Heidegger

  • 08.11.87

    Bezeichnet der Begriff der Existenz bei Heidegger und Jaspers – ähnlich wie der der „Werte“ bei Scheler – nicht doch primär ein Moment des materiellen Daseins, werden nicht die Heideggerschen Analysen durchsichtig, wenn man vom Sprachgebrauch ausgeht, in dem Existenz bedeutet, daß die – vor allem beruflichen – Voraussetzungen für die private Reproduktion des Lebens gegeben sind? Inhaltliche und formale Grundlage der Existenzphilosophie wäre demnach in einem prononcierten Sinne die Ökonomie, und nur durch Ökonomie vermittelt Natur und Geist („Dasein“), die im übrigen nicht zufällig im Kontext der Fundamentalontologie nicht mehr streng sich auseinander halten lassen.

    NB.: Ist der Biologismus Freuds etwa sowohl Biologismus als auch gleichzeitig, ohne metabasis eis allo genos, einer ökonomischen Auslegung fähig und bedürftig? – Verhältnis des durchs Tauschprinzip vermittelten Materialismus zum naturwissenschaftlichen! – Wo ist in der Ökonomie der Bereich, der dem der sinnlichen Wahrnehmung im Verhältnis zu Physik entspricht?

    (später) Adornos „erster und einziger Grundsatz der Sexualethik“ gilt nicht nur für den Spezialfall, sondern für die Ethik insgesamt: Der Ankläger hat immer unrecht. Die moralische Verantwortung für das eigene Handeln und für die Andern läßt sich nicht auf andere Subjekte anwenden (übertragen); die Umkehrung der Handlungsanweisung, die unmittelbar nur für das zum Handeln aufgeforderte Subjekt selbst gilt, in ein Urteil über andere ist nicht erlaubt; sie verwandelt die Ethik in ein Herrschaftsmittel, sie instrumentalisiert sie; sie verletzt das in der Handlungsanweisung aufscheinende Absolute; sie verwandelt ein Gebot in ein Gesetz; sie ist blasphemisch. Das ist gemeint mit dem Satz „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Gegen diesen Satz verstößt die Wertethik (die die Ethik in ein System von Urteilen – über vergangenes Handeln, das dann eo ipso zu dinglichen Eigenschaften gerinnt – verwandelt); Folge und Produkt dieses Verstoßes ist die Existenzphilosophie, in der das Subjekt nur noch als Objekt, als Gegenstand des Urteils (das für es – als „Sein“ – das Absolute ist), als gerichtetes vorkommt.

  • 13.12.87

    Heideggers Frage nach dem „Sinn von Sein“ profitiert von ihrer Zweideutigkeit. Gemeint war „Sinn“ im Sinne von Bedeutung (die fundamentalontologische Untersuchung als phänomenologische Bedeutungsanalyse); der Anklang an die Frage, ob das Sein sinnvoll sei („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“), schien jedoch nicht unerwünscht zu sein; mit Sicherheit hat diese Äquivokation die Rezeption Heideggers zumal in Deutschland gefördert.

  • 3.5.1997

    Ist nicht die Bannformel der Amsterdamer Synagoge eine Folge der kopernikanischen Wende (haben nicht Fluch und Schwur ihren logischen Ort am Sternenhimmel)?

    Der Fundamentalismus läßt sich (auch bei seinen Kritikern) dingfest machen am Verständnis des Staubfressens, und ist nicht das Staubfressen der Beweis, daß die Schlange das grammatische Neutrum repräsentiert?

    Verweisen nicht Verdrängung, Projektion und Schuldverschiebung auf den gleichen sprachlichen Sachverhalt, den in der Schrift die Schlange symbolisiert: auf die sprachlogische Funktion des Neutrum?

    Verweist nicht die Stimme in Frescobaldis Capriccio (Stefan Wyss, Passagalia, pass.) auf das Problem der Materialisierung in der Musik (das auch ein Problem der Neutralisierung ist), auf den Ursprung des Bedeutungslosen, Chaotischen, aus dem die Musik erschaffen wird, und kündigt sich hier, im Barock, nicht schon die Schönbergsche Revolution an?

    Die Geschichte der Instrumentalisierung hat ihre eigene Dynamik (im Falle der Musik sollte im Begriff der Instrumentalisierung durchaus der Doppelsinn mit gehört werden). Der Begriff dieser Geschichte verweist auf die Geschichte der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und auf deren wechselseitige Beziehung. Ihre Rückprojektion in die Natur heißt Evolution.

    Merkwürdige Spiegelung der Natur in den frühgeschichtlichen Institutionen: Die gehörnten Tiere sind Opfertiere, Raubtiere verkörpern den Staat (seine Beziehungen nach außen, nach innen werden sie zu apokalyptischen Tieren, die aus der Schlange hergegangen sind).

    Hierzu der ungeheure Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer.

    Masada, Worms, Uriel da Costa, Walter Benjamin, Primo Levi et alii: Die Verzweiflung im Angesicht der Unmöglichkeit der „Bekehrung des Sünders von den Wegen des Irrtums“.

    Experten: Innenarchitekten gibt es, seit auch die Privatsphäre (das Asyl der Innenwelt) gegen den Blick von außen, gegen den Seitenblick, keinen Schutz mehr bietet, der Reklame, den Verwertungsinteressen des Kapitals, dem „Lauschangriff“ des Staatsschutzes, dem Fernsehen und der Massenpresse hilflos ausgeliefert ist. Seitdem gibt es es kein Zuhause mehr, leben alle in einer synthetischen Innenwelt, lassen die Wohnungen von modernen Haftanstalten nicht mehr sich unterscheiden. Wie die Wärter in den Knästen garantieren die Experten, daß man nichts „falsch“ macht (das Falsche ist die Abweichung von der vergesellschafteten, instrumentalisierten Wahrheit). Hier wird der letzte bethlehemitische Kindermord vorbereitet.

    Die Definition der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand erinnert an die Geschichte von Hase und Igel: Das Objekt mag sich anstrengen, wie es will, der Begriff, den es nie erreicht, ist immer schon da (Heidegger definiert denn auch konsequenterweise das Subjekt, den Repräsentanten des Begriffs, als „Dasein“).

    Maß der Gotteserkenntnis ist der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Gott wird nur von dem erkannt, der Seiner Erkenntnis sich angleicht. Hierin gründet das Konzept einer Theologie im Angesicht Gottes, das eins ist mit der Idee der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte. Der gleiche Sachverhalt drückt in dem Satz sich aus, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Gotteserkenntnis ist die Realisierung der Geistesgegenwart, die konkrete, handlungsleitende Erkenntnis seiner Gebote. Die grammatische Form der Gotteserkenntnis ist die Form der Lehre, ein Indikativ, der in sich selbst die Kraft des Imperativs repräsentiert, wie die Sätze Adornos:

    – „Erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“, und:

    – „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner zu lieben fähig ist“.

    Die Kritik der Ontologie ist der Anfang der Bekehrung des Sünders von den Wegen des Irrtums.

    Mit dem Absterben des Staates verliert der Weltbegriff seine Gewalt. Mit dem Ende des Staates wird auch der Tod nicht mehr sein; jede Träne wird abgewischt.

  • 1.5.1997

    „…, da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus“: In die weite, weite Welt (ins feindliche Leben) geht nur der Mann; ist der Grund der Sorge die Frau? Und was Heideggers „Sorge“ hiermit zu tun (kommt die Frau in Sein und Zeit überhaupt vor)?

    Einstein: der Uriel da Costa der Physik.

    Das Eingedenken der Natur im Subjekt ist ein Versuch, gegen die Schwerkraft anzudenken (die Logik ist die Gravitationsbahn des Denkens). Der Hintergrund, vor dem die Schwerkraft sich manifestiert, ist nicht die Ruhe der Trägheit, sondern der Sturz, den das Trägheitsgesetz limitiert, begrenzt. Diese Begrenzung wird im Schöpfungsbericht dargestellt. Der erste Schritt hierzu ist die Erschaffung des Lichts. Die Schwere erzeugt den Schein der Reversibilität, die der Grund der Objektivierung des Lichts, des Hervortretens der Lichtgeschwindigkeit, ist.

    Das Licht ist der Repräsentant der Sprache im Schöpfungsbericht, das erste Werk des göttlichen Worts und die erste Antwort auf dieses Wort. Wenn die üblichen Übersetzungen die beiden jehi or (in Gen 13) unterschiedlich übersetzen, das erste im Imperativ, das zweite im Präteritum, wird übersehen, daß diese Unterscheidung durch den hebräischen Text nicht determiniert ist.

    Erst die subjektiven Formen der Anschauung (das Werk des zweiten Tages: die „Feste des Himmels“) haben das Wort stumm gemacht, die Bedingungen und Voraussetzungen zur Objektivation des Lichts geschaffen.

    Das ewige Licht: Lux aeterna luceat eis, Domine.

    Vorn und hinten wird, wenn es von der Seite (von einem andern) gesehen wird, zu links und rechts.

    In der verdinglichten Welt wird die Freiheit der Schuldreflexion zur Wahlfreiheit.

    Das Hinter dem Rücken (die List der Vernunft, die Hinterhältigkeit, die Gemeinheit, die Niedertracht) gibt es nur unter den Bedingungen der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (des Seitenblicks).

    Theologie im Angesicht Gottes: Wer die Ethik als prima philosophia begreift, begreift, daß Gott – außer für uns – keine Rückseite hat.

    Stehen nicht die Kirchenspaltung und die Konfessionalisierung des Christentums unter dem Bann seines Ursprungs: des Urschismas und der Urhäresie?

    Mene tekel upharsin: Wenn die Naturwissenschaften die freie Phantasie diskriminieren, so diskriminieren sie damit die Reflexion, das Medium der Kritik der Naturwissenschaften. Diese Diskriminierung gehorcht dem Rechtfertigungszwang, den die „subjektiven Formen der Anschauung“ verkörpern. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist eine Verkörperung des Schuldverschubsystems; darin gründet ihre Beziehung zur Naturbeherrschung.

    Die Apokalyptik, der Glaube, sowie Dogma, Orthodoxie und Bekenntnislogik gründen in der Beziehung von Hören und Sehen.

    Stephan Wyss: Passagalia, S. 38f: Der entscheidende Hinweis auf den patriarchalischen Ursprung der hierarchischen Logik (vgl. auch S. 47ff, die Bemerkungen zum Titel fidalgo, Hidalgo, seine Beziehung zum Begriff des Erbes, der zu den Konstituentien des Weltbegriffs gehört: Ist nicht Jupiter Gottvater?). Bezieht sich hierauf Lk 117?

    Der Nominalismus, soweit er auf den Vorrang des Individuellen abstellt, ist wahr. Und der Satz „Name ist Schall und Rauch“ gilt dem Begriff, nicht dem Namen (steckt in „Schall und Rauch“ die Erinnerung an den Schall der Posaunen und die Gebete der Heiligen?). Die Mathematik ist der verwehte Schall.

    Ist das heliozentrische Konstrukt des Kopernikus das ezechielische Leichenfeld, und bezieht sich das „gewaltige Getöse“ in 2 Pt 310 auf Ez 377?

    Num 13: Kaleb, Jephunnes Sohn, war aus dem Stamme Juda, Hosea, der Sohn Nuns, aus dem Stamm Ephraim.

    Haben die zehn Versuchungen Gottes, an die Num 1422 erinnert, etwas mit den zehn Schöpfungsworten und dem Dekalog zu tun?

    Anstatt 2 – 5 Mos (Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium) auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, um dann die Abweichungen dem „biblischen Autor“ als Fehler anzukreiden, käme es vielmehr darauf an, die Konstellation dieser Bücher genau zu bestimmen: Hier wäre zu erinnern an die Doppelfassungen des Dekalogs (2 und 5 Mos), des Fluchs (3 und 5 Mos), sowie an den Zusammenhang des Levitikus mit dem nicht erfolgten Opfer in der Wüste beim Exodus (der „Greuel der Ägypter“ wurde nicht geopfert), die zunächst verschobene, dann eingeschränkte Landnahme nach den zehn Gottesversuchungen durch die Israeliten in der Wüste; danach folgen Josue, Richter, Samuel und Könige als prophetische Bücher.

    Heute geht der Fortschritt über zum zweiten Angriff auf die Erinnerung: zur zweiten Phase der Selbstzerstörung der Tradition. Das wäre unter anderem an der gegenwärtigen Entwicklung der Medizin zu demonstrieren. Die erste Phase fällt zusammen mit der Ursprungsgeschichte der Naturwissenschaften (der Geschichte der Hexenverfolgung: der Vertreibung der Frauen aus der Medizin und der Patriarchalisierung der „Geburtshilfe“).

    Das Dogma verletzt das sexualethische Gebot, das sich gegen die Urteilslust, nicht gegen die „sexuelle Lust“ richtet. Im Banne der Urteilslust wird die Idee des seligen Lebens reduziert auf die „Anschauung Gottes“, die die Theologie im Angesicht Gottes ersetzt. Hier wurde das Bekenntnis vom Handelns getrennt. Dagegen richtet sich der Schluß des Sterns der Erlösung.

    Ich, Es und Über-Ich verhalten sich wie Welt, Natur und Bekenntnislogik.

  • 17.4.1997

    Wie hängt der Konjunktiv der indirekten Rede („sie sagte, sie hätten keinen Pfennig gehabt, als sie das Haus kauften“) mit dem direkten Konjunktiv zusammen („sie hätte das Haus gekauft, wenn sie das Geld gehabt hätte“)? Ist der Konjunktiv der indirekten Rede ein Konditionalis (er gibt die Aussage eines andern wieder, dessen Wahrheitsgehalt ich nicht garantieren kann)? Der Konjunktiv der indirekten Rede drückt ein Nichtwissen aus.

    Ist die logische Beziehung der indirekten Rede zum Konditionalis nicht eine Parallele zur Zweideutigkeit des Futur II, das sowohl die zukünftige Vergangenheit als auch den Zweifel an der Wahrheit der Aussage eines andern auszudrücken vermag, wenn die Verifizierung einer Aussage über Vergangennes noch offen ist, erst in der Zukunft erwartet wird („was wird schon gewesen sein“)? Darin scheint das logische Problem sich auszudrücken, das sich sich aus der Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung des einheitlichen Zeitkontinuums, aus der dieser Verschmelzung zugrundeliegenden Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ergibt. Diese einheitliche Zeitvorstellung (Kants subjektive Form der inneren Anschauung) ist der Grund des Universalismus, Prinzip der Verwischung der Asymmetrie, die die Beziehung zwischen mir dem Andern beherrscht.

    Wenn es heißt: er sagt, ich hätte gesagt, so heißt das auch: er sagt, ich soll gesagt haben. Die Nichtwissen der Zukunft hat etwas mit der Ungewißheit über die Wahrheit dessen, was ein anderer sagt, zu tun (Problem des Zeugen und der Beweislogik, Grund der Logik der Gemeinheit).

    Hat diese Konstellation etwas mit dem Problem des einen Sünders zu tun, mit den Wegen des Irrtums und mit der Sünde der Welt? Ist das Planetensystem ein Ausdruck der differierenden Konstellationen der Beziehung von Vergangenheit und Zukunft in der gewaltsamen Einheit des Zeitkontinuums?

    Gibt es im Hebräischen den Konjunktiv, und welche anderen Konjugationsformen drücken im Hebräischen das aus, was in den indoeuropäischen Sprachen der Konjunktiv ausdrückt? Wie hängt das Problem der Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren (die inverse Anwendung des Begriffs des Fremden) mit dieser grammatischen Konstellation zusammen?

    Was drückt in der offensichtlich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland in Gerbauch gekommene Wendung „Ich würde sagen, …“, die auch einen Konditionalis enthält, sich aus? Gibt es einen Zusammenhang mit dem kollektiven Verdrängungsprozeß in Deutschland, auch mit der merkwürdigen Wahrnehmung Hannah Arendts über die Beziehung von Meinung und Tatsachen (vgl. die Rede Jan Philipp Reemtsmas bei der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung in der Frankfurter Paulskirche) und mit den Bemerkungen Sonnemanns über „Innerlichkeit und Öffentlichkeit“ und den „verwirkten Protest“ (in „Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“)?

    Ist der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ ein Legitimationsprinzip des Universalismus und ein Deckbegriff der Logik der Verurteilung, die dem Objektbegriff und der Begriffsbildung zugrunde liegt? Ist er nicht (wie der Dogmatismus, zu dem er gehört) ein Tabu über das Verstehen und die Reflexion? In diesem Satz drückt die Logik des Ich (als Verkörperung der Negation) sich aus. Ist Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nicht der Ausdruck eines in dieser Logik gründenden Identitätsproblems? Die Einheit des Subjekts ist das Korrelat der Kosmologie, der Einheit dieser Welt, während in der Idee der Einigung des Gottesnamens die Idee der zukünftigen Welt sich ausdrückt. Der Begriff konstituiert diese Welt, im Namen drückt die zukünftige Welt sich aus. Der Begriff gründet in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, im Namen drückt die Kraft, in der Reflexion der Vergangenheit die Zukunft zu erkennen, die Kraft der prophetischen Erkenntnis, sich aus. Zum Namen gehört die Erinnerungsarbeit. Der Gottesname ist der die Einheit der Welt sprengende prophetische Grund der Sprache.

    Horror vacui: Das Sein ist das ganz Leere, weil es den Sinn (den Namen) aus der Sprache vertrieben hat. Der Name ist die Aufhebung der Ontologie.

    Heiligkeit ist eine Sprachkategorie: Heilig ist der Name.

    Ist nicht der Stern der Erlösung schon der Beweis des Satzes: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?

    Der Name, den niemand kennt: Waren die Juden die wirklichen Christen, auch wenn weder sie selbst, noch die, die sich Christen nannten, es wußten?

  • 21.3.1997

    Die Sprache steht der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern sie ist in sie verflochten und verstrickt. Wenn die Wirklichkeit außerhalb der Sprache und gegen sie sich zu behaupten scheint, so fällt dieses „außerhalb“ noch in die Sprache: als Objekt und Korrelat des richtenden Urteils. Die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sind die Statthalter des richtenden Urteils.
    Wenn die Sprachgeschichte ein Teil der Herrschaftsgeschichte ist, dann ein subversiver.
    Das Huygens’sche Relativitätsprinzip ist ein Grenzfall des Einstein’schen, gültig im Bereich von (im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit) niedrigen Geschwindigkeiten. Entspricht hier nicht die Grenze, die die beiden Relativitätsprinzipien trennt und unterscheidet, der Grenze, die zwei Dimensionen des Raumes von einander trennt und unterscheidet? Sie bezeichnet einen zweiten Akt des Objektivationsprozesses. Nicht das selbe, sondern nur das gleiche Inertialsystem verbindet die Mechanik mit der Elektrodynamik und der Mikrophysik. – Oder ist es nicht schon das dritte: ist das zweite das des Gravitationsgesetzes?
    Ist der Begriff des Falls im ersten Satz des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus ein Produkt dieser dreifachen Objektivation? Das physikalische Äquivalent des Wittgenstein’schen Satzes ist die Einstein’sche Identität von träger und schwerer Masse.
    Urteile werden gefällt: Was gefällt wird, wird zu Fall gebracht.
    Sind nicht alle Begriffe, mit deren Hilfe mikrophysikalischen Erscheinungen und Prozesse beschrieben werden, metaphorische Begriffe?
    In dem Vergleich der Nachkommenschaft Abrahams mit den Sternen des Himmels und dem Sand am Meer steckt ein logisches Problem: das der Pluralität.
    Wie hängt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Weizsäckerschen „Explosion von Genie“ zusammen (nach Kant ist die Natur im Subjekt die Produktivkraft des Genies)?
    Wer das Problem der deutschen Fraktion der Kopenhagener Schule nur unter dem Gesichtswinkel schuldig/nicht schuldig sieht, verfehlt die Sache. Beginnt die wirkliche Schuld nicht erst in der Unfähigkeit, post festum die eigene Verstrickung (die in actu unsichtbar war) zu reflektieren: in der Geschichte der Verdrängung?
    Blochs Satz „Der Anfang wird am Ende sein“ rührt an einen zentralen Sachverhalt: Die Geschichte der Aufklärung hat den Anfang ins Ende transformiert, und das über einen Akt, der die Wahrnehmung dieses Vorgangs zugleich verhindert hat, weil er im Kern des Objektivierungsprozesses selber sich vollzogen hat, in der Bildung der subjektiven Form der inneren Anschauung, der Vorstellung des Zeitkontinuums (der Idee des „Überzeitlichen“). Hierin gründet der Tatbestand, auf den der Satz sich bezieht: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Deshalb ist die bloße Verurteilung des Faschismus ein Instrument der Umkehrverhinderung.
    Der Ursprung der Umkehrverhinderung liegt in der kopernikanischen Wende: Seit der Konstituierung der Raumvorstellung (die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet und stabilisiert) führt jede Umkehr in die gleiche Scheiße zurück; seitdem ist die Zukunft wie die Vergangenheit. Die kopernikanische Wende hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: den Begriff vom Namen getrennt und den Namen vernichtet (die Zerstörung des Tempels, bei der kein Stein auf dem andern geblieben ist).
    Wo war in der Zeit der Richter die Bundeslade?
    Der Nachkriegs-Atheismus gründet in der Zwangslogik des Sich-tot-Stellens. Er kündigte sich an in Heideggers „Vorlaufen in den Tod“. Die Religion, von der der Fundamentalismus nicht lassen will, ist eine Religion für andere.
    Gehört nicht Weizsäcker zu den Protagonisten eines Diskurses über „Religion und Naturwissenschaft“, der es in erster Linie darum geht, ähnlich wie einmal die „spekulative Physik“ Einsteins, so jetzt auch die Religion so kurz und klein zu diskutieren, daß sie praktisch nicht mehr vorkommt, daß mit der Religion die Kraft des Eingedenkens, der Erinnerung, verschwindet. Dieser Diskurs steckt so im Bann der Rechtfertigungszwänge, die sehr konkrete Ursachen haben, daß er als Beleg für die Traditionszerstörung durch den Antisemitismus genutzt werden kann. Die deutsche Fraktion der Kopenhagener Schule war eine „deutsche Physik“, die Kreide gefressen hat.
    Heute breitet das Täter-Opfer-Paradigma sich aus: Die Deutschen, die Christen, die Männer, die Väter, die „Besserverdiener“, sie alle haben allen Grund, dieses Paradigma zu reflektieren. Haben nicht die Exkulpationslogiken, die diese Täter-Opfer-Paradigmen erzeugen, etwas mit dem Stand der „Aufklärung“, die seit je auf „klare Fronten“ abzielte: mit dem Stand der Geschichte der Herrschaftslogik, etwas zu tun?
    Wenn Hitler im Atheismus überlebt, dann gibt es zur Reflexion der Naturwissenschaften keine Alternative mehr. Hier werden die „Wege des Irrtums“ erstmals lesbar.
    Die Logik des Traums des Nebukadnezar läßt sich an der Beziehung der Astrologie zur Astronomie demonstrieren: Die Astronomie ist das Instrument des Vergessens; vergessen wurde die Astrologie, die den Traum bezeichnet, der zu deuten wäre.
    Astrologie und Astronomie lassen sich durch ihre Beziehung zur traditionellen Wahrheitsdefinition bestimmen: Die Astrologie hat die „adäquatio intellectus ad rem“ eröffnet, die Astronomie die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“.
    Das Urteil im Hogefeld-Prozeß hat im Umkreis der RAF eine ähnliche Wirkung ausgelöst wie die „Schüsse an der Startbahn“ auf die Anti-Startbahn-Bewegung. In beiden Fällen gab es den aufgescheuchten Hühnerhaufen. Verweist das nicht sehr deutlich auf die Beziehung von Urteil und Mord? In jedem Urteil, auch nach der Abschaffung der Todesstrafe, steckt ein Todesurteil. Deshalb gehört der Mord als Täterdelikt zu den Grundlagen des Strafrechts, zu den Säulen des Strafrechts.
    Der Rechtsstaat ist der säkularisierte Faschismus.
    Was hat Paulus gemeint, als er die drei Apostel in Jerusalem, Petrus, Jakobus und Johannes, die „drei Säulen“ nannte? Und was bedeuten eigentlich die Verdoppelungen und Verschiebungen in der Urgeschichte des Christentums:
    – beim Jakobus (Zebedäussohn, Sohn des Alphäus, Herrenbruder – wer ist der Autor des Jakobusbriefs?)
    – Simon (S. Petrus, Kananäus -> Nathanael?)
    – Johannes (der Täufer, Zebedäussohn)
    – Judas (Thaddäus, Sohn/Bruder des Jakobus, Herrenbruder, J. Iskarioth – sind Thaddäus, der des Jakobus und der Herrenbruder eins, wer ist der Autor des Judasbriefs)
    – Philippus (Apostel, einer der Diakone)
    – was ist mit Levi/Matthäus?
    Ist es möglich, aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte eine einheitliche Apostelliste aufzustellen?
    In der Nacht sind alle Katzen grau: Hat dieses Grau etwas mit dem „Grauen um und um“ bei Jeremias zu tun?

  • 30.1.1997

    Ist nicht das Modewort „geil“ ein Indikator für den Weltzustand? Waren nicht die Bundesanwälte im Hogefeld-Prozeß „geile Typen“?
    Georg Lukacs‘ Bemerkung zu Schopenhauer und dann Adorno war der logische Ausdruck seiner Verwerfung der Reflexion.
    Die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, darf nicht mit dem Mitleid verwechselt werden. Es gibt eine mitleidlose Barmherzigkeit. Das Mitleid entnervt, während die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, die Quelle des Selbstbewußtseins ist. Das unterscheidet die Barmherzigkeit von der Liebe, daß sie Kritik nicht ausschließt, daß sie teilhat an der richtenden Gewalt.
    Das Selbstbewußtsein, das der Barmherzigkeit sich verdankt, ist nicht gegen das Selbstbewußtsein anderer gerichtet: es hat den Trieb, das Selbstbewußtsein der Andern zu wecken, und somit die Kraft, sich auszubreiten. Diese Kraft, sich auszubreiten, gleicht der des Lichts, nicht der des Raumes; sie wird von der Ausdehnung des Raumes nur parodiert.
    In den Andern sich hineinversetzen, heißt: im Andern das Ebenbild Gottes erkennen, den Andern als Spiegel der Gotteserkenntnis begreifen: den Andern dort erkennen, wo nur Gott ihn erkennt. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
    Die Barmherzigkeit ist das Gericht über die Welt. Und die Barmherzigkeit ist das Licht der Welt, die an sich dunkel ist Die Welt ist der Inbegriff der Wege des Irrtums.
    Das Leuchten Seines Angesichts ist die Suspendierung der subjektiven Formen der Anschauung, die in ihm erlöschen. (Das Leuchten Seines Angesichts ist das Licht, in dem Sehen und Gesehenwerden eins werden.)
    Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Sie bezeichnet die Stelle, die der Ankläger nicht wahrzunehmen fähig ist. Darin gründet der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
    Wie unterscheidet sich die Ausbreitung (des Lichts) von der Fortpflanzung? Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts etwas mit dem Unzuchtsbecher zu tun , und ist die Ausbreitung des Lichts, die von seiner „Fortpflanzung im Raum“ zu unterscheiden ist, nicht die Umkehr des Raumes? – Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verhältnis der Richtungen im Raum (für die Lösung der sieben Siegel)?
    Ist die Elektrodynamik die materielle Manifestation der Apagogik? Und ist der apagogische Beweis der Grund der Differenzierung des nihil (des Begriffs der bestimmten Negation)?
    Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ fällt hinter den Erkenntnisstand der kantischen Philosophie zurück.
    Die Heiligung des Gottesnamens ist eins mit der Befreiung der Theologie vom Bann des Herrendenkens.
    Das Perfekt gibt es in den zwei Gestalten: des „ist“ und des „haben“ (ich bin gewesen, und ich habe getan). Das „ist“ bezeichnet die ruhende (tote) Gegenständlichkeit des Vergangenen, das „haben“ den Besitz, die Besessenheit (was ich getan habe, das besitzt mich, das hängt mir an, davon komme ich nicht los).
    Die Idee der Auferstehung der Toten ist der Einspruch der hebräischen Sprachlogik gegen das Perfekt (der Offenbarung gegen den Mythos), gegen die Vorstellung einer abgeschlossenen Vergangenheit. Sie entspringt zusammen mit der Apokalyptik, dem Beginn der aktiven Auseinandersetzung mit den Völkern, dem Christentum.

  • 28.1.1997

    Apokalyptisches Denken ist weithin metaphorisches Denken. Mit hinein spielt das wachsende Bewußtsein der Unfähigkeit, „offen“ zu reden (subversive Theologie). Die Apokalypse als Produkt des Zusammenpralls der hebräischen und der griechischen Sprachlogik (Prophetie und Herrschaftssprache).
    Die Apokalypse ist das Produkt der Selbstreflexion der hebräischen Sprache in den Sprachen der Völker.
    Ist nicht auch Jonas ein apokalyptisches Buch?
    Der apokalyptische Unzuchtsbecher steht in der Logik des Satzes: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Der Unzuchtsbecher instrumentalisiert die Nacktheitserfahrung und verdrängt sie damit zugleich. Das Anschauen ist ein Entkleiden.
    Zu den subjektiven Formen der Anschauung gehören die „nackten Tatsachen“. Anschauen ist obszön (vgl. die Geschichte des Ham, der die Blöße seines Vaters aufdeckt und damit den Fluch der Knechtschaft auf sich zieht).
    Ist nicht der Sohn Gottes die Verkörperung der Barmherzigkeit, und zittern nicht die Dämonen im Anblick dieses Gottessohns?.
    Die 68er haben den Marxismus heideggerisiert, ihn zu einer Entlastungsphilosophie gemacht.
    Wie ist es möglich, daß Tiere sich von außen sehen, wenn sie mimetisch an ihre Umgebung sich anpassen? Gehört nicht zum Bild des „Schweinehunds“ die Nacktheit des Hausschweins (das sich durch diese Nacktheit vom Wildschwein unterscheidet) und heute die Nacktheit der Kampfhunde (die ein Rassemerkmal, aber keine Natureigenschaft ist), und was drückt sich darin aus?
    Zur Kritik des Rassismus: Die Rasse unterscheidet sich von der Gattung durch ihre Beziehung zur Naturbeherrschung; Rassen werden gezüchtet.

  • 23.1.1997

    Paranoia ist die Verführung des Wissens. Hat der Sturz von der Zinne des Tempels etwas mit der Paranoia zu tun, ist die Paranoia die Gottesversuchung (vgl. Mt 47 parr)? Ist die Paranoia das Instrument der Ästhetisierung (des Mythos), das eigentliche Objekt der transzendentalen Ästhetik: der Taumel-/Unzuchtsbecher?
    War nicht er 68er Marxismus ein Entlastungskonstrukt? Und war das nicht der Grund der Verwerfung der Reflexion des Begriffs des falschen Bewußtseins und des kritischen Ideologiebegriffs? Ist dieser Marxismus nicht der schon bei Engels sich anzeigenden Verführung durch den Wissenschaftsbegriff erlegen?
    Die Paranoia in den Geschichtskonstruktionen lebt von der Verführungskraft des kontrafaktischen Urteils (das sich den Kopf der Toten zerbricht). Die paranoiden Konstruktionen sind Entlastungsversuche und Verharmlosungen zugleich: Sie unterschätzen das Gewicht des Realen, mehr noch: sie leugnen dieses Gewicht.
    Durchs Inertialsystem wird die Verführung des kontrafaktischen Urteils zur Erkenntnisgrundlage der Naturerkenntnis.
    Der Paranoiker verwechselt die Dummheit mit der Bosheit, weil er die Reflexion verwirft. Er leugnet den Dummheitskern in der Bosheit. Und dieser Dummheitskern ist nur aufzulösen im Sinne des Satzes „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (das Strafrecht leugnet die Dummheit und verstärkt die aus ihr resultierenden Zwänge).
    Der Raum ist der Statthalter der Welt in der Natur, die Zeit die Rache der Natur an der Welt.
    Hegel und Heidegger: Der Begriff des Werdens reflektiert die Zeit unter dem Aspekt des Hervorbringens („Die Erde bringe hervor …“), der Begriff des Geschehens reflektiert sie unter dem Aspekt des Vergehens, der Verwesung, der Verrottung.
    Wirft die Bubersche Übersetzung des Gottesnamens mit dem Personalpronomen nicht ein Licht auf die Unterscheidung im Begriff der Ebenbildlichkeit des Menschen: Ist nicht das „Bild Gottes“ das Bild Elohims (des Namens der richtenden Gewalt), „Sein Ebenbild“ das Bild JHWHs (des Namens der Barmherzigkeit)?
    Zu den Siebener-Gruppen der Johannes-Offenbarung gibt es bei Daniel keine Entsprechung, außer in den „sieben Zeiten“, die über Nebukadnezar hingehen sollen (Kap 4).
    Der messianische Titel Herr verweist auf den Imperativ, der von den Armen, den Leidenden, den Unterdrückten, von den Opfern ausgeht. Auf diesen Imperativ bezieht sich der evangelische Rat des Gehorsams.

  • 13.1.1997

    Die Existenz von Feinden ist ebensowenig zu leugnen wie die Irreversibilität der Beziehung von Oben und Unten (Begriff und Objekt), mit der sie zusammenhängt, aber man sollte durch Feinde nicht zur Feindbildlogik sich verführen lassen. Es ist diese Logik, auf deren Grundlage die Bank immer gewinnt.
    Der Hellenismus war eigentlich ein Makedonismus, der aristotelische Gott, das Denken des Denkens, war das Modell der Herrschaft Alexanders.
    Haben der Sündenfall und der Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert etwas mit dem Problem des apagogischen Beweises zu tun?
    Im Namen der Behörde ist die Logik des Lauschangriffs schon vorbezeichnet.
    Ist vielleicht der Begriff der Privatwirtschaft erfunden worden, um sicherzustellen, daß auch wirtschaftliche Einrichtungen den Schutz der Privatsphäre für sich in Anspruch nehmen können?
    Wenn „von Geburt“ genei und „von Natur“ physei heißt, heißt dann „von Natur“ nicht eigentlich „durch Zeugung“, und bezeichnet dann nicht beides einen gesellschaftlichen (einen herrschaftsgeschichtlichen, politischen, begrifflichen), nicht einen „natürlichen“ Sachverhalt (bei Paulus gibt es Unbeschnittene „von Natur“, Männer haben „von Natur“ keine langen Haare, Joseph/Barnabas, ein Levit, war „von Geburt“ ein Zyprer und Paulus war „von Geburt“ ein Römer)?
    Das Konzept der Verurteilung des Faschismus wird nicht mehr lange zu halten sein (vgl. Goldhagen): Auschwitz rückt uns immer näher.
    Der Jakobusbrief ist die Nabelschnur, die das Christentum mit seinem jüdischen Mutterschoß verbindet: Sie darf nicht durchschnitten werden vor dem Ende der messianischen Wehen.
    Die Hegel’sche Logik ist die vollständige Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung, die vollständige Durchdringung der durch die subjektiven Formen der Anschauung konstituierten Objektivität. An ihrer wechselseitigen Beziehung ließe das Verhältnis der Arbeit des Begriffs zum reinen Zuschauen sich demonstrieren.
    Wie unterscheidet sich das Geschehen vom Werden? Hegels Philosophie ist eine Philosophie des Werdens, während im Lichte der Fundamentalontologie sich alles ins Geschehen verwandelt. Liegt der Grund dieser Differenz in der Beziehung zur Zeit? Was bei Hegel als Werk der teleologischen Praxis, in der ich mich als der Urheber wiedererkenne, erinnert wird, ist bei Heidegger zum vergangenen Geschehen, dem ich post festum als ohnmächtiger Zuschauer beiwohne, vergegenständlicht und erstarrt. Der Begriff des Geschehens gehört zu einem Begriff der Objektivität, in dem das Subjekt nur Zuschauer und Objekt ist, nicht mehr Handelnder. Der Begriff des Geschehens erzeugt das Bild einer Welt, in der Sprache die Dinge nur noch von außen trifft (als Information und Kommunikation sich zu den Dingen draußen verhält), ihre eingreifende und ihre benennende Kraft (die miteinander zusammenhängen) verloren hat. In Heideggers Begriff des Daseins verschränkt sich das Moment des ohnmächtigen Zuschauens mit der Ohnmacht des Objekts (die Eigentlichkeit mit der Uneigentlichkeit, von der sie sich ohnehin nicht unterscheiden läßt): das Subjekt wird zum Ding und das Sein zur subjektlosen Herrschaft dessen, was ist, zum reinen Geschehen.
    Im Werden werden die subjektiven Formen der Anschauung noch als subjektive Formen reflektiert, während sie im Geschehen zu einer die Objektwelt insgesamt beherrschenden, durch Reflexion nicht mehr aufzulösenden gegenständlichen Macht geworden sind. Geschehen ist vergangenes Werden, die Weltgeschichte ist das Weltgericht.
    Die Feindbildlogik braucht die Schlechtigkeit der Welt, das herrschende Unrecht, zur Rechtfertigung des eigenen Böseseins, stattet sie mit dem zusätzlichen Komfort des guten Gewissens, der Unschuld aus.
    Gott ist nicht der Herr der Geschichte, sondern der Erwecker der Toten. Und die Väter sind die Toten, die die Toten begraben (hier findet Tobit seine Stelle, zu dessen Geschichte der Untergang Ninives gehört).

  • 11.12.1996

    Wenn der Satz stimmt, daß der Klügere nachgibt, sind dann nicht die Richter die Dummen?
    Wenn die Attribute Gottes im Imperativ stehen, dann ist der Satz, daß etwas „nicht geht“ (weil es unmöglich ist), als Ausrede nicht mehr brauchbar: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
    Ist nicht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die erste Philosophie die Ethik ist?
    Es gehört zu den Aprioris der RAF-Prozesse, daß die Lücken der Beweislogik zu Lasten der Angeklagten ausgenutzt werden.
    Barmherzigkeit und Erkenntnis: Nicht die (passive) Hoffnung, sondern die (aktive) Barmherzigkeit löst die Probleme der Beweislogik.
    Heute ist die Konstruktion des Lebens selber herzzerreißend. Der Zustand der Welt nimmt alle in Geiselhaft.
    Hat nicht Heidegger die Hegel’sche Idee des Absoluten auf die kürzeste Formel gebracht: auf das „Vorlaufen in den Tod“? Nur: Hegel war noch verzweifelt über das Resultat seiner Philosophie, er wußte sich „von Gott verdammt, ein Philosoph zu sein“; Heidegger hingegen ist ein begeisterter Sympathisant des Seins.
    Der Bann, unter dem die Natur steht, der Bann des Naturbegriffs selber, hat seine Wurzel in dem gesellschaftlichen Primat der Selbsterhaltung; er hat mit der Instrumentalisierung der Vernunft einen gemeinsamen Ursprung. Gegen diese Instrumentalisierung der Vernunft stehen die drei evangelischen Räte (die von der Kirche durch Instrumentalisierung nochmals verraten worden sind).
    Zu den Einsichten, die der Sprachreflexion sich verdanken, gehört, daß Gott nicht stumm ist. Das Wort Gottes drückt aufs deutlichste in dem imperativischen Charakter der göttlichen Attribute sich aus.
    Wenn wir den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft wirklich begreifen würden, würde es uns dann nicht „wie Schuppen von den Augen fallen“? Stammt das Wort, daß einem etwas wie Schuppen von den Augen fällt, nicht aus dem Buch Tobit? Die Salbe, mit deren Hilfe die Schuppen von den Augen des Tobit lösten, wurde aus der Galle des Fisches gewonnen, den Tobias und Rafael, als der Fisch den Tobias verschlingen wollte, aus dem Fluß Tigris gefangen hatten.
    Als Jesus zur Samariterin vom Quell des lebendigen Wassers sprach, hat er da nicht Jesaias zitiert?
    Zum Zug, der in den Abgrund rast: Die Schienen dieses Zuges sind die subjektiven Formen der Anschauung (und mit ihnen das Geld und die Bekenntnislogik). Jürgen Habermas hat, als er den kritischen Naturbegriff der kantischen Tradition verwarf und die Natur aus dem Bereich der Reflexion ausschied, dazu beigetragen, den Zug auf diese Schiene zu setzen. Damit hat er dem reflektierenden Urteil die Erkenntniskraft abgesprochen.
    Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae. Dieser Geist, der das Antlitz der Erde erneuern wird, ist der Geist der Barmherzigkeit, der Geist, der über das Gericht triumphiert, in dessen Bann das Antlitz der Erde steht, dessen Bann dieses Antlitz entstellt. – Ist nicht das kopernikanische System (als Säkularisationsprodukt des Pantheons) das entstellte Antlitz der Erde?
    Haben nicht die subjektiven Formen der Anschauung Kants etwas mit den paulinischen Elementargeistern zu tun?
    Im Feindbild-Clinch betreibt jede Seite, auch wenn keine es weiß, das Geschäft des Feindes. Und die Staatsschutzsenate sind nur noch Institute des Feindbild-Clinchs. Der Satz Jutta Ditfurths, daß der Staat seine Terroristen braucht, ist heute dahin zu ergänzen, daß ebenso die Terroristen, nachdem sie aus ihren Rechtfertigungszwängen nicht mehr sich lösen können, den Staat brauchen. Für den Zug, der in den Abgrund rast, war die RAF ein Energie-Lieferant.
    Wenn die Begriffe der Pflicht und der Verantwortung den Gesetzen der Selbsterhaltung untergordnet werden, dann weiß keiner mehr, was er tut. Die Vorstellung, daß der Markt es schon richten werde, ist gemeingefährlich und am Ende selbstmörderisch.
    Heute wird die Religion von denen verraten, die in ihr Trost suchen.
    Die Frage nach falsch oder richtig, die heute im Allgemeinen mit der Frage nach der Wahrheit verwechselt wird, wird grundsätzlich im Nachhinein (nicht beantwortet, sondern) entschieden: sie gilt (wie der Begriff des Wissens) nur für Vergangenes, und für Zukünftiges nur in dem Maße, in dem seine Vergangenheit sich antizipieren läßt. Es ist dieser Begriff des Richtigen, der Begriffen wie Orthodoxie, Orthogonalität ihre Schlüssigkeit und ihre objektive Bedeutung verleiht. Der Begriff des Richtigen ersetzt das Was durch das Wie; das Referenzsystem, auf das er sich bezieht, ist das Inertialsystem (der Inbegriff des Richtigen). Im Kontext des Richtigen lassen sich Rechts und Links nicht mehr unterscheiden. Hat hiermit das „Sitzen zur Rechten des Vaters“ (die Rechte ist die Seite der Barmherzigkeit, die Seite des Heiligen Geistes, die der Begriff des Richtigen ins Gegenstandslose verflüchtigt) etwas zu tun?

  • 7.12.1996

    Hat die Zahl 666 etwas mit den 99 Gerechten zu tun?
    Barmherzigkeit und Erkenntnis:
    – Die Frage, ob reflektierende Urteile nur regulative oder auch konstitutive Bedeutung haben, ist bei Kant vorentschieden durch die transzendentale Ästhetik, durch sein Konzept der „subjektiven Formen der Anschauung“. Kant zufolge haben konstitutive Bedeutung nur Urteile, die sich auf Erscheinungen in Raum und Zeit beziehen. Die Einsicht in die Subjektivität von Raum und Zeit eröffnet zwar den Spielraum für reflektierende Urteile, diese haben aber keine konstitutive Bedeutung für mögliche Gegenstände und ihre Erkenntnis.
    – Konstitutive Bedeutung haben demnach nur synthetische Urteile apriori, hat nur das Kategoriengeflecht, das mit den subjektiven Formen der Anschauung eigentlich schon mitgesetzt ist.
    – Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Das Gericht verwandelt alles, worüber es ergeht, in Natur (darin gründet die Beziehung des Rechts zum Mythos, auf die Walter Benjamin hingewiesen hat). Konstitutive Urteile, in deren Kontext der Naturbegriff sich bildet, sind richtende Urteile; Inbegriff dieser richtenden Gewalt sind die „subjektiven Formen der Anschauung“, ihr Repräsentant in den Dingen sind die Formen von Raum und Zeit als Formen der Selbstentfremdung der Dinge, als Grund ihres Seins-für-Andere (ihrer Instrumentalisierung); Natur ist der Inbegriff aller Objekte von richtenden Urteilen. Es gibt kein Inneres der Natur, der Naturbegriff selber schließt jedes „Sich-Hineinversetzen“ in die Objekte, auf die er sich bezieht, a limine aus. Die einzige Identifikation, die der Naturbegriff zuläßt, ist die Identifikation mit den Mächten der Naturbeherrschung: die Identifikation mit dem Begriff, der das Objekt außer sich (und unter sich) hat: die „Anpassung an die Welt“.
    – Die Kraft der Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen und den Bann der Fremdheit zu sprengen, sprengt den Bann der subjektiven Formen der Anschauung und mit ihm den Bann, der auf der Natur liegt: Sie öffnet den Himmel und erneuert das Antlitz der Erde (sie begründet die „größere Freude“ über die Bekehrung des einen Sünders und rettet, indem sie den Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, die eigene Seele).
    – Die erkennende Kraft der Barmherzigkeit bewährt sich an der Beziehung des Staates zur Astronomie (in der die Geschichte als Herrschaftsgeschichte und als Geschichte der Verstockung des Herzens erinnert wird).
    – Ist die Zahl 666 der Knoten, der zu lösen wäre?
    katakauchatei eleos kriseos (Jak 213) – Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht (so übersetzen die Einheitsübersetzung, die Zürcher Bibel und Karrer). katakauchaomai – rühme mich; tue groß, brüste mich.
    Barmherzigkeit und Naturerkenntnis: Welche Folgen hat die Kritik des Naturbegriffs für die Naturerkenntnis selber?
    Es gibt nicht nur ein Inertialsystem, sondern das Inertialsystem hat im Kontext der Mechanik (die dem frühbürgerlichen Handel und dem Handwerk korrespondiert) eine andere Bedeutung als im Kontext des Gravitationsgesetzes (das dem politischen Absolutismus entspricht), und beide sind unterschieden von der Gestalt des Sytems, das der Elektrodynamik und der Mikrophysik zugrunde liegt (dem Korrelat der globalen Durchsetzung der Marktgesetze und ihrer Vorstufe, des Imperialismus).
    Ist die Orthogonalität das logische Symbol der Grenze (und ist deshalb die Gerade, die Verkörperung der Richtung, grenzenlos, unendlich)?
    Tarschisch ist der Name eines Ortes am Ende der Welt. Salomo hat mit den Tarschischschiffen aus Tyrus aus Tarschisch das Gold für den Bau des Tempels holen lassen. Jona, der Ninive den Untergang künden soll, versucht, nach Tarschisch zu fliehen, woran ihn der Sturm hindert, mit den bekannten Folgen.
    Wenn im Begriff der Ware im wörtlichen, außenpolitischen Sinne des Wortes die Beziehung auf eine Grenze, ein Stück Fremdheit und ein Moment des Barbarischen (das im Begriff der rohen Natur, aus der die Waren durch Bearbeitung gewonnen sind, nachklingt) enthalten ist, was bedeutet das für die Logik des Geldes, auf dessen Begriff der der Ware bezogen ist? Hängt es nicht hiermit zusammen, daß an den einzigen Stellen der Schrift, an denen es den Kauf von Grundstücken geht (um die Subsumtion des Bodens unters Tauschprinzip), es sich um Grundstückkäufe von Nicht-Israeliten, von Bewohnern Kanaans handelt (das Grab Saras und den Grund, auf dem dann der Tempel erbaut wurde).
    Wie hängt der Tempel, die Geschichte des Tempels, mit der Ursprungsgeschichte des Geldes zusammen?
    Die Logik des Geldes ist astrologisch: das Geld verweist auf die „Enden“ der sechs Richtungen des Raumes, die die Planeten verkörpern, konkret: die Sonne und der Mond (Gold- und Silberwährung), aber auch die anderen Planeten (Jupiter, Mars, Venus und Merkur, oder auch die vier apokalyptischen Reiter).
    Ist es nicht merkwürdig, daß Kopernikus und Newton mit dem Münz- und Finanzwesen zu tun hatten? Haben nicht die kopernikanische Wende und das newtonsche System den Weg für die Entdeckung, Eroberung und Ausbeutung der außereuropäischen Welt und für den Kapitalismus in Europa freigemacht?
    Hängen nicht Geld und Schwur mit einander zusammen, und beziehen sich nicht beide auf den Himmel?
    Das Geld hängt mit dem Inertialsystem auf ähnliche Weise zusammen wie das Foto im Personalausweis mit dem Angesicht des Menschen: es ist eine Abbildung, die das Abgebildete unkenntlich macht.
    Die endlichen Bilder des Unendlichen sind Bilder des Schreckens. Die Götterbilder versuchen diesen Schrecken zu bannen, indem sie ihn instrumentalisieren, als Schrecken für andere verwenden. Götzen sind Schreckverschubsysteme. Deshalb lehrt die Schrift die Gottesfurcht, erkennt sie in ihr den Anfang der Weisheit.
    Gegen das Leichte: Vom Schweren hat die göttliche Herrlichkeit ihren Namen. Nur wenn ich die Last auf mich nehme, wird diese Herrlichkeit für mich erkennbar. Das Schuldverschubsystem ist das System der Verblendung.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Voraus geht der Cherub, der mit dem kreisenden Flammenschwert das Tor des Paradieses bewacht (und auf den Cheruben thront Gott).
    Die Grundgeschichte der Aufklärung müßte sich an der Geschichte der Banken (deren Ursprung mit dem der Tempel zusammenfällt) demonstrieren lassen. Welchen Punkt in dieser Geschichte bezeichnet die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler (so bei Matthäus und Markus, bei Lukas nur allgemein der „Verkäufer“, bei Johannes zusätzlich zur Vertreibung der Geldwechsler und Taubenhändler auch die der „Verkäufer von Ochsen und Schafen“)?
    Zur Bedeutung der Zahl zehn: Aus welchem Grunde hatte das römische Jahr zehn Monate, und was bedeuten die Namen der Monate?
    Der Weizen, der unter die Dornen fällt, ist das nicht das Wort, das unter die subjektiven Formen der Anschauung fällt? Hat nicht Heidegger die Sorge, in der Jesus die Dornen erkennt, unter die der Weizen fiel, zum Zentrum der Fundamentalontologie gemacht?
    Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist, ohne daß sie es weiß, eine Geldtheorie.

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