzept (das der negativen Dialektik insgesamt) setzt diese Unterscheidung voaus, auch wenn es sie nicht thematisiert. Ihre Thematisierung hätte eine Kritik des Naturbegriffs nach sich gezogen, die Habermas geahnt haben mag, als er von der spekulativen Idee, daß die richtige Gesellschaft auch die Natur mit ergreift, unter Verweis auf den Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sich distanzierte. Auch die Objektivität der Natur ist (und ebenso der Begriff der Intersubjektivität, der die These der Objektivität der Natur zur Voraussetzung hat, an sie gebunden ist) nicht unmittelbar gegeben, sie steht unter einem Apriori, dessen Reflexion übrigens vom Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selber erzwungen wird. Von dieser Reflexion muß Habermas abstrahieren, um sein Konzept zu retten. Das Adjektiv (im Begriff der gequälten Natur), mit dem er Adornos Konzept verfälschte, ist eine Konsequenz aus dieser Abstraktion.
    – Dadurch unterscheidet sich übrigens die Autorität der Leidenden von der naturwissenschaftlichen Objektivität, die in sich selber vermittelt ist, daß sie sehr wohl unmittelbar gegeben ist: Nur weil der Anblick von Leid den spontanen Trieb zu helfen auslöst, ist das Leiden über seine mediale Reproduktion und Vermittlung instrumentalisierbar. Erklärungsbedürftig und in der Tat in sich selber vermittelt ist nicht der Trieb zu helfen, sondern seine Verdrängung, das Wegsehen („Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“).
    Das „Verständigungsapriori“ (in dem Leserbrief in der FR vom 19.6.95) ist die Mauer um ein selbsterrichtetes Ghetto. Es schließt alle, mit denen man nicht kommuniziert, aus. Dazu gehören Rituale, die diesen Ausschluß vollstrecken. Am Leserbrief lassen diese Rituale sich studieren.
    Metz‘ Idee einer Autorität der Leidenden rührt an einen Punkt, der die traditionelle theologische Beziehung von Natur und Übernatur nicht nur präzisiert, sondern im Kern verändert: Sie sprengt den Bann des Naturbegriffs, unter dem nicht nur der „prinzipielle Ideologieverdacht“ des Leserbriefschreibers noch steht, sondern eigentlich die gesamte theologische Tradition, übrigens nicht nur die christliche.
    Die Natur und ihr Begriff stehen unterm Bann des Prinzips der Selbsterhaltung: Darauf bezieht sich das Adornosche Konzept des Eingedenkens, das Habermas zu früh verworfen hat. Der Begriff einer „gequälten Natur“, den Habermas Adorno unterstellt, wäre eine contradictio in adjecto, er bezeichnete in der Tat ein magisches Relikt. Es gibt keine gequälte Natur, weil der Begriff der Natur die Erinnerung ans allein leidensfähige Subjekt apriori ausschließt, aber die Realität des Leidens rührt an den Grund der Natur (wie umgekehrt der Begriff der Natur an den Grund des Leidens).
    „Schiffsbrüchige machen es genau so“ (Rosencof/Huidobro: Wie Efeu an der Mauer, S. 244): Der Satz bezieht sich auf die Geschichte der Menschheit, die in der Katastrophe, als die die „Schöpfung“ sich erweist, ums Überleben kämpft. Nicht die Frage nach den Urhebern der Katastrophe ist wichtig, sondern nur noch die, ob und wie sie sich wenden läßt, ob und wie es möglich ist, ihr zu entrinnen.

  • 19.6.1995

    Logik der Schrift: Die Schrift erzwingt die Vergegenständlichung der Einsicht zur Erkenntnis (der Sprache zum Instrument der Mitteilung).
    Leserbrief zu Metz „Religion und Politik …“ in der FR von heute (Prof.Dr.Thomas Feuerstein, FH Wiesbaden):
    – „‚Die Autorität der Leidenden‘ ist nicht unmittelbar gegeben. Stellvertreter dieser Autorität stehen unter prinzipiellem Ideologieverdacht ‚im Lichte‘ diskursiver Vernunft“. Dieser Satz stellt verteidigendes Denken unter Ideologieverdacht („Ihr laßt die Armen schuldig werden“), macht Barmherzigkeit gegenstandslos, verwirft apriori jede Alternative zu der (bis in unsere Naturvorstellungen hinein) vom Selbsterhaltungsprinzip beherrschten Welt. Sie verschiebt den Begriff der Ideologie von der Bezeichnung des Verblendungszusammenhangs auf alles, was diesen Verblendungszusammenhang durchbrechen könnte. Ist nicht schon der Begriff der diskursiven Vernunft ein Instrument des Verblendungszusammenhangs: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, weil sie durch diskursive Vernunft nicht bestimmbar ist, weil sie der Beweislogik sich entzieht. (Zu den Grenzen der Beweislogik vgl. Kants Aporien der reinen Vernunft.)
    – Es sollte nicht geleugnet werden, daß auch die memoria passionis instrumentalisierbar ist; nachzuweisen am Christentum, an der Opfertheologie und der damit systematisch verbundenen Orthodoxie (am Dogma und seiner Logik).
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht bleibt abstrakt, er verfällt der gleichen Logik, gegen die er sich wendet: Indem er das Problem von der sachlichen auf die Bekenntnisebene verschiebt, macht er aus einer Frage der Einsicht eine Bekenntnisfrage und gehorcht so der gleichen Bekenntnislogik, deren Folgen er kritisiert. So werden das reale Leiden, die Armut wie auch Unterdrückung und Verfolgung durch einen logischen Trick zum Verschwinden gebracht. Der prinzipielle Ideologieverdacht gründet in einem logischen Trick, der die Differenz zwischen der Realität des Leidens und ihrer Instrumentalisierbarkeit selber nochmal instrumentalisiert; dieser Logik zufolge wäre jedem Bettler zunächst einmal zu unterstellen, er habe hinter der nächsten Straßenecke seinen Mercedes stehen (soll er doch das Gegenteil beweisen).
    – Zu reflektieren wäre die Instrumentalisierung des Leidens (liegt hier nicht der Kern der christlichen Opfertheologie und eine der christlichen Wurzeln des Antisemitismus?), und das wäre allerdings in der Tat die Aufgabe einer Theologie nach Auschwitz (wie auch Johann Baptist Metz sie fordert).
    – Ein alltäglicher Ausdruck des „prinzipiellen Ideologieverdachts“ ist der Elternspruch: „Stell dich nicht so an“ (er unterstellt, der Schmerz sei nicht real, sondern nur ein Mittel, damit ein anderes Ziel zu erreichen).
    – Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ wird gleichsam zur Schufa der Philosophie; er verringert das Risiko, selber zum Opfer eines Betrugs zu werden, das aber zu dem Preis, daß er das reale Leiden ins Dunkel rückt, es unsichtbar macht. Hier wäre ein Beleg für Metz‘ Hinweis auf die Gewalt des Markt-Apriori auch in der Philosophie.
    – Was hier ins Dunkel gerückt wird, ist schon in den Anfängen der Moderne an einer realprojektiven Verschiebung nachzuweisen: am Begriff des Wilden.
    – Die Diskurslogik hat die Erinnerung an die Theologie bloß abgeschafft, anstatt, wie Adorno einmal die Intention Benjamins zu umschreiben versucht hat, alle theologischen Gehalte restlos zu säkularisieren.
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht vermittelt das erhebende Gefühl, über der Sache zu stehen, ohne zu bemerken, daß er damit aus der Sache heraus ist. Er ist in Wahrheit ein Instrument des mitleidlosen Herrendenkens. Im sicheren Bewußtsein, daß dieser Beweis nicht zu führen ist, legt er den Opfern die Pflicht auf zu beweisen, daß sie Opfer sind. Auch so schafft man, wenn nicht eine reale heile Welt, so doch ihren allgegenwärtigen Schein.
    – Gehörte nicht die Sympathisantenjagd im Kontext des Terrorismus zu den manifesten Folgen des prinzipielle Ideologieverdachts: der Unfähigkeit, zwischen dem humanen Impuls der Empathie und ihrer politischen Instrumentalisierung zu unterscheiden? Ist nicht die Geschichte der (auf ihre juristischen Aspekte reduzierten) Auseinandersetzung mit der raf so unendlich mit den verhängnisvollen Folgen dieser Logik belastet (und hat nicht die raf selbst durch ihre Wendung zum Terrorismus diese Folgen mit zu verantworten)?
    Der Metz’sche Versuch, das Konzept einer anamnetischen Vernunft zu entfalten, ist – weiß Gott – nicht schon „gelungen“; er ist weiterhin entfaltungsfähig und -bedürftig. Es ist überhaupt keine Hilfe, diesen Versuch gleichsam apriori abzuwehren. Der prinzipielle Ideologieverdacht (der heute aus sehr tiefen gesellschaftlichen Gründen so nahe liegt, daß er fast durch Reflexion nicht mehr aufzulösen ist) wird zur Quelle der Paranoia, deren erstes Opfer – zusammen mit dem Antijudaismus, der innerkirchlichen Quelle des Antisemitismus – die kirchliche Theologie selber einmal geworden ist.
    In welcher Beziehung stehen die aufbrechenden Nationalismen und die Wendung zu fundamentalistischen Instrumentalisierungen der Religionen (auch dies ein Gegenstand einer politischen Theologie) zum derzeitigen Stand der Geschichte der politischen Ökonomie? (Ursprung der Einen Welt in der Geschichte des Marktes; Zerfall der Souveränität; Übergang von Regierung in Verwaltung, Abgabe von Regierungsaufgaben an die Verwaltung: Übergang der Souveränität an Institutionen wie Bundesverfassungsgericht, Bundesbank, EG, UNO, Weltbank und IWF.)
    Wiederkehr der kantischen Antinomien der reinen Vernunft in der Politik:
    – Die Verwaltung sprengt die Gewaltenteilung (durch Implosion): sie übernimmt zu den ihr obliegenden Aufgaben der Exekutive inzwischen auch die der Legislative und der Jurisdiktion – Angleichung von Rechtsprechung und Verwaltung; Verwaltung als Selbstorganisation des gesellschaftlichen Gewaltpotentials.
    – Verwischung der Grenzen von Innen- und Außenpolitik: Folgen für den Begriff der Gewalt (der nach innen anders definiert ist als nach außen): Läßt sich das Gewaltmonopol des (nationalen) Staates auf internationale Organe übertragen (vgl. den Golfkrieg und die Probleme der UN-Blauhelm-Truppen im Jugoslawienkonflikt).
    – Sonderstellung der Bundesbank und der Weltbank: Dekonstruktion des Prinzips der Gewaltenteilung; Teilhabe eines in der reinen Lehre nicht vorgesehenen Instituts an der Gewalt (an einer Quelle des Gewaltbegriffs: im Falle der Bundesbank im Bereich der Währungshoheit des Staates, der „Subjekt“-Länder; im Falle der Weltbank Eingriff in die Souveränität der „Objekt“-Staaten, der „Entwicklungsländer“).
    – Neonationalismen gründen in dieser Krise des Gewaltbegriffs; sie sind rational und irrational zugleich: Nation als transzendentales Subjekt in einer Welt, die zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr kennt.
    – Fortschreitende „Privatisierung“ staatlicher Aufgaben; Folge der Expansion der Marktlogik in den Bereich der Souveränität; Begriff des Neofeudalismus zu harmlos. Ausdruck der Strukturänderungen im Gewaltbegriff (im „Begriff“: in der Herrschaftslogik des Ganzen wie in der Depotenzierung des Bewußtseins).
    Sprache und Mathematik: Kant hat die Welt als mathematischen, die Natur als dynamischen Totalitätsbegriff definiert; spiegelt sich darin das Verhältnis von Mathematik und Sprache?
    Auffallend, daß Habermas Horkheimers Skrupel hinsichtlich der Neuauflage der Dialektik der Aufklärung als Ausdruck eines offenen Problems verdrängt, sie statt dessen als „Beweis“ dafür nimmt, daß die Dialektik der Aufklärung überholt sei. Er nutzt Horkheimers Skrupel als Mittel der Neutralisierung der Dialektik der Aufklärung anstatt als Impuls ihrer Weiterentwicklung.

  • 18.6.1995

    Das den Kindern schon früh eingebläute Gebot: Du sollst nicht lügen, galt eigentlich nur im Hinblick auf die Eltern und in deren Vertretung auf die übrigen Autoritäten: den Pfarrer, die Lehrer und sonstige Obrigkeiten. Der Respekt vor der Obrigkeit bestand im Kern darin, daß sie die Adressatin dieses Gebotes war. Aber war nicht diese Version des Gebots, die praktisch galt, aber nie so deutlich formuliert wurde, der genaueste Ausdruck der eigenen Instrumentalisierung, die einem mit diesem Gebot eingebläut wurde, und war diese Version des Gebots nicht der Grund der in der Nazizeit so weit verbreiteten Praxis der Denunziation?
    Gegenüber den außerfamiliären Autoritäten galt das Verbot allerdings mit einem Vorbehalt: Diese Autoritäten repräsentierten die Außenwelt, und ihr gegenüber war es unter Umständen wichtiger, den Schein zu wahren. Die Wahrheitsliebe durfte nicht soweit gehen, daß man der eigenen Familie schadete oder sie blamierte. Das löste bei Kindern nicht selten Schamkonflikte aus, wenn z.B. die Eltern draußen sich anders verhielten als im Innern der Familie, dort die eigenen Normen nicht einhielten. Es gab Situationen, in denen man sich der Eltern schämte. Hängt nicht der Erfolg der Sozialisierung insgesamt an der Lösung dieser Schamkonflikte und an der Stabilisierung dieser Lösung?
    Hat der Rhythmus von Katastrophe und Rettung, der schon in der Einleitung des biblischen Schöpfungsberichts deutlich markiert wird, auch etwas mit dem Ursprung und der Logik der Sprache zu tun? Und ist nicht die Beziehung von Mythos und Philosophie eine Parodie des Offenbarungsrhythmus, deren verhängnisvolle Folgen am Christentum sich studieren lassen.
    Es sollte Anlaß zur Zurückhaltung sein, wenn man sich erinnert, daß es die Dämonen waren und dann auch Petrus, zu dem er an anderer Stelle sagt „Weiche von mir Satan“, die Ihn als den Sohn Gottes erkennen? – Stand dieser Titel unter dem Bann der Logik der Schrift, aus dem er mit der Erfüllung des Worts befreit werden wird? Gilt für diesen Titel nicht auch die Warnung des Jeremias: „Verlaßt euch nicht auf täuschende Worte wie diese: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist hier“ (74)?
    Nicht die Trinitätslehre ist entscheidend, sondern die Nachfolge, es sei denn, wir begreifen endlich die Bedeutung der Trinitätslehre im Kontext des Nachfolgegebots (ihre imperativische Bedeutung, zu der insbesondere das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist gehört).
    Zu Rosenzweigs Übersetzung „Geist Gottes brütend über den Wassern“: Kann es sein, daß der Geist die Gebärmutter/Barmherzigkeit verkörpert, in der das Reich Gottes ausgetragen wird? Vgl. auch das Wort von den „messianischen Wehen“.
    Woher kommt eigentlich und was bedeutet der Begriff Plusquamperfekt? Ist das Plusquamperfekt das durchs Futurum perfectum vermittelte Perfekt? Drückt sich in der Folge: Ich habe gehabt, ich werde gehabt haben und ich hatte gehabt, nicht eine Stufenfolge der Reflexion aus (ähnlich in: ich bin gewesen, ich werde gewesen sein und ich war gewesen)? Das Perfekt ist Ausdruck der abgeschlossenen Vergangenheit, das Plusquamperfekt: da ist auch die Erinnerung dieser abgeschlossenen Vergangenheit schon vergangen und abgeschlossen. – Das Plusquamperfekt: die grammatische Verkörperung dessen, was der jungen Christenheit die eigene „heidnische“ (mythische) Vergangenheit bedeutete? Das Christentum hat die eigene mythische Vergangenheit zur (vollständig verdrängten) Vorgegangenheit gemacht, um sich in der Gestalt Jesu das in ihm reflektierte Israel als neue Vergangenheit aneignen zu können.
    Ist es nicht fast symbolisch, wenn ein Gesamtschuldirektor seine Absicht bekundet, nach seiner Pensionierung Ägyptologie zu studieren (die Geschichte des Sklavenhauses)?
    Drinnen und draußen: Zum Faschismus gibt es kein Draußen; wer sich äußerlich (als Feind) zu ihm verhält, steckt schon drin. Die einzige Kraft, die die des Faschismus aufzulösen vermag, ist die der Reflexion. Deshalb gibt es keine „liberale Substanz“ der Politik ohne die „negative Bürgschaft“ durch die totalitären Systeme (vgl. Metz‘ Bemerkung zu H. Dubiel in seinem Essay „Religion und Politik auf dem Boden der Moderne“, FR vom 10.06.95). Es ist schlechterdings undenkbar, sich den Faschismus als real vergangen vorzustellen. Es gibt keine „Gnade der späten Geburt“. Der Faschismus ist das, was der Mythos für die junge Christenheit war, ein Plusquamperfekt, das nicht vergehen kann.
    Heute ist die Verwechslung von Komplizenschaft und Solidarität unvermeidbar geworden.
    Warum gibt es keinen Primo Levi der raf, warum gibt es keinen Huidobro und Rosencof der raf? Und warum ist der Primo Levi des Stalinismus, Solschenizyn, der den Bericht über den Archipel Gulag geschrieben hat, zum Faschisten geworden?
    Sind die drei Jünglinge im Feuerofen und Daniel in der Löwengrube Symbole der Politik?
    Ist Habermas‘ Begriff der Moderne nicht ein Bekenntnisbegriff, den es ohne die Häresie der Postmoderne nicht geben würde?
    „Religion und Politik auf dem Boden der Moderne“: Die Moderne ist zwar der Boden der Politik, für die Religion aber Reflexionsgegenstand, nicht ihr Boden. Und wenn Boden: Was liegt unter diesem Boden, worauf stützt er sich? Die Selbstbegründung der Moderne, der Akt, mit dem sie von ihrer Vergangenheit sich absetzt, hat selber ihre verborgenen theologischen Wurzeln.
    Es gibt falsche Zeugen, falsche Eide, falsche Propheten; aber den Nathanael nannte er einen „wahren Israeliten, ohne Falsch und Tadel“. (Wie ist es mit den falschen Zeugen im Verfahren der Hohepriester gegen Jesus, in welchem Sinne war ihr Zeugnis falsch: Verwechslung der Realitätsebene mit der des Symbols?)
    Rührt nicht das Verständnis des achten Gebots (das Verhältnis des falschen Zeugnisses zur Lüge) an ein Problem der Sprache?
    Gibt es nicht den Begriff der Lüge überhaupt erst im Neuen Testament (im Kontext der Gestalt des Teufels, der Dämonen, der unreinen Geister)? – Verhält sich der Teufel zum Satan wie die Lüge zum falschen Zeugnis? – Vgl. die Versuchungsgeschichte Jesu bei
    – Mt: Versuchung durch den Teufel, drei Versuchungen, „Hinweg Satan“, „da verläßt ihn der Teufel, und siehe, Engel traten herzu und dienten ihm“ (41-11),
    – Mk: Versuchung durch Satan, und „er war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm“ (112-13),
    – Lk: wie Mt, andere Reihenfolge, ohne das „Hinweg Satan“, „und nachdem der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, stand er von ihm ab bis zu gelegener Zeit“ (41-13)
    Nur wenn die Welt durchs Wort erschaffen wurde, ist sie erlösbar. Sind nicht alle naturwissenschaftlichen Weltentstehungestheorien Versuche, die Erinnerung an das Jüngste Gericht aus der Welt zu schaffen? – Wie verhält sich die Lehre, daß die Welt durchs Wort erschaffen wurde, zur Lehre von der creatio mundi ex nihilo?

  • 13.6.1995

    Die Wahrheit des Dezisionismus ist das Bewußtsein des ungeheuren Gewaltpotentials, das der Zivilisationsprozeß erzeugt hat.
    Mit dem Begriff der Intersubjektivität ist schon eine apriorische Vorentscheidung getroffen, die innerhalb der Philosophie nicht sich rückgängig machen läßt.
    Intersubjektivität entscheidet den Hegelschen Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Anderen, bringt das Eine zum Verschwinden. Ins Deutsche übersetzt heißt Intersubjektivität: Anpassung an die Welt, wie sie nun einmal ist. Das eröffnet dann den Spielraum fürs „Experimentieren“, tastet aber die Maschine nicht mehr an.
    Der Begriff der intersubjektiven Vernunft verletzt das Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen.
    Philosophie und Projektion: Es stimmt, daß wir nur das erkennen, was wir in die Dinge hineinprojizieren (und der Begriff der Intersubjektivität sanktioniert diese Projektion, die eine kollektive ist). Nur daß wir im Prozeß dieser Projektion den eigenen blinden Fleck herausarbeiten, dessen Reflexion dann die Philosophie wäre. Die Hegelsche Philosophie (Hegels Logik) ist dieser gleichsam entfaltete und durchorganisierte blinde Fleck.
    Zu Metz: Die „Verweltlichung der Welt“, das ist die Entfaltung des blinden Flecks.
    Kann es sein, daß die memoria passionis mit dem Gebot der Feindesliebe konvergiert? Oder umgekehrt: Ist nicht das Gebot der Feindesliebe der Hebel, mit dessen Hilfe Moderne und Religion gemeinsam auszuhebeln wären, damit beide sich erfüllen? Was in der Verweltlichung der Welt sich herausarbeitet, ist der „Feind“, in dem wir uns selbst (unser eigenes Angesicht) erkennen. In diesen Zusammenhang gehört das Wort vom Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. – Ist nicht die Aufklärung der Feind, in dem die Kirche sich selbst erkennen würde, wenn sie aus dem eigenen blinden Fleck heraustritt? Und ist nicht Religion selber heute der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort?
    Die memoria passionis gewinnt konkrete Gestalt erst im Kontext des parakletischen Denkens. Und der Universalimus kommt zu sich selber in dem Satz, daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken (zusammen mit dem Jeremias-Wort, daß keiner den Andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen).
    Hat Hegel nicht, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die Logik transponierte, die transzendentale Ästhetik erst recht unangreifbar und undurchschaubar gemacht?
    Warum gibt es in der ganzen Adorno-Schule niemand, der einen Kommentar zu Hegels Logik schreibt? Das Potential, das den Bann hätte lösen können, war da.
    Der Titel des Werks von Hermann Cohen „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ ist bis heute uneingelöst. – Vgl. insbesondere die Bemerkung Cohens, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns, nicht des Seins sind, die Emmanuel Levinas dann so verschärft hat: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ, nicht im Indikativ. Hierin liegt das Programm der Gotteserkenntnis, der Grund der Unterscheidung von Gebot und Gesetz und die Dekonstruktion des Begriffs der Intersubjektivität (die das Subjekt zum Objekt seiner eigenen Formen der Anschauung macht).
    Das Angesicht ist eine logische Konstruktion: die Grenze, an der die Logik sinnlich wird.
    Der Begriff ist ein Totengedenken und Hegels Philosophie ein Heldenfriedhof (und Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ ein Versuch, selber noch einen Platz auf diesem Heldenfriedhof zu erhalten). Aber wäre nicht dieses Totengedenken aufzusprengen, in ihm die Kraft des Namens wiederzuerwecken, denn Gott ist kein Gott der Toten (und: Laßt die Toten ihre Toten begraben).
    Der Mörfelder Wald ist durchsetzt von Erinnerungen an die Startbahn-Auseinandersetzungen, in denen kommunikatives Handeln durch Schlagstock und Wasserwerfer erfahren werden konnte.
    Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns hat das hilflose Postulat des gewaltfreien Diskurses an die Stelle der Reflexion der Gewalt gesetzt: Sie hat der eingreifenden Argumentation entsagt und, ohne es noch zu bemerken, ihr Vertrauen in die Kräfte des sich selbst regulierenden Marktes, die selber eine der Quellen der Gewalt ist, gesetzt.
    Als der Studentenprotest aus der Öffentlichkeit herausgeprügelt worden ist, ist die raf in die Studentenbewegung hineingeprügelt worden.
    Es gehört zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, wenn es nicht gelungen ist, Derrida’s unverschämte Benjamin-Kritik öffentlichkeitswirksam zu destruieren.
    Wäre nicht die Frage von Maimonides, ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal da gewesen ist, auch in die christliche Theologie mit aufzunehmen: Muß Christus, wenn er wiederkommen wird, notwendig das Antlitz dessen tragen, der im Stall geboren wurde und am Kreuze starb?
    Theologie im Angesicht Gottes wäre nicht mehr religiös, sondern politisch.
    Der Name der Theologie wäre zu retten, wenn der Logos die Erinnerung an den Begriff in sich tilgen und die Kraft des Namens in sich wachrufen würde. Schwieriger wäre es mit dem Namen der Philosophie: Hier wäre aus der Sophia das Abgeklärte zu entfernen.
    Die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt hängt auf eine sehr merkwürdige Weise mit der Fähigkeit zur Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung zusammen: Die subjektiven Formen der Anschauung erbringen (gemeinsam mit dem Weltbegriff) eine Vorleistung, deren Reflexion die der Gewalt überhaupt erst ermöglicht.
    In dem Augenblick, als man den Raum durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen in ihm definierte, als man ihn gegen die Zeit verselbständigte, zusammen mit der Geometrisierung des Raumes, wurde die Idee der Umkehr destruiert. Über diese Logik hängen Orthogonalität und Orthodoxie mit einander zusammen.
    Zur Geschichte der Scham (zu ihrer Ursprungsgeschichte im Sündenfall) gehören auch die Benennung der Tiere durch Adam und die Erschaffung der Eva. Gehört nicht der Tierkreis zur Benennung der Tiere durch Adam, das Planetensystem zur Vertreibung aus dem Paradies und zum Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert?

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