Hegel

  • 14.2.96

    Vierzig Jahre Flaschenpost – Norbert Rath zitiert in seinem Beitrag den Satz Horkheimers: „Die Philosophen im 19. Jahrhundert, Hegel und Nietzsche, haben geschrieben: Gott ist tot. Wahr ist vielmehr, daß der Gedanke gestorben ist“ (S. 95). Ist die Aufsatzsammlung selber nicht eine Sammlung von Grabreden, wird hier der „Gedanke“ nicht in der Tat nur noch als toter Gedanke erfahren? – Auf der gleichen Seite, auf der er den Horkheimer-Satz zitiert, spricht Norbert Rath vom „Schwanken (sc. Horkheimers) zwischen den miteinander unvereinbaren Bezugstheorien von Marx und Nietzsche“. Hier werden Philosophen zu Erfindern von Theorien, die dann verifiziert oder falsifiziert werden können. Daß in der Philosophie „Theorien“ Organisationsformen von Einsichten und nicht die Organisationsformen, sondern diese Einsichten (die Habermas als privilegierte Erkenntnis ausscheidet, während sie durch Reflexion ihrer logischen Form, die ihren Zeitkern bildet, wiederzugewinnen wären) der eigentliche Gegenstand der philosophischen Tradition sind, das wird durch den Begriff „Bezugstheorien“ verdrängt. Eben dieser Verdrängung verdankt sich die Ideologisierung der Einsichten von Marx und Nietzsche, die beide zu „toten Hunden“ macht und die Philosophie zu einem Beerdigungsinstitut am Gräberfeld der Philosophiegeschichte.
    Heute verstellt schon der Naturbegriff der Einsicht den Weg (Habermas‘ Stellung zur Natur gehört zu den Voraussetzungen seiner Beziehungen zur Kritischen Theorie und des Konzepts seiner Theorie des kommunikativen Handelns, deren Zweck es sein könnte, Philosophie von der Last der Einsicht zu befreien). Kann es sein, daß die Totalitätsbegriffe Welt und Natur den logischen Grund bezeichnen, aus dem die mythischen Gestalten des Satans (des Anklägers) und des Teufels (des Verwirrers) einmal hervorgegangen sind (während das Wissen auf einen dämonischen Grund verweist)?
    Steckt nicht im Namen ein magisches Element, und war nicht in der Tat die Magie in erster Linie Namenszauber (während der Mythos zur Vorgeschichte des Begriffs gehört)?

  • 3.2.96

    Das Cliché von der „postmodernen Beliebigkeit“ trägt aufs deutlichste projektive Züge: Die Informationsgesellschaft zementiert das Bestehende und macht jede Kritik zur Meinung, zu etwas Subjektivem, Beliebigem. Objektiv ist nur das, was ist, worüber man andere (wertneutral) informieren kann. Ist nicht das Konstrukt des „kommunikativen Handelns“ ein Haus der Beliebigkeit? Fehlt nicht im Begriff des „herrschaftsfreien Diskurses“ die Reflexion auf die Außenbeziehungen der Gründe und auf die Außenwirkung seines Ergebnisses, müßte nicht die Herrschaftsfreiheit des herrschaftsfreien Diskurses auch diese Außenbeziehungen mit einbeziehen? Jeder reale Diskurs (jedes Gespräch am Bankschalter, im Büro des Chefs, im Amtszimmer einer Verwaltung) bezieht sich auf Sachverhalte, die bis in die innerste Struktur hinein durch Herrschaftsbeziehungen bestimmt sind, und in der Regel sind es diese Herrschaftsbeziehungen, die das Ergebnis des Diskurses bestimmen. Aber auch der herrschaftsfreie Diskurs am Stammtisch kann durchaus diskriminierende Außenwirkungen, etwa eine Ausländerhatz, zur Folge haben. Die Logik des herrschaftsfreien Diskurses schließt das Vorurteil nicht aus.
    Die subjektive Form der äußeren Anschauung verwandelt die Natur in Ausland (die der inneren Anschauung transformiert ihre Objekte ins Vergangene).
    Enthält nicht der Satz aus Hegels Rechtsphilosophie, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, um der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, die Begründung der Notwendigkeit des Strafrechts und der Knäste, ist er nicht ein Produkt der Säkularisation der Höllenvorstellung?
    Die positivistische Subjektivierung der Kritik ist die letzte, sprachlogische Konsequenz aus der Subjektivierung der „Sinnesqualitäten“, der „Empfindungen“.
    Seid vollkommen, wie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist: Hängt die Bedeutung dieses Satzes nicht vom Verständnis des perfectum ab, davon, ob das perfectum als vergangenes Sein oder als vollendete Handlung verstanden wird? Müßte es nicht heißen: Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen sein wird?
    Wer das perfectum ins Vergangene transformiert, muß dann auch das perfectum wiederum als Vergangenes reflektieren, und zwar sowohl als Plusquamperfekt, als Vorvergangenheit, wie auch als Futur II, als zukünftige Vergangenheit. Ist der Schritt vom Plusquamperfekt zum Futur II der Schritt von der griechischen zur lateinischen (von der dogmatischen zur postdogmatischen) Sprachlogik?
    Apokalyptische Sprachlogik: Wenn der Drache (die Schlange) das Neutrum ist (das Präsens der vollendeten Vergangenheit: Kristallisationskeim der verdinglichten, instrumentalisierten Welt), ist dann das Tier aus dem Meer das Plusquamperfekt und das Tier vom Lande (der falsche Prophet) das Futur II?
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Im Licht des Ewigen ist die Justiz das Verbrechen, das zu verfolgen sie vorgibt.
    Der Knast ist das Produkt der Identifizierung des Plusquamperfekt mit dem Futur II, das Inertialsystem das logische Abbild des Knasts: Die Vorstellung des leeren Raumes verbindet die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen.
    Ist der leere Raum das Realsymbol des Rosenzweigschen Nichtwissens, und sind die Gegenstände des Nichtwissens (Gott, Welt, Mensch) die Namen des Nichtobjektivierbaren, des nicht unter die Vergangenheit Subsumierbaren?

  • 2.2.96

    „Präpositionen wie anläßlich, betreffs, bezüglich, mangels, mittels[t], seitens, vermittels[t], zwecks gelten als Papierdeutsch.“ (Duden, Grammatik, S. 364) – Gibt es auch Papieritalienisch, Papierfranzösisch, Papierenglisch? In welchem Zusammenhang werden diese Präpositionen gebraucht (Herrschafts-, Verwaltungs-, Mediensprache)? Gibt es noch andere Sprachelemente und sprachlogische Konstruktionen, die in diesen Bereich gehören? Ist die papierdeutsche Grammatik das Produkt einer transzendentallogischen Rekonstruktion der Sprache, ist das Papierdeutsch Subjekt-Objekt der Sprache der Hegelschen Logik, die die Logik der Schrift ebensosehr reflektiert wie sie sie als Maß ihrer eigenen Rationalität anerkennt (sprachlogisches Paradigma: „Was für eines“)?
    Ideal der Verwaltung: Alle tun ihre Pflicht, und keiner weiß, was er tut. Globke war nicht zufällig der erste Staatssekretär an der Spitze der bundesdeutschen Administration.
    Die Sprachlogik des Papierdeutsch ist die Sprachlogik der deutschen Verwaltung. An der Durchführung des Asylkompromisses wäre zu demonstrieren, daß der Faschismus in der Verwaltung als Modernisierungsschub sich begreifen läßt. Das Papierdeutsch ist wie die deutsche Verwaltung insgesamt (mit einem „Kanzler“, einem Verwaltungsamt, an der Spitze einer „Regierung“) ein Reichserbe: Es gibt keinen Kaiser mehr, aber die der Verantwortung enthobene Verwaltung, die ihre Pflicht tut, ist geblieben. Im führerlosen Staat wird das Ausland zum Repräsentanten der politischen Vernunft.
    Das Papierdeutsch ist das Ergebnis eines unüberbietbar radikalen Versuchs, eine reine Subsumtionssprache herzustellen, eine Sprache, die alles Handeln ins Passiv übersetzt. Das Papierdeutsch ist Ausdruck der Gewalt der Verwaltung, die die Politik am Ende demoralisiert und handlungsunfähig macht. Die Medien sind zu einem Organ der Hofberichterstattung geworden, nur daß an die Stelle des Hofs das reine Nichts getreten ist.
    Vergleiche auch die Rechtssprache, die diesem Zustand immer deutlicher sich anpaßt („in Augenschein nehmen“: ein Realitätsbezug, der sich selbst dementiert).
    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns, deren Urspünge in den USA wahrscheinlich sehr viel anders klingen, ist durch seine Übertragung ins Deutsche ins Papierdeutsche übertragen worden.
    Sind nicht die philosophischen Kategorien seit ihrem Ursprung (bei Aristoteles) Papierkategorien: Kategorien einer Sprache, die unter den Voraussetzungen der Logik der Schrift sich gebildet hat, zur Verkörperung und zum Gerüst dieser Logik geworden ist?
    War nicht der Übergang vom prosopon zur persona ein Übergang vom Sehen (des Gesichts) zum Hören (der Stimme, die durch die Maske hindurchtönt), aber eines Hörens, das über die Logik der Schrift selber wieder zu einem durchs Sehen vermittelten Hören geworden ist? Ist der Begriff der Person nicht durch seine Ursprungsgeschichte fast unanalysierbar geworden (vgl. die mittelalterliche Definition der Person: persona est rationalis naturae individua substantia)?
    Das Problem der Scholastik gründet darin, daß sie die Kategorien der aristotelischen Philosophie in einen sprachlogischen Kontext übertragen hat, in dem sie ihren Sinn und ihre Erkenntniskraft eingebüßt hat: sie ist durch Instrumentalisierung ins Dogmatische verschoben worden ist. Der griechische Ursprung der Trinitätslehre war ein politischer; er steht in sprachlogischem Zusammenhang mit der Logik des Römischen Reiches (Konstantin gehört in die Ursprungsgeschichte des Dogmas); durch die Übertragung der Trinitätslehre ins Lateinische ist die Opfertheologie in den Kern des trinitarischen Dogmas gerückt, das Dogma selbst konfessionalisiert worden. Die „Wirkung“ des Dogmas ist aus dem Bereich der Erkenntnis in den der Moral verschoben worden: Sein Hauptzweck war die „Entsühnung der Welt“, die zur Grundlage der Entzauberung der Herrschaft und ihrer Vergesellschaftung geworden ist.
    Das Computerdeutsch (das Informatikdeutsch) ist eine Steigerung des Papierdeutsch.
    Wenn die Ökonomie die anorganische Natur des Staates ist, dann ist die Privatisierung der staatlichen Aufgaben, ihre Übertragung an die Ökonomie, das Werk der Verwüstung.
    Das Scheitern Jesu war das Scheitern des Worts an der Schrift.
    Ist der Hahn der Morgenstern unter den Tieren?

  • 27.1.96

    Horror vacui: In der Vorstellung des leeren Raumes vereinigt sich die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen. Oder anders: Der leere Raum ist die gegenständliche Verkörperung der Vorstellung, daß die Zukunft durch Verdrängung der Vergangenheit sich eröffnen läßt. Die Logik dieses in der Raumvorstellung geronnenen Verfahrens ist durchs Dogma, durch die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes Jesu, vorgebildet worden.
    Gibt es eine ökonomische Entsprechung des horror vacui, und wäre er nicht in der Logik und Funktion der Banken zu suchen (oder, in der Vorgeschichte der Banken, in der des Tempels im Bereich der Tempelwirtschaft; hängt hiermit die Funktion des Tempels in der Ursprungsgeschichte der Kosmologie zusammen, der Tempel als Abbild des Kosmos)?
    Was bedeutet es, wenn im zweiten Schöpfungsbericht die Reihenfolge des Geschaffenen umgekehrt wird, wenn das „im Anfang schuf Gott (Elohim) den Himmel und die Erde“ transformiert wird in den Satz „zur Zeit, da Gott der Herr (Elohim JHWH) Erde und Himmel machte“? Zu dieser Transformation gehört im einzelnen
    – die verändert Name des schaffenden Subjekts: die Differenz Elohim/Elohim JHWH,
    – der Fortfall des bestimmten Artikels (bei den geschaffenen Objekten) nach Umkehrung der Objektfolge,
    – die Änderung der Benennung des Tuns von Schaffen ins Machen und
    – die Änderung der Zeitbestimmung vom absoluten „Im Anfang“ zum relativen „Zur Zeit, da …“.
    Im Selbstmitleid, das heute als fast unausweichlich sich erweist, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, manifestiert sich die eigene Ohnmacht; oder genauer: Im eigenen Selbstmitleid manifestiert sich das Selbstmitleid und die Ohnmacht der Andern und darin die eigene Ohnmacht.
    Es gibt einen Atheismus, der mit der Leugnung Gottes die Menschheit verrät.
    Gotteserkenntnis ist ein notwendiges Sinnesimplikat einer Erkenntnis, die die Reflexion auf die Asymmetrie, die unaufhebbare Differenz zwischen mir und dem Andern, in sich mit aufgenommen hat: den Einspruch gegen einen Universalismus, der es sich zu leicht macht, der nur den Weg des geringsten Widerstands wählt und um der Erkenntnis willen die Welt verrät (ist der Habermassche Universalismus – ähnlich dem der Naturwissenschaften, dem er nacheifert – nicht ein auf den Kopf gestellter Fundamentalismus?).
    Die kantische Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung (weshalb sie „gleichwohl objektiv“ sind) schließt die Frage nach dem Grund der Vorstellung mit ein, weshalb es eine Natur gibt, die ohne uns da ist. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Verinnerlichung des Opfers, des Opfers des Selbst an die ohne dieses Opfer nicht bestehende Natur.
    Es gibt einen sehr tiefsinnigen Hinweis auf das Problem Kants in der Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung: die Hegelsche Bemerkung, daß der Begriff der Geschichte sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Geschichte als Inbegriff der historischen Ereignisse selber bezeichnet. – Bezeichnet nicht Rosenzweigs Konzept des Sterns der Erlösung genau den Punkt, an dem er den Bann des Historismus bricht (das logische Problem der historischen Gegenständlichkeit in den Blick rückt)?
    Das Moment der Selbsthistorisierung, der Selbstobjektivation, das in der Berufung auf das Urteil der Geschichte steckt, begründet und rechtfertigt die Politik des Nichthandelns, des Aussitzens. Der gleichen Politik, die durch die „Wiedervereinigung“ in den Schein einer historischen Bestätigung gerückt worden ist, die sich selbst dementiert (die „Wiedervereinigung“, die das Ergebnis des verlorenen Krieges revidiert, ist das reallogische Pendant eines Krieges, der nicht mehr durch einen Friedensschluß beendet werden konnte).
    Israel ist die Verkörperung des Baums des Lebens in einer Geschichte, die durch den Baum der Erkenntnis und den Sündenfall determiniert ist.
    Das Wort „Richtet nicht …“ wäre heute zu ersetzen durch das „Verurteilt nicht, auf daß ihr nicht verurteilt werdet“: durch die Kritik des Objektivationsprozesses insgesamt.
    Das „Richtet nicht …“ ist ein Einspruch gegen das Hegelsche Weltgericht.

  • 22.1.96

    Ist nicht die Scham der Kinder für das Verhalten ihrer Eltern das Modell der Konstellation, aus der die 68er Bewegung hervorgegangen ist?
    In der Theorie des kommunikativen Handelns, die an dieser Konstellation teilhat, wird Wissenschaft in einer Weise selbstreferentiell, die jeden Zugang von außen zu versperren scheint. Nur wer in den Zirkel hineingesprungen ist, versteht ihn, findet vielleicht einen Schlüssel, der die Realität zu erschließen vermag. Bezeichnend eine Stelle bei Habermas, an der er den Begriff der Willkür als einen Fachterminus aus dem Bereich der idealistischen Systeme denunziert.
    Musterschüler: Nach der Verdrängung der Vergangenheit mit Hilfe der Kollektivscham ist die Neigung verbreitet, sich in die hineinzuversetzen, vor denen man sich schämt, und deren Urteil durch Unterschiebung anderer Objekte (durch Schuldverschiebung) von sich selbst abzulenken. Aber steckt in dieser Neigung nicht immer schon ein Stück Rachetrieb, enthielt sie nicht immer schon den Trieb zum Verrat? Das Gefühl, daß man mit der Verurteilung der Nazis (z.B. mit der Verurteilung von Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger) insgeheim sich selbst verurteilte, was dann die Urteile nur rigoroser machte, war auf diesem Wege nicht wegzubringen, es ließ sich nur verdrängen.
    Hegels Warnung, den Gegner nicht dort zu widerlegen, wo er nicht ist, wurde in den Wind geschlagen.
    Die Kollektivscham hat die Schuld nicht aufgehoben, sondern nur verhärtet, unreflektierbar gemacht.
    Setzt nicht Günther Anders‘ Begriff einer „prometheischen Scham“ ein anderes Schamproblem schon voraus, die doppelte Bewegung, in der die Scham vor anderen durch die Scham für andere (vor einem Dritten) schon in sich enthält: Ist nicht die propmetheische Scham diese Scham vor einem Dritten, die fast nicht mehr zu durchschauen ist?
    Ist nicht das begriffliche Denken (die Konstituierung des Begriffs) ein Produkt dieser Bewegung der Scham: Die Instrumentalisierung der Schamumkehr, in deren Ursprungsgeschichte der Objektbegriff (und der Naturbegriff) sich bildet?
    Fremdenfeindschaft gründet in der Abwehr der Selbsterkenntnis, die des Fremden bedarf, weil nur über die Realität des Fremden die Reflexion der Scham möglich ist.
    Hat nicht die Beschneidung weniger hygienische Gründe, als vielmehr Gründe, die mit dem Problem der Scham (der Konstituierung des Objektbegriffs) zusammenhängen? Die Beschneidung ist eine Beschneidung des Ich (Zusammenhang mit dem Namen der Hebräer, seiner inversen Beziehung zu dem der Barbaren).
    Als Freud den Frauen den Kastrationskomplex andichtete, hatte er da nicht den in der Beschneidung gründenden eigenen Kastrationskomplex auf die Frauen verschoben?
    Stand der Kreuzestod in der Tradition der Geschichte der Beschneidung, und mußte er deshalb mit Hilfe der Opfertheologie verdrängt werden? Hängt die Beschneidung selber nicht schon mit der Geschichte des (Tier-)Opfers (das durch Barmherzigkeit aufgehoben werden sollte) zusammen, mit der Ablösung der Erstgeburt, der menschlichen Erstgeburt wie auch der des Esels durch das Lamm? – Trug nicht der Esel bei der Opferung Isaaks die Opfermaterialien?
    Wie/die: Die Feminisierung des Verfahrens der Objektivierung und Instrumentalisierung ist der deutlichste Hinweis auf die Bedeutung des apokalyptischen Unzuchtsbechers.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Das heißt, sie ist alles, was unter Begriffe fällt. Heißt das nicht, daß in der Gravitation ein konstitutives Moment des Begriffs sich widerspiegelt? Mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes ist das Objekt zum Begriff und der Begriff selbstreferentiell geworden.
    Kopernikus hat die Planetenbewegung vorstellbar gemacht, er hat die Planetenwelt in den einen Raum der Anschauung transformiert, Newton hat mit dem Gravitationsgesetz die „dynamische Begründung“ dazu geliefert.
    Aufschlußreich wäre eine physikalische Geschichte des Objektbegriffs, dessen „Identität“ allein aus seiner Beziehung zum Subjekt, nicht jedoch aus der Abfolge der Bestimmungen, die er im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß durchläuft, sich ableiten läßt. Seit der kopernikanischen Wende enthält jede „Lösung“ schon die Problemkonstellation in sich, die den Erkenntnisprozeß weitergetrieben hat. Und keines der Probleme, die im Prozeß der naturwissenschaftlichen Objektivierung hervorgetreten sind, ist wirklich gelöst worden. Eine Kulmination des Objektproblems war zweifellos das damals so genannte „Ätherproblem“, der vergebliche Versuch, das Objekt der Maxwellschen Gleichungen im Anschauungsraum sich „vorzustellen“. Die genaueste Fassung dieses Problems (nicht schon seine Lösung) war zweifellos die spezielle Relativitätstheorie Einsteins (das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Problem von der Objektvorstellung in die Struktur des Systems verschoben hat), während die durchs Plancksche Strahlungsgesetz eröffnete Welt der Mikrophysik, die moderne Atomphysik (und ihre ideologische Abschirmung durch die Interpretation der Kopenhagener Schule), die Unlösbarkeit des Problems als seine Lösung propagiert. Beschreiben nicht das Plancksche Strahlungsgesetz und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf den gleichen Sachverhalt, wobei ihre Differenz in der unterschiedlichen Stellung zum Inertialsystem, in der Beziehung von Objekt und System, gründet? Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigt das Inertialsystem derart, daß es als gegenständliches Objekt vom System sich abspaltet und verselbständigt: als von Strahlung durchsetzter Hohlraum durch ein mathematisches Gesetz sich bestimmen läßt.

  • 17.1.96

    Die Kritik der Bewußseinsphilosophie leugnet den Schmerz. Diese Leugnung gründet in der Verdrängung der Empathie durch die Logik der Verurteilung (die Logik der Verurteilung begründet den Rechtfertigungszwang); sie ist der Grund der heute sich ausbreitenden Form des Atheismus.
    Gehört nicht zur Theorie des kommunikativen Handelns die Reflexion darauf, daß sie die Wahrnehmung und Erinnerung des Leidens ausschließt? Und zwar deshalb ausschließt, weil das Handeln, auf das diese Theorie sich bezieht, ein subjektloses Handeln, ein gehandelt Werden, eigentlich ein Erleiden ist (man muß in die Sprache hineinhören, um wahrzunehmen, was es heißt, wenn das immenente telos des kommunikativen Handelns ein „Konsens“ ist, der durch den Diskurs herzustellen ist). Im Kontext des kommunikativen Handelns ist die Stelle des Leidens schon vom Handeln besetzt (was auf den realen Grund des kommunikativen Handelns verweist: aufs Selbstmitleid).
    Hier liegt der (selbstverschuldete) systematische Grund der „Neuen Unübersichtlichkeit“, die Habermas später einmal beklagte.
    Kommunikatives Handeln steht unterm Rechtfertigungszwang und ist ein Instrument des Schuldverschubsystems. Die dem Begriff des kommunikativen Handelns zugrunde liegende Idee der Intersubjektivät ist die der Bekenntnislogik, der subjektiven Formen der Anschauung, des Logik des Geldes. (Im Begriff der „Weltanschauung“ gibt sich die Bekenntnislogik als subjektive Form der Anschauung zu erkennen.)
    Habermas verwechselt die Norm (die zur Logik der Welt gehört) und das Gebot (das von Gott ausgeht).
    In den drei Sprechakten präsentiert sich das eigene Handeln als ein Ausfluß der objektiven Welt, in deren Gesetze es eingebunden ist, deren Norm es unterworfen ist, während Subjektivität im expressiven Sprechakt auf den reinen Ausdruck des Leidens zusammenschrumpft (logischer Grund der Geschichte der Kunst).
    Die Kulturindustrie hat die Expression als Ausdruck des (von jeder Fremderfahrung abgeschnittenen) Selbstmitleids dem Wertgesetz unterworfen und zur Ware gemacht. Mit der Verwerfung der Mimesis, mit der Verwerfung des Eingedenkens der Natur im Subjekt (die Habermas als „Eingedenken der ‚gequälten‘ Natur im Subjekt“ denunziert) wurde die Selbstreflexion des kommunikativen Handelns unterbunden, das Konstrukt dogmatisiert.
    Im Bereich des expressiven Sprechakts (der „subjektiven Welt“) kennt Habermas zwar den Begriff der „Wahrhaftigkeit“ (der „Authentizität“). Den Begriff des „falschen Zeugnisses“, der eine Schlüsselfunktion in einer Philosophie, der die Ethik zur prima philosophia geworden ist, bezeichnet, kennt er nicht (wie er auch – trotz einer Theorie der Argumentation – eine Beweistheorie nicht kennt).
    Die beiden ersten Sprechakte, die sich auf die objektive Welt und auf die Normen beziehen, sind eigentlich nur zwei Seiten ein und derselben Sache. Hier wird aus der asymmetrischen Struktur einer Sache ein Nebeneinander zweier getrennter Dinge (was dem „Nebeneinander“ der empirischen Fakten und der normativen Kraft der mathematischen Theorie <der „Formeln“> in den Naturwissenschaften entspricht: Produkt der Verdrängung des Bewußtseins der konstitutiven Bedeutung des Inertialsystems für die Erscheinungen in ihm). Die Reflexion der Asymmetrie ist aus dem Erkenntnisbegriff ausgeschieden worden, als die Erkenntnistheorie gelernt hat, zwischen primären und sekundären Sinnesqualitäten zu unterscheiden.
    Das Inertialsystem und die mathematischen Naturwissenschaften haben das Seufzen der Kreatur nicht aufgehoben, sondern nur zum Schweigen gebracht (und ins Selbstmitleid des bürgerlichen Subjekts, in den Grund seiner Empfindlichkeit, zusammengezogen: aus diesem Fundus, den am Ende die Kulturindustrie auszubeuten gelernt hat, hat die Kunst geschöpft).
    Die Kunstbewegungen des letzten Dezenniums vor dem ersten Weltkrieg waren Ausbruchsversuche der Kunst aus der Kunst.
    Habermas hat vergessen, was er aus seiner Hegel-Kenntnis hätte wissen müssen: daß große Philosophie nicht widerlegt werden kann. Die These, daß Georg Lukács in den „objektiven Idealismus zurückgefallen“ sei, ist eine Denunziation, die versucht, seine eigenen Voraussetzungen polemisch gegen ihn auszuspielen. Wenn Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt hat, dann hat er ihn berichtigt, nicht widerlegt. Diese Form der Kritik dagegen ist nur hilflos und deshalb aggressiv, sie macht Hegel zum toten Hund und möchte den Lukács gleich mit verscharren (hat nicht Wellmer in einem Seminar bei Adorno einmal die These Georg Lukács‘ vom kontemplativen Charakter der Naturwissenschaften mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ zu widerlegen versucht? Ist es nicht gerade das Experiment, das durch seine Kriterien: Wiederholbarkeit, Unabhängigkeit von Raum und Zeit, Gültigkeit für jeden, die „Praxis“ ins Gefängnis der Kontemplation einsperrt, Modell der repetitiven Tätigkeiten, zu denen die Arbeit in Büro und Fabrik geworden ist?).
    Gehört dieses Verständnis des Experiments nicht zu einer Logik, die die Leute veranlaßt, die Ärmel aufzukrempeln, wenn sie „Praxis“ hören?
    Wird in Tschetschenien nicht die Schraube des Terrorismus, die im jugoslawischen Bürgerkrieg schon angezogen worden ist, um eine weitere Windung weitergedreht?
    Wer Elendsflüchtlinge, die hier, um dem von uns verursachten Elend in ihrer Heimat zu entgehen, um Asyl nachsuchen, „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennt, macht die wirklichen Wirtschaftsflüchtlinge unsichtbar: von Jürgen Schneider über Leeson zu Steffi Graf und Boris Becker, oder auch die Kunden der Commerz- und der Dresdner Bank, die über deren luxemburgische Filialen ihre hier erworbenen Vermögen der Steuer entziehen.
    Mit der Orthodoxie, mit dem Dogma und mit der Bekenntnislogik hat sich die Theologie zu einem Instrument der Begründung und Stabilisierung der Welt gemacht, hat sie die Vorarbeit geleistet, die am Ende, in der durchrationalisierten Welt, die subjektiven Formen der Anschauung übernommen haben, die heute helfen, die gesamte Vergangenheit durch Vergegenständlichung zu verdrängen.
    Wie hängt der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, mit der logischen Struktur des Schuldbegriffs zusammen, einer logischen Struktur, die anhand der Konstruktion des Schuldverschubsystems oder auch im Kontext des Satzes, daß nur, wer die Schuld auf sich nimmt, sich von ihr befreit, zu bestimmen wäre. Im Kontext des Weltbegriffs, der in allem dem Angesicht Gottes opponiert, ist das Herz der Menschen nicht nur unsichtbar, es versteinert.
    Die Theologie im Angesicht Gottes öffnet das Herz, während die Welt (in deren Bann die Theologie hinter dem Rücken Gottes steht) es verhärtet und verschließt.
    Der Satz, daß „Bewußtsein aufgrund seiner intentionalen Struktur stets Bewußtsein von etwas (ist)“ (Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 80), ist in dieser Form falsch: Bewußtsein schließt auch die Fähigkeit zur Reflexion seiner eigenen intentionalen Struktur mit ein. „Wo Es ist, soll Ich werden“: Dieser Satz wäre ohne diese Reflexionsfähigkeit nicht zu halten. Wäre er wahr, so wäre der Atheismus unvermeidbar, da der Name Gottes den Einspruch gegen Seine (wie gegen jede) Vergegenständlichung mit einschließt. Gott ist nicht Gegenstand eines intentionalen Akts.

  • 12.1.96

    Wie der Mensch das Ebenbild Gottes, so ist die Ware (das Objekt als Subjekt) das des Staates. Der Begriff der Zerstörung des Gebrauchswerts ist als ökonomische zugleich eine politische Kategorie: Mit der Ware verliert auch der Staat seinen Gebrauchswert.
    In dem Zitat aus Hans-Jürgen Krahl „Konstitution und Klassenkampf“ (in Wolfgang Pohrt „Theorie des Gebrauchswerts“, S. 53) sind einige Kategorien auf offensichtlich signifikante Weise unverständlich:
    – Was ist gemeint, wenn es bei Krahl heißt, daß „Entfremdung und Verdinglichung heute Kategorien sind, deren Gültigkeit für den Kapitalismus zweifelhaft wird“, oder
    – „das Stadium der immanenten Selbstzersetzung der Warenform zugunsten des totalitären Tauschs ist erreicht“?
    Zur Verdinglichung: Diese Kategorie wird nicht „zweifelhaft“, sondern ungegenständlich, sie ist in den blinden Fleck der Erkenntnis gerückt. (Es hängt mit der logischen Beziehung von Ware und Staat zusammen, wenn der Dingbegriff als der Kern der hegelschen Logik sich erweist – als Quellbegriff des Absoluten.)
    Zum Tausch: Der Begriff des Tauschs wird nicht totalitär, sondern universal, Kristallisationskern der Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur, Welt), deren Kritik auf der Tagesordnung steht. Die Unterstellung eines totalitären Tauschbegriffs steht schon unterm Systemzwang der entgegenständlichten Verdinglichung; zu ihren Konsequenzen gehört die personalisierende Umformulierung der Marxschen Theorie, die in die Verwirrungen des Terrorismus geführt hat.
    In dem gleichen Maße, in dem die Produktion den Gebrauchswert der Waren zerstört, wächst ihr eigener Gebrauchswert für den Staat.
    Gebrauchswert und Tauschwert sind Reflexionskategorien, das Modell der Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften. Die verdinglichende Kraft des Tauschprinzips reduziert die Dinge auf ihre (vergleichbaren) Eigenschaften, durch die sie in den Prozeß von Arbeit, Produktion und Konsum hineingezogen werden.
    Der formale Charakter des Begriffs Gebrauchswert läßt an den Objekten seiner Anwendung sich demonstrieren: Dem Geld, dem Staat, der Lohnarbeit, dem Kreuzestod Jesu, dem Militär, auch der Philosophie wächst unter definierbaren Bedingungen Gebrauchswert zu. Gebrauchswert ist ein Aspekt der Instrumentalisierung, in deren Geschichte verflochten, keine Natureigenschaft eines Objekts. Das, was Pohrt die Selbstzerstörung des Gebrauchswerts nennt, ist keine Selbstzerstörung, sondern eine Verschiebung des Gebrauchswert, der im gesamten Objektbereich wandert.
    Der letzte Gebrauchswert des Staates ist der faschistische: der Nationalismus, das Gefühl, dazuzugehören, auch wenn man selbst davon nichts hat.
    Der Terrorismus, der den Staat zwingen will, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat schon vergessen, daß der Staat gesichtslos ist; er gleicht sich selber dem an, was er für das „wahre Gesicht des Staates“ hält. Wer glaubt, dem Staat den Spiegel vorhalten zu können, vergißt, daß der Staat blind ist.
    Kann es sein, daß das Modell für die astrophysikalische Theorie des „schwarzen Lochs“ in dem zu suchen ist, was die analsadistische Sprache ein „Arschloch“ nennt?
    Gehören nicht die Theorien vom Urknall wie vom schwarzen Loch zu den Legitimationskonstrukten der Naturwissenschaften, die von den Ursprungs- und Zielphantasien, die sie zugleich zu neutralisieren gezwungen ist, sich nicht lösen können?
    Zieht sich nicht heute das Opfer der Vernunft, welches Adorno im Ursprung der Zivilisationsgeschichte erkennt, auf den einen Punkt der Verwerfung der Theologie zusammen? Das fast Irrsinnige daran ist, daß die Verwerfung der Theologie selber aus einer theologischen Tradition sich speist, die auf den Kern der christlichen Tradition zurückweist. Der Ursprung des Säkularisationsprozesses liegt in der Ursprungsgeschichte der Orthodoxie, der Bekenntnislogik. Er liegt an genau dem Punkt, als die Theologie einen Gebrauchswert bekam (für den Staat, aber auch für die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Herrendenkens, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Der Gebrauchswert der Theologie ist der Quellpunkt ihrer Instrumentalisierung, die ihren Grund in der Opfertheologie hat.
    Paradigmatisch für den Gesamtumfang des Problems des Gebrauchswerts ist der Jugoslawienkonflikt (wahnsinnige Vorstellung, daß dieser Konflikt auf eine frühe bundesrepublikanische Intervention, auf ein Projekt der Destabilisierung Jugoslawiens durch den BND unter der Leitung von Klaus Kinkel, des heutigen Außenministers der BRD, sich zurückfnhren läßt).
    Hätte nicht Sloterdijk, der Autor der Kritik der zynischen Vernunft, diesen Vorgang erkennen mnssen? Ja, wenn er nicht selber seine Kritik am Ende ins Affirmative umgebogen, als Ausweg den Kynismus empfohlen hätte. So wurde aus der Kritik der zynischen Vernunft ein Stück Schwabinger Philosophie.
    Nach kabbalistischer Tradition sind die sechs Richtungen des Raumes auf sechs göttliche Namen versiegelt. Die Vermutung, daß diese Siegel unter Einschluß des siebten Siegels (des Sabbats, als dessen Herr der Menschensohn sich zu erkennen gegeben hat) in den sieben unreinen Geistern (in der Gestalt der Maria Magdalena) und in den sieben Siegeln der Apokalypse sich wiederfinden, mag vielleicht ein Licht nach beiden Seiten werfen.
    Zur Astrologie: In welcher Beziehung stehen die Venus zum Mond, der Mars zum Jupiter und der Merkur zur Sonne?

  • 11.1.96

    Habermas hat mit dem Begriff der „objektiven Welt“, in dem er Natur und Ökonomie nicht mehr unterscheidet, und nachdem er die Naturwissenschaft aus dem Bereich der philosophischen Kritik herausgenommen hat, auch die Ökonomie der Kritik entzogen. Damit scheint es zusammenzuhängen, wenn er zwar eine Theorie der Argumentation zu etablieren versucht, hierbei jedoch hinter den Stand der hegelschen Reflexion der Dialektik des Grundes zurückfällt und insbesondere das Problem der Beweislogik nicht sieht, nicht erkennt. Die Entfaltung und Bestimmung des Problems der Beweislogik wäre die Basis einer Theorie der Argumentation (der Begründung).
    Hier verstellt Habermas sich selbst den Weg zur Erkenntnis der systematischen Bedeutung des Begriffs des Scheins in der hegelschen Logik (aber hätte nicht die Reflexion des Scheins seiner Theorie des kommunikativen Handelns die Grundlage entzogen?).
    Die Theorie des kommunikativen Handelns ließe als die letzte Gestalt der Säkularisation des Dogmas sich begreifen. Damit scheint die Wahlverwandtschaft, die insbesondere katholische Theologen zu Habermas zu verspüren scheinen, zusammenzuhängen.
    Kann es sein, daß Habermas‘ Begriff der Rationalisierung, der sprachlich auf eine produktive, das Objekt verändernde, nicht auf eine erkennende Tätigkeit verweist, seinen systematischen Grund in Adornos Begriff der Säkularisierung hat. Auch Adorno hatte, als er von der restlosen Säkularisierung aller theologischen Gehalte sprach, deren Selbstaufklärung gemeint, nicht jene Gestalt der Säkularisierung, als welche (im Kontext von Objektivierung und Instrumentalisierung) das Dogma sich begreifen läßt. Ähnlich scheint Habermas seinen Begriff der Rationalisierung verstehen zu wollen, wobei er von den Konnotationen absehen muß, die diesem Begriff z.B. durch die Psychoanalyse zugewachsen sind: Hier bezeichnet er die Rechtfertigung im Kontext von Abwehr und Verdrängung, das genaue Gegenteil der Selbstaufklärung. Verwischen sich in Habermas‘ Theorie nicht in der Tat die Grenzen zwischen Rechtfertigung und Begründung?
    Durch die universale Herrschaft des Kausalitätsprinzips, Pendant der Apriorisierung des Objektbegriffs, ist die Logik der Begründung, die Grundlage der Argumentation, vom Objekt getrennt worden, ist sie zu einem Instrument der Rechtfertigung geworden (Propaganda und Reklame sind Anwendungen der transzendentalen Logik der Rechtfertigung). Grund ist die Vertauschung des ex ante mit dem ex post: Die nachträgliche Begründung einer Handlung dient ihrer Rechtfertigung; die Antizipation dieser Rechtfertigung, die das eigene Tun in ein subjektunabhängiges, objektives und neutrales Geschehen verwandelt, gibt sich nur noch den Schein der Begründung, der darüber hinwegtäuscht, daß es in der verwalteten, durchrationalisierten Welt wirkliches Handeln nicht mehr gibt.
    Eine Begründung, die mehr sein will als eine antizipierte Rechtfertigung, setzt die Kritik einer Logik voraus, die insbesondere in den modernen Naturwissenschaften sich verkörpert, sie zielt auf eine Rationalität, die dem Bann der Rationalisierung entronnen ist.
    Zum Begriff der Herrschaft: Die Idee, daß Gerechtigkeit und Friede herrschen, unterscheidet sich von jedem Begriff einer Weltbeherrschung. Die erste Idee wird in die zweite transformiert, wenn Gerechtigkeit und Friede als Elemente einer Rechtsordnung sich bestimmen.
    Habermas verlegt den Ort der Differenz zwischen Wahrheit und Richtigkeit in die Grenze zwischen objektiver Erkenntnis und normativer Geltung. Er vergißt nur, daß Erkenntnis und Geltung sich nicht real so trennen lassen, sondern durch einander vermittelt sind, sich wechselseitig definieren. Jede objektive Erkenntnis erhebt den Anspruch der Geltung für andere, ist durch diesen Anspruch (der in der Kopula des Urteils sich ausdrückt) vermittelt.
    Tatsachen, res factae, sind durch Handeln geschaffene Sachen, deren Urheber die Welt, der Inbegriff der Intersubjektivität, ist. Das logisch-reale Organisationsprinzip der Welt aber ist der Staat.
    Nur Herrschaftskritik vermag die Theologie aus dem Bann einer Tradition zu befreien, in den sie durch ihre Verstrickung in den historischen Objektivationsprozeß geraten ist. Deshalb gehört zur Herrschaftskritik konstituv Erinnerungarbeit dazu. Mit dieser Erinnerungarbeit hat die Dialektik der Aufklärung den Anfang gemacht.
    Hätte Habermas in seine Theorie der Begründung eine Theorie der Kritik mit aufgenommen, so hätte er die hegelsche Logik, nach der, was aus dem Grunde hergeht, auch zugrunde geht, rezipieren müssen. Das aber hätte die Konstituierung einer autonomen Handlungstheorie unmöglich gemacht. Kritik ist Kritik der Ästhetik und der ästhetisch begründeten (transzendentalen) Logik. Kritik heißt, das Bewußtsein der Asymmetrie (die Sprengung der subjektiven Formen der Anschauung) in die Logik hineintreiben. Das setzt die Kritik des Weltbegriffs voraus.
    Grundmotive sind Joh 129 (die Sünde der Welt) und die Dt-Stelle über Rind und Esel (Joch und Last).
    Mit der säkularen Herrschaftsgeschichte verschiebt sich die Idee der göttlichen Gerechtigkeit in die der Barmherzigkeit. Diese Verschiebung drückt sich trinitarisch in der Idee des Heiligen Geistes (des Parakleten) aus.
    Als Hegel glaubte, die Antinomie der reinen Vernunft zum Motor der dialektischen Arbeit des Begriffs instrumentalisieren zu können, hat er die Logik ästhetisiert (und dem Schein das Tor zum Eintritt in die Logik eröffnet).
    Ist nicht Herbert Schnädelbach dem Grund dieser Transformation (der Instrumentalisierung der Antinomie der reinen Vernunft) einmal sehr nahe gekommen, als er das Konstruktionsgesetz der hegelschen Dialektik herausgearbeitet hat: die herrschaftslogische Beziehung von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Das erkennende Bewußtsein, dessen Gegenstand das An sich ist, ist selber Gegenstand für ein anderes Bewußtsein, für das, was für das erste Bewußtsein an Sein an sich ist, ein Sein für ein anderes Bewußtsein ist. Diese Struktur wird insgesamt instrumentalisiert (und neutralisiert) durch die Form des Raumes, durch die Form der Beziehungen der Dimensionen (die Form der orthogonalen Beziehungen der Richtungen) im Raum. Die Mathematisierung des Raumes ist das Produkt der Abstraktion von der Selbstbegründung des Raumes.
    Es ist das ungeheure Resultat der kantischen Vernunftkritik, daß sie die Form des Raumes als vermittelt durch die subjektive Form der inneren Anschauung, durch die Vorstellung des Zeitkontinuums, begreift. Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ richtet sich gegen die Totalisierung der Totalitätsbegriffe als Folge der Hypostasierung der Zeit (in der Theologie entspricht dem die Verwechslung der Idee des Ewigen mit dem Überzeitlichen: überzeitlich ist die Zeit, das Ewige ist innerzeitlich; deshalb hat die Wahrheit einen Zeitkern).
    Die „leeren Blätter“ der Weltgeschichte sind die Blätter des Buches, das im Jnngsten Gericht aufgeschlagen wird (Erinnerungsarbeit versucht, diese „leeren Blätter“ zu entziffern).
    Mit dem Begriff der concupiscentia, der Begierde, hat die Theologie von der Vermittlung abstrahiert, der die concupiscentia sich verdankt, zugleich dem einzelnen Subjekt aufgebnrdet, was ebensosehr dem Weltzustand sich aufbürden läßt. Nicht die Begierde ist der Grund des Bösen, sondern die Instrumentalisierung des Triebs, die dem Weltbegriff, der in ihm verkörperten Logik, sich verdankt: der Herrschaftslogik.
    Habermas Versuch, die Philosophie durch Konservierung eines Begriffs der objektiven Erkenntnis zu retten, mußte mißlingen, es sei denn, er hätte zur Begründung dieser Objektivität – worauf Franz Rosenzweig erstmals hingewiesen hat – die Theologie zur Hilfe genommen, er hätte Herrschaftsreflexion und Reflexion der Sprachlogik zum Organ der Philosophie gemacht. Die logische Konsequenz wäre die Neubegründung der Namenslogik (die Logik der „Heiligung des Gottesnamens“) und die Kritik der erkennenden Kraft des Begriffs gewesen. Die Idee der Heiligung des Gottesnamens ist das Feuer, das die eherne Zwangslogik des Begriffs schmilzt (vgl. den Eisenschmelzofen Ägypten) und das Licht der erkennenden Kraft des Namens befreit.
    Im Kontext der Kritik des Begriffs als Herrschaftskritik gewinnt die realsymbolische Erkenntnis ihre Kraft.
    Was bedeutet „triftig“ und welche Sprachwurzel hat dieses Wort (abgeleitet von „treffen“)?
    Wolfgang Pohrt: Theorie des Gebrauchswerts. Erster Eindruck: Triumph des Besserwissens. Er genießt die Genugtuung darüber, daß, wenn sich schon nichts ändern läßt, er es wenigstens im voraus gewußt hat. Er weiß, daß alle als Marionetten des gleichen Systems figurieren, dessen Urheber sie zugleich sind, und er weiß zugleich, daß dieses Wissen unwiderlegbar ist (so wird die negative Dialektik zu einer Spezialität der transzendentalen Logik, eines Systems apriorischer Urteile, die er wie ein Hagelgewitter auf die apriorischen Objekte dieser Logik herunterprasseln läßt. Der Prophet als Richter ist ein eitler Prophet. – Kann es sein, daß diese Konstruktion in der Logik seines Themas begründet ist: Eine Theorie des Gebrauchswerts, die nachweist, daß die politische Ökonomie heute einen Zustand erreicht, in dem sie ihre eigen Basis, den Gebrauchswert, aufzehrt und vernichtet, ist ein Produkt der Verzweiflung darüber, daß der Trieb zu helfen kein Objekt mehr findet; aber er findet nicht deshalb kein Objekt mehr, weil keins mehr da ist, sondern weil er’s systembedingt nicht mehr sieht. Das „no pity for the poor“ gesellt sich zu den Grundsätzen einer Kapitalismuskritik, die unterm Begriff des Profits nicht mehr dessen gesamtgesellschaftliche Folgen begreift, sondern nur noch den Reichtum der andern verurteilt, und die am Ende nur noch die eigene Empörung genießt. Nachdem die Waren ihren Gebrauchswert verloren haben, soll wenigstens die Kritik noch ihren Gebrauchswert behalten. So implodiert das System.

  • 6.1.96

    Die Theorie des kommunikativen Handelns, der ihr zugrundeliegende Begriff der Sprache, verwechselt Wort und Schrift, sie verdrängt die sprachlogische Differenz beider. Die Sprache, deren Begriff dem Konzept zugrunde liegt, ist die einer bücherinternen Kommunikation. Die Levinassche Asymmetrie gründet in der Beziehung zwischen mir und dem Andern (zwischen Ego und Alter), sie ist der Grund der Differenz zwischen Wort und Schrift, in deren Kontext sie sich (im Staat, im Recht, in der Wissenschaft) entfaltet. Sie begründet die Logik der Schrift und am Ende das Konzept einer „Erkenntnistheorie ohne erkennendes Subjekt“ (Titel eines Vortrags von Karl Popper, vgl. Habermas, S. 115). Die Logik der Schrift bringt die Stimme zum Schweigen, ersetzt das Gebot durchs Gesetz, schafft eine Welt (ex nihilo), in der man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen (der Nominalismus hat gleichsam grundsätzliche Vorkehrungen gegen das Erwischtwerden getroffen; vgl. das Feigenblatt und die Bekenntnislogik).
    Habermas‘ „Verletzlichkeit der Person“ und seine Ranküne gegen Adorno gründen in seiner Abwehr der Theologie.
    Ist in dem Gleichnis vom Weizen der steinige Grund die Kirche („auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“), und sind die Dornen und Disteln der Staat und die Ökonomie?
    Nicht die Kirche, sondern der Kapitalismus, die Ökonomie, ist das steinerne Herz der Welt; er hat deshalb gesiegt, weil er der Erbe und die Verkörperung aller Sieger ist: das Subjekt des Hegelschen Weltgerichts.
    Enthält nicht Mt 16 (zusammen mit Mt 18) über die Gründungs- und Bestandsgarantie der Kirche hinaus eine weit darüber hinausreichende Dramatik?
    Das Inertialsystem ist als Instrument der Instrumentalisierung der externe (anorganische) Kern des Animalischen. Das Tier unterscheidet sich von der Pflanze durch seine sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, durch die Selbstbewegung und durch seine objektivierende Tätigkeit (sein „kommunikatives Handeln“). Nur daß beim Tier diese objektivierende Tätigkeit insgesamt zwangshaft ist: instinktgebunden.
    Indikativ und Imperativ: Wäre Gott allwissend, wäre er nicht barmherzig.
    Die Sprache lebt aus der Kraft des göttlichen Namens. Deshalb können Tiere nicht sprechen.

  • 4.1.96

    Die Asymmetrie zwischen mir und den andern ist unvermeidbar. Auch der Universalismus ist asymmetrisch, er glaubt nur, von der Reflexion dieser Asymmetrie absehen zu können. Die Habermassche Intersubjektivität ist ein Richterkollegium (ein Gemeinschaft von Richtenden).
    Hat nicht der Jakob Boehmesche Gebrauch des Symbols des göttlichen Zorns und Grimms etwas mit dem Symbol des Kelchs zu tun?
    Wenn Habermas die Individualität an die Personalpronomina bindet, so vergißt er, daß die durchs Eigentum vermittelte Individualität eine privilegierte und durch die staatliche Organisation des Eigentums vermittelte Individualität ist. Die jüdische Tradition hingegen gründet die Individualität und die Autonomie in der Gottesfurcht. Das in der Kabbala wie im Christentum tradierte Armutsmotiv („Mein ist dein und dein ist dein“) hält die Erinnerung daran fest, daß mein Eigentum kein originäres Eigentum ist (ich bin nicht Gott), sondern das jedes Eigentum durch die Anerkennung durch andere und durch die Organisation dieser Anerkennung durch den Staat und das Recht vermittelt ist. Die strafrechtliche Sanktionierung der Verletzung der Eigentumsrechte anderer zielt nicht auf die Wiederherstellung der Rechte des andern, sondern vergesellschaftet nur das Rachebedürfnis als Strafbedürfnis. Ihr Grundprinzip ist nicht die Versöhnung der Beteiligten, sondern deren Versöhnung mit dem Staat: die Monopolisierung der Rache durch den Staat.
    Die Verführung des Verurteilens ist die Verführung des Rechts: Sie ändert nichts, befriedigt nur das Rache- und Strafbedürfnis, das die Bürger an den Staat bindet (Anwendung auf den wissenschaftlichen Objekt- und Erkenntnisbegriff).
    „Wahr und falsch“: In der Schrift gibt es das „falsche Zeugnis“ und den „falschen Propheten“ (sowie dessen apokalyptische Verkörperung im „Tier vom Lande“ – Off 1311ff, vgl. auch 152 und 179). Die analytische Philosophie hat sie neutralisiert zu „falschen Sätzen“, für die keiner mehr verantwortlich ist. „Falsche Sätze“ sind das Korrelat des apriori exkulpierten „fallibilistischen“ Bewußtseins, das seinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht mehr verantworten muß (nur noch seine politische Gesinnung, die zwar objektiv, gegen die Übermacht dessen, was ist, gegen die Imperative des Marktes und der Verwaltung, nichts mehr vermag, dafür aber exkulpatorische Kräfte freisetzt).
    Hat nicht der Fachjargon (auch bei Habermas) den Zweck einer strategisch-taktischen Verwirrung des Leser (und – im Kontext eines „Universalismus“, der die Grenzen zwischen Autor und Leser verwischt – auch der Selbstverwirrung)?
    Beitrag des Kohelet zur Logik der Schrift: Hängt nicht der Satz über das Bücherschreiben mit dem (systematisch zu verstehenden) Begriff der Eitelkeit zusammen?
    Alle Weltreligionen sind Buchreligionen. Bezeichnet nicht die Eitelkeit das gleiche systematische Element im Begriff der Welt, dessen zentrale logische Funktion Hegel im Begriff des Scheins bezeichnet und beschrieben hat? Dieser Schein, ein Produkt der Logik der Schrift, trennt die Schrift vom Wort. Im Banne dieses Scheins ist in der Tat „des Bücherschreibens kein Ende“.
    Ist die Eitelkeit die biblische Wurzel des Fernsehens?
    Eitelkeit und Welt: Der Eitle spiegelt sich im Blick der andern; die Totalität dieser Spiegelung ist die Welt, in ihrem Schein ist alles nur, was es für andere ist. Deshalb ist die Welt alles, was der Fall ist.

  • 1.1.96

    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns verdankt sich der Logik der Ästhetisierung: der Abstraktion vom Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, von der Schwerkraft, vom Tod, von der Sexualität. Der entscheidende Schritt der Abstraktion von der Schwerkraft (der Konstituierung des Trägheitsgesetzes) war die newtonsche Theorie, die Vergegenständlichung der Schwerkraft durchs Gravitationsgesetz, die sie zu einer Reflexionsbestimmung gemacht hat. Erst Newton ist es gelungen, den Schrecken der Schwerkraft, den die Theologie unter dem Titel der Erbsünde reflektiert hat, durch Vergegenständlichung zu bannen (nicht freilich, ihn aufzulösen).
    Die newtonsche Gravitationstheorie hat die Erinnerung an den Fall verdrängt; so ist die Welt zu „allem, was der Fall ist“ geworden.
    Ihr seid das Licht der Welt: Wenn das Licht die erinnerte Schwere ist, ist dann nicht die Lichtgeschwindigkeit das Instrument der Verdrängung dieser Erinnerung?
    Die letzte Phase der Physik – in der Konsequenz der Vergegenständlichung der Schwere – war die Selbstverzehrung und die Löschung des Lichts.
    Beschreibt nicht das Licht den Weg des Namens?
    Sind nicht alle Theorien seit dem Ursprung des christlichen Dogmas Theorien, deren Zweck es ist, die Reflexion von Herrschaft auszuschließen und einen schuld- und herrschaftsfreien Raum zu konstituieren, ist das nicht das Gesetz ihres „Fortschritts“?
    Sind Satan und der Teufel die Gegenbilder von JHWH und Elohim, Reflexe des Gottesnamens im Säkularisationsprozeß? Und hängt die Unterscheidung von Satan und Teufel mit der Trennung von Natur und Welt zusammen (oder auch mit der Unterscheidung des Planetensystems vom Tierkreis)?
    Ist nicht der Beamte, der aus seinem Nichtsein, aus seiner Selbstverleugnung, sein Selbst gewinnt, ein Beleg für die creatio mundi ex nihilo?
    Die Bekenntnislogik ist die Logik des entäußerten Gewissens.
    Die Frage, was geht in den Köpfen derer vor, die dieses Verfahren (den Hogefeld-Prozeß) so durchziehen zu müssen glauben, gewinnt Bedeutung vor dem Hintergrund, daß dieser Prozeß seitens der Anklage im Namen des Staates und seitens des Gerichts im Namen des Volkes geführt wird. Aber wenn die Öffentlichkeit nach dem Motte reagiert: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, gerät sie in den Bann der Komplizenschaft.
    War nicht die raf (der Terrorismus) ein Angriff von einer Seite, von der er nicht erwartet wurde: ein Überraschungsangriff, der der Öffentlichkeit die Sprache geraubt hat?
    Zum Erbe des Faschismus gehört die Neigung, historische Erscheinungen zu verurteilen, bevor man sie begriffen hat (Zusammenhang mit dem Unschuldssyndrom und der Bekenntnislogik). Gilt nicht Hegels Satz: Das Wirkliche ist vernünftig, das Vernünftige ist wirklich, in dem Sinne auch weiterhin, daß er generell vor das moralische Urteil das Begreifen dessen, worauf das Urteil sich bezieht, setzt? Bezeichnet die Formel „Solidarität ohne Komplizenschaft“ nicht auch Beziehung zur Vergangenheit, die in der Lage wäre, dem moralischen und dem kontrafaktischen Urteil über Vergangenes den Boden zu entziehen?

  • 29.12.95

    Bekenntnislogik ist Stellvertreter-Logik (mit der Opfertheologie als Schuldverschubsystem). Hierzu ist Joh 129 in der Tat ein Schlüsseltext (Ersetzung des Nachfolgegebots durch das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“).
    In den gleichen Zusammenhang gehört das Paulus-Wort, daß durch das Gesetz die Sünde gekommen sei, das nur durch die Bekenntnislogik zur Grundlage der Rechtfertigungslehre geworden ist. Bezieht es sich nicht auf die vorausliegende Transformation des Gebots ins Gesetz, in der die Bekenntnislogik gründet (auf das gemeinsame Pflügen von Ochs und Esel)?
    Die Transformation des Gebots „Du sollst nicht töten“ in ein Gesetz läuft auf die Verurteilung des Mörders hinaus.
    Hegel hat einmal auf die Veränderung des Krieges (und in der Konsequenz dieser Veränderung auf die des Staates) durch die Erfindung der Fernwaffen (die technische Perfektionierung von Pfeil und Bogen durch die Erfindung des Pulvers: durch Kanone und Gewehr) hingewiesen, die den Feind endgültig aus der Konstellation des Angesichts herausgenommen, das Töten im Krieg zu einem abstrakten Vorgang gemacht hat: Das Töten ist zu einem technischen Vorgang geworden. Die Erfindung des Schießpulvers hat den realen Feind durch das Feindbild (und die Barbaren durch die Wilden) ersetzt. Die gleiche Logik (die Logik der Verdrängung des Angesichts und des Schreckens) liegt der „Erfindung“ der Gefängnisse, der Irrenanstalten und der Schlachthäuser zugrunde.
    In Auschwitz wurde sowohl technisch-industriell als auch von Angesicht zu Angesicht getötet. Himmler: „… und dabei anständig geblieben zu sein“.
    Ist der „Hinterhalt“ (die strategische Form der List) zusammen mit Pfeil und Bogen (und sind beide zusammen mit dem Staat) erfunden worden? Gibt es nicht biblische Geschichten, die diese Beziehung dokumentieren (Zusammenhang mit dem „Bogen in den Wolken“)?
    Nach 2 Sam 1 läßt David den Amalekiter töten, der (im Widerspruch zu der Darstellung in 1 Sam 31) bekannte, er habe Saul getötet. „Dein Blut über dein Haupt! Denn dein eigner Mund hat wider dich gezeugt, da du sprachst: Ich habe den Gesalbten des Herrn getötet.“ (Vgl auch 2 Sam 4: Die Ermordung Isbaals durch Baana und Rechab, die Söhne Rimmons aus Beeroth, und deren Tötung durch David.)
    In 2 Sam 5 übersetzt nur Riesler mit „die Dunklen und die Blonden“, während die Zürcher Bibel, aber auch Zunz mit „die Blinden und die Lahmen“ (und Buber mit „die Blinden und die Hinkenden“) übersetzen.
    Steht nicht das Prophetenwort „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ gegen die Instrumentalisierung der Rache durch den Staat, durchs Recht? (Und ist nicht die Diskriminierung dieses Worts, die es als Beweis für einen „altorientalischen Rachegott“ nimmt, nur ein Mittel, die Erinnerung an die staatskritischen Elemente der Prophetie zu verdrängen: Die Rache soll das Monopol des Staates bleiben. Aber genau das ist das Ursprungsmotiv der Judenfeindschaft und des Antisemitismus.)
    Was geht in den Köpfen vor sich, wenn die Polizei Bewohner der Slums in Montevideo festnimmt und zwingt, durch den Slum zu laufen und zu rufen „Hoch lebe die Polizei“?
    Oder: Was ist in der Ursprungsgeschichte der Kirche passiert, als sie den Kreuzestod Jesu instrumentalisiert, ihn zur Grundlage der Opfer- und Sakramententheologie gemacht hat?
    Und was geht hier vor, wenn in deutschen Staatsschutz-Verfahren die Angeklagten generell zu Feinden werden?
    Muß nicht jeder Befreiungskampf heute auch ein Kampf gegen bestimmte Formen der Logik sein: gegen jene Formen der Logik, die verhindern sollen, die Folgen des eigenen Tuns noch wahrzunehmen?
    Die Grenze zwischen Offenbarung und Mythos ist identisch mit der Grenze, die die Schuld von der Sünde trennt. Jesus hat „die Sünde der Welt“ auf sich genommen, nicht die „Schuld der Welt“ hinweggenommen. Die Bemerkung Emmanuel Levinas‘, daß alle Gewissensprobleme (man könnte auch sagen: alle Schuldprobleme) apriorische Probleme sind, hängt hiermit zusammen.
    Die subjektiven Formen der Anschauung haben die Welt „verurteilt“ (dadurch ist die Welt zur Welt geworden). Sie haben die Logik des kopernikanischen Systems zu einer apriorischen Logik gemacht. Die Bedeutung der speziellen Relativitatstheorie Einsteins liegt darin, daß sie die verurteilende Gewalt des Systems auf das System selber angewandt hat: daß sie es verurteilt hat.
    Gegenständlich, stillgestellt, ist das Vergangene nicht an sich, sondern nur für den, für den es vergangen ist. Die Objektivität der Vergangenheit ist in sich selber subjektiv vermittelt, zu ihren Konstituentien gehört der Akt der Objektivierung (wie die Geschichtsschreibung zur Geschichte). Mit dem Fortschreiten der Geschichte ändert sich nicht nur unser Blick auf die Vergangenheit, sondern es ändert sich die Vergangenheit selber (die allein durch unsern Blick, durch unsere Erinnerung, Sein gewinnt). Der Weltbegriff und die ihn konstituierenden subjektiven Formen der Anschauung leugnen diese Veränderung. Wirkliche Objektivität gewinnt die Vergangenheit nur im Licht der Erlösung, der Idee der Auferstehung.
    Das Ideal einer objektiven, die Tatsachen ein für allemal feststellenden Geschichtsschreibung leugnet die Hoffnung, die auch die Toten mit umfaßt.

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